Die Gaben des Wassers - Karin Hochegger - E-Book

Die Gaben des Wassers E-Book

Karin Hochegger

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Beschreibung

Ein Lob der lebendigen und stillen Wasser Ob Mairegen oder Morgentau, schlammige Pfütze oder lichter Weiher, wilder Fluss oder das dunkle Auge des Moores, unerschöpflich fördert das Wasser den Reichtum des Lebens. Es ermöglicht Erneuerung, wo immer es eingeladen wird, seine Wirkung zu entfalten. Durch das Wasser sind wir mit allem verbunden, sind ein Teil seines Kreislaufs. Das Wasser ist unsere Lebensgrundlage, wir sollten es behüten. Seine Erscheinungsformen in der Landschaft bilden den blauen Faden der Naturbeobachtungen von Karin Hochegger. Ihr neuer Band "Die Gaben des Wassers" verbindet die genaue Wahrnehmung und Betrachtung von unterschiedlichen Süßgewässern mit einer Fülle an ökologischem und kulturgeschichtlichem Wissen – von der Quelle über Tümpel, Teich und Weiher bis zum Fluss. - Eine poetisch-kraftvolle Beschreibung im Stil des "Nature Writing" - Was es in Bächen, Flüssen, Mooren, Lacken, Tümpeln und Seen zu entdecken gibt - Ökologische Fakten rund um die Bedeutung des Wassers - Für Leser*innen von Naturkunde-Büchern und alle, die das Wasser lieben - erscheint am 22. März 2024 zum "Tag des Wassers"

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Seitenzahl: 323

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die Gaben des Wassers

Für alle Wasserwesenauf diesem Wasserplaneten

… und für meine Mutter

KARIN HOCHEGGER

die Gaben des Wassers

Naturerfahrungen zwischen Quelle, See und Wildfluss

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2024 Verlag Anton Pustet

5020 Salzburg, Bergstraße 12

Sämtliche Rechte vorbehalten.

Herausgeber: Verlag Anton Pustet

Lektorat: Martina Schneider

Layout, Grafik: Hochthron – Michael Punz

Coversujet: Druckgrafik von Wolfgang Richter

Auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-7025-1122-7

eISBN 978-3-7025-8113-8

Über 600 lieferbare Titel aus dem Verlag Anton Pustet finden Sie in jeder Buchhandlung und im Onlineshop auf www.pustet.at

Wir vom Verlag Anton Pustet bemühen uns bei jedem unserer Bücher um eine ressourcenschonende Produktion. Alle unsere Titel werden in Österreich und seinen Nachbarländern gedruckt.

Es ist uns ein Anliegen, einen nachhaltigen Beitrag zum Klima- und Umweltschutz zu leisten.

Inhalt

1 Wasser – Bedingung allen Lebens

2 Quelle und Ursprung

3 Rinnsal, Bach und Wasserfall – Aqua viva

4 Jeder Fluss ist eine Reise

5 Von kleinsten Gewässern, Tauperlen und Wassertröpfchen – dem Marginalen Beachtung schenken

6 Stille Wasser – Tümpel, Teich und Weiher

7 Königin See

8 Aus dem Wasser wächst das Moor

9 Die Begabungen des Wassers

Dank

Die Autorin

Literatur

Bildnachweis und Bildtexte

Thousands have lived without love, not one without water.

W. H. Auden

1

Wasser – Bedingung allen Lebens

Die letzten Tage hat es durchdringend geregnet, das ganze Land hat sich mit Wasser vollgesogen, alles atmet Feuchtigkeit, die Vögel jubilieren und die Bäche treten aus den Ufern. Das Wasser hat mich mit aller Macht erfasst. Es rüttelt mich wach und ich beginne nachzudenken.

Seither durchstreife ich die Landschaft auf seinen Spuren. Das ist zutiefst erfüllend und erschreckend zugleich, denn das Wasser ist ein Mysterium. Es spricht zu mir in Wellen, Strömen und Rhythmen, die mir vertraut sind wie der Atem, und dennoch kann ich mir nicht anmaßen, es zu verstehen. Es füllt tiefe Becken und entflieht durch die kleinste Spalte. Während es ein welkes Moos aufrichtet, stürzt es den Baum, auf dem das Moos wächst. Jeder Atemzug trägt seine Spuren, jeder Schluck löscht unseren Durst. Es teilt alles mit uns und kann uns alles nehmen.

Auf seinen Wegen ist so viel Schönheit zu finden: Der Regenbogen, der das Tal überspannt oder die Tauperlen auf einem Spinnennetz, schäumende Gischt oder der silbrige Strom eines großen Flusses — das Wasser sammelt das Licht und schenkt uns seinen Glanz und seine Farben. In den fließenden Strukturen der Bäche und Flüsse, in den ruhenden Tiefen der Seen erschafft es Muster und Musik, sein Klang so vielfältig wie seine Formen.

Die Wege des Wassers bleiben rätselhaft. Es entzieht sich der Kontrolle, verflüchtigt sich oder wird fest. Scheinbar substanzlos und sanft, formt es sogar das undurchdringliche, harte Gestein. So haben sich die Flüsse den Weg gebahnt, so werden die Höhlen im Kalkstein geformt, so das Geröll zu Sand zermahlen. Dynamik und ständige Veränderung, Erneuerung und fortwährende Vergänglichkeit bestimmen seine Wesensart. Das Wasser lehrt uns seit jeher: Alles fließt und verwandelt sich und alles, was nachgiebig und scheinbar ohne Widerstand ist, kann eine enorme Kraft entfalten. Im Tao-Te-King, dem chinesischen Weisheitsbuch aus dem 4. Jahrhundert vor Christus, gilt das Wasser als Gleichnis für eine naturgemäße Lebensführung. Obwohl es weich und sanft ist, kann es den harten Stein besiegen. Auch Bertolt Brecht nimmt dieses Thema 1938 auf. In seinem berühmten Gedicht, Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration, gelingt es ihm, die ganze Tragweite dieser Weisheit auszudrücken: „Du verstehst, das Harte unterliegt.“

Und damit sollte er Recht behalten.

Wir bewohnen einen blauen Planeten, 71 Prozent der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt, es tritt in fester, in flüssiger und in gasförmiger Gestalt in Erscheinung. Es prägt unser Leben im ständigen Übergang und Wechsel seiner Beschaffenheit: vom Wasserdampf, der aus dem Meer aufsteigt zum Regen, von den Regentropfen zu den Kristallen im Schnee, vom Schnee, der sich verfestigt, zum Eis, von der Schneeschmelze über die sprudelnden Bäche und stetigen Ströme wieder zum Meer. Im Lauf der langen Geschichte der Erde haben diese unterschiedlichen Aggregatzustände die Erdoberfläche geprägt und andauernd verändert. Diese Dynamik und die dabei freigesetzten Energien bestimmen das Leben und das Klima auf der Erde, die ein Planet des Wassers ist.

Die dynamischen Kräfte des Wassers nutzen wir in vielfacher Weise, seine Gewalt und Zerstörungskraft hingegen versuchen wir zu bändigen. Überschwemmungen und Flutkatastrophen — die zerstörerischen Auswirkungen von starken Niederschlägen häufen sich in den letzten Jahren mit den ansteigenden Temperaturen. Auch Trockenheit und Dürre, der sichtbare und spürbare Mangel an Wasser, prägen immer größere Regionen der Erde. Mehr denn je sollten wir daher seine Eigenschaften und seine Wirkung verstehen, denn es reagiert und antwortet auf jede Veränderung im Gefüge der Landschaft und Atmosphäre. Seine Antworten sind nicht immer vorhersehbar und stellen uns mit ihrer Wucht und Dynamik vor enorme Herausforderungen.

Im Wasser offenbart sich unser Umgang mit der Natur. Wir hören es täglich in den Nachrichten und können es mit eigenen Augen wahrnehmen: Wir betreiben Raubbau. Im Gegensatz dazu baut das Wasser Leben auf. Es ermöglicht Erneuerung, wo immer wir es einladen, seine Wirkung zu entfalten. Eine Pfütze wird innerhalb von Stunden besiedelt. Ein Fluss verwandelt seine Uferzone in eine artenreiche Landschaft, wenn ihm der Platz dafür geboten wird. In einem frisch angelegten Teich erscheinen die ersten Wasserläufer, kaum dass der Bagger seine Arbeit beendet hat. Ein Moor fängt an, sich zu regenerieren, sobald die Stauwirkung einsetzt. Wo das Wasser sich ausbreitet, beginnt etwas, sich zu entfalten.

Eine rätselhafte Substanz

Its substance reaches everywhere;

it touches the past and prepares the future;

it moves under the poles and wanders

thinly in the heights of air.

It can assume forms of exquisite perfection

in a snowflake, or strip the living to a single

shining bone cast up by the sea.

Loren Eiseley (1907–1977)

Das Wasser begegnet uns als Rätsel. Es hat keine Form, kann aber jede Form annehmen. Es lässt sich berühren, aber nicht halten. Es rinnt durch die Finger, als wäre es ohne Substanz, und dennoch gilt es als Grundlage des Lebens auf diesem Planeten. Wissenschaftlich ausgedrückt: Es besteht aus Sauerstoff und Wasserstoff. Das Molekül H2O, eine im Prinzip simpel erscheinende chemische Verbindung, die aber enorme Komplexität aufweist und alle klimatischen und biologischen Prozesse auf der Erde prägt.

Wasser ist nicht einfach nur Wasser. Seine Wirklichkeit und seine physikalischen und chemischen Eigenschaften wirken viel außergewöhnlicher und umfassender, als wir es uns vorstellen. Jede einzelne seiner Gaben beeinflusst das Leben der Pflanzen und Tiere und auch die Prozesse des menschlichen Körpers, denn wir bestehen zu einem Großteil aus Wasser. Sein Anteil an unserem Gehirn beträgt 75 Prozent und an unserem Blut bis zu 95 Prozent. Wenn es nur um diese Prozentsätze ginge, könnten wir uns als fühlende, denkende und sprechende Wasserkörper beschreiben.

Die außergewöhnlichen Eigenschaften des Wassers resultieren aus dem Aufbau seiner Moleküle. Diese haben die Neigung, durch die Bildung von Wasserstoffbrücken vernetzte größere Gruppen, sogenannte Cluster, zu formen. Solche Makromoleküle verhalten sich anders als einzelne, kleine Moleküle. Diesem Umstand verdanken wir die Welt, wie wir sie kennen. Denn die zusätzlichen Bindungen müssen bei jedem Phasenübergang aufgelöst werden und dafür wird Energie benötigt. Wasser siedet daher erst bei 100 Grad Celsius und Eis schmilzt bei 0 Grad.

Ohne diese besondere Verbindungsfreude würde flüssiges Wasser bereits bei Zimmertemperatur verdampfen.

Nicht alle Verhaltensweisen des Wassers können einfach erklärt werden. Wenn etwa Tiere im Winter getränkt werden sollen, müssen sie mit kaltem Wasser versorgt werden, da heißes Wasser schneller frieren würde. Es klingt verkehrt und rätselhaft, entspricht aber der praktischen Erfahrung. Dieses Phänomen wurde erst 1969 wissenschaftlich beschrieben. Auf der Suche nach einer Erklärung stößt man auf komplizierte Thesen und auf ein nicht ganz gelöstes Rätsel. Wasser verhält sich nicht immer so, wie es zu erwarten wäre. Insgesamt weist es 70 Anomalien auf, die sich nur teilweise naturwissenschaftlich erklären lassen. „Selbst der modernen Physik und Chemie fehlt ein umfassendes Verständnis aller Eigenschaften des Wassers“, schreibt Franziska Torma in ihrem Buch Wasser (2020).

Auch in seiner festen Form weist es Besonderheiten auf, denn anders als die meisten Stoffe dehnt es sich aus, wenn es friert. Ein Phänomen, das wir selbst beobachten können, wenn wir im Winter bei Minusgraden eine volle Wasserflasche auf dem Balkon vergessen. Das Eis sprengt das Glas. Die Moleküle im Eiskristall bilden sechseckige Strukturen, die einen großen Hohlraum umschließen. Das Eis hat dadurch eine geringere Dichte und steigt in Gewässern an die Oberfläche. Damit isoliert es das wärmere Wasser in der Tiefe und verhindert eine Durchmischung. Die größte Dichte hat Wasser bei 4 Grad Celsius, eine Zahl, die für uns scheinbar wenig Bedeutung hat. Doch ohne diese besondere Eigenschaft des Wassers würde im Winter alles Leben in den Gewässern erlöschen. Die kalten Wasserschichten würden absinken und die wärmeren an die Oberfläche steigen. Damit käme es zu einer raschen Abkühlung des Gewässers bis zum vollständigen Durchfrieren von unten nach oben.

Die schottische Dichterin Nan Shepherd (1893–1981) meint, dass wir es uns zu einfach machen, wenn wir glauben, das Wasser sei leicht zu verstehen. Bei der Beobachtung von Quellen und Flüssen erkannte sie: Das Geheimnis des Wassers liegt in seiner Bewegung. Diese Einsicht teilt sie mit Menschen, die ihr Leben mit dem Studium des Wassers verbrachten. Leonardo da Vinci (1452–1519) beschäftigte sich zeit seines Lebens mit diesem Element. Er fertigte unzählige Skizzen von den Bewegungen des Wassers an, von Strudeln, Tautropfen, Wasserfällen und Wellen sowie eindrucksvolle Zeichnungen von Flusslandschaften und verstörende Bilder der Flut. Viktor Schauberger (1885–1958), ein österreichischer Förster und Erfinder, sah in den Fließformen des Wassers mit seinen Verwirbelungen, Strudeln, Mäandern, Spiralen und Wellenbewegungen ein zentrales lebensaufbauendes Prinzip.

Diese Sichtweisen von Künstlerinnen und Universalgenies enthalten Denkansätze, um Wasser tiefgreifender zu verstehen. Wir dürfen es nicht unabhängig von seiner Bewegung, von seinen Kreisläufen und den damit verbundenen Prozessen betrachten. Das Wasser ergreift jede Gelegenheit, es zögert nicht, die kleinsten Ritzen und Vertiefungen zu nutzen, es sickert durch das Erdreich, es steigt mit den Sonnenstrahlen auf, es zieht mit den Wolken über den Himmel, es stürzt mit dem Regen ins Tal und es strebt mit den Flüssen wieder dem Meer zu. Es scheint so simpel und einfach zu sein und stellt dennoch ein Rätsel dar. „Wenn auf diesem Planeten Magie existiert, dann ist sie im Wasser enthalten“, schreibt Loren Eiseley (1953) in The Flow of the River.

Wir wissen heute, dass das Leben seinen Ursprung im Wasser nahm, aber wir wissen nicht mit völliger Sicherheit, woher das Wasser auf der Erde stammt. Wasser ist ein kosmisches Element, das im Weltall in gigantischen Gaswolken, in fernen Galaxien und auch auf anderen Himmelskörpern unseres Sonnensystems vorkommt. Heute wird angenommen, dass Himmelskörper aus Eis auf der Erde einschlugen und verglühten. Bei der Kollision wurde das Wasser im Gravitationsfeld der Erde gefangen und Teil der Erdatmosphäre. Wenn wir morgens selbstverständlich die Zähne putzen und das klare Wasser betrachten, das aus der Leitung rinnt, besinnen wir uns dabei seiner kosmischen Herkunft?

Die Geschichte des Wassers offenbart noch weitere bemerkenswerte Sachverhalte. Die Gesamtmenge des Wassers auf der Erde verändert sich nicht. Es durchläuft einen fortwährenden Kreislauf und absolviert dabei Prozesse der Reinigung und Veränderung, aber es bleibt das Wasser, das immer schon da war. Wir können daher in einem Gedankenexperiment annehmen, dass das Wasser im Glas vor uns auf dem Tisch schon einmal den Durst eines Dinosauriers gestillt hat. Wasser, eine kosmische Substanz aus dem Weltall, kreist auf dieser Erde in komplexen Prozessen und durchläuft alle Daseinsformen. Wir alle sind Teil seiner Geschichte.

Die kleinste Einheit

Der Regen lässt nach, sein Wispern wird zu einem letzten Seufzen, zu einem Hauch. So, als hätten sie Angst vor dem Fallen, hängen dicke Tropfen an den Blattspitzen. Wird ihr Gewicht zu groß, lösen sie sich behutsam, fast als würden sie wissen, dass nun ihr Weg in den großen Kreislauf wieder von vorn beginnt. Einmal in 3 100 Jahren wandert die gesamte Wassermenge der Ozeane durch die Atmosphäre. Wer weiß, woher der einzelne Tropfen stammt, der in der Sonne funkelt, mit einem Licht, das nicht ihm gehört?

Dort, wo die Blätter nicht nach unten hängen und die Blattoberfläche es durch eine Wachsschicht erlaubt, bleiben glänzende Tropfen haften und bilden kleine Ellipsoide. Diese Tröpfchen zeigen eine weitere Eigenschaft des Wassers, nämlich seine Fähigkeit, fast wie Klebstoff zusammenzuhaften. Stupst man einen kleinen Tropfen in Richtung eines anderen, so verbinden sich die beiden sehr willig. Diese Besonderheit erzeugt die Oberflächenspannung, die es manchen Insekten ermöglicht, auf dem Wasser zu laufen wie auf einer Haut. Eine andere Eigenschaft befähigt die Pflanzen, den Saftstrom entgegen der Schwerkraft in die äußersten Blattspitzen zu pumpen. Die Wassermoleküle klettern in dünnen Gefäßen mühelos nach oben, weil sie an den Wänden haften.

Noch eine Eigenschaft des Wassers bestimmt das Leben auf diesem Planeten maßgeblich. Es ist ein gutes Lösungsmittel und nimmt eine Reihe von Stoffen bereitwillig auf. Es löst ganze Berge aus Kalkgestein auf. Reines Wasser gibt es nur in der Apotheke, in der Natur vorkommendes Wasser enthält immer gelöste Stoffe. Daran können wir die Herkunft und den Weg des Wassers ablesen. Unter natürlichen Bedingungen bedeutet das einen großen Vorteil, da wir mit dem Wasser auch Mineralstoffe zu uns nehmen. Für das Leben der Pflanzen stellt das Wasser die Grundlage dar, weil es neben den Mineralstoffen alle essenziellen Nährstoffe enthält und transportiert. Es löscht ihren Durst und stillt ihren Hunger, dementsprechend verdursten und verhungern Pflanzen bei Trockenheit.

Doch diese Gaben des Wassers können zum Problem werden, wenn es mit löslichen Schadstoffen in Berührung kommt. Auch wenn das Wasser im Zuge seines Kreislaufs Prozesse der Selbstreinigung durchläuft, gibt es neue Quellen für Verunreinigungen in der Luft und im Boden. Damit verändert sich nicht nur die Qualität des Lebensstoffes Wasser, sondern auch seine physikalischen Eigenschaften sind nicht mehr die gleichen. Sauberes Wasser steigt in den Pflanzen und im Boden höher als verschmutztes und auch die Oberflächenspannung ändert sich mit dem Grad der Verunreinigung. Der Tropfen, der sich von der Blattspitze löst, gerät kleiner und im schlimmsten Fall beinhaltet er Spuren von Chemikalien. Wasser, so unabhängig es scheinen mag, existiert niemals losgelöst von seiner Umgebung und es trägt immer deren Spuren. Durch das Wasser sind wir mit allem verbunden, was uns umgibt, mit der Luft, dem Gestein, dem Boden und den Pflanzen.

Der stetige Kreislauf

This grand show is eternal. It is always sunrise somewhere;

the dew is never all dried at once; a shower is forever falling;

vapor is ever rising.

John Muir (1838–1914)

Der Blick in den Himmel bedeutet immer einen Blick auf den Wasserkreislauf. Wir können uns wie Leonardo da Vinci fragen, „wie die Wolken sich zusammenballen und auflösen, und welche Ursache die Wasserdämpfe von der Erde in die Luft hebt, und die Ursache von Nebel und trüber Luft, und warum sie sich einmal mehr und einmal weniger azurblau zeigt.“ Er versuchte, den Wasserkreislauf der damaligen Auffassung entsprechend durch Mechanismen zu erklären, die das Wasser unterirdisch auf die Berge sog und von dort über die Flüsse wieder dem Meer zuführte. Bis in das 17. Jahrhundert blieb der Wasserkreislauf ein Rätsel und es bestand die Meinung, dass der Regen allein zum Speisen der großen Gebirgsflüsse nicht ausreiche. Erst danach entstand ein wissenschaftliches Verständnis des stetigen Kreislaufs des Wassers.

Dieser Kreislauf erhält sich durch die Verdunstung über den Ozeanen, über Waldgürteln, aber auch über Seen und Flüssen. Angetrieben durch die Energie der Sonne steigt Wasserdampf auf, kondensiert oder gefriert, wird in den Wolken transportiert und gelangt schließlich in Form von Niederschlag wieder auf die Erde. Ein gigantischer Destillationsprozess, bei dem das Salz im Meer zurückbleibt und der aufsteigende Wasserdampf zu Süßwasser wird. Von allen Formen, in denen Wasser auf der Erde existiert, kommt dem Wasserdampf in der Atmosphäre eine fundamentale Bedeutung zu, denn nur durch ihn wird das Süßwasser der Erde gespeist und die Erde bewohnbar. Ohne Wasserdampf gäbe es keinen Niederschlag. Wie viel Wasserdampf aufsteigt, wird durch die Lufttemperatur bestimmt. Mit jedem zusätzlichen Grad kann die Atmosphäre etwa 7 Prozent mehr Wasserdampf aufnehmen und halten. Kühlt die Luft dann ab, können Starkregenereignisse folgen. Zusätzlich absorbiert Wasserdampf die Sonnenstrahlung, aber auch die von der Erde aufsteigende Wärmestrahlung. Er kann also die Sonnenstrahlung abschirmen, aber auch die Hitze gefangen halten. Komplexe Vorgänge und Prozesse, die wir beeinflussen, ohne sie steuern zu können.

Wolkensprache

Eine riesige Kumuluswolke hängt über dem See und breitet ihren Schatten aus. Die Berge ringsum verlieren ihre Erhabenheit, denn die Wolke könnte sie alle verschlingen. Nur der Saum der weißen Bäusche leuchtet noch golden, im Zentrum breitet sich Dunkelheit aus. Im Inneren der Wolke werden Täler und Höhen sichtbar, plastisch wie bei einem Gebirge. Grautöne, mit dunklen Schatten ausgestattet, bringen eine Ahnung von Schwere. Einzelne Strahlen durchdringen die Dunkelheit und senden die letzte Botschaft der Sonne. Bald wird es regnen.

Wasserdampf ist wie alle Gase unsichtbar. Doch sobald das „Wassergas“ in der Luft kondensiert, entstehen mikroskopisch kleine Tröpfchen, die das Sonnenlicht streuen und dadurch am Himmel als helle Schwaden, Nebel, Wolken oder als Kondensstreifen von Flugzeugen ersichtlich werden. Letztere stellen eigentlich künstliche Wolken dar, die entstehen, wenn die heißen Abgase aus Wasserdampf und kleinsten Rußpartikel auf kalte Luft stoßen und kondensieren. Ein von linienförmigen, künstlichen Wolken durchzogener Himmel gehört zu den Bildern unseres Zeitalters, an die wir uns gewöhnt haben. Diese Streifen tauchen in Kinderzeichnungen auf, begleiten uns bei Wanderungen in unberührter Natur und künden von menschlichem Einfluss auf die Welt, der auch den Himmel vereinnahmt. Eine ganz andere Geschichte erzählen hingegen „natürliche“ Wolken. Sie entstehen, wenn sich der nach oben steigende, unsichtbare Wasserdampf abkühlt, dabei an kleinen Partikeln Tröpfchen bildet und diese mehr und mehr zusammenfließen, sodass immer größere Tropfen eine stattliche Wolke bilden.

Wolken fungieren als Boten des Wassers, wie große Schiffe transportieren sie Tonnen über Tonnen von Wasser über den Himmel. Aus fernen Gegenden oder aus direkter Nähe, wir können die Herkunft des Niederschlags nur erahnen. Eindrucksvoll wirken sie über den Bergen, am weiten Horizont des Meeres oder an einem See im Urlaub, wo wir die Muße haben, sie eingehender zu betrachten. Sie beflügeln die Fantasie, wir erkennen vielleicht Muster oder Gestalten, sehen die Bewegung, erahnen das Gewitter. Die Wolken zu studieren gehörte für viele Generationen zu den lebenswichtigen Naturbeobachtungen. Die Menschen mussten ohne jede Wettervorhersage Entscheidungen treffen. Die Wolken waren daher willkommene Schriftzeichen in einer Sprache, die heute viele nicht mehr verstehen, weil es dafür die Wettervorhersage gibt. Die einfachsten Unterscheidungen gelingen leicht: Zirrus – Kumulus – Stratus.

Zu den Zirruswolken zählen dünne, faserige Wattewölkchen, die in großer Höhe (über 7000 Meter) am Himmel dahindriften. Könnten wir sie aus der Nähe betrachten, würden wir ihren Glanz erkennen. Sie bestehen aus Eiskristallen, die im Sonnenlicht glitzern und funkeln. In der Abenddämmerung halten sie noch lange das Licht und scheinen in den goldenen Farben des Sonnenuntergangs zu glühen, während sich auf der Erde schon der Schatten ausbreitet. Zirruswolken kündigen manchmal eine Wetteränderung an.

Kumuluswolken können als kompakte Wolkenberge oder Anhäufungen beschrieben werden, wie es der lateinische Name andeutet. Sie weisen eine flache Basis auf und kommen in den tieferen Schichten (unter 2 000 Meter) am Himmel vor. Eigentlich zählen sie zu den typischen Schäfchenwolken, die mit gutem Wetter einhergehen. Wenn sie sich allerdings zu größeren Gebirgen auftürmen, ihre Farbe bedrohlich dunkel wird und Wind aufkommt, dann heißt es, rasch einen Unterstand aufsuchen.

Stratuswolken formen tief am Himmel hängend eine dichte Decke und tauchen den Tag in graues Licht. Manchmal erscheinen sie auch als Nebel, wenn die Wolkendecke so tief hängt, dass sie die Erde berührt. Wir spüren dann die Tröpfchen auf unserer Haut und Kleidung.

Die Wissenschaft unterscheidet viele Mischformen und Übergänge an Wolkenformationen. Wolkenfamilien und -typen werden nach der Höhe, in der sie vorkommen, unterschieden. Der Himmel wird zum Buch, in dem wir jeden Tag eine neue Botschaft lesen können. Wolken ermöglichen es uns, die Turbulenzen und Strömungen zu erkennen, die der Wind verursacht. Wir halten Wolken für federleicht, dabei können sie tonnenschwer sein und wenn sie ihr Gewicht nicht mehr tragen können, regnet es. Wir halten Wolken auch für still, doch der Donner widerspricht dieser Annahme mit lautem Getöse oder anhaltendem Grollen. Wolken bestehen auch aus Energie, die freigesetzt wird, wenn Wasserdampf sich in flüssiges Wasser verwandelt, und diese Kräfte können gewaltig sein.

Wolken enthalten nicht nur große Energie, sie bewirken auch Veränderungen im Klima, die noch längst nicht vollständig erforscht sind. Sie besitzen zwei Gesichter, denn sie fungieren manchmal als Schattenspender, dann wieder als Wärmedecke. Je nachdem kühlen sie die Temperatur auf der Erde in ihrem Schatten oder halten die Hitze in ihrem Dunst gefangen. Diese Auswirkungen auf das Klima sind zentral und schwer vorherzusehen. Wenn wir Wolken betrachten, sehen wir andauernde Dynamik, Veränderungen und Prozesse, die mithilfe des Wassers die Erde mit dem Himmel verbinden. Wir lesen ihre Sprache und wissen, dass wir sie noch längst nicht zur Gänze entziffert haben.

Vom Regen, der auf das Land fällt

Ein leichter Landregen breitet sich aus. In den Laubbäumen rauscht er, auf den großen Blättern der Pestwurz trommelt er, nur in den Fichten bleibt er stumm. Auch in der Wiese höre ich nur ein sanftes Lispeln, dafür breitet sich ein intensiver Geruch aus — der Duft nach warmer Erde und Sommer. Für diesen Geruch gibt es keine einfache Beschreibung und vielleicht deshalb ein eigenes Wort: „Petrichor“. Ein Begriff, der aus dem Griechischen stammt und aus Felsen und dem Blut der Götter zusammengesetzt ist. Der Duft nach Petrichor entsteht an einem heißen Sommertag bei den ersten Regentropfen durch komplexe Prozesse im Boden im Zusammenspiel von Bakterien und Pflanzenölen. Die Ursache für den Geruch besteht in Aerosolen, die durch die aufprallenden Regentropfen fein zerstäubt werden und sich in der Luft verteilen. Je nach Boden und Klima besitzt Petrichor ein unterschiedliches Aroma. Doch nur der sanfte Regen nach längerer Trockenheit und Wärme erzeugt diesen speziellen Duft. Jeder Versuch, diesen Geruch zu beschreiben, misslingt und jedes Sommergewitter bringt mich dazu, tief atmend auf der Terrasse zu stehen. Der aufsteigende Duft erzeugt ein Gefühl von Wärme und Leben. Es ist der wärmste Geruch, den ich kenne und wie alle guten Gerüche leider flüchtig. Der Regen hält an, durchnässt den Boden, die Pflanzen und Tiere halten ihm stand, ohne sich zu beugen, nur wir nehmen die Regenjacke oder den Schirm.

Die Wassermenge, die in der Atmosphäre enthalten ist, kehrt durchschnittlich alle elf Tage als Niederschlag zur Erde zurück und wandert in dieser Zeit über 1000 Kilometer mit dem Wind und den Wolken. Die Verteilung der Niederschläge wird am Himmel entschieden und fällt sehr unterschiedlich aus. Die Niederschlagsmengen der Erde reichen dabei von unter 100 Millimeter pro Jahr (Luxor, Ägypten) bis zu über 12 000 Millimeter pro Jahr (Assam, Nordindien).

Das Salzkammergut, glaubt man den vielen Beschreibungen und Klischees dieser Gegend, gilt als die wahre Heimat des Landregens und Salzburg rühmt sich überhaupt eines eigenen — nach der Stadt benannten — Schnürlregens. Doch bei genauerer Betrachtung beschränken sich weder der Landregen und schon gar nicht der Schnürlregen auf diese Region, auch wenn die Gäste und Bewohner gern das Gegenteil behaupten. Rein wissenschaftlich betrachtet bezeichnet der Landregen langanhaltende Phasen von Niederschlag mit geringer Intensität und kleinen Tropfen. Landregen tritt häufiger im Frühling und Herbst und in den Tropen und Subtropen ganzjährig auf. Das Salzkammergut kann ihn daher nicht ausschließlich für sich in Anspruch nehmen. Meist fällt er aus einer grauen, tiefhängenden Wolkendecke und weckt Erinnerungen an Sommer der Kindheit mit ungebührlich langen Regenperioden. Sanfter, anhaltender Regen zählt zu den lebensspendenden und erneuernden Gaben des Wassers und stellt die wichtigste Quelle für den Süßwasservorrat der Erde dar. Feiner, lispelnder Regen, der „mit winzigen Fingern gegen die Scheiben klopft“, wie es Cornelia Funke in Tintenherz (2003) ausdrückt, erzeugt eine friedliche Stimmung von Konzentration und Nachdenklichkeit. Der Regen bringt uns alle zur Ruhe. Pläne werden verschoben, der Nachmittag hüllt uns ein wie ein Umhang, von draußen ist ein feines Säuseln zu hören. Dort passiert etwas, Pflanzen trinken, Bäche füllen sich, Quellen werden gespeist, während wir ein Buch lesen und den Tee aufgießen.

In der Stadt wirkt sich der Regen anders aus als in einer Landschaft mit Wiesen und Wäldern. In der Stadt klingt auch ein sanfter Regen hart, er prasselt, denn er trifft auf harte Oberflächen. In der Landschaft hingegen wird der feine Niederschlag aufgesogen. Die vielschichtige Vegetation zerstäubt die Tropfen zu kleinen und kleinsten Einheiten, die der Boden aufnehmen kann. Damit entsteht ein gedämpfter, flüsternder Regen. Ein Erlebnis, das in der Stadt fehlt, vielleicht gibt es daher auch kein Wort wie „Stadtregen“? In den verbauten Siedlungsgebieten wird auch ersichtlich, woran wir derzeit leiden — die Bodenversiegelung führt zu einem raschen Abfließen des Wassers, es gurgelt in den Kanälen, stürzt in Becken und sammelt sich in Abflussgräben, die zu den Flüssen führen. Dort steigt der Pegel schnell, manchmal zu schnell. Wenn sich aufgeheizte Luftmassen abkühlen, kann der Regen gewaltige Kräfte freisetzen und es kommt zu sturzbachartigen Entladungen. Die winzigen Finger verwandeln sich in reißende Klauen, die an die Fensterläden hämmern und eine angelehnte Tür mit einem Schwall aufreißen. Manchmal wird der Regen zur Flut.

Flut

Der Regen hat den Schnee über Nacht in

Wasserströme verwandelt. Es scheint kein

Halten zu geben, keinen Stillstand, keine Pause

im unerbittlichen Trommeln der Tropfen.

Wo der Bach war, führt ein brauner Strom

die abgeschwemmte Erde in das nächste Tal.

Wo der Fluss war, hat sich ein See ausgebreitet,

und wo der Damm halten soll, sind Sandsäcke

aufgestapelt.

Eine Frage beherrscht heute die Medien und wird erbittert an Stammtischen, in Familien oder auch zwischen den Generationen geführt. Welchen Anteil haben wir an den sich mehrenden Wetterkapriolen, an den zunehmenden Hitzetagen und Niederschlagsrekorden? Was ist daran von Menschen gemacht und was natürlichen Ursprungs?

Auch in Europa werden extreme Wetterereignisse häufiger und bedrohlicher. Die warme Luft der Sommermonate begünstigt das Auftreten von Starkregen. So geschehen in Deutschland im Sommer 2021. Sintflutartige Regenfälle entluden sich über dem Rheinland, der Eifel und dem südlichen Westdeutschland, eine Flutkatastrophe von historischem Ausmaß. Kleine Bäche wuchsen zu reißenden Strömen heran, ganze Landstriche verwandelten sich in Schlammlawinen und die Zahl der Todesopfer wurde täglich nach oben korrigiert. Ein solches Jahrhunderthochwasser hinterlässt nicht nur in der Landschaft tiefe Spuren.

Im Sommer 2022 bringt eine ungemein heftige Gewitterzelle im Süden Österreichs an einem Wochenende mehr Niederschlag, als normalerweise in einem ganzen Monat fällt, und vor allem mehr als der Boden, der Wald und das Bachbett aufnehmen können. Über den erhitzten Landmassen laden sich Gewitter mit so viel Energie auf, dass ihre Zerstörungskräfte ungeahnte Ausmaße annehmen. So viel Wasser in kurzer Zeit wirkt sich verheerend aus. Es sind nicht nur die Bilder, die schockieren, an die haben wir uns fast schon gewöhnt, es ist die Sprachlosigkeit der Menschen, die vor den Trümmern ihrer Häuser stehen, und ihre Hilflosigkeit, die uns den Atem nimmt. Ein gewaltiges Rumpeln, ein Blick aus dem Fenster und es gibt keine Straße mehr, kein Nachbarhaus und keine Garage. Das Wasser macht keinen Unterschied, es nimmt alles mit. Meteorologen stehen vor Ereignissen, die sie nicht vorhersehen, nicht berechnen konnten. Einen Sommer später werden Überschwemmungen, Dammbrüche und Fluten in Slowenien als die schlimmste Naturkatastrophe in der jüngeren Geschichte bezeichnet, auch der Süden Österreichs ist betroffen. Die kommenden Sommer werden ähnliche Schicksale und gleichlautende Schlagzeilen bringen. Wir beschreiben in regelmäßigen Abständen die Dynamik von Prozessen, die aus dem Ruder geraten.

Müssen wir in Zukunft öfter mit Überflutungen und Starkregen rechnen? Die Klimaforscher beantworten diese Frage mit einem klaren Ja. Vor allem die höheren Temperaturen spielen dabei eine Rolle, da neben dem bereits erwähnten Effekt, dass wärmere Luft mehr Feuchtigkeit tragen kann, auch die Verdunstung über den Ozeanen zunimmt und die vertikale Verteilung der Luftmassen an Dynamik gewinnt. Zusätzlich verlangsamt sich der Jetstream, der durch die Temperaturdifferenzen zwischen den Polargebieten und den Tropen angetrieben wird. Schwächen sich die Unterschiede ab, verliert der Jetstream einen Teil seines Antriebs. Wetterlagen werden dadurch viel häufiger länger anhalten. Hitzewellen, aber auch Tiefdruckgebiete prägen das Wetter einer Region über längere Zeiträume mit teilweise katastrophalen Auswirkungen. Wir pendeln zwischen den Extremen von Mangel und Überfluss, Dürre und Flut, vertrockneten Seen und durch Hochwasser verwüsteten Landstrichen.

Wenn wir zurückblicken und die ältesten Mythen und Texte der Menschheitsgeschichte befragen, so erzählen schon diese vom existenziellen Kampf mit dem Wasser. Diese Auseinandersetzung hat niemals aufgehört, seit sich die ersten Kulturen entlang der großen Flüsse der Welt niederließen. Im Spannungsfeld der zerstörerischen und der lebenspendenden Kraft des Wassers entwickelte sich die Zivilisation. Die in allen Kulturen gegenwärtigen Mythen der Flut zeigen, wie traumatisch die Zerstörungskraft des Wassers erlebt wurde. Amerikanische Urvölker erzählen von der Errettung aus Flutkatastrophen auf dem Rücken einer riesigen Schildkröte. In Skandinavien war es der Riese Bergelmir, der mit seiner Frau auf einem Boot die Flut überlebte. Auch das Gilgamesch-Epos und die Bibel berichten von der großen Flut und sie erzählen von den Auserwählten, von den Lieblingen der Götter, die überleben durften, während die Namenlosen — und in der Bibel auch die Sündigen — dem Untergang geweiht waren.

Vielleicht fühlt sich jeder, der aus sicherer Distanz eine Katastrophe wie in Libyen verfolgt, auserwählt? Während die Frau, die nur noch ihre Kleider am Leib besitzt und ihre gesamte Familie verloren hat, zu den Namenlosen zählt? Doch diese vielleicht unbewusste Sichtweise entbehrt nicht nur des Mitgefühls, sondern zeigt eine falsche und gefährliche Einstellung. Wir können uns vor zukünftigen Unwettern nicht in Sicherheit wähnen, sondern sind den Kräften und Energien des Wassers durch die Klimakrise zunehmend stärker ausgeliefert. Stürme, Gewitter, Starkregen und Orkane entfalten ihre gewaltige und zerstörerische Energie nicht immer gerade dort, wo wir nicht sind. Wir müssen die richtigen Lehren aus den Katastrophen ziehen, denn das Wasser wird uns zukünftig immer wieder Grenzen aufzeigen, solange wir die des Planeten weiterhin verletzen.

Dürre

Ein Kind wandert im Garten herum. Als es leicht zu regnen beginnt, ziehen wir uns in das Haus zurück. Doch es möchte draußen bleiben. „Ich möchte den Regen spüren“, sagt es. Den Regen, den es seit langer Zeit nicht erfahren konnte, denn in seiner Heimat herrscht Dürre. Rekordtemperaturen und Waldbrände verstärken die Problematik. Ende des Sommers wird der Dürre-Notstand ausgerufen und in den Supermärkten leeren sich die Regale mit den Wasserflaschen rascher, als sie gefüllt werden können. Die Heimat des Kindes und das Jahr sind austauschbar geworden. 2022 war es England, wo im Südosten so wenig Regen gefallen ist wie seit 100 Jahren nicht mehr. 2023 waren es Spanien, Frankreich und Südeuropa. Auch in Italien wurde in manchen Regionen bereits der Wassernotstand ausgerufen. In Deutschland werden aufgrund der Hitze und Trockenheit Überlegungen angestellt, Wassernotstandsgesetze zu verabschieden. Rauchschwaden der Waldbrände in Kanada ziehen über den Nordatlantik bis nach Europa. In Österreich erreichen uns erstmals Bilder ausgetrockneter Seen. Das Wasser verdunstet schneller, als es durch Regen wieder aufgefüllt werden kann. Der Mangel an Wasser stellt die Kehrseite der sintflutartigen Regenfälle dar — das zweite Gesicht des Klimachaos.

Dürre bedeutet eine Unterbrechung des Wasserkreislaufs und damit eine Reduktion der Lebensprozesse. Bei Bäumen wirkt sich dies besonders dramatisch und ab einem gewissen Punkt irreversibel aus. Bei Trockenheit beginnen sie die Spaltöffnungen an ihren Blättern zu schließen, damit verdunsten sie weniger Wasser, reduzieren aber auch die Atmung und damit die Photosynthese. Hält der Trockenstress an, reißen die Wassersäulen ab, die den Strom des Wassers von den Wurzeln bis in die Blattspitzen aufrecht erhalten. Gewebe trocknet aus und der Baum beginnt abzusterben.

In Regionen der Dürre und Trockenheit entstehen Rückkoppelungen, weil weniger Wasserdampf verdunstet. Der morgendliche Tau bleibt aus, keine Nebelschwaden benetzen die Baumkronen und werden dort wieder aufgenommen, das aufsteigende Wasser wird nicht in der umgebenden Landschaft aufgesogen, die Prozesse der Verteilung verändern sich. Um den Mangel an Wasser zu verstehen, ist es wesentlich, seine Kreisläufe zu beachten und regional zu denken. Geologie, Kleinklima, landwirtschaftliche Nutzung, Verbauung, alle diese Faktoren stehen in direktem Zusammenhang mit dem Wasserkreislauf. Keine Asphaltdecke, kein Bachlauf, kein Schwimmbecken und keine Regentonne sind davon ausgenommen. Wir dürfen auf die ersten Anzeichen der Dürre nicht nur mit der Regelung des Wasserverbrauchs antworten, sondern mit einem weiseren Umgang. Denn sobald wir mehr Wasser verbrauchen, als sich neu bilden kann, wird das unweigerlich zu der Frage führen, wer es nutzen darf und wofür. Und wer möchte diese Frage beantworten?

Wasser ist in kreisender Bewegung überall auf der Welt im Übergang und Fluss. Wer versucht, es zu halten, zu reglementieren oder gar zu besitzen, hat seine Beschaffenheit nicht erfasst. Es kreist in uns, in den Pflanzen, in der Landschaft und in der Atmosphäre. Um diese Kreisläufe geht es: mit dem Wasser und nicht gegen seine innewohnenden Gesetze zu arbeiten und seine Zyklen in der Landschaft zu verlangsamen. Es gilt, das Wasser wieder zum Verweilen einzuladen, sein Abfließen zu drosseln, ihm Patz anzubieten, seine Gestaltungskraft zu nutzen, seine Beziehung zu Erde und Luft, zu Pflanzen und Tieren zu fördern, es in regionale Kreisläufen einzubinden, es zu schonen und zu behüten. Die Anstrengungen der letzten Jahrhunderte zielten in die entgegengesetzte Richtung. In der Hoffnung, die zerstörerischen Kräfte des Wassers zu bändigen, wurden seine lebensspendenden Prozesse reduziert und verdrängt. Es wurde in begradigte Flüsse abgeleitet, um es auf geordneten Wegen effizienter zu nutzen, in Kraftwerksketten aufgestaut und in Druckleitungen verlegt. Es wurde in weitläufigen Grabensystemen aus Sümpfen und Mooren ausgeleitet und in Kanäle oder Rohre gezwängt. In den Wiesen und Ackerflächen wurden seichte Wasserstellen zugeschüttet, Teiche aufgelassen und Feuchtgebiete entwässert. Das Wasser wurde, wo immer es möglich war, aus der Landschaft verbannt. Eine Erfolgsgeschichte der Landgewinnung, der Umwandlung von Feuchtflächen in landwirtschaftlich genutzte Äcker und Wiesen. Eine Erfolgsgeschichte mit wenigen Gewinnern und vielen, aber selten genannten Verlierern. Nun zwingt uns das chaotischer werdende Klima dazu, diese Erfolgsgeschichte zu überdenken und einen neuen und weiseren Umgang mit dem Wasser zu finden.

Die nächsten Kapitel sind nicht nur den Erscheinungsformen des Wassers in der Landschaft, sondern auch seinen Gaben zur Erneuerung und Wiederherstellung gewidmet. Historische Teichlandschaften, traditionelle Bewässerungssysteme oder zeitgemäße Projekte an Flussläufen und die Wiedervernässung von Mooren zeugen von einem anders gearteten Umgang mit dem Wasser und wecken Hoffnung.

Wasser erweist sich als großzügig, es nimmt jede Einladung an, es füllt jegliche dargebotene Vertiefung und breitet sich aus, wo immer wir es zulassen. Das Wasser kann uns lehren, was wir als Gesellschaft vergessen haben. In den komplexen Prozessen des Wasserkreislaufs fungiert jeder Teil im Zusammenspiel mit dem Ganzen und im Gegenzug wird jeder einzelne Teil vom Ganzen erhalten. Die Tropfen aus dem Wasserglas, die wir versehentlich verschüttet haben, existieren genauso als ein Teil des Systems wie die Flutkatastrophe in Libyen oder der große Eisbrocken, der sich soeben aus einem Gletscher gelöst hat. Das ist erschreckend und ermutigend zugleich.

Der Weg des Wassers durch Boden und Gestein liegt im Verborgenen.

Wir ahnen nichts von den unterirdischen Adern und den unsichtbaren Strömen, die unser Land durchziehen. Wir trinken aus den Quellen, ohne zu wissen, wo sie gespeist werden.

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Quelle und Ursprung

Im Wald, etliche Gehminuten von unserem Haus entfernt, liegt die Quelle, die uns versorgt. Es ist ein feuchter, schattiger Ort. Den Überlauf der Quellfassung bildet ein Rinnsal, dort sitzen dicke Moospolster auf den Steinen, in sattem Grün und prall künden sie vom Schlaraffenland der Moose — Wasser zu jeder Jahreszeit. Einer der Polster hat die Form eines Herzens, ein Geschenk der Quelle, das mich daran erinnert: Ihr Wasser gehört nicht nur uns.

Ich frage mich oft: Wer hat diese Quelle gefunden, wie sah ihre ursprüngliche Fassung aus, wie lange schon stillt sie den Durst der Menschen, die hier wohnen, und wer dankt es ihr? Wir ahnen heute nicht mehr, wie wesentlich das Vorkommen von Wasser für die Besiedelung der Alpentäler war. Nur wenn Wasser in unmittelbarer Umgebung zu finden war, konnten der Hof versorgt und die Tiere getränkt werden. Hölzerne Brunnen erinnern bei vielen alten Höfen an die ursprüngliche Wasserversorgung. Die Kenntnisse für das Auffinden und die Fassung der Quellen übernahmen Rutengeher oder besonders „wasserfühlige“ Menschen. Traditionelle Techniken und altes Wissen, die uns heute nicht mehr begleiten.

Von allen Erscheinungsformen des Wassers in der Landschaft sind Quellen die geheimnisvollsten. Der erste Ort, an dem das Wasser zutage tritt, nachdem es als Niederschlag gefallen und durch Gestein oder Boden gesickert ist, wird als Quelle bezeichnet. Kompakter, massiver Fels oder dichte Auflagen von Lehm bilden wasserundurchlässige Schichten und führen die Wasserströme aus dem Untergrund an die Oberfläche. Die Quelle entspringt und tritt beständig strömend oder nur zeitweise sprudelnd ans Licht. Mit Rutengehern eine Landschaft zu erkunden, lässt uns diese unterirdischen Ströme erahnen. Ich konnte mit einem Quellbaumeister den bewaldeten Hang über unserer Quelle durchstreifen. Dort erspürte er die Wege des Wassers, vor meinen Augen entfaltete sich ein Geflecht aus Adern, ein Speisungsgebiet. Mir wurde bewusst: Unter unseren Füßen strömt es beständig.

Wenn sie frei fließen dürfen, unterscheiden sich Quellen stark voneinander: Einige sind schwer zu erkennen, weil sie einen See oder Tümpel speisen, manche ergießen sich in einen Bach, andere sickern in ein Feuchtgebiet. Wieder andere sprudeln aus Felsen, auf denen sich hellgrüne Moosteppiche ausbreiten.

Die spektakulärsten Quellen bilden einen Wasserfall oder einen tosenden Bachlauf. Quellen können unstet sein, ihre Wassermenge verändert sich dann im Jahreslauf. Manche Quellen versiegen nach der Schneeschmelze oder während besonders trockener Phasen. Versiegen — ein Wort, dass altmodisch klingt, aber zeitgemäß ist, wo Dürre und Trockenheit vorherrschen.

An jedem Quellwasser lässt sich die Art seiner Reise ablesen. Eine Reise, die je nach Untergrund nur einige Stunden bis zu mehreren Jahrzehnten dauern kann. Die Begegnung mit dem gereinigten Grundwasser aus den Tiefen der Gesteinsschichten ist nicht umsonst in vielen Kulturen von sakralem Charakter. Orte, wo das Wasser nach langer Reise aus dem Untergrund ans Licht tritt, sind oft von Mythen und Legenden umwoben. Manche Quellen sind Orte der Heilung und alle bieten das Wasser in seiner reinsten Form dar — ein Lebenselixier.

Jeder Quelle ist ein Speisungsgebiet zugeordnet und es wichtig, dieses zu kennen, denn alles, was dort passiert, schlägt sich in der Wasserqualität nieder. Ein Grund für weitreichende Schutzmaßnahmen und die Ausweisung von Wasserschutz- und Schongebieten. Auch Bautätigkeit in der Nähe einer Quelle kann zu Problemen und sogar zu ihrem Versiegen führen, wenn durch die Bauarbeiten Risse im dichten Untergrund entstehen. Da das Wasser der Quellen vom Grundwasser geprägt ist, besitzt es eine andere Qualität (Mineralstoffe, Bakterien) als das Oberflächenwasser. Quellwasser wurde auf seinem Weg gereinigt und mit Stoffen angereichert, die es vom Boden und Gestein aufgenommen hat. Oberflächenwasser hingegen sickert nicht in den Boden, sondern fließt oberflächlich ab. Quellen existieren an der Schnittstelle zwischen Tiefe und Oberfläche. Im Quellgebiet weist das Wasser daher die beste Qualität und größte Reinheit auf, schon einige Meter unterhalb vermischen sich Oberflächenwasser und Quellwasser.