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Sie hat ihm Rache geschworen – er will ihr Herz erobern: Der historische Liebesroman »Die Geliebte des Earls« von Hannah Howell als eBook bei venusbooks. Der raue Norden Englands im Jahr 1319. Die junge Saxon ist ebenso schön wie willensstark – und wild entschlossen, den Tod ihres geliebten Zwillingsbruders zu rächen! Aber ist er wirklich durch das Schwert des Earls of Caindale gestorben? Als die Schöne mit gezücktem Dolch vor ihm steht, schwört er, unschuldig zu sein … und nimmt ihr Herz mit einem einzigen Blick aus seinen strahlenden Augen gefangen. Doch während sich Saxan und der heißblütige Earl immer mehr in einem Netz der Leidenschaft verstricken, müssen sie auf der Hut sein – denn wer auch immer es auf das Leben ihres Bruders abgesehen hatte, ist auch eine tödliche Gefahr für Saxan … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Romance-Highlight »Die Geliebte des Earls« von New-York-Times-Bestsellerautorin Hannah Howell. Lesen ist sexy! venusbooks – der erotische eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 608
Über dieses Buch:
Der raue Norden Englands im Jahr 1319. Die junge Saxon ist ebenso schön wie willensstark – und wild entschlossen, den Tod ihres geliebten Zwillingsbruders zu rächen! Aber ist er wirklich durch das Schwert des Earls of Caindale gestorben? Als die Schöne mit gezücktem Dolch vor ihm steht, schwört er, unschuldig zu sein … und nimmt ihr Herz mit einem einzigen Blick aus seinen strahlenden Augen gefangen. Doch während sich Saxan und der heißblütige Earl immer mehr in einem Netz der Leidenschaft verstricken, müssen sie auf der Hut sein – denn wer auch immer es auf das Leben ihres Bruders abgesehen hatte, ist auch eine tödliche Gefahr für Saxan …
Über die Autorin:
Hannah Howell, geboren 1950 in Massachusetts, kann ihren amerikanischen Familienstammbaum bis in das frühe 17. Jahrhundert zurückverfolgen – liebt aber vor allem die Geschichte Englands und Schottlands; auf einer Reise dorthin lernte sie auch ihren späteren Ehemann kennen. Hannah Howell hat in ihrer schriftstellerischen Karriere über 60 Liebesromane veröffentlicht, darunter den großangelegten Zyklus über die Familie Murray, in dem sie mitreißend vom Schicksal mehrerer Generationen einer weitverzweigten schottischen Highlander-Dynastie erzählt. Hannah Howell wurde für ihr Werk mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Golden Leaf Award und dem Preis des Romantic Times Bookclub Magazine.
Bei venusbooks erschienen die folgenden Romane von Hannah Howell:
HIGHLAND HEROES: Das Schicksal des Highlanders; Die Lust des Highlanders; Das Schwert des Highlanders
HIGHLAND ROSES: Die Spur des Highlanders; Die Sehnsucht des Highlanders
HIGHLAND LOVERS: Der Fürst der Highlander; Der ungezähmte Highlander; Der Held der Highlands
HIGHLAND DREAMS: Das Begehren des Highlanders; Der Stolz des Highlanders; Die Versuchung des Highlanders
Der Kuss des Schotten
Das Herz des Highlanders
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eBook-Neuausgabe April 2020
Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Die amerikanische Originalausgabe dieses Romans erschien 1995 unter dem Titel »Only for You« bei Kensington Publishing Corporation, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Der Kuss der Rächerin« bei Knaur.
Copyright © der Originalausgabe 1995 by Hannah Howell. Published by Arrangement with Kensington Publishing Corp.
Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2000 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München
Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München
Copyright © der Lizenzausgabe 2020 venusbooks GmbH, München
Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30161 Hannover.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/faestock, Zahezymane-chwile, D K Grove, Arcos Aguilar, Mariabo2015
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)
ISBN 978-3-95885-835-0
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Hannah Howell
Die Geliebte des Earls
Roman
Aus dem Englischen von Elisabeth Hartmann
venusbooks
Nordengland, 1319
Saxan Honey Todd schreckte von ihren eigenen Schreien hoch. Zitternd setzte sie sich auf, und die kühle Luft in ihrer Schlafkammer trocknete rasch den Schweiß, der ihr Hemd durchfeuchtete. Die Angst saß ihr wie ein Kloß in der Kehle. Noch immer verfolgten sie die quälenden Bilder, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten. Sie legte sich wieder hin, rollte sich unter der Bettdecke zusammen und versuchte, sich einzureden, daß alles nur ein Traum gewesen war.
Das Gefühl, daß sie gerade den Tod ihres Zwillingsbruders Pitney vorausgesehen hatte, ließ sich nicht so leicht abschütteln. Sie sah seinen Mörder deutlich vor sich; es war, als stünde er neben ihrem Bett, das finstere Gesicht zu einem triumphierenden Lächeln verzogen, die Hände besudelt vom Blut ihres Bruders. Dieses Gesicht von dunkler Schönheit, die nur durch eine kleine Narbe am linken Auge geringfügig gestört wurde, mit dunklen und grabeskalten Augen, würde sie wohl so schnell nicht vergessen.
»Es ist nur ein Traum«, flüsterte sie, vergrub das Gesicht im Kissen und versuchte, die Vision des finsteren Mannes zu bannen.
Nach einer Weile jedoch seufzte sie resigniert und fand sich schließlich damit ab, daß der Traum den Schlaf endgültig vertrieben hatte. Sie wälzte sich auf den Rücken und blickte zur Zimmerdecke hinauf. Ihre Angst hatte sich weitgehend verflüchtigt, doch ein Gefühl des Unbehagens blieb.
»Ich bete für deine Sicherheit, Pitney«, sagte sie laut und ballte langsam die Hände zu Fäusten. »Aber sollte dieser Traum eine Prophezeiung sein und nicht nur eine aus meiner Angst um dich geborene Vision, dann soll deine Seele unverzüglich Ruhe finden. Ich schwöre bei allen Todds, daß dein Mörder, solltest du tatsächlich ermordet worden sein, das Jahresende nicht erleben wird. Ich werde dem Schurken eigenhändig sein schwarzes Herz aus dem Leibe schneiden.«
Banner flatterten laut knatternd im kühlen Frühlingswind. Botolf Corwine Lavington stieß einen Fluch aus und strich sich eine rabenschwarze Haarlocke aus dem Gesicht, wobei sein finsterer Blick sich nicht eine Sekunde von der Menge löste. Die Schilde und Farben der Ritter prangten vor jedem einzelnen Zelt. Die, die er suchte, waren nicht darunter, doch das verwunderte ihn nicht. Sein Feind hielt sich zunehmend bedeckt. Der Earl of Caindale und seine Gäste schickten sich an, die besten Plätze zu suchen, um das Turnier zu genießen. Damen lachten, schäkerten und beschenkten ihre auserwählten Kämpen mit ihrer Huld, unter deren Eindruck sie in den Schaukampf eintreten würden. Botolf wußte, daß er sich den Rittern bald würde anschließen müssen. Als Baron of Merewood und neuer Earl of Regenford erwartete man von ihm vollen Einsatz im Turnier.
Einen Augenblick blieb er noch vor seinem Zelt stehen und verfolgte das Treiben aus schmalen Augen. Auf seinen Befehl hin behielten auch seine Vasallen und engen Freunde Sir Roger Vane und Sir Wesley DesRoches die umtriebige, fröhliche Menge streng im Auge. Irgendwo unter den farbenfroh gekleideten Festgästen trieb sich ein Mann, der Mordgedanken hegte, herum. Botolf wußte, daß ein Mörder sich den heiteren Tumult eines solchen Ereignisses wohl zunutze machen konnte.
»Paß auf dich auf, Botolf.«
Botolf wandte den Kopf und schenkte Lady Mary, seiner zierlichen Mutter, ein flüchtiges Lächeln. »Das tu ich. Immer. Suche dir einen Platz, Mutter, und sorge dich nicht um mich.«
Lady Mary seufzte. »Werden Männer denn niemals klug? Dreimal schon wollte dir jemand ans Leben, und trotzdem sagst du noch immer, ich solle mich nicht um dich sorgen.«
»Und dreimal ist der Versuch fehlgeschlagen.«
»Aye, aber einmal, beim letzten Mal, war es für meinen Geschmack entschieden zu knapp. Dieses böse Trachten eines Unbekannten …«
»Wir wissen beide, wer mich tot sehen will.« Er bezwang seinen Zorn, als er sah, wie seine Mutter erbleichte.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte sie matt. »Cecil ist dein Bruder.«
»Mein Halbbruder.«
»In euren Adern fließt das gleiche Blut, das Blut eures gemeinsamen Vaters.«
»Wir haben auch den Tag, den Monat, das Jahr, die Stunde, ja sogar den Augenblick der Geburt gemeinsam. Es tut nichts zur Sache. Wir wissen beide, warum Cecil mir nach dem Leben trachtet.« Zärtlich strich er über die noch immer faltenfreie Wange seiner Mutter. »Geh jetzt. Genieße das Fest. Mir wird nichts geschehen. Und wir werden nicht mehr über diese Angelegenheit reden. Es bringt dir nur Kummer.«
»Sie ist nicht willens, die Wahrheit hinzunehmen«, sagte Sir Roger leise, als Lady Mary gegangen war, und seine blauen Augen verrieten Mitleid mit der Frau.
»Diese Wahrheit ist auch zu schmerzhaft, um sie hinnehmen zu können. Sie hat Cecil an die Brust genommen, hat ihn gehalten wie ihren eigenen Sohn. In ihren Augen wiederholt sich hier die Geschichte von Kain und Abel.«
»Aye. Er hatte ein besseres Leben als mancher andere, doch er will alles.«
»So ist der Lauf der Dinge. Aber wer ist dieser Junge?« Botolf bedachte den Burschen, den ein weiterer seiner Vasallen, Sir Talbot Yves, ihm zuführte, mit einem kurzen Lächeln.
»Pitney Todd, Mylord«, erwiderte Talbot. »Euer Knappe Farold hat sich den Knöchel verletzt und kann Euch nicht zu Diensten sein. Pitney wird für ihn einspringen.«
»Wie alt bist du, Pitney?«, fragte Botolf, dem es kaum gelang, den erstaunten Blick vom Haar des Jungen zu lösen. Es war silberblond, nahezu weiß.
»Achtzehn, Mylord«, antwortete der Junge.
»Du kommst aus dem Norden?«
»Aye, Mylord. Sir Chad Brainard, Euer Kastellan auf Regenford, schickte mich letzte Woche her. Ihm stehen genug Jungen zur Verfügung, und er war der Meinung, hier könnte ich Euch besser zu Diensten sein, sofern es Euch recht ist, Mylord. Ich habe eine gründliche Ausbildung genossen, Mylord.«
Leicht belustigt über den Eifer in den hellblauen Augen des Jungen, sagte Botolf: »Anders kann es gar nicht sein, wenn Sir Chad dich ausgebildet hat. Wie viele Jungen hat er denn jetzt?«
»Nach dem letzten Stand waren es siebzehn, Mylord.«
»Gütiger Gott! Will der Mann sich eine ganze Armee heranziehen?«
»Sie sind nicht alle seine Söhne, Mylord. Zwei seiner Söhne befinden sich in Eurer Obhut. Außerdem bildet Sir Chad vier von den Kipps aus Ricadene aus, dazu drei Brinks aus Upwode, drei Jagers ‒ meine Vettern, Mylord ‒ aus Wolfhill, zwei Kirkleys, zwei Rowans, zwei Verges und einen Torans. Sir Brainard ist ein gesuchter Ausbilder.«
»Den Eindruck habe ich auch.« Botolf tauschte mit Roger einen lachenden Blick über die Gesprächigkeit des Burschen.
»An den Grenzen besteht Bedarf an gut ausgebildeten Männern. Die Schotten begreifen es einfach nicht, wenn sie geschlagen sind«, setzte Pitney noch hinzu.
Die Männer lachten, und Botolf wies den Jungen an, seine Waffen fürs Turnier bereit zu machen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so eifrig, so voller Lebensfreude gewesen zu sein wie dieser junge Knappe. Zwar war er erst siebenundzwanzig, doch oft genug fühlte er sich doppelt so alt. Tief im Inneren sehnte er sich nach Frieden, doch sobald die Festlichkeiten Caindales zu Ende waren, mußte er nach Regenford zurückkehren. Es war an der Zeit, daß er sich seinen Verpflichtungen als Grenzlord stellte. Da würde er nur wenig Frieden finden. Obwohl Botolf sich bewußt war, daß zu ausgedehnte Friedenszeiten ihm möglicherweise mißfallen würden, wünschte er sich doch wenigstens eine Kostprobe.
»Wie um alles in der Welt kommt der Junge an solches Haar?«, platzte Sir Roger heraus, als Pitney außer Hörweite war.
»Ah, die Familie Todd ist sächsischer Abstammung«, erklärte Sir Talbot. »Ihr Ahnherr war einer der wenigen, die ihr Land nach der Eroberung halten konnten, wenngleich es nur ein kleiner, nicht allzu ertragreicher Besitz ist. Er saß aber unverrückbar drauf, während sich um ihn herum die Männer des Eroberers festsetzten. Falls Baron Alhric nach diesem Ahnherrn schlug, waren es sein Kampfgeschick und seine Schläue, die ihn schützten.«
»Wo ist Baron Alhric jetzt?«, wollte Botolf wissen.
»Tot, Mylord. Er kam in Eurem letzten Grenzkampf bei Regenford ums Leben. Man erzählt sich, der Baron wäre unter den Leichen von einem Dutzend toter Schotten gefunden worden und hätte immer noch sein Schwert umklammert gehalten.«
»Der Bengel sieht viel zu zart aus, um aus solch grimmiger Zucht zu stammen.«
»Lord Alhric war hübsch und zierlich, aber ich hätte es mir lange und gründlich überlegt, ob ich mich ihm im Schwertkampf stellen wollte. Brainard sagt, der Junge schlägt nach ihm.«
Ein Page kam und unterbrach sie in ihrer Unterhaltung. Mit gerunzelter Stirn sah Botolf, daß der Junge ihm ein zart besticktes Tuch entgegenhielt. Es war Lady Odella Alansons Busentüchlein. Widerwillig nahm Botolf es entgegen und gab dem Pagen die angemessenen Dankesworte für die Dame mit auf den Weg. Anders zu handeln wäre eine grobe Beleidigung gewesen. »Eine schöne Blume«, bemerkte Sir Roger leise.
»Aye. Schön, vornehm, und von meiner Mutter favorisiert.« Botolfs unterkühlter Tonfall stellte sicher, daß seine Männer sich weiterer Bemerkungen über die schöne Odella enthielten. Lady Mary und selbst der König verlangten, daß er wieder heiratete. Seine Mutter wagte es nicht, ihn zu sehr zu drängen, und der König hatte bisher noch kein Machtwort gesprochen. Botolf war es nur recht so. Im Augenblick durfte sich die Grafschaft Regenford noch keinen Hoffnungen auf einen Erben hingeben. Botolf trat in sein Zelt, um sich auf seinen Auftritt im Turnier vorzubereiten, und hoffte inständig, daß sich der Tag seiner neuerlichen Verheiratung noch etwas hinauszögern möge. Schon sehr bald erkannte Botolf Pitneys Wert als Knappe. Der Junge schien jede Bewegung, jeden Befehl Botolfs vorwegzunehmen. Überrascht stellte Botolf fest, daß er sich Pitney an Stelle des ungeschickten Farold als Knappen wünschte. Sogleich überkam ihn ein schlechtes Gewissen. Farold war der jüngste Sohn seines Vetters. Der Junge bemühte sich nach besten Kräften. Es war nicht Farolds Schuld, daß seine Fähigkeiten einiges zu wünschen übrig ließen. Botolf seufzte bedauernd, legte das letzte Stück seiner Rüstung an und machte sich auf den Weg zum Turnierplatz. Hoffentlich gelang es ihm, Farolds Rückkehr in seine Dienste gelassen hinzunehmen.
Flink und geschickt absolvierte Botolf seine Übung auf dem Turnierplatz und verließ diesen danach unter begeistertem Applaus. Um ein Haar hätte er den kleinen Pitney richtiggehend angestrahlt, als er bei seiner Rückkehr ein heißes Bad vorfand. Erst als er mit einem Seufzer des Behagens seine schmerzenden Knochen in das lindernde heiße Wasser getaucht hatte, kam ihm in den Sinn, daß er Annehmlichkeiten wie einen Badezuber gar nicht im Gepäck mitführte. Er schaute sich nach Pitney um und erkannte, daß der Junge genau wußte, wann es angebracht war, sich unsichtbar zu machen. Mit einem leisen Lachen begann Botolf, sich den Schweiß und den Staub des Schaukampfes abzuwaschen.
Er lachte lauter, als er einen seiner vorherigen Gegner, Sir Walter Trapp, brüllen hörte: »Welcher Schuft hat mir meinen Badezuber gestohlen? Du da, Bursche, wohin schleppst du das Wasser?«
»Das Wasser, Sir?«, fragte Pitney übertrieben unschuldig.
»Aye, das Wasser.«
»Zu Lord Botolf, damit er den Staub abspülen kann, den Ihr aufgewirbelt habt, als er Euch aus dem Sattel hob.«
»Unverschämter Bengel«, knurrte Sir Walter. »Komm, wir schauen mal nach, worin er sich den Staub abspült.«
»Sir«, stieß Pitney in theatralischer Empörung hervor. »Wollt Ihr den ehrenwerten Baron of Merewood, den Earl of Regenford und tapferen Beschützer unserer nördlichen Grenzen, Lord Botolf La vington, etwa des gemeinen Diebstahls bezichtigen?«
»Aber natürlich nicht«, erwiderte Sir Walter verblüfft.
Botolf hörte herzhaftes Lachen. Sein eigenes Vergnügen äußerte sich weniger lautstark, doch er genoß den Wortwechsel genauso wie die anderen, die Augenzeugen waren. Er zögerte das Ausspülen seines seifigen Haars hinaus, um nichts von dem Wortgefecht vor seinem Zelt zu versäumen. Botolf hatte den Verdacht, daß der ein wenig schlichte Sir Walter ein leichtes Opfer für den gewandten Pitney war.
Grinsend vernahm er, wie Walter sich jetzt dem Vorwurf der Beleidigung, die er glaubte ausgesprochen zu haben, zu entziehen versuchte. Seifenschaum rann über Botolfs Gesicht, während er zuhörte. Geistesabwesend wischte er ihn fort und fluchte unflätig, als etwas Seife in seine Augen geriet. Es brannte höllisch und machte ihn blind. Er tastete nach dem Laken zum Abtrocknen, das Pitney griffbereit ausgelegt hatte. Plötzlich legte sich ein harter Arm um seinen Hals. Botolf verfluchte sein Geschick von ganzem Herzen. Nackt, blind von der Seife, war er eine leichte Beute für den Mörder, dem es gelungen war, sich an den Wachen vorbei in sein Zelt zu schleichen. Sein Hilfeschrei wurde von einer behandschuhten Hand, die sich fest auf seinen Mund legte, im Keim erstickt.
Botolf setzte seine geballte Muskelkraft ein, wild entschlossen, den Angreifer abzuwehren. Der leise Fluch des Mörders drang an sein Ohr, als ein Messer sein Herz verfehlte und ihn stattdessen in die Schulter traf. Botolf konnte gerade wieder sehen, als der Mörder den Dolch erneut zum Stoß hochriß. Der Mann versuchte sein Glück ein zweites Mal, bevor es Botolf gelungen war, sich aus der Umklammerung zu befreien. Botolf war nicht sicher, auch diese Attacke abwehren zu können, und der kühle Hauch des Todes streifte ihn bereits.
»Mord!«, hörte Botolf seinen neuen Knappen schreien, und der würgende Griff des Attentäters lockerte sich unversehens.
Um Halt bemüht, behindert durch seine Schwäche und das Wasser, sah Botolf, wie Pitney sich dem erschrockenen Angreifer entgegenwarf. Der Junge zögerte nicht einen Augenblick, obwohl der Gegner doppelt so groß war wie er. Sir Walter, Sir Roger und Sir Wesley stürzten ins Zelt und starrten mit offenen Mündern auf das ungleiche Paar, das sich am Boden wälzte. Auf Botolfs gebrüllten Befehl hin half Sir Roger ihm aus dem Zuber. Die anderen beiden Ritter rückten näher an die Kämpfenden heran, bereit zuzuschlagen, sobald es ihnen ohne Gefährdung des Jungen möglich war. Botolf warf sich rasch in seine Kleider und packte sein Schwert, um in den Kampf einzugreifen.
Im nächsten Augenblick ergab sich die Gelegenheit, doch Botolf verfluchte den Anlaß. In dem Wissen, in der Falle zu sitzen, im Angesicht des Todes hatte der Mörder nur noch den Wunsch, nicht allein zu sterben. Bevor Botolf oder die anderen Ritter es verhindern konnten, stieß der Mann seinen Dolch tief in Pitneys Brust. Als er den Arm hob, um noch einmal zuzustoßen, sah Sir Walter seine Chance gekommen. Mit einem gewaltigen Schwertstreich trennte er dem Angreifer den Kopf vom Rumpf.
»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte Botolf und seufzte tief in einer Mischung aus Ärger und Enttäuschung.
»Der Mann wollte Euch umbringen«, knurrte Sir Walter. »Den Jungen hat er tatsächlich getötet.«
»Nay!«, schrie Botolf aufgebracht. »Schließ das Zelt!«, befahl er Roger, als er der sich drängenden Zuschauermenge draußen ansichtig wurde.
Immer noch vor sich hin fluchend hörte Botolf, wie die Leute sich zurückzogen und die Neuigkeit verbreiteten, daß jemand versucht hatte, Lord Lavington zu töten und daß der mutige Knappe Pitney sein Leben für das seines Herrn gegeben habe. Dem Klatsch ein Ende zu machen, blieb keine Zeit mehr. Botolf sandte ein flüchtiges Stoßgebet zum Himmel, daß den Verwandten des Jungen unnötiger Kummer erspart bleiben möge, und wandte sich dann Pitney zu. Später würde er noch Gelegenheit finden, die Gerüchte auszuräumen.
Mit schnellen Bewegungen kniete er sich neben den schlanken Jungen. Noch während Botolf nach dem Puls tastete, schlug Pitney die Augen auf. Sie waren trüb vor Schmerzen. Botolf ertappte sich bei dem im Augenblick reichlich unangebrachten Gedanken, daß der Junge ungewöhnlich schöne Augen hatte.
»Bin noch nicht tot, Mylord«, flüsterte Pitney mit heiserer Stimme.
»Und du wirst auch nicht sterben«, knirschte Botolf und versuchte verzweifelt, mit Rogers Hilfe die heftige Blutung der Wunde zu stillen.
»Wie tröstlich, das zu wissen.« Mit einem matten Lächeln sah Pitney Botolf an. »Ohne Euch kränken zu wollen, Mylord, muß ich Euch für den Fall, daß Ihr Euch irrt, doch bitten, meine Leiche nach Wolfshead Hall überführen zu lassen. Ich muß bei meinen Ahnen begraben sein.« Sein Lächeln verzerrte sich zu einer schmerzerfüllten Grimasse. »Mit Hilfe von ein paar Kräutern und fester Bandagierung dürfte ich nicht allzu schlimm stinken.«
»Sei still.«
»Wie Ihr wünscht, Mylord«, flüsterte Pitney und versank wieder in der Bewußtlosigkeit.
»Was geht hier vor?«, fragte eine Stimme vom Zelteingang her. Botolf hatte kaum einen Blick für Lord Sealing übrig, den feisten Earl of Caindale, als dieser das Zelt betrat. Er befahl Walter und Wesley, dem aufgeregten Gastgeber die Vorfälle zu erklären.
Zu Botolfs Bestürzung hastete auch Lady Mary ins Zeltinnere. Er sah, wie sie in offenkundiger Erleichterung schwankte, als sie ihn gesund und wohlbehalten vorfand. Der Anblick des enthaupteten Angreifers ließ sie merklich erbleichen, doch sie wandte sich nicht zum Gehen. Flink ging sie Botolf bei der Versorgung der Wunde des Jungen zur Hand, um dann auch die Verletzungen ihres Sohnes zu behandeln. Botolf war dankbar für ihre ruhige und geschickte Hilfe.
»Dieser Junge hat den Mann also gestellt«, sagte Lord Sealing, der Gastgeber.
»Aye«, erwiderte Wesley. »Er schrie Mord und Brand und sprang den Angreifer an.«
»Heute Nacht wird es Regen geben. Die Feuchtigkeit wird der Gesundung des Jungen nicht eben zuträglich sein. Ich werde eine Kammer neben der Euren bereiten lassen, Botolf. Der kleine Pitney hat für seinen selbstlosen Mut nur das Beste verdient.«
»Danke, Edward.« Botolf erhob sich, um sich vollständig anzukleiden. »Er wird ab jetzt Sir Pitney genannt.«
»Das steht ihm zu.« Nickend entfernte sich Lord Sealing.
»Und da ist ja auch mein Zuber«, knurrte Sir Walter. »Der kleine Schurke wollte mir einreden, ich hätte Ehrenrühriges über Euch gesagt, Botolf.«
Roger lachte leise. »Der Bursche hat dich gehörig auf den Arm genommen, Walter.«
»Er hat eine flinke Zunge, das ist alles. Wie alle anderen aus seiner verfluchten Familie.«
»Du kennst die Todds?«, fragte Botolf, während Roger ihm bei der Schnürung seiner Riemen zur Hand ging.
»Aye, und die Jagers und die Healdons. Sie sind alle gleich. Alle sehen aus wie die Engel und können reden wie der Teufel selbst. Es geht das Gerücht, Baron Alhric habe einmal vor dem Burgtor eines Feindes gesessen und den Mann so lange beschwatzt, bis dieser selbst glaubte, das einzig Vernünftige wäre, die gut gerüstete Burg mit hundert Bewaffneten ihm und seinen sechs hübschen Rittern kampflos zu übergeben.« Walter schüttelte den Kopf. »Und ich zweifle nicht daran, daß es genauso war. Ich zweifle keine Sekunde daran.«
»Ich wünsche mir von Herzen, daß mehr Männer mit Worten fechten würden, bevor sie zum Schwert greifen«, bemerkte Lady Mary spitz.
»Nun, nur die wenigsten sind einem Todd oder seiner Verwandtschaft im Kampf gewachsen. Selbst die Frauen sind nicht ohne. Alhrics Frau konnte Wolfshead Hall zwei Monate lang gegen die Schotten verteidigen, bevor der Baron mit seinen Männern ihr zur Hilfe kam. Allerdings sind sie ein bißchen sonderbar.«
»Sonderbar? Inwiefern?« Botolf stellte plötzlich ein gewisses Interesse an diesem besonderen Schlag seiner Vasallen fest. »Sie legen allergrößten Wert darauf, bei ihren Ahnen auf Wolfshead begraben zu werden. Ein Großvater fand auf dem Kreuzzug den Tod und wurde in einem Faß Wein den ganzen Weg bis nach Hause transportiert. Sie alle beherrschen Latein und Französisch, sprechen jedoch meistens englisch, wie ihre Leibeigenen. Alhric hat immer betont, daß wir die Sprache unserer Ahnen sprechen und er sich das gleiche Recht zubillige. Er sagt, eines Tages würden wir alle seine Sprache sprechen.«
»Wir würden alle englisch sprechen?« Roger lachte. »Glaubt er denn, wir würden Bauern werden?«
»Nay. Er sagte, wir würden alle Engländer werden. Hab den Mann nie ganz verstanden. Dachte schließlich, das wären wir sowieso«, brummte Walter vor sich hin. »Braucht Ihr meinen Zuber noch?«, wandte er sich abrupt an Botolf.
Botolf verstand, daß er von Walter nichts mehr erfahren würde, verneinte und sah lächelnd zu, wie der stämmige Mann seinen Zuber fortschleppte. Roger hob Pitney auf und trug ihn nach Caindale. Botolf folgte ihm, nachdem er Wesley befohlen hatte, sich um das Zelt und die Waffen zu kümmern. Lord Edwards Gattin, der nicht genügend Räume zur Verfügung standen, quartierte Lady Mary mit Botolf und dem Jungen zusammen in ein Gemach ein, das in drei Kammern unterteilt war. Botolf überließ es Lady Mary, der untröstlichen Frau zu versichern, daß sie alle volles Verständnis für die beengten Verhältnisse auf brächten. Er selbst nahm sich lediglich die Zeit, ihrer Ladyschaft sein Lob für diese beste aller möglichen Regelungen auszusprechen. Trotz seiner Verletzung und des unerwarteten Vorfalls mußte er am Festmahl teilnehmen.
Die herzhaften Speisen und die fröhliche Gesellschaft konnten Botolf während des gesamten Festmahls nicht von seinen Gedanken an Pitney ablenken. Er hatte dem Tod in vielerlei Gestalt ins Auge geblickt, hatte gesehen, wie er junge, unschuldige Menschen wie auch alte und nichtsnutzige dahingerafft hatte. Er hatte den Tod langsam und schmerzhaft, aber auch rasch und unverhofft kommen gesehen. Trotzdem wünschte er sich nahezu verzweifelt, daß Pitney überlebte.
»Wie geht es dem kleinen Ritter?«, fragte Lady Odella und riß Botolf aus seinen Gedanken.
So schwer es ihm fiel, brachte Botolf doch ein Lächeln für die Dame zu seiner Linken am Kopf des Tisches zustande. Er wußte, daß sie nicht verliebt in ihn war, vermutete aber, daß sie ihn recht ansehnlich fand. Außerdem ahnte er, daß sie ihm nachstellte, weil er ein begehrter Heiratskandidat war. Er war reich, mächtig und von Adel. Botolfs Vermutung nach hielt sie es zudem wohl für einen großen Vorteil, daß er als ihr Gatte gezwungen sein würde, einen großen Teil seiner Zeit in Regenford im barbarischen Norden zu verbringen, während sie sich im sichereren, eleganteren Merewood vergnügen konnte.
Er vermutete, daß sich so mancher Mann glücklich schätzen würde, wenn er eine Frau fände, die er nicht so häufig würde sehen müssen. Odella war neunzehn und wurde zunehmend zum Objekt nicht übermäßig schmeichelhafter Spekulationen. Zweimal schon war eine Ehe für sie arrangiert worden, und jedesmal war es dem Bräutigam gelungen, kurz vor der Hochzeit das Zeitliche zu segnen. Botolf war überzeugt, daß sie einwilligen würde, wenn er sie um ihre Hand bäte, doch er zögerte noch.
»Ich schätze, er wird überleben«, antwortete er schließlich.
»Es war ausgesprochen mutig von dem Jungen, sich Eurem Angreifer entgegenzustellen, obwohl er selbst unbewaffnet und viel kleiner war. Wie auch immer, die Todds sind ja berühmt für ihre Kühnheit.«
Allmählich fragte Botolf sich, ob außer ihm denn alle Welt über die Todds Bescheid wußte. »Kennt Ihr diesen Clan?«
»Ich habe die Familie nur einmal getroffen. Es war auf einem Turnier. Lord Alhric sah aus wie ein Troubadour, wie ein Poet. Er war so blond und zierlich, und seine zwei ältesten Söhne, Hunter und Rod, ebenfalls. Aber nicht deswegen, sondern wegen ihres Verhaltens auf dem Turnierplatz selbst sind sie mir so gut in Erinnerung geblieben. Ihr Geschick und ihre Verwegenheit, ihr beinahe wildes Vergnügen und ihre Lust am Kampf versetzten alle in Erstaunen. Sie haben nahezu alle Trophäen eingeheimst, aber beim Festmahl am Abend waren sie wieder die Engel mit dem blaßgoldenen Haar und den wunderschönen Augen, redegewandt und charmant. Es ist schwer zu erklären.«
»Euch ist es gut gelungen, Mylady. Es ist, als wohnten zwei Seelen in ihrer Brust. Nicht jeder Ritter kann sein grobschlächtiges Benehmen mit der Rüstung ablegen, und kaum ein Dichter wird zum Dämon, wenn er ein Schwert in die Hand nimmt, doch alle sagen, die Todds könnten sowohl Dämon als auch Dichter sein. Wißt Ihr noch mehr über sie?«
»Nicht sehr viel. Sie sind eine große Familie; viele ihrer Kinder haben bis ins Erwachsenenalter überlebt. Sie brüsten sich mit ihrem sächsischen Erbe.« Ihr Lachen klang wie silberne Glöckchen, und sie war augenscheinlich sehr stolz darauf. »So stolz auf eine Ahnenreihe zu sein, die sich bis zu den Besiegten zurückverfolgen läßt, ist ein wenig sonderbar.«
Als Botolf sich schließlich in sein Quartier zurückzog, war er zu der Vermutung gelangt, daß die Todds gleichermaßen bezaubernd und verrückt sein mußten. Unter lauter Menschen, die stolz ihren Stammbaum, sofern vorhanden, bis zu William dem Eroberer, seinen Intimfreunden oder bedeutenden Familien in Frankreich zurückverfolgten, bezeichneten die Todds sich voller Selbstbewußtsein als Sachsen nahezu reinen Blutes, wie es bereits in den Adern Oswius, des Königs von Northumbrien und Bemicia im Jahre 641 geflossen war. Bei der Gattenwahl war ihnen die sächsische Abstammung mindestens ebenso wichtig wie eine Mitgift. In ihrem Banner führten sie einen aufgebäumten schwarzen Hengst, unter dessen Hufen sich ein Wolf krümmte. Das Pferd war bekanntlich das Wappentier der Sachsen. Kopfschüttelnd trat Botolf in seine Kammer und fragte sich, wie diese Familie so lange hatte überleben können. Diese Absonderlichkeit mußte den Todds doch von Anfang an Schwierigkeiten bereitet haben, ganz besonders im rebellischen Norden.
»Wie geht es dem Jungen?«, fragte er seine Mutter, die standhaft an Pitneys Bett ausgeharrt hatte.
»Nichts deutet auf ein Fieber hin.« Lächelnd nahm sie den Kelch Wein entgegen, den Botolf ihr reichte.
»Wie ist es möglich, daß ich diesen Todds nie begegnet bin? Heute Abend haben mir die Ohren gedröhnt von den Geschichten über die Familie. Mir schwirrt noch jetzt der Kopf.«
»Du warst nie anwesend, wenn sie in der Gegend waren oder wenn von ihnen gesprochen wurde. Bis jetzt war doch Merewood dein Leben. Die Todds verlassen Wolfshead Hall nur selten. Sie sind fest in ihrem Land verwurzelt.«
Botolf nahm einen Schluck Wein und betrachtete den Jungen, der schon fast ein Mann war, aber im Schlaf süß und unschuldig aussah wie ein Kind. »Sie sind ein merkwürdiger Haufen.«
»O ja, ganz gewiß. Das wird niemand abstreiten, nicht einmal sie selbst. Ihre Merkwürdigkeit ist jedoch harmlos. Sie trägt vielmehr noch zu ihrer zauberhaften Art bei.«
»Zauberhaft, aber auch tüchtig. Die Familie hält Wolfshead Hall schon seit fast siebenhundert Jahren.«
»Das haben sie durch Tüchtigkeit und List zuwege gebracht. Dein Vater«, ihr Gesicht überschattete flüchtig ein immer noch frischer Schmerz, »erzählte mir einmal, in all den schwierigen Zeiten seit der Eroberung sei zumindest einer aus diesem Clan auf der gegnerischen Seite gestanden. Er behauptete, die Todds würden auslosen, wer auf der Seite zu kämpfen habe, die ihrem traditionellen Lehnsherrn, dem Earl of Regenford, feindlich gegenübersteht. Ein Todd kämpfte für Stephen, und einer sogar für Matilda, ein Todd war auf König Johns Seite, ein anderer auf der der Barone, einer hielt es mit den frühen angelsächsischen Rebellen, ein anderer mit dem Eroberer.«
»Und immer so weiter. Ausgesprochen klug. Ganz gleich, wer der Sieger ist, immer ist ein Todd da, der Wolfshead Hall behält.«
»Sie haben sich stets als wertvolles Bollwerk gegen die Schotten erwiesen, und das unzählige Male.«
»Dann sind sie es womöglich, auf die ich mich stützen werde, wenn ich in Regenford ankomme.«
»Sie werden es sein. Dein Vater hat es genauso gehalten.« Sie legte die Hand auf Pitneys Stirn, um sich zu vergewissern, daß kein Fieber aufgetreten war.
»Mutter?«, hauchte Pitney und blickte Lady Mary aus trüben Augen an.
»Nein, Kind«, antwortete sie sanft, »ich bin Lady Mary.«
»Ein Engel, wenngleich Ihr an meinem Bett sitzt und nicht in Gottes Reich«, sagte er ruhig und lächelte süß.
»Du liebe Zeit.« Lady Mary lachte und errötete leicht ob der überschwenglichen Schmeichelei.
»Wir ziehen hier einen zukünftigen Schwerenöter heran«, bemerkte Botolf amüsiert.
»Einen zukünftigen?«, flüsterte Pitney. »Offensichtlich muß ich härter trainieren.«
Botolf lachte leise. »Ich glaube, du brauchst kaum noch Training.«
»Komm, Söhnchen.« Lady Mary half ihm, sich ein wenig aufzurichten. »Trink das. Es lindert deine Schmerzen und läßt dich schlafen.«
»Und wenn es Gift wäre, Mylady, würde ich es trotzdem bereitwillig trinken, denn von solch zarten Händen kredenzt ist es Nektar für mich.«
»Heiliger Strohsack.« Botolf lachte wieder. »Bringt den Jungen zum Schlafen, bevor ich es selbst auf entschieden drastischere Weise tu.«
Er drohte Pitney scherzhaft mit der Faust.
Pitney war nur noch in der Lage, ein paar weitere blumige Komplimente an Lady Marys Adresse zu flüstern, während sie seine Verletzung untersuchte und eine Kräutersalbe auflegte. Als sie sein Gesicht sanft mit einem feuchten Tuch abwischte, konnte er die Augen schon nicht mehr offenhalten.
Als Pitney wieder eingeschlafen war, blickte Lady Mary ihren Sohn an. »Du hast heute beim Kampf Lady Odellas Farben getragen.«
»Aye. Sie hat ihr Brusttüchlein zu mir ins Zelt schicken lassen. Es wäre eine schwere Beleidigung gewesen, es zurückzuschicken.«
»Oh.« Lady Mary seufzte. »Botolf…«
»Ich weiß. Ich sollte heiraten. Wenn ich noch länger zögere, wird König Edward selbst für meine Verehelichung sorgen.«
»Warum suchst du dir dann nicht lieber selbst eine Braut aus? Warum willst du warten, bis er dir eine bestimmt?«
»Ich will überhaupt keine Braut.« Angesichts der niedergeschlagenen Miene seiner Mutter fluchte er leise. »Noch bevor das Jahr zu Ende geht, werde ich diese Angelegenheit geregelt haben. Ich bin verpflichtet, einen Erben zu zeugen. Das weiß ich wohl. Ich möchte diese Verpflichtung nur noch eine kleine Weile links liegen lassen. Geh zu Bett, Mutter. Ich werde bei dem Jungen wachen. Und ich schwöre dir, nächstes Jahr um diese Zeit werde ich meine Pflicht, einen Erben hervorzubringen, erfüllt haben.«
***
Erst in den frühen Morgenstunden wurde Botolf in seiner Nachtwache gestört. Er hörte den Strom der Gäste, der sich zum Rittersaal hin bewegte, wo ein üppiges Frühstück wartete, als seine Mutter kam, um ihn abzulösen.
Er war schon im Begriff, die Kammer zu verlassen, da verlangte ein Mann namens Sir Edric Healdon nachdrücklich Zutritt zu seinen Gemächern. Botolf blieb unter dem Durchgang zu seiner Kammer stehen, während Lady Mary auf das Pochen an der Tür zum Flur antwortete. Mit schwachem Lächeln beobachtete er die Reaktion seiner Mutter auf den Ritter, der nun vor ihr stand. Die Verwandtschaft des Mannes mit Pitney war unschwer zu erraten, denn er war von der gleichen eher zierlichen, eleganten Gestalt und hatte blondes Haar und blaue Augen.
Sir Healdon wirkte verwirrt und gleichzeitig auf schmerzliche Weise hoffnungsvoll, und Botolf verfluchte seine Vergeßlichkeit. Er hatte beabsichtigt, die Gerüchte auszuräumen und die Wahrheit über den Überfall bekanntzumachen, damit keine Geschichten und Spekulationen in Umlauf gerieten, die unnötigen Kummer bereiten könnten. Jetzt sah er, wie der Mann hastig zu Pitneys Bett stürzte.
»Barmherziger Gott, er lebt noch!«, keuchte Sir Healdon und musterte den immer noch schlafenden Pitney eingehend. »Aye, Sir«, erwiderte Lady Mary. »Er hat kein Fieber, und ich bin überzeugt, daß seine Überlebenschancen die allerbesten sind.«
Der Mann ergriff Lady Marys kleine Hand und zog sie an die Lippen. »Der Junge muß sich im Himmel geglaubt haben, als er erwachte und sah, daß er von einem solchen Engel betreut wird ...«
»Engel habe ich sie schon längst genannt, Onkel«, ertönte Pitneys verschlafene Stimme.
Sir Healdon bedachte seinen Neffen mit einem gespielt finsteren Blick, während Lady Mary leise lachte. »Schlaf weiter«, sagte der Mann und lächelte in Lady Marys Richtung. »Wenn eine derart schöne Dame an meine Seele rührt, werden mir sicherlich Komplimente einfallen, die selbst du noch nie ausgesprochen hast.«
»Versuch es doch, Onkel. Allerdings bin ich der Meinung, diese Kirnst solltest du lieber uns Jüngeren überlassen.«
»Und ich hatte mich doch wahrhaftig gefreut, daß du nicht tot bist, wie man mir vorher mitgeteilt hatte.«
»Aha, du bist gekommen, um meine sterblichen Überreste nach Wolfshead zu schaffen.«
»In kurzer Zeit werden wir dich nach Regenford bringen«, meldete sich Botolf zu Wort, der zu den anderen ans Bett getreten war und jetzt Sir Healdon die Hand zum Gruß reichte. »Wollt Ihr heimreisen, Sir Healdon? Wenn das der Fall ist, seid Ihr herzlich willkommen, Euch uns auf der Reise anzuschließen.«
»Ich danke Euch, Mylord. Ich …«Sir Edric schlug sich unvermittelt an die Stirn. »Gütiger Gott.«
»Was fehlt dir, Onkel?«, fragte Pitney mit etwas heiserer Stimme. Lady Mary half ihm, sich aufzurichten.
»Kenelm und Olan sind auf dem Weg nach Wolfshead, um die Kunde von deinem Tod zu überbringen«, erklärte Edric.
»Du mußt ihnen jemanden hinterher schicken.«
Edric ließ sich auf die Bettkante sinken und schlug die Hände vors Gesicht. »Ihr Vorsprung ist bereits viel zu groß. Sie sind gleich nach dem Überfall aufgebrochen. Wenn meine hitzköpfigen Söhne auch sonst nicht viel vollbringen, so reiten sie doch wie der Teufel.«
»Aye. Laß mich nachdenken. Wer ist zu Hause, um sie in Empfang zu nehmen? Hunter, Roy, Udolf und Kyne sind alle in Berwick-upon-Tweed. Denu und Tuesday sind bei ihren Gatten und zudem hochschwanger. Bleiben noch die kleine Thylda und …« er stöhnte auf,»… Saxan.«
»Aye, Saxan.«
»Sie werden Saxan doch alles wahrheitsgemäß berichten, oder? Selbst wenn ihre Geschichte den falschen Schluß hat, dürfte die Botschaft selbst doch keinen Anlaß zu Ärger bieten.«
»Wer weiß? Die Unsicherheit macht mir am schwersten zu schaffen. Die Jungen haben sich sehr gesträubt, nach Hause zu reiten. Sie wollten nicht die Überbringer derart schlechter Nachrichten sein.«
»Dann wollen wir hoffen, daß sie zumindest eines klar und deutlich übermitteln; nämlich, daß der Mörder bereits tot ist.«
»Vielleicht, wenn ich unverzüglich aufbreche …«
»Kommst du dennoch zu spät, um zu verhindern, daß die Geschichte falsch erzählt wird.«
»Oder um mögliche Folgen zu verhüten.«
»Es ist traurig, daß seine Familie glauben muß, Pitney sei tot, und dadurch großen Schmerz erleidet«, sagte Botolf und fragte sich, was den Onkel und den Neffen so beunruhigte. »Doch wenn wir nach Regenford kommen, werden wir sie natürlich unverzüglich über den Irrtum aufklären.«
»Sofern dann jemand anwesend ist, der aufgeklärt werden kann«, sagte Pitney leise und sah den verwunderten Botolf an. »Mylord, wir sind eine gottesfürchtige Familie, aber eines Seiner Gebote haben wir nie sonderlich streng befolgt. Sein Wort Mein ist die Rache hat keine Gültigkeit für uns. Falls ein Todd oder einer seiner Verwandten ermordet wird, strömen die Todds und ihre gesamte Verwandtschaft aus allen Winkeln des Landes zusammen, um den Mörder zu jagen. Falls angenommen wird, ich wäre ermordet worden und der Mörder wäre noch am Leben …« Pitney hob die Schultern und zuckte zusammen, als die Wunde schmerzte.
»Dann werden sie kommen, um den Mann zu jagen«, beendete Lady Mary mit leiser Stimme seinen Satz.
»Ah, doch sie müssen zunächst einmal zusammengetrommelt werden«, sagte Botolf. »Noch bleibt uns Zeit, um das zu verhindern.«
»Höchstens, wenn meine Vettern klug Vorgehen«, schränkte Pitney ein.
»Und das kann ich von meinen Söhnen leider nicht vermuten«, knurrte Edric.
»Wenn sie nicht umsichtig sind, wird die Person, die in Wolfshead weilt, unverzüglich aufbrechen, und das ist, so fürchte ich, Saxan«, erklärte Pitney.
»Wir werden eine Nachricht hinterlassen, daß dein Bruder hier auftauchen könnte und die volle Wahrheit erfahren soll«, versuchte Botolf, ihn zu beruhigen.
»Saxan ist meine Schwester, Mylord. Meine Zwillingsschwester. Zehn Minuten älter als ich.«
»Aber ein junges Mädchen wird doch nicht zu einem Rachefeldzug rüsten?«, sagte Lady Mary, der Erschrecken und Fassungslosigkeit deutlich anzusehen waren.
»O doch, das wird sie, das verflixte Mädchen.« Edric seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich hätte meinen Söhnen eine schriftliche Botschaft mitgeben sollen. Das geschriebene Wort hätten sie schwerlich verdrehen können.«
»Tja, es ist allerdings sinnlos, sich den Kopf über dieses Problem zu zerbrechen«, sagte Pitney. »Wir können jetzt nichts mehr unternehmen, um die Kunde abzufangen, ob sie nun richtig oder falsch sein möge. Uns bleibt nur die Hoffnung, daß Kenelm und Olan die Nachricht unverfälscht überbringen und Saxan im Auge behalten. Wenn das nicht gelingt, müssen wir darauf vertrauen, daß wir Saxan auf ihrem Weg hierher begegnen, wenn wir nach Regenford reisen.«
»Da setzen wir verdammt viel auf vage Hoffnungen.«
»Und dieser Junge redet entschieden zuviel«, bemerkte Lady Mary streng. »Helft mir, ihn ein bißchen besser aufzurichten, Sir Edric. Ich habe eine Mehlsuppe für ihn.«
Botolf hätte um ein Haar gelacht, als er sah, wie der Junge das hübsche Gesicht verzog. Selbst Pitneys Frohnatur und Zungenfertigkeit versagten angesichts der Androhung von Mehlsuppe. Allerdings würde es noch geraume Zeit dauern, bis er wieder in der Lage war, kräftigere Mahlzeiten zu sich zu nehmen.
Bald darauf wurde Botolf mitsamt dem auf ein Geplänkel versessenen Sir Edric aus dem Gemach geschickt. Seite an Seite machten sie sich auf den Weg zum Rittersaal. Als sie durch die hohen Türen zum Saal schritten, bemerkte Botolf Lady Odella. Sie hatte ihn entdeckt, bevor er sich diskret zurückziehen konnte, und winkte ihm, damit er sich neben ihr am Kopf der Tafel niederlasse.
»Der da sprüht die Heiratswut nur so aus den Augen«, bemerkte Edric leise.
»Ich weiß. Sie hat meine Mutter auf ihrer Seite.«
»Aha, in die Enge getrieben, wie? Ich erinnere mich noch schwach an das Gefühl. Meine süße Neida ist bei Olans Geburt gestorben. Ich wurde schwer bedrängt, mich wieder zu verheiraten, bin jedoch sämtlichen Heiratsfallen entkommen. Es gab in meinen Augen einfach keine, die mir meine Neida hätte ersetzen können. »Natürlich«, fügte er gedehnt hinzu, »hatte ich da schon zwei Söhne.«
»Und ich habe keinen«, sagte Botolf schwer. »Die Pflicht ruft.«
»Aye, ich fürchte, so sieht es aus. Für einen Mann in Eurer Position ist es noch viel wichtiger als für mich.«
Botolf begrüßte Lady Odella voller Herzlichkeit und mußte plötzlich und widerwillig an seine verstorbene Frau Alice denken. Er wußte nicht, ob er die Kraft aufbringen würde, all das noch einmal durchzustehen ‒ die Liebe, die Ehe, den Betrug und den Tod. Der Preis erschien ihm allzu hoch für die Erfüllung der Pflicht gegenüber seinem Namen und seiner Familie.
***
Beneidenswert schnell kam Pitney wieder zu Kräften. In weniger als einer Woche konnte Botolf anfangen, Vorbereitungen für die Reise nach Regenford zu treffen. Zum bequemeren Transport des Jungen wurde ein Karren besorgt, und Lady Mary blieb unablässig an seiner Seite. Botolf wunderte sich über den Wunsch seiner Mutter, ihn nach Regenford zu begleiten, begriff dann aber, daß sie lediglich darauf versessen war, den liebenswerten Jungen weiterhin zu betreuen, der sie voll und ganz um den Finger gewickelt hatte.
Flüchtig fragte er sich, ob Lady Mary vielleicht ebenso versessen darauf war, in Sir Edric Healdons Nähe zu bleiben. Botolf wußte, daß ihre fortgesetzte Pflege Pitney wohl guttun würde, im Grunde aber überflüssig war. Und es war nicht zu übersehen, daß seine Mutter sich unter Edrics Schmeicheleien und Aufmerksamkeiten um Jahre jünger fühlte. Darauf wollte sie womöglich nicht gern verzichten.
Rasch schüttelte Botolf diesen Gedanken ab. Ihm war wohl aufgefallen, daß Sir Edric einzig und allein Lady Mary mit seinem charmanten Witz verwöhnte. Im Augenblick war es weiter nichts als Plänkelei und Liebenswürdigkeit. Frauen liebten es nun mal, wenn ihnen Beachtung geschenkt wurde, und Botolf sah ein, daß sich seine Mutter in dieser Hinsicht nicht von anderen unterschied. Sie war allerdings kein argloses junges Mädchen mehr, das sich bereitwillig den Kopf verdrehen ließ. Botolf kam zu dem Schluß, daß er sich grundlos Sorgen machte. Weit wichtigere Angelegenheiten erforderten seine volle Aufmerksamkeit.
Zum einen würden Edrics Söhne inzwischen die unzutreffende Nachricht von Pitneys Tod nach Wolfshead überbracht haben. Obwohl kaum jemals davon gesprochen wurde, ahnte Botolf doch, daß Sir Edric und Pitney sich schwere Gedanken über die Auswirkungen der Falschmeldung in Wolfshead machten. Es verwunderte ihn einigermaßen, daß ein Mann in Sir Edrics Alter tatsächlich zu glauben schien, ein junges Mädchen würde zu einem Rachefeldzug aufbrechen. Sir Edric konnte er seiner Sorgen nicht entheben, doch er versuchte, zumindest den Jungen zu beruhigen. Als sein Gefolge zum Aufbruch nach Regenford rüstete, suchte Botolf Pitney in seinem Karren auf.
Nach kurzer belangloser Unterhaltung hielt Botolf ihm eine Rede, die in seinen eigenen Ohren nach Predigt klang. Er erklärte ihm, daß ein junges Mädchen unmöglich von Mordgedanken getrieben eine so weite Reise auf sich nehmen könnte, und erinnerte den Jungen an das empfindsame Wesen von Frauen. Botolf war im Grunde kaum überrascht zu sehen, daß seine wortreichen Ausführungen Pitney überhaupt nicht überzeugten.
»Ich will ja nicht unverschämt sein, Mylord«, sagte Pitney leise. »Mit fast allem, was Ihr sagt, habt Ihr natürlich recht. Die Sorte Mädchen, die Ihr beschreibt, ist eben der landläufige Typ. Meine Saxan allerdings ist anders. Und die besagten Mädchen sind auch keine Todds. Und sie sind schon gar nicht meine Zwillingsschwestern. Wenn Saxan glaubt, mein Mörder könnte noch am Leben sein, wird sie seine Verfolgung aufnehmen. Ich kann nur beten, daß sie wenigstens mit Sicherheit weiß, wer der Mann ist.«
Kenelm und Olan sahen ihre Base hilflos an. Saxan erkannte wohl, daß sie ihnen Angst einjagte, aber sie war nicht fähig, sich zu rühren oder ein Wort zu sagen. Es war, als wäre sie zur Salzsäule erstarrt und könnte nichts anderes tun, als von der Treppe herab auf die jungen Männer zu blicken. Eben noch war sie diese Treppe hinuntergehüpft, voller Eile, um sie fröhlich lachend zu begrüßen. Dann war Olan mit der traurigen Nachricht, herausgeplatzt, und seit diesem Augenblick war Saxan wie gelähmt.
»Pitney ist tot«, sagte sie schließlich, und ihre Vettern fuhren überrascht zusammen.
»Aye, Saxan«, krächzte Kenelm. »Erstochen.«
»Ermordet.«
»Aye. So war es.«
»Wer?«
»Nun, der Earl…« setzte Olan an.
»Der Earl of Regenford?«
»Aye, das ist der Mann. Er …«
»Ich verstehe.«
Saxan drehte sich um und stieg mit steifem Rücken die Treppe wieder hinauf, ohne auf ihre Vettern zu achten, die sie zurückriefen. Sie fror innerlich; ihr war, als wäre das Blut in ihren Adern zu Eis gefroren. Pitney, ihr Zwilling, ihr Gefährte schon im Mutterleib, war tot. Es war, als hätte jemand ein Stück aus ihrer Seele gerissen. Ihr Kummer füllte sie so aus, daß sie nicht einmal weinen konnte. Mit jedem Herzschlag strömte der Schmerz durch ihren Körper, doch sie schrie ihn nicht hinaus. Kaum hatte sie ihr Schlafgemach erreicht, stürzte ihre Schwester Thylda herein. Es verwunderte Saxan nicht weiter, daß die kleine Schwester so ungestüm ins Zimmer kam, doch sie wandte sich nicht zu ihr um, sondern fuhr fort, behutsam, beinahe ehrfürchtig Pitneys Kleider anzulegen. Sie wußte nur zu gut, daß Thylda sie daran hindern wollte. Das durfte sie nicht zulassen. Der übermächtige Wunsch, den Mord an Pitney unverzüglich zu rächen, war das einzige, was sie vor einem Zusammenbruch bewahrte.
»Wenn du diesen Mann tötest, darfst du keinerlei Gnade erwarten«, warnte Thylda.
»Er hat Pitney getötet.« Mit mechanischen Bewegungen flocht Saxan ihr hüftlanges Haar.
»Laß mich wenigstens zuvor nach unseren Brüdern schicken.«
»Bis unsere Brüder sich von ihren Verpflichtungen freimachen können, hat sich der Earl längst hinter den hohen Mauern von Regenford verschanzt. Es wäre unmöglich, ihn dort zu erreichen. Ich weiß, daß er hierher zu reisen gedenkt, denn es hat sich herumgesprochen, daß er gleich nach dem Turnier nach Regenford aufbrechen würde. Das Turnier war schon vor über einer Woche zu Ende.« Sie wand den dicken Haarzopf um ihren Kopf und zog eine dunkle Wollmütze darüber. »Ich will den verruchten Mörder noch unterwegs abfangen.«
»Du wirst dabei umkommen«, schrie Thylda mit tränenerstickter Stimme voll aufrichtiger Angst um ihre Schwester.
»Dann werde ich eben umkommen, aber Pitney ist gerächt.« Sie ging zu Thylda, die bei der Tür stand, und nahm sie in die Arme. Ihre kleine Schwester mit dem honigblonden Haar und den sanften blaugrauen Augen war gerade dreizehn geworden und versprach, eine große Schönheit zu werden. Die knospende Figur des Mädchens ließ auf zu erwartende üppige Formen schließen, wie die ihrer Schwestern Denu und Tuesday, und war ganz das Gegenteil von Saxans knabenhafter Schlankheit. Ihre älteren Schwestern waren seit zwölf beziehungsweise zehn Jahren verheiratet, und so hatten Saxan und Thylda immer nur einander gehabt. Seit ihre Mutter wenige Monate nach Thyldas Geburt verstorben war, hatte Saxan sich um so enger an die Kleine angeschlossen. Thylda war ihr fast genauso wichtig wie Pitney, doch trotz der großen Geschwisterliebe konnte die Kleine sie nicht von ihrem Vorhaben abbringen, und sie wußte, daß Thylda sich durchaus über ihre nicht zu erschütternde Entschlossenheit im klaren war.
»Du mußt dafür sorgen, daß Kenelm und Olan so lange wie möglich nichts von meinem Plan erfahren«, befahl sie Thylda und streichelte geistesabwesend den Rücken des leise weinenden Mädchens.
»Warum nimmst du sie nicht mit?«
»Sie würden mich gar nicht erst ziehen lassen, wie du wohl weißt. Doch selbst wenn sie es mir gestatten würden, ist es besser, daß sie hierbleiben. Ich habe sie gern, aber sie eignen sich nicht für einen Rachefeldzug. Und außerdem ist es am besten, wenn so wenige von uns wie eben möglich an diesem Unternehmen beteiligt sind. Was ich tun muß, könnte den Namen der Todds ruinieren, es sei denn, ich tu es ganz allein. Dann kann man die Schuld auf die Verblendung einer verrückten Frau schieben.«
»Du weißt ja nicht einmal, wie dieser Earl aussieht.«
»O doch. Er ist groß und dunkel und hat eine Narbe am linken Auge. Vor ungefähr vierzehn Tagen habe ich ihn im Traum gesehen. Blut troff von seinen Händen, als ich ihn sah. Zwar hat dieser Traum mir für einige Nächte den Schlaf geraubt, aber ich maß ihm keine allzu große Bedeutung bei, weil ich ja nicht sicher sein konnte, daß es sich um Pitneys Blut handelte.« Sie ließ Thylda los und griff nach ihrem Dolch und ihrem kleinen Bogen. »Benachrichtige unsere Brüder nur, wenn es dir ein dringendes Anliegen sein sollte. Hunter und Roc kommen sowieso bald zurück, weil die vierzig Tage ihres Dienstes am König dann abgeleistet sind.«
»Dann warte doch. Bitte, Saxan, warte. Warte wenigstens, bis du mit ihnen darüber gesprochen hast, was jetzt getan werden muß.«
»Nein, ich kann nicht. Sie werden mich verstehen.« Sie schloß ihren schweren Umhang und gab Thylda einen Kuß auf die blasse Wange. »Es ist schon dunkel. Ich muß jetzt gehen.«
Es war nicht einfach, Wolfshead unbemerkt zu verlassen. Die Männer, die ihre Brüder mit der Sicherung der Burg betraut hatten, waren wachsam. Doch sie hielten nach Gefahren von außen Ausschau, und das bescherte Saxan einen Vorteil, den sie flink zu nutzen wußte. Die Hand über die Nüstern ihres Pferdes gedeckt, führte sie das Tier am Zügel bis in den dichten Wald hinein, der an das Gelände von Wolfshead Hall grenzte. Erst dort saß sie auf. Dennoch ritt sie vorsichtig und langsam, bis sie ganz sicher war, außer Hörweite der Männer auf den Mauern zu sein.
Kummer und Zielstrebigkeit ließen keinen Raum für Angst. Obwohl sie sich noch nie im Leben weit von Wolfshead entfernt hatte, kannte sie den Weg nach Regenford, den der Earl einschlagen würde. Ihre Angehörigen hatten oft genug darüber gesprochen, und der Earl nahm bekanntlich ausgesprochen selten einen anderen Weg. Saxan war sicher, daß sie binnen weniger Tage auf das Gefolge des Earls stoßen würde. Dann würde sie ihn töten, entweder mit ihrem leichten Bogen oder mit dem Dolch. Auge um Auge, Zahn um Zahn. So war es nicht nur der Brauch in ihrer Familie, sondern auch ihr innerstes Bedürfnis. Während sie sich einen Weg durch den dunklen Wald suchte, fragte sie sich, wie lange die kleine Thylda Olan und Kenelm wohl daran hindern konnte, ihre Verfolgung aufzunehmen. Thylda würde lügen müssen, um die beiden aufzuhalten, und sie war nicht sehr bewandert in dieser Kunst. Daß sie ihre eigenen Leute, ihre Vettern, die sie mochte, würde belügen müssen, machte es nur noch schwerer für das Mädchen. Saxan bezweifelte, daß es ihr gelingen würde, einen großen Vorsprung vor ihren Vettern zu bekommen, aber das war unwichtig. Einen gewissen Vorsprung hätte sie allemal, und trotz Olans und Kenelms exquisiter Reitkünste würde sie diesen gewiß so lange halten können, bis Pitney Gerechtigkeit widerfahren war.
Ihr Pferd mit Namen Midnight, ein kräftiger, pfeilschneller Hengst, war eines der besten Tiere im Stall ihres Vaters, während die Pferde ihrer Vettern nach dem harten Ritt zur Überbringung der Hiobsbotschaft noch erschöpft sein mußten. Die Jungen würden frische Tiere aus den Ställen von Wolfshead nehmen müssen, und Saxan war überzeugt, daß keines von ihnen es mit Midnight aufnehmen konnte.
Während sie ritt, sah sie unablässig Pitneys Gesicht vor sich. Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse ließen ihren Schmerz um ihn nicht zur Ruhe kommen. Zwar liebte sie jedes einzelne Mitglied ihrer großen Familie, aber mit niemandem war sie so eng verbunden wie mit Pitney. Keiner von den anderen konnte ihr jemals so nahe stehen. Sie und Pitney waren bereits im Mutterleib zusammen gewesen. Oft genug hatte einer die Gefühle und Gedanken des anderen gekannt, ohne daß ein Wort darüber gefallen wäre. Es verwunderte sie, daß sie den Augenblick, als Pitneys Seele seinen Körper verließ, nicht selbst schmerzhaft gespürt hatte. Saxan glaubte fest daran, daß ihre und Pitneys Seele durch ein geheimnisvolles Band zusammengefügt waren.
Die Vorstellung, kaltblütig einen Menschen zu töten, schreckte sie nicht von ihrem Vorhaben ab. Der Tod war ihr kein Fremder. Sie hatte sogar schon zuvor getötet, war gezwungen gewesen, ihr Leben in hitziger Schlacht zu verteidigen. Doch in diesem Fall würde ihr Feind sie nicht angreifen. Womöglich wäre der Earl sogar unbewaffnet. Es hatte nichts zu sagen. Der Earl hatte Pitneys Blut an den Händen, und die Schuld, die er auf sich geladen hatte, würde ihr die nötige Kraft verleihen, um ihn niederzustrecken. Sie glaubte, es würde ihr leichtfallen, ihn zu töten, selbst, wenn er völlig wehrlos wäre, und selbst, wenn sie mit dieser Tat ihr eigenes Todesurteil Unterzeichnete.
Saxan war bereit, dem Tod ins Auge zu sehen. Sie wußte, daß ihr Schmerz ihre Todesbereitschaft nährte. Seit dem Augenblick, da ihre Vettern ihr Pitneys Ermordung gemeldet hatten, galten ihre Gedanken einzig und allein der Rache. Ihr gesamtes Streben war auf dieses eine Ziel gerichtet. Sie gönnte sich kaum eine Rast, und wenn, dann nur um ihres Pferdes willen. Sie aß wenig und verschwendete keinen Gedanken an die Gefahren ihres einsamen Ritts, an Gefahren, vor denen auch ihre Verkleidung als Junge sie nicht schützen konnte. Während sie ritt, überlegte sie hin und her, wo sie den Earl am besten würde abfangen können. Sie entschied, daß sie so schnell wie möglich das Boar’s Head Inn in Wiggins Knob erreichen mußte.
***
»Wie geht es Pitney?«, erkundigte sich Botolf bei seiner Mutter, während er sein Pferd näher an den Karren heran drängte und hineinspähte.
»Recht gut, Botolf, aber es ist ein langer Tag gewesen«, erwiderte Lady Mary.
»Bis zum Boar’s Head Inn haben wir nur noch etwa eine Meile zu reiten. Mir liegt sehr daran, das Gasthaus heute noch zu erreichen.«
»Aye, das wäre schön. Pitney benötigt eine trockene, warme Unterkunft. Ich fürchte, die Nächte, die wir notgedrungen im Freien verbracht haben, waren, wenn nicht schädlich, so doch auch nicht eben zuträglich für die Genesung des Jungen.« Botolf bemerkte, daß Pitney zu ihm aufschaute, und lächelte dem Jungen zu. »Halte noch eine kleine Weile durch, Bursche.«
»Mir geht’s gut, Mylord«, entgegnete Pitney. »Ehrlich. Lediglich die Schmerzen zehren an meinen Kräften, und dagegen kann wohl niemand etwas ausrichten.«
»Ein weiches Bett wird dir guttun.«
»Ablehnen würde ich es jedenfalls nicht«, antwortete Pitney mit einem müden Lächeln. »Es tut mir leid, daß ich so viele Schwierigkeiten mache.«
»Nay, du machst keine Schwierigkeiten. Du hast mir das Leben gerettet. Die geringfügigen Rücksichten, die die Reise nach Regenford deinetwegen erfordert, sind weiß Gott ein spärlicher Lohn dafür. Ich habe einen Mann vorausgeschickt, der dem Gastwirt unsere Ankunft melden soll, damit dann alles für uns bereit ist.«
Im Boar’s Head Inn war man tatsächlich auf den Earl und sein Gefolge vorbereitet, als der Trupp schließlich vor den Türen des Gasthauses haltmachte. Botolf vermutete, daß seit der Kunde von seinem bevorstehenden Besuch hektische Betriebsamkeit unter den Dienstboten herrschte. Der Wirt, Will Meeks, war stolz darauf, dem Earl of Regenford zu Diensten sein zu dürfen. Botolf wußte, daß er der dritte Earl war, der auf dem Weg zu seiner Burg in diesem Gasthaus Rast einlegte, und der Wirt hatte keineswegs die Absicht, einen so zahlungskräftigen Kunden zu verlieren.
Die Geschäftigkeit um sie herum nahm noch zu, als Botolf, seine Mutter, Pitney und die ranghöheren Mitglieder seines Gefolges voller Hast in ihre Räume eingewiesen wurden. Die Pferde wurden versorgt und die Karren untergestellt. Wer von den Gästen es wünschte, erhielt Gelegenheit zu einem heißen Bad, und den herzhaften Düften nach zu urteilen, die Botolfs Nase kitzelten, war mit einer reichhaltigen Mahlzeit zu rechnen.
Als er sich Sir Edric auf dem Weg zum Gastraum anschloß, sah Botolf Will Meeks ‒ der seine beiden häßlichen Töchter wachsam im Auge behielt ‒ und verbiß sich ein Lächeln. Es war bekannt, daß die Ritter, sobald sie sich eine Pause gönnten, jedes Mädchen gierig beäugten. Botolf kam zu dem Schluß, daß allein die Vorsicht den Mann veranlaßte, seine älteste Tochter geschwind zurückzuholen, als sie mit einer Mahlzeit für den verwundeten Pitney die Treppe hinaufschlüpfen wollte.
»Aber er ist doch nur ein kleiner Junge«, wehrte sich das Mädchen. »Und er sieht aus wie ein Engel. Du machst dir unnötige Sorgen, Papa.«
»Aye? Dieser kleine Junge trägt den Namen Todd«, knurrte Will Meeks, was Botolf und Sir Edric bewog, wenige Stufen oberhalb von Vater und Tochter den Schritt zu verhalten. »Die Hälfte aller Bastarde zwischen hier und den Grenzen der Christenheit müßten Recht nach Recht diesen Namen haben.«
»Verleumdung!«, schrie Sir Edric dermaßen theatralisch, daß Botolf lachen mußte. »Nimm das zurück, du Hund.«
Will Meeks kniff einen Moment die Augen zusammen und riß dann den Mund auf, als er Sir Edric erkannte. »Sir Edric Healdon. Aye, und die andere Hälfte der namenlosen Brut müßte Healdon heißen.«
»Nie und nimmer. Wir verführen keine jungen Mädchen.«
»Hm. Nicht? Was ist dann mit der kleinen Anne im Nachbardorf? Euer Sohn Kenelm hat sich im letzten Jahr mit ihr auf dem Heuboden ihres Vaters getummelt. Jetzt hat sie ein Kind.«
»Unsinn. Kenelm würde sich niemals mit einem Mädchen im Heu wälzen. Der Junge mag es bequem, und Heu hat mm mal die Eigenart, einen Mann an peinlichen Stellen zu pieken.« Sir Edric lächelte das junge Mädchen liebenswürdig an, und sie konnte sich ein Kichern nicht verbeißen.
»Da! Fort mit Euch! Untersteht Euch, ihr mit süßen Worten und betörendem Lächeln den Kopf zu verdrehen!«
Botolf konnte nur mit äußerster Mühe das Lachen unterdrücken, als er dem Mädchen das Tablett abnahm. »Ich werde mit dem Jungen ein ernstes Wörtchen reden, Master Meeks.«
Edric blickte dem Mann nach, der seine Tochter fortzerrte und nicht aufhörte, sie auszuschimpfen. »Der Mann ist ein ungezügelter Wüterich.«
»Geht und eßt, Sir Edric. Ich werde mich in wenigen Minuten zu Euch gesellen.«
Als Botolf in Pitneys Gemach eintrat, lachte er leise über das liebliche Lächeln, das über das Gesicht des Jungen huschte, um dann einem Ausdruck milder Enttäuschung Platz zu machen. Farold Moreton, sein Knappe, saß mit unbehaglicher Miene an seinem Bett. Botolf stellte das Tablett ab und bemühte sich um einen wenigstens einigermaßen strengen Tonfall.
»Es ist dir verboten, die jungen Mädchen hier zu verführen, junger Mann«, ließ er Pitney wissen.
»Ich wollte sie gewiß nicht verführen, Mylord«, wehrte sich Pitney. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich wäre gar nicht in der Lage dazu. Noch bin ich nicht wieder völlig gesund.«
»Ob du dazu in der Lage bist oder nicht, solange du in meinen Diensten stehst, verdrehst du keinem Mädchen den Kopf. Ich halte nichts von der Verführung von Jungfrauen.«
»Ist sie denn eine? Ich war gar nicht so sicher angesichts der Art, wie sie die Augen verdrehte und die Hüften schwang.«
»Meeks’ übereifriger Wachsamkeit nach zu urteilen, ist sie unberührt. Mein Vater war der Meinung, Verführungen solcher Art seien nichts weiter als ein Mißbrauch von Macht und Position. Ich muß ihm beipflichten.«
»Ah, Ihr meint, sie schlafen eher wegen unserer hohen Stellung oder wegen der Angst vor Folgen im Falle der Weigerung mit uns als wegen unseres guten Aussehens und unseres Charmes?«
»In deinem Falle wage ich es zu bezweifeln«, antwortete Botolf gedehnt. »Aber wie auch immer, du wirst dich in Zukunft benehmen.«
Nachdem Pitney ihm dies versichert hatte, begab sich Botolf zu einem herzhaften Mahl in den Gastraum. Kaum hatte er den letzten Bissen des saftigen Rinderbratens verspeist, erhob sich seine Mutter mit ihrer Zofe, um sich zur Nacht zurückzuziehen. Botolf wußte sehr wohl, daß seine Mutter sich verabschiedete, um die Männer ihrer Pflicht der Mäßigung in Worten und Taten zu entheben. Er mußte lachen, als im selben Augenblick, da sie die Treppe zu ihrem Schlafgemach hinaufstieg, das Ale entschieden reichlicher zu fließen begann. Als der Knappe seinen Kelch füllte, freute Botolf sich auf einen geselligen Abend.
***
Saxan lächelte vor sich hin, als sie sich dem Boar’s Head Inn näherte. Ein rascher Blick in die Runde verriet ihr, daß der Earl bereits eingetroffen war. Sie überließ Midnight einem Stallburschen und trat zielstrebig in die Gaststube, wo der bullige Wirt sich ihr sogleich entgegenstellte. Innerlich verwünschte sie ihn und hoffte, daß er keine allzu großen Schwierigkeiten machen würde. Olan und Kenelm waren ihr schon bedenklich nahe gerückt. Sie hatte sie sogar schon flüchtig sehen können, und das letzte Stück Wegs hatte sie deshalb in nahezu halsbrecherischem Tempo zurückgelegt. Entweder übertrafen die Reitkünste ihrer Vettern ihre Vorstellungen ganz gehörig, oder aber die Versuche der armen Thylda, sie möglichst lange hinzuhalten, waren von Anfang an kläglich gescheitert.
»Ich habe keine Zimmer mehr, Bursche«, erklärte der Wirt. »Aber vielleicht findest du im Stall noch ein trockenes Plätzchen.«
»Das reicht mir.« Sie bemühte sich, mit tiefer Stimme und so kurz und knapp wie möglich zu sprechen. »Gibt es noch etwas zu essen?«
»Aye, mit einer Mahlzeit können wir durchaus noch dienen. Geh da rein und setz dich schon mal«, wies er sie an und deutete auf den Gastraum. »Ich werde dir etwas bringen lassen. Aber belästige bloß nicht den Earl und sein Gefolge.«
»Solch eine Unverschämtheit liegt mir fern, Sir.«
Kaum war der Wirt gegangen, schlüpfte Saxan in den Raum, in dem sich Botolf mit seinen Männern aufhielt. Sie waren zu sehr mit Reden und Trinken beschäftigt, um sie zu bemerken, trotzdem drückte sie sich in den Schatten. Langsam, ganz langsam näherte sie sich dem Earl, den Blick fest auf ihn geheftet, den Dolch in der Faust.