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Cornwall, das ist der eine Ort, an dem sich Allie am geborgensten fühlt – hier hat sie die schönsten Momente ihrer Kindheit verbracht. Aus diesem Grund flüchtet sie nach ihrer gescheiterten Ehe in diese idyllische Abgeschiedenheit, um in Ruhe über ihr Leben nachzudenken. Doch das Schicksal verfolgt andere Pläne, denn kurz nach ihrer Ankunft begegnet Allie der lebenslustigen Mittfünfzigerin Marsha, die eine Horde jüngerer Leute um sich schart. Sie alle bringen ungeahnten Schwung in Allies Leben – vor allem Adam hat es ihr angetan. Doch als Allies Glück zurückgekehrt scheint, stellt die Vergangenheit nicht nur ihr eigenes Leben auf den Kopf …
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Seitenzahl: 487
Veröffentlichungsjahr: 2015
Buch
Cornwall ist Allies Zufluchtsort. Mit der traumhaften Landschaft und dem Rauschen des Meeres verbindet sie einige ihrer schönsten Erinnerungen, denn hier hat sie mit ihrem Vater als Kind unvergessliche Momente verbracht. Nachdem sie von ihrem Mann betrogen und verlassen wurde, flüchtet sie über den Sommer in diese idyllische Abgeschiedenheit. Doch mit der erhofften Ruhe ist es nach ihrer Ankunft schnell vorbei: Als sie der lebenslustigen Mittfünfzigerin Marsha begegnet, nimmt ihr Leben eine abrupte Wende. Marsha sprüht nur so vor Lebensfreude, Energie und Enthusiasmus – und steckt Allie damit förmlich an. Außerdem schart Marsha eine Horde jüngerer Leute um sich, die zunehmend mehr Allies Interesse wecken. Vor allem zu einem aus dieser Gruppe fühlt sie sich hingezogen: dem gut aussehende Adam, der seine eigenen Geheimnisse zu haben scheint. Und je mehr Zeit sie mit dieser so bunt gemischten Gruppe von Menschen verbringt, desto mehr Glück scheint in Allies Leben zurückzukehren. Als die Vergangenheit jedoch über Allie hereinbricht, wird nicht nur ihr eigenes Leben auf den Kopf gestellt …
Autorin
Julie McGowan wurde in Blaenavon, Wales, geboren. Nach Jobs als Krankenschwester, Gesundheitsbeauftragte und Theaterlehrerin an einer Schule fand sie letztendlich zum Schreiben. Seit über zwei Jahrzehnten verfasst die Autorin Kurzgeschichten, Unterrichtsmaterialien und Zeitungskolumnen, Die Glücksammlerin ist ihr erster Roman bei Blanvalet. Inzwischen hat Julie McGowan vier Kinder und lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Hunden in Usk, Wales.
Julie McGowan
Roman
Deutsch von Carolin Müller
Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel
»Just One More Summer« bei Sunpenny Publishing.
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1. Auflage
Deutsche Erstveröffentlichung Dezember 2015 bei Blanvalet, einem
Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Copyright © 2008 by Julie McGowan
This work of fiction is completely a product of the author’s
imagination. Any resemblance to actual characters, dead or alive, is
purely coincidental. Likewise, there is no such village as Tremorden,
which is created from a gathering together of the author’s knowledge
and memories of several Cornish experiences.
German language Edition arranged through Amer-Asia Books, Inc.
(GlobalBookRights.com) All Rights Reserved.
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015
by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe
Random House GmbH, München
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
Umschlagmotiv: Getty Images/www.galerie-ef.de; www.buerosued.de
Redaktion: Stefanie Lemke
ue · Herstellung: sam
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-16264-1
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www.blanvalet.de
In Erinnerung an Sally, eine sehr gute Freundin.
1953– 2008
1. Kapitel
Okay … Ich will gleich von Anfang an etwas klarstellen. Erstens, das hier ist keine von diesen Geschichten über eine Frau Anfang dreißig, die verzweifelt auf der Suche nach einem Mann zum Heiraten ist und wenn sie eigentlich arbeiten sollte, an nichts anderes denkt, als wie sie ihm begegnen soll, oder ständig heult, weil sie denkt, sie hätte ihn bereits gefunden, aber wieder verloren. Die nach der Arbeit mit Make-up zugespachtelt in irgendeiner Bar herumlungert, in der Hoffnung, dass heute die Nacht der Nächte ist – und falls doch nicht, dann kann sie ja immer noch das beste Angebot mitnehmen … Ich meine, wofür haben die Frauen mindestens die letzten drei Jahrzehnte eigentlich gekämpft?
Zweitens wird hier nicht über Designermode geredet – außer vielleicht von meiner Mutter, aber die hat es mehr mit Mondi und Jaeger als mit Gucci und Chloe. Das mag vielleicht gehen, wenn eine einen netten kleinen Job in der Werbung oder den Medien hat – den man irgendwie ergattert und auf wundersame Weise behalten hat, obwohl man nicht mal den Computer richtig bedienen kann und unverhältnismäßig viel Zeit auf der Toilette verbringt. Aber wenn man eine kleine Rechtsanwaltsgehilfin ist, die noch nicht mal ihre neue Küche abbezahlt hat, sieht das leider ganz anders aus. Was in meinem Kleiderschrank am nächsten an Designerklamotten rankommt, sind ein Pashmina-Schal zweifelhaften Ursprungs und ein Paar Nike-Turnschuhe aus dem Schlussverkauf – aber zumindest ist meine Unterwäsche von H&M und nicht von Marks & Spencer. Irgendwo ziehe selbst ich eine Grenze.
Drittens habe ich keine wallenden rotgoldenen Locken, die beim ersten Regentropfen bezaubernd widerspenstig werden, keine grünen Augen und zarte, sonnenempfindliche Haut oder einen definierten, durchtrainierten Körper. Ich bin eher klein, habe dunkles, glattes Haar, bin einigermaßen fit, weil ich viel zu Fuß gehe, und habe einen Teint, der in der Sonne einen schmutzig braunen Ton annimmt. Wenn wir vor gut fünfzig Jahren leben würden, hätte meine Mutter mein Äußeres wohl als ›gewöhnlich‹ bezeichnet, aber heute muss sie widerwillig einräumen, dass ich wenigstens braun werde, ohne lange in der Sonne braten zu müssen und Falten zu bekommen.
Ach ja, und ich habe auch nicht den obligatorischen atemberaubend gut aussehenden, aber schwulen besten Freund, bei dem ich mich ausheulen kann – oder er sich bei mir –, wenn sich mal wieder einer unserer Freunde verkrümelt hat. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die Rechtsanwaltskanzlei einfach auf der falschen Seite des Flusses liegt, nämlich in Purley, wo es, zumindest in meinem Teil davon, einfach nicht so von Männern wimmelt, die sich ›geoutet‹ haben.
Und wo wir schon mal dabei sind, ich werde auch nicht mit sexuell konnotierten Schimpfwörtern um mich schmeißen, nur um Glaubwürdigkeit zu suggerieren. Ja, ich weiß, heutzutage benutzt die angeblich jeder, aber ehrlich gesagt hat sich das in meinem beschaulichen Vorort noch nicht richtig rumgesprochen. Okay, Will hat ein paarmal welche verwendet, als wir einen Megastreit hatten, aber das war ein Extremfall. Und ich hatte eine gute Freundin, die einen Hang zum Fluchen hatte, aber die sehe ich in letzter Zeit kaum noch. Will konnte sie nicht besonders gut leiden, also verlief sich unsere Freundschaft ein bisschen. Warum er sie nicht mochte? Wahrscheinlich wegen ihrer vulgären Ausdrucksweise, die er bei Frauen nicht so schätzt … was wohl mehr oder weniger beweist, dass ich mit meiner Haltung recht habe. Vielleicht ist aber auch hier die triste Welt der Anwaltskanzleien schuld – ich hab einfach nichts mit Leuten zu tun, die so kühn und verwegen sind.
Ich habe nicht mal einen attraktiven, aber einschüchternden Chef, dessen wortkarge Art bloß die Tatsache verschleiert, dass er auf den kleinen Typ Frau mit dunklen, glatten Haaren etc. pp. und außerdem auf meine reizende Unbedarftheit steht. Mein Chef ist korpulent und onkelhaft, und er schnauft auch nicht aus Leidenschaft so laut, sondern aufgrund seiner Nebenhöhlenprobleme. Zumindest bis gestern, denn seit gestern ist er nicht mehr mein Chef.
Seit gestern bin ich nämlich keine Anwaltsgehilfin und auch keine Ehefrau mehr. Jetzt bin ich eine Ex-Anwaltsgehilfin und eine Ex-Frau, zumindest läuft die Scheidung, und ich sitze auf dem Boden meiner bald Ex-Wohnung und wünschte, meine Mutter wäre nicht auch noch just in dieser Situation aufgekreuzt.
An diesem Punkt in meinem Leben hätte ich wirklich nichts gegen eine Mutter, die nicht ganz so beherrscht und klug und kultiviert ist wie meine. Wenn ich es mir recht überlege, gab es schon viele Momente in meinem Leben, in denen ich mir gewünscht hätte, meine Mutter wäre eine von diesen unscheinbaren Menschen, die immer einen guten Rat parat haben, ohne zu sehr nach Kummerkastentante zu klingen, und an deren tröstendem Busen ich mich jederzeit ausweinen könnte. Dies war ein weiterer solcher Moment.
Meine Mutter ist eher klein gewachsen – unsere einzige Gemeinsamkeit – und stand ausgesprochen elegant in ihrem makellosen, cremefarbenen Leinenkostüm vor mir und sah mir missbilligend dabei zu, wie ich noch ein paar T-Shirts in meine bereits überquellende Tasche stopfte.
»Aber Cornwall!«, rief sie immer wieder so entsetzt, als hätte ich ihr eröffnet, dass ich mich ins kriegszerrüttete Bagdad absetzen wollte. »Warum denn bloß Cornwall?«
»Weil ich von London genug habe und eine Pause brauche – was du mir übrigens vor ein paar Wochen selbst geraten hast.«
»Aber den ganzen Sommer? Allie, Schätzchen, was um Himmels willen willst du denn da so lange anfangen?«
Ich zog einen Riemen am Koffer fest und wandte mich ihr wieder zu. »Sehr wenig, hoffe ich. Für den Anfang zumindest. Falls mir langweilig werden oder mir das Geld ausgehen sollte, finde ich sicher einen Job in einem Pub oder so – vielleicht beschließe ich aber auch, für immer dortzubleiben. Wer weiß.«
»Aber warum denn nicht etwas Exotischeres? Kreta oder so – wo die Sonne scheint und viel los ist.«
»Und es jede Menge Männer auf der Suche nach einer Urlaubsbekanntschaft gibt, was mir dann das Gefühl geben soll, immer noch begehrenswert zu sein, oder was?«
Meine Mutter ignorierte meinen sarkastischen Unterton. »Na ja, das wäre doch so schlecht auch wieder nicht, oder?«
»Doch, das wäre es. Ich hab dir schon gesagt, dass ich niemand Neues kennenlernen will – und ganz sicher nicht irgendeinen Urlaubscasanova, der das Gehirn in der Hose hat und bloß an einer schnellen Nummer interessiert ist.«
Juliet (seit der Scheidung von meinem Vater, als ich zwölf war, bestand sie darauf, dass ich sie bei ihrem Vornamen nannte, denn sie hatte gehofft, einen jüngeren Mann zu finden, und war dabei sogar so weit gegangen, wenn nötig mich und sich selbst auch mal ein paar Jahre jünger zu machen) hatte ihre erste Hochzeitsreise 1970 in einer Villa in Lindos verbracht, weit oberhalb der einzigen florierenden Disko des kleinen Städtchens, und glaubte, dass sich die griechischen Inseln seitdem kein bisschen verändert hätten. Bei meiner Ausdrucksweise zuckte sie zusammen.
»Aber Cornwall«, wiederholte sie, während ich unbeirrt mein Gepäck um sie herumstapelte. »Da sind doch bestimmt bloß jede Menge Familien, und wahrscheinlich regnet es die ganze Zeit.«
Seufzend unterbrach ich mein Tun, damit ich sie direkt ansehen konnte. Sie erinnerte sich offensichtlich wirklich nicht mehr, und ich würde es ihr auch nicht wieder ins Gedächtnis rufen, nur um mal wieder eine Diskussion vom Zaun zu brechen, die mit Ach, dein Vater… beginnen und voll bissiger Kommentare sein würde, die ich nicht mehr hören wollte.
»Aber es wird normal sein«, sagte ich stattdessen. »Ich will nicht für ein paar Monate leben wie im Märchen, vor irgendeiner künstlichen Kulisse, umgeben von künstlichen Leuten, wenn ich mich hinterher doch wieder der Realität stellen muss. Und irgendwo ins Ausland zu jetten macht alleine sowieso keinen Spaß, und selbst wenn ich jemanden hätte, der mitkommen würde – was nicht der Fall ist –, wäre ich ziemlich schlechte Gesellschaft und würde dem anderen bloß den Urlaub verderben. Du hast mir doch selbst gesagt, dass ich mir eine Auszeit nehmen soll«, fuhr ich hastig fort (bevor Juliet einhaken konnte: Aber Schätzchen, ich kann dich doch begleiten, wenn du sonst einsam bist), »und dass ich mal alles hinter mir lassen soll. Und genau das mache ich jetzt.« Ich zwang mich zu einem strahlenden Lächeln. »Also müsstest du doch eigentlich zufrieden sein, weil ich deinen Rat befolge. Lass mich das jetzt durchziehen und kümmere du dich lieber um deine Floral Society und um die Männer aus dem Conservative Club, die eine ehrbare Frau aus dir machen wollen.«
Diesmal war es an Juliet zu seufzen. »Tja, wenn du dir so sicher bist …«, sagte sie zweifelnd.
»Natürlich bin ich sicher«, sagte ich überzeugter, als ich es in Wirklichkeit war, weil ich nicht wollte, dass Juliet wieder mit ihrem Aber Cornwall! anfing. »Und wenn du mir wirklich helfen willst, dann kannst du ein Auge auf die Wohnung haben, solange Sarah hier wohnt, und vergiss nicht, deinen Anrufbeantworter anzuschalten, für den Fall, dass ich dich erreichen möchte.«
Okay … Mittlerweile dürfte klar sein, dass ich Anfang dreißig bin und womöglich Liebeskummer habe, aber eindeutig niemand Neues zum Heiraten suche. Einmal hat mir gereicht, und ich verschwende meine Zeit sicher nicht damit, nach Ersatz zu suchen. Hier ist also von einer ganz gewöhnlichen Ehe die Rede, die mir aber trotzdem alles bedeutet hat und die vor die Hunde gegangen ist, weil mein Mann Will festgestellt hat, dass er die Gesellschaft (und nicht zu vergessen das Bett) einer anderen vorzieht. Es ist doch immer wieder das Gleiche: eine pompöse Hochzeit, gefolgt von einer exotischen Hochzeitsreise, möglicherweise noch etwas gemeinsam verbrachte Zeit, bis ein oder zwei Kinder da sind (sollte man sie nicht schon vor der Heirat bekommen haben), und dann die Scheidung. Nur, dass wir noch nicht bis zu den Kindern gekommen waren, bloß bis zur Einbauküche, und die wird letztendlich von Will abbezahlt werden, als Teil der Wiedergutmachung, die auch mit einschließt, dass er mir seine Hälfte der Wohnung überlässt.
Während ich meine Taschen in den Flur verfrachtete, schwirrte Juliet noch immer unentschlossen herum und gestikulierte auf diese ›Ich bin ein hilfloses Weibchen‹-Art, die ihr zur zweiten Natur geworden ist. Niemand würde vermuten, dass sich dahinter ein stahlharter Kern verbirgt, mit dem sie ihren zweiten Ehemann mit einer noch höheren Abfindung als den ersten abserviert hatte, um danach von den beträchtlichen Geschenken ihrer zahlreichen wohlhabenden Verehrer zu profitieren, und dass sie auch aktuell einen oder zwei reiche Konservative an der langen Leine hatte, die ihr wie übergewichtige Möpse hinterherhechelten. All das führte natürlich dazu, dass sie meine missliche Lage bloß als Berufsrisiko betrachtete, dem man am besten damit begegnete, dass man sich so schnell wie möglich einen potenten Nachfolger angelte.
»Ich ruf dich Anfang der Woche an«, versprach ich, während ich sie zur Tür begleitete. »Und mach dir keine Sorgen – Newquay ist gar nicht weit weg. Und es soll die ›neue Riviera‹ sein, da wimmelt es bestimmt nur so von Surfern, also kann man nie wissen …«
2. Kapitel
Warum sieht die Realität eigentlich immer anders aus, als man sich eine Situation oder einen Ort vorgestellt hat? Zum Beispiel die Pension, für die ich mich entschieden hatte, weil sie keinen Aufschlag fürs Einzelzimmer berechnete, von der ich aber nicht gedacht hatte, dass sie so weit vom Meer entfernt sein würde. In der Beschreibung, in der von ›Meerblick, Frühstück und eigenem Bad‹ die Rede war, hätte besser ›Mehr Blick …‹ stehen sollen, denn, welche Aussichten auch immer die Zimmer boten, das Meer war eindeutig nicht zu sehen.
Von der Villa aus der Zeit Edwards VII. führte eine schmale Straße, deren Asphalt an den Rändern schon hier und da etwas bröckelte, steil in die grünen Hügel hinauf, die einem den Blick auf Tremorden Bay selbst aus den oberen Fenstern versperrten. Doch ich konnte die salzige Luft riechen, verführerisch genug, um mich mit einer kindlichen Vorfreude zu erfüllen, die mich sofort dazu trieb, dem Fenster den Rücken zu kehren und das Auspacken meiner Koffer in Angriff zu nehmen.
Es war kurz nach Mittag; der Morgenzug der Western Railway war ungewohnt pünktlich gewesen, und vor dem Bahnhof hatte bereits ein Taxi gestanden. Nun lag der ganze restliche Tag vor mir.
Nachdem ich meine wenigen Habseligkeiten in dem riesigen Schrank verstaut hatte, der aussah, als stammte er noch aus der Zeit, in der das Haus erbaut worden war, eilte ich die Treppe hinunter, um mich auf die Suche nach dem Meer zu machen. Dabei verscheuchte ich den ungebetenen Gedanken, dass es schön wäre, jetzt mit Will ans Meer zu gehen. Was allein schon deshalb ein lächerlicher Gedanke war, da wir unser sauer verdientes Geld, wären wir noch zusammen, für eine Reise an einen viel exotischeren Ort ausgegeben hätten, mit dem sogar Juliet einverstanden gewesen wäre.
Im Hausflur lagen auf einem halbrunden, glänzenden Tisch verschiedene Faltblätter, die Wanderungen, Ausflugsmöglichkeiten und allerlei andere Dinge zum Zeitvertreib anpriesen, doch ich kümmerte mich nicht darum. Mir war absolut nicht nach organisierten Ausflügen, Busreisen und geselligen Menschen mit Sonnenhüten und weißen Sandalen zumute. Ich würde mich schon selbst zurechtfinden.
Doch ich konnte dem forschenden Blick der Pensionsbesitzerin nicht entgehen, die sich von meinem kurzen Nicken wohl nicht abwimmeln lassen würde. Noch eine zerstörte Illusion, denn sie war das genaue Gegenteil der einheimischen Wirtin, die in meiner Fantasie herumgegeistert war. Gwen Jarrett war keine vollbusige Bauersfrau mit rundem, rosigem Gesicht und kräftigen Armen wie aus einer Puddingwerbung, sondern hatte ein langes, schmales Gesicht mit einem markanten Kinn, das ihr ein so pferdeartiges Aussehen verlieh, dass man ihr am liebsten einen Sack Heu angeboten hätte. Ihr Körper war flach wie ein Brett und steckte in einem makellos weißen Kittel, der die Vermutung nahegelegt hätte, die Tür zu meiner Linken führe zu einer Zahnarztpraxis, wäre da nicht das Schild gewesen, auf dem Aufenthaltsraum für Gäste stand.
Sie schob sich mir in den Weg und schirmte so das Licht ab, das aus der offen stehenden Haustür hereinfiel. Sie baute sich auf Zehenspitzen vor mir auf, was gar nicht nötig gewesen wäre, da sie sowieso schon einige Zentimeter größer war als ich. Einen Moment lang schwankte sie, fand dann aber schnell ihr Gleichgewicht und murmelte lächelnd: »Alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
»Ja, danke«, erwiderte ich, ohne mich zu rühren, während ich eindringlich auf das Stück Stoff ihres Kleides, das hinter dem V-Ausschnitt ihres Kittels zu sehen war, starrte, damit sie mir aus dem Weg ging. Es war eine blaue Seidenkreation durchzogen von Wirbeln aus Pastellfarben wie die Palette eines impressionistischen Malers.
Doch sie wich nicht von der Stelle. »Erkunden Sie die Gegend ein wenig?«
»Das hoffe ich.«
»Es ist noch ein bisschen ruhig hier, für junge Leute, während der Vorsaison.« Sie klang wie Margaret Thatcher, betont kultiviert, um ihre Herkunft zu verbergen, ohne dass es ihr wirklich gelang.
»Ich wollte es auch ruhig.«
Ihr musternder Blick aus blassen Augen verriet, dass sie Spekulationen darüber anstellte, warum ich wohl alleine hier war. Sie trat zur Seite und lächelte mich milde an, was sie jedoch noch mehr wie ein Pferd aussehen ließ, weil dadurch ihre Zahnprothese sichtbar wurde.
»Wir bieten kein Abendessen, aber Sie können gerne Tee bekommen, falls Sie später zurückkommen, um sich etwas auszuruhen«, sagte sie. Vielleicht dachte sie, ich müsse mich von einer langen Krankheit erholen, und wenn ich erst einmal ein paar Tage hier wäre, würde sie wahrscheinlich versuchen, sich mit mir über ihre Gallensteine oder Ähnliches auszutauschen.
»Danke«, antwortete ich und drückte meine Strandtasche an mich, als ich mich an ihr vorbeizwängte. Ich spürte ihren Blick noch immer auf mir, als ich durch die Tür ging, und so empfand ich es als wohltuend, in die frische Luft hinauszutreten. Das würde doch zu mir passen, in einem Hotel zu landen, das Cornwalls Version vom Bates Motel war! Kurz sah ich Will vor mir, der früher nachgiebig über mein Talent für solche Fehler gelächelt hatte, als er es noch für eine liebenswerte Macke und nicht für ein Ärgernis hielt.
Statt der steilen, schmalen Straße zu folgen, ging ich querfeldein durch das wuchernde Gras. Die kräftigen Halme pikten mich an den nackten Beinen, und die leichte Meeresbrise wehte vereinzelte kleine Schäfchenwolken über den Himmel. Irgendwann wurden die Hügel zu Sanddünen, in die sich hier und da Familien zurückgezogen hatten, um vor dem Wind oder zu viel Sonne oder vor den forschenden Blicken anderer Urlauber geschützt zu sein, wenn sie sich umzogen. Ich schlängelte mich zwischen ihnen hindurch, und der weiche lose Sand brannte an meinen Füßen, als meine Sandalen darin einsanken. Hin und wieder blieb ich stehen, um zum Horizont zu blicken und tief und genüsslich durchzuatmen. All das entsprach genau meiner Erinnerung. Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, wieder acht zu sein.
Es war Ebbe, und ich streifte die Sandalen ab, um auf dem kühlen, festen Untergrund zu laufen, den das Wasser zurückgelassen hatte. Die Ferien hatten noch nicht begonnen, also gab es bloß vereinzelt Familien mit kleinen Kindern, die Sandburgen bauten oder Strandkricket mit willkürlichen Regeln und Schaumstoffbällen spielten, doch ich wollte es noch einsamer. Zielstrebig folgte ich der Biegung des Strandes bis zum Anfang einer Landspitze, wo große Felsen bis ins Wasser ragten. Dort angekommen suchte ich mir einen großen, flachen Stein aus, dessen dunkelgraue Vorderseite, gegen die gerade erst eine Welle geschwappt war, so glatt und glänzend wie Seehundfell aussah.
Diesen Felsen belagerte ich, breitete mein Handtuch darauf aus und ließ meine Segeltuch-Schultertasche daneben fallen. Auch meine Sandalen stellte ich feinsäuberlich daneben ab, und ein Taschenbuch (das ich mir unter Zeitdruck und ohne großes Interesse am Inhalt ausgesucht hatte) fand ebenfalls auf dem Handtuch Platz. All diese Handlungen führte ich mit möglichst sparsamen Bewegungen aus, so wie ich es mir angewöhnt hatte, seit ich alleine war. Schon oft hatte ich mich während der vergangenen Monate dabei beobachtet, wie ich Aufgaben mit einer Genauigkeit erledigte, die der Person, die ich einmal war, vollkommen fremd gewesen war.
Ich saß auf dem Felsen, spürte seine trockene Wärme durch das Handtuch, schlang die Arme um die Knie und blickte blinzelnd hinaus aufs Meer, denn die Mittagssonne war selbst mit meiner sehr dunklen Sonnenbrille zu grell. Alles war friedlich. Ein großes, dampferartiges Schiff bewegte sich träge am Horizont, und die Stimmen der Familien am Strand, die von der Brise in die andere Richtung getragen wurden, waren kaum auszumachen, es waren nur leise, helle Laute.
Ich atmete bewusst aus. Deshalb war ich hier. Endlich hatte ich Zeit, meine Gedanken zu sortieren, nachzudenken, Pläne zu fassen, jetzt, da ich frei war.
Frei? Dieses Wort empfand ich als höhnisch, ein plattes Wort für leer,einsam, eine Beschönigung für verschmäht.
Ich hatte nicht gedacht, dass es so schlimm sein würde. Als ich den ersten Schock darüber, dass Will mich verlassen hatte, überwunden, seine erklärte Absicht, mit Lauren zusammenzuziehen, einigermaßen verkraftet und schließlich eingesehen hatte, dass es sinnlos war, an einer Ehe festzuhalten, die offensichtlich gescheitert war, hatte ich erwartet, dass ich die Sache genauso schnell verarbeiten würde, wie die Trennung an sich über die Bühne gegangen war.
Es gab allerlei gut gemeinte Plattitüden von Freunden und Leuten aus meiner Familie, die allesamt dachten, sie würden es verstehen, obwohl das ganz klar nicht der Fall war. Ihre tröstenden Worte nagten nur an meinen ohnehin schon überspannten Nerven, und ich musste mir so manche schroffe Antwort verkneifen, die sich stattdessen in meinem Kopf festsetzte.
»Wenigstens bist du noch jung genug, um noch mal neu anzufangen. Es wäre viel schlimmer, wenn du schon zehn Jahre älter wärst.« Und warum? Weil es dann viel schwieriger wäre, einen Ersatz für das offensichtlich mangelhafte Modell zu finden, das ich mir beim letzten Mal habe andrehen lassen? Nach dem Motto:›Sie sind nicht zufrieden, gnädige Frau? Keine Sorge, wir haben schon bald wieder neue Modelle auf Lager.‹
»Gott sei Dank habt ihr noch keine Kinder. Das macht doch alles viel einfacher.« Und schließlich hätten mich Kinder ja auch nur ständig daran erinnert, dass ich einmal in einem Glück geschwelgt habe, das offensichtlich auf Sand gebaut war.
Und meine Großmutter meinte: »Es hätte schlimmer kommen können. Du hättest auch Witwe werden können wie ich und für immer ein gebrochenes Herz haben können.« Wer sagt denn, dass die Trauer bei einer Scheidung bloß vorübergehend ist?
Manchmal wollte ich hinausschreien, dass ich mir wünschte, Will wäre gestorben. Denn dann wäre er in meiner und der allgemeinen Vorstellung derjenige geblieben, der es verdient hatte, dass ich ihm mein Leben hatte widmen wollen, und die Werte, an denen mir so viel lag, wären unverletzt und in der Unantastbarkeit der Toten bewahrt geblieben. Dann hätten alle anderen meine Klagen über die verlorenen glücklichen Zeiten akzeptiert; man hätte sich geduldig meine endlosen Erinnerungen an unsere berauschenden ersten Jahre angehört, und es wäre mir erlaubt gewesen, eine Vergangenheit zu haben, die der Rede wert ist. Meine Trauer wäre von den anderen als natürlicher Gefühlszustand anerkannt worden und nicht als Verbitterung abgetan und deshalb verdrängt worden. Und es wäre auch nicht immer wieder in ihren Reden und den Worten, die sie sich nur mühsam verkniffen, durchgeklungen, dass die Ehe, die ich mit all dem Optimismus von jemandem eingegangen war, der ehrlich liebte und zu diesem Zeitpunkt auch noch geliebt wurde, durch eine Unzulänglichkeit meinerseits ins Straucheln geraten sein musste.
»Gib dir mal einen Ruck«, hatte Jodie, die einzige jüngere Kollegin aus dem Büro, gesagt und darauf bestanden, mich mit in Bars und Clubs zu schleppen und mich ihren Freunden vorzustellen. Doch meine bissigen Antworten auf die wenig einfallsreichen Anmachsprüche von Männern, die meine Unnahbarkeit anfangs verführerisch fanden, waren von Jodie und ihren Freunden als Undankbarkeit aufgefasst worden, sodass sie mich schließlich nicht mehr gefragt hatte, ob ich mit ihnen ausgehen wolle. Und als ich dann auch noch anfing, die endlosen Bürozeiten damit zu füllen, meine Ablage immer sofort zu erledigen, meinen Posteingangskorb stets leer und meinen Schreibtisch penibel sauber zu halten, legte sie mir dringend nahe, mir therapeutische Hilfe zu suchen.
Doch ich hatte mein Tun bereits analysiert und brauchte niemanden, der mir die Gründe für meine Verhaltensänderung erklärte. Ich empfand die monotonen Aufgaben als tröstend, wie ein vernachlässigtes Kind, das sich in seinem Bettchen hin- und herwiegt. Indem ich mich ganz auf die gerade vor mir liegende Aufgabe konzentrierte und sie abarbeitete, konnte ich das unliebsame Nachgrübeln darüber, was geschehen war, den Schmerz über die Zurückweisung und die hässlichen Bilder meines hoffnungslosen Flehens, um ihn vom Gehen abzuhalten, abblocken.
Die Ruhe der vor mir liegenden Aufgabe besänftigte nach und nach die wirren Gedanken, die sich in meinem Kopf drehten, und ich wusste, dass sie mich, nachdem ich ihnen einmal ihren Lauf gelassen hatte, zumindest heute nicht mehr heimsuchen würden. Jetzt war mein Kopf erfüllt von Leere, ein schwebender Zustand, in dem ich nur wenig denken und fühlen konnte und in den ich in letzter Zeit häufig in den unmöglichsten Situationen verfiel, sodass es mir fast unmöglich wurde, auch nur die einfachsten Entscheidungen zu treffen, beispielsweise was ich zu Abend essen sollte.
Plötzlich bemerkte ich auf meinem Felsen aus den Augenwinkeln eine leichte Bewegung, weigerte mich jedoch strikt, mich danach umzudrehen.
»Alles in Ordnung«, ertönte eine raue Stimme. »Ich will gar nicht stören, aber es gibt hier bloß zwei flache Felsen, und die liegen fast direkt nebeneinander. Und da der, auf dem ich sonst immer sitze, nun nicht mehr frei ist, nehme ich einfach den da drüben.«
Jetzt drehte ich mich doch um. Mir lag eine spitze Bemerkung auf der Zunge, für den Fall, dass versteckte Feindseligkeit in den Worten lag. Eine große, dünne Frau, ich schätzte sie auf Ende fünfzig, hatte ihre Sachen bereits auf den Felsen geworfen und knöpfte sich nun ihre sehr verwaschene kurze Hose auf, unter der ein ebenso ausgeblichenes Bikiniunterteil zum Vorschein kam. Ihre Sonnenbräune war so tief in ihre Haut gebrannt wie bei einem Fischer, also musste sie eine Einheimische sein, die den ganzen Sommer draußen verbrachte. Sie hatte hellbraune Haare, die teilweise von der Sonne ausgebleicht waren und hie und da bereits Anzeichen von grauen Strähnen zeigten. Die Haare hatten entweder eine leichte Naturwelle oder waren seit Tagen nicht mehr gekämmt worden. Unter einem breiten Haarband lagen saphirblaue Augen, mit denen die Frau mich einen Moment lang eindringlich musterte. Dann zog sie sich, ohne ein Anzeichen von Befangenheit, das T-Shirt über den Kopf, und ihre nackten, leicht hängenden Brüste kamen zum Vorschein, genauso braun und verwittert wie der Rest von ihr.
»Keine Sorge«, sagte sie grinsend, »weiter gehe ich nicht. Kein FKK – schließlich sind wir hier in Cornwall!«
Ihr Grinsen war ansteckend, und ich antwortete mit einem Lächeln. »Möchten Sie lieber Ihren Felsen haben?«, erkundigte ich mich.
Doch die Frau hatte es sich bereits auf dem anderen Felsen bequem gemacht. »Nein, der hier ist vollkommen in Ordnung. Ich brauche bloß meine tägliche Dosis an ultravioletter Strahlung und von all diesen anderen schrecklich schädlichen Strahlen, die an meinen armen Gelenken Wunder wirken, und dann bin ich auch schon wieder weg.« Sie hatte die Augen geschlossen, doch als ich mich abwandte, fuhr sie unverblümt fort. »Aber wir können uns ruhig duzen. Und wenn du leicht einen Sonnenbrand bekommst, dann schmier dich besser ordentlich ein. Bei dem Wind merkt man nicht, wie stark die Sonne ist.«
Ich streckte mich auf meinem Felsen aus – in meiner kurzen Hose und dem Top fühlte ich mich ziemlich overdressed – und hing wieder meinen Gedanken nach. Meine Absicht, alleine wegzufahren, war je nach Stimmungslage und Hormonspiegel so unterschiedlich gewesen, dass ich jetzt, da ich hier war, nicht mehr recht wusste, was ich hier eigentlich wollte. Der Wunsch nach Einsamkeit, in der ich mich in meinem Leid suhlen, mir aber vormachen konnte, dass ich auf dem Weg der Besserung war, wetteiferte mit meiner pragmatischen Seite, die mir sagte, ich solle besser ein paar konkrete Entscheidungen über meine Zukunft treffen.
Und ganz gleich, was ich Juliet erzählt hatte, ich verspürte nach Monaten der unfreiwilligen Enthaltsamkeit sehr wohl immer wieder das Verlangen nach einem heißen Flirt mit einem unglaublich gut aussehenden Unbekannten, der mich unwiderstehlich fände und dadurch mein Selbstbewusstsein wieder aufmöbeln und als Rache für Wills Verrat herhalten würde, selbst wenn ich die Einzige wäre, die davon wüsste.
Meine Unentschlossenheit verwandelte sich durch das tröstende Geräusch der Wellen und die Hitze der Sonne in Trägheit. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich vor mich hingedöst hatte, als die Stimme der Frau wieder in mein Bewusstsein sickerte. »Es wird Zeit zu gehen, die Flut kommt, und das geht hier ziemlich schnell. Die Felsen hier werden bald überspült sein.«
Sie stand bereits, zog sich ihr T-Shirt über, als ich mich noch im Halbschlaf und leicht benebelt kerzengerade aufsetzte.
Die Frau lachte. »Keine Sorge. Du wirst nicht gleich von den Wassermassen verschlungen werden. Ich dachte bloß, ich sollte dich vorwarnen.«
»Danke«, sagte ich, erhob mich von ihrem Felsen und sammelte meine Sachen betont gemächlich zusammen, um der Frau zu zeigen, dass ich die Lage vollkommen einschätzen konnte. Ich wandte ihr den Rücken zu, während ich alles wieder in die Segeltuchtasche packte, und ging davon aus, dass sie davonschlendern würde, doch sie blieb solange stehen und sah mir zu, bis ich fertig zum Gehen war.
»Wo wohnst du denn?« Sie schloss sich mir an und gemeinsam sprangen wir von Stein zu Stein über die Felsen, und ihre langen, gebräunten Beine und die schlanken Hüften wirkten wie die einer Zwanzigjährigen. Der verwundete Teil von mir hatte eigentlich nicht die Absicht, mit Fremden ins Gespräch zu kommen, denen ich dann womöglich meinen aktuellen traurigen Status erklären müsste, doch es war unmöglich, ihr nicht zu antworten.
»Im Lansdowne.«
Die Frau blieb stehen und starrte mich ungläubig an. »An diesem grässlichen Ort? Ganz allein?« Und bevor ich ein Wort zu meiner Verteidigung sagen konnte, fuhr sie fort: »Jetzt sagst du bestimmt gleich, dass Gwen Jarrett deine Lieblingstante ist und ich mal wieder mitten ins Fettnäpfchen getreten bin!«
Doch ihr anhaltend breites Grinsen verriet, dass sie nicht wirklich ein Problem damit hätte, wenn es so wäre. Wieder merkte ich, wie ich lächelte. »In der Beschreibung klang es ganz nett.«
»Oh, das ist es auch zweifellos, wenn man über sechzig ist und Lärm und Kinder nicht ausstehen kann und das Meer eigentlich auch nicht mag, aber trotzdem herkommt, weil man es schon sein ganzes Leben so macht.«
»Ich war ja auch auf der Suche nach Ruhe und Frieden, als ich es gebucht habe«, hörte ich mich preisgeben, obwohl ich das gar nicht wollte.
Die Frau kniff scharfsinnig die Augen zusammen, während sie mich von der Seite ansah. »Und jetzt, wo du hier bist?«
Ich blieb stehen. »Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher«, sagte ich.
»Na ja, wenigstens ist es bloß mit Frühstück, also kannst du tagsüber hingehen, wo du willst. In der Bucht hier gibt es viel zu entdecken, viele Restaurants, wo man Leute kennenlernen kann – solltest du zu dem Entschluss kommen, dass es das ist, was du willst.« Sie streckte mir die Hand entgegen: »Ich bin übrigens Marsha. Hier in der Gegend kennen mich alle. Bin vor über dreißig Jahren mit einer Gruppe von Hippies und Anhängern der freien Liebe hierhergekommen, aber die hat es alle irgendwann zurück nach London gezogen, wo sie dann Bankangestellte oder so was in der Art wurden, und ich …«, sie lachte kurz auf, »… na ja, ich bin einfach hiergeblieben. Wenn du ein wenig Gesellschaft willst, kannst du dich gern an mich wenden.«
Ihr Händedruck war fest und trocken. Wenn wir uns in offiziellem Rahmen getroffen hätten, hätte ich sie mit ihrer geradlinigen Art und der etwas exzentrischen lockeren Zugänglichkeit wohl für die Frau eines Armeeoffiziers gehalten, wie sie in früheren Zeiten wohl auf dem indischen Subkontinent anzutreffen gewesen wären.
»Ich bin Allie«, sagte ich. »Danke. Vielleicht komme ich darauf zurück.«
Marsha nickte und marschierte dann zielstrebig und schnellen Schrittes über den Strand davon, was wohl signalisierte, dass sie ihrerseits momentan keinen weiteren Bedarf an meiner Gesellschaft hatte.
Als sie bereits ein Stück entfernt war, drehte sie sich noch einmal um, legte die Hände wie einen Trichter an den Mund und rief: »Ich bin heute Abend mit ein paar Freunden im Smugglers’. Komm doch auch, wenn du magst!« Sie wartete meine Antwort nicht ab, winkte mir nur noch einmal kurz zu und marschierte weiter. Ich beneidete sie für ihre lässige Art, freundlich zu sein.
Es war lange her, dass ich mich einer Gruppe von Freunden zugehörig gefühlt hatte.
3. Kapitel
Ich hatte natürlich nicht vorgehabt, auf Marshas Angebot zurückzukommen. Vermutlich sprach sie solche Einladungen allen gegenüber aus, die ihr über den Weg liefen. Ich verbrachte den Nachmittag damit, die Ansammlung von mehrheitlich weiß getünchten Häusern zu erkunden, die sich steil an der Strandpromenade erhoben, getrennt von schmalen Straßen und verlockenden Treppchen, die zu kühlen Gassen hinaufführten. Aus mehr bestand das kleine Städtchen, das bei den Einheimischen nur »Bay« hieß, nicht. Durch die anhaltend herunterbrennende Sonne hätte man es auch für einen Ort am Mittelmeer halten können, wenn man einmal von dem urenglischen Anblick der Vorgärten voller rankender Rosen und Fleißiger Lieschen in bröckelnden Terrakottatöpfen absah.
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