Die Grauen Krieger - S. N. Stone - E-Book

Die Grauen Krieger E-Book

S. N. Stone

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Beschreibung

Ein Student, der an den Orten schrecklicher Morde wach wird, ohne Erinnerung an die letzten Stunden. Eine Stadt, die sich im Ausnahmezustand befindet. Und Natascha die vom Schicksal immer wieder zu Caleb geführt wird. Mit ihm taucht sie in die Dunkelheit seiner Vergangenheit und Gegenwart ein. Nichts ist, wie es scheint und der Untergang der Menschheit, die Apokalypse, steht bevor. Wird Caleb sein Erbe antreten? Der letzte Teil der Trilogie der "Grauen Krieger"

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S. N. Stone

Die Grauen Krieger

Teil III: Offenbarungen

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Prolog

1. Donnerstag

2. Freitag

3. Samstag

4. Sonntag

5. Montag

6. Dienstag

7. Mittwoch

8. Donnerstag

9. Freitag

10. Samstag

11. Sonntag

12. Montag

13. Dienstag

14. Mittwoch

15. Donnerstag

16. Freitag

17. Samstag

18. Sonntag

19. Montag

20. Dienstag

21. Mittwoch

22. Donnerstag

23. Freitag

24. Samstag

25. Sonntag

26. Montag

27. Mittwoch

Epilog

Danksagungen

bisherige Veröffentlichungen und Homepage

Impressum neobooks

Widmung

Prolog

Er saß in der Vorlesung, aber er konnte dem Dozenten nicht folgen. Zu vieles war in seinem Kopf, was nicht dorthin gehörte. Ein Murmeln und Rauschen, Trauer, Wut, Freude, aber es waren nicht sein Murmeln, nicht seine Trauer oder Wut oder Freude. Er schloss kurz die Augen in der Hoffnung Ruhe zu finden, aber das war ein Fehler und er bereute sofort es getan zu haben.

Anfangs hatte er nur geträumt. Er hatte diese furchtbaren Bilder in seinen Träumen gesehen und sie waren verschwunden, wenn er aufgewacht war. Im Laufe der Zeit war es schlimmer geworden. Er träumte und wenn er aufwachte, lag er nicht in seinem Bett, sondern fand sich an Orten in Berlin wieder, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen war. Aber das war eigentlich nicht das Schlimmste, das Schlimmste an seiner Situation war, dass er an Orten wach wurde, an denen grausame Morde geschehen waren. Mit Blut beschmiert starrte er auf die toten Körper zu seinen Füßen. Bisher war es ihm immer gelungen unbehelligt in seine Wohnung zurückzukehren, nur um dann wenig später in den Nachrichten von einer weiteren Leiche zu hören, die gefunden worden war. Er war sich sicher, dass er diese Morde nicht begangen hatte, dazu wäre er gar nicht fähig gewesen, aber er hatte auch keine Erklärung für das, was geschah. Und wenn er die Augen schloss, dann sah er bruchstückhaft, wie diese armen Menschen getötet wurden. Er sah es nicht durch seine Augen, er sah es durch die Augen des Mörders.

Dass die Vorlesung zu Ende war, merkte er nur daran, dass die anderen Studenten ihre Sachen packten und den Raum verließen.

Auch er machte sich daran Stifte und Unterlagen in seinen Rucksack zu stopfen. Er wollte hier raus, musste hier weg.

Beim Verlassen des Hörsaals stieß er mit einer Mitstudentin zusammen. Er murmelte eine Entschuldigung und wollte weiter.

„Hey“, rief sie ihm hinterher, „ist alles O.K. mit dir?“

Er blieb stehen und drehte sich um. Julia, sie war erst seit diesem Semester hier auf der Uni. Sie hatten sich ein paar Mal miteinander unterhalten, sie war nett, er mochte sie.

Er nickte nur und lief weiter.

1. Donnerstag

„Das ist es, es ist perfekt!“ Julia hüpfte aufgeregt vor Natascha herum, die sich im Spiegel begutachtete.

„Ich weiß nicht ...“

„Tascha ich bitte dich, du siehst zauberhaft aus. Wie viele Kleider willst du noch anprobieren?“ Natascha zuckte mit den Schultern und betrachtete sich erneut.

„Vielleicht ein wenig gewagt?“

Julia würde gleich die Geduld verlieren. Zwei Stunden waren sie nun schon unterwegs.

Den Ku´Damm rauf und runter um ein Kleid zu finden, dass passend war, um es am Samstag zur Feier des 65. Geburtstages von Richard von Lahn zu tragen, zu dem sie und Tom eingeladen waren.

Julia runzelte die Stirn. „Du siehst zauberhaft darin aus, basta!“

Wieder schaute Tascha in den Spiegel.

Das schwarze Abendkleid hatte dünne Spaghettiträger und war an sich sehr schlicht gehalten.

Es endete kurz über den Knien und war aus einem leichten angenehmen Stoff.

Der eigentliche Clou an dem Ding aber war die Korsage und die Schnürung am Rücken, die ihre schmale Taille unglaublich betonte.

„Süße, du kannst es tragen und nein, es ist nicht zu gewagt, ganz ehrlich. Und das sage ich nicht weil ich keine Lust mehr habe mit dir durch die Läden zu ziehen, sondern weil es das Kleid für dich ist.“

Julia hatte Recht, Natascha fühlte sich gut in diesem Kleid und es war preislich auch absolut O.K.

„Ich nehms.“

Toms Schwester klatschte erfreut in die Hände.

„Super! Dann schnell zur Kasse, bevor du es dir doch noch anders überlegst und dann möchte ich noch gerne mit dir einen Kaffee trinken gehen.“

Als die beiden Frauen das große Kaufhaus verließen, umfing sie eine eisige Dezemberkälte und Natascha fischte nach ihren Handschuhen, die sie in die Manteltasche gesteckt hatte.

„Entschuldigung?“ Eine Männerstimme ließ sie in der Bewegung innehalten. „Ich glaube den haben sie eben verloren.“

Sie drehte sich um und ein Mann hielt ihr ihren Handschuh entgegen.

Tascha hob ihren Blick und schaute in zwei unglaublich wunderschöne grüne Augen.

Sekunden, Minuten, vielleicht sogar Stunden schienen zu vergehen, sie war nicht fähig sich zu rühren. Sie starrte den Mann einfach nur an und er sie.

Ihr Innerstes schien nach Außen gekehrt zu werden, ihr wurde heiß und kalt zugleich.

Sie hörte die Geräusche der belebten Straße nicht mehr und sie drohte den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Und dann war da Julias Stimme, die sie zurückholte.

„Natascha? Natascha! Hallo?!“

Tascha nahm den Handschuh ohne den Blick von dem Mann abzuwenden und ohne etwas zu sagen und auch der Mann schwieg.

Sie spürte, wie Julia sie am Arm griff und versuchte sie wegzuziehen.

„Haben Sie vielen Dank.“ Julia hatte das Reden für sie übernommen, dann zog sie sie mit sich.

Als sie ein paar Schritte gegangen waren, stellte Julia amüsiert fest: „Also er sah verdammt gut aus aber du warst ja wie paralysiert von ihm.“

Tascha konnte nur mit den Schultern zucken. Sie drehte sich noch einmal um und schaute zu der Stelle, an der sie den Mann hatten stehen lassen, er war verschwunden.

2. Freitag

„Also irgendwie glaube ich die Stadt dreht durch, ob es an der Kälte liegt? Im Sommer schieben wir es auf die Hitze im Winter auf die Kälte.“

Tom hatte sich ein Bier aus dem Kühlschrank genommen und sich an die Esstheke gesetzt, die die Küche vom Wohnraum trennte. „Schlägereien, Messerstechereien, Vandalismus, wir kommen kaum noch zur Ruhe. Es ist wie im Hexenkessel, alle spielen verrückt.“

Er trank einen Schluck. „Das Kleid, das du mit meiner Schwester ausgesucht hast, ist wunderhübsch, du wirst bezaubernd aussehen.“ Tom trank noch einen Schluck. „Ich hoffe ich schaffe es morgen pünktlich. Wir haben momentan einen Irren, vier Leichen in drei Wochen.“ Er schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich wollte über so was nicht mehr reden, ich weiß, aber ...“

Natascha bereitete das Abendessen zu, Hühnchen, frischer Salat und Baguette, ein Glas Rotwein für sie, ein Bier für Tom. Er hatte sich zu ihr gesetzt und beobachtete sie, und er unterhielt sich mit ihr, aber was er sagte, bekam sie kaum mit.

Der Tag im Museum war anstrengend gewesen und dann war da die Begegnung mit dem Mann gestern. Julia hatte sie noch eine Weile deswegen aufgezogen, sie hatte ja keine Ahnung. Tascha war sich nicht sicher gewesen, konnte es nicht glauben, wollte es nicht glauben, aber jetzt, heute, nachdem sie den ganzen Tag eigentlich nur daran gedacht hatte, da war sie sich sicher, es konnte nicht Caleb von Lahn gewesen sein, Mia hätte ihr gesagt wenn, er wieder aufgetaucht wäre. Seit er die Wahrheit über sich erfahren hatte, und dem Tod nur gerade so entkommen war, genauso wie sie selbst, war er verschwunden. Und eigentlich war das auch gut so, sie hasste ihn.

Er hatte sie manipuliert und benutzt und das nicht zum ersten Mal. Und sie war auf ihn hereingefallen. Sie hatte geglaubt, er würde etwas für sie empfinden und hatte ihre Beziehung zu Tom aufs Spiel gesetzt und dann hatte er sie fallen lassen, wieder einmal. Sie hatte sich einst geschworen, würde er ihr jemals wieder unter die Augen kommen, würde sie ihn in die Hölle zurückschicken, dahin, wo er herkam, aber sie hatte es nicht getan. Diesmal würde sie es tun das schwor sie sich.

„... ziemlich grausam zugerichtet.“ Tom verstummte. „Tascha? Hörst du mir überhaupt zu?“

Er saß nicht mehr länger auf dem Hocker, sondern war zu ihr gekommen und legte seinen Arm um ihre Schultern. Nein hatte sie nicht. Was hatte er gesagt? Tom lächelte sie liebevoll an.

„Hattest du einen harten Tag?“

Sie nickte. „Schon, entschuldige Schatz, ich war mit meinen Gedanken woanders. Was hast du gesagt?“

Ein paar Fetzen seiner Worte hatte sie mitbekommen. Wieder eine Mordserie, die Stadt spielte verrückt aber sie wollte davon nichts hören.

„Ich habe gesagt, dass ich noch gar nicht genau weiß, ob ich am Samstag mit zu den von Lahns kommen kann.“

Tascha schaute ihn böse an und ließ das Messer sinken.

„War ja klar. Wann haben wir das letzte Mal was gemeinsam gemacht? Du versuchst dich immer vor so etwas zu drücken.“

„Du wirst Mia und Josh haben und du kommst doch mit Elisabeth von Lahn gut klar.“

Tom nahm sie in den Arm. Sie schmiegte sich an ihn.

„Ich fühle mich dort alleine. Auch wenn ich es sehr nett finde, dass wir zu Richards Geburtstagsfeier eingeladen sind, ohne dich will ich nicht hin.“

Er schaute ihr tief in die Augen und Natascha kam nicht umhin an Calebs wunderschöne, leuchtend grüne Augen zu denken. Verdammt!

„Du wirst auch ohne mich gehen, das weiß ich. Ich kann doch nichts dafür, dass ich Dienst habe“, sagte Tom.

„Ich weiß aber ich glaube, dass es dir nur recht ist.“

Um ehrlich zu sein, war es wirklich so, er war nicht gerne mit jemandem aus dieser Familie zusammen, nicht einmal mit Mia und Joshua von Lahn ihren Freunden. Dafür gab es zwei Gründe, er und diese Familie kamen aus unterschiedlichen Schichten. Er, der einfache Polizist aus der Mittelschicht, die von Lahns, eine der wohlhabendsten Familien Europas aus der Oberschicht. Nicht sein Fall.

Der andere Grund war Caleb von Lahn. Der jüngste Sohn und Bruder von Joshua, Nataschas Exfreund. Undurchsichtig und unheimlich, erst recht nachdem er erfahren hatte, was dieser Kerl wirklich war. Das letzte Mal waren sie sich vor knapp eineinhalb Jahren begegnet und damals hatte sich Toms Weltbild komplett verändert. Er hatte von Dingen erfahren, von denen er lieber nichts gewusst hätte. Seit dem war nichts mehr wie vorher gewesen. Seit dem war seine Beziehung zu Natascha nicht mehr dieselbe.

Er versuchte die Gedanken beiseitezuschieben, dieser Abend gehörte Natascha und ihm, er sollte es genießen und er würde sich wirklich bemühen morgen mit ihr gehen zu können.

Natascha lag wach und starrte an die Decke, auf der sich die Lichter der vorbeifahrenden Autos bewegten. Sie war den ganzen Abend mit ihren Gedanken bei Caleb gewesen und bei dem, was geschehen war. Bisher hatte sie sich immer bemüht die Erinnerungen zu verdrängen und es war ihr im Laufe der Zeit gut gelungen, aber dieser Mann gestern hatte alles wieder hochkommen lassen. Die furchtbaren verstümmelten Leichen. Die Angriffe auf ihr Leben und letztendlich auch der Plan sie zu töten, um an Illjans Sohn heranzukommen, an Caleb. Illjan, der Dunkle Fürst, der Satan, der einst, vor Jahrtausenden die Menschheit hatte erzittern lassen.

Caleb von Lahn hatte nicht gewusst, dass er Illjans Sohn war und immer gewesen war. Einst war er ihm gefolgt, hatte an seiner Seite gekämpft und hatte ihm ewige Treue geschworen, ohne zu ahnen, dass er sein Vater war. Und dann hatte er es erfahren, von Damian, den er seinen Freund genannt hatte und der versucht hatte ihn zu vernichten und auch nicht davor zurück geschreckt war Natascha zu entführen und sie als Köder zu benutzen.

Eigentlich, so dachte Natascha, hätte all das was sie gemeinsam erlebt hatten zusammenschweißen müssen, doch stattdessen hatte ihr Caleb immer wieder unmissverständlich klargemacht, dass er sie nur benutzte und dann wegwarf. Und Tom fing sie auf, jedes Mal.

Sie drehte sich auf die Seite und beobachtete den Mann, der da neben ihr lag. Er war so gut, er liebte sie so sehr und er hielt immer seine Arme für sie auf. Und sie? Liebevoll strich sie Tom über das Gesicht. Ja sie liebte ihn auch, auch wenn sich ihre Beziehung verändert hatte.

3. Samstag

Natascha war im Salon der Villa der von Lahns und unterhielt sich gerade, als sie spürte, wie sich etwas veränderte. Es waren über hundert Gäste anwesend und sie hätte nicht sagen können, was es war. Es war ein Gefühl und sie hob den Blick. Sie schaute zu der Flügeltür und da stand er. Groß, schlank, muskulös, die sinnlichen Lippen, die grünen Augen, Tascha bekam eine Gänsehaut. Sie hatte sich nicht geirrt, er war wieder in Berlin. Sie schluckte schwer, er war nicht alleine. Eine Frau stellte sich an seine Seite und schaute zu ihm auf, dann schob sie sanft ihre Hand in die Seine. Natascha musterte die Frau mit zusammengekniffenen Augen. Sie war wesentlich kleiner als er und zierlich, hatte hüftlanges, kupferfarbenes Haar, das weich an ihrem Körper herabfiel, einen feinen, blassen Teint und blaue Augen. Sie trug ein langes, zartes, weißes Kleid, das unter der Brust geschnürt war und wie ein Wasserfall gen Boden floss. Sie sah wahnsinnig gut aus, erinnerte Tascha irgendwie an eine Elfe.

Caleb war der Kontrast, dunkel, nicht nur gekleidet, auch seine Aura war dunkel, geheimnisvoll und unheimlich. Natascha spürte die Eifersucht in sich aufwallen.

Jemand packte sie am Arm und sie fuhr erschrocken herum. Tom war mit den Getränken zurückgekommen.

„Er ist also da!“ Keine Frage eine Feststellung.

Natascha zuckte mit den Schultern. „Offensichtlich, was solls? Er gehört schließlich zur Familie.“ Sie gab ihm einen Kuss und zog ihn zur Seite, stellte sich jedoch so, dass sie Caleb und die Frau beobachten konnte. Leni und Lisa kamen herbeigerannt und warfen sich lachend in Cales Arme. Ihnen folgte Mia, mit ernster Miene stellte sie sich vor ihren Schwager und da Natascha und Tom nahe genug bei ihnen standen, konnte sie genau hören, was sie sagte.

„Was willst du hier? Wenn du gekommen bist, um Ärger zu machen setzte ich dich eigenhändig vor die Tür.“ Sie klang wütend, versuchte aber leise zu reden, um nicht allzu viel Aufmerksamkeit auf die Situation zu lenken.

Caleb lächelte: „Ich bin eingeladen worden und möchte mit meinem Vater Geburtstag feiern, mehr nicht.“

Mia nickte. „Ich hoffe es für dich. Kommt Kinder, lasst Onkel Caleb in Ruhe.“

Dann drehte sie sich um, schob die beiden Mädchen vor sich her, die nur widerwillig mit ihr gingen. Natascha beobachtete Caleb, der mit seiner Begleiterin durch den Salon ging und im Kaminzimmer verschwand. Ihr Herz pochte. Sie war sich sicher, dass er sich ihrer Anwesenheit und ihrer Gefühle bewusst war, aber er hatte sie keines Blickes gewürdigt. Mia kam zu ihnen. In der Hand hatte sie ein Glas Champagner, das sie schon zur Hälfte geleert hatte und nun kippte sie auch noch die andere Hälfte herunter.

„Das geht nicht gut! Das weiß ich!“

Zusammen gingen sie zu einer Sitzgruppe und nahmen Platz, Tom auf der einen, Natascha auf der anderen Seite von Mia. Diese schüttelte den Kopf.

„Da lässt er sich fast eineinhalb Jahre nicht blicken und dann das, taucht einfach so hier auf. Das endet doch wieder im Chaos.“

Natascha wusste, dass Caleb, nachdem er damals aus dem Kloster verschwunden war, geradewegs zu seiner Mutter gefahren war und sie zur Rede gestellt hatte. Es hatte in Beschimpfungen und Schuldzuweisungen geendet und damit, dass Richard ihn hinaus geschmissen hatte. Elisabeth von Lahn hatte gewusst, dass der leibliche Vater von Caleb, Illjan, der Dunkle Fürst, war und auch was das bedeutete. Sie hatte es ihrem Sohn nie gesagt. Sie hatte ihn schützen wollen, hatte es Illjan versprochen. Es war gefährlich Illjans Sohn zu sein, wie mächtig Jarik, so war Calebs wahrer Name, auch sein mochte, zu viele trachteten dem Dunklen Fürsten und seinem Nachkommen nach dem Leben. Illjan war immer sein Vater gewesen.

„Wer hat ihn denn eingeladen?“ Tom starrte beim Reden aus dem Fenster.

„Ich weiß nicht, aber ich denke es war Elli. Sie hat Gewissensbisse und ich kann sie verstehen, er ist ihr Sohn.“

„Na von mir aus hätte er bleiben können, wo der Pfeffer wächst.“ Er stand auf und ging in Richtung Bar.

Natascha schaute ihm nach.

„Calebs Auftauchen scheint nicht nur mir Kopfzerbrechen zu bereiten“, stellte Mia fest.

„Er hat Angst vor dem, was Cale ist und vor dem, was es auf dieser Welt noch gibt und er hat Angst mich zu verlieren.“

„Hat er denn Grund dazu? Ich meine du müsstest doch von Caleb geheilt sein.“

„Das bin ich“, sagte Tascha mit wenig Überzeugung.

„Solltest du auch, er ist durch all das nicht weniger gefährlich geworden, im Gegenteil.“

Natascha nickte, „Ich weiß.“

Der Abend plätschert unangenehm dahin. Tom hatte wegen des Auftauchens von Caleb schlechte Laune und sie selbst war darauf bedacht einen Blick auf Caleb und seine Begleiterin zu erhaschen, und ihnen gleichzeitig aus dem Weg zu gehen. Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie gegangen, aber das wäre Richard und Elisabeth gegenüber unhöflich gewesen. Eigentlich wollte sie es ja auch nicht. Caleb zog sie irgendwie an und gleichzeitig hasste sie ihn.

Tom befand sich häufiger an der Bar, als bei ihr, irgendwann kam er gar nicht mehr zurück. Tascha hatte ein wenig Small Talk betrieben und genug gelächelt und Freundlichkeiten ausgetauscht und so schlich sie sich in die Bibliothek und ließ sich auf einem der Lesesessel nieder. Nur einen Moment die Augen schließen, dachte sie und lehnte sich zurück. Jemand kam herein und sie öffnete die Augen wieder.

„Oh Entschuldigung.“

Es war die feenhafte Frau, die Caleb begleitete, ihre Stimme war so melodisch und warm.

„Ich wollte Sie nicht stören.“

Die Frau wartete keine Antwort ab, sondern setzte sich auf den Sessel, der Nataschas gegenüberstand. Lediglich ein kleiner Tisch trennte sie voneinander.

„Sind Sie auch geflüchtet?“

Sie schaute Tascha lächelnd an, diese nickte nur.

„Ich finde solche Veranstaltungen äußerst ermüdend.“

Das Lächeln lag weiterhin auf ihren Lippen.

„Oh wie unhöflich von mir, ich habe mich gar nicht vorgestellt. Ich bin Rika.“

„Natascha“, antwortete Tascha einsilbig.

Sie hatte par tout keine Lust auf eine Unterhaltung mit dieser Person.

„Ah ich habe von Ihnen gehört, Sie sind eine sehr gute Freundin von Mia von Lahn, hab ich recht?“ Wieder nickte Tascha nur. Hatte Caleb von ihr erzählt?

„Ich bin eine Freundin von Caleb von Lahn.“

Oh gut, nur eine Freundin! Natascha biss sich auf die Zunge, verdammt, und wenn er sie vögelte, was hätte das für eine Bedeutung für sie?

„Na ja, wenigstens ist bisher alles gut gegangen. Im Nachhinein war ich mir nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war ihn dazu zu überreden hierher zu kommen. Aber als seine Mutter angerufen hat und ihn eingeladen hat, habe ich einfach gedacht es wäre eine Möglichkeit für ihn mit seiner Familie wieder ins Reine zu kommen.“

Sie war wirklich hübsch und ihre Stimme war so schön. Ein vorsichtiges Gespräch entstand zwischen den beiden und Tascha erfuhr, dass Rika aus Irland kam und Caleb dort die letzten Monate verbracht hatte. Zu ihrer Bestürzung war die junge Frau sehr nett. Es wäre ihr lieber gewesen, sie hätte sie nicht ausstehen können. Irgendwann entschuldigte sich Rika, sie wollte in den Salon zurückgehen und sich wieder unter die Leute mischen. Sie stand auf und beugte sich zu Natascha hinüber, um ihr die Hand zu reichen.

„Es war nett Sie kennengelernt zu haben.“

Tascha ergriff ihre Hand, die unheimlich kalt war, sodass sie sie erschrocken wieder los ließ. Sie zwang sich zu einem Lächeln und sagte: „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Wahrscheinlich laufen wir uns heute Abend sowieso noch einige Male über den Weg.“

„Wahrscheinlich.“ Rika schaute ihr in die Augen und Natascha bekam eine Gänsehaut. Es war nur ein kurzes Aufflackern gewesen, aber dieses Flackern hatte nichts Elfenhaftes mehr an sich. Lächelnd drehte sich die Frau um und ging.

Natascha kehrte nicht in den Salon zurück, sie entschied sich, auf die Terrasse zu gehen. Das, was sie glaubte eben gesehen zu haben, machte ihr Angst, obwohl sie doch schon so viel gesehen hatte und wusste, dass es so viel Unheimliches gab. Diese Frau war kein helles Wesen, auch wenn es den Anschein machte. Diese Frau hatte etwas Böses an sich, ob Caleb sich dessen bewusst war?

Noch während sie die Terrassentür aufschob, spürte sie ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Die Luft war klar und rein, aber eisig. Kurz überlegte Natascha, ob sie zurückgehen und sich ihren Mantel holen sollte, als sie den dunklen Schatten einer Gestalt am steinernen Geländer stehen sah, die ihr den Rücken zuwandte. Sie wusste, dass es Caleb war, und machte einen Schritt rückwärts, um unbemerkt wieder zu verschwinden.

„Bleib“, seine Stimme hallte durch die Dunkelheit, „ich werde gehen.“

Er drehte sich um und kam auf sie zu, Nataschas Herz klopfte. Als er an ihr vorbeiging, schien es, als zögere er kurz, ganz kurz, dann war er verschwunden. Nein sie war nicht über ihn hinweg und sie hielt es auf der Terrasse auch nicht lange aus, es war viel zu kalt. Sie wollte nach Hause, ganz gleich was die von Lahns darüber denken würden.

Es war komisch wieder auf Natascha zu treffen, obwohl ihm klar gewesen war, dass es früher oder später geschehen musste. Vorgestern in der Stadt hatten sich ihre Wege bereits gekreuzt. Das Schicksal war unerbittlich und führte sie immer wieder zu ihm. Was würde diesmal geschehen?

Auf der Suche nach Tom lief sie durch den Salon in die Eingangshalle und traf auf Joshua und Caleb die sich heftig stritten. Calebs Augen funkelten bedrohlich und Joshs Gesicht war wutverzerrt. Natascha blieb ein Stück zurück und wurde Zeuge wie Josh immer lauter und lauter wurde.

„Du bist verantwortungslos! Du bist und bleibst ein scheiß Bastard!“

Joshs Zunge war schwer, er hatte wohl schon einiges getrunken.

„Ich habe dich gebraucht und du, wo warst du? Und heute tauchst du auf, vielen Dank auch. Aber ich werde dich anscheißen, ich schwöre es! Ich werde einen Weg finden dir so in den Arsch zu treten, dass du dir wünschst, nie geboren worden zu sein.“

„Lass mich in Ruhe! Ich wollte damit nichts zu tun haben, das habe ich dir gesagt“, zischte Cale böse.

Joshua wurde immer lauter und mittlerweile erregte der Streit Aufmerksamkeit und die ersten Gäste schauten sich erstaunt nach den beiden um.

„Aber genommen hast dus doch!“

„Es ist alles noch da, keine Sorge. Ich hab gesagt ich will es nicht und so ist es auch! Lass mich in Ruhe! Ich -“

Joshua fiel seinem Bruder ins Wort: „Du bist so ein arrogantes Arschloch!“

Und dann holte Josh aus und schlug Caleb mit einer Wucht die Faust ins Gesicht, wie Natascha es ihm niemals zugetraut hätte. Sie bekam Panik, hatte Angst, dass der Streit weiter eskalieren würde. Cales Augen funkelten nicht mehr nur, sie glühten. Sie fühlte, wie seine Macht sich in ihm ausbreitete und um ihn herum eine dunkle Aura entstand. Und plötzlich war Tom bei Caleb.

Tom hatte beobachtet, wie Joshua seinem Bruder die Faust in das Gesicht geschmettert hatte und in Bruchteilen einer Sekunde registriert, was passieren würde, wenn Caleb von Lahn dieser Provokation nachgeben würde. Er musste verhindern, dass es zum äußersten kam. Er mochte Caleb von Lahn nicht, und wenn er ehrlich war, hatte er mehr als nur Respekt vor ihm und dem was er war, trotzdem.

Tom stand hinter ihm und berührte ihn nur ganz leicht am Rücken. „Nicht!“, flüsterte er ihm zu und machte sich auf das gefasst was jetzt geschehen würde. Er rechnete mit dem Schlimmsten, aber Caleb neigte nur etwas den Kopf. Er schien sich unter Kontrolle zu haben.

Richard stürmte herbei, gefolgt von Elli und Mia.

„Das ist eine absolut bodenlose Unverschämtheit!“ Er baute sich vor Caleb auf. „Verschwinde aus diesem Haus und lass dich niemals wieder hier blicken“, raunte er ihm mit zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen zu. 

Cale schaute ihn verständnislos an.

„Du gehörst hier nicht her. Du wirst hier niemanden mehr terrorisieren oder manipulieren, geschweige denn in Gefahr bringen. Ich habe es satt, du mit deinen Eskapaden, du gottloses Wesen! Lass deine Mutter in Ruhe, deinen Bruder und seine Familie und mich auch, verschwinde!“ Richards Hass gegen Caleb war so groß, dass man es körperlich spüren konnte.

Caleb antwortete nicht weniger feindselig. „Ich habe nichts gemacht!“

Nataschas erblickte Rika, die etwas abseits stand. Sie fixierte Richard und ihre Augen hatten eine dunkel violette Farbe angenommen. Sie sah aus, als warte sie nur darauf ihm die Kehle aufreißen zu dürfen.

„Es wäre besser du gehst.“ Mia hatte sich zu ihrem Mann gestellt und Caleb war offensichtlich bestürzt, dass sie sich nun auch gegen ihn wandte.

Dann nahm sein Gesicht wieder den harten und kalten Ausdruck an und er nickte.

„Alles klar! Mutter“, er deutete eine Verbeugung an, „vielen Dank für deinen Beistand, wieder einmal!“ Er verzog den Mund zu einem verächtlichen Lächeln. „Mia ...“

Dann gingen Caleb und Rika.

Richard richtete sich an die Gäste die, angelockt von dem Streit, in der Halle standen: „Meine lieben Freunde, ich entschuldige mich für diese kleine Unannehmlichkeit. Ein Streit unter Brüdern. Wir werden die Angelegenheit innerhalb der Familie klären.“ Er lächelte gewinnend. „Lassen wir uns den Abend nicht verderben.“

Er legte Elli den Arm um die Hüfte und führte sie in den Salon, Josh folgte ihnen, Mia blieb ein wenig zurück.

„Ich möchte nach Hause Tom“, sagte Natascha.

Er nickte. „Ich werde unsere Mäntel holen, dann können wir hier verschwinden.“

„Schatz?“

Er blieb stehen.

„Danke“, sagte sie.

„Ich finde die waren unfair zu ihm!“, antwortete er, dann lief er weiter.

Natascha wollte sich wenigstens von Mia verabschieden und dann weg hier.

Ihre Freundin stand noch an der Tür zum Salon, hatte sich an den Rahmen gelehnt und schaute zur Bar, an der sich Joshua großzügig bediente.

„Mia wir müssen gehen, lass uns morgen telefonieren.“

„Ja, schade ich hätte gerne noch ein wenig Beistand gehabt.“ Sie lächelte gequält und ihr Blick wanderte zu Josh.

„Sei mir nicht böse, aber ich glaube es ist besser so.“

Sie umarmten einander und dann machten sich Tascha und Tom auf den Weg nach Hause.

Caleb war sauer und enttäuscht. Rika und er saßen im Mietwagen und fuhren zum Hotel. Er fühlte, dass Rika angespannt war und schaute zu ihr herüber.

„Hey lass es gut sein.“

Sie würde noch jemanden töten, wenn er nicht aufpasste.

„Zum Kotzen diese Menschen.“

Ihre Augen waren violett und die Knochen in ihrem Gesicht traten hervor und verzerrten ihr elfenhaftes Aussehen zu einer Angst einflößenden Fratze.

„Wieso lässt du dir das gefallen? Du hättest die Macht ...“

„Schweig!“, unterbrach er sie.

Auch Caleb hatte sich verändert. Die Augen funkelten übernatürlich grün, seine Haut war beinahe transparent und unter ihr pulsierten die violetten Linien seiner Adern. Seine Eckzähne waren zu spitzen Reißzähnen geworden. Er hatte die Worte nicht laut, aber bestimmt gesprochen.

„Es ist meine Familie und ich lasse mir von dir nicht sagen was ich zu tun oder lassen habe!“

Er mochte Rika, sehr sogar, aber sie war eine Furie, eine Rachegöttin, und er musste sie im Zaum halten, wenn er sich von ihr nicht in ihren Bann ziehen lassen wollte.

Sie nahm wieder ihre menschliche Gestalt an und hatte das elfenhafte Aussehen, mit dem sie jeden blendete, der es nicht besser wusste, um ihn dann in ihr Netz aus Rache einzuspinnen.

Er blieb so, wie er war, er hatte keine Lust ein Mensch zu sein, nicht heute Abend. Er wollte der dunkle Krieger sein, der er war, der Empath, der Killer.

Er ließ Rika vor dem Hotel aussteigen. Er wollte noch nicht in das Zimmer zurückkehren, war viel zu aufgewühlt. Auch ihre Gesellschaft würde ihn nicht von seinen dunklen Gedanken ablenken und so fuhr er ohne ein Ziel zu haben los.

Natascha und Tom hatten gerade die Tür ihrer Wohnung hinter sich geschlossen und ihre Mäntel angehängt, als Taschas Handy klingelte. Sie fischte es aus ihrer Tasche und zog sich dabei die schwarzen Pumps aus, um sie in die Ecke des Flurs zu schleudern. Die Dinger hatten fast den ganzen Abend gedrückt. Sie schaute auf das Display und sah, dass es Mia war. Tascha seufzte und verdrehte die Augen, sie hatte keine Lust jetzt zu reden. Viel lieber wollte sie mit Tom noch ein Glas Wein auf dem Balkon trinken, über die hell erleuchtete Stadt schauen und alles vergessen. Vor allem wollte sie Caleb vergessen. Das Handy klingelte wieder, sie ging nicht ran. Erst beim fünften Mal drückte sie genervt auf die grüne Taste.

„Ja“, meldete sie sich. „Tascha ...“,

Mia schluchzte: „Tascha, Josh hatte einen schweren Unfall.“

Oh Gott! Natascha war bestürzt.

„Was ist passiert? “

„Er hat mit dem Auto einem Lkw die Vorfahrt genommen.“

Sie weinte wieder und Natascha verstand sie kaum.

„Wo bist du?“

„Im Krankenhaus.“

„Soll ich kommen?“

„Ja.“ Mia weinte weiter.

„Gut, in welchem seid ihr?“

Mia gab die Adresse durch und dann legten sie auf. Tom hatte sich seine Schuhe schon wieder angezogen und stand, den Mantel im Arm, im Flur.

„Wohin muss ich dich fahren?“ Er lächelte sie liebevoll an.

Atemlos erreichten sie die Notaufnahme und erkundigten sich, wo sie Joshua von Lahn finden konnten. Tom hatte seinen Dienstausweis vorgelegt und so bekamen sie die Information schnell und ohne Probleme.

Als sie den Krankenhausflur entlang eilten, kam ihnen Mia entgegen und warf sich Natascha in den Arm.

„Danke, ich bin so froh, dass du da bist.“

Sie griff sie bei der Hand und zog sie mit sich zum Wartebereich, wo auch Elisabeth und Richard waren. Alle waren noch festlich gekleidet, ein groteskes Bild hier zwischen den weißen Wänden des Krankenhauses.

„Wie ist das geschehen?“, fragte Tom.

Mia war gefasster als eben noch am Telefon, sie weinte nicht mehr und antwortete ihm.

„Nach dem Streit mit Caleb hat er sich volllaufen lassen. Genug hatte er ja eigentlich schon vorher und dann ist er völlig ausgeflippt. Hat geschrien, dass er diesem Bastard Einhalt gebieten wird, hat sich die Autoschlüssel geschnappt und ist rausgestürmt und mit dem Auto weg. Es ist alles so schnell gegangen. Ich wollte ihm noch hinterher, ihn aufhalten, aber dann war da schon der Knall.“ Mia schüttelte den Kopf. „Der Wagen ist total zerquetscht worden. Ein Wunder, dass er da lebend raus kam.“

Tascha drückte die Hand ihrer Freundin ganz fest.

„Was sagen die Ärzte?“

Mia zuckte mit den Schultern.

„Sie können noch nicht allzu viel sagen, aber es scheint ihm den Umständen entsprechend gut zu gehen. Das hat mich ein wenig beruhigt. Er hatte wohl einen Schutzengel an seiner Seite.“

„Wo sind die Kinder?“

„Wir haben sie bei Dorit gelassen.“

„Lasst uns doch rüber gehen.“ Richard deutete auf den Wartebereich, in dem blaue Plastikwartebänke standen. In diesem Moment klingelte Toms Handy. Er nahm das Gespräch an und ging ein Stück zur Seite, um ungestört reden zu können.

„Dazu hätte es nicht kommen sollen.“

Elli schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch. Richard legte ihr den Arm um die Schulter, als Tom zu ihnen zurückkam.

„Schatz es tut mir leid, ich muss zum Dienst, ein weiterer Mord. Elisabeth, Richard, Mia, ich denke an euch.“

Er gab Tascha einen Kuss und ging. Richards schaute Tom hinterher, als ihm seine Gesichtszüge plötzlich völlig entglitten. Natascha drehte sich um und sah, wie Caleb schnell auf die kleine Gruppe zukam. Richard ließ Elli los und trat ihm entgegen.

„Was willst du hier?“, fragte er böse.

„Ich habe Bescheid bekommen, dass Josh einen Unfall hatte.“

Richard schaute seine Frau an die ihren Blick senkte.

„Du bist schuld an seinem Zustand! Verschwinde! Du hast hier nichts verloren, wir wollen dich nicht hier haben.“

„Was?“ Cale lachte auf. „Was habe ich damit zu tun, dass er betrunken sein Auto zu Schrott fährt?“ Mia mischte sich ein: „Euer Streit -“

„Ja, du konntest es ja wieder mal nicht lassen“, fiel ihr Richard ins Wort.

Natascha sah das Funkeln in Calebs Augen und das Pulsieren unter seiner Haut, er war wütend. Er schaute Richard tief in die Augen und der wich ein Stück zurück.

„Ich habe es schon vorhin gesagt“, seine Stimme hatte einen drohenden Ton, „ich habe nichts gemacht! Und selbst wenn, ich habe ihn wohl kaum ins Auto gesetzt und gesagt fahre betrunken gegen einen Lkw!“

Richard schluckte schwer und krächzte: „Hör auf damit.“

Tascha konnte es fühlen, Caleb ließ Richard fallen, in die dunklen und grausamen Abgründe seiner Seele. Er verstärkte Richards Emotionen, dessen Ängste und wenn Cale nicht aufhören würde, würden die Qualen Richard von Lahns unfassbar werden. Dann hörte Caleb auf.

„Verschwinde!“, stöhnte Richard.

„Nein! Falls ich mich nicht irre, ist das hier ein öffentliches Krankenhaus. Du kannst mir also wohl kaum verbieten hier zu sein.“

„Dann halte dich wenigstens von uns fern.“

Richard ging zur Sitzbank und Elli und Mia liefen hinterher. Tascha zögerte, sie sah den Schmerz in Calebs Augen, doch dann ließ auch sie ihn stehen.

Sie warteten fast eine Stunde, kein Arzt hatte ihnen bisher etwas Genaues sagen könne. Joshua wurde operiert und der Eingriff verlief planmäßig, mehr wussten sie nicht. Zwischenzeitlich waren die von Lahns von einem Polizeibeamten befragt worden, denn immerhin hatte Josh sich betrunken ans Lenkrad gesetzt und einen Verkehrsunfall verursacht das würde Folgen haben. Diese Plastikbänke waren unglaublich unbequem und Natascha musste sich mal die Beine vertreten. „Möchte jemand von Euch einen Kaffee?“, fragte sie.

Nein, keiner wollte. Sie warf einen Blick hinüber zu Caleb, der sich ein ganzes Stück entfernt hingesetzt hatte. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und seine Augen geschlossen, die Beine von sich gestreckt. Er tat ihr leid.

4. Sonntag

Es war kurz nach Mitternacht und die Cafeteria hatte bereits geschlossen. Es gab aber ein paar Automaten mit gekühlten Getränken und abgepackten Snacks und auch einen mit Heißgetränken. Natascha steckte Geld in den Schlitz und entschied sich für einen Kaffee mit Milch und Zucker, dann zog sie einen Zweiten. Die heißen Becher in der Hand kehrte sie in den Wartebereich zurück. Sie setzte sich auf den Sitz neben Caleb und hielt ihm einen der Becher hin.

„Ich weiß, dass du keine Schuld hast, ich hab alles mitbekommen.“

Er öffnete die Augen und schaute sie an. Tascha bekam eine Gänsehaut, er war so schön, trotz der Narben, die sein Gesicht zeichneten und der Müdigkeit.

Er nahm den Kaffee. „Danke. Willst du nicht lieber wieder zu den anderen?“

Tascha schüttelte den Kopf. „Nein die sind nicht alleine, du schon.“

Er lächelte. „Die magst du, aber mich hasst du.“

„Ja, ja da magst du recht haben.“ Sie musste grinsen. „Aber was solls, zieht mich doch immer wieder zu dir.“

Sie schwiegen für einen Augenblick und Tascha versuchte Ihre Gefühle zu verbergen.

„Lass es sein, es klappt nicht. Aber keine Angst ich verrate es niemanden“, sagte Caleb trocken und Natascha wurde rot.

„Deine Freundin ist nett“, versuchte sie abzulenken.

Er schüttelte den Kopf. „Nein, ist sie nicht, aber ich habe keine Probleme mit ihr.“

„Ich habs gesehen.“

Sie trank einen Schluck. Widerliches Zeug, trotz des Zuckers und der Milch.

„Warum hat Josh den Streit angefangen?“

Natascha ignorierte die Blicke, die ihr die von Lahns zuwarfen.

Caleb zuckte mit den Schultern. „Er hat versucht mich zu erreichen, ich habe nicht reagiert.“

„Das ist alles?“

„Naja, er hat mich an seiner Firma beteiligt. Er hat von unserer Mutter Geld bekommen, das mir gehört hätte, ich wollte es aber nicht. Und Josh wollte es damit zurückzahlen. Leider ist der Anteil recht groß und er hat mich für eine Entscheidung oder Unterschrift benötigt und es war mir egal, weil ich damit nichts zu tun haben will. Da war er sauer, hat wohl einen Auftrag verloren dadurch.“ „Das Geld hast du gar nicht genommen oder?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, es ist noch alles auf dem Konto, auf das er es überweist.“

„Warum bist du zur Geburtstagsfeier gegangen?“

„Ich war eingeladen.“

„Und der wahre Grund?“

„Keine Ahnung, wollte mal sehen was die sagen, wenn ich da auftauche“, sagte er grinsend.

„Und warum bist du nach alledem hier?“

Er zögerte kurz, dann sagte ganz sachlich: „Er ist trotzdem mein Bruder, dass ihm etwas passiert wollte ich nicht. Ich kann spüren, wie es ihm geht und es fühlt sich nicht gut an. Ich werde verschwinden, wenn ich weiß, dass er in Ordnung ist und ich werde nicht zurückkommen. Nicht mal Mia möchte mich noch in ihrer Nähe haben aus Angst ich würde ihre kleine, heile Welt zerstören, die sie sich so krampfhaft aufrechterhält. Aber eines Tages wird es sich rächen, dass sie Josh nicht erzählt, was sie wirklich ist. Die Kinder werden sie verraten, aber das ist nicht mehr mein Problem.“

„Was hast du getan, seitdem das alles passiert ist?“

„Ich habe versucht mich aus allem raus zu halten. Ich bin kein Bewahrer mehr.“

„Ich dachte dem kann man nicht entkommen?“

Cale lächelte. „Was sollen sie denn machen? Mich zwingen? Die Zeit ist vorbei. Ich bin Illjans Sohn, ich bin ein dunkler Krieger, ich war ein Führer und ich bin mächtig. Ich kann mich wehren. Ich weiß nicht, wie es enden wird oder was ich tun werde, ich habe noch keinen Plan. Aber ich werde mich nicht mehr beherrschen lassen.“

„Du willst in die Fußstapfen deines Vaters treten?“

„Und was tun?“ Er klang amüsiert.

„Die Menschheit tyrannisieren!“

„Und sie mir Untertan machen!“ Er lachte auf. „Nein, ich glaube nicht. Das wollte ja nicht einmal Illjan. Ich will nur das, was mir zusteht.“

„Aber er war grausam.“

„Das bin ich auch.“

Sie schaute ihn an, lange, dann sagte sie: „Ich weiß.“

Er hatte sich verändert, sie konnte nicht sagen, ob es ihr gefiel.

„Was ist mit Damian?“, fragte sie.

„Was soll mit ihm sein? Er ist tot und das ist gut so. Wäre er es nicht, würde ich dafür sorgen.“

„Er war dein Freund, du hast ihm vertraut.“

„Ja und das war ein Fehler. So etwas wird mir nicht wieder passieren“, sagte er kalt.

„Caleb ...“

„Nein, es ist schon gut. Ich habe gelernt, dass es nichts bringt. Nicht mal meine Familie steht hinter mir, meine Freunde sind keine Freunde, sondern Feinde, es ist O.K.“

Er war verbittert und das machte ihn gefährlich. Seine Macht war so groß, dass er viel Unheil anrichten konnte.

„Keine Sorge ich mache nichts Unüberlegtes.“

Er war in ihre Gefühle eingedrungen.

„Danke für den Kaffee, aber du solltest jetzt zu Mia zurück, sie braucht dich.“

Ja vielleicht sollte sie das, er brauchte ja offensichtlich niemanden.

Eine halbe Stunde später erfuhren sie von einem Arzt, dass es Joshua gut ging. Er hatte einen komplizierten Schlüsselbeinbruch, der operativ behandelt werden musste, da Nerven und Blutgefäße verletzt worden waren, ansonsten Schnitt- und Schürfwunden. Man hatte ihn auf innere Verletzungen hin untersucht, konnte aber Entwarnung geben. Ein paar Tage würde er zur Beobachtung in der Klinik bleiben müssen, aber dann würde er wieder nach Hause können. Die Heilung würde schnell vonstattengehen. Alle waren erleichtert.

Natascha rief bei Tom an und erfuhr, dass es bei ihm noch dauern würde. Eine zweite Leiche war entdeckt worden, wahrscheinlich derselbe Täter, er musste zum Tatort. Sie vereinbarten, dass Tascha mit einem Taxi nach Hause fahren würde.

Elli ging zu Caleb, um ihm zu sagen, dass es Josh gut ging. Natascha beobachtete die beiden, auch Cale schien erleichtert, wenn er auch Distanz wahrte. Sie kam zurück, sie, Mia und Richard würden noch kurz bei Joshua rein schauen, dann zusammen nach Hause fahren. Natascha verabschiedete sich, es war spät und sie wollte in ihr Bett. Caleb war nirgends mehr zu sehen.

Sie fand ihn vor dem Krankenhaus. Er stand an die Wand gelehnt und rauchte eine Zigarette, seine Hand zitterte ganz leicht. Natascha lief erst an ihm vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, dann drehte sie jedoch um und ging zu ihm.

„Alles klar mit dir?“, fragte sie.

Seine Augen funkelten und er verzog das Gesicht schmerzvoll.

„Ja alles klar.“

Es hörte sich gequält an und sie schaute zu ihm auf.

„Na gut, dann leb wohl.“

Sie konnte es aber auch nicht lassen, verdammt!

„Hey warte!“, er rief ihr hinterher. „Soll ich dich mitnehmen?“

Sie zögerte, er stand plötzlich hinter ihr und sie glaubte ihn mit jeder Faser ihres Körpers spüren zu können. Natascha atmete tief durch und schloss die Augen. Sie sehnte sich nach seiner Berührung. „Warum nicht, danke“, presste sie heraus.

Gemeinsam gingen sie zum Auto.

Sie fuhren knapp 10 Minuten, dann hielt Caleb vor ihrem Haus. Unterwegs hatten sie kaum gesprochen. Natascha stieg nicht sofort aus.

„Eine Frage hätte ich noch, ist es jetzt besser für dich, da du weißt, wer dein Vater ist?“

Er zuckte mit den Schultern. „Schon, ich weiß zumindest, wo ich nicht hingehöre.“ 

Sie nickte. „Danke, dass du mich gefahren hast, pass auf dich auf.“

Er schaute sie an, ein wenig länger als nötig gewesen wäre.

„Mach ich, du auch“, antwortete er.

Als Caleb in die Straße einbog, in dem das Hotel lag, sah er die Streifenwagen und die zivilen Dienstwagen. Die Straße war abgesperrt und so ließ er den Mietwagen einfach in zweiter Reihe stehen. Hier stimmte definitiv etwas nicht, und es hatte mit ihm zu tun. Aber obwohl er das wusste, stieg er nicht wieder in das Auto ein und fuhr davon, er lief ein paar Schritte, bis er aufgrund der Sperre nicht mehr weiter kam.

Es waren nur wenige Schaulustige vor Ort, es war sehr spät und ein paar Leute hingen an den Fenstern und verfolgten den Polizeieinsatz von dort aus. Ein Mann vor dem Hotel zeigte auf Caleb, während er mit zwei Beamten sprach. Einer von ihnen schaute zu ihm herüber und er erkannte, dass es Tom war. Er kam auf ihn zu und bat ihn hinter die Absperrung zu kommen, Cale tat es. Dann zog Tom ihn an die Seite und sprach sehr leise: „Ihre Freundin wurde ermordet.“

Caleb atmete tief ein, scheiße, nicht schon wieder.

„Hören Sie von Lahn, Sie werden beschuldigt, etwas damit zu tun zu haben. Ich muss Sie befragen. Ich muss Sie eigentlich festnehmen und ich weiß, dass Sie sich der Festnahme mit Leichtigkeit entziehen könnten. Aber ich bitte Sie, tun Sie das nicht.“

Cale spürte Toms Angst, die Angst die er vor ihm hatte und die Eifersucht. Er bemühte sich es zu verbergen und sprach weiter: „Ich weiß auch, dass Sie bemüht sind, nicht allzu sehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten, um Ihre wahre Identität zu schützen und damit auch die Menschen, an denen Ihnen etwas liegt. Ich bitte Sie mir zu vertrauen.“

Caleb wusste nicht, was er tun oder sagen sollte. Es wäre tatsächlich ein Leichtes gewesen in die Andere Ebene zu tauchen und zu verschwinden oder sich zu wehren, zu kämpfen oder zu manipulieren. Aber er würde sicher nicht gegen alle hier ankommen. Er war alleine und morgen würde sein Konterfei auf den Titelseiten der Tageszeitungen prangen.

„Ich brauche Ihre Hilfe. Dieser Mörder treibt seit drei Wochen sein Unwesen und ich denke es hat mal wieder was mit Ihres Gleichen zu tun. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt Sie abhauen zu lassen. Ich bin überzeugt, dass Sie nichts damit zu tun haben, auch wenn ich Sie nicht leiden kann, aber dann wäre da das Problem mit der Öffentlichkeit und diesem Typen da hinten.“

„Ich war es nicht, ich habe das Hotel heute Nacht nicht betreten.“

„Der Kerl behauptet etwas anderes.“

„Dann lügt er!“ Caleb wurde sauer.

„Er ist zu glatt, hat auf alles eine Antwort und er ist kein Mensch, hab ich recht?“

Dieses Wissen um die anderen Wesen bereitet Tom große Furcht.

Cale kniff die Augen zusammen und nickte. „Er ist einer von uns.“

Caleb fand sich wenig später in einem Vernehmungszimmer der Kriminalpolizei Berlin wieder. Er war ohne Handschellen und größeren Aufsehens von Tom hierher gebracht worden. Tom meinte, was er sagte. Er war noch alleine, wartete, die Zeit verging und so langsam merkte er die Müdigkeit. Und dann war da dieses nagende Gefühl wieder einmal einer Frau an seiner Seite den Tod gebracht zu haben.

Die Tür öffnete sich und ein großer, sehr kräftiger Kerl mit Glatze und rundem Gesicht, kam herein, dahinter Tom Neders. Der Dicke schmiss eine Akte auf den Tisch und setzte sich ächzend auf einen Stuhl, Caleb gegenüber, Tom daneben.

„Ich bin Kommissar Strechte, Neders kennen Sie ja“, brummte der Kerl unfreundlich.

Er schlug die Akte auf und entnahm ihr ein paar Fotos, die er Cale vor die Nase hielt und dann nebeneinander auf den Tisch legte.

„Das alles, sehen Sie das? Das alles waren mal fröhliche Menschen!“

Er tippte mit seinen knubbeligen Fingern nacheinander auf jedes einzelne Foto. Er zog ein weiteres Foto hervor, darauf war die Leiche von Rika zu sehen. Caleb zuckte zusammen, es ließ ihn nicht kalt sie so zu sehen.

Sie lag auf dem Bett, nackt, aus jeder Körperöffnung trat Blut und bildete unter ihr einen roten See, in dem sie zu schwimmen schien. Ihre Augen waren starr zur Decke gerichtet. Cale schluckte. Er warf einen Blick auf die anderen Bilder. Überall dasselbe, die leblosen Körper ließen ihn jedoch kalt, er hatte Schlimmeres gesehen, aber um Rika tat es ihm leid.

„Und warum zeigen Sie mir das? Ich dachte es geht hier um meine Freundin.“

„Die Sie umgebracht haben, so wie die anderen fünf. Sagen Sie mir, wie machen Sie das?“

Strechte lehnte sich weit über den Tisch.

„Was machen Sie mit denen, dass sie so qualvoll verbluten.“

Caleb funkelte ihn böse an. „Ich weiß nicht was sie von mir wollen, ich habe damit nichts zu tun, weder mit dem Tod von Rika noch mit dem der anderen!“

Der Dicke schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Fer Knall hallte in dem fast leeren Raum wider.

„Das reicht.“ Tom legte dem Kommissar die Hand auf die Schulter. „Herr von Lahn, in den letzten drei Wochen hatten wir vier Mordfälle. Heute Nacht waren es noch einmal zwei, einer davon ist Ihre Freundin. Die Opfer sind innerlich verblutet, nachdem ihnen sämtliche Blutgefäße geplatzt sind. Ein qualvoller und unerklärlicher Vorgang. Rika Treves ist die Einzige, die nicht auf der Straße ermordet wurde und der Mörder hat bisher niemals zwei Morde an einem Tag begangen. Er ändert seine Vorgehensweise. Es gibt einen Zeugen, der behauptet, er hätte Sie gesehen und, dass Sie etwas damit zu tun haben. Das bringt uns zu der Überlegung, dass Sie auch die anderen Taten begangen haben könnten.“

„Ich war es aber nicht. Ich kanns gar nicht gewesen sein, weil ich erst seit Donnerstagmittag in Berlin bin und auch Rika kann ich nicht getötet haben, weil ich gar nicht mit ihr ins Hotel gegangen bin. Ich habe sie lediglich davor abgesetzt und bin dann weiter gefahren“, zischte er Tom an.

„Wo waren Sie bis Donnerstag?“

„In Irland, ich bin mittags in Tegel gelandet.“

„Welche Fluggesellschaft?“

Tom machte sich Notizen. Caleb nannte ihm den Namen und sogar die Flugnummer. Tom riss den Zettel von seinem Notizblock ab und reichte ihn Strechte. „Hier, überprüfen Sie das!“

Der andere nickt und warf Cale noch einen abwertenden Blick zu, dann verschwand er aus dem Raum.

Calebs Augen glühten. Er hatte gut Lust Tom das Herz aus dem Leib zu reißen, so sauer war er, er fühlte sich verarscht.

„Was soll die Show? Was ziehen Sie hier ab? Das ist doch lächerlich, guter Cop beschränkter Cop?“ „Haben Sie das kleine Spiel durchschaut? Na gut Strechte ist ein sehr fähiger Mann, aber lassen Sie ihn im Glauben er würde die Rolle hier gut spielen.“ Tom lächelte. „Was ist nun mit der Tatsache, dass Sie angeblich gesehen wurden, können Sie sich das erklären?“

„Wenn Sie wollen, sage ich es noch mal, klar und deutlich. Ich war es nicht verdammt! Ich habe auch nicht die Fähigkeit so zu töten, ich kann das nicht.“

„Ich weiß, während der erste Mord gestern Abend begangen wurde, waren sie eh bei ihrem Vater. Das mit ihrer Freundin wäre aber möglich.“

Caleb wollte ihm ins Wort fallen doch Tom sprach weiter: „Ich weiß, dass Sie ein Killer sind, aber Sie töten nicht wahllos und diese Morde waren wahllos.“

Das er nicht wahllos tötete, stimmte nicht so ganz. Wenn er seinem Instinkt folgte, dann tötete er des Töten willens, er hatte es schon getan. Und wieso kam Tom darauf, dass diese Morde überhaupt wahllos waren? Vielleicht verfolgte der Mörder einen Plan, den nur er durchschaute. Aber Cale hielt den Mund, er musste hier raus und brauchte keine weiteren Probleme.

„Und warum haben Sie diesen Typen weggeschickt um meine Angaben zu überprüfen?“, fragte er stattdessen.

„Um ihn loszuwerden und Ihr Alibi zu untermauern. Hören Sie, bis er wieder kommt, müssen wir ein paar Sachen unter vier Augen klären. Haben Sie eine Idee, wer diese Morde auf diese Art und Weise begangen haben könnte? Ich bin mir sicher, ein Mensch hätte nicht die Möglichkeit so etwas zu tun.“

„Ich habe keine Ahnung, aber Sie sollten nicht unbedingt davon ausgehen, dass es sich nur um einen Mörder handelt.“

Tom musterte ihn. „Würden Sie mir sagen, wenn Sie etwas wüssten?“

Ein Lächeln umspielte Calebs Mund, nein, natürlich würde er das nicht tun, er würde die Sache alleine regeln.

„Gut, hab ich mir gedacht. Aber falls Sie etwas erfahren, weil Sie sich unter ihresgleichen umhören, wäre es sehr nett Sie würden mich davon in Kenntnis setzen.“ Auch Tom hatte ein Lächeln auf den Lippen und Caleb nickte.

„Was hat der Typ von der Rezeption gesagt?“

„Er sagt, Sie seien mit Ihrer Freundin so gegen Viertel vor zehn im Hotel eingetroffen und zusammen aufs Zimmer gegangen. Eine halbe Stunde später hätten Sie dann sehr eilig das Hotel wieder verlassen.“

„Und was lässt Sie glauben, dass der Mann nicht die Wahrheit sagt?“, fragte Caleb.

Tom atmete tief ein, dann antwortete er: „Ich kann Sie nicht leiden, das beruht auf Gegenseitigkeit, glaube ich. Aber bei mir hat das zwei Gründe und einer ist, dass ich durch Sie erfahren habe, dass es Dinge zwischen Himmel und Hölle gibt, von denen ich bis vor einiger Zeit keine Ahnung hatte, und auch jetzt lieber nicht hätte. Ich weiß, dass Sie ein exzellenter und lautloser Killer sind. Das soll kein Kompliment sein, im Gegenteil, ich verachte es, aber Natascha hat mir vieles erklärt und ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich es so hinnehmen werde, so Sie mir nicht in die Quere kommen. Daher weiß ich aber auch, dass Sie niemals so dumm wären, sich so auffällig zu verhalten und diese Spuren zu hinterlassen. Außerdem hat mich an diesem Mann etwas gestört, er war zu glatt. Sie haben nicht unter Ihrem Namen im Hotel eingecheckt, sondern unter dem Namen Ihrer Begleiterin. Obwohl der Mann gerade seinen Dienst angetreten hatte, wusste er genau, wer Sie sind. Begründet hat er es damit, dass er Ihren Vater kennt. Dieser habe seiner Gemeinde Geld für die Modernisierung der Kirche zukommen lassen. Ich weiß jedoch, dass Sie sich aus solchen Dingen raushalten und ich weiß auch, dass Sie die Öffentlichkeit meiden. Sie treten nicht oder kaum in Verbindung mit der Familie von Lahn auf, viele wissen nicht einmal, dass Richard von Lahn zwei Söhne hat. Aber dieser Mann kannte Sie angeblich. Er war es auch, der die Leiche gefunden und uns gerufen hat. Eine Angestellte des Hotels hatte bemerkt, dass Wasser unter der Tür auf den Gang lief. Frau Treves wollte wohl ein Bad nehmen und hatte keine Gelegenheit mehr dazu gehabt.“

Kommissar Strechte kam zurück, in der Hand einen Stapel Computerausdrucke. Mürrisch setzte er sich an den Tisch und gab die Papiere an Tom weiter, der einen Blick darauf warf und nickte.

„Er ist wirklich erst Donnerstagmittag in Berlin gelandet. Ich habe mich bemüht die Passagierlisten der letzten vier Wochen zu bekommen, aller Flüge, die gelandet sind. Er taucht nirgends auf, aber das hat nichts zu heißen. Das sind nur die aus Tegel, Schönefeld steht noch aus und außerdem könnte er unter anderem Namen gereist sein mit einem gefälschten Ausweis oder sonst was angestellt haben.“

„Kommissar Strechte, gehen wir mal davon aus, Herr von Lahn reist mit seinen richtigen Papieren, immerhin ist er ein unbescholtener Bürger und Sohn eines sehr angesehenen und einflussreichen Unternehmers.“

Strechte lachte auf. „Na unbescholten ist so eine Sache. Ich habe ihn mal durch das Programm laufen lassen, hier!“ Er gab Tom weitere Zettel.

„O.K., Besitz von Marihuana, mit 15, fahren ohne Führerschein mit 16, Erregung öffentlichen Ärgernisses unter Alkoholkonsum mit 16, ah, Schlägerei mit 16 und 17 Jahren. Nun gut, kein Mord.“ Er grinste. „Keine Anklage, keine Verurteilung, Papa?“ Die Spitze konnte sich Tom nicht verkneifen.

Cale schmunzelte. „Könnte sein.“

„Gut, fassen wir zusammen; während des ersten Mordes waren Sie zur Geburtstagsfeier Ihres Vaters, es gibt so an die 120 Gäste, die das bezeugen könnten.“

Tom sagte nicht, dass er einer der Gäste war und er hatte sicher seinen Grund.

„Wie gings weiter?“

„Ich hatte einen Streit mit meinem Bruder, woraufhin wir die Party verlassen haben, es muss so gegen ...“ Er schaute zu Tom rüber.

Der überlegte, sie waren nach Caleb und Rika gegangen, es war nach halb zehn.

„Sie sagten vorhin gegen halb zehn.“

Caleb nickte, Tom hatte verstanden, dass er die genaue Uhrzeit nicht wusste, und war eingesprungen. Er spürte die Abneigung von Strechte und die finsteren Gedanken, denen dieser nachhing. Er war bemüht sich zu verschließen, nichts von alledem in sich hineinfließen zu lassen. „Ja gegen halb zehn sind wir gegangen. Wir haben etwa 20 Minuten bis zum Hotel gebraucht, da hab ich Rika abgesetzt. Ich hatte keine Lust mit rein zu gehen und wollte deshalb weiter.“

„Wo wollten Sie hin?“, hakte der Kommissar nach.

„Ich weiß nicht. Eigentlich wollte ich in einen Club, in den ich früher gegangen bin, aber der hat nicht mehr geöffnet.“

Er schaute zu Tom herüber. Das Raven hatte nicht mehr aufgemacht, nachdem Damian von ihm getötet worden war.

„Wo fuhren Sie stattdessen hin?“ Tom schaute ihn an.

„Ich bin gar nicht so viel weiter gekommen. Meine Mutter hat mich angerufen und mir erzählt, dass mein Bruder einen Autounfall hatte. Ich bin sofort ins Krankenhaus.“

Strechte ergriff das Wort: „Wann kamen Sie dort an?“

Bei allen Göttern, als ob er ständig auf die Uhr schauen würde. Cale hatte keine Ahnung. Tom zog sein Handy aus der Tasche und drückte auf eine Taste, dann schaute er auf das Display und murmelte: „22:47 Uhr.“

Dann schaute er Caleb durchdringend an. Dieser öffnete seinen Geist. Er sah, wie Tom im Krankenhaus ein Telefongespräch entgegen nahm und sich von Natascha und seiner Familie verabschiedete. Dann, wie sie sich auf dem Gang begegneten und grußlos aneinander vorbeiliefen. Es waren Toms Erinnerungen an den Abend und Caleb verstand, was er ihm mitteilen wollte.

„Es muss so kurz vor elf gewesen sein.“

„Um Viertel nach zehn hat sie der Kerl von der Hotelrezeption gesehen, um halb eins ist er mit einer anderen Angestellten in das Zimmer gegangen. Sie hatten genug Zeit.“

Kommissar Strechte triumphierte. Caleb starrte den Mann an und überlegte, was er am besten mit ihm anstellen sollte. Es passte wirklich alles, wer auch immer das inszeniert hatte, hatte es gut gemacht.

„Ich habe getankt“, sagte Caleb gedankenverloren. „Ich habe getankt, gleich nachdem ich vom Raven weg bin.“

Er fingerte in seiner Hosentasche herum.

„Ich habe die Quittung, hier.“

Er reichte Tom einen kleinen Zettel.

„22.16 Uhr, die Tankstelle in der Bornholmer Straße. Der Nachtportier war sich ganz sicher ihn um 22.15 Uhr gesehen zu haben. Würde sagen der Mann lügt.“

„Oder er hat sich in der Zeit geirrt.“

Tom guckte seinen Kollegen schief an.

„Sie wollen wohl unbedingt Herrn von Lahn die Sache in die Schuhe schieben.“

„Neders, ich möchte einen gemeingefährlichen Mörder von den Straßen Berlins holen.“

„Herr von Lahn, ich denke Sie können gehen, aber Sie sollten, wenn es Ihnen möglich ist, die Stadt nicht verlassen. Und wir werden uns noch einmal mit diesem Kerl vom Hotel unterhalten.“ Kommissar Strechte brummte etwas vor sich hin und verließ den Vernehmungsraum. Tom Neders schaute ihm kopfschüttelnd hinterher.

„Der arme Kerl, ich kann ihn ja verstehen.“ An Caleb gewandt sagte er: „Es ist mein Ernst, bleiben Sie in der Stadt und sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas erfahren, bitte.“

Er reichte ihm die Hand. Caleb zögerte, dann reichte er ihm seine.

„Ach noch etwas, ich habe diese Passagierlisten nur überflogen, aber mir ist etwas aufgefallen, vor drei Wochen ist ein Passagier aus Rom in Berlin gelandet. Ein Herr Jarik Dravic, wenn Sie es nicht waren, dann hat jemand ihren wahren Namen benutzt.“

Cale starrte ihn an.

„Ich sagte doch, ich habe viel über Sie erfahren.“

„Ich werde meine Augen offen halten.“

„Das sollten Sie wohl. Ich begleite Sie hinaus.“

Caleb spürte die Erleichterung Toms, dass er seinen Rivalen endlich verabschieden konnte. An der Tür wandte sich Caleb an den Oberkommissar: „Was ist mit meinen Sachen? Alles, was ich besitze, ist in einem Seesack im Hotel gewesen?“

Tom schaute ihn beinahe mitleidig an. „Wenn Sie noch einen Augenblick Zeit haben, ich werde mich erkundigen, wo die Sachen sind, die die Spurensicherung aus dem Hotel mitgenommen hat. Warten Sie hier.“

„Moment, ich habe noch ein Problem.“

Tom verharrte in seiner Bewegung.

„Ich habe den Mietwagen in zweiter Reihe vor dem Hotel stehen lassen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass er noch dort ist?“

„Die ist gering“, antwortete Tom. „Warum?“

Caleb zögerte, dann sagte er etwas leiser: „Ich habe mein Schwert da drin, unter dem Fahrersitz und“, er zögerte abermals, „meine Pistole.“

Es war doch zum graue Haare kriegen mit diesem Typen. Da schleppte er ein halbes Waffenarsenal mit sich herum und dann ließ er den Kram zurück.

„Immerhin habe ich sie euch nicht unter die Nase gehalten. Das wäre auch nicht viel intelligenter gewesen oder? Und ich habe dafür gesorgt, dass sie niemand entdeckt, aber ich brauche sie, vor allem das Schwert.“

Der Kerl wusste, was er gedacht hatte. Tom rief sich ins Gedächtnis, mit wem er es hier zu tun hatte.

Er atmete tief ein und seufzte: „Ich werde mich erkundigen, warten Sie hier.“

Neders hatte es geschafft ihm seinen Seesack zu besorgen und er hatte auch raus gefunden, wo der Wagen stand. Er war abgeschleppt und zwei Straßen weiter abgestellt worden. Jetzt saß Caleb neben Tom in einem Dienstwagen, er hatte sich angeboten ihn dorthin zu fahren.

„Darf ich Sie etwa fragen? Oder brauch ich das gar nicht, weil Sie sowieso wissen was ich denke?“ „Ich kann keine Gedanken lesen.“ Cale starrte auf die Straße, während er sprach. „Wenn Sie so viel über mich zu wissen glauben, dann sollten Sie auch das wissen“, sagte er barsch.

„Oh Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, antwortete Tom pikiert.

„Ich kann Ihre Gefühle empfinden und Ihre Erinnerungen sehen, ich kann in Ihre Seele schauen. Aber glauben Sie nicht, ich würde das ständig machen. Ich kann meinen Geist verschließen und ich tue es, sonst wäre es nicht zu ertragen.“

„Schon gut, tut mir leid.“

„Fragen Sie, was wollen Sie wissen?“

Tom räusperte sich. „Sie sind der Sohn eines der reichsten und einflussreichsten Männer Europas und alles, was Sie besitzen haben Sie in diesem Seesack?“

„Ja, alles, was ich besitze ist da drin. Ich bekomme kein Geld von meinem Vater und habe nichts von seinem Ansehen. Besitz interessiert mich nicht, hat es noch nie und ich würde auch nichts von ihm nehmen.“

„Wenn Ihnen Besitz noch nie etwas bedeutet hat, wieso haben Sie vor Tausenden von Jahren Menschen getötet, um ihnen ihre Ländereien zu nehmen?“

„Ich war ein Söldner und ich habe getötete um des Töten willens und weil es mein Job war.“

Die Antwort gefiel Tom nicht. Der Mann zweifelte an der Entscheidung, die er getroffen hatte, überzeugt zu sein, Cale wäre unschuldig.

„Ich habe das nicht getan!“, betonte Caleb daher nochmals.

Tom nickte nachdenklich.

Sein Schwert und die halbautomatische Waffe lagen noch unter dem Vordersitz, Caleb war erleichtert. Das Schwert war sein Begleiter seit so langer Zeit. Er verabschiedete sich von Tom, dankte ihm sogar. Er konnte den Mann ebenso wenig leider wie dieser ihn, aber er war ein guter Kerl.

„Wenn Sie sich um den Typen vom Hotel kümmern, seien sie vorsichtig“, sagte Neders, als sie sich die Hände schüttelten, Caleb grinste. Und als er schon im Begriff war in den Wagen zu steigen, fügte Tom hinzu: „Bitte, halten Sie sich von Natascha fern.“

Cale hielt in der Bewegung inne und schaute den Mann an, ohne etwas zu erwidern, dann trennten sich ihre Wege.

Caleb beobachtete, wie Hauptkommissar Tom Neders davon fuhr und wusste, dass dieser hoffte, ihn nie wieder zu sehen. Er startete das Mietfahrzeug und wendete, dann fuhr er zum Hotel.