Die Auferweckung & Die Abwendung - S. N. Stone - E-Book

Die Auferweckung & Die Abwendung E-Book

S. N. Stone

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Beschreibung

Die Auferweckung: Ein einflussreicher Geschäftsmann, ein Priester und ein Magier vollziehen ein Auferweckungsritual. Victoria Klein soll alles protokollieren. Ein grandioses Schauspiel wird dargeboten, aufgeführt für wen auch immer. Schließlich gibt es weder Magier, noch kann man jemanden von den Toten zurückholen, denkt sie. Aber durch ihre Tätigkeiten hat Vici schon viel Fragwürdiges erlebt, und außerdem ist die Bezahlung gut. Dass diesmal alles übertroffen wird, weiß sie noch nicht. Die Abwendung: Zwei Jahre sind seit dem Auferweckungsritual vergangen und Victoria steht kurz davor, ihre Pläne zu verwirklichen. Wären da nicht all die Echos der Vergangenheit, die sie verfolgen und nach Genugtuung verlangen. Sie muss sich entscheiden, folgt sie ihrem Weg oder tut sie das Richtige. Und was ist überhaupt das Richtige?

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Vorwort
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
Epilog
Die Abwendung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
Epilog

Impressum neobooks

Wortzähler: 43038

Die Auferweckung

&

Die Abwendung

von

S. N. Stone

Die Auferweckung

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser,

in dem Roman »... und sie macht, was sie will!«, verwirklicht sich meine Protagonistin Christine ihren Traum, den Mystery-Thriller »Die Auferweckung« zu schreiben. Er ist dort »als Buch im Buch« zu lesen, jedoch gab es noch so viel zu erzählen, sodass ich mich entschlossen habe, einen weiteren Teil zu verfassen.

Damit nun niemand gezwungen ist, »... und sie macht, was sie will!« lesen zu müssen, um in Erfahrung zu bringen, was bisher geschehen ist, beginnt dieses Buch mit »Die Auferweckung« und wird fortgesetzt mit »Die Abwendung«.

Ich wünsche dir eine spannende und mystische Zeit,

deine S. N. Stone

1. Kapitel

Die Fackeln ließen Schatten über die Wände huschen. Der Singsang eines alten Mannes erfüllte den Raum und trug nicht dazu bei, dass die Situation weniger unheimlich war.

Victoria schaute auf das Tablet in ihrer Hand, immerhin spendete es modernes Licht. Nur wenige Minuten waren vergangen, seit sie das Ritual begonnen hatten, es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Sie hatte den Eindruck, es sei kühler als beim Betreten des Mausoleums.

Sie tippte ihre Beobachtungen in das Protokollformular, maß die Temperatur und fügte sie ihren Aufzeichnungen hinzu.

Karl Rotenburg ließ den Steinsarkophag nicht aus den Augen. Der Deckel war von seinen Männern geöffnet worden. Es war ihm wichtig gewesen, dass er nicht beschädigt wurde, so war es ein zeitraubendes Unterfangen gewesen.

Vici hätte es lieber vermieden, in das Innere des Sarges zu schauen, aber alles festzuhalten war ihre Aufgabe.

Die Gebeine waren in Fragmente geborsten und weiß wie Kreide, ein Zeichen, dass der Körper verbrannt worden war. Ein silbernes Kreuz, das Stück einer eisernen Kette, sie hatte alles fotografiert und sich zurückgezogen.

Der Gesang veränderte sich, zusätzlich erklang die in Latein gehaltene Litanei eines Priesters.

Rotenburg strich sich über den Bart und machte einen halben Schritt vor, einen halben zurück.

Auch wenn sie noch immer keine messbare Temperaturschwankung feststellen konnte, musste Victoria ihre Jacke schließen. Wölkchen bildeten sich beim Ausatmen vor den Mündern der Anwesenden.

Sie hatte nur eine vage Vorstellung, von dem, was hier geschehen sollte. Es war ein Job, für den sie sich beworben hatte, weil er gutes Geld brachte. Mehr hatte sie nicht interessiert, war ihr egal gewesen.

Die Fackeln flammten kurz auf, brannten dann nur mit halber Kraft. Die Schatten vereinten sich, krochen über den Boden, suchten sich einen Weg.

Raum und Zeit verschmolzen miteinander. Die Konturen der Umgebung wurden unscharf und zerflossen, um sich wieder neu zusammenzusetzen.

Der Priester und der Alte unterbrachen ihr Ritual, setzten es umgehend inbrünstiger als zuvor, fort.

Victoria hätte es notieren müssen, starrte stattdessen auf den Sarkophag. Da war der Oberkörper eines Mannes. Ihr den Rücken zugewandt, richtete er sich langsam auf. Je weiter er sich in die Höhe drückte, desto größer wurde er.

Der Priester bekreuzigte sich.

Der Mann war unbekleidet. Seine Anwesenheit füllte den gesamten Raum und machte das Atmen schwer.

Kein Geräusch war mehr zu vernehmen.

Der Körper war athletisch, die Haut glatt und eben und dann begann sie Risse zu bekommen. Wunden brachen auf, Verletzungen zeichneten sich ab. Ein Stöhnen drang aus seiner Kehle. Seine alles erfassende Präsenz schwand. Das Atmen fiel wieder leichter und die Geräusche kehrten zurück. Und dann ging er zu Boden.

2. Kapitel

Rotenburg hatte einen Befehl gebrüllt. Seine Leute waren zu dem Mann am Boden geeilt.

Eingewickelt in eine Decke, trugen sie ihn hinaus.

Der Priester lief neben Victoria. Er war blass und murmelte das Vater Unser.

Der bewegungslose Körper wurde in den Laderaum eines Transporters gelegt. Rotenburg und der Alte, stiegen dazu. Der Priester blieb stehen und atmete laut ein. Dann ging er an Vici vorbei und tat es ihnen gleich.

Die Heckklappe wurde geschlossen und der Wagen fuhr davon.

Sie war in einem der anderen Fahrzeuge mitgefahren und stand nun in dem Raum, der Karl Rotenburg als Arbeitszimmer diente. Er befand sich in einem uralten, aufgegebenen Kloster. Trotzdem hatte sie bei ihren wenigen vorangegangenen Besuchen, Männer in Mönchskutten gesehen.

Rotenburg ließ sich Zeit. Sie stand vor dem Monitor, der den Mann aus der Gruft in einem kargen Raum auf einer einfachen Pritsche liegend, zeigte. In all den Minuten, die sie auf den Bildschirm schaute, bewegte er sich nicht, aber sein Brustkorb hob und senkte sich.

»Verzeihen Sie, dass ich Sie so lange habe warten lassen«, Rotenburg schloss die Tür und setzte sich an den Schreibtisch.

»Nehmen Sie Platz«, sagte er und deutete auf einen der zwei Stühle ihm gegenüber.

»Ich habe Ihre Aufzeichnungen überflogen.«

»Ich werde sie noch ergänzen, die letzten Minuten fehlen, aber -«

»Eine Rechtfertigung ist nicht nötig. Was denken Sie, wie lange Sie benötigen?«

»Es sollte in einer Stunde erledigt sein.«

»Wären Sie bereit darüber hinaus für mich, für uns, tätig zu sein?«

Vici drehte den Kopf zum Monitor. »Wer ist er?«

»Diese Frage von Ihnen? Ihr bisher geringes Interesse kam uns gelegen.«

Victoria holte Luft, um etwas zu erwidern, als er weitersprach. »Fairerweise muss ich zugeben, dass Ihre Frage nach dem heutigen Tag und einer eventuell andauernden Zusammenarbeit, berechtigt ist. Er ist ein Hexenmeister.«

Rotenburg stand auf und goss sich einen Whisky ein.

»Möchten Sie auch?«

»Nein Danke.«

Er setzte sich wieder. »Einer, der die dunklen Kräfte in sich trägt und der vor zwanzig Jahren nach heftigen Kämpfen getötet worden ist. Nun haben wir ihn zurückgeholt.«

Vici grinste. »Und es gibt noch welche, die sich den hellen Kräften verschworen haben. Sie Leben verborgen in einer Parallelgesellschaft zu den Menschen, bemüht ihre Entdeckung zu verhindern.«

»Tatsächlich gibt es einen Gegenpart, so ist es doch immer; alles muss ausgeglichen werden, sie sind sogar in der Überzahl. Allerdings ziehen sie es vor, Magier genannt zu werden. Sie distanzieren sich ausdrücklich von der Hexenriege.«

»Ich gehe davon aus, sie gehören zu keiner der beiden Gruppen?«

»Ich bin ein einfacher Mensch. - In Sorge, entdeckt zu werden, sind sie nicht. Vielmehr hat man sich vor sehr langer Zeit geeinigt, es nicht in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie leben unter uns. Magier besetzen hochrangige Posten in Politik und Wirtschaft.

Damals wurde ein Bund geschlossen, der vergangene Probleme zukünftig verhindern sollte.«

»Und das wären was für Probleme gewesen?«

Karl Rotenburg schien nicht gerne zu antworten und tat es ausweichend. »Nennen wir es einen Krieg zwischen den Parteien.«

Als hätte man sich das nicht denken können.

»Nun ist dieser Bund erneut in Gefahr.«

»So, so, ist er das?!«

»Um den Frieden zu sichern, benötigen wir Kayden, den Mann, deren Auferweckung Sie beobachtet haben.«

Victoria hatte Fragen und Rotenburg war ihr die Antworten schuldig geblieben. Im Laufe der Zeit, so hatte er erklärt, nachdem sie einer weiteren Zusammenarbeit zugestimmt hatte, würde sie alles erfahren.

Das war doch Blödsinn! Sie hatte einem Hokuspokus beigewohnt, einem gut inszenierten Theaterstück, das für wen auch immer, aufgeführt worden war.

Nun, dann würde sie mitspielen, des Geldes wegen.

Zuerst wollte sie die Aufzeichnungen ergänzen, dann ihr Zimmer suchen, das Rotenburg für sie hatte bereitstellen lassen. Vorerst würde dieses alte Gemäuer ihr zu Hause sein.

3. Kapitel

Es hatte nicht lange gedauert. Vici hatte alles liegen lassen, so wie man es ihr gesagt hatte. Nun war sie auf der Suche nach ihrem Zimmer und hatte sich verlaufen. Wenigstens lernte sie dadurch das Kloster kennen. Die Wegbeschreibung Rotenburgs war verwirrend, fand sie.

Aus dem Auditorium raus, am Hauptgang links, an der Treppe vorbei oder die Treppe hoch? Verdammt! Dazu noch diese veraltete Beleuchtung und niemand, der ihr begegnete.

Also zurück zur Treppe und dann hoch, an der kleinen Kapelle vorbei, zu den einstigen Mönchszellen, geradeaus und dann rechts in den Gang, die dritte Tür links oder rechts?

Das war nicht die Treppe von eben, die hier hatte keine Schnitzereien.

War ein Kloster nicht logisch aufgebaut? Kreuzhof, Kreuzgang, Sakristei, Kapitelsaal, Dormitorien, irgendwie so?

Von unten war ein Geräusch zu hören. Also die falsche Treppe runter und nachschauen, ob ihr jemand weiterhelfen konnte.

Sie war im Keller. Neonröhren flimmerten, am Boden verliefen dicke Kabel und hier und da standen Alu-Transportkisten.

Am Ende des Ganges schaute der Priester durch das Fenster einer Stahltür.

»Hallo!«, rief sie.

Er zuckte zusammen und machte einen Schritt zurück.

»Ah hallo! Sie haben mich erschreckt«, sagte er.

»Das war nicht zu übersehen. Ich bin Victoria Klein.« Sie war nun nah genug, ihm die Hand reichen zu können.

»Ich weiß, wer Sie sind. Sie sind die Frau, die alles protokolliert.«

»So ist es. Und Sie sind der Priester, der was genau tut? Was ist da drinnen?«

»Nicht was, sondern wer!«

Vici trat ans Fenster. Es war der Raum, den sie auf dem Monitor gesehen hatte.

Sie hoffte, dass der Kerl auf der Pritsche, wer auch immer er in Wirklichkeit war, wusste, worauf er sich eingelassen hatte.

»Gott wird damit nicht einverstanden sein.«

»Womit? Dass man den Typen einsperrt?«

Der Priester schüttelte den Kopf. »Das ist notwendig. Er wird nicht damit einverstanden sein, dass wir jemanden von den Toten auferweckt haben.«

Vici runzelte die Stirn. »Meiner Kenntnis nach, hat er mit so etwas angefangen.«

»Die Auferstehung Jesu ist die Grundlage unseres Glaubens. An die Auferstehung zu glauben ist gleichbedeutend mit dem Glauben an Gott und der Anerkennung seiner Göttlichkeit, seiner absoluten Macht. Er ist Herr über Leben und Tod. Er hat Jesus nicht weiter unter den Menschen wandeln lassen, sondern ihn zu seiner Rechten geholt.«

»Dann sind Sie und der alte Mann, weil Sie ihn zurückgeholt haben, ebenso göttlich und allmächtig wie Gott? Wollen Sie das sagen? Wollen Sie sagen, Gott könnte Konkurrenz in Ihnen sehen?«

Der Priester wurde blass. »Niemals wieder dürfen Sie solch blasphemische Äußerung tätigen!«, flüsterte er. »Wir sind nicht gottgleich, wir haben lediglich den Tod überlistet.«

Mithilfe des Priesters, der sich als Cornelius vorgestellt hatte, war Vici zu ihrem Zimmer gelangt. Sie wusste nun, dass auch er überzeugt war, einen Hexenmeister auferweckt zu haben. Oder er spielte seine Rolle überaus glaubhaft.

Seinen Erzählungen nach war Kayden einst durch Vertreter der Magiergilde und Menschen und einem kollaborierenden Hexenmeister außer Gefecht gesetzt und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden. Um die schwarze Seele des Hexers an einer eventuellen Rückkehr zu hindern, hatte man die Überreste in der Gruft, in dem Sarkophag mit den christlichen und magischen Zeichen, sowie den Beigaben, beerdigt.

Es gefiel Pater Cornelius nicht, dass es keine andere Möglichkeit gab, das drohende Unheil ohne ihn aufzuhalten.

Das war super, dachte Vici, als sie ihre Sachen in den Kleiderschrank und die Kommode räumte. Irgendjemand hatte ihre Tasche ins Zimmer gebracht.

Was das für ein Unheil sein sollte, hatte er natürlich nicht erklärt. Er war sich nicht sicher, ob Rotenburg damit einverstanden sein würde.

Ihre Unterkunft war komfortabler, als sie vermutet hatte.

Zusammengefasst war sie hier entweder von Irren umgeben, für die dieses Theaterstück aufgeführt wurde oder mit Leuten, die ganz in ihrer Rolle aufgingen, jemand anderem etwas vorzuspielen. Sie war gespannt, was der alte Mann, der angebliche Magier, von sich geben würde. Morgen würde sie versuchen, mit ihm zu reden.

Morgen, denn jetzt war es spät. Sie wusch sich und zog ein T-Shirt an. Als sie im Bett lag, unter einer flauschigen, warmen Daunendecke, die nach Weichspüler roch, auf dem weichen Kissen, musste sie an den Mann auf der Pritsche denken.

4. Kapitel

Sie begegnete dem alten Mann, fand aber keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

Sie war zugegen, als über die nächsten Schritte gesprochen wurde.

Man würde abwarten, bis sich der Hexenmeister erholt hatte und ihn überzeugen, ihnen zu helfen.

Weshalb sollte der das tun, überlegte Vici, wenn mindestens einer der Anwesenden das grausame Todesurteil mit vollstreckt hatte?

Was es für ein Gefühl sein musste, bei lebendigem Leib zu verbrennen?

Wieder fiel die Bemerkung, der Bund sei erneut in Gefahr und Victoria erinnerte sich, dass Pater Cornelius, von einem Kollaborateur gesprochen hatte. Das passte nicht, wenn man bedachte, dass auch die Hexenriege Teil des Abkommens war und wo war hier ihr Vertreter?

Karl Rotenburg hatte sie erneut darauf hingewiesen, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt alles wusste, was wichtig für ihre Arbeit sei.

Victoria war mitnichten ein Mensch, dem alles egal war. Sie setzte Prioritäten, hatte ihren Plan vom Leben, den sie durchzog. Sie fand, sie hatte einen gesunden Egoismus und war hartnäckig.

Bis zu einem gewissen Grad hielt sie sich zurück, ließ sich aber nicht bevormunden oder für dumm verkaufen. Sie tat, was sie für richtig hielt und jetzt hielt sie es für richtig, mehr zu erfahren.

Da ihr der Alte entwischt war, während Rotenburg mit ihr gesprochen hatte und sie arbeiten musste, ging sie wieder in das Auditorium. Hier hatten vor hunderten von Jahren die Mönche schon ihre Schreibarbeiten verrichtet und sie fand Gefallen an diesem Ort. Hier zu arbeiten hatte etwas Meditatives.

Sowieso übte das Kloster Ruhe auf sie aus. Am Morgen hatte sie einen Spaziergang durch die ehemaligen Nutzgärten unternommen, hatte sich den Kreuzhof und den Kreuzgang angesehen und war im Kapitelsaal gewesen.

Victoria hatte nie verstehen können, wie Menschen sich aufgeben konnten, in ein Kloster gingen und nur Gott allein dienten. Wenn sie aber an die Wirrungen dachte, die all die Jahrhunderte, Jahrtausende die Welt beherrschten, den wiederkehrenden Krieg, die Armut, den Hunger, des einfachen Volkes, entwickelte sie nun ein Verständnis dafür. Selbst heutzutage, in einer Welt voll Hektik, voll Ansprüche und Konflikte, war dies ein verlockender Ort der Gelassenheit.

Es zog sie in den Keller und stolz stellte sie fest, dass sie den Weg auf Anhieb fand. Erneut traf sie auf Pater Cornelius, erneut starrte dieser durch das Fenster.

»Halten Sie Wache?«, fragte Vici.

Er nickte und setzte sich auf einen Stuhl an der Wand gegenüber.

»Rotenburg hätte einen seiner Leute abstellen sollen, aber er ist der Meinung, solange der da drinnen das Bewusstsein nicht wiedererlangt hat, wäre das nicht nötig. Man würde alles per Kameras überwachen und der Raum sei gut geschützt.«

»Geschützt?«

»Ähnliche Zeichen, wie auf dem Sarkophag.«

O. K., die waren Vici hier nicht aufgefallen.

»Ich denke nicht, dass das ausreicht. Jemanden, der mit dem Teufel im Bunde ist, wird immer einen Weg finden und da nutzten eine verschlossene, feuerfeste Stahltür und ein paar Symbole nichts. Ich weiß, wozu er fähig ist. Bis zum letzten Atemzug, hat er sich gewehrt und auch wir glaubten, uns gut geschützt zu haben.«

Er zog den Ärmel seines Gewandes hoch. »Ich bin noch glimpflich davongekommen.«

Victoria schluckte, das war kein schöner Anblick.

Er ließ den Stoff wieder herunter. »Andere starben, als er starb. Man hätte sie dereinst alle ausrotten sollen! Man war so kurz davor, aber falsches Verständnis und Mitleid hat sie bewegt, ein Bündnis mit ihnen zu schließen. Getäuscht haben sie sie! Verhext haben sie sie! Und Jahrhunderte später haben sie, haben wir, dafür bezahlt.«

»Sie meinen die Hexenverfolgung im Mittelalter?«

»Natürlich.«

»Sie können nicht ernsthaft den Mord an unzähligen Menschen, das Auslöschen ganzer Dörfer, gutheißen!«

»Doch das kann ich. Sicher waren auch Unschuldige unter ihnen, aber glauben Sie Fräulein Klein, der Anteil derer, die zurecht getötet wurden, ist viel höher, als Sie ahnen.«

»Dummheit, Unwissen, Angst, Machtgier hat diese Menschen getötet. Ich bin sogar der Meinung, dass die Angst vor der weiblichen Intelligenz, die den christlichen Glauben prägt, eine Rolle gespielt hat. Bevor das Christentum sich ausgebreitet hat, glaubte man an eine Vielzahl von Göttinnen, gab es einflussreiche Staatsführerinnen, angesehene Heilerinnen, durften Frauen stark sein. Erst das Patriarchat des Glaubens machte sie für den Sündenfall verantwortlich, sprach ihnen den eigenen Willen ab, unterjochte sie.«

Der Priester hob die Hand. »Victoria, ich darf Sie doch so nennen? Bitte glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, dass mir bewusst ist, dass auffällig viele Frauen unter den Opfern waren. Überverhältnismäßig viele sogar. Dass ich Ihre Ansichten verstehe und man es als Angriff auf die Weiblichkeit verstehen kann. Und, dass der christliche Glaube im Mittelalter stark männlich bevorzugend geprägt war, ist auch korrekt, ebenso, wie es die Gesellschaft nach dem Ende der Antike war. Die Hexenverfolgung wurde durchaus missbraucht. Um eigene Interessen durchzusetzen, um verblendete Gemüter zu befriedigen und auch, um sadistische Veranlagungen auszuleben. Das sind äußerst bedauerliche Umstände. Aber es war auch die Reaktion auf eine real existierende Bedrohung.

Ich denke, die Sache ist aus dem Ruder gelaufen. Jeder fühlte sich plötzlich berufen, erkennen zu können, in wem das Böse steckte.

Das ist verwerflich, das ist beschämend und wurde zu spät unter Kontrolle gebracht.

Aber Fakt ist, dass es diese Bedrohung gab und diejenigen, die sie bekämpft haben, nicht nach dem Leben der Dorfhebamme getrachtet, sondern diejenigen gesucht und vernichtet haben, die wahrhaftig Hexer und Hexen waren und das Unheil gebracht haben.«

Vici musste tief durchatmen, ehe sie antwortete. »Sie wollen sagen, dass es richtige und falsche Hexenjäger gab?«

»Und gibt. Das Bündnis gewährleistet nicht, dass sich jede Hexe oder Hexer daran hält.«

»Und er da drinnen ...«, sie drehte sich um und in dem Moment, in dem sie durch das Fenster schaute, tauchte auf der anderen Seite ein Gesicht auf.

Seine Augen waren finster, waren schwarz. Es dauerte den Bruchteil einer Sekunde, aber Vici kam es wie Minuten vor, in denen sein Blick sie durchbohrte, sich Millimeter um Millimeter in ihre Seele fraß. In denen eine kalte Hand sich um ihr Herz schloss, ihr die Luft abschnürte und sich eine bleierne Schwere auf sie legte.

Jemand, der sie packte und nach hinten riss. Worte, die sie nicht verstand und dann war da Stille. Und das Kalte in ihrer Brust wurde wärmer, Sauerstoff suchte sich seinen Weg in ihre Lungen, die Schwere wich und die Stimme von Pater Cornelius formte verständliche Worte, die sie beruhigten.

5. Kapitel

»Sie haben Bekanntschaft mit ihm gemacht?« Der alte Mann setzte sich zu ihr.

Victoria ließ den Blick über den Blumengarten schweifen, der wild und ungezähmt in bunter Pracht blühte.

»Eine unangenehme Erfahrung«, antwortete sie.

»Zu seiner Verteidigung sollte gesagt werden, dass er noch orientierungslos ist.«

»Nach Jahren im Jenseits kann ich das sogar verstehen.«

»Sicher in der Hölle.«

»Wie bitte?« Sie schaute den Alten an.

»Ich gehe davon aus, dass er in der Hölle geschmort hat.«

»Was der allgemeinen Meinung nach, keine Strafe für ihn sein sollte, wenn er doch mit dem Teufel im Bunde ist.«

Der Alte lachte auf. »Ammenmärchen!«

»So wie alles, was hier geschieht.«

»Glauben Sie das wirklich, trotz der Dinge, die Sie beobachtet haben?«

Victoria nickte.

»Und das im Keller?«

»Ich habe mich einfach erschrocken.«

»Auch eine Möglichkeit. Aber Sie wollten mit mir reden?«

»Woher wissen Sie das?«

Der Alte hob eine Augenbraue.

»Klar, ich vergaß, Magier eben. Es stimmt, ich wollte Ihre Geschichte hören. Die des verrückten Priesters kenne ich und Rotenburgs kryptische Aussagen auch.«

»Meine Geschichte ist etwas länger. Ich bin der älteste.«

»Das macht nichts, ich habe Zeit.«

»Magier und Hexen, gibt es seit Anbeginn der Zeit. Ebenso lange besteht der Konflikt zwischen uns. Wir nutzen eine weiße Magie, sie die dunklen Kräfte. Es ist nicht gleichbedeutend mit Gut oder Böse, aber das Unheil geht eher von ihnen aus, als von uns. Die dunkle Macht ist unberechenbarer, aggressiver, provokativer, offensiver, es gäbe noch viele Adjektive, sie zu beschreiben. Ich denke, Sie verstehen, was ich sagen will.

Wir waren immer bemüht, im Einklang mit den Menschen zu leben, sie nicht. Unsere Auseinandersetzungen waren mal mehr, mal weniger intensiv. Wir haben versucht, Schlimmes zu verhindern.

Mit dem wachsenden Einfluss des Christentums wuchsen auch der Aberglaube und die Skepsis gegenüber dem Magischen unter den Menschen. Wir haben uns zurückgezogen, die Hexen nicht.

Man begann, das Unerklärliche zu jagen und zu vernichten. Beklagenswerterweise traf es unzählige Unschuldige. Natürlich haben wir Möglichkeiten, uns zu wehren und zu schützen, aber gefährlich war die Situation dennoch, denn unsterblich sind wir alle nicht.

Anstatt sich unter diesen Umständen bedeckt zu halten, nutzte die Hexenriege die Wirren jener Zeit. Zahlenmäßig waren sie uns immer unterlegen, machtmäßig übertreffen sie uns. Wir mussten ihnen Einhalt gebieten und uns gegen sie verteidigen.

Dadurch gerieten auch wir in den Fokus der Hexenjäger, kämpften nun gegen zwei Bedrohungen.

Vielen ist nicht bewusst, dass die Hexenverfolgung nur im geringen Maße durch die Kirche und die Inquisition betrieben wurde. Sicherlich gab es Prediger und Geistliche, deren Ansichten diesbezüglich weitreichend unter das Volk gebracht wurden, man denke nur an den Dominikanermönch Heinrich Kramer, der Verfasser des Malleus maleficarum, des Hexenhammers. Im Allgemeinen kritisierten die Kleriker aber den Hexenwahn.

Es waren vor allem weltliche Institutionen, die die Hexenprozesse führten, für Folter und Mord verantwortlich waren.

Weshalb ich das anspreche? Um zu erläutern, warum wir gehandelt haben, wie wir gehandelt haben. Wir haben uns an die Kirche gewandt. Wir haben ihnen eine Kooperation vorgeschlagen. Sie hatten Mittel, die wir benötigten und sie brauchten uns, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Gemeinsam bekämpften wir das wahre Übel.«

Der Alte hielt kurz inne, legte den Kopf in den Nacken und fuhr fort. »Ich weiß nicht, wie es geendet hätte, hätten wir weitergemacht. Vielleicht hätten wir sie alle erwischt, ausgelöscht und zukünftig in Frieden gelebt. Vielleicht hätten wir dann ein Ungleichgewicht zurückgelassen.

Vielleicht hätte sich das Blatt zugunsten der dunklen Mächte gewendet, diese Kraft ist unberechenbar.

In die Zukunft schauen, können wir nicht. Visionen, ja die haben einige von uns, aber das Schicksal ist offen, zu viele Variablen, die es beeinflussen.«

Er atmete tief ein und schaute sie an. »Ekarius vom Uthersthal, Kaydens Großvater und zu dem Zeitpunkt das Oberhaupt der Hexenriege, unternahm einen Schritt, der ihm sicher nicht leicht gefallen ist; er bot Frieden an.

Ein Bündnis zwischen Normalsterblichen, uns Magiern und ihnen wurde geschlossen.

Ekarius gestand uns zu, eine gewisse Kontrolle auszuüben, an der auch er sich beteiligte. Eine Überwachung des Friedens und Ahndung von Verstößen. So sicherte er ihr Überleben.

Mit der Umsetzung begann auch das Ende der Hexenverfolgung. Die Situation beruhigte sich.

Wir lebten mehr oder weniger friedlich miteinander, bis Ekarius den Tod fand.

Sein Sohn und Nachfolger Veyt, Kaydens Onkel, nutzte seine Position, sich gegen alles zu wenden, was wir mühsam aufgebaut hatten. Er nannte es ein Joch, unter dem sie gelitten hätten, während der Jahrhunderte. Der Krieg begann erneut und endete für Veyt im Tod. An seine Stelle rückte Kayden.

In ihnen steckten eine Wut und ein Hass, die es uns schwer machten, sie zu bekämpfen. Sie nahmen keinerlei Rücksicht, nicht auf sich, schon gar nicht auf andere.

Mithilfe eines Überläufers aus ihren Reihen, der bereits zu Veyts Zeiten auf uns zugekommen war, konnten wir Kayden stellen und töten und damit den Aufstand niederschlagen, bis heute.«

Der Alte sah sich um. »Es ist spät geworden und ich glaube, Sie haben vorerst genug Informationen erhalten. Lassen Sie uns das Gespräch morgen weiterführen. Wir sollten reingehen, etwas essen und zu Bett gehen. Bevor oder nachdem Rotenburg mit Kayden spricht, können wir uns gerne unterhalten. Ich werde Ihre Fragen beantworten.«

Es war wirklich Infodumping gewesen und Victoria war froh, mit ihren Gedanken allein in ihrem Zimmer sein zu können.

Eine spannende Geschichte. Der Alte hatte sie vorgetragen, als wäre er dabei gewesen. Natürlich war das nicht möglich, das Ende der Hexenverfolgung lag etwa 240 Jahre zurück.

Victoria setzte sich mit ihrem Laptop in die Nische vor dem Fenster. Sie öffnete das Internet und gab Ekarius vom Uthersthal in die Suchmaschine ein. Zwei Ergebnisse wurden angezeigt. Sie erwähnten den Mann als Familienoberhaupt eines Adelsgeschlechts um 400 nach Christus und den Tod des Sohnes Korbinian vom Uthersthal im Jahre 1631.

Nun gut, das passte zeitlich nicht zueinander.

Sie gab Kayden vom Uthersthal ein, nichts. Sie probierte noch ein paar Kombinationen, ergebnislos. Sie las Artikel über die Hexenverfolgung und fuhr schließlich den Computer runter.

An die Wand gelehnt, schaute sie durch das kleine Fenster mit dem Buntglasmosaik.

Das war alles so schräg! Morgen würde sie mehr erfahren und sie würde Kayden begegnen. Nicht auf der anderen Seite einer Stahltür, sondern mit ihm in einem Raum sein.

Nachdem Pater Cornelius sie vorhin von der Tür weggerissen hatte, waren drei von Rotenburgs Männer herbeigeeilt. Sie waren in den Raum gestürmt und hatten den armen Kerl mit Taser Pistolen niedergestreckt.

Vier, mit Drähten verbundene Projektile hatten sich in seinen Oberkörper gebohrt. Keinen Ton hatte er von sich gegeben, als er zuckend am Boden gelegen und die Stromstöße bis zur Besinnungslosigkeit über sich hatte ergehen lassen.

So etwas war gefährlich und ganz sicher nicht erlaubt.

Und was hatte er getan? Nichts!

Sie hatte sich nur erschreckt und durch dieses ganze Gerede zu stark reagiert. Ihr Unterbewusstsein hatte die Situation aufgebauscht.

Sie musste mit Rotenburg darüber sprechen!

6. Kapitel

Victoria hatte es nicht geschafft, sich vor dem Treffen, mit dem Alten zu unterhalten. Ihre Fragen mussten warten.

Sie befanden sich im Kapitelsaal. Früher, so wusste sie, war dieser Raum für Rechtsprechungen und Verhandlungen genutzt worden. Die Wahl der Räumlichkeiten war bestimmt nicht zufällig erfolgt.

Karl Rotenburg, der Priester, der Alte und ein halbes Dutzend von Rotenburgs Leuten, befanden sich im Raum, als man Kayden vom Uthersthal brachte.

Vici empfand die Situation als erniedrigend. Er wurde regelrecht vorgeführt.

Er wirkte schwach und unsicher, orientierungslos, weigerte sich, Platz zu nehmen, lehnte sich stattdessen an eine der vielen Steinsäulen.

Rotenburg hob die Hand und seine Leute verschwanden. Victoria war sicher, dass sie in der Nähe bleiben würden.

Kaydens Blick wanderte von einem zum anderen, auf ihr ruhte er etwas länger.

Seine Augen waren nicht schwarz, wie sie im Keller zu sehen geglaubt hatte, sie schimmerten grün. Auf dem Priester blieb sein Blick haften.

»Du!«, sagte er und seine Stimme, voll Hass und Verachtung, erfüllte den Raum, hallte tief und dunkel aus jeder Ecke wieder. Er löste sich von der Säule.

Im Hintergrund bemerkte Vici Bewegungen, die erstarrten, als Rotenburg erneut seine Hand hob.

Ein Schatten legten sich auf Kaydens Gesicht, kroch an seinem Körper hinab, hüllte ihn ein.