Die große Gauklerin Ein Roman aus Venedig - Brachvogel, Carry - kostenlos E-Book

Die große Gauklerin Ein Roman aus Venedig E-Book

Brachvogel, Carry

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Gratis E-Book downloaden und überzeugen wie bequem das Lesen mit Legimi ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 362

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



The Project Gutenberg EBook of Die große Gauklerin, by Carry BrachvogelThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Die große Gauklerin       Ein Roman aus VenedigAuthor: Carry BrachvogelRelease Date: July 19, 2015 [EBook #49486]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE GROßE GAUKLERIN ***Produced by Norbert H. Langkau and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net

Anmerkungen zur Transkription

Im Original gesperrter Text ist so ausgezeichnet.

Im Original in Antiqua gesetzter Text ist so ausgezeichnet.

Weitere Anmerkungen zur Transkription finden sich am Ende des Buches.

Die große Gauklerin

Ullstein-Bücher

Eine Sammlung zeitgenössischer Romane

Ullstein & Co / Berlin und Wien

Die große Gauklerin

Ein Roman aus Venedig von

Carry Brachvogel

Ullstein & Co / Berlin und Wien

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten. Amerikanisches Copyright 1915 by Ullstein & Co, Berlin.

1.

Wie der Graf Ettore Priuli die Treppen des Hotel Danieli herunterging, kam er sich gedemütigt und lächerlich vor. Er mußte sich Gewalt antun, um die sorglose Haltung, die scharmante Liebenswürdigkeit des Gesichtsausdruckes zu wahren, die ganz Venedig an dem schönen Priuli kannte. Trotz aller Anstrengung blieb aber sein Lächeln gezerrt, und seine Augen funkelten in trübem Dunkel, wie von verhaltenem Zorn. Er ging ganz langsam, Stufe für Stufe, als wolle er so lange wie möglich den Augenblick verzögern, der ihn aus der dämmerigen Kühle, aus der verantwortungslosen Untätigkeit des scheidenden Besuchers hinausführte auf die Riva degli Schiavoni. Er verzögerte sich geflissentlich, blieb einmal stehen, um von seinem weißen Sommeranzug ein paar Stäubchen wegzublasen, die gar nicht vorhanden waren, betrachtete dann wieder aufmerksam, mit leicht gerunzelter Stirn seine hellen Schuhe, als ob er an ihnen einen Mangel entdeckte, obschon sie so tadellos waren, als hätte der Schuster sie erst vor einer Stunde abgeliefert. Als die Treppe dann endlich doch hinter ihm lag, wechselte er noch, scheinbar interessiert, mit dem ergebend dienernden Portier ein paar Redensarten über das schöne Weiter und das gute Trinkwasser, das man, dem Himmel sei Dank! in Venedig hatte, wenn es sich auch freilich nicht mit dem Wasser von Rom vergleichen ließe. Nun war aber auch die letzte Möglichkeit geschwunden, noch länger herumzutrödeln, und er stand draußen auf der Riva, die heiß und hell im Glanz eines Junitages dalag.

Ettore Priuli zog einen kleinen, bunten Papierfächer aus der Brusttasche seines weißen Jacketts und begann sich zu fächeln, obgleich er die Hitze gar nicht stark empfand. Er fächelte sich nur gewohnheitsmäßig und weil es ihm angenehm war, den nervösen Aerger, den diese letzte Stunde ihm bereitet hatte, durch eine regelmäßige, wenn auch geringfügige Bewegung zu entladen. Er stand da, fächelte sich, biß ein paarmal die Unterlippe und fluchte in seinem Innern alle Flüche, deren die italienische Sprache fähig ist. Er stand, blickte unschlüssig bald vor sich hin, bald auf die Lagune, ob seine Gondel nicht käme. Zuckte ärgerlich mit den Achseln und hätte am liebsten über sich selbst gelacht; denn wie konnte er jetzt, da es just vier Uhr war, die Gondel erwarten, die er doch mit Vorbedacht erst für fünf Uhr bestellt hatte! Nun, dieser Nachmittag oder vielmehr diese eben abgelaufene halbe Stunde in dem eleganten Ecksalon des Hotel Danieli hatte ihn schwerer geschädigt als nur mit der Wartezeit auf eine Spazierfahrt, hatte ihm alles eingerissen, was schon so sicher aufgebaut schien, alle Zukunftshoffnungen vernichtet, deren Glanz ihn schon entzückt hatte, warf ihn, der sich bereits am Ziel glaubte, wieder ins Ungewisse zur Jagd nach dem Glück zurück, deren er doch schon recht müde war …

Die Lagune lag starr und grau wie ein rätselvolles Ungeheuer aus östlicher Sage. Auf seinem durchsichtigen Rücken trug es als lichtes Mirakel Venedig, die Schöne, mit ihren weißen und orangefarbenen Palästen, ihren gewaltigen Kuppeln, ihren erzenen Helden, ihren marmornen Loggien und Sinnbildern und dem schwermütigen Flimmern ihrer Goldmosaiken, die gleich einem vom verschollenen Byzanz vergessenen Diadem ihr die Stirne umkränzen. Priuli sah abwesenden Blickes über die Lagune hin, sah in der Ferne den Canal Grande leuchten und den gigantischen, steinernen Leib von Santa Maria della Salute. Da überkam ihn ein plötzlicher Haß auf diese Stadt, auf seine Vaterstadt, die er sonst doch anbetete, wie jeder Venezianer sie anbetet. Sie erschien ihm klein, eng, schmutzig, übelriechend, ein Hemmnis aller Bewegungsfreiheit und aller Glücksmöglichkeiten. Wahrhaftig, anderswo, zum Beispiel in Rom, wäre ihm die letzte halbe Stunde nicht begegnet! Rom hatte eben seinen Hof, sein rauschendes Leben der Aristokratie, gleichviel ob sie sich zur schwarzen oder zur weißen bekannte, die Söhne römischer Adelsfamilien legten für den Snobismus ausländischer Millionen nicht bloß einen Titel, sondern auch eine weithin sichtbare Wirkung des Titels in die Wagschale, während die Venezianer nichts zu bieten hatten als das abgeschlossene Kastenleben der Provinzstadt. Wie sollte man hier je zu Geld und Wohlleben gelangen, da die reichen Mädchen sich hier immer nur auf der Durchreise befanden, um schließlich den adeligen Sohn irgendeiner europäischen Großstadt oder Weltstadt zu heiraten. Sein Vetter Carlo Priuli meinte freilich, es gäbe noch andere Dinge zum ersehnten Reichtum als die glänzende Heirat, aber Carlo war ja ein aus der Art geschlagener Priuli, der aus Deutschland und England seltsame, für Ettore ganz unverständliche Ideen mit heimgebracht hatte. Carlo war ja wahr und wahrhaftig Schiffsingenieur, wurde von der Regierung, die ihn schätzte, bald auf diese, bald auf jene Rheede geschickt, so daß er einmal in Spezia, einmal in Tarent, dann wieder in Venedig arbeitete, hatte auch schon einmal irgendeine Schraubenverbesserung erfunden, von der Ettore nichts verstand, und trug obendrein im Kopf Pläne und Anschauungen, für die Ettore sich nur insofern interessierte, als er sie belächelte. Nein, nein, Venedig war und blieb im Hintertreffen, und wer hier saß und sitzen mußte, konnte sich darauf gefaßt machen, noch öfters Worte zu hören, wie Miß Beaufort sie eben gesprochen hatte.

Es fiel ihm jetzt ein, daß er doch nicht länger auf der Riva stehen konnte und sich fächeln. Er schlenderte also langsam, sich in den geizigen Schattenstreif drückend, den die Häuser warfen, nach der Piazetta und landete schließlich in einem der Cafés auf dem Markusplatz. Er bestellte sich ein Granito und fand mit Recht, daß der Markusplatz um diese Stunde sehr langweilig war. Als sich nun gar neben seinem Tisch drei Damen niederließen, die alsbald auf englisch rekapitulierten, was sie seit drei Tagen in Venedig gesehen hatten, stand er auf und ging angeekelt davon. Er konnte jetzt unmöglich Englisch hören … Er schlenderte wieder ziellos umher, erst durch die Frezzeria, dann durch die Merceria, stand unversehens vor der grauen, gebieterischen Kirche, in der sein Ahnherr, der große Priuli, den letzten Schlummer schlief. Es war lange, fast ein Jahrtausend her, daß der große Priuli unter den Lebenden gewandelt war, aber der Krieges- und Siegesruhm seiner Taten (wegen seiner Eroberung Kretas für die Republik Venedig hieß er »der Kretenser«!) hatte den Tod und die Jahrhunderte überdauert, und immer noch standen die Fremden ehrfürchtig vor dem Denkmal des Dogen Priuli, während sie die Grabsteine der anderen Dogen, die hier bestattet lagen, nur im Vorübergehen musterten.

Ettore trat in die Kirche ein. Der Gegensatz zwischen der flimmernden Helle draußen und dem Halbdunkel hier war so groß, daß er eine Minute lang geblendet dastand und erst allmählich das Innere der Kirche, ihre Altäre, Säulen und Denkmäler unterscheiden konnte. Er ging auf seinen großen Ahnherrn zu, ließ sich auf einen kleinen, zerrissenen Strohsessel nieder, der da stand, und betrachtete das Denkmal aufmerksam, als sähe er's heute zum erstenmal. Es war ganz in der Art der übrigen Dogendenkmäler gehalten: ein hoher, länglicher Stein, auf dem, von einem Giebelfelde überragt, die ruhende Gestalt des Dogen sichtbar wurde. Eine fast verlöschte Inschrift verkündete auf lateinisch, daß die dankbare Republik ihrem großen Sohne dies Denkmal gestiftet habe zum ewigen Gedenken seiner Heldentaten und seines Ruhmes. Während Ettore dasaß, kamen etliche Fremde, ließen sich vom Kirchendiener die Geschichte des großen Priuli erzählen und die künstlerischen Schönheiten des alten Bildwerks preisen, und Ettore gab sich Mühe, bei diesem Vorgang den edlen Hochmut zu empfinden, den die Erinnerung an die Größe des eigenen Blutes wachruft. Er stellte sich vor, was die Fremden wohl sagen würden, wenn sie erführen, daß sie mit ihrem Aermel einen Nachkommen des großen Dogen streiften, wollte sich einreden, daß Blut von diesem Blut mehr wert sei als alle Millionen der Miß Beaufort, und daß er also darum über das amerikanische Fräulein nur verächtlich die Achseln zucken könne. Wie sehr er sich aber auch mühte, einen Zusammenhang zwischen sich und dem Ahnherrn herzustellen, – es gelang ihm nicht. Er fand keine Beziehung, die sie miteinander verband, denn schließlich hatte ihn auch aller Heldenmut und aller Ruhm des großen Dogen nicht vor der Niederlage bei der Amerikanerin schützen können. Er stand auf und ging wieder hinaus auf die Straße. Als ein Priuli fühlte er sich zwar immer noch erhaben über ganz Venedig, aber warum er sich so erhaben vorkam, wußte er im Augenblick nicht.

Er ging wieder zurück zur Riva und wartete noch ein paar Augenblicke auf seine Gondel. Da fiel ihm ein, daß er ja auch eine Mietgondel nehmen könnte, und dieser Gedanke war ihm so angenehm, daß sein Aerger fast völlig geschwunden war, als er mit einem fremden Gondoliere über die Fahrt nach dem Lido verhandelte. O, das tat gut, jetzt geraume Weile mit sich allein, nicht beobachtet von Domestikengesichtern, auf den Wellen dahinzugleiten und Ordnung in die wirren Gedanken zu bringen. Er merkte jetzt mit Staunen, daß es vor allem der Gedanke an das neugierige, forschende Gesicht des eigenen Gondoliere gewesen war, der ihm diese letzte Stunde so peinlich gemacht hatte. Nun sprang er behend in die Mietgondel, deren Kissen freilich nicht so weich waren wie die der Priulischen Barke, deren schwarze Tuchverkleidung etwas fettig und deren Gondoliere sehr banal aussah, die ihm aber ein ungestörtes, von keinem Dienerauge begucktes Nachdenken gewährte, dessen er so dringend bedurfte, ehe er mit den Freunden oder besser gesagt mit seiner Gesellschaft auf der Kurhausterrasse des Lido zusammentraf. Um keinen Preis wollte er vor sie mit der blanken Wahrheit hintreten. Er mußte irgendeine Form finden, die zwar nicht gerade eine Lüge umschloß, aber doch die Szene im Hotel Danieli merklich zu seinen Gunsten verschob. Er wollte sie erst langsam darauf vorbereiten, daß er Miß Beaufort nicht heiraten würde, weil – – ja, den angeblichen Grund dieses Entschlusses wollte er ausfindig machen, während er dem Lido entgegenfuhr. Er war ja nicht dumm, in allen gesellschaftlichen Dingen und Listen wohlerfahren; es konnte ihm also nicht schwer werden, seine Niederlage so zu verhüllen, daß sie wie ein freiwilliger Rückzug aussah.

Solange sie noch umringt von Barken und Vaporetti waren, gelang es Ettore nicht, seine Gedanken zu sammeln, aber als das bunte und lärmende Treiben der Lagune immer weiter hinter ihm zurückblieb, versank er ganz in sich und in die Einsamkeit, die sich immer blauender um ihn her dehnte, und in der er mit seinen abgewandten Sinnen auch seinen Gondoliere kaum mehr sah, die Ruderschläge kaum mehr hörte. In der weicheren Nachmittagsbeleuchtung, die jetzt anhub, sah die entfernte Stadt rosenfarben aus, aber Ettore, der sie vorhin gehaßt hatte, warf nun keinen Blick nach ihr zurück. Er durchlebte wieder die Szene im Hotel Danieli und alles, was ihr vorangegangen war.

Vor einigen Wochen war Miß Beaufort mit ihrer Mutter in Venedig eingetroffen, umstrahlt vom Glanz ihrer Millionen, von denen die ganze vornehme Jugend Venedigs alsbald wußte. All diese jungen, adeligen Venezianer, diese Fabrianis, Tassinis, Orseolos und wie sie sonst noch heißen mochten, kannten ja, genau so wie Priuli, nur das eine, große Lebensziel, – die reiche Partie. Sie verfolgten es ganz naiv, ganz selbstverständlich, denn man hatte sie zu nichts anderem erzogen, sie von Jugend auf gelehrt, daß der Klang ihrer alten Namen dazu da sei, um ihnen eine Millionenbraut oder wenigstens ein sehr reiches Mädchen anzulocken. Man hatte sie alle so erzogen, wie die romanischen Aristokraten ihre Söhne zu erziehen pflegen, hatte sie mit wenig Wissen, sehr gefälligen Manieren und einer Portion selbstbewußten, lächelnden Leichtsinns ausgerüstet, daß sie, obgleich sie inmitten eines demokratischen Volkes aufwuchsen, in ihren Anschauungen und in ihren Bestrebungen immer noch Herren des Ancien régime darstellten. Keiner von ihnen hatte gelernt, ernsthaft zu arbeiten, denn jeder von ihnen lebte »del suo«, das freilich mitunter gar nicht »das Seinige« war, sondern eine Rente, die man mühselig einem geizigen Onkel oder einer verbissenen Tante abjagte, wenn nicht gar Mutter und Schwestern darbten und Gläubiger schwer geschädigt wurden, nur damit der junge, vornehme Herr immerfort tadellos gekleidet war, bei allen Veranstaltungen seiner Standesgenossen erschien und seine wohlgepflegten Hände nie durch Arbeit entehrte. Sie dachten sich bei dieser Art zu leben gar nichts Böses, sie bemitleideten aufrichtig die Frauen ihrer Familie, die sich für sie opferten, sie wären selber sehr froh gewesen, wenn sie ihre Schulden hätten bezahlen können, und waren darum um so eifriger auf das einzige Rettungsmittel bedacht, das man ihnen gezeigt hatte, und das sie selbst erkannten. Die wenigsten von ihnen hatten freilich so Gewichtiges in die Wagschale zu legen wie Ettore, der als einer der schönsten Männer Venedigs galt und obendrein einen, im Innern allerdings ganz verlotterten und verfallenen Palast besaß, dessen Schiffspilonen jedoch mit den kleinen, goldenen Dogenmützen geziert waren, dem Vorrecht der Geschlechter, die einst als Herren über die Republik geherrscht hatten. Gerade aber weil er mehr besaß als die anderen, vielleicht auch weil er seine Freiheit sehr liebte, war er im allgemeinen lässiger als sie bei der Heiratsjagd, erfuhr immer erst später als sie von den Goldfischen, die aus Amerika, England und Deutschland in die Lagune geschwommen kamen. So hatte er auch erst durch den jungen Fürsten Gaulo, der mit verschiedenen Hotelportiers in indirekten Beziehungen stand, durch die ihm die Ankunft reicher Mädchen oder Witwen gemeldet wurde, von Miß Beaufort erfahren, und es war ihm nicht schwer geworden, die Bekanntschaft der beiden Amerikanerinnen zu machen, die sich natürlich von den Huldigungen eines Conte geschmeichelt fühlten. Ihm wiederum gefiel das Mädchen nicht übel, denn sie war frisch und elegant und innerlich ganz unkompliziert, ganz auf das Leben und die fröhliche Stunde gestellt, so ungefähr wie Priuli selbst. Wochenlang hatte er nun Miß Maud den Hof gemacht und war seines Erfolges so sicher gewesen, daß er heute als Freier mit seinem Antrag hatte hervortreten wollen. Als er sich aber dem Salon der Damen näherte, fiel ihm auf, daß die Jungfer geschäftig Kleider und Hüte auf den Armen trug, als ob sie einpacken wollte, und daß Bedienstete des Hotels die mächtigen Rohrplattenkoffer mit dem aufgemalten Sternenbanner und den Buchstaben M. B. herbeischleppten. Schlimmer Ahnungen voll trat er ein und fand Mrs. Beaufort allein (Maud war im Nebenzimmer mit der Verwahrung ihres Schmuckes beschäftigt), die ihm ein bißchen weinerlich, aber doch geschwellt von Stolz erzählte, daß sie sich plötzlich entschlossen hätten, zur season nach London zu fahren. Eine Freundin Mauds war in London an einen Earl verheiratet, einen Earl, der Peer von England war und also nebst seiner Lady bei der Königskrönung in Westminster-Abtei mit dem Krönchen auf dem Haupte und dem hermelinverbrämten, roten Samtmantel erscheinen durfte und vom neugekrönten König geküßt wurde! Nie zuvor in seinem Leben war Ettore sich so albern vorgekommen wie jetzt, da er mit seinem wertlos gewordenen Antrag der alten Amerikanerin gegenübersaß (denn es war ja sicher, daß die Freundin auch für Maud schon einen Peer ausfindig gemacht hatte!) und das Loblied auf den Earl mit anhören mußte. Aber zornig, wirklich zornig war er erst geworden, als Maud eintrat, ihm ganz wie sonst die Hand reichte, ganz wie sonst lächelte, daß die großen Raffzähne im Oberkiefer allzusehr sichtbar wurden, und ganz unbefangen sagte: »Ja, dear Conte, wir haben nun genug von Venedig; es ist ja quite interesting, aber schließlich kann man sein Leben hier nicht verbringen!«

Das war deutlich, so deutlich, daß es kein Mißverständnis und keinen Antrag mehr gab. Priuli mußte sich darein finden, daß Maud ihn wochenlang am Narrenseil geführt hatte und ihn aufgab, als sich ihr die Aussicht auf einen Empfang im englischen Königsschloß eröffnete. Die Konkurrenz mit Buckinghampalast konnte er nicht aufnehmen, ebensowenig wie man diesen albernen Weibern (wie er sie jetzt im stillen nannte!) hätte klarmachen können, was ein Priuli war und in Venedig bedeutete. War doch neulich (er mußte lachen, wenn er daran dachte) die alte Beaufort sehr enttäuscht gewesen, als sie hörte, daß der Colleoni nicht identisch sei mit dem großen Dogen Priuli, was sie sich, Gott weiß wieso, eingebildet hatte. –

Nun, die Sache Beaufort war mißlungen, damit mußte man sich nun abfinden. Ettore empfand schmerzliches Bedauern, wenn er bedachte, was er alles von dieser Heirat gehofft hatte. All seine Schulden wollte er bezahlen, den verlotterten Palast von der Steintreppe an bis zum Speicher gründlich renovieren, nicht immer nur die Dogenmützen frisch vergolden lassen, wie er es jetzt tat. Die Mutter sollte behaglich, ohne die ekelhaften Geldsorgen ihren Lebensabend verdämmern, die schöne Schwester, die junge Eleonore, mit der Mitgift, die er ihr aufsetzte, einen Mann finden, daß sie nicht ins Kloster zu gehen brauchte, wie seine älteren Schwestern. Das alles wäre so einfach, so schön gewesen, und nun war alles zu Ende, bloß weil in weiter Ferne ein Earl einem von Snobismus verzehrten Mädchen winkte!

Gewaltsam riß er sich aus seinem Bedauern empor. Der Lido wurde schon deutlich sichtbar, und immer noch wußte Ettore nicht, mit welchem Gesicht er vor seine Freunde treten sollte. Die Wahrheit sagen und sich von ihnen bemitleiden oder ausspotten lassen, das einfachste wäre es gewesen, aber eine begreifliche Eitelkeit bäumte sich dagegen auf. Sagen, daß er es war, der die Partie aufgegeben hatte? Sie würden ihm nicht glauben. Andeuten, daß der Reichtum der Beauforts überschätzt worden oder daß er, Ettore Priuli, einem andern Goldfisch auf die Spur gekommen war? Das sah nicht sehr wahrscheinlich aus, mochte aber immerhin gehen, wenn man die Geschichte ein wenig schlau anfaßte und wenn man gleich einen anderen Namen oder eine andere Erscheinung gegen die Beaufort ausspielen konnte. Woher aber in der Eile ein anderes Mädchen, eine andere Partie ausfindig machen, die es begreiflich erscheinen ließen, daß man sich um ihretwillen von Maud abwandte?! Das war natürlich nicht leicht, und dennoch hatte Ettore plötzlich ein angenehmes Gefühl, so als ob hier eine Möglichkeit läge, über die er sich noch nicht ganz klar war, die aber unversehens Fernsichten erschließen konnte, von denen er jetzt noch nichts ahnte. Sein Unmut war während der langen Fahrt schon völlig geschwunden, nur eine große Müdigkeit war ihm geblieben und der Wunsch, die ersten Fragen und Anspielungen der Freunde hinter sich zu haben. Er war daher froh, als der Lido endlich zum Greifen nahe lag, und trieb seinen Gondoliere zur Eile an, damit sie noch vor dem Vaporetto, der sich eben dem Strand näherte, ans Land kamen und nicht durch die Wellen des Dampfers eine Verzögerung hatten. –

Als Ettore die Gondel verlassen hatte, merkte er, daß seine Eile ganz vergeblich gewesen war, denn er mußte ja doch auf das Trambähnchen warten, das vom Landeplatz zu den Bagni fuhr und natürlich den Anschluß der Vaporetti bildete. Er war ganz froh darüber, denn es eilte ihm gar nicht so sehr, die Freunde zu treffen, und obendrein bereitete es ihm die Freude des müßigen Bummlers, die dem Dampfer entsteigenden Menschen zu mustern. Es waren ihrer nicht gar zu viele, denn die Reisesaison hatte eben erst begonnen, und interessante Typen fehlten fast gänzlich. Es war ein ziemlich untergeordnetes, italienisches Kleinbürgertum, das herausdrängte, stark vermischt mit Deutschen von ähnlicher Qualität, die schon durch ihre seltsame, weder der Witterung noch dem Stimmungsreiz Venedigs angepaßte Kleidung ihre Nationalität verrieten. Ettore sah dieselben Gestalten, die jahraus, jahrein seine Vaterstadt in immer größeren Scharen überschwemmten: die Männer in Loden, die Frauen in abgetragenen Blusen, alle oder fast alle hingerissen, verzaubert von dieser Stadt, deren Name ihnen seit ihren Kindertagen wie ein Märchen ins Ohr geklungen hatte, daß sie gar nicht merkten, wie sie durch ihre vernachlässigten Erscheinungen, durch ihr lautes Wesen stets aufs neue den Spott und den Aerger der an allen Aeußerlichkeiten hängenden, eleganten Romanen hervorriefen. Einige Engländer stiegen aus, tadellos gekleidet, mit unbeweglichen Mienen, eine französische Kokotte, geschminkt und parfümiert, kam mit ihrem Begleiter angetrippelt, und man sah ihr an, daß sie von all der Herrlichkeit Venedigs nicht das geringste verstand und für den Boulevard des Italiens willig die Lagunenstadt hergegeben hätte.

Ettore wollte eben feststellen, daß die Musterung dieses Dampferpöbels sehr unergiebig gewesen sei, als ihm ein Paar auffiel, das fast als letztes den Dampfer verließ. Es war ein älterer Herr und eine junge Dame, die er sofort, noch ehe er sie sprechen hörte, als Deutsche erkannte, obgleich sie beide durch ihre Erscheinungen und ihren Anzug sehr vorteilhaft von ihren Landsleuten abstachen. Dem Herrn merkte man an seiner Haltung und an kleinen Einzelheiten seiner Toilette den Militär in Zivil an, die junge, schlanke Dame, die ein ganz einfaches, aber tadelloses blaues Tailor made mit einer weißen Spitzenbluse trug, konnte vielleicht seine Frau, wahrscheinlicher aber seine Tochter sein; Ettore war sich im Augenblick darüber nicht klar. Die beiden waren ihm zuerst durch ihre großen, schlanken Gestalten aufgefallen und dann durch einen Ausdruck von Glück, von Verklärtheit, der über ihren Gesichtern lag, sie von innen heraus beleuchtete, daß man gar nicht wußte, ob diese Menschen schön oder häßlich waren, sondern nur, daß ihnen etwas zuteil geworden, was sie nicht zu hoffen gewagt, daß sie dahingingen, eingesponnen und verloren in einen seligen Traum. Ettore erinnerte sich, daß er diesen entrückten Ausdruck wohl schon da und dort auf den Gesichtern von Deutschen gesehen hatte, die zum erstenmal nach Italien kamen, eine Sehnsucht zu stillen, die ihrer Rasse im Blute liegt; sie hatte ihm auch immer gefallen, ihn mitunter ein wenig gerührt, aber nie war ihm so warm ums Herz geworden, wie eben jetzt, da er diese beiden betrachtete. Das Mädchen war sicherlich nicht besonders hübsch, wohl auch schon über die allererste Jugend hinaus; ihr Gesicht war schon ein wenig gezeichnet, vom Leben, von kleinen, verschwiegenen Entsagungen und wortlosen Bitternissen, zugleich aber war es so erfüllt von Güte und vom Glück dieser Tage, daß Ettore sie bewegt ansah. Er dachte an Miß Maud, die sicher alle möglichen Eigenschaften besaß, nur keine Güte und vermutlich auch keine Glücksfähigkeit, und diese blonde, verklärte Deutsche erschien ihm mit eins schön und begehrenswert. Der ältere Herr bemerkte ihn, sah ihn eine Sekunde lang, sichtlich betroffen von Priulis Schönheit, an und machte dann zu der jungen Dame leise eine Bemerkung. Sie hatte bis jetzt auf die Lagune zurückgeblickt, wandte aber nun den Kopf nach der Richtung, wo Ettore stand. Er merkte, daß sie, genau wie ihr Begleiter, betroffen war von der Vollendung seiner Fechtergestalt und seinem kühnen, braunen Gesicht, das alle Feinheiten der alten Rasse wies. Weil er's merkte, sah er sie mit seinen dunklen Augen so schwärmerisch und lockend an, wie er alle Frauen anzublicken pflegte, und wartete gespannt den Effekt ab. Das Mädchen wandte langsam, ohne Bewegung oder Verwirrung zu verraten, den Kopf wieder weg, aber Priuli merkte, daß ihr helles Gesicht sich mit einer leisen Röte bedeckt hatte. Sie wechselte wieder ein paar Worte mit ihrem Begleiter, sah, während die Menge zur Trambahn drängte, immer wieder auf die Lagune und die ferne Stadt zurück. Priuli, der sich selbst nicht recht begriff, stand immer noch wie vorhin und dachte, wie töricht und süß es doch sei, daß ein Mensch sich glückselig fühle, bloß weil er in Venedig und weil die Lagune so blau ist …

Er hoffte, während der kurzen Fahrt des Trambähnchens irgendeinen Anknüpfungspunkt mit dem deutschen Paar zu finden, sah sich aber peinlich enttäuscht. Die beiden, die wahrscheinlich genug hatten vom Reisepöbel, stiegen nicht ein, sondern schickten sich an, die Bagni zu Fuß zu erreichen. Ettore warf noch einen seiner lockenden Blicke auf die blonde Dame zurück, aber sie sah ihn nicht oder wollte ihn nicht sehen, hing sich an den Arm ihres Begleiters, und weil der Wagen sich nun in Bewegung setzte, waren sie bald dem Gesichtskreis Ettores entschwunden.

2.

Die Freunde Priulis, der junge Fürst Gaulo, die zwei Grafen Fabbriani und der Graf Spatò, erwarteten ihn mit mehr Geduld und besserer Laune, als er sich dachte. Sie saßen an einem runden Tisch auf der Kurhausterrasse, sogen an den Strohhalmen ihrer Graniti, sahen hinunter aufs Meer, wo einzelne, aber nicht allzu viele badeten, und sprachen in den Pausen, welche die Musikkapelle ließ, über allerlei Gesellschaftsklatsch und -neuigkeiten und über ihr Lieblingsthema, – das Heiratsproblem. Priuli hätte sich ihretwegen gar nicht auf eine Ausrede oder irgendeine Gefühlskomödie zu besinnen brauchen, denn sie waren von seinem Mißerfolg bei der Amerikanerin schon überzeugt, als seine Hoffnungen noch mit geblähten Segeln dahinfuhren. Gaulo sagte:

»Es dauert zu lange! Wenn eine Sache nicht in den ersten acht Tagen glückt, wird sie überhaupt nichts mehr! Sie nimmt Priuli nicht, verlaßt Euch darauf!«

Die andern nickten. Der jüngere Fabbriani, blond und häßlich, wie die blonden Italiener fast immer sind, sagte nachdenklich: »Es ist komisch! Priuli sieht doch so famos aus, daß man meint, er brauchte nur die Hand auszustrecken, um alle Weiber in der Tasche zu haben …«

»In der Tasche schon, aber nicht in der Kirche!« meinte Spatò, der sich gern als Experte in Heiratsangelegenheiten aufspielte. Auch ihm sah man die alte, vornehme Rasse an, aber mehr an Dekadenzmalen denn an Vorzügen. Er war engbrüstig, hatte einen auffallend langen, schmalen Schädel und lebte seit Jahren mit einer Tänzerin, von der er nicht mehr loskam. Jeder wußte, daß er nur den Tod eines reichen Großonkels, der mit Enterbung drohte, abwartete, um seine Geliebte zu heiraten.

Die andern lachten. Es war eine kleine Schwäche Spatòs, stets so zu tun, als ob er seine Tänzerin jeden Augenblick verabschieden könnte und wollte und ernstlich daran dächte, eine vorteilhafte Standespartie zu machen. Er tat nicht nur vor den Leuten so, er redete es sich auch selbst ein, und darum wußte niemand in Venedig, ausgenommen vielleicht der junge Fürst Gaulo, so genau Bescheid um alle Partien, die in Frage kamen, wie Spatò. Massimo Fabbriani tat ihm jetzt den Gefallen, auf sein Spiel einzugehen, und fragte, was man denn tun müsse, um einen Goldfisch zu angeln. Spatò wiegte leise den Kopf, schien ein wenig nachzudenken und sagte dann fast dasselbe, was Priuli vorhin erwogen hatte.

»In Venedig ist es schwer, verdammt schwer; die Konkurrenz des Auslandes ist so groß! Unsere Namen klingen da draußen zu wenig, und unsere Paläste, nun ja, wenn man einen am Canal Grande hat, mag's noch gehen (der Palazzo Spatò, dicht bei den Palazzi Mocenigo gelegen, war einer der stolzesten des Canal Grande und berühmt wegen seiner prächtigen Renaissancefassade); aber der arme Priuli hat darin Pech. In der Calle, wo er steht, sieht ihn kein Mensch!«

»Aber der Palazzo Priuli ist entzückend!« meinte Cesare Fabbriani, der ein wenig mit Kunstinteressen kokettierte. »Für seine Spitzbogen geb' ich den Loredan und den Cornèr und noch einen dazu!«

»Ja, mein Lieber, wenn Du glaubst, daß die Mädchen wegen des Spitzbogenstils heiraten!« beharrte Spatò. »Wenn man ihnen imponieren will, muß man am Canal Grande wohnen, wo alle Parvenüs täglich vorbeifahren, und wo die Aussicht lockt, daß der Name, den sie erheiraten, von jedem Gondoliere und Fremdenführer genannt wird! Aber in einer Calle –«

Massimo Fabbriani gab Spatò recht. Er war mit seiner blonden Häßlichkeit immer etwas neidisch auf Priuli, und es freute ihn, wenn man die Chancen des schönen Ettore gering einschätzte. Darum sagte er jetzt, nur um den Widerspruch der andern zu hören:

»Freilich hat Priuli etwas, was mehr wert ist als irgendein Palast. Er hat seine Gemäldegalerie mit der ›Dogaressa‹!« Einen Augenblick herrschte Schweigen. Die ›Dogaressa‹, das weltberühmte Bild, das sich seit Jahrhunderten im Besitz der Priuli befand und eines der köstlichsten Kleinode Venedigs darstellte, war jedem Venezianer so teuer, daß er nur mit Ehrfurcht davon sprach. Cesare Fabbriani meinte gedankenvoll:

»Ja, die ›Dogaressa‹ …! Was wären die Priuli, wenn sie das Bild nicht hätten! Es ist übrigens das einzige Wertvolle in der ganzen Sammlung. Der Rest ist nur Kitsch!«

Gaulo lachte.

»O, wenn die Priulis das Bild verkaufen könnten, das gäbe einen schönen Haufen Geld, was meint Ihr?«

Sie fingen an Summen zu nennen, Millionenziffern, die alle gleich möglich oder unmöglich sein konnten, weil der Wert des Bildes nicht abzuschätzen war. Schließlich meinte Cesare Fabbriani, der anfing sich zu langweilen:

»Wozu machen wir uns eigentlich die Köpfe mit all den Zahlen warm? Bei uns kann es doch keiner kaufen, und nach auswärts darf es ja nicht gehen!«

Sie nickten. Nun, da sie, scheinbar im Scherz und doch mit einem deutlichen Unterton von Ernst und Gier, das Bild abgeschätzt hatten, war ihr Interesse an ihm erschöpft, zudem sie jetzt Ettore auf ihren Tisch zukommen sahen. Er ging langsam, den Hut aus der Stirn geschoben, den Kopf ein wenig zurückgelegt, das Stöckchen schwingend, ganz und gar der scharmante, schöne Priuli, als den ihn Venedig kannte. Er setzte sich zu ihnen, tauschte mit ihnen die üblichen Redensarten über das Wetter von heute, gestern und morgen, bestellte sich eine Eislimonade, zündete eine Zigarette an und schien nichts zu empfinden als das Behagen des Lebens und die Helle dieses Tages. Gaulo fragte ihn neckend:

»Was macht Amerika?«

»Vederemo!«

»Ist die Geschichte noch nicht bald spruchreif!«

Der häßliche, blonde Fabbriani sah Ettore lauernd an. Ettore verstand, was der Blick sagen wollte, und entgegnete gelassen:

»Eine Verlobung ist kein Kinderspiel! So etwas muß man sich genau überlegen. Ich muß mir's nämlich genau überlegen!«

Er staunte selbst, daß er so unbefangen flunkern und die andern verblüffen konnte. Denn verblüfft waren sie ein paar Sekunden lang, wenn schon sie sich bei ruhiger Ueberlegung sagen mußten, daß die sogenannte Ueberlegung wohl mehr auf seiten Miß Mauds als auf der Priulis war. Sie neckten ihn noch, fragten ihn, was es denn angesichts von so viel Dollars noch zu überlegen gäbe, worauf er zuerst allerlei allgemeine Redensarten machte, um plötzlich ernst und ein wenig geheimnisvoll zu behaupten:

»Ich werd' Euch später sagen, warum mir heute Bedenken gekommen sind!«

Die andern lachten oder lächelten, und der blonde Fabbriani freute sich innerlich über die Niederlage, die er aus den umschreibenden Worten deutlich merkte; Priuli selbst aber hatte, er wußte nicht wieso, mit einemmal das Gefühl, als ob seine Worte nicht mehr bloß Ausrede und Erfindung seien, als ob sie vielmehr in irgendeinem Grunde wurzelten, so daß er selbst beinahe zu glauben begann, irgendeine schwerwiegende Ursache hätte seine Verlobung mit Miß Maud verzögert.

Nun waren sie wieder auf dem alten Lieblingsthema, der reichen Heirat, und sie erörterten abermals tiefsinnig, wie schwer es für sie sei, eine zu schließen.

Gaulo sagte:

»Es ist eigentlich ein Unsinn, immer hinter diesen Ausländerinnen herzujagen. Man sollte sich mehr an die Töchter des Landes halten!«

Spatò meinte:

»Freilich! Nur haben leider die Väter des Landes sehr wenig Geld!«

Ja, darin hatte er wohl recht, das gaben alle zu. Das war ja eben der Jammer, daß man auf die Ausländerinnen angewiesen war, mit denen man sich in der Ehe dann schlecht verstand und schlecht vertrug. Die Fabbrianis zwar, deren Familie sich ein paarmal mit dem österreichischen Hochadel verschwägert hatte, meinten, daß die Oesterreicherinnen, natürlich die Oesterreicherinnen aus den italienischen Sprachgebieten, angenehme Gattinnen abgäben, die sich leicht und gut in die Besonderheiten Italiens und der vornehmen italienischen Ehe einlebten. Sie stießen aber auf den vereinten Widerstand der andern drei, die nichts von Oesterreich wissen wollten. Oesterreich war für sie trotz des Dreibundes der Bedränger Italiens, mit dem man wohl über kurz oder lang aneinandergeraten würde, und wenn diese jungen Leute sich auch nicht im geringsten um Politik kümmerten, so war ihnen doch die Abneigung gegen Oesterreich in Fleisch und Blut übergegangen.

Die Fabbrianis gaben schließlich klein bei.

»Also schön, keine Oesterreicherinnen! Aber wen dann? Mit den Amerikanerinnen ist das doch so eine Sache –«

Der Blonde schielte zu Ettore hinüber, der unbefangen und aufmerksam Rauchkringel in die Luft blies, als hätte er nie von einer Amerikanerin einen Korb erhalten.

»Und die Engländerinnen –«

Gaulo nahm heftig für die Engländerinnen Partei. Er war, wie die meisten Italiener, ein großer Anglomane, weil er, wiederum wie die meisten seiner Landsleute, verwandte Seiten mit den Engländern besaß. Ihre Geldgier, ihre Rücksichtslosigkeit, ihre Kunst sich durchzusetzen und zu behaupten, imponierten ihm mächtig, und die ungeheuren Reichtümer, die sie ansammelten, natürlich noch mehr. Er sagte:

»Ich hoffe zuversichtlich, einmal eine Engländerin zu heiraten. Von allen Frauen, die ich kennen gelernt habe, gefallen sie mir in jeder Hinsicht weitaus am besten!«

Spatò lächelte ironisch.

»Ich weiß nicht, aber wenn ich Tassini ansehe … Ich sag' Euch, die Ehe Tassinis hat mich ein für allemal von dem Gedanken abgebracht, eine Engländerin zu freien!«

Sie zuckten die Achseln, gingen nicht weiter auf Spatòs Worte ein. Mein Gott, wer sprach denn noch von der Ehe der Tassinis?! Die Tassinis waren ja doch schon über zwanzig Jahre verheiratet, und die Ausschweifungen des Fürsten wie die Absonderlichkeit der Fürstin waren so oft besprochen und kritisiert worden, daß es langweilig gewesen wäre, jetzt abermals darauf zurückzukommen. Gaulo sagte also nur:

»Ich bitte Dich, hör' auf mit den Tassinis! Das ist ja schon beinahe biblische Geschichte.«

Spatò aber, der gerne widersprach oder zum Widerspruch reizte, versetzte:

»Biblische Geschichte? Schön! Dann will ich Euch etwas ganz Neues sagen. Merkt auf! Man sollte weder Oesterreicherinnen noch Amerikanerinnen, noch Engländerinnen heiraten, sondern deutsche Mädchen!«

Nun erhob sich ein Sturm der Abwehr. Wie konnte Spatò nur so etwas behaupten oder gar im Ernst meinen! Die Deutschen waren garstig, plump, unelegant, – wie sollte man solch ein Mädchen in die Pracht venezianischer Paläste, in die Kreise venezianischer Gesellschaft bringen, in der es so schöne Frauen, so glänzendes Auftreten und so scharfe Lästerzungen gab?! Man wäre lächerlich vom ersten Tag der Ehe an, und über Lächerlichkeit könnte auch alles Geld nicht weghelfen.

»Zudem haben die Deutschen auch gar nicht so viel Geld!« meinte der ältere Fabbriani, und die andern gaben ihm recht.

Spatò ließ ihren erregten, von Gesten reichlich unterstützten Widerspruch verklingen, wiegte bedächtig den Kopf:

»Ja, ja, Kinder, Ihr redet geradeso wie Eure Väter geredet haben, weil Ihr Euch um das, was in der Welt vorgeht, nicht kümmert! Ihr meint immerfort, die Deutschen seien noch die Kleinkrämer, auf die wir mit Verachtung herabblicken können. Ich sag' Euch aber, daß dies alles anders geworden ist, ganz anders! Sie sind in Deutschland reich geworden, schwer reich, ekelhaft reich, und darum ist's ein Unsinn, daß wir immer noch wie hypnotisiert auf die Misses von Amerika und England starren! Es gibt heute in Deutschland eine Unzahl von reichen Mädchen, die obendrein auch noch gut aussehen und sich zu kleiden wissen, jawohl, Gaulo, wenn Du auch noch so sehr grinst und meinst, Du seist in Heiratsgeschichten unfehlbar! Frage einmal beim Portier von Bauer-Grünwald nach, wer jahraus, jahrein in den seidentapezierten Salons bei ihm wohnt, da wirst Du Namen hören, hinter denen Millionen und immer wieder Millionen stehen, und Frauen, die sich überall sehen lassen können …«

Gaulo sagte trocken:

»Danke, ich bleibe lieber beim ›Danieli‹ und ›Beaurivage‹!«

Die andern lachten, denn sie wußten ja, daß von dort aus Gaulo durch einen Vertrauensmann die Ankunft der reichen Angelsächsinnen erfuhr, Ettore aber, der bis jetzt ziemlich teilnahmlos geblieben war, mischte sich ins Gespräch und gab zum allgemeinen Staunen Spatò recht. Keiner begriff ihn, denn er hatte bis zum heutigen Tage immer eine gewisse Verächtlichkeit für die deutschen Frauen an den Tag gelegt, und darum dachten sie, daß auch aus ihm nur ein momentaner Widerspruchsgeist redete. Er aber aber beharrte:

»Ich bin ganz der Meinung Spatòs. Wir täten sehr gut, wenn wir einmal das Geld und die Frauen der Deutschen in Betracht ziehen würden!«

Und Spatò fuhr fort:

»Jawohl, Gaulo, ich werde Dir gleich beweisen, wie richtig meine Behauptung ist.«

»An der Hand des Portiers von Bauer-Grünwald?«

»Sie ist ebenso gut wie die Hände von ›Danieli‹ oder ›Beaurivage‹!«

»Also meinetwegen,« sagte Gaulo, der in Spatòs Worten Schärfe spürte und keinen Streit aufkommen lassen wollte. Ettore aber horchte auf, als ob Spatò nur für ihn spräche.

»Also merkt auf: Da wohnen seit ein paar Tagen im ›Bauer-Grünwald‹ Deutsche, denen man gar nichts Besonderes ansieht. Vater und Tochter. Der Portier hat sie mir gezeigt und ihren Namen gesagt. Sie heißen: Scio … Sce …« Spatò machte noch einige weitere, vergebliche Versuche, einen deutschen Namen zu buchstabieren, ließ aber, da er die Aussichtslosigkeit einsah, davon ab und sagte: »Nun, den Namen werd' ich Euch nachher zeigen, der Portier hat ihn mir aufgeschrieben. Also das ist ein alter Offizier mit seiner Tochter, einem hübschen und ganz eleganten Mädchen. –«

Ettore hörte jetzt gespannt zu.

Gaulo markierte ein Gähnen.

»Nun erzähl' uns noch, daß auch die deutschen Offiziere Milliardäre sind, dann hast Du für heute so ziemlich den Gipfel der Absurdität erreicht!«

»Laß Spatò doch ausreden!« sagte Priuli so zuversichtlich, als wisse er jedes Wort, das Spatò noch sagen wollte.

»Jawohl, Gaulo, hör' mich bis zu Ende an! Dieser alte Offizier, der bisher wahrscheinlich in irgendeiner kleinen Garnison mit seiner Familie ein Fretterleben geführt hat, machte plötzlich eine Erbschaft, eine Sensationserbschaft, um die schon seit achtzig Jahren ein hartnäckiger Prozeß von Generation zu Generation geführt worden ist …«

»Querelles allemandes!« warf Gaulo ironisch hin.

»Nein, gar nicht querelles allemandes, denn dieser Streit ging nicht um nichts, sondern um viele Millionen!«

Jetzt fing Gaulo an, sich für die Geschichte zu interessieren.

»Sag' mal, hat man Dir da nicht am Ende bei ›Bauer-Grünwald‹ einen Bären aufgebunden? Ein alter Offizier und plötzliche Millionen – das kommt mir so unwahrscheinlich vor!«

Spatò zog seine Brieftasche heraus, kramte ein wenig darin herum und brachte einen Ausschnitt aus einer deutschen Zeitung sowie einen Zettel zutage, auf dem mit Bleistift ein paar Worte geschrieben standen. Er reichte beides Gaulo hin, damit er es sehen und auch den andern zeigen konnte.

»Auf dem Zettel steht, wie sie heißen, und in dem Zeitungsausschnitt die Geschichte ihrer Erbschaft, die bis zu irgendeinem Kurfürsten aus dem 18. Jahrhundert zurückreicht und darum wohl auch die Oeffentlichkeit in Deutschland interessiert!«

Gaulo las von dem Zettel: »Oberst a. D. von Schöttling und Tochter.« Den Zeitungsausschnitt konnten sie aber nicht lesen, weil keiner von ihnen Deutsch verstand. Sie gaben Zettel und Ausschnitt an Spatò zurück und redeten ihm zu, daß er sich vom Portier des »Bauer-Grünwald« das Entrefilet übersetzen lassen sollte. Nur Ettore machte ein wissendes Gesicht, das dem blonden Fabbriani auffiel.

Spatò hatte eben die Papiere wieder in seine Brieftasche zurückgesteckt, als es ihm einen kleinen Ruck gab.

»Per Dio, da sind sie! Da kommen sie gerade auf die Terrasse zu!«

Alle hoben die Köpfe, wandten sie nach der Seite, die Spatò bezeichnet hatte. Ettore tat's ein wenig hastiger und zugleich sieghafter als die andern, denn er ahnte deutlich, daß die Millionenerben niemand anders waren als die verklärte Blondine mit ihrem Vater, die ihm vorhin bei der Landung des Vaporetto aufgefallen waren.

»Nun, hab' ich nicht recht? Sieht die Kleine nicht ganz patent aus?« fragte Spatò im Ton eines Impresarios.

Wirklich, es ließ sich kaum etwas entgegnen, und Gaulo, der nörgelte, daß das Mädchen zu überschlank und ihre Nase zu lang sei, fiel gänzlich ab. Bah, mit der Zeit würde sie schon dicker werden, und die wirklich etwas große Nase störte den Reiz des Gesichtes mit den sorgsam frisierten Blondhaaren nicht im geringsten. Sie hatte eine ruhige Anmut des Ganges und, was Ettore jetzt erst bemerkte, ungewöhnlich schmale Füße und Hände. Ihre Linke hielt einen ausgespannten, weißen Spitzensonnenschirm, während die Rechte liebkosend mit einer langen Halskette spielte, einer jener wunderbar feinen, von Perlen unterbrochenen Ketten, wie nur venezianische Goldschmiede sie fertigen. Die Aufmerksamkeit, die ihr Kommen an dem Tisch der jungen Leute erregte, mußte ihr auffallen, fiel ihr auch auf, und sie erkannte sogleich den Mann wieder, dessen Fechtergestalt und klassische Schönheit sie unten am Landungssteg betroffen gemacht hatte. Sie wurde wieder rot, sah weg und suchte mit ihrem Vater angelegentlich einen Tisch, an dem die Sonne nicht lästig war und der zugleich den freien Ausblick übers Meer bot. Weil Priuli Glück hatte, vielleicht auch weil Fräulein von Schöttling es trotz ihres Errötens wollte, fand sich ein Tisch, der etwas entfernt, aber doch den jungen Leuten gerade gegenüber stand, so daß Priuli im Laufe des verdämmernden Nachmittags noch mehrmals Gelegenheit hatte, schmachtende und lockende Blicke zu schleudern, die jedesmal mit einem Erröten, ein und das andere Mal auch mit einem Gegenblick quittiert wurden. Kurz ehe die jungen Leute aufstanden, um nach Venedig zurückzufahren, sagte er mit einer gewissen Süffisance, die den blonden Fabbriani ärgerte:

»Ja, seht Ihr, nun will ich's Euch doch nicht länger verschweigen. Ich wußte die Sache von der deutschen Millionenerbschaft schon länger und habe darum meine amerikanische Miß etwas kaltgestellt … Ich beabsichtige nämlich, dieses Fräulein von Schöttling zu heiraten!«

Er hatte sie zuerst verblüffen wollen, nichts weiter, aber bei jedem Wort, das er sagte, wuchs ihm der Glaube an sich und seine phantastische Behauptung, so daß es ihm schließlich vorkam, als wäre sein Abfall in Venedig heut nachmittag eine besondere Fügung des Schicksals gewesen, das ihm dieses blonde, deutsche Mädchen zur Gattin bestimmte.

3.

Elisabeth von Schöttling stand am offenen Fenster des kleinen Salons, der zwischen den beiden Schlafzimmern lag und sah hinaus auf den Canal Grande, an dessen Ufern Palast an Palast gereiht in der Morgensonne lag. Köstliche Pergolen wechselten mit Säulen und Fassaden des San Sovino, mit Friesen, Balkonen und Pilastern von heiterer Festlichkeit. Die einen sahen gewaltig, die andern prunkvoll oder verlottert aus, den mochte ein Eroberer, jenen ein fröhlicher Genußmensch oder ein toller Verschwender gebaut haben, aber wer immer den Odem des Lebens ihnen eingeblasen hatte, – sie hatten ihn bewahrt, wie sie ihn empfingen, und trugen ihn weiter über Jahrhunderte, Krieg, Völkergeschick und Verfall bis auf den heutigen Tag, daß der Wasserarm, in dem sie sich spiegeln, einer geheimnisvollen Quelle gleicht, der die Kraft gegeben war, dem Tode zu wehren und längst Vergangenes durch Zauberkraft festzuhalten. Unwirklich, nicht einmal wie ein Märchen, sondern nur wie die Spiegelung eines Märchens, lag Venedig da, nur die Vaporetti, die auch zu dieser frühen Stunde fleißig und geräuschvoll den Kanal auf und ab fuhren, brachten durch das wirbelnde Geräusch ihrer Räder und die bunte Menge, die sie verfrachteten, den Lärm und das Getriebe des lebendigen Tages in diese Palaststraße, die der Vergangenheit und den großen Erinnerungen geweiht scheint. Elisabeth sah hinaus, wie sie jeden Morgen hinaussah, ungläubig, erstaunt, so als ob sie's noch immer nicht fassen könne, daß dies alles nun ihr und ihren durstigen Augen gehöre. Sie wandte den Kopf zurück zu ihrem Vater, der am Frühstückstisch saß:

»Kannst Du's fassen, Papa, ich noch immer nicht! Ich meine immer noch, eines Morgens müßt' ich aufwachen, daheim in München, und merken, daß alles nur geträumt war!«

Der Oberst lachte.

»Unser italienischer Traum dauert jetzt schon Wochen, und da hab' ich mich allmählich daran gewöhnt!«

»O sag' nicht ›gewöhnt‹! Gewöhnen kann man sich an alles mögliche, aber an Venedig nie, nie … Mir kommt's schon immer so töricht vor, daß man hier essen und schlafen muß, wie sonst auch, statt zu schauen, immerfort zu schauen. Ich hab's wie ein Fieber in mir, daß ich meine, ich müßte jeden Tag auspressen und genießen, als ob er mein letzter wäre!«

»Ich genieße jeden Venezianer Tag lieber so, als ob er mein erster wäre, als ob ihm noch eine endlose Reihe von seinesgleichen folgen müßte.«

Elisabeth dachte eine Sekunde nach.