Die Häuser von Ohlenhof - Hermann Löns - E-Book

Die Häuser von Ohlenhof E-Book

Hermann Löns

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Häuser von Ohlenhof" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Hermann Löns (1866-1914) war ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Schon zu Lebzeiten ist Löns, dessen Landschaftsideal die Heide war, als Jäger, Natur- und Heimatdichter sowie als Naturforscher und -schützer zum Mythos geworden. "Reichart hat die Achtung aller Leute im Dorfe, sowohl die der großen Bauern, weil er so gut zu wirtschaften versteht, als auch die der Forstarbeiter, denen er ein gerechter Vorgesetzter ist; der alte Oberheide aber hat nicht nur die Achtung bei groß und gering; er ist allerseits beliebt. Das merkt man an der Art und Weise, wie die Leute den einen und den anderen grüßen, und wie sie von beiden sprechen."

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Hermann Löns

Die Häuser von Ohlenhof

Ein Dorf im Porträt
e-artnow, 2017 Kontakt: [email protected] ISBN 978-80-268-7485-0

Inhaltsverzeichnis

Der neue Krug
Tante Janna
Der Dieshof
Wiebenengel
Schermennie
Die alte Schänke
Helmbrechtsvater
Das Schulhaus
Der Lütkensweershof
Der Korlshof
Der Ludjenhof
Die Mühle
Just Rust
Doris
Das Forsthaus
Der rote Hinnerk
Schneidersjohann
Rosenwillem
Die Erbfeinde
Jakob
Das Gemeindehaus
Unkraut
Der Rappenhof
Jan

Der neue Krug

Inhaltsverzeichnis

Gleich am Eingange des Dorfes hinter der Brücke zur linken Hand liegt, von vier schönen alten Linden halb verdeckt, ein großes, rotes, strohgedecktes Haus, der neue Krug genannt.

Es ist schon fast ein Mandel Jahre her, daß dort Schankwirtschaft betrieben wurde, aber das Haus heißt heutigentags noch der neue Krug. Es ist jetzt Eigentum des Tischlers Bünger.

Als der vorvorige Besitzer der Wirtschaft, der Krüger Tormann, und seine Mutter, Frau, Sohn und zwei Töchter hintereinander am Typhus wegstarben und weitläufige Verwandte das ganze Wesen erbten, kaufte ein Mann aus der Dannenberger Gegend namens Peter Lemke das Haus und den Garten mit etwas Land.

Es war ein freundlicher Mann, und so, wie er, war auch seine hübsche, dicke Frau. Das Ehepaar führte das Geschäft in der alten Weise weiter, hielt sich vorsichtig zurück, bis zwischen ihm und den Bauern von selber ein freundschaftliches Verhältnis herauskam, und in fünf Jahren war es, als wenn Lemkes zu dem alten Stamme gehört hätten.

Die Bauern waren mit ihrem neuen Krüger zufrieden, zumal es im Blauen Schimmel von Tag zu Tag ungemütlicher wurde. Ein vernünftiges Glas Bier gab es bei Schimmelberg nicht, immer nur Flaschenbier nach der alten Weise, der Schnaps war meist warm, und die Zigarren scheußlich. Ludjen Schimmelberg ließ es seine Gäste zu sehr merken, daß er die Schankwirtschaft nur betrieb, weil er sie erheiratet hatte, und daß ihm an seiner Ackerwirtschaft allein etwas lag; und seine Frauensleut hatten mit dem Vieh mehr als genug zu tun, so daß sie sich um die Gäste auch nicht viel kümmerten.

Der neue Krüger kam langsam, aber sicher vorwärts. Er paßte scharf auf, und sah er, daß sich etwas für seine Wirtschaft oder sein Geschäft lohnte, so nahm er es an. Vorsichtig gewann er den Lehrer für die Gründung eines Gesangvereins; das gab einen Abend im Monat eine volle Gaststube mehr. Er steckte sich hinter den Schmied, der für alles zu haben war, was ihn vom Blasebalg abzog, und der brachte einen Kriegerverein zusammen. Das brachte wieder einen Abend im Monat eine volle Gaststube. Er stellte ein Musikinstrument auf, damit sich das junge Volk Sonntags die neuesten Walzer vorspielen lassen konnte, und schließlich baute er sogar einen Saal.

Da er nach Wendenart in allem langsam und bedächtig vorging, stieß er niemand vor den Kopf. Um zehn Uhr war in der Woche für die Einheimischen Feierabend; darauf hielt er strenge; die Jäger und andere Fremde durften bis elf Uhr aufsitzen. Wenn Kordes, der Schmied, seinen tollen Tag hatte, oder wenn der wilde Meyer aus Krusenhagen vorfuhr und mit dem Gelde um sich warf, so sorgte er dafür, daß es kein Ärgernis gab. Er behandelte alle Leute vom Landrat und Pastor bis zum Häusling und Knecht gleich freundlich, wußte aber, durch kleine Abstufungen in seinem Benehmen das richtige Maß zu halten; denn er war früher herrschaftlicher Diener gewesen. Waren gab er an sichere Leute auf Borg. Getränke an niemand. Er protzte nie, aber wenn es darauf ankam, knauserte er auch nicht.

Mit der Zeit hob sich sein Geschäft so sehr, daß das alte Haus nicht mehr genügte. Da er als sicherer Mann galt, wurde es ihm nicht schwer, sich von Kassen, dem Müller, und von dem Vollmeier Hillmann den Rest des Baugeldes zu verschaffen. Er riß das alte, baufällige Haus ab und stellte einen stattlichen Neubau hin, der eine freundliche Gaststube, ein Vereinszimmer, einen hübschen Laden und im Dachgeschosse drei Fremdenzimmer enthielt, die er sofort an Sommerfrischler vermieten konnte. Zwei Jahre darauf getraute er sich, einen großen neuen Saal zu bauen. Auch hierzu gab ihm Hillmann eine Hypothek. Einer der Jagdfreunde des Pächters der Gemeindejagd war Schriftsteller. Dieser Herr verbrachte seinen ganzen Urlaub in Ohlenhof, und Lemke machte es ihm so gemütlich, daß der Gast durch einige Schilderungen, die in großen Zeitungen erschienen, viel Ausflügler und Sommergäste in das Dorf führte, darunter einen Maler, der seine ganze Schule, über zwanzig Menschen, mitbrachte, die nun drei Monate im Dorfe wohnten und bei Lemke Mittag aßen. Da es alles nette, sinnige Leute waren, hatten die Bauern ihre Freude an ihnen.

Eines Tages, als Lemke in aller Frühe an dem Kanal entlang ging, um nach seinen Aalkörben zu sehen, hörte er am herrschaftlichen Holz einen Schuß fallen und sah nach einer Weile den Schmied Kordes, der die kleine Schimmelbergsche Eigenjagd in Pacht hatte, mit einem Rehbock im Rucksacke durch das Bruch kommen. Als Kordes schon dicht bei dem Dorfe war, kam der Kätner Oltmann aus dem herrschaftlichen Holze, und als der verschwunden war, kam der herrschaftliche Förster auf seinem Rade den Heidweg heruntergefahren, erkundigte sich danach, wie viel Aale Lemke gefangen habe, und meinte, nachdem über dieses und das geredet war: »Na, Kordes hat sich wohl heute morgen einen Bock geholt!« Lemke dachte nichts Arges und sagte, daß der Schmied mit einem Bocke auf dem Rücken durch das Bruch gekommen sei, und als der Förster weiter fragte, bestätigte er ihm auch, daß der andere Mann Oltmann gewesen sei. Eine Stunde später fuhr der Gendarm aus Krusenhagen an dem neuen Kruge vorüber, und bald darauf hörte Lemke, daß der Gendarm in Begleitung des Försters bei Kordes Haussuchung gehalten und den Bock beschlagnahmt hätte.

Lemke wurde das Herz schwer, denn ihm war so, als habe er eine große Dummheit gemacht, daß er dem Förster seine Beobachtung offenbart hatte. Er hatte einmal so etwas gehört, als nähme es der Schmied mit der Grenze nicht so genau, trage vielmehr den Grenzstein in der Tasche, aber er hatte nicht weiter darauf zugeschlagen. Als nun der Gendarm und der Gutsförster bei ihm eintraten und ihn baten, ob sie ihn nicht einen Augenblick allein sprechen könnten, wurde er ganz blaß und führte sie schnell in das Vereinszimmer; denn in der Gaststube saß der Kätner Meyer, und was der hörte, das hörte auch Schmied Kordes, denn die beiden waren Vettern. Der Gendarm stellte ein kurzes Verhör mit dem Krüger an, und so sehr sich dieser auch wand, er mußte angeben, wo er den Schmied gesehen hatte. Dabei fiel es ihm ein, und sein Herz wurde ihm darüber noch schwerer, daß das Stück Bruch vor dem herrschaftlichen Holze nicht mehr zu der Schimmelbergschen Jagd gehöre, daß Kordes also gewildert hatte.

Er sollte bald merken, daß ihn seine Ahnung nicht betrogen hatte. Zuerst fiel es ihm auf, daß Meyer sich nicht mehr sehen ließ, denn der kam sonst jeden Abend eine Stunde. Auch der Schmied ließ sich nicht sehen, sein bester Gast. Die anderen Stammgäste kamen wohl, aber sie blieben nur kurze Zeit und verhielten sich recht kühl, wie es dem Krüger deuchte. Am nächsten Tage um drei Uhr, zu einer ganz ungewohnten Zeit, erschien der Müller, saß lange bei seinem Schnapse, sprach dann von der Heuernte, vom Wetter, von seinem Aalfang und von dem Schaden, den ihm die Rehe in seiner Besamung getan hätten, und kam schließlich auch auf den beschlagnahmten Rehbock, wobei er so bei Wege meinte, man könne auch zu scharfe Augen haben, und es wäre schlimm, daß bei einem Manne aus dem Dorfe eine Haussuchung vorgenommen worden sei. Übigens könne man vom Kanal aus nicht sehen, ob der Schmied aus dem herrschaftlichen Bruche gekommen sei. Dabei sah er den Wirt scharf an, was sonst nicht seine Art war, denn meistenteils sah Kassen mit kleinen Augen vor sich hin. So wie Kassen redeten in den nächsten Tagen die anderen gelegentlich auch, denn wenn der Schmied auch ein leichter Hund war, er stammte aus einer alten Familie und hatte große Freundschaft im Dorfe.

Lemke nahm sich nun auch vor, seine Aussage möglichst so einzurichten, daß sie zugunsten des Schmiedes ausfalle. Er atmete auf, als alle seine Gäste wieder antraten, sogar der Schmied kam wieder, gab viel aus, schimpfte auf den Förster, der sich im Morgennebel versehen hätte, und meinte, Lemke hätte doch genau sehen können, daß er mindestens hundert Schritt von der Grenze weggeblieben sei. Schließlich glaubte der Krüger das selber. Aber als er auf dem Gerichte vernommen wurde, und der Förster einen genauen Plan des Tatortes vorlegte, da mußte er zugeben, daß Kordes hinter und nicht vor den Ellernbüschen über das Bruch gekommen sei. Vier Wochen hinterher fand eine Ortsbesichtigung statt, und in ihr mußte der Krüger trotz aller Ausflüchte und aller Hinweise auf den starken Nebel und sein Augenleiden zugeben, daß er den Schmied hinter den Ellerbüschen hatte gehen sehen.

Sowohl nach der Vernehmung wie auch nach der Ortsbesichtigung konnte Lemke die Nacht nicht schlafen. Er merkte es auch sofort, wie die Stimmung im Dorfe war. Der Verkehr in der Gaststube ließ nach, im Laden wurde weniger gekauft, man grüßte ihn mit nachlässiger Kälte, übersah ihn auch wohl ganz.

Als der Tag der Aburteilung herankam, war ihm sehr elend zumute. Es regnete, und der Wind pfiff, und so kam er naß und verfroren auf dem Gerichte an. Der Schmied war in bester Laune; er scherzte und versuchte sogar ein harmloses Gespräch mit dem Gutsförster und dem Gendarm, hatte aber bei beiden kein Glück damit. Sein Vetter, der Kätner Meyer, stand gedrückt neben ihm. Er war ebenfalls angeklagt. Ab und zu warf er dem Wirte einen prüfenden Blick zu. Endlich löste er sich von der Wand, trat an ihn heran und meinte leise, nachdem er erst von dem Wetter geredet hatte, daß das Schwören eine gefährliche Geschichte sei, und man tue am besten und lasse die Hand ganz davon. Und dann sprach er laut von den Schweinepreisen.

Lemke verstand nicht, was Meyer eigentlich meinte, und als ihn der Richter aufforderte, seinen Zeugeneid abzulegen, tat er das, ohne zu wissen, was er tat. Alle seine Versuche, seine früheren Aussagen abzuschwächen, fielen unter dem Verhöre des Richters in das Wasser. Eine Ohnmacht aber kam ihn an, denn er hatte vor Aufregung so gut wie nichts gegessen, als er den Urteilsantrag hörte. Wie im Traum, wie aus weiter Ferne vernahm er, daß der Vertreter der Staatsgewalt von bandenmäßigem Wilddiebstahle sprach und Gefängnisstrafe beantragte, und als das Gericht dem Antrage stattgab, da war ihm zumute, als wäre er selber, und nicht der Schmied, abgeurteilt worden.

Er war es auch. Auf dem Flure gingen die beiden Verurteilten an ihm vorbei, ohne ihn zu grüßen. Der Förster hatte das Urteil nach dem Gute telephoniert, und von da war es eher nach Ohlenhof gekommen als der Krüger. Als er über die Brücke ging, begegnete ihm Arbeiter Müller, der bei ihm einen ganz hübschen Posten Schulden hatte. Aber er grüßte so nachlässig wieder, als läge der Fall umgekehrt. Am nächsten Tage war Sonnabend; ein paar Bauernsöhne aus Moordorf, die zu Rad nach Krusenhagen wollten, tranken einige Glas Bier; sie sagten, auf der Rückfahrt sprächen sie wieder vor. Am Nachmittage aber fuhren sie vorbei, ohne einzukehren. Unterdessen kamen Lemkes Kinder weinend aus der Schule. Hillmanns Jungen hatten sie ausgeschimpft. Das war noch niemals vorgekommen. Späterhin fütterte ein Mann aus Horst, der Torf nach der Stadt gefahren hatte, seine Pferde vor dem Kruge und trank einen Schnaps. Gegen Abend kam der Gemeindehirt auf eine Viertelstunde. Sonst kam niemand als ein paar Kinder, die Petroleum und Streichhölzer auf Borg nahmen.

Am Sonntagmorgen ließen sich nur auswärtige Radfahrer im neuen Kruge sehen. Nachmittags kam Lemkes Kleinmagd und sagte: im Blauen Schimmel sei Bauerntag; alle Vollmeier seien mit ihren langen Stöcken in den alten Krug gegangen und die Halbmeier und Kätner und die Brinksitzer und Anbauern auch, und sogar von Krusenhagen und Moordorf und Horst und Howe und Fladder wären welche dabei. Es wäre wegen der Abgrenzung im Gemeinheitsmoor, habe Ludewigs Knecht gesagt. Den Krüger überlief es kalt; er wußte, um was es sich handelte. Nicht umsonst hatte Hillmann, als er zur Kirche fuhr, steif an der Wirtschaft vorbeigesehen, obwohl Lemke am offenen Fenster stand und grüßte. Am Abend blieb der Krug leer.

Der Krüger versuchte, sich Trost einzureden. Mit der Zeit, meinte er, würde sich alles wieder zuziehen. Aber es blieb in den nächsten Wochen, wie es war. Die Kinder weinten, wenn sie zur Schule sollten; die anderen Kinder gingen ihnen aus dem Wege oder ärgerten sie. Lemke sprach mit dem Lehrer darüber; der zuckte die Achseln und meinte: »Das ist ein Übergang.« Aber es war ein Übergang zum Schlimmen. Erst kündigte die kleine Magd den Dienst auf, dann die Großmagd. Beim Tanzfest in Moordorf hatte kein Mensch mit ihnen getanzt. Der Gesangverein ließ die Noten abholen; in Lemkes Saal sei keine Akustik, hieß es. Der Kriegerverein blieb fort und ging zu Schimmelberg, weil der drei Feldzüge mitgemacht habe und Lemke keinen.

Lemke versuchte alles, um sich zu behaupten. Er sprach hier und da vor, aber er stieß auf kalte Gesichter und kühle Antworten. Er ging sogar zu dem Kätner Meyer und stellte ihm vor, daß er doch nicht anders habe handeln können. Meyer bot ihm noch nicht einmal einen Stuhl an und kramte in der Dönze herum. Beim Schmied fiel es nicht anders aus. Kordes spielte den unschuldig Verurteilten und warf dabei hin, wie er dazu käme, sein Geld dahin zu tragen, von wo sein Unglück gekommen wäre. Vollmeier Hillmann hörte ihn kaum an und hatte fortwährend den Knechten zu befehlen, und als Lemke gerade gehen wollte, sagte er ihm: »Daß ich es nicht vergesse: ich brauche dringend bar Geld und muß dir die Hypothek kündigen.« Und nach acht Tagen kündigte ihm der Müller die Hypothek auch auf.

Bis zum Frühjahr schleppte sich der Krüger noch hin. Dann brach er zusammen. Eine Erkältung warf ihn auf das Bett. Seine Frau lief nach Krusenhagen zum Pastor und bat ihn, die Bauern umzustimmen. Das versuchte der Geistliche auch. Er lud am nächsten Sonntag die Ohlenhofer Vollmeier und den Müller nach der Kirche zu einem Glase Wein bei sich ein. Das war eine große Ehre, denn der Pastor war gerade so sparsam mit seinen Gunstbezeugungen wie die Bauern selber. Aber als er vorsichtig und von hinten herum, denn er war selbst Bauernsohn, mit seinem Anliegen herauskam, da wurden die Gesichter ernst und die Augen starr, und Dies sagte: »Herr Pastor, der Mann bildet sich was ein. Wir haben ihm die ganze Zeit Verdienst gegeben und Schimmelberg ganz abseits liegen lassen. Das ging nicht so weiter. Und das mit meiner Hypothek? Ja, Herr Pastor, ich habe meine Tochter freien lassen, und wenn das junge Volk freit, muß das alte Haare lassen.« Der Müller aber sagte: »Und ich habe bauen müssen, Herr Pastor, denn daß meine alte Mühle abgebrannt ist, das wissen Sie wohl. Und bauen kostet Geld. Und so dicke habe ich es nicht.« Und Lohmann sagte: »Überhaupt alle die Sachen, die Lemke angab, das mit dem Gesangverein und dem Kriegerverein, das bringt das junge Volk von der Arbeit und von der Religion ab.« Und Sweer stotterte: »Ja, und dann, Heheherr Pastor, und all das fffremde Vvvvolk, das er uns in das Dorf schleppt, ist das wohl was? Diese Malersleute? Was sollen wir damit? Sie sind ja soweit ganz nett, aber sie bringen zu viel Unruhe in das Dorf. Wwwir wwwollen fffür uns bleiben.« Und Dies knurrte: »Sweer hat recht. All diese feinen Herren und Fräuleins setzen unsern Kindern Unsinn in den Kopf. Wir brauchen die Leute nicht; wir leben so. Es wäre besser gewesen, dieser Lemke wäre geblieben, wo er war, für uns war es besser und für ihn. Alle diese Witze mit nackigt baden am hellichten Tage, wie die Malers das betreiben, sie denken sich nichts dabei, aber wir sind das nicht gewohnt und nehmen ein Ärgernis daran. Nicht, daß ich sagen will, daß es nicht ordentliche Leute sind, aber sie sind von anderer Art. Und wir wollen unsere Art hochhalten.«

»Und dann,« brachte Lohmann vor, »ist das wohl anständig, am Sonntag in der Kirchzeit das alte dummerhaftige Musikding gehn zu lassen? Da sitzen dann so ein paar Hahnjöckels von Radfahrern mit ihrer verrückten Kleedasche und singen unter der Kirche Schelmenlieder und prosten die Leute an, die aus der Kirche kommen. Wissen Sie, Herr Pastor, Sie sollten am ersten froh sein, wenn der Mann wieder aus dem Dorfe kommt. Früher hatte ich das ganze junge Volk Sonntag nachmittag auf meiner Deele; das machte mir Freude, wenn sie aus Harms seinem Buche vorlasen und geistliche Lieder sangen. Und jetzt? Wo sind sie? Ja, heute ist Gesangverein im Kruge oder Kriegerverein, und einen Radfahrerverein wollten sie auch gründen. Und an alledem ist der fremde Mann schuld. Der hat uns schön eingewickelt. Es ist ein wahrer Segen, daß sich die Geschichte mit Kordes begeben hat; denn auf diese Art sind wir dahintergekommen, wie weit wir schon waren. An einem Wirt haben wir genug. Bei Schimmelberg war es langweilig, das stimmt. Aber schadet das? Nein, sage ich. Lemke ist gewiß ein ordentlicher Mann, alles, was recht ist, aber er ist hier übrig. Er will von seiner Wirtschaft und von seinem Laden leben, und das kostet uns unser Geld. Ich habe es doch an mir selber gemerkt, wie es geht. Früher, wann ging ich da in den Krug? Alle Monate einmal. Und jetzt fehlt mir was, wenn ich nicht jede Woche zweimal da war. Und von dem Bauer lernt es der Knecht, und nachher vertut so'n Junge sein sauer verdientes Geld, hört zu viel von der Stadt reden, und wir sitzen hinterher da und können unser Land zu Wiesen machen, weil wir keine Leute haben. So ist es, Herr Pastor, und nicht anders. Jeder ist sich selbst der nächste, und wir sind uns zu gut dazu, der Mist zu sein, mit dem Lemke seinen Acker düngt.«

»Das stimmt,« fiel der Müller ein und schnitt dem Pastor das Wort ab, »das stimmt ganz genau. Lohmann hat recht. Und dann noch eins, Herr Pastor: wohin das führt, das haben wir ja in Hülsingen erlebt. Ist das noch ein Dorf? Ein Dorf nach alter Art? Das ist es nicht! Eine Sommerfrische für die Stadtjapper ist es geworden. Ob der Bauer will oder nicht, er muß sich auf das Abvermieten legen und hat dann allerlei fremde Völker im Hause, die ihm im Wege herumstehn. Und ohne Liebschaften geht es nicht ab. Natürlich, wenn da solche feinen Herren aus der Stadt kommen und machen die Mädchen verrückt, dann ist der Unfrieden im Dorfe da. Warum sind in Hülsingen keine Knechte mehr zu kriegen? Weil keine Mädchen da sind. Und warum sind keine Mädchen da? Die eine ist so einem jungen Kerl in die Stadt nachgelaufen, und die andern haben die städtischen Herrschaften weggemietet. Und so wäre es bei uns auch gekommen. Erst das Dorf, und dann der Wirt, aber nicht umgekehrt. Und nun seien Sie auch vielmals bedankt, Herr Pastor, und ich und meine Frau würden uns sehr freuen, wenn Sie uns mit Ihrer lieben Frau bald besuchen würden. Und nun ist es wohl Zeit, daß wir gehn.«

Sie standen alle auf, die Bauern von Ohlenhof, drückten dem Geistlichen die Hand und schoben aus der Tür hinaus. Der Pastor machte ein ernstes Gesicht, und als seine Frau, mit der Frau Lemke den Fall besprochen hatte, ihn fragte, wie die Sache läge, sagte er: »Der Mann ist für Ohlenhof tot. Ich hätte nicht geglaubt, daß es noch eine Feme gäbe, und ich bin doch selber Bauernsohn, wenn auch aus dem Stifte Hildesheim. Es ist hart für Lemkes; es sind ordentliche Leute. Aber die Ohlenhof-Bauern haben recht: erst kommt das Dorf und dann der Wirt. Er muß sehn, daß er die Wirtschaft los wird. Hier kommt er doch nicht mehr weiter.«

Lemke mußte verkaufen. Aber ein Wirt, der ihm Haus und Laden preiswert abkaufte, fand er nicht. Jeder Kauflustige fragte im Dorfe umher, wie die Sache stünde, und jeder zog ab, wenn der Vorsteher im sagte: »Eine zweite Wirtschaft brauchen wir nicht. Und wenn der Wirt auch die Konzession bekommt, wir gehen doch nicht hin.« So kam es schließlich zum Zwangsverkaufe. Mit dem Reste seiner Habe zog Lemke nach Hannover und übernahm nach langem Suchen eine elende Wirtschaft, starb aber schon nach zwei Jahren, wie die Lästerzungen sagen, am Schnaps, nach andern Leuten an gebrochenem Herzen. Was aus seiner Frau und den Kindern geworden ist, weiß man in Ohlenhof nicht.

Tante Janna

Inhaltsverzeichnis

Schräg gegenüber dem neuen Kruge auf der anderen Seite der Landstraße steht ein Haus, das ungefähr so aussieht, wie die Brinksitzerhäuser von Ohlenhof, aber in mancher Hinsicht doch anders.

Denn an seiner linken Seite sind Geflügelställe angebaut, an der rechten ein Hundezwinger, und hinter dem Hause befindet sich ein Anbau mit großen, meist mehr oder minder verhängten Fenstern und Oberlicht. Sodann ist das Anwesen ganz und gar von sehr ordentlich gehaltenen Gemüsebeeten umgeben, zwischen denen Zwergobstbäume und regelmäßig geschnittene Beerensträucher stehen. Die Wände des Hauses sind mit Spalierobst bezogen und mit Nistkästen behängt, und nach der Straße zu sehen viele bunte Blumen über den Zaun.

Das Haus, nach dem jeder Fremde, der nach Ohlenhof kommt, hinsehen muß, und die Einheimischen nicht minder, gehört einer alten Jungfer, die im Dorfe allgemein Tante Janna genannt wird. Daß sie ein Freifräulein von Rullenbeck ist, wissen nicht viele Leute im Orte, und sie selber gibt sich alle Mühe, es zu vergessen und so wenig wie möglich an die Zeit zu denken, da sie als solches vor der Welt dastand. Sie ist jetzt Tante Janna und will weiter nichts mehr sein.

Es gab einst eine Zeit, da trug sie das Haar hoch über dem Kopfe, hatte Perlen um den Hals und ließ sich ihre Hände, an deren Fingern Diamanten blitzten, küssen. Heute würde das keinem Menschen mehr einfallen, denn Tante Jannas Finger sind hart und rauh und braun, und die Nägel daran sind nicht anders, wie sie die Frauenleute auf dem Lande gemeiniglich aufzuweisen haben. Aber das ist ihr gleichgültig; sie ist nicht mehr das gnädige Fräulein von Rullenbeck, sie ist Tante Janna und weiter nichts.

Einst wirkte sie in der großen Welt, ohne ihr Glück zu finden. Nun lebt sie in einer kleinen Welt, und wenn die ihr auch das Glück nicht brachte, so gab sie ihr doch Ruhe und Zufriedenheit. Sie hat soviel, daß sie auskommen kann, und noch mehr sogar; denn sie besitzt die Achtung der großen Leute und die Liebe der Kinder. Wo sie sich blicken läßt, da rennt das kleine Volk hinter ihr her. Das kommt vielleicht davon, daß sie ein bitteres Geschick hinter sich hat und dadurch um so gutherziger geworden ist, und daß sie so schöne blaue Augen hat, die genau so geradeaus in die Welt sehen, wie die von Kindern, die noch nicht wissen, daß die Welt voller Arglist und Tücke ist, oder wie die von ganz starken Männern, die keine Menschenfurcht kennen.

Stadtleute, die ihr begegnen, wissen nicht, was sie aus der langen, hageren Frau mit dem Lodenhute auf den grauen Haaren machen sollen und sehen sich meist lange nach der merkwürdigen Radfahrerin um, die mit dem vollgepackten Rucksacke auf dem Kreuz den Fußweg dahinfliegt. Ihr ist das gleichgültig. Sie weiß, daß sie manchmal ungefähr wie eine Vogelscheuche aussieht, aber sie weiß auch, daß die Leute, die sie kennen, darüber längst hinaus sind. Zuhause trägt sie sich meist ebenso, wie die Frauen im Dorfe, in Blauleinen oder Beiderwand, und nur, wenn sie mit dem Diesbauern zur Kirche fährt, zieht sie sich schwarz an, wie das in Ohlenhof gebräuchlich ist.