Die hellste Nacht - Helena Kubicek Boye - E-Book + Hörbuch

Die hellste Nacht Hörbuch

Helena Kubicek Boye

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Beschreibung

Eine Mittsommerfeier, die zum Albtraum wird: Der Psychothriller »Die hellste Nacht« von Helena Kubicek Boye jetzt als eBook bei dotbooks. Es ist Mittsommer in Schweden. Auch in den dichten Wäldern von Säter sollen die nächtlichen Feuer entzündet werden. Doch die Feierstimmung verwandelt sich in einen Albtraum, als zwei kleine Kinder spurlos verschwinden. Zur gleichen Zeit wird in Säters Klinik für Forensische Psychiatrie Alarm ausgelöst: Ein Patient ist entkommen. Ein Mann, in dessen Krankenakte pädophile Neigungen vermerkt sind. Anna Varga, die zuständige Psychiaterin, hat einen schrecklichen Verdacht: Hat ihr Patient die Kinder in seine Gewalt gebracht? Ihr ist klar, dass sie den Mann schnellstens aufspüren muss, um das Schlimmste zu verhindern. Doch was, wenn sie sich irrt und die Polizei auf eine falsche Spur lenkt? Dann bleibt dem wahren Täter Zeit, sein grauenvolles Werk zu vollenden.  Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abgründige Skandinavien-Thriller »Die hellste Nacht« von Helena Kubicek Boye ist der zweite Fall in der »Klinik«-Reihe um die Psychologin Anna Varga und wird Fans von Anders Roslund und Alex Michaelides Gänsehautmomente bieten. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:8 Std. 7 min

Sprecher:Katja Pilaski
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Über dieses Buch:

Es ist Mittsommer in Schweden. Auch in den dichten Wäldern von Säter sollen die nächtlichen Feuer entzündet werden. Doch die Feierstimmung verwandelt sich in einen Albtraum, als zwei kleine Kinder spurlos verschwinden. Zur gleichen Zeit wird in Säters Klinik für Forensische Psychiatrie Alarm ausgelöst: Ein Patient ist entkommen. Ein Mann, in dessen Krankenakte pädophile Neigungen vermerkt sind. Anna Varga, die zuständige Psychiaterin, hat einen schrecklichen Verdacht: Hat ihr Patient die Kinder in seine Gewalt gebracht? Ihr ist klar, dass sie den Mann schnellstens aufspüren muss, um das Schlimmste zu verhindern. Doch was, wenn sie sich irrt und die Polizei auf eine falsche Spur lenkt? Dann bleibt dem wahren Täter Zeit, sein grauenvolles Werk zu vollenden.

»Die hellste Nacht« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Helena Kubicek Boye ist eine Psychologin und Autorin. Ihre Arbeitserfahrung in einer Psychiatrie nutzte sie als Inspiration für die Anna-Varga-Serie, die in ihrer Heimat als »Schwedens Twin Peaks« gefeiert wird.

Bei dotbooks erscheint außerdem ihr Roman »Zimmer 55« als eBook.

Die Autorin im Internet:

http://www.helenakubicek.se/

www.facebook.com/helena.kubicekboye

www.instagram.com/helena_kubicek_boye

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eBook-Ausgabe Juli 2024

Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2019 unter dem Originaltitel »Den ljusaste natten« bei Bokfabriken, Stockholm.

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2019 by Helena Kubicek Boye

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2024 by Helena Kubicek Boye und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-140-7

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Helena Kubicek Boye

Die hellste Nacht

Thriller

dotbooks.

Prolog

Ein beißender Geruch nach verbranntem Fleisch breitete sich vom Grill aus, auf dem noch zwei verkohlte Würstchen lagen, schwarz wie Lakritzstangen. Eine Frau mit blondierten, stufig geschnittenen Haaren und Absätzen, die überhaupt nicht zum Boden passten, eilte am Grill vorbei, ihr gehetzter Blick suchte die Umgebung ab.

»Anette, beruhig dich!« Ein übergewichtiger Mann in einem ausgewaschenen, schwarzen Unterhemd versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu wecken, aber sie hörte ihm nicht zu. Sie hob eine Tischdecke an, um unter den Plastiktisch zu sehen, und warf zwei Stühle beiseite. Dann rauschte sie in ein knallrotes Vorzelt und wieder hinaus. Ihr Blick glitt über die Menschen, manche saßen mit einem Bier in der Hand da, andere sangen, und wieder andere tanzten spontan auf dem plattgetretenen Gras des Campingplatzes.

Die Frau begann, zwischen den Wohnwagen und Zelten hin- und herzulaufen, ihre Absätze bohrten sich ins Gras, und einer ihrer Schuhe blieb an einem Grasbüschel hängen. Sie lief mit nur einem Schuh weiter. Die ganze Zeit kam sie zu dem Grill zurück, auf dem die beiden Würstchen lagen und daran erinnerten, dass jemand nicht zum Essen gekommen war.

Obwohl die Sonne auf Säters Campingplatz brannte und die meisten dort durch die Wärme verschwitzt und rosa wie Schweine waren, wurde die Frau immer blasser und ihre Pupillen trotz des starken Sonnenscheins immer größer. Ihr weißer Rock war hochgerutscht und hatte ein paar große, blaue Flecken auf ihren Oberschenkeln entblößt.

Sie spähte zum See hinunter, dessen blaue, glatte Oberfläche die heiße Mittsommersonne reflektierte.

War Moa zum See hinuntergelaufen? Die Frau zog den zweiten Schuh aus und lief zum Wasser. Eine Gruppe Kinder saß am Strand und spielte im Kies, der unter den sanften Wellen glitzerte. Die Glatze eines älteren Mannes schaukelte wie eine Boje etwas weiter draußen auf und ab, und ein verliebtes, junges Paar stand bis zur Taille im Wasser und knutschte heftig. Plötzlich dachte sie, was, wenn Moa niemals die erste Liebe erleben würde?

Die Frau lief wieder zurück zu den Wohnwagen, zwischen den bunten Zelten hindurch.

Jetzt war sie wieder beim Grill und drehte sich langsam um sich selbst, um ein letztes Mal den Platz, an dem die Camper gerade Mittsommer feierten, zu überblicken.

Die Frau öffnete zögernd den Mund, holte tief Luft und schrie dann, so laut sie konnte:

»Moa! Mooooooaaa!«

Alle Blicke richteten sich auf sie. Durch den Schrei verstummte fast die Musik aus den Lautsprechern, und die Ventilatoren, die Kühle bringen sollten, blieben beinahe stehen. Es wurde plötzlich mucksmäuschenstill auf Säters Campingplatz. Die Leute standen überrascht auf und schauten zu der Frau, deren Stimme wie ein scharfes Messer das Mittsommerfest durchschnitten hatte.

»Mein kleines Mädchen ist weg!«

AM TAG ZUVOR

Kapitel 1

»Achtzehn, neunzehn … zwanzig! Ich komme!«

Liam blickte schnell auf und sah sich um. Er trug rote Shorts und ein schwedisches Fußballtrikot.

Wo sich seine neuen Freunde wohl auf dem Campingplatz versteckt hatten? Er bückte sich und schaute unter den Wohnwagen. Da lagen bloß ein Schlauch und ein Bottich. Ganz still schlich er um die Ecke, nahm Anlauf und flitzte dann ins sonnengebleichte, marineblaue Vorzelt, in dem die Luft stand. Als er einen blauen Crocs unter dem Tisch hervorblitzen sah, warf er sich auf den Boden.

»Hab dich!«, schrie er begeistert und klopfte dem anderen Jungen aufs Bein.

»Stimmt …«

Dann liefen sie zusammen aus dem Zelt und begannen mit der Jagd nach den anderen Kindern, die sich versteckt hatten.

Liam fragte sich, wo sich das Mädchen mit der Brille verborgen hielt, das so lange gequengelt hatte, damit sie mitspielen durfte. Sie hatte sicher ein ganz einfaches Versteck gewählt.

Kapitel 2

Die fünf Mückenstiche an Moas Füßen juckten, und sie wollte daran kratzen, hatte aber Angst, sich damit zu verraten. Durch die Hitze der letzten Tage juckten sie stärker. Sie war froh, ein tolles Versteck gefunden zu haben. Die Tür des alten Wohnwagens hatte einen Spalt aufgestanden, und als sie hineingeschaut hatte, war er leer. Schnell war sie hineingesprungen, und jetzt lag sie unter dem Tisch auf dem Boden und wartete darauf, von Liam gefunden zu werden.

In ihrem eigenen Wohnwagen wollte sie heute nicht bleiben. Tony war mal wieder wütend, und Mama schlief. Wenn Mama schlief, durfte Moa sie nicht stören. Tony und Mama schienen am liebsten in den Wohnwagen der anderen zu sein, wo sie Musik hörten und laut sangen.

Seit sie hierhergekommen waren, hatte Moa vor allem im Wohnwagen mit ihren Einhörnern gespielt, aber weil es jetzt so warm war, wollte sie lieber draußen spielen – im Wohnwagen war es zu heiß. Sie hatte fünf Einhörner in Dunkelrosa, Lila, Türkis, Apricot und Mintgrün. Sie waren ihr wertvollster Besitz.

Es stank in ihrem Wohnwagen nach Zigaretten und Bier. Der Wohnwagen, in dem sie sich jetzt befand, war still und roch ganz anders, süß, gut. Sie kroch so weit sie konnte unter den Esstisch und umfasste ihre Beine. Der Teppich war fransig und weich wie Watte. Ganz angespannt fragte sie sich, wann die Jungs sie hier finden würden.

Sie war natürlich sehr froh, dass jetzt, zu Mittsommer, mehr Kinder auf den Campingplatz gekommen waren. Als die Kinder kamen, wurde es auch plötzlich sehr warm. All die Erwachsenen, die die ganze Zeit darüber geredet hatten, dass sie sich Sonne wünschten, beschwerten sich jetzt, dass es zu heiß war.

Wo waren die Jungs denn jetzt? Sie wollte ja gefunden werden. Vielleicht würden sie gar nicht im Wohnwagen suchen?

Auf einmal fühlte sie sich so müde. Heute Nacht im Wohnwagen war es ihr schwergefallen zu schlafen. Mama und Tony hatten sich so sehr gestritten, dass sie die Decke und das Kissen über den Kopf gezogen hatte, um nicht zu hören, wie sie wütend schlimme Wörter schrien.

Dort unter der Decke konnte sie stattdessen immer ihre eigenen Gedanken hören. Das war viel besser. Ihre eigenen Gedanken sagten ihr ganz anderes. Wie zum Beispiel, dass sie mit den Einhörnern in den Himmel fliegen könnte und dass sie bald so viele Süßigkeiten essen dürfte, wie sie wollte.

Moa entspannte sich etwas und legte sich auf den weichen Teppich. Die Augenlider wurden immer schwerer. Sie gähnte laut.

Kapitel 3

Anna saß vor einem Café auf dem Marktplatz mitten in Säters Altstadt und zog ihren Löffel durch den Milchschaum, so dass sich hübsche Muster im Kaffee bildeten. Sie ließ ihn kreisen und sah, wie ein Herz entstand.

Dann hielt sie inne und spürte etwas Wehmut. Nach bald einem Jahr in Säter hatte sie ihre täglichen Routinen, und eine Tasse Kaffee auf dem Marktplatz gehörte zu den angenehmen Momenten außerhalb der Arbeit. Aber meistens war sie allein. Als sie angefangen hatte, in Säter zu arbeiten, war ihre Freundin Lina ihre Kollegin gewesen. Anna seufzte tief. Lina hatte ihr empfohlen, sich in der Rechtspsychiatrischen Klinik in Säter zu bewerben, sie war selbst Ärztin dort. Doch Lina war nicht die, für die Anna sie gehalten hatte.

Jetzt saß Lina im Frauengefängnis, verurteilt wegen Mordes an einem Patienten. Es war immer noch schwer, das zu begreifen, auch wenn seitdem schon einige Zeit vergangen war.

Im letzten Jahr hatte es einige Veränderungen beim Personal gegeben, und so war es heutzutage überall – die Leute wechselten ständig ihren Job, aber die Pflege der verurteilten Patienten war nicht unterbrochen worden, sondern ging wie üblich weiter. Neue Patienten wurden aufgenommen, andere wurden auf den Stationen therapiert, und manche wurden darauf vorbereitet, entlassen zu werden, allein oder in einer Wohngemeinschaft zu wohnen und ambulant betreut zu werden.

Von den gut siebzig schwerkranken Patienten in Säter sprachen nur eine Handvoll regelmäßig mit Psychologen, und Anna hatte durch die Gespräche einige der Verurteilten etwas tiefergehender kennengelernt. Die Risikoeinschätzungen gehörten auch zu ihrer täglichen Arbeit, dabei besprach sie zusammen mit den Ärzten die Krankenakten und traf Entscheidungen über Freigang und Entlassung.

»Entschuldigung, ist der Stuhl frei?«

Anna schaute auf und nickte.

»Ja, klar.«

Eine Frau mit Baby auf dem Arm zog den Stuhl von Annas Tisch. Anna bot ihre Hilfe an, aber die Frau lehnte lächelnd ab, legte das Baby sanft dem Vater in den Schoß und trug den Stuhl selbst. Sie sah glücklich aus, diese kleine Familie. Die Eltern mit dem Meisterwerk ihres Lebens und das Kind mit samtigen Wangen, das sie mit seinen kleinen Augen, schwarz wie zwei Knöpfchen, anschaute.

»Ich habe mich nicht getraut, einen von denen dort zu fragen.« Die Frau lehnte sich näher in Annas Richtung und deutete auf drei Männer, die am Nebentisch saßen.

Anna sah sie fragend an. Die Frau näherte sich noch mehr.

»Das sind vielleicht Patienten aus Säter. Diesem furchtbaren Ort.«

»Mmm, vielleicht sind sie das.« Anna tat so, als beträfe es sie nicht. Sie erkannte die Männer nicht, hatte aber keine Lust, zu verraten, dass sie selbst in Säter arbeitete. Denn nach allem, was über die Jahre in der Klinik geschehen war, provozierte das immer so viele Fragen. Gefährliche Patienten, Überfälle aufs Personal, der Skandal der verschwundenen Psychologin, eine Ärztin, die einen Patienten getötet hatte, entlaufene Mörder und Personal, das, nachdem es eine Weile dort gearbeitet hatte, selbst verrückt und drogenabhängig wurde und als Patienten im Krankenhaus endete. Aber trotz alldem mochte Anna ihre Arbeit sehr.

»Seit ich Mutter bin, denke ich so viel häufiger daran, wie schrecklich es ist, zu wissen, dass manche von diesen Typen Freigang haben und hier herumlaufen können. Wenn ich etwas zu sagen hätte, dürften sie nie hinaus.«

Der Mann rief nach seiner Frau. Sie drehte sich um, setzte sich und begann, mit dem Baby, das auf seinem Schoß brabbelte, zu kuscheln.

Anna blickte in ihre Tasse. Ja, auf gewisse Weise hatte die Frau recht, aber in der Klinik wurde nichts leichtfertig entschieden. Die Patienten hatten entsetzliche Verbrechen begangen, aber wenn sie als stabil genug eingeschätzt wurden, hatten sie das Recht auf Freigänge und sogar auf Entlassung.

Anna sah zu der kleinen Familie. Würde sie das selbst auch irgendwann mal erleben? Die meisten ihrer Freunde und früheren Kommilitonen hatten inzwischen Partner, einige auch Kinder und ein Haus gekauft. Das hätte sie auch tun können, hätte sie nicht mit ihrem Freund Schluss gemacht, als sie hierher nach Säter gezogen war. Manchmal dachte sie noch an diese Entscheidung, aber sie bereute sie nicht. Sie passten nicht zusammen. Aber die Folge war, dass sie jetzt allein in einem Café in Säter saß, dreißig Jahre alt und Single. Darüber schien die Chance, hier im Ort jemanden kennenzulernen, minimal. Die Monate vergingen, und sie wurde manchmal unruhig, wusste nicht, wie sie jemanden treffen sollte. War es vielleicht sogar schon zu spät? Hatte sie einfach das Rennen verloren? Vielleicht waren die besten Männer alle schon vergeben, oder eine Paarbeziehung war einfach nichts für sie. Sie fragte sich, wer schon sein Leben mit ihr teilen wollte und wer ein Kind mit ihr haben wollte.

Es war schwer, die Gedanken über die Einsamkeit loszulassen, und heute ganz besonders, da morgen Mittsommer war. Feiertage erinnerten sie immer wieder daran, dass sie Single war, deswegen war sie sehr froh, dass sie arbeiten konnte. In der Hitze, die in Dalarna herrschte, klebte ihre Bluse am Rücken, und plötzlich hatte sie keine Lust mehr, sitzen zu bleiben und ihren Kaffee auszutrinken. Sie stand auf. Die Arbeit rief.

Kapitel 4

Moa spürte eine Hand auf ihrer Schulter und zuckte zusammen. Sie war eingeschlafen.

»Was machst du hier?«

Sie schlug die Augen auf und sah eine Trollfrau. Sie kniff die Augen fest zusammen. Öffnete sie wieder, die Trollfrau war immer noch da, es gab sie wirklich.

Sie legte die Hände vors Gesicht.

»Wie bist du hierhergekommen?« Die Trollfrau hatte eine heisere Stimme.

Moa wagte nicht, hinzusehen, hinter ihren Händen machte sie die Augen fest zu.

»Ich bin nicht gefährlich.«

Moa rührte sich nicht vom Fleck, aber sie lockerte ihre Finger etwas, öffnete ein Auge und blickte in ein großes, dickes Gesicht voller Pickel und mit krausem Haar. Sie wollte sich unsichtbar machen. Es vergingen ein paar Momente, es war mucksmäuschenstill.

»Willst du ein Karamellbonbon?«, fragte die Trollfrau plötzlich.

Moa spähte noch einmal zwischen ihren Fingern hindurch. Sie hatte doch geträumt, dass sie Süßigkeiten bekommen würde, war das hier ein Traum? Aber sie erinnerte sich auch daran, dass Mama ihr gesagt hatte, niemals Süßigkeiten von Fremden anzunehmen.

Die Augenbrauen der Trollfrau sahen wie kleine, zottelige Hamster aus.

»Ich setze mich hierhin, wenn du ein Bonbon möchtest, sag Bescheid.«

Moa hörte, wie die Trollfrau wegging und dann einen kleinen Plumps, als sie sich auf das Sofa am Tisch setzte. In der offenen Tür war ein Streifen Sonnenlicht zu sehen. Sollte sie hinauslaufen?

Kapitel 5

Anna saß in ihrem Büro und blätterte durch die Anmerkungen der vorangegangenen Schicht. Der neue Verurteilte in der Aufnahme, Karim, war manisch geworden und redete ununterbrochen, er hatte die paranoide Wahnvorstellung, dass die Deckenventilatoren ihn einsaugen würden. Jedenfalls hat das Personal es so interpretiert, als er ängstlich darauf gezeigt hatte, denn sie hatten keinen Dolmetscher. Karim war vor ein paar Jahren als Flüchtling nach Schweden gekommen. Er war traumatisiert und hatte psychotische Episoden, während deren er gewalttätig wurde. Jetzt war er wegen eines Überfalls auf eine ältere Frau verurteilt worden. Das Licht, die wenigen dunklen Stunden im Juni, waren ein weiterer Grund, warum er nicht schlief, und Schlafentzug war ein bekannter Auslöser von manischen Episoden bei Psychosepatienten. Der Arzt der Nachtschicht hatte seine sedierenden Medikamente erhöht und mehr Schlafmittel verschrieben.

Sie las weiter. Zwei Patienten hatten dieser Tage Freigang. Den einen kannte sie nicht gut, einen jungen Mann, der ursprünglich aus Moskau stammte und mit einer Kokainpsychose eingeliefert worden war und der vom Personal den Spitznamen »der russische Torpedo« bekommen hatte, weil er am Flughafen Arlanda mit einer Waffe festgenommen worden war. Sie waren eigentlich davon ausgegangen, dass er jetzt drogenfrei war, aber einige Pfleger hatten bemerkt, dass er auf Station mehrmals gewirkt hatte, als stünde er unter Drogen. Bei der letzten Bedarfsplanung war er trotzdem als relativ ungefährlich für die Allgemeinheit eingestuft worden, und bei den früheren Freigängen hatte er sich benommen. An Mittsommer durfte er sich ein paar Stunden frei und ohne Pfleger bewegen.

Aber der andere, Carl-Magnus … verursachte Anna Bauchschmerzen. An dieser Entscheidung war sie beteiligt gewesen. Sie kannte ihn nicht sonderlich gut, er war noch nicht bereit für eine Therapie, aber er tat ihr etwas leid. Außerdem war er beim Beurteilungsgespräch, was die Rückfälligkeit anging, nicht negativ aufgefallen. Das hatte ihr Urteil, den Freigang zu gewähren, unterstützt. Keine Psychose. Keine Depression. Keine Ausraster. Beherrscht. Gefasst. Außerdem war er recht sympathisch, einer der bestangepassten Patienten in der Klinik, obwohl in der Abteilung für betreuungsintensive Patienten mit langer Behandlungszeit. Er hatte wirklich sehr darum gebeten, seine alte Mutter im Seniorenheim zu besuchen, über Nacht zu bleiben und am Mittsommerabend zurückzukehren. Sie wurde plötzlich unsicher, ob die Entscheidung wirklich richtig war. Hatte die Frau im Café sie zum Zweifeln gebracht?

Carl-Magnus war zehn Jahre älter als sie, verurteilt, weil er Teil eines größeren Netzwerks für Kinderpornographie war, er war selbst auf Bildern mit kleinen Kindern zu sehen. Hätte sie selbst Kinder, würde sie ihn dann vielleicht anders betrachten? Jetzt sah sie vor allem einen kranken Mann, der sicher selbst als Kind Opfer von Übergriffen gewesen war. Aber war ihr Beschuss, ihm über Mittsommer Freigang zu gewähren, richtig gewesen?

Bei der Risikoeinschätzung hatte er sich tadellos verhalten und in sämtlichen Fragen zur Beurteilung niedrige Werte erzielt, und auch der Assistenzarzt, der daran teilgenommen hatte, hatte ihre Empfehlung für den Freigang unterstützt.

Aber ihr Chef Miro hatte gezweifelt. Genau das beunruhigte sie jetzt, gegen Miro entschieden zu haben. Er war nicht bloß ihr Chef und Chef der gesamten Klinik, sondern auch jemand, den sie sehr respektierte. Aber aus irgendeinem Grund hatten sie und der Assistenzarzt sich in der Diskussion mit Miro engagiert, so dass der schließlich nachgegeben hatte und meinte, er vertraue ihrer Einschätzung. Zwölf Stunden Freigang, eine Zugreise nach Sala und zurück, um mit seiner alten Mutter Hering und Kartoffeln zu essen, war wohl kein übertriebener Wunsch. Carl-Magnus war außerdem bei den anderen Freigängen, die ihm in der Umgebung bewilligt worden waren, noch vor der verabredeten Zeit zurückgekehrt.

Anna trank aus der Wasserflasche, die sie seit heute Morgen bereits zweimal aufgefüllt hatte. Sogar drinnen war es jetzt furchtbar warm, und sie konnte sich vorstellen, wie es auf den Stationen war. Die Ventilatoren in der Klinik schienen der Wärme, die sich gestern über Dalarna gelegt hatte, nicht Herr zu werden. Und laut der Vorhersage würde sie bleiben. Sie wünschte, die Fenster ließen sich öffnen.

Sie öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse und befeuchtete ihren Hals mit kaltem Wasser.

An diesem Mittsommerwochenende trugen sie und Miro die Verantwortung. Ihre Psychologenkollegen hatte beide Urlaub, daher war sie die einzige Psychologin in der Klinik.

Miro und sie hatten die Planung durchgesprochen, sie würden sich an die üblichen Routinen halten und trotzdem ein bisschen Mittsommerstimmung in die Klinik bringen.

Ein paar der Krankenpfleger hatten das Mittsommeressen geplant: eine Mahlzeit mit den verurteilten Patienten auf den Stationen und ein Mittsommermittagessen im Personalraum.

Anna erinnerte sich auf einmal an ein Foto der Klinik Säter aus den fünfziger Jahren. Damals hatte man auf dem Gelände eine große Mittsommerstange errichtet, und Patienten und Personal tanzten zusammen um sie herum. Einige der Patienten auf dem Bild trugen Strohhüte, sogenannte Hibernal-Hüte. Es waren diejenigen, die das Neuroleptikum Hibernal gegen Schizophrenie erhielten und dadurch überempfindlich gegen Sonnenlicht wurden und weswegen sie im Schatten bleiben mussten. Auf diese Weise konnte man schnell erkennen, wer schizophren war. Heute bekamen ihre psychotischen Patienten andere Medikamente und mussten wenigstens keine Hüte tragen, dachte sie und lächelte. Manches hatte sich bei der Therapie trotz allem verbessert.

Anna schaute zur Uhr. Es war Zeit, mit einer neuen Krankenschwester als Urlaubsvertretung zu sprechen. Miro und Anna würden sie treffen, bevor sie morgen ihre Schicht begannen. Miro hatte außerdem gesagt, dass er eine Überraschung für sie hatte.

Kapitel 6

Anna vertraute und schätzte ihren Chef Miro, aber seine Schwäche für Frauen, die er meistens nicht mal zu verbergen suchte, störte sie immer wieder. Manchmal verlor er die Konzentration, wenn sie miteinander sprachen, und sein Blick wurde schwärmerisch, weil eine der neuen Krankenschwestern vorbeiging. Es war nicht schwer, seine Gedanken zu erraten.

Miro hatte ein heimliches Verhältnis mit ihrer Freundin Lina gehabt, Anna war die Einzige in der Klinik, die darüber Bescheid wusste. Nicht mal Miro wusste, dass ihr das Verhältnis bekannt war. Es gefiel ihr, dass sie auf diese Weise etwas gegen ihn in der Hand hatte. Vielleicht wäre das eines Tages noch nützlich.

Sicher, er sah gut aus, klassisch männlich, groß, dunkel, grüne Augen. Aber nicht das machte ihn attraktiv. Es war etwas anderes, sein Duft, seine Präsenz, eine Männlichkeit, die inzwischen schon fast ausgestorben war. Bei ihm fühlte man sich geborgen, als wäre er ein Art Beschützer.

In seiner Gegenwart bewegten sich die Frauen in der Klinik anders, weicher, sie kamen etwas näher und lächelten mehr, als sie sollten. Das war Anna schon oft aufgefallen, und zu Anfang ihrer Arbeit mit ihm hatte sie selbst darauf achtgeben müssen. Es geschah leicht, dass man um seine Zuneigung und Aufmerksamkeit buhlte, sich von ihm beschützen lassen und sein Lächeln beantworten wollte.

»Du siehst frisch aus. Fit und bereit fürs Wochenende?«, fragte Miro und musterte sie mit seinem typischen Lächeln, er saß im spartanisch eingerichteten Besprechungszimmer an der kurzen Seite des Konferenztischs.

»Ja, klar, mir geht’s gut. Obwohl es so furchtbar heiß ist.«

»Ich weiß, und laut Vorhersage bleibt es auch so«, Miros Augen wurden schmäler, »wie läuft es denn mit den Freigängern? Sind Torpedo und Carl-Magnus bereit zu gehen?«, fragte er und begann gleichzeitig, in den Akten zu blättern, die vor ihm auf dem Tisch lagen.

Anna nickte. »Ja, wenn sie die Klinik nicht schon verlassen haben, dann tun sie es jetzt.«

»Glaubst du, dass alles läuft wie geplant?« Er sah sie prüfend an. Sie hatte das Gefühl, ihre Entscheidung verteidigen zu müssen.

»Ja, es ist wohl wie bei allen anderen Freigängen, sie wurden mit dem Personal genau geplant, und Zeiten und Orte werden kontrolliert. Niedriges Rückfallrisiko. Ich denke, keiner von denen wird Probleme machen«, antwortete Anna und bemühte sich, alle Zweifel zu zerstreuen, die sie selbst beim Lesen der Akten vorhin noch hatte.

Miro murmelte etwas zur Antwort, das Anna als Okay verstand. »Kannst du die Vertretung rufen?«

Anna nickte, ging hinaus in den Flur und begrüßte die Frau, die sich als Vertretungskraft über den Sommer beworben hatte. Es gab mehrere Krankmeldungen, und sie waren unterbesetzt und hatten akut zusätzliches Personal anfordern müssen. Es war nicht gerade unerwartet, dass Leute an Mittsommer krank wurden, dachte Anna, und sie hoffte, dass es stattdessen mit dieser Neuen klappen würde.

Die junge Frau vor ihnen blinzelte sie unter ihren langen, falschen Wimpern an. Sie trug ein viel zu tief ausgeschnittenes Top.

So angezogen kann sie jedenfalls nicht auf die Stationen, dachte Anna. Da gab es Männer, die seit Jahren keine Frau mehr so gesehen hatten, außer im Internet, es könnte in einer Katastrophe enden.

»Hallo, Sie sind also Ida?«

Miro sah ganz begeistert aus, als er sie bat, von ihrer Berufserfahrung zu erzählen. Anna fiel auf, dass seine Augen brannten wie zwei kleine Lagerfeuer.

»Ja, ich habe bei einem Pflegedienst gearbeitet und als persönliche Assistentin bei einem Verurteilten, der früher hier gewesen ist.«

Anna beobachtete ihren Chef, wie er dasaß und lächelnd Ida zuhörte, die von sich erzählte. Sie fragte sich, wie viel er hörte und wo er mit seinen Gedanken war. Sie versuchte, ihm in die Augen zu sehen.

Anna unterbrach sie, und Miro sah sie etwas erstaunt an.

»Wieso möchten Sie gern hier in Säter arbeiten?«

»Vor allem wegen des Geldes. Ich brauche einen Job, und ich glaube, dass ich eine Hilfe sein kann.«

»Okay, ich bin zufrieden«, verkündete Miro und lächelte Anna vergnügt an. Sie nickte zustimmend, aber eigentlich war sie nicht so begeistert. Er machte ein Häkchen an den Rand seiner Unterlagen.

»Ida. Sie können morgen, an Mittsommer, hier anfangen. Die Schicht beginnt um 12 Uhr. Bis dann.«

Als Ida das Zimmer verlassen hatte, lehnte Miro sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, er lächelte fröhlich und hob das Kinn an. Dann machte er eine kleine Kunstpause.

»Anna, ich habe doch gesagt, dass ich eine Überraschung für dich habe.«

Anna sah ihn fragend an. Was sollte das für eine Überraschung für sie sein? War Lina plötzlich aus dem Gefängnis entlassen worden und kam zurück zur Arbeit? Das wäre ja nun wirklich eine Überraschung!

»Wir suchen doch schon länger über Anzeigen nach einem neuen Assistenzarzt, aber es gab nur wenig Reaktionen … vielleicht liegt’s am Ruf der Klinik, keine Ahnung. Aber jetzt haben wir endlich jemanden gefunden. Und ich hoffe, dass der Kollege dir gefallen wird, denn ihr werdet euch ein paar Patienten teilen.«

»Aha, wer ist es denn?« Anna spürte, wie sie in Verteidigungshaltung ging, das tat sie oft bei neuen Dingen, aber es lag außerdem auch daran, dass Miro alles wie ein Geschenk an sie präsentierte, was ihr suspekt vorkam.

»Jesper Bergström heißt er, ein Assistenzarzt aus Uppsala. Er kommt morgen. Ihr kommt ja beide nicht von hier, und es ist immer schön, gleichgesinnte Kollegen zu treffen.« Er lächelte sie vielsagend an, Anna wurde daraufhin rot und schaute schnell weg.

Miro wusste, dass sie schon länger Single war, und bei einem Betriebsfest hatte sie verraten, dass sie hoffte, irgendwann jemanden kennenzulernen. Erinnerte er sich wirklich daran, oder was deutete er da an?

»Aha, wie schön.«

Sie tat so, als wäre sie unbeeindruckt. 

Kapitel 7

Moa lag immer noch an ihrem Platz unter dem Tisch und schaute die alte Trollfrau an, die gar nicht so gefährlich schien, wie sie zuerst gedacht hatte. Unter dem grauen Haar sah Moa freundliche Augen, und das dunkelblaue Kleid mit weißen Punkten sah ähnlich aus wie eines ihrer Oma.

»Wohnst du hier?«

»Ja, hier wohne ich.« Die Frau schaute von der Zeitung auf und legte sie vor sich auf den Tisch.

»Immer?«

»Ja, tatsächlich immer. Und du, wo wohnst du?« Die Frau sprach langsam und zögerlich, aber Moa verstand sie.

»Wir wohnen nur im Sommer hier. Sonst wohnen wir woanders.«

»Aha. Die Bonbons sind … lecker.«

Die Frau hielt ihr die Schale hin. Jetzt kannte Moa diese Frau schon etwas, und sie schien gar nicht gefährlich, also konnte sie ruhig ein Bonbon nehmen. Das hätte Mama sicher in Ordnung gefunden.

In der Glasschale lagen Karamellbonbons in buntem Glanzpapier. Moa schnappte sich schnell ein rosafarbenes, wickelte das Bonbon aus und steckte es in den Mund. Das Papier steckte sie in die Tasche.

»Seit wann wohnst du hier?«

»Schon lange.« Die Frau schwieg, dann wandte sie sich zum Fenster. »Vorher habe ich dort gewohnt … im Krankenhaus«, sagte sie und zeigte über den See.

Moa stand auf und versuchte zu erkennen, wohin die Frau zeigte. Zwischen den Bäumen auf der anderen Seeseite sah sie große, gelbe Häuser.

»Warum warst du im Krankenhaus? Hattest du Schmerzen in den Beinen?«

»Nein. Ich hatte … Schmerzen in der Seele.«

Die Frau legte ihre Hand auf die Brust.

»Was ist die Seele?«, fragte Moa.

Die Frau beugte sich vor und streckte ihre Hand zu Moa aus, die zuerst zögerte, aber dann zuließ, dass sie ihre Hand nahm. Vorsichtig legte sie Moas Hand auf die Brust. Moa spürte ihren eigenen Herzschlag durch das T-Shirt.

»Dort sitzt die Seele«, sagte die Frau.

Moa schaute hinunter auf ihre Hand. Dann verstand sie, was die Frau meinte.

»Aha! Da tut es mir auch manchmal weh, aber ich habe gedacht, das wäre der Bauch.«

»Nein, das ist nicht der Bauch, das ist die Seele«, erklärte die Frau bestimmt und lehnte sich wieder auf dem Sofa zurück. Sie schaute zum Krankenhaus.

Jetzt erinnerte sich Moa daran, dass sie ganz vergessen hatte, dass sie mit den anderen Kindern gespielt hatte. Sie musste zurück zu den Jungs und weiterspielen, sie hatten sie nicht gefunden.

»Ich muss meine Freunde suchen«, sagte sie und lief plötzlich aus dem Wohnwagen.

»Komm bald zurück«, rief die Frau ihr nach, »hier bekommst du immer Bonbons.«

Moa blinzelte, als sie in den grellen Sonnenschein trat. Im Wohnwagen war es dunkel und schwül. Wie lang war sie weggewesen? Vielleicht hatte ihre Mama nach ihr gesucht. Sie sah sich um, sie war auf einmal unsicher, aus welcher Richtung sie gekommen war.

Da entdeckte sie ein Stück entfernt die Jungs, mit denen sie gespielt hatte. Sie hatten mit Verstecken aufgehört und spielten jetzt stattdessen Fußball. Sie lief hin. Während sie mit ihren kleinen Beinen rannte, schaute sie auf ihre Füße. Die bewegten sich so schnell. Sie wollte, dass die Jungs merkten, wie schnell sie war.

»Hallo, du dumme Kuh, wo warst du denn?«, rief der Junge mit dem Fußballtrikot ihr zu.

»Ich …«

»Weißt du nicht, wie man spielt?«

Moa drehte sich um und sah die Frau am Fenster des Wohnwagens.

Sie schaute ihr nach.

Moa wusste nicht, was sie den Jungen antworten sollte. Sie fühlte sich traurig, blickte auf ihre Schuhe, bückte sich und kratzte an den Mückenstichen.

Sie sollte nicht hier bei den Jungs bleiben. Sie drehte sich um und sah zu ihrem eigenen Wohnwagen, wo sie ihre Mama sah, dann drehte sie sich um und blickte auf die Frau, die in der Tür ihres Wohnwagens stand.

Kapitel 8

Liv hatte die Tür zugemacht und schaute jetzt vorsichtig aus dem Fenster des Wohnwagens. Sie wünschte, das ganze Mittsommerwochenende wäre vorbei, so dass all die Leute wieder vom Campingplatz verschwänden und sie wieder allein hier wäre, wie die meiste Zeit des Jahres.

Gerade war ein Paar auf dem Platz neben ihr angekommen. Die Frau mit den kurzen Haaren und der viereckigen Brille und ihr Mann stritten sich, wie das Wohnmobil stehen sollte. Sie waren nicht sehr nett zueinander. Der Mann wollte vorne Schatten, aber die Frau nicht. Sie sah sehr entschlossen aus, fand Liv. Aber der Mann schien genauso stur, so wie er in seinem rosa Polohemd dastand und gestikulierte, seine Glatze glänzte im Sonnenschein. Ihr kleiner Hund kläffte wie ein Spielzeug mit Batterie und lief rund um ihre Beine.

Nein, dachte Liv, da ist es doch besser, allein zu sein, als einen Mann zu haben, der einen so annörgelt. Sie griff nach ihrer Zeitung und setzte sich hin, um mit ihrem Kreuzworträtsel weiterzumachen.

Sie hatte jedoch kaum begonnen, da klopfte es fest an die Tür. Sie blieb reglos sitzen. Wenn man von innen nichts hörte, würde derjenige vielleicht wieder gehen. Aber es klopfte erneut laut.

»Hallo, jemand zu Hause?« Eine Frauenstimme.

Liv stand langsam auf, ging zur Tür und öffnete sie nur einen Spalt breit. Licht fiel hinein, und sie sah die Wohnmobilfrau mit der Brille.

»Macht es etwas, wenn wir etwas näher an Ihrem Platz stehen? Wir müssen nämlich unser Vorzelt aufbauen, wegen der Wärme, Sie wissen schon, und morgen wird ja gefeiert.«

Die Frau lächelte breit, aber nicht sehr freundlich. Das spürte Liv nach all den Jahren, die sie in Säter eingesperrt gewesen war. Sie wusste, wer gut und wer böse war.

Liv hatte eigentlich überhaupt keine Lust auf ein großes Fest direkt neben ihr, aber sie wollte so wenig wie möglich mit Menschen zu tun haben, daher nickte sie kurz und schloss die Tür.

Sie ging langsam zum Fenster über dem Küchensofa und zog die Gardinen fest zu.

Kapitel 9

Ein Mädchen, das ein kurzes, rosa Kleid und weiße, doppelt geknöpfte Sandalen trug, blieb stehen, als sie von der Schaukel gesprungen war, und ihre Blicke trafen sich kurz – ihre unschuldigen, braunen Augen offen für die Welt. Der braune Pony flatterte etwas im Wind. Das Mädchen stand ein paar Sekunden still, dann drehte es sich um und lief zu seiner Mama, die sich gerade über den Kinderwagen beugte und die Decke über dem jüngeren Geschwisterkind richtete.

Sie verließen jetzt den Spielplatz. Sie nahm die Hand ihrer Mutter, und die drei gingen weg. Das Mädchen drehte sich kurz noch einmal um, sein Kleid flatterte um seine kurzen Beine. Ihre Blicke trafen sich noch einmal für einen kurzen Augenblick.

Kindheitserinnerungen kamen hoch. Die schweren Hände auf den Schultern, die dumpfe Stimme, die aus einem tiefen Abgrund drang. Der Gürtel, der geöffnet wurde, die aufgeknöpfte Hose, die dann heruntergezogen wurde. Durch die Erinnerungen verschwand alles andere, und der Körper war wie gelähmt. Die Stimme des Mannes: »Jetzt bist du nett und machst, was wir immer tun.« Dann das Gesicht an seinem Geschlecht.

Übelkeit stieg auf, aber vermischte sich im Körper mit der Wärme und der Spannung, das Mädchen mit dem rosa Kleid vom Spielplatz weghüpfen zu sehen.

Kapitel 10

Anna war für heute fertig, sie hatte den Computer heruntergefahren und ihren Kollegen tschüss gesagt. Jetzt nahm sie ihr Fahrrad und fuhr in die Stadt.

Ein Arzt im Praktikum, der während seiner Ausbildung ein paar Wochen in Säter gearbeitet hatte, hatte ihr erzählt, dass er in der ersten Woche überhaupt nicht schlafen konnte, so geschockt war er davon, wie anders alles in der Klinik in Säter war, verglichen mit den anderen Häusern, an denen er gearbeitet hatte. Es war wie eine ganz andere Welt mit eigenen Regeln, hatte er gemeint. Es hatte ihn ziemlich getroffen, als er gesehen hatte, wie fünfzehn Pfleger einen psychotischen Patienten niederrangen, ihn durch den Flur trugen und dann fixierten.

Anna war nur in Säter gewesen, sie konnte also keine Vergleiche anstellen. Aber natürlich begriff sie, dass bestimmte Dinge beeindruckend waren, gleichzeitig wusste sie, dass diese Art von Einsatz das Einzige war, was sie tun konnten, wenn ein Patient gefährlich war, mit Möbeln warf oder jemanden angriff. Aber natürlich wünschte sie sich, dass sie anders mit den Patienten umgehen könnten, wenn solche Situationen vorkamen. Heute war jedenfalls ein guter Tag gewesen, ohne solche Zwischenfälle.

Das Dunkle, Kranke innerhalb der Wände der rechtspsychiatrischen Klinik in Säter wurde wirklich durch die schöne Umgebung aufgewogen. Die Region Skönvik war ein himmlischer Ort am Ufer des Ljusterns, umgeben von dichten Wäldern.

Das eine bedingt das andere, dachte sie und grüßte auf dem Weg einen Pfleger. Heute wurde nur noch ein Zehntel der früheren Patientenzahl behandelt, daher fühlte man sich manchmal mit all den leeren, alten Häuser rund um das rechtspsychiatrische Zentrum etwas verlassen.

Kleine Wellen kräuselten die Seeoberfläche. Etwas mehr Wind wäre heute nicht verkehrt. Anna spürte, wie der Schweiß ihr über den Rücken lief. Es mussten über dreißig Grad sein. Es hieß, dass das Feuerverbot ausgeweitet würde, und ein Gießverbot war ebenfalls bereits erlassen worden.

Der mandelsüße Holzduft vom Sägewerk lag wie immer schwer über der Bucht, und als sie sich der Stadt näherte und durch die Gassen voller roter Holzhäuser radelte, war es, als würde man direkt in eine Postkarte fahren. Hinter dem Sägewerk sah sie den Campingplatz und den Sprungturm am Schwimmsteg direkt am Strand. Vielleicht sollte sie einen Abstecher dorthin machen und kurz ins Wasser gehen?

Manche Momente würde sie gern mit jemandem teilen. Das hier war ein solcher, und sie spürte wieder mal Wehmut aufsteigen.

Plötzlich blieb ihr Blick an einer etwas entfernten Person hängen. Sie sah die Silhouette eines Mannes, der nach unten zum Campingplatz am Wasser ging. Der Gang war charakteristisch und der Körper gerade aufgerichtet, alles erinnerte eindeutig an Carl-Magnus. Aber er sollte heute doch bei seiner Mama sein und nicht in Säter herumlaufen?

Ein mulmiges Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Sie blinzelte und legte eine Hand über die Augen, um besser zu sehen. Jetzt kam eine andere Person hoch und trat zu ihm, Seite an Seite gingen sie weiter.

Nein, Anna atmete auf. Das konnte nicht Carl-Magnus sein.

Er musste jetzt ja in Sala sein.

Kapitel 11

Liv

Schweiß trat Liv auf die Stirn, und sie spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Das Paar mit dem Wohnmobil hatte jetzt ihr Vorzelt aufgebaut, das die Aussicht von Livs Wohnwagen blockierte. Jetzt konnte sie den See gar nicht mehr sehen.

Außerdem hatten sie angefangen, Möbel auf ihren Platz zu stellen. Sie wurde unruhig und wütend. Das waren Gefühle, die sie nicht mochte. Sie erinnerten sie zu sehr an die Zeit, als sie im Krankenhaus eingesperrt gewesen war. Als sie keine Tür öffnen konnte.

Vor ihrem inneren Auge blitzte das Bild einer Zwangsjacke auf. Sie hasste diese Jacken. Wenn sie so eine holten, sie festhielten und ihr anzogen und so festzurrten, dass sie ihre Arme nicht bewegen konnte. Dann bekam sie keine Luft mehr und schrie, bis ihr die Stimme brach.

Dann kam die dumme Liv hervor. Die, die nicht nett war, die hässliche Sachen brüllte, die schlug und kratzen und beißen konnte. Von der die Ärzte sagten, dass sie gefährlich sei. Dann bekam sie eine Spritze und schlief ein.

Liv fuhr sich mit der Hand über den Nacken und wurde ganz nass. Konnten sie sie nicht in Ruhe lassen?

In ihr hatte es zu kochen begonnen, wie in einem großen Kessel voller Wasser. Sie saß auf dem Küchensofa und fing an, fest und rhythmisch auf den Boden zu stampfen und die Unterlippe zu kauen.

Sie verzog den Mund so, dass die Lippen kaum mehr zu sehen waren, knetete die Hände und probierte alles, um die dumme Liv unter Kontrolle zu halten.

MITTSOMMERVORABEND

Kapitel 12

Die Nachricht, dass Carl-Magnus Johansson bei seinem Freigang verschwunden war, erreichte Anna, als sie gerade mit ihren Kollegen mit Mineralwasser anstieß und den ersten Bissen Senfhering an Mittsommer im Mund hatte. Es war zwölf Uhr, und sie ließ die Gabel auf den Teller fallen, als die Krankenschwester, die die Tür des Personalraums aufgerissen hatte, kurz und keuchend erzählte, was geschehen war.

Adrenalin schoss wie eine Druckwelle durch ihren Körper. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie wiederholte die Worte der nervösen Krankenschwester.

»Carl-Magnus ist also bei seinem Freigang verschwunden … an Mittsommer.« Sie drehte sich zu Miro um. Sie sahen einander an.

»Carl-Magnus sollte gestern anrufen, wenn er bei seiner Mutter im Seniorenheim angekommen war, und das hat er getan. Wir nahmen ihn beim Wort. Doch als ich heute im Heim anrief, weil er nach Hause fahren sollte, sagten die, dass er gar nicht da gewesen ist. Seine Mutter schlief im Schaukelstuhl und hatte seit Wochen keinen Besuch mehr gehabt«, berichtete die Krankenschwester verängstigt.

»Okay, danke«, sagte Miro. Alle Blicke im Raum fielen auf Miro, der ein paar Sekunden lang schwieg.

»Wir müssen es als eine Unregelmäßigkeit behandeln. Wir werden ihn bald wieder haben. An diesen Tagen sind viele Polizisten unterwegs, also wird er bald zurück sein «, fuhr er fort, während er aufstand, seinen Stuhl unter den Tisch schob und sein Handy aus der Tasche nahm.

»Habt ihr es gemeldet?«

»Nein, wir wollten zuerst dir Bescheid sagen«, antwortete die Krankenschwester, die sich jetzt aufs Sofa setzte und aufatmete.

»Gut, ich übernehme das Telefonat. Er ist bald wieder hier. Dafür werde ich schon sorgen.« Das Letzte murmelte er so leise, dass nur Anna es hörte. Dann legte er das Handy ans Ohr und verließ den Personalraum.

Anna saß vor Schreck gelähmt da und wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Denn das war ihr schlimmster Alptraum. Sicher, sie vertraute Miro, aber sie wusste, dass es Tage oder Wochen dauern konnte, bis sie Carl-Magnus fanden. Sie bekam Panik, das war ihr Fehler, ihre Fehleinschätzung.

Es waren aktuell viele Menschen in Dalarna, das machte es leicht unterzutauchen. Carl-Magnus konnte sich unter die Leute mischen und sich vor ihnen verstecken.

Anna biss die Zähne zusammen. Es waren Sommerferien. Die Schulen waren geschlossen und viele Kinder unterwegs.

Kapitel 13

Die Mittsommerfeiern in Dalarna waren weithin bekannt, und viele der Gäste auf dem Campingplatz kamen Jahr für Jahr, um die hellsten Nächte des Jahres in Säter zu feiern.

Die Sonne brannte auf die Campinggäste, und es war zu heiß, um unter dem Vorzelt zu bleiben. Die Männer zogen ihre Hemden aus und saßen mit nackten Oberkörpern da, und die Frauen hatten ihre Ärmel hochgerollt oder ein Top angezogen. »Was für eine schreckliche Hitze! Diese Wärme bringt mich noch um! Man weiß gar nicht wohin. Ach, endlich mal ein warmer Sommer!«

Viele Familien waren am Badestrand und erfrischten sich im Ljustern.

Anette hatte morgens nach ihrer Tochter gerufen, damit sie Brötchen kaufen geht, aber sie hatte sich nicht blicken lassen. Sie hatte sich dann gedacht, dass sie wohl unterwegs war und mit den Kindern spielte, wie gestern.

Aber jetzt waren mehrere Stunden vergangen, ohne dass sie ihre Tochter gesehen hätte. Panik war in ihr aufgestiegen, und sie spürte, dass jetzt etwas ernsthaft falsch war. Moa war noch nie so lange weggewesen. Also hatte Anette gerufen, im Wohnwagen gesucht, in den benachbarten Zelten, unten am Ljustern und dort alle gefragt. Tony hatte versucht, sie am Arm zu packen, um sie zu beruhigen. Jemand hatte ihr ein eiskaltes Bier gegeben, das sie bloß ins Gras geworfen hatte.

Sie wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. Anette sah sich um und erlebte plötzlich alles wie in Zeitlupe. Langsame Bewegungen rund um sie herum. Musik und Stimmen klangen auf einmal wie dumpfe Geräusche aus der Ferne.

Alles verschwamm. Ein unwirkliches Gefühl überkam sie. Durch die Wärme zitterte die Luft. Sie hörte ihr eigenes Herz heftig in der Brust schlagen. Moa war verschwunden. Sie öffnete den Mund und brüllte los: »Moooaaa!«

Kapitel 14

Die Tür zum Personalraum öffnete sich, und ein Mann mit blonden, zurückgekämmten Haaren, den Anna noch nie gesehen hatte, trat ein. Er sah sich unsicher und verwundert um.

»Hallo, ich suche Mirro.«

»Miro meinen Sie?« Eine der Krankenschwestern, die auf dem Weg zur Station war, erklärte kurz, dass Miro beschäftigt war, und ging weiter.

Der unbekannte Mann blieb in der Tür stehen und sah verloren aus.

»Kann ich Ihnen helfen?« Anna, die immer noch von der Nachricht von Carl-Magnus’ Verschwinden betroffen war und jetzt sich selbst und ihre Entscheidung hinterfragte, stand auf und streckte die Hand aus. »Ich bin Anna.«

Ihr fiel auf, dass sein Hemd perfekt gebügelt war und er keinen Ring trug.

»Jesper, hallo, ich bin der neue Assistenzarzt.«

»Aha, Miro hat von Ihnen erzählt. Willkommen«, sagte Anna. »Miro ist gerade beschäftigt, ein Patient auf Freigang ist verschwunden.«

»Ja, das habe ich gehört. Wer war es?«

Anna zögerte, sie wollte im Moment nicht mehr erzählen. Vielleicht hatte sich alles schon geklärt.

»Na, das kann Miro ja mit Ihnen besprechen. Also, das ist ungewöhnlich. Wirklich.«

Sie wollte vor allem nicht, dass Jesper an seinem ersten Arbeitstag einen falschen Eindruck von der Klinik bekam. Und auch nicht von ihr. Sie wechselte schnell das Thema.

»Mittagessen?« Sie drehte sich um, nahm ein Stück Knäckebrot aus dem Korb auf dem Tisch und nickte Jesper zu. Doch ihre Gedanken waren ganz woanders. Carl-Magnus musste so schnell wie möglich zurück hinter verschlossene Türen. Vorher würde sie sich nicht entspannen können.

Kapitel 15

Anette füllte die Lungen und brüllte weiter.

»Moa! Mooooooaaa! Mein kleines Mädchen ist weg! Hilf mir!«

Tony stand schwerfällig vom Campingstuhl auf und ging zu ihr.

»Jetzt beruhig dich, ich habe doch gesagt, dass sie zurückkommt. Du machst dich zum Narren. Die Kleine ist halt irgendwo und spielt.«

»Nein, sie ist nicht irgendwo und spielt. Sie ist nicht hier, und sie ist nicht da, sie ist nicht da und auch nicht dort.« Anette zeigte in alle Richtungen, auf Wohnwagen, Zelte und zum Strand. Sie hatte schließlich überall gesucht, und Moa war nirgendwo.

»Beruhig dich.« Tony packte sie erneut am Arm, aber sie entzog sich ihm und hob die Hand.

Sie war wütend, ängstlich und sauer, alles auf einmal. Ihre innere Kraft war nicht zu übersehen.