Die Homo-Scheidung - citizen_b - E-Book

Die Homo-Scheidung E-Book

Citizen B.

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Beschreibung

Nach den beiden schwulen Kultromanen 'Mein Name ist Faust!' und 'Faust: Mein teuflischer Liebhaber' wendet sich der populäre Trash-Autor citizen_b dem Kriminalroman zu: Der blutjunge Nachwuchsdetektiv Benjamin ist gerade erst 18 Jahre alt geworden, steckt mitten in seinem Coming-Out und muss schon seinen ersten Mordfall lösen. Eigentlich soll er ja nur den unverschämt gutaussehenden Homo-Gatten des schwerreichen Wirtes Nero Z. beschatten. Dann wird der prominente Gastronom erstochen aufgefunden und der Mordverdacht fällt natürlich auf Neros untreuen Ehemann Dennis. Aber so einfach kann es nicht gewesen sein! Oder? Gemeinsam mit seinem Boss, dem hartgesottenen Privatdetektiv Max Finger und dessen lesbischer Assistentin Kim nimmt Benjamin die Ermittlung auf. Was ist das tödliche Geheimnis der Homo-Scheidung? Alle sind verdächtig. Da sind unter anderem: Der attraktive Student Kilian, der ein Auge auf Benjamin geworfen hat. Neros Schwester, die spießige Zimtzicke Silke. Der zwielichtige Gebrauchtwagenhändler Alfons, der angeblich nur seinen Kampfhund Boris liebt. Der neurotische Disc-Jockey Thorben, den alle nur 'Nancy' nennen. Neros Geschäftsführer Leander, der zigtausend Euro unterschlagen hat. Und nicht zuletzt natürlich der Hauptverdächtige Dennis, denn dieser hübsche Bengel hat es wirklich faustdick hinter den Ohren, wie Benjamin schon bald am eigenen Körper erfahren kann.In 'DIE HOMO-SCHEIDUNG' nimmt citizen-b die Homo-Ehe und die daraus resultierenden Folgen kritisch unter die Lupe. Darüber hinaus gibt es ein gerütteltes Maß an homoerotischen Situationen, ironischem Witz, dramatischen Wendungen und nervenzerfetzender Spannung: Intelligente Unterhaltungsliteratur mit Eiern!

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Seitenzahl: 244

Veröffentlichungsjahr: 2015

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citizen_b

DIE HOMO-SCHEIDUNG

Bis dass ein Mord euch scheidet!

citizen_b

Der Frankfurter Trash-Literat und kolossale Snob lebt mit seinem herzensguten Lebensabschnittsgefährten Ulf in einer großzügig geschnittenen Wohnung mit Blick auf die beeindruckende Skyline der Main-Metropole. Der charismatische Philanthrop verdient sein Geld als Restauranttester, Disc-Jockey und Werbetexter.

Andere literarische Werke: „Mein Name ist Faust!“ (2000) und „Faust: Mein teuflischer Liebhaber“ (2001), beide erschienen im Himmelstürmer Verlag.

 

 

Originalausgabe

1.Auflage März 2002

E-book Juli 2015

 

 

Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

© copyright Himmelstürmer Verlag, 20099 Hamburg, Kirchenweg 12

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages

E-Mail: info@himmelstuermer.de

www.himmelstuermer.de

 

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software GmbH

 

ISBN Epub 987-3-86361-515-4

ISBN pdf 987-3-86361-516-1

BEINAHE NEKROPHIL

Frankfurt, Freitag, der 4. Januar 2002:

„Der Körper ist noch warm!“, stellt Max Finger fest. Der bullige Detektiv kniet neben der splitternackten Leiche von Nero Ziche. Er hat den Zeigefinger seiner rechten Hand an die Halsschlagader des toten Gastronomen gelegt. Wohl um den Puls zu fühlen oder was weiß ich.

Nero sieht verdammt gut aus, obwohl er eine klitzekleine unschöne Stichwunde direkt unter der linken Brustwarze hat und absolut mausetot ist. Sein durchtrainierter, sonnengebräunter Körper liegt geradezu malerisch auf dem hellen kühlen Marmorfußboden ausgestreckt. Man könnte meinen, Nero hätte es sich nur kurz auf dem Boden bequem gemacht und gleich würde er wieder aufstehen, sich mit einem Tempo-Taschentuch die Blutspritzer von der Brust wischen, uns begrüßen, ein Küsschen aufs Ohr drücken und ein Glas Champagner anbieten. Die halblangen blondierten Haare sitzen dank Haarfestiger perfekt. Das ebenmäßiges Gesicht wirkt völlig entspannt. Die blauen Augen sind geöffnet und blicken zu der hohen, stuckverzierten Zimmerdecke empor. Er hat ein kleines Lächeln auf den vollen Lippen, als würde er sich über einen privaten Scherz amüsieren, den nur er selbst kapiert.

Mein Blick wandert an seinem Körper entlang, vorbei an der muskulösen Brust, dem nahezu perfekten Waschbrettbauch und den blondgefärbten Schamhaaren, um schließlich im Schritt zu verweilen.

Vor wenigen Stunden hat mich Nero hier in seinem Wohnzimmer empfangen, mir Champagner und Kokain angeboten, mich in sein Schlafzimmer gelockt und auf dem mit schwarzer Seidenwäsche bezogenen französischen Bett nach allen Regeln der Kunst verführt. Unglaublich. Unglaublich gut. Unglaublich geil.

Während ich nur ganz kurz daran denke, merke ich, dass ich eine Erektion bekomme. Wie pietätlos! Ich reiße meinen Blick von Neros Körper los und schaue woanders hin. Neben dem weißen Ledersofa sehe ich ein Bratenmesser mit einer langen blutverschmierten Klinge liegen. Die Tatwaffe. Auf dem Sofa liegt ein weißer Lappen mit Blutflecken und in dem Spiegel, der über dem Sofa hängt, entdecke ich mein eigenes Spiegelbild: Ganz schön blass um die Nase. Hinter mir im Spiegel sehe ich die Reflektion des hohen Fensters, das zur Beethovenstraße heraus liegt. Draußen ist es stockdunkel und es hat wieder angefangen zu schneien. Ich konzentriere mich voll und ganz auf den Anblick der tanzenden Schneeflocken und denke daran, wie ich überhaupt in diese schreckliche Geschichte reingeraten bin...

COMING-OUT HEISST RAUSGESCHMISSEN

Rückblende:

Wenige Tage vorher. Neujahr. In Niffelheim, einem widerwärtigen winzigen Provinznest, mitten im Nichts. Der australische Austauschschüler Dave, der bei einer Gastfamilie im Nachbarkaff wohnt, und ich sitzen auf der kleinen Couch in meinem Zimmer. Eine Kerze brennt. Die Heizung ist voll aufgedreht. Viva läuft. Kylie tanzt und singt: „Set me free!” Meine Eltern und meine Schwester sind zu den Eltern meiner Mutter gefahren. Erfahrungsgemäß werden sie nicht vor Mitternacht zurückkommen. Die Gelegenheit ist günstig. Nicht, dass Dave mein Traumtyp wäre, er ist nicht unbedingt schön und auch nicht sonderlich helle. Aber ich bin ziemlich sicher, dass er genau so schwul und geil ist wie ich, und das ist, um was es heute Abend geht. Schwuler Sex! In wenigen Tagen werde ich 18 und ich bin tatsächlich immer noch eine Jungfrau. Heute will ich es endlich wissen!

„Do you want another glass of wine?“, frage ich ihn und warte seine Antwort gar nicht ab. Ich fülle unsere Gläser noch einmal mit dem trockenen Landwein auf, den ich aus Vaters Weinkeller gemopst habe. Wir stoßen an.

„Do you have a girlfriend in Australia?“, erkundige ich mich. Das heißt, für den Fall, dass Sie nicht Englisch sprechen, soviel wie: „Hast du ein Mädchen in Australien?“

„No. How about you, Benjamin?“, fragt er zurück. Das heißt: „Nee. Und du, Benjamin?“.

Dave spricht übrigens generell nur Englisch, obwohl er ja eigentlich nach Deutschland geschickt wurde, um Deutsch zu lernen.

„I don’t care about girls!“, antworte ich. Das heißt auf deutsch: „Mädchen sind mir piepegal.“

So, jetzt ist es raus. Ich fasse meinen ganzen Mut zusammen und lege meine Hand auf seine Schulter. Dave rückt ein Stück näher an mich heran und wendet mir sein Gesicht zu. Er lächelt. Wir nehmen uns in die Arme. Ich schließe die Augen. Meine Lippen auf seinen Lippen. Sein Mund halb geöffnet. Meine Zunge an seiner Zunge. Wie einfach das alles plötzlich ist! Daves Küsse schmecken nach Rotwein und Pfefferminz-Kaugummi. Seine rechte Hand wandert an meinem Oberkörper entlang, knöpft das karierte Flanelloberhemd auf, schlüpft unter das Hemd und streichelt meine Brust. Ich schiebe sein Sweatshirt nach oben und folge seinem Beispiel. Daves Hand bewegt sich nach unten, fährt über meinen Bauchnabel und stößt an den Bund meiner schwarzen Levi’s. Ich bin so aufgeregt, ich kann kaum atmen. Jetzt öffnet Dave meinen Gürtel. Ich fummele an Daves Cargohose herum und es gelingt mir, den Hosenbund und den Reißverschluss zu öffnen. Dave zieht seine Hose und seine Unterhose mit der linken Hand nach unten. Sein Schwanz steht wie eine Eins. Ich nehme ihn in die Hand und Dave stöhnt. Schnell hilft er mir, meine Hose bis zu den Knien herunterzuziehen. Auf Unterwäsche hab ich in geiler Voraussicht verzichtet. Dave streichelt und drückt meinen steinharten Schwanz. Fantastisch! Darauf habe ich fast achtzehn Jahre lang gewartet!

Die Tür geht auf. Das Licht geht an.

„Ihr Säue!“, schreit mein Vater. Schon ist er mitten im Zimmer. Er hat noch seinen Mantel an und seinen Hut auf.

Hinter ihm meine Mutter. Ebenfalls im Mantel und mit Hut. Sie gibt unartikulierte hysterische Geräusche von sich.

„Was ist denn los?“, fragt meine Schwester, die jetzt im Türrahmen erscheint.

Vater stürzt auf uns zu und prügelt wahllos auf uns ein. „Ihr Schweine! Ihr Schweine!“, keucht er. Die Weinflasche kippt um und die Gläser zerschellen auf dem Laminat.

Dave springt von der Couch, zieht sich die Hosen hoch und flitzt zur Tür. Er poltert die Treppe hinunter. Die Haustür schlägt zu.

Ich wehre Vaters Schläge ab und es gelingt mir, von der Couch aufzustehen. Ich ziehe die Hose hoch.

„Du schwule Sau!“, schimpft Vater und versucht mich festzuhalten. Ich winde mich aus seinem Griff, schnappe mir mein Handy, das auf dem Fernseher liegt und folge Daves Beispiel. An Mutter vorbei. Raus aus dem Zimmer. An meiner Schwester vorbei. Die Treppe hinunter. Drei Stufen auf einmal. Ich knöpfe meine Hose zu, schlüpfe in meine Sneakers, werfe meine helle, mit Plüsch gefütterte Cordjacke über die Schulter, öffne die Haustür und laufe los. So schnell ich kann.

„Lass dich hier nie wieder blicken!“, schreit mir mein Vater aus dem Fenster hinterher.

Ich sprinte an dem kleinen beleuchteten Weihnachtsbaum im Vorgarten vorbei auf die Straße. Ich lasse die Ein- und Zweifamilienhäuser in unserer Straße hinter mir und schon bin ich an der Hauptstraße. Ich renne an den original Fachwerkhäusern des Dorfkerns, an der Kirche, am Edeka, am Friedhof und am Bolzplatz lang. Dann bin ich an der Landstraße. Ich laufe weiter. Und weiter. Und weiter. Unter meinen Füßen knirscht der Schnee. Nach einer Weile bleibe ich stehen. Völlig außer Atem. Es ist arschkalt. Ich zittere am ganzen Körper. Vor Aufregung. Um mich herum Wald. Vor mir die Straße. Ich drehe mich um. Von Niffelheim ist nichts mehr zu sehen. Über mir leuchten Millionen Sterne.

EURO CITY

Das Zug fährt um die Kurve. Ich schaue aus dem Fenster: Da ist der berühmte Messeturm mit der leuchtenden Pyramide als Dach. Endlich Frankfurt. Nachdem ich die halbe Nacht bis zum nächsten Bahnhof gelaufen bin und bei fünfzehn Grad minus auf einer Parkbank stundenlang auf den ersten Zug gewartet habe. Nicht, dass es langweilig war. Ich habe die eine oder andere bittere Tränen vergossen und Pläne für die Zukunft geschmiedet. Ich kann nie wieder nach Hause. Das ist allerdings auch schon das Einzige, das ich nicht kann. Ha! Die Möglichkeiten sind grenzenlos: Ich kann in die Fremdenlegion eintreten. Oder auf Mallorca Animateur werden. Oder Top-Model. Oder noch besser: Privatdetektiv!

„Privatdetektiv?“, fragen Sie jetzt bestimmt. „Wie will denn dieser grüne Junge Detektiv werden? Er ist ja noch keine achtzehn Jahre alt!“

„Aber ja doch“, antworte ich Ihnen. „Privatdektektiv! Sie müssen wissen: Mein Onkel ist Privatdetektiv. Hier in Frankfurt!“

Das habe ich selbst erst vor kurzem herausgefunden. Mein Vater hat nämlich einen Bruder. Der wiederum hat eine Detektei in Frankfurt.

Ich erinnere mich daran, wie ich ihn das erste und einzige Mal gesehen habe. Vor ein paar Monaten. Bei der Beerdigung meiner Großeltern väterlicherseits. Die beiden waren bei einem Schwelbrand in ihrer Wohnung erstickt. Eine furchtbare Geschichte. Wie auch immer: nach dem verlogenen Kitsch-Teil in der Dorfkirche sind wir auf den Dorffriedhof gegangen, um die beiden unter die Erde zu bringen. Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester, die Damen und Herren vom Gesangverein und vom Kegelclub, Stammtischbrüder, Nachbarn, die Friseuse meiner Großmutter, die Kassiererin vom Edeka, die Schwester meiner Mutter nebst Gatten, der Geistliche und ich. Wir haben ernste Gesichter aufgesetzt und mit einer kleinen langstieligen Schaufel Erde auf die Särge geworfen. Dann tauchte er auf: Ein leicht untersetzter, etwas dicklich wirkender Mann mit kurzen dunkelblonden Haaren. Er trug eine schwarze Lederjacke, schwarze Jeans, schwarze Halbschuhe und eine schwarze Sonnenbrille. Er ging zielstrebig auf das offene Doppelgrab zu und nahm die Sonnenbrille ab. Ich weiß auch nicht warum, aber für einen Augenblick war ich mir absolut sicher, dass er gleich in das offene Grab meiner Großeltern spucken würde. Stattdessen nahm er die Schaufel, schippte eine Handvoll Dreck auf die Särge, drehte sich auf dem Absatz um und verließ den Friedhof. Das Grab meiner Großeltern liegt übrigens in unmittelbarer Nähe der niedrigen Friedhofsmauer, so hatte ich alles Weitere prima im Blick. Ich beobachtete, wie er in einen schwarzen 3er BMW stieg und mit quietschenden Reifen davonfuhr. Der BMW hatte eine Frankfurter Kennzeichen. „Der andere Sohn“, flüsterte eine der Klatschbasen vom Kegelclub der Dame vom Edeka zu. „Der ist vom anderen Ufer.“

Später, beim Leichenschmaus im Dorfkrug, erfuhr ich noch mehr über meinen Onkel, von dem ich bis dato nie gehört hatte. Zum Beispiel seinen Vornamen: Max. Vor etwa 18 oder 19 Jahren ist er aus Niffelheim abgehauen. Er hatte einen schweren Streit mit meinen Großeltern. Weil er schwul war und das einfach nicht in ihr katholisches Weltbild passte. Also haben sie ihn aus dem Haus gejagt. Gott zur Ehre. Niemand hat ihn seither gesehen. Dann machte jemand einen Witz über meinen Vater und seinen „warmen Bruder“ und mein Vater bekam einen cholerischen Wutanfall und verfluchte seinen Bruder und überhaupt alle „Scheißschwulen“ und „Arschficker“ und er fing beinahe eine Schlägerei an und ich machte mir Sorgen, weil er ganz offensichtlich keinen Funken Sympathie für Schwule hegt. Und ich hatte mir gerade erst ein paar Stunden vorher eingestanden, dass es sich bei meiner Faszination für andere junge Männer wohl doch nicht nur um eine vorübergehende Phase handelt. Einen Tag später suchte ich im Internet nach „max+finger+frankfurt“ und fand die Homepage der Detektei Fingerprinz in Frankfurt am Main: www.fingerprinz.de.

Das ist mein Plan: Ich werde meinen Onkel Max in Frankfurt aufsuchen und ihn fragen, ob er nicht vielleicht einen Auszubildenden für seine Detektei sucht.

Der Zug hält. „Frankfurt. Endstation. Alle aussteigen“, quäkt eine Stimme aus einem Lautsprecher am Bahnsteig und ich tue wie mir geheißen. Mein linkes Bein ist eingeschlafen. Ich bin todmüde und gleichzeitig hellwach.

Obwohl es noch keine 8 Uhr ist, ist in der Bahnhofshalle schon ordentlich was los: Angestellte mit unausgeschlafenen Gesichtern hetzen in Richtung S-Bahn. Reisende aus fernen Ländern irren mit ihren Koffern von Bahnsteig zu Bahnsteig. „Behalten Sie Ihr Gepäck im Auge!“, warnt eine Lautsprecherdurchsage. Überall Sicherheits-Personal. Auf einer Leinwand laufen die Nachrichten. Verheerende Buschbrände in Australien und die Börse ist im Keller. Ich genehmige mir einen Kaffee und einen Egg MacMuffin bei MacDonald’s. Auf meinen letzten 20-Mark-Schein bekomme ich völlig fremdartige Münzen als Wechselgeld heraus. „Euro-Umstellung“, erklärt die Bedienung, die mit ihren schwarzen Haaren, der dunklen Haut und dem Ring im linken Nasenflügel aussieht, als würde sie aus Indien oder so stammen. Stimmt. Der Euro. Hatte ich völlig vergessen. 2002 und alles ist neu. Sogar das Geld.

Gegen halb neun mache ich mich auf den Weg. Die Detektei liegt in der Münchener Straße. Direkt am Bahnhof. Die Münchener Straße ist eine Parallelstraße der Kaiserstraße, der „Roten Meile“ Frankfurts.

Ich überquere den Bahnhofsvorplatz. Security-Leute versuchen Obdachlose von den Parkbänken an der Straßenbahnhaltestelle zu vertreiben. Ich haste an ihnen vorbei, über die Straße zur Kaiserstraße. Ein paar ungepflegte Burschen lehnen an dem Geländer der Unterführung zur U-Bahn. Sie rauchen Zigaretten, trinken Bier und Schnaps und schauen feindselig aus der Wäsche. Ich halte mich rechts, laufe etwa dreißig Meter unter einem Baugerüst hindurch und schon bin ich in der Münchener Straße: Ich registriere mehrere kleine Hotels, Pilsstuben, jede Menge Reisebüros, Tabakgeschäfte, Spielhallen, Telecafés und sogar eine Moschee. Moderne Bürohäuser neben Jugendstilgebäuden neben mit Bauplanen verhängten Fassaden. Frankfurt wird seinem Ruf als internationale Minimetropole gerecht: Hier ein Irish Pub, dort ein afro-amerikanisches Kosmetikgeschäft, eine griechische Bank, eine türkische Buchhandlung, ein orientalischer Lebensmittelladen, ein spanisches Feinkostgeschäft, ein marokkanischer Herrenausstatter, ein italienischer Eissalon, eine Wiener Feinbäckerei, chinesische, vietnamesische, indische und pakistanische Restaurants und ein Kebabhaus neben dem nächsten. Menschen aller Hautfarben, Religionen und Weltanschauungen gehen ihren Geschäften nach und sprechen exotische Wörter in die Mikrophone ihrer Handys. Hier und da hocken Bettler auf dem Gehweg und halten mir kleine Wellpappenschilder entgegen: „Keine Arbeit, kein Zuhause“ oder „Danke“ steht darauf gekrakelt. Zwei Schulmädchen sitzen in einem dunklen Hauseingang und die eine hilft der anderen, sich eine Spritze in den Arm zu stechen. Ein Polizeiwagen mit laufendem Blaulicht parkt quer über den Fußweg und zwei Polizisten durchsuchen einen blassen jungen Mann, der sein Gesicht und seine Hände an die Schaufensterscheibe eines Im- & Export-Geschäftes drückt. Eine Straßenbahn fährt vorbei. Wo ist jetzt die Detektei Fingerprinz? Wie war noch mal die Hausnummer? Ich studiere die Klingelschilder. Ein schier aussichtloses Unterfangen! Aber ich habe Glück und entdecke schon bald ein unauffälliges Emailleschild mit der Aufschrift „Fingerprinz“ im Eingang eines etwas heruntergekommenen Jugendstilgebäudes. Ich läute. Nichts passiert. Ich läute noch einmal und es passiert genauso wenig. Wann macht so ein Detektivbüro eigentlich normalerweise morgens auf? Wahrscheinlich bin ich ein bisschen zu früh dran. Ich beschließe, ein wenig spazieren zu gehen und es später noch einmal zu versuchen. Ich lauf stadteinwärts und überquere eine breite Straße. Vor mir schießen die Wahrzeichen Frankfurts in den Himmel: Die Bankentürme! Der Euro-Tower ist mit einer Banderole aus überdimensional großen Euro-Scheinen dekoriert und erinnert mich einmal mehr an die Währungsumstellung. Direkt daneben der Commerzbankturm, weiter hinten die Deutsche Bank. Hier und da Baukräne. Ich laufe an der Oper vorbei und halte mich dann links. Da drüben ist die beeindruckende Fassade des Frankfurter Hofs. Und überall Banken. Wo man hinschaut: Banken, Banken, Banken. Vielleicht sollte ich Bankräuber werden!

Ein Obdachloser kommt mir entgegen. Er schiebt einen mit alten Zeitungen, Plastiktüten und Lumpen vollgepackten Einkaufswagen vor sich her. Er ist trotz der klirrenden Kälte barfuß und mit einem alten, völlig verdreckten Adidas-Trainingsanzug bekleidet. Seine langen Haare und sein Bart sind von unbestimmter Farbe, fettig und verfilzt. Sein Gesicht ist eine Ruine. Er stinkt nach Buttersäure und Alkohol. „Ich bin du in der Zukunft!“, flüstert er mir zu. Aber das bilde ich mir nur ein. Ich schaue, dass ich weiterkomme. Dann bin ich auf der Zeil, der bekannten Frankfurter Einkaufsstraße. Vor einigen Geschäften stehen noch Tannenbäume, die meisten Schaufenster sind auch noch weihnachtlich dekoriert. Ich fühle mich überhaupt nicht weihnachtlich. Was ist, wenn mein Onkel seine Detektei geschlossen hat und für ein oder zwei Wochen zum Skilaufen gefahren ist? Wo soll ich dann hin? Nach Hause? Unmöglich! Ich bin obdachlos! Und ich habe nur noch ein paar Euro in der Tasche! Ich friere und schaue den Straßenfegern zu, die den Müll der Sylvesternacht beseitigen. Die Zeilgalerie öffnet ihre Pforten und ich fahre mit der Rolltreppe hoch in den fünften Stock und laufe zu Fuß wieder hinunter, um mich aufzuwärmen. Dann kehre ich zurück in die Münchener Straße. Wieder läute ich bei „Detektei Fingerprinz“ und diesmal meldet sich tatsächlich eine dunkle, wohltönende weibliche Stimme über die Gegensprechanlage.

„Ja?“

 

„Onkel?“, fragt die Blondine, die hinter einem Schreibtisch am Empfang sitzt. Sie ist etwa Mitte zwanzig und zwinkert mir durch die Gläser ihrer schwarzen Hornbrille zu.

„Benjamin Finger. Ich bin der Neffe“, sage ich wahrheitsgemäß.

„Mir hat er erzählt, seine ganze Familie wäre von Terroristen ermordet worden“, sie zündet sich eine Marlboro lights an und inhaliert. „Du siehst müde aus“, stellt sie dann fest. „Kaffee?“

Ich nicke.

Sie zeigt auf eine kleine Kochnische und sagt: „Ich nehme meinen mit einem Schuss Milch.“

Ich gehe rüber in die Kochnische und fülle den Tank der Kaffeemaschine mit Wasser, suche einen Kaffeefilter, suche die Kaffeedose, finde beide in einem Hängeschrank über der Kaffeemaschine, schütte Kaffee in den Filter und drücke auf „On“.

„Er kommt eigentlich nie vor elf in die Agentur“, sagt die Blonde. „Mach es dir ruhig bequem“, sie deutet auf eine abgewetzte dunkelgraue Ledercouch. Ich murmele „Danke!“, und setze mich. Innerhalb von Sekundenbruchteilen bin ich eingeschlafen.

Ich träume: Vater hetzt mich durch ein Labyrinth aus festlich geschmückten, schneebedeckten Weihnachtsbäumen. Er hat eine Axt und schreit: „Du schwule Sau! Du schwule Sau!“

„Er kocht einen prima Kaffee.“

Die Stimme der blonden Brillenträgerin weckt mich. Ich öffne die Augen. Mir gegenüber steht ein mittelgroßer, bullig wirkender Mann. Schwarze Jeans, schwarzer Rollkragenpulli. Dunkelhaarig. Unrasiert. Schlecht gelaunt. Leicht übergewichtig. Filterlose Zigarette im Mundwinkel. Einen dampfenden Kaffeepott in der Hand.

Mein Onkel Max. Das schwarze Schaf der Familie.

AUF KEINEN FALL!

„Hier kannst du jedenfalls nicht bleiben!“, stellt Max Finger fest, nachdem ich ihm und der Blonden geschildert habe, wie ich vor wenigen Stunden von meinem brutalen Vater rabiat aus dem Haus geprügelt wurde.

„Ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen könnte...“, setze ich an.

„Am besten, du gehst zurück zu deinen Eltern. Die werden sich schon wieder beruhigen. Früher oder später“, entgegnet der Onkel auf wenig onkelhafte Weise.

„Ich dachte, weil ich gehört hatte, dass es bei dir damals so ähnlich gewesen ist...“

„Mag sein“, sagt Finger. „Trotzdem ist es besser, wenn du dich in den nächsten Zug nach Niffelheim setzt. Hier ist kein Platz für dich.“

„Ich könnte mich nützlich machen. Akten ordnen. Im Internet recherchieren“, schlage ich vor. „Mein größter Traum ist, Detektiv zu werden...“

„Quatsch! Niemand will Detektiv werden“, entgegnet der Onkel, der trotzdem Detektiv geworden ist. „Man rutscht da irgendwie rein. Und dann verbringt man den Rest seines Lebens damit, untreuen Ehemännern hinterher zu schnüffeln und in Mülltonnen herum zu wühlen. Vergiss es!“

Es läutet.

„Ja?“, fragt die Blonde in das Mikrophon der Gegensprechanlage, die auf ihrem Schreibtisch montiert ist.

„Nero Ziche“, tönt es aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage zurück. „Ich habe einen Termin mit Max.“

Die Blonde drückt auf einen Knopf, wohl um den Türöffner zu aktivieren und sagt: „Ziche.“

„Das Arschloch!“, seufzt Max Finger. „Was will denn der schon wieder?“ Er steckt sich eine Lucky Strike ohne Filter an und sagt dann in meine Richtung: „Wir unterhalten uns später weiter!“

Die Tür geht auf und ein gut aussehender blondierter Mann tritt ein. Ich würde ihn auf Mitte zwanzig schätzen. Er ist braun gebrannt und trägt eine modische schwarze Lederjacke, die ihm bis über die Hüften reicht, eine dunkelgraue Hose, schwarze Halbschuhe und schwarze Lederhandschuhe, die er gerade auszieht.

„Schönes neues Jahr!“, sagt er und setzt ein Lächeln auf, mustert mich von Kopf bis Fuß und folgt dann meinem Onkel in dessen Büro.

„Kim, Kaffee“, befiehlt der Onkel, bevor er die gepolsterten Doppeltüren schließt.

„Sei ein Schatz und setz noch einen Kaffee auf!“, sagt die blonde, die offenbar Kim heißt.

Das lass ich mir nicht zweimal sagen. Vielleicht, wenn ich mich ein bisschen nützlich mache, darf ich ja doch in der Abstellkammer oder so übernachten. Vielleicht...

Schon blubbert die Kaffeemaschine vor sich hin und es riecht angenehm nach Krönung light.

Gerade arrangiere ich eine Kanne Kaffee, zwei Tassen nebst passenden Untertassen, zwei Löffel, eine Büchse Bärenmarke und eine Zuckerdose auf einem Tablett, da kommt Max aus seinem Büro.

„Ihr zwei!“, ruft er Kim und mir zu. „Kommt mal kurz rein.“

Wir betreten sein Büro. Der leicht füllige Detektiv lässt sich in einen Drehstuhl hinter seinem breiten Schreibtisch fallen. Auf dem Schreibtisch stapeln sich Din-A5-große dicke Terminkalender, wie man sie gerne als Werbegeschenk zu Weihnachten bekommt. Nero Ziche sitzt in einem schwarzen Ledersessel vor dem Schreibtisch und raucht. Max zeigt auf eine zu dem Sessel passende Couch und Kim und ich setzen uns. Ich schaue mich um. Jede Menge Aktenschränke aus schwarz lackiertem Metall. Überall an den Wänden sind angestaubte Leitz-Ordner aufgeschichtet. Mehrere Landkarten sind an die Wände geheftet. Brandlöcher von Zigaretten und Kaffeeflecken auf dem dunklen Teppichboden. Ein paar vertrocknete Topfpflanzen auf dem Fenstersims. Die Fenster gehen nach hinten raus und blicken auf ein dunkles Schieferdach. Schornsteine rauchen. Tauben fliegen vorbei. Der Himmel ist grau.

„Du kennst ja Kim! Heute wieder mal in blond“, sagt Max zu Ziche. „Und der Junge ist unser neuer Lehrling. Dings. Wie war noch mal dein Name?“

„Benjamin“, antworte ich wahrheitsgemäß.

„Ich wusste gar nicht, dass Detektiv ein Ausbildungsberuf ist“, sagt Ziche und starrt mich unverhohlen an.

„Wir bilden ihn offiziell zum Bürokaufmann aus“, lügt der Onkel. „Wie auch immer: Nero möchte, dass wir seinen Gatten unter die Lupe nehmen.“

„Dennis verhält sich in letzter Zeit so merkwürdig. Manchmal verschwindet er für Tage“, berichtet Ziche. „Seit wir verheiratet sind, hat er sich irgendwie verändert.“

„Verheiratet?“, frage ich.

„Seit letzten Sommer gibt es eingetragene Partnerschaften für gleichgeschlechtliche Paare“, antwortet Kim und zündet sich eine Zigarette an. „Sag bloß nicht, dass du noch nichts davon gehört hast, in deinem Provinznest.“

„Die so genannte Homo-Ehe“, fügt Max hinzu.

„Neulich sagte Dennis, ich müsste für ihn Unterhalt bezahlen, wenn wir uns scheiden ließen“, erzählt Ziche, während er seine Zigarette in dem hoffnungslos überfüllten Aschenbecher auf dem Schreibtisch ausdrückt. „Das war natürlich nur ein blöder Witz. Trotzdem: Da macht man sich ja schon so seine Gedanken.“

„Und sonst?“, fragt Max.

„Was sonst?“

„Eifersucht?“

„Du kennst doch Dennis. Er braucht es ständig. Als wir uns kennen lernten, sind wir kaum aus dem Bett gekommen. Er ist ein naturgeiles Luder. Genau wie ich“, sagt Ziche und wirft mir ein unverschämtes Lächeln zu. „Ich weiß, dass er es auch mit anderen Kerlen treibt. Genau wie ich. Aber alles safe. Da sind wir uns einig. Keine Eifersucht.“

„Et l’amour?“, fragt Kim.

„Ich weiß nicht“, antwortet Ziche. „Ich liebe Dennis wie am ersten Tag. Wirklich. Und er? Er sagt es. Keine Ahnung.“

„Die größte Lüge der Welt: Ich liebe dich!“, sagt Max und gibt seiner Stimme einen dramatischen Klang. „Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Ich verehre dich. Ich küsse den Boden, den deine Füße berühren. Ich werde dich nie verlassen. Ich werde immer für dich da sein. In guten wie in schlechten Zeiten. Leere Worte. Das sagen sie alle. Und wenn du ihnen den Rücken zuwendest, stoßen sie dir ein Messer ins Herz.“

„Hauptsache stoßen!“, scherzt Nero Ziche.

„Seit wann sind Sie und Dennis verheiratet?“, erkundige ich mich. Es macht vielleicht einen guten Eindruck, wenn ich eine so voll detektivmäßige Frage stelle.

„Seit Anfang Dezember. Schon fast vier Wochen“, antwortet Ziche. „Gerade erst verheiratet und schon sprechen wir von Scheidung!“

Er blickt auf den Ringfinger seiner rechten Hand, an dem ein goldener Ring steckt.

„Ich war bei der Hochzeit“, erzählt der Onkel. „Wir feierten in Nero’s Caligula. Nero’s Nightclub auf der Hanauer Landstraße. Das war vielleicht eine Sause! Junge, Junge!“, er kramt eine zerknautschte Zigarettenpackung aus der Hosentasche, fingert eine Zigarette heraus und zündet sie mit einem Einwegfeuerzeug an. „Deshalb denke ich auch, dass ihr beide den größten Teil der Überwachung übernehmen solltet. Ich halte mich eher im Hintergrund, denn Dennis kennt mich ja schon“, er schenkt mir ein winziges, kaum wahrnehmbares Lächeln. „Das ist vielleicht deine große Chance, Sebastian.“

„Benjamin“, korrigiere ich ihn.

„Benjamin. Hab ich doch gesagt“, sagt er und haucht einen Rauchring in die Luft.

„Haben Sie ein Foto von Dennis?“, fragt Kim.

„Ja, klar“, sagt Ziche, zieht ein Foto aus seiner Jacke und reicht es der Blonden. „Sieht er nicht hyper-süß aus?“

Kim wirft einen gleichgültigen Blick darauf und gibt es mir. Das Foto zeigt Nero und einen wirklich sehr hübschen dunkelhaarigen jungen Mann. Die beiden tragen weiße Smokings und schneiden gemeinsam mit einem Messer eine drei Stockwerke hohe Torte an, die mit zwei kleinen Plastik-Bräutigamen dekoriert ist.

„Hier ist noch eins von unserer Hochzeitsreise!“, sagt Ziche und reicht uns ein weiteres Foto. Es zeigt Dennis, nur mit Badehose und Sonnenbrille bekleidet unter Palmen am Strand. „Zwei Wochen Mallorca. In meiner, ich meine, in unserer Ferienwohnung in Palma.“

Dieser Dennis sieht übrigens wirklich verdammt gut aus.

„Dennis und ich treffen uns gegen 16 Uhr im Goldenen Kalb zum Essen“, sagt Nero Ziche.

„Gut“, sagt Kim. „16 Uhr.“

Nero Ziche steht auf und strebt dem Ausgang zu.

„Wir brauchen einen Vorschuss!“, ruft ihm Max hinterher.

„Auch das noch“, murmelt Ziche, bleibt stehen, dreht sich um, zieht ein Bündel nietennagelneue Euroscheine aus der Hosentasche und gibt dem geschäftstüchtigen Detektiv drei 500er.

„Tausend Dank! Und was machen die Geschäfte?“, fragt Max, wohl um noch ein wenig Small-Talk zu machen.

„Furchtbar“, antwortet Ziche. „Das Kalb läuft ganz okay, aber im Caligula ist im Augenblick voll die Luft raus. Wir versuchen nächsten Freitag etwas ganz Neues: Back To School-Parties. In London ist das jetzt der große Renner. Schuluniformen und alte Kamellen. Slade und Mud und Madness und diese ganze abgefuckte alte Kacke. Vielleicht stecken wir ein paar Go-Go-Girls in englische Schulmädchenuniformen. Mal sehen“, er ruft uns noch ein gutgelauntes „Hasta la vista!“ zu und ist verschwunden.

„Wir sind seit ein paar Wochen unterbesetzt“, sagt Kim und beantwortet meine unausgesprochene Frage, warum ich so plötzlich und völlig unerwartet zum Azubi der Detektei Fingerprinz aufgestiegen bin, obwohl mein Onkel mich doch gerade eben noch vor die Tür setzen wollte.

„Aber bilde dir bloß nichts ein, Junge! Du hilfst uns, Neros Schätzchen zu observieren, und dafür darfst du bis zum Wochenende in meinem Gästezimmer schlafen. Und am Samstag früh fährst du mit dem ersten Zug zurück nach Niffelheim, zu deinen dich liebenden Eltern“, bestimmt Max. „Bis dahin werden sie sich ja wohl wieder beruhigt haben. Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert, nicht?“

„Hoffentlich!“, seufze ich.

„Ganz bestimmt“, sagt Kim. „Heutzutage können Schwule und Lesben sogar heiraten!“

„Und sich wieder scheiden lassen. Ich sag euch, Leute: Schwule Scheidungen sind die Zukunft!“, sagt Max Finger, grinst, steckt die Geldscheine ein und reibt sich die Hände. „Wer hätte das gedacht: Der gute alte Nero! Kaum ist er unter der Haube, schon wird er von Eifersucht geplagt!“

„Er sagte, er wäre nicht eifersüchtig“, gebe ich zu bedenken.

„Er würde uns nicht 1500 Euro Vorschuss geben, wenn er es nicht wäre, oder?“, fragt der Onkel. „Nero ist einer unserer besten Kunden: Letzten Monat haben wir ein kleines Vermögen damit verdient, seine Wohnung nach Wanzen zu untersuchen. Obwohl er sich nicht verfolgt vorkommt! Im Sommer haben wir wochenlang den Geschäftsführer seines Nightclubs überwacht. Obwohl er natürlich kein bisschen misstrauisch ist! Im November hat ihm jemand ein paar Briefe mit Backpulver geschickt und Nero ist total ausgeflippt vor Angst.“

„Gott schütze Nero Ziche!“, sagt Kim. „Der Psycho.“

„Ohne Nero wären wir vielleicht schon längst pleite!“, stimmt Max zu. „Und was seine Eifersucht angeht: Er hat ja auch wirklich jeden Grund dazu. Dennis ist ein haltloses sexsüchtiges Flittchen.“

 

„Okay, Benjamin, hier entlang“, Kim öffnet die Tür zu dem Büro, das neben dem meines Onkels liegt. „Dein Arbeitsplatz“, sie deutet auf einen schmalen Arbeitsplatz, der mit einem Telefon und einem Laptop ausgestattet ist. Beide ziemlich angestaubt. Außer dem Arbeitsplatz gibt es drei hohe Regale, die mit allerlei elektronischen Geräten, Pappkartons und Stapeln von Papier gefüllt sind, eine großen Spiegel und einen breiten Tisch, auf dem Berge von Klamotten liegen.

„Wenn du nicht gerade Dennis beschattest, kannst du dich um die Ablage kümmern“, sagt Max. „Am besten fängst du gleich damit an.“

„Das war Jürgens Arbeitsplatz“, sagt Kim.

„Was ist mit ihm?“, frage ich.

„Jürgen ist Ende Oktober völlig unerwartet aus der Agency ausgeschieden“, erklärt der Onkel. „Die Russenmafia hat ihm den Schädel mit einem Baseball-Schläger zertrümmert.“

MEIN LEBEN ALS GROSCHENGRAB

„Als Bettler verkleidet bist du so gut wie unsichtbar!“, sagt der gewiefte Detektiv und reicht mir eine schwarze Baseball-Kappe, eine leere Bierbüchse, einen flachen Pappdeckel und einen weißen Pappteller, auf den mit einem breiten schwarzen Filzstift das Wort „Danke“ gekritzelt ist. „Und von hier aus hast du alles perfekt im Blick!“

Wir stehen gegenüber dem Restaurant Goldenes Kalb, in einer Seitengasse der berühmten Fressgass, in unmittelbarer Nähe der alten Börse. Es ist unerträglich kalt. Ich hocke mich vor das mit einem „Zu vermieten“-Schild dekorierte Schaufenster eines geschlossenen Ladens, und der Onkel kramt in seiner Hosentasche und wirft dann ein paar Cent in den Pappteller.

„Kleiner Vorschuss“, sagt er und geht.

Ich konzentriere mich auf meine Aufgabe, das Goldene Kalb zu beobachten und zu warten, dass dieser Dennis aufkreuzt. Habe ich schon erwähnt, dass er total süß aussieht? Jedenfalls auf den beiden Fotos, die ich gesehen habe.



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