Die innere Königin leben - Regine Herbig - E-Book

Die innere Königin leben E-Book

Regine Herbig

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Beschreibung

Dieses spirituelle Märchen für Erwachsene lädt die Leserinnen ein, Königin des eigenen Lebens zu sein. Die Geschichte handelt von Lucia, einem Königskind, das nach dem Tod ihrer Mutter und dem Erscheinen einer herzlosen Stiefmutter fern vom Glanz des Hofes in bescheidenen Verhältnissen aufwächst. Auf ihrem Weg wird sie von Angelina, einem Engel begleitet, der ihr inneren Halt, Liebe und Geborgenheit gibt. Lucias Beziehung zu Angelina in Kindheit und Beruf bildet den roten Faden des Märchens. Durch diesen Kontakt kommt sie bereits als kleines Mädchen in Berührung mit ihrem inneren Kern, dem Licht in ihrem Herzen. Im Laufe vieler Jahre gibt Angelina ihr verschiedene Übungen, die systematisch aufgebaut, alle um das zentrale Thema "Licht" kreisen. Das Märchen möchte die Leserinnen animieren, sich auf den 'Göttlichen Funken' im eigenen Inneren zu besinnen und Kontakt zur geistigen Welt aufzunehmen, um auf diese Weise leichter durchs Leben zu gehen. Sie erhalten alltagsnahes Handwerkszeug zur Bewusstwerdung und Transformation von einschränkenden Denk- und Fühlmustern, die sie in einer Opfer-Rolle gefangen halten. Lucia kann ein Vorbild sein, um die inneren wie äußeren Herausforderungen im Königreich des eigenen Lebens mit einer souveränen und würdevollen Haltung zu meistern. Das Buch berührt das Herz durch seine lichtvolle Atmosphäre, seine anschauliche Bildsprache und seinen subtilen Humor.

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Seitenzahl: 320

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© Regine Herbig

1. Auflage 2019

Autor: Regine Herbig

Umschlaggestaltung, Illustration: Fabian Forban / Regine Herbig

Korrektorat, Layout: Monika Closs

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN Paperback: 978-3-7482-8970-8

ISBN E-Book: 978-3-7482-8971-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Ich widme dieses Buch allen Frauen, die ihr inneres Licht auf dem Planeten Erde leuchten lassen – und die dazu beitragen, dass die Kraft der Weiblichkeit hier wieder den gebührenden Platz einnimmt.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Teil 1: Lucias Kindheit und Jugend

1. Eine kurze Zeit im Paradies

2. Angelina erscheint

3. Die hartherzige Geliebte des Königs

4. Die Flucht

5. Ein neues Leben

6. Das Licht im Inneren

Die Sonne im Herzen

7. Das innere Wetter beeinflussen

Die Schönheit der Natur

Der Sonnenstrahl

8. Wieder sonnige Zeiten

Die Licht-Dusche

9. Berührung – leicht und licht

10. Feuerund Licht

11. Singen aus dem Herzen

12. Ein Reise durch den Regenbogen

Farbiges Licht einatmen (Teil 1)

Farbiges Licht einatmen (Teil2)

13. Erste Reise in die Stadt

14. Das Vorsingen

15. Der zweite Neubeginn

16. Das wahre Zuhause

Sonnenaufgang

17. DerAlltag inder Stadt

Licht in ein Organ schicken

18. Die Hiobsbotschaft

19. Eine neue Tür öffnet sich

20. Geldfluss in Bewegung bringen

21. Zur Königin werden

Eine königliche Erscheinung

Teil 2: Ausbildung und Beruf

22. An der Akademie

23. Ein Gartenhäuschen für Lucia

24. Erdkraft und Leuchtkraft

Die Rose

25. Königin im Reich der Gefühle sein

26. Gefühlen begegnen

Die „ Gefühlskinder“

27. Ein Lichtblick

28. Die Casa del Sole

Die Gruppen-Sonne

29. Königliche Macht über die eigenen Gedanken

Die Kerzen flamme

30. Einschränkende Gedanken verwandeln

Die Stimme des Herzens

31. GedankenderFülle

32. Ein strahlendes Lächeln

Lächeln mit demganzen Körper

33. Die innere Schönheit

Ausstrahlung

34. Ein farbenfroher Alltag

Das Licht-Netz

Teil 3: Innere und äußere Fülle

35. Schwäche und wahre Stärke

36. Licht- und Schattenseiten

37. Opfer oder Königin sein

Die Lichterschnur

38. Der innere Diamant

Die innere Schatz-Truhe (Teil 1)

Die innere Schatz-Truhe (Teil 2)

39. Das Licht im anderen sehen

Derlichte Kern

10. Das Sommerfest

41. Der Funkespringtüber

42. In neuem Licht sehen

Sternenperspektive

43. Die Wahrheit kommt ans Licht

44. Das Wiedersehen

45. Die Hochzeit naht

Die Meisterdrüse

Sprache und Licht

Verzeichnis der Abbildungen

Dank

Über die Autorin

Anhang

Königinnen-Checkliste

Einleitung

In allen Altersstufen ist eine Faszination für die weiblichen Mitglieder der Königshäuser zu bemerken. Die meisten Mädchen möchten gerne eine Prinzessin sein. Und viele Frauen lesen mit Interesse Artikel über die Royals, die regelmäßig in Zeitschriften erscheinen. Woher rührt diese Faszination? Vordergründig sind es erstmal Glamour, Reichtum, Ansehen und Einfluss, die anziehend wirken.

Aber schauen wir etwas tiefer: Welche inneren Qualitäten kennzeichnen eine wahre Königin? Sie steht für innere und äußere Schönheit, für Eleganz; sie strahlt Würde und Souveränität aus. Eine Königin besitzt Großmut, Großzügigkeit und Macht. Sie ist eine starke und strahlende Persönlichkeit – dies wird seit Jahrhunderten in der Kunst symbolisiert durch kostbaren Schmuck mit funkelnden Edelsteinen, Gewänder aus wertvollen Stoffen sowie die Krone, deren Zacken wie Strahlen sind.

Der Archetyp der Königin lebt in jeder Frau. Wir können diesen Aspekt bewusst in uns wecken und kultivieren. Jede von uns hat die Möglichkeit, Königin ihres eigenen Lebens zu sein.

Zu ihrem Königreich gehört die innere Welt: die Fülle der Gedanken und Gefühle. Die innere Königin übernimmt Verantwortung für alles, was in ihr auftaucht. Sie nutzt die ihr innewohnende Macht, um sich gezielt auf aufbauende Gefühle und nährende Gedanken einzustimmen. Sie gestaltet ihre Innenwelt bewusst und versteht es, sich in eine hohe Schwingung zu bringen und dort zu bleiben. Eine Königin ist sich ihres Wertes bewusst und lebt im Reich innerer Fülle.

Das Wichtigste im Leben ist nicht dasjenige, was wir erleben, sondern wie wir unseren Erfahrungen begegnen. Agieren oder reagieren wir als Königin oder als Opfer?

Außerdem gehören unsere Mitmenschen zum Königreich unseres Lebens. Eine Königin gibt reichlich von ihren inneren Schätzen und trachtet danach, das Leben anderer zu bereichern. Sie zeigt innere Größe und lebt als Vorbild menschliche Werte wie Respekt, Wertschätzung, Verständnis, Empathie und Toleranz.

Das vorliegende Buch erzählt ein Märchen für Erwachsene. Es handelt von einem Königskind, das zur inneren Königin seines Lebens heranwächst – unter bescheidenen äußeren Umständen jenseits des väterlichen Palastes. Lucia wird auf ihrem Weg von Angelina, einem Engel aus der Welt des Lichts begleitet. Diese hilft ihr über den frühen Tod der Mutter und den Verlust des Elternhauses hinweg. In den täglichen Rendezvous vermittelt Angelina ihr bedingungslose Liebe und Geborgenheit.

Ab dem siebten Lebensjahr wird sie zunehmend zu Lucias Lehrerin. Sie gibt ihr viele Anregungen, um sich mit dem inneren Licht im Herzen zu verbinden. Alle Übungen kreisen um das zentrale Thema „Licht“ und sprechen verschiedene Ebenen an: die körperliche, emotionale, mentale, soziale sowie die spirituelle. Sie bieten Lucia inneres Werkzeug für konkrete Situationen ihres Alltags.

Durch den Dialog mit ihrem Engel wird ihr bewusst, dass sie in ihrem Kern ein lichtvolles Wesen ist und ihre Aufgabe darin besteht, ihr Licht in die Welt scheinen zu lassen – wie immer die äußeren Bedingungen auch sein mögen. Lucias Geschichte zeigt, wie sich durch den Kontakt mit dem Licht und der Liebe im Herzen auch immer wieder Türen im außen öffnen, gemäß dem Gesetz der Resonanz.

Lucia kann ein Vorbild sein auf dem Weg, die strahlende innere Königin in sich zu aktivieren. Dies bedeutet, die beste und tiefste Version von sich selbst zum Leben zu bringen. Das Märchen möchte zu einem neuen Selbst-Verständnis beitragen und Anregungen geben, sich auf die hohe Energie der eigenen Seele einzustimmen.

Neben dem Inhalt der einzelnen Geschichten ist es mir ein Anliegen, eine lichtvolle Atmosphäre zu vermitteln, um die Leserinnen energetisch zu berühren und die Herz-Energie ins fließen zu bringen. Ich möchte insbesondere einen Zugang über das Fühlen vermitteln. Viele Übungen habe ich bewusst recht ausführlich beschrieben, sodass man diese bei Bedarf auf einen MP3 Player aufsprechen kann, um sie öfters zu wiederholen.

Daraus ergibt sich, dass Sie beim durchgängigen Lesen des Märchens bei den Übungen auf einige Wiederholungen stoßen werden. Dies ist mir bewusst. Ich habe mich aus guten Gründen für diese Form entschieden: Falls Sie nach dem Lesen des gesamten Buches eine Übung erneut hervorholen mögen, dann finden Sie diese ausführlich beschrieben, um sie jetzt losgelöst vom Kontext noch einmal zu praktizieren.

Wenn Sie einen maximalen Profit von dem vorliegenden Buch haben möchten, dann empfehle ich Ihnen, es in kleinen Portionen zu lesen, um die Lichtübungen nacheinander auszuprobieren und diese dann in Ihren Alltag zu integrieren. Sie bauen systematisch aufeinander auf.

Sollten Sie bisher keine Erfahrung auf dem Gebiet der beschriebenen Lichtübungen haben und Ihnen diese noch recht fremd erscheinen, dann können Sie selbstverständlich das Märchen auch genießen, ohne die Übungen selbst zu praktizieren und dies Lucia überlassen. In diesem Fall lassen Sie sich einfach von der Geschichte und ihrer energetischen Schwingung berühren.

Durch meinen Namen bin ich dem Thema der Königin sehr verbunden. Meine Eltern haben mich Regine getauft – voll Dankbarkeit, dass ich zu ihnen gekommen bin. Im Jahr zuvor war meine Schwester durch eine schwere Geburt zur Welt gekommen und kurz darauf wieder gegangen. Aufgrund des biologischen Alters meiner Mutter sowie ihrer körperlichen Gegebenheiten hatten meine Eltern in keiner Weise mehr an ein zweites Kind gedacht. Umso größer waren die Überraschung sowie das Glück, als ich dann gesund geboren wurde. Und so wuchs ich als Prinzessin in unserer kleinen Familie auf. Ich bin meinen Eltern unendlich dankbar für die tiefe Wertschätzung und Liebe, die sie mir entgegengebracht haben sowie für die außergewöhnliche Unterstützung, die sie mir während ihres gesamten Lebens haben zukommen lassen.

Nach einer behüteten Jugend und einem guten Start ins Erwachsenenleben war ich vor allem ab Ende 30 mit heftigen inneren und äußeren Herausforderungen konfrontiert. Es gab viele magere Jahre, in denen die Verbindung zur unsichtbaren Welt und meinem inneren Licht zum Teil mein einziger Halt waren. Mehr denn je war es meine Aufgabe, meinen inneren Reichtum im Blick zu haben und als Königin durch die schwierigen Situationen zu gehen. Gerade in diesen Jahren habe ich viel gelernt über Themen wie Mangel und Fülle, Schatten und Licht, Opfer oder Königin sein.

In meinem Beruf als Körpertherapeutin und Coach habe ich auch andere inspiriert, den inneren Weg aus dem Herz-Licht zu gehen. Seit 15 Jahren tue ich dies ebenfalls über das Schreiben von Sachbüchern mit vielen alltagsnahen Übungen. Dieses Mal floss zu meiner Überraschung ein spirituelles Märchen aus meiner Feder. Diese Form zu schreiben, hat mir besonders viel Spaß gemacht. Die integrierten Lichtübungen begleiten mich seit Jahrzehnten und sind ein kostbarer Schatz in meinem Leben.

Ich wünsche auch Ihnen viel Freude beim Lesen – und auf der Entdeckungsreise zur eigenen inneren Königin. Möge das Märchen Ihnen Impulse geben, den All-Tag mit mehr Leichtigkeit, Licht und Souveränität zu meistern.

Wir freuen uns, wenn wir Sie ein Stück auf Ihrem Weg begleiten dürfen und grüßen die Königin in Ihrem Inneren

Regine und Lucia

„Du öffnest die Bücher und sie öffnen dich.“

(Tschingis Aitmatow)

Teil I: Lucias Kindheit und Jugend

1. Eine kurze Zeit im Paradies

Es war einmal ein Königskind, das im Sommer beim Höchststand der Sonne geboren wurde. Seine Eltern waren überglücklich über diese Krönung ihrer Ehe. Sie gaben ihrer Tochter den Namen Lucia, denn sie spürten gleich in den ersten Tagen, dass sie ein sehr sonniges Wesen hatte. Sie liebten Lucia inniglich. Diese war ein ruhiges und fröhliches Kind. Im ersten Lebensjahr war ihre Mutter mit ihrer Liebe und Fürsorge ganz für sie da; sie wollte ihre kleine Tochter keiner Amme überlassen. Auch der König nahm sich den Raum, um trotz seiner mannigfaltigen Verpflichtungen viel Zeit mit seinem Töchterchen zu verbringen. Lucia fühlte sich rundum geborgen in ihrem Elternhaus. Sie lebte im Paradies.

Nachdem sie laufen konnte, ging sie auf Entdeckungsreise im Königsschloss und der großen zugehörigen Gartenanlage. Sie spielte nach Herzenslust und verbrachte besonders gerne endlose Stunden draußen in der Natur. Die Königin nahm sich großzügig Zeit, um mit Lucia zu spielen; sie hatten viel Spaß miteinander. Wenn auch der König dazukam, war ihr Glück perfekt. Herumtollen, scherzen, lachen, schmusen – Lucia fühlte sich rundherum wohl. Sie war ein fröhliches, sonniges Mädchen und alle im Schloss freuten sich an dem Kinderlachen, das durch die Räume drang. Alle liebten Lucia. Im Innen und Außen fehlte es in ihrem kleinen Königreich an nichts während der ersten zwei Lebensjahre.

Doch dann veränderte sich alles. Lucias Mutter wurde plötzlich schwer krank. Sie war sehr geschwächt und musste auch ihre Tage größtenteils im Bett verbringen. Lucia saß stundenlang an ihrer Seite. Sie konnte nicht verstehen, warum ihre Mutter nicht mehr mit ihr in den Garten ging, warum sie so traurig war, warum alles so anders war als bisher. Sie hätte ihrer geliebten Mutter so gerne geholfen, aber sie bemerkte zu ihrem Leidwesen, dass es ihr von Tag zu Tag schlechter ging. Lucia versuchte mit allen Mitteln, sie aufzuheitern.

Für die Königin war ihr kleiner Sonnenschein die wichtigste ‚Medizin’, die ihre momentane Situation etwas zu erleichtern vermochte. Es herrschte eine bedrückende Stimmung im Königsschloss. Auch Lucia erfasste zunehmend eine Traurigkeit und Vorahnung, dass etwas Schlimmes passieren würde. Sie klammerte sich an ihren Vater. Er war doch der große König; stand es nicht in seiner Macht, ihre Mutter wieder gesund und fröhlich zu machen?

Eines Tages, als Lucia mal wieder bei ihrer Mutter auf der Bettkante saß, nahm diese ihre Tochter in den Arm und sagte: „Mein Liebes, meine Kräfte nehmen von Tag zu Tag ab. Dieser Körper wird immer schwächer und schafft es bald nicht mehr, weiterzuleben. Deshalb werde ich demnächst die Erde verlassen, um in eine andere Welt zu reisen. Es tut mir unendlich weh, mich von dir zu verabschieden und dich hier mutterlos zurückzulassen. Ich liebe dich so sehr. Es ist ein riesengroßes Geschenk, dass du seit zwei Jahren bei mir bist. Und ich sehne mich so danach, dich zu begleiten, bis zu erwachsen bist; an deiner Seite zu sein, wann immer du mich brauchst – selbst wenn du eines Tages dein Elternhaus verlassen hast. Ich bin zutiefst betrübt, dass ich nicht in körperlicher Form bei dir bleiben kann, um für dich zu sorgen, deine Entwicklung zu fördern und dir meine unendliche Liebe zu schenken.

Jedoch versichere ich dir, auch wenn ich meinen Körper bald ablege wie ein ausgedientes Kleid, ich werde innerlich immer bei dir sein. Eines Tages in der Zukunft, werden wir uns wiedersehen. Vielleicht verstehst du als zweijähriges Kind vieles von meinen Worten jetzt nicht, aber deine Seele wird sie begreifen. Selbst wenn ich bald gehe, so bist du doch nicht alleine. Dein Vater bleibt bei dir und wird dich unterstützen. Ich wünsche mir so sehr, dass du in deinem Leben glücklich sein wirst und mit Freude durch deine Tage gehst.“ Sie sagte noch ein paar weitere Sätze, aber Lucia schluchzte so laut, dass sie diese nicht mehr hören konnte.

Ihr Vater kam, nahm sie liebevoll in seine Arme und kuschelte lange mit ihr; dann brachte er sie ins Bett. Am nächsten Morgen weckte er sie und erzählte ihr schweren Herzens, dass ihre Mutter in der Nacht gestorben sei.

Für Lucia brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Ihr Vater tröstete sie so gut er konnte. Eine große Wolke der Trauer hängte sich über das Königsschloss. Das erste Kapitel in Lucias Leben hatte abrupt geendet. Dieses Ende glich der Vertreibung aus dem Paradies.

Lucia war tieftraurig und verzweifelt. Ihre harmonische Welt war zusammengebrochen. Der König nahm sich so viel Zeit, wie ihm nur irgend möglich war, um mit seiner kleinen Tochter zusammen zu sein und ihr Halt zu geben. Es schmerzte ihn sehr, zu sehen, wie sein sonniges Kind jetzt eine „dunkle Nacht der Seele“ durchlebte.

Er engagierte eine Kinderfrau, die für Lucia da war. Es war eine Frau Anfang 40, Mutter von zwei eigenen Töchtern, die bereits das Haus verlassen hatten. Nana war sehr warmherzig und fröhlich; sie konnte wunderbar mit Kindern umgehen. Lucia mochte sie gerne. Sie spielten immer neue Spiele miteinander und dann vergaß sie für eine Weile ihren Kummer. Wenn wieder eine Welle der Traurigkeit Lucia überflutete, nahm Nana sie auf ihren Schoß und tröstete sie – mit und ohne Worte. Sie konnte wunderschön singen und die Klänge ihrer Lieder wirkten sehr beruhigend und heilend auf den Schmerz der kleinen Seele.

Lucia war dankbar, dass Nana jetzt in ihrem Leben war. Jedoch: sie war halt Nana und nicht ihre geliebte Mutter. Ab und zu erschien ihr diese im Traum. Dann konnte sie ihre Liebe intensiv spüren und fühlte sich für Momente wieder ganz glücklich und geborgen. Aber wenn sie aufwachte, dann gab es da keine Mutter, mit der sie morgens im Bett kuscheln konnte: die sie spüren und riechen konnte oder ihre liebevolle Stimme hören. Und es gab nicht mehr die Überraschung, welches ihrer wunderbaren Kleider sie wohl heute anziehen würde. Lucia hatte diese leuchtenden Farben geliebt. Ihre Mutter war eine schöne, strahlende Frau gewesen – wahrhaftig königlich. Warum war sie nicht mehr da, warum?

Diese bohrende Frage und der tiefe Schmerz begleiteten Lucia nun täglich. Für sie hatte das Leben seit dem Schock über den Tod eine Menge von seinem Zauber verloren. Doch diese Sichtweise änderte sich eines Tages.

2. Angelina erscheint

Eines Morgens wachte Lucia sehr früh auf. Die ersten Sonnenstrahlen schienen in ihr Zimmer und die Vögel zwitscherten im Garten. Plötzlich hörte sie neben sich eine leise Stimme, die rief: „Lucia“. Sie wandte sich zu dieser Seite. Da war sie wieder, diese Stimme. „Guten Morgen, Lucia“. Sie konnte niemanden sehen – allerdings nahm sie ein helles Licht neben sich wahr. Lucia erwiderte noch etwas schlaftrunken: „Guten Morgen. Wer bist du?“ „Ich bin Angelina – ein Engel aus der Welt des Lichts. Ich komme zu dir, um dir in dieser schwierigen Zeit beizustehen.“ Lucia hatte schon von Engeln gehört in Geschichten, die ihr ihre Mutter erzählt hatte. Sie zwinkerte mit den Augen und blickte auf die große lichtvolle Gestalt. Diese sprach weiter: „Ich habe deine Mutter getroffen. Es geht ihr gut. Sie ist wieder ganz heiter und bewegt sich mit Leichtigkeit in ihrer jetzigen Welt. Sie denkt oft an dich und hat dich ganz, ganz lieb. Das soll ich dir sagen.“

Diese Worte fielen direkt in Lucias Herz. Sie waren wie Balsam und lösten umgehend ein Glücksgefühl in ihr aus. Über diesen Engel strömten unendlich viel Licht und Liebe zu ihr hin. Lucia fasste sofort Vertrauen zu Angelina. Sie fühlte sich sicher und geborgen in ihrer Gegenwart. Andächtig schaute sie zu der lichtvollen Gestalt und sagte: „Angelina, du bist sehr schön. Bleibst du heute den ganzen Tag bei mir?“ „Nein, mein Liebes. Ich zeige mich dir nur, wenn wir beide alleine sind. In besonderen Momenten, die nur uns beiden gehören. Ich versichere dir allerdings, dass ich dich in Zukunft öfters besuchen werde – wenn du das magst.“ Lucia antwortete blitzschnell: „Oh, ja. Bitte komm ganz oft zu mir. Ich fühle mich sooo wohl bei dir!“ „Du kannst mich rufen, wenn du dich traurig oder alleine fühlst. Dann komme ich an deine Seite.“

Lucias Herz hüpfte vor Freude. Nun fuhr Angelina fort: „Ich verabschiede mich jetzt von dir, denn gleich wird Nana kommen, um dich zu wecken. Ich liebe dich und ich hoffe, dass bald die Sonne in deinem Herzen wieder scheinen wird.“ Lucia spürte einen zarten Luftzug über ihrem Kopf. Es fühlte sich ähnlich an wie früher, wenn ihre Mutter ihr liebevoll über den Kopf gestrichen hatte. Dann war die Lichtgestalt verschwunden. Lucia war tief berührt von dieser Begegnung. Sie spürte: ‚Jetzt beginnt etwas Neues in meinem Leben’.

Fröhlich begrüßte sie Nana, als diese zur Tür rein kam. Jedoch erzählte sie ihr nichts von Angelina; dies war ihr Geheimnis. Der ganze Tag war durchzogen von der wundervollen Energie, die durch die Begegnung in Fluss gekommen war. Es war Lucias glücklichster Tag seit dem Tod ihrer Mutter.

Am Abend, nachdem ihr Vater sie ins Bett gebracht hatte, las er ihr noch eine Gute-Nacht-Geschichte vor und dann machte er das Licht aus. Lucia war alleine. Ihre Gedanken wanderten zu Angelina. Diese hatte gesagt, dass sie kommen würde, wenn sie sie ruft. Lucia war ganz aufgeregt und dachte: Ob das wirklich funktioniert?

Leise flüsterte sie: „Angelina, Angelina!“ Es dauerte nicht lange, da konnte sie in dem dunklen Zimmer ein helles Licht an ihrer linken Seite wahrnehmen. „Angelina, bist du da?“ Und oh Wunder, sie hörte ihre sanfte Stimme: „Ja Lucia, hier bin ich. Du siehst, ich halte mein Wort.“ Lucia war überglücklich: „Ich freue mich so! Es wird ganz hell in mir, wenn du da bist.“ Von nun an gab es fast täglich ein Rendezvous zwischen Lucia und Angelina. Der Engel hatte ihr versprochen, dass er in schwierigen Momenten an ihrer Seite sein würde, wenn sie sich einsam oder traurig fühlte. Aber Lucia rief ihn einfach regelmäßig – auch wenn es ihr gut ging. Die Begegnungen mit Angelina weckten Leichtigkeit in ihr; es war, als würde ihr Herz Flügel bekommen. Und dieser wunderbare Zustand hielt noch viele Stunden danach an.

Besonders kostbar war ihre Gegenwart natürlich, wenn Lucia mal wieder von einer großen Welle des Schmerzes und der Trauer überrollt wurde. „Angelina, Angelina! Komm – es tut so weh.“ Kurz darauf fühlte sie die lichtvolle Energie ihres Engels, dessen Liebe sie plötzlich von allen Seiten umgab. Der Schmerz war dann vorerst zwar noch da, aber er war eingebettet in ein Meer von Licht und Liebe. Angelina war bei ihr mit ihrem Verständnis, ihrem Mitgefühl und ihrem Trost. Sie konnte ihr alles erzählen, was sie bewegte. Ganz allmählich löste sich dann der Schmerz. Er trat mehr und mehr in den Hintergrund – und im Vordergrund war die Erfahrung von Geborgenheit in unendlicher Liebe präsent.

Solch ein Szenario wiederholte sich über viele, viele Monate. Die Begegnungen mit Angelina waren zutiefst heilsam. Natürlich waren in schmerzhaften Momenten auf der menschlichen Ebene auch der König und Nana, die Kinderfrau, für Lucia da. Ab und zu erschien ihr auch ihre geliebte Mutter im Traum, um sie zu trösten.

Schritt für Schritt stabilisierte sich Lucia wieder. Sie fand zurück zu ihrer Fröhlichkeit, lachte und tanzte. Angelina beobachtete diese Entwicklung mit Freude. Es hatte sich eine tiefe Verbindung zwischen dem Königskind und ihr entwickelt.

Auch als es Lucia wieder besser ging, hatte sie weiterhin das Bedürfnis, sich täglich mit Angelina zu treffen. Sie war einfach ein Teil ihres Lebens geworden. Sie gab ihr inneren Halt und ein Gefühl der Geborgenheit. In ihrer Gegenwart erlebte sie so etwas wie Nähe zum Paradies.

Eines Abends vor dem Einschlafen fragte Lucia. „Angelina, bleibst du mein ganzes Leben bei mir – auch wenn ich erwachsen bin?“ Und sie versicherte ihr: „Ja, denn ich gehöre zu dir.“

3. Die hartherzige Geliebte des Königs

Als Lucia circa viereinhalb Jahre war, bahnte sich wieder ein neues Kapitel in ihrem Leben an. Sie bemerkte, dass ihr Vater seit einiger Zeit besonders beschwingt und glücklich war. Dies freute sie und gleichzeitig hatte sie ganz leise eine schmerzliche Vorahnung. Was weder seine Tochter, noch seine Freunde, noch das Personal am Hofe wussten, war Folgendes: der König hatte sich verliebt. Auf einem Fest hatte er eine junge Adelige getroffen, die sein Herz berührte, welches sich nach der Zeit der Trauer ganz vorsichtig für eine Begegnung mit einer Frau zu öffnen begann. Bereits seit einigen Monaten hatten sie sich regelmäßig in aller Stille getroffen. Ihre innere Verbindung wuchs und beide hatten mehr und mehr das Gefühl, dass sie füreinander bestimmt waren. Der König sehnte sich zutiefst danach, wieder eine Königin an seiner Seite zu haben – auf der persönlichen Ebene sowie in seinem Amt als Regent.

Eines Tages entschloss er sich, die Verlobung bekannt zu geben. Die Freude am Hofe war groß, dass der geliebte König ein neues Glück gefunden hatte. Emsig wurden Vorbereitungen für ein Fest getroffen, bei dem der König in Adelskreisen seine Verlobte offiziell vorstellen würde.

Zuvor wartete auf ihn allerdings noch die schwierige Aufgabe, seinem innig geliebten Töchterchen von dieser neuen Entwicklung in seinem Leben zu erzählen und ihr seine angehende Verlobte vorzustellen. Lucia nahm die Nachricht gelassen auf und freute sich auf das bevorstehende Treffen. Sie liebte es, neue Menschen kennenzulernen. Ein paar Tage später lernte sie Anna Rosa im Garten kennen. Sie spielten und scherzten miteinander. Die offene und spontane Lucia verstand sich gut mit ihr.

Anna Rosa bezog bis zur Zeit der Hochzeit ein Haus ganz in der Nähe und sie war täglich im Schloss. Alle mochten sie und der König war sehr glücklich. Ab und zu gesellte sich Anna Rosa zu Lucia, wenn sie draußen spielte. Sie war freundlich – doch irgendetwas stimmte nicht, das fühlte die Kleine. Im folgenden Treffen mit Angelina erzählte sie ihr von diesem Unbehagen. Diese bestätigte ihr, dass es für die angehende neue Königin schwierig war, Lucia in ihr zukünftiges Leben am Hofe zu integrieren. Sie sagte: „Du musst in nächster Zeit sehr tapfer sein.“ Und sie umhüllte Lucia noch intensiver als bisher mit Liebe – so kam es ihr zumindest vor.

Was hatte das alles zu bedeuten? Lucia spürte, wie der Boden unter ihren Füßen zu schwanken begann. Aber andererseits war sie doch beruhigt, denn sie hatte ja Angelina an ihrer Seite, was auch immer passieren würde.

Die Vorbereitungen für die bevorstehende Hochzeit dauerten mehrere Monate. Es würden die Herrscher aus den Nachbarländern kommen; manche würden eine lange Reise von Tausenden Kilometern zurücklegen müssen. Anna Rosa ging nun am Hofe ein und aus. Sie hatte Zeit, das Leben dort ausgiebig kennenzulernen und sich auf ihre Rolle als zukünftige Königin vorzubereiten. Sie liebte den König sehr und freute sich enorm auf die bevorstehende Hochzeit, auf ein gemeinsames Leben mit ihm, auf die Gründung einer Familie, auf viele gemeinsame Kinder.

So schön dies alles war, es gab ein Problem: Lucia. Einerseits mochte sie dieses sonnige Kind; wäre es doch nur die Tochter einer Angestellten gewesen und nicht die des Königs. Bei der Vorstellung, Lucia als Tochter in ihr Leben am Hofe mit einzubeziehen, sträubten sich ihr alle Haare. Nein, das wollte sie nicht. Sie wollte mit dem König ein komplett neues Leben beginnen – ohne irgendwelche Anhängsel aus der Vergangenheit. Sie wollte keine Stiefmutter, kein Mutterersatz für Lucia sein.

Das musste sie dem König ganz ehrlich sagen. Es würde nicht einfach sein, ihn damit zu konfrontieren, wusste sie doch, wie inniglich er sein Töchterchen liebte. Und in der Tat, es war ein äußerst schwieriges Gespräch, welches die erste Krise in ihrer Beziehung verursachte. Sie hatte den König vor die Wahl gestellt: Entweder ich oder Lucia – eine von uns beiden muss gehen. Wenn du mich heiraten willst, muss Lucia das Königsschloss verlassen.

Dem König zerriss es fast das Herz. Wie konnte Anna Rosa so hartherzig sein und auf die Idee kommen, sein heiß geliebtes Kind zu verstoßen? Er zog sich einige Tage zurück, um über dieses unglaubliche Ultimatum nachzudenken. Die Gefühle tobten in seinem Inneren. Was tun?

Er liebte Anna Rosa; er wollte eine neue Königin an seiner Seite – dies war auch das Beste für sein Volk. Auf ihrem Totenbett hatte selbst seine erste Frau den Wunsch formuliert, er möge eines Tages wieder eine neue Ehe eingehen. Konnte er sich in seiner Position überhaupt zu diesem Zeitpunkt noch einen Rückzieher erlauben? Es wütete ein entsetzlicher Kampf in ihm. Er fühlte sich wie ein Kamel, das durch ein Nadelöhr gehen sollte. Wie konnte das Schicksal so grausam sein und ihm eine Entscheidung von Entweder-Oder abverlangen? Warum gab es kein Sowohl-als-auch? In seinem Herzen war Platz für beide geliebten Menschen – und für viele mehr.

Nachts konnte er nicht schlafen, tagsüber ritt er stundenlang durch die Wälder und versuchte innere Klarheit zu finden. Als König war er an komplexe Aufgaben und an schwierige, verantwortungsvolle Entscheidungen gewöhnt, aber solch eine Herausforderung wie jetzt hatte es bisher in seinem Leben nicht gegeben. Anna Rosa hatte von ihm verlangt, dass Lucia weit weg gebracht würde. Er sollte fortan keinen Kontakt mehr mit ihr aufnehmen. Auf der äußeren Ebene müsse ein klarer Schlussstrich gezogen werden, was seine erste Familie betraf. Das war unmenschlich.

Der König war ein gläubiger Mensch. An jeder Kirche und an jeder Kapelle, an der er vorbei ritt, machte er Halt. Dort versenkte er sich in ein stilles Gebet und öffnete sich für eine Eingebung. Er fühlte sich total überfordert und dachte: Ich selbst kann angesichts dieser grausamen Alternative keine Entscheidung treffen. Gleichzeitig spürte er, wie er von unsichtbarer Hand geführt wurde; Schritt für Schritt bewegte „es“ sich auf eine Lösung zu.

Er versuchte noch ein letztes Mal, mit Anna Rosa andere Bedingungen für Lucias Verbleib und für die Möglichkeit zu Kontakt mit ihr auszuhandeln, aber sie blieb eisern. Eines war dem König jedoch ganz klar: Er würde Lucia nur zu neuen Eltern geben, wenn er spürte, dass diese seine Tochter aufrichtig gern hatten und sie mit liebevoller Fürsorge großziehen würden. Diese Gewissheit musste er haben.

Plötzlich erinnerte er sich, dass seine Cousine ihm vor ungefähr einem Jahr folgendes erzählt hatte: Sie war mit ihrem Mann in einem benachbarten Land in Urlaub gewesen. Während eines großen Festes mit landesüblichen Bräuchen traf sie ein reizendes Ehepaar, das ihr anvertraute, sie könnten keine Kinder bekommen. Und doch war dies ihr sehnlichster Wunsch. Der König beschloss, mit seiner Cousine zu sprechen und sie zu bitten, das Ehepaar ausfindig zu machen. Verkleidet als Handelsreisender machte er sich auf, um die beiden zu treffen. Auch sein eigener Eindruck war, dass dies zwei wunderbare Menschen mit großem Herzen waren. Er wollte ein Treffen mit ihnen und Lucia arrangieren, um zu sehen, wie sie sich verstehen würden.

Der König ließ seinen Einfallsreichtum spielen und klügelte einen Plan aus, sodass niemand den wahren Grund dieser Zusammenkunft erahnen konnte. Seine Inszenierung funktionierte perfekt. Lucia ging offen und unbefangen auf das Ehepaar zu und es bahnte sich mühelos ein freundlicher Kontakt an. Er konnte merken, wie sehr die beiden von seinem sonnigen Töchterchen hingerissen waren und es gleich in ihr Herz schlossen. Die erste Hürde war genommen. Es waren einfache Leute, die in bescheidenen Verhältnissen lebten, aber das Wichtigste war für den König, dass sie Lucia mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein Zuhause voll Liebe und Geborgenheit bieten würden. Inkognito redete er mit dem jungen Paar und fragte sie, ob sie Lucia als Pflegekind aufnehmen und für sie sorgen würden, bis sie erwachsen wäre. Die Freude der beiden berührte den König – die Wahl dieser neuen Eltern war gut. So hatte Lucia bei aller Tragik der Situation doch auch eine Portion Glück im Unglück.

Lucia wusste nichts von all diesen geheimen Vorbereitungen, aber irgendwie ahnte sie, dass sich ein Unheil anbahnte. Die Zeiten des stillen Zusammenseins mit Angelina waren ihr jetzt wichtiger als je zuvor. Wenn sie mit ihr sprach, wiederholte diese immer wieder: „Hab keine Angst. Ich bin bei dir.“ Lucia fühlte so viel Wärme, Geborgenheit und Liebe in ihrer Gegenwart, dass sie dann wieder ganz ruhig wurde, sich licht und leicht fühlte. Sie spürte, wie nach jeder Begegnung mit Angelina eine ungekannte Kraft in ihr wuchs.

4. Die Flucht

Der König traute sich nicht, Lucia die Wahrheit zu sagen. Das wäre zu hart für eine Kinderseele. Und so dachte er sich eine Geschichte aus, die zwar auch schmerzhaft war, aber vielleicht doch ein wenig besser zu verdauen. Eines Abends kam er zu ihr und erzählte ihr Folgendes: „Es bahnt sich ein Krieg in unserem Land an. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Feinde unser Schloss angreifen. Ich möchte nicht, dass du in Gefahr kommst, mein Liebes. Deshalb habe ich einen Plan geschmiedet, um dich schnell in Sicherheit zu bringen. Du kannst für einige Zeit bei dem netten Ehepaar, das du vor kurzem kennengelernt hast, unterkommen. Sie wohnen in unserem Nachbarland und haben dort ein kleines Häuschen. An diesem Platz kann dir nichts passieren, denn dort ist kein Krieg. Die Situation verlangt schnelles Handeln. Heute Nacht wirst du mit einer Kutsche an die Grenze gebracht. Dort holen dich die beiden lieben Menschen ab. Es bleibt uns nicht mehr viel Zeit, mein Schatz. Lass uns rasch ein paar Spielsachen und einige Kleider einpacken.“

Lucia brach in lautes Schluchzen aus und klammerte sich an ihren Vater. Blitzschnell sauste der Gedanke vorbei: Aha, jetzt zeigt sich das Schreckliche. Ich habe doch gespürt, dass etwas in der Luft lag. „Ich will nicht weg hier. Nein! Ich bleibe bei dir. Du bist der starke König – du kannst mich doch beschützen.“ Dieser Satz fuhr wie ein Schwert durch das Herz des Vaters. Er nahm Lucia ganz fest in die Arme und weinte mit ihr.

Nun galt es, aktiv zu werden. „Wir müssen jetzt schnell deine wichtigsten Sachen packen. Die Kutsche steht schon bereit, die Zeit drängt. Es wird hier zu gefährlich für dich.“ In Windeseile landeten Puppen, Teddybären und anderes Spielzeug in einer großen Kiste. Der Vater nahm noch einige hübsche Kleidungsstücke aus dem Schrank und dann war die Kiste auch schon voll. Lucia kam das ganze Szenario wie ein böser Traum. Es ging alles blitzschnell und eh sie sich versah, saß sie in eine dicke Decke gehüllt in einer Kutsche, die Kiste stand am Boden.

Ihr Vater nahm sie ein letztes Mal ganz fest in den Arm und flüsterte ihr ins Ohr: „Wenn der Krieg vorüber ist, kannst du umgehend wieder in unser Schloss zurück. Du wirst es guthaben bei dem jungen Paar. Die beiden sind sehr nett und werden alles tun, um es dir so angenehm wie möglich zu machen. Ich werde jeden Tag im Geiste bei dir sein. Ich liebe dich, mein Schatz. Denk immer an die Sonne in deinem Herzen. Für deine Mutter und mich kamst du als Sonnenschein in unser Leben. Sei gesegnet, mein Kind. Gott behüte dich.“

Dann fiel die Tür der Kutsche zu, die Pferde galoppierten durch die Nacht. Lucia war völlig benommen. Sie weinte herzzerreißend. Es ging alles so rasch, dass sie gar keine Zeit gehabt hatte, nach Angelina zu rufen. Doch jetzt schluchzte sie: „Angelina, komm! Hilf mir!“ „Ich bin schon die ganze Zeit bei dir, mein Kleines.“ Lucia war berührt: Angelina war gekommen, auch ohne dass sie sie gerufen hatte. Sie wusste, wie sehr sie sie jetzt nötig hatte. „Gut, dass es dich gibt!“ Angelina umhüllte sie mit ihrer tiefen Liebe und ihrer Ruhe. Lucia fühlte sich sicher in ihrer Umarmung und fiel erschöpft in Schlaf, während die Kutsche über die holprigen Wege durch die Nacht fuhr.

Nach der Verabschiedung ging der König in sein Zimmer und weinte bittere Tränen. Seine geliebte Tochter war weg. Das einzige, was ihm blieb, war die stille Hoffnung, sie eventuell eines Tages wiederzusehen – vielleicht, wenn sie erwachsen war.

Der erste Akt seines Planes war gelungen. Lucia war auf der Reise und würde morgen bei ihren Pflegeeltern sein. Mit diesen hatte er verabredet, sie sollten Lucia nach einiger Zeit erzählen, dass der König im Krieg gefallen sei; deshalb werde sie auch in Zukunft bei ihnen bleiben. Das war der zweite Akt seiner Geschichte. Auf diese Weise würde Lucia glauben, ein Waisenkind zu sein und leichter bereit sein, auf Dauer das neue Zuhause zu akzeptieren.

Wie sehr wünschte sich der König, dies wäre lediglich ein Schauspiel, nur ein nächtlicher Traum. Es gab eines, was ihn ein bisschen tröstete: Lucia war ein besonderes Kind. Sie hatte solch ein Strahlen und eine Kraft von innen, sie würde diese gewaltige Herausforderung in ihrem Leben meistern. Vielleicht musste alles so kommen? Vielleicht hatte jeder seine zugedachte Rolle in dem Schauspiel? Er versenkte sich in ein tiefes Gebet und übergab Lucia der göttlichen Führung.

Im Morgengrauen kam die Kutsche bei einer Waldlichtung an der Grenze des Königreiches an. An einer kleinen Hütte wartete bereits das Ehepaar, um Lucia in Empfang zu nehmen und den zweiten Teil der Reise mit ihr zu machen. Auf diese Weise wusste niemand, wo das Kind sich befand. Die Frau weckte die Kleine behutsam. Zur Stärkung nach der Reise war bereits ein Picknick vorbereitet. Lucia stieg noch etwas schlaftrunken aus der Kutsche.

Sie erkannte das Ehepaar sofort und freute sich, die beiden wiederzusehen. „Magst du mich Tante Clara nennen?“ fragte die nette Frau und Lucia nickte. „Ich bin Onkel Oliver“ sagte ihr Mann. „Wir werden heute noch mit dir zu unserem Haus fahren und du kannst dort eine Weile bei uns bleiben. Unser Häuschen liegt nah am Meer. Warst du schon einmal am Meer?“ Lucia schüttelte den Kopf. Die beiden erzählten ihr von dem Ort, an dem sie wohnten und von dem großen Wasser mit den Wellen. Das klang alles sehr spannend. In Lucia kamen Neugier und Vorfreude auf.

Aber jetzt gab es erstmal ein gutes Frühstück. Die Kutsche mit den beiden Mittelsmännern, die für den ersten Teil der Reise engagiert worden waren, war bereits abgefahren. Die große Kiste stand auf der Wiese und weckte für einen Moment eine dunkle Erinnerung an den gestrigen Abend. Aber es war nicht viel Zeit, um in die Vergangenheit zu schweifen. Es gab soviel Interessantes unmittelbar um sie herum. Das Frühstück schmeckte köstlich und Clara sowie Oliver verstanden es, ihre Aufmerksamkeit auf immer neue spannende Dinge zu lenken. Sie mochte die beiden.

Nachdem sie gefrühstückt hatten, begann der zweite Teil der Reise. Allerdings nicht in einer bequemen Kutsche – von jetzt an ging es einfacher zu. Oliver schwang sich auf sein Pferd. Die große Kiste wurde hinten auf einen Holzkarren geladen, in dem auch Clara und Lucia sich niederließen. Und los ging‘s. Am Abend hatten sie endlich das Zuhause von Clara und Oliver erreicht. Sie fuhren durch eine kleine Ortschaft, an dessen Rand ihr grünes Häuschen stand. Es befand sich auf einer Anhöhe und man konnte das Meer sehen. Im Erdgeschoss waren die Küche und die Stube. Über eine Leiter erreichte man das Obergeschoss mit dem Schlafzimmer von Clara und Oliver und einem weiteren Zimmerchen für Lucia. Diese Behausung war wie eine große Puppenstube im Vergleich zu dem Schloss, in dem Lucia bisher gewohnt hatte. Aber sie war recht angetan von dieser Alternative des Wohnens, denn grundsätzlich war sie neugierig und offen, neue Möglichkeiten zu erkunden.

5. Ein neues Leben

Clara brachte das Kind, das nach der langen Reise sehr müde war, gleich nach dem Abendessen ins Bett und erzählte ihr noch eine Gute-Nacht-Geschichte. Jetzt, am Ende des Tages, überkam Lucia das Heimweh. Sie fragte: „Wo ist mein Vater? Ich möchte zu ihm! Wo ist Nana?“ Clara erzählte ihr von dem drohenden Krieg im Königreich des Vaters und von ihrer zeitweisen Evakuierung – so wie es ihr aufgetragen worden war. Lucia begann zu weinen. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie ganz alleine irgendwo in der Fremde war. Oh je!

Clara tröstete sie mit allen Mitteln. Irgendwann begann sie mit ihrer wunderschönen Stimme zu singen. Dies wirkte beruhigend auf Lucia, erinnerte es sie doch an Nanas Gesang. Die Klänge von Claras Liedern waren allerdings recht anders, erreichten ihr Herz jedoch in derselben Weise.

Dann verließ Clara das Zimmer. Lucia drückte ihren Teddy fest an sich und rief nach Angelina. Diese war schon längst da, aber jetzt begann sie, zu ihr zu sprechen: „Ich bin hier, mein Schatz. Du bist nicht alleine.“ Der Strom von Herzenswärme und Liebe, der sich nun über Lucia ergoss, war immens. Oh, wie tat das gut! Die Verbindung zu Angelina bedeutete ihr so viel: sie war wie Vater und Mutter in einem und noch viel mehr. In ihrer Gegenwart entstand ein Gefühl von Zuhause sein. Beruhigt schlief Lucia ein.

Am nächsten Tag erkundete sie die neue Umgebung. Das Haus war umgeben von einem kleinen Garten. Im hinteren Teil stand Olivers Werkstatt; er war Schreiner und Zimmermann. Wie spannend, was es dort alles zu sehen gab. Von der kleinen Anhöhe aus sah man das Meer, das eine große Anziehungskraft auf Lucia ausübte. Clara nahm sie an die Hand und sie liefen gemeinsam zum Wasser. Oh diese Wellen – wie schön.

Lucia hüpfte voll Freude ins Meer hinein und planschte nach Herzenslust. Clara war froh, das Kind so glücklich zu sehen. Am Nachmittag erkundete sie mit ihr das kleine Städtchen. Die meisten Häuser hatten einen schönen Garten mit Blumen, etwas Obst und Gemüse. Es sah alles sehr nett und gemütlich aus. Clara grüßte einige Bekannte und erzählte, dass Lucia zu Besuch bei ihnen sei.

Tagsüber gab es viel Spannendes zu erforschen, sodass bei Lucia kein Heimweh aufkam. Aber am Abend, wenn sie im Bett lag, dann tauchte es auf. Plötzlich sehnte sie sich so nach ihrem Vater, nach Nana – und nach der tiefen Vertrautheit mit diesen Menschen.