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Erstmals die große Jahrhundert Trilogie in einem eBook!
Sturz der Titanen.
England. Ethel Williams, Kind einer Bergmannsfamilie aus Wales, ist Dienerin im Haus von Earl Fitzherbert. Als sie von ihm ein Kind erwartet, wird sie in Schande entlassen. Aber Ethel lässt sich nicht entmutigen und beginnt für die Rechte der Frauen zu kämpfen.
Russland. Grigori und Lew Peschkow wachsen als Waisen auf. Während Grigori zum Revolutionär wird, gelangt sein Bruder in Amerika zu Reichtum - bis er sich zur Armee melden muss und so als Soldat in die Heimat zurückkehrt.
Deutschland. Anders als sein Vater sehnt sich Walter von Ulrich nach einem demokratischen Deutschland. In London verliebt er sich Hals über Kopf in die emanzipierte Lady Maud. Am Tag vor der deutschen Kriegserklärung an Russland heiraten sie heimlich. Doch der beginnende Konflikt reißt die Liebenden auseinander.
Winter der Welt.
Seit dem Ersten Weltkrieg ist eine neue Generation herangewachsen. Nun spitzt sich die Lage in Europa erneut gefährlich zu. In dieser dramatischen Zeit versuchen drei junge Menschen heldenhaft ihr Schicksal zu meistern.
Der Engländer Lloyd Williams wird Zeuge der Machtergreifung Hitlers und der Nationalsozialisten. Er entschließt sich, gegen den Faschismus zu kämpfen, und meldet sich freiwillig als Soldat im Spanischen Bürgerkrieg.
Die deutsche Adelige Carla von Ulrich ist entsetzt über das Unrecht, das im Namen des Volkes geschieht. Sie geht in den Widerstand und bringt damit sich und ihre Familie in höchste Gefahr.
Die lebenshungrige Amerikanerin Daisy hingegen träumt nur vom sozialen Aufstieg. Sie heiratet einen englischen Lord - aber ihr Mann steht auf Seiten der Faschisten ...
Kinder der Freiheit.
Der Krieg ist zu Ende, doch die Welt ist noch immer in Aufruhr. In Berlin wird eine Mauer errichtet, die Ost und West trennt und Millionen Familien zerstört. Nicht alle finden sich damit ab - trotz der Gefahr für Leib und Leben. Zur gleichen Zeit kämpfen die Schwarzen in Amerika für ihre Bürgerrechte, und die USA und die Sowjetunion stürzen sich in eine Auseinandersetzung, die die Welt an den Rand der Katastrophe führt. Wem kann man noch trauen in dieser Zeit, in der die Welt mehr als einmal am Abgrund steht?
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Seitenzahl: 4972
Cover
Über dieses Buch
Über den Autor
Titel
Impressum
STURZ DER TITANEN
Widmung
Personenverzeichnis
AMERIKANER
DEUTSCHE UND ÖSTERREICHER
ENGLÄNDER UND SCHOTTEN
FRANZOSEN
RUSSEN
WALISER
PROLOG – Initiation
KAPITEL 1
ERSTER TEIL – Schatten am Himmel
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
ZWEITER TEIL – Der Krieg der Titanen
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
DRITTER TEIL – Eine neue Weltordnung
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
KAPITEL 41
KAPITEL 42
HISTORISCHE PERSÖNLICHKEITEN
DANKSAGUNG
WINTER DER WELT
Widmung
Personenverzeichnis
Amerikaner
Deutsche und Österreicher
Engländer
Russen
Spanier
Waliser
Erster Teil – Die andere Wange
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Zweiter Teil – Zeit des Blutes
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Dritter Teil – Der kalte Frieden
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Danksagungen
Karte: Europa vor dem 2. Weltkrieg
KINDER DER FREIHEIT
Widmung
HAUPTPERSONEN
AMERIKANER
BRITEN
DEUTSCHE
POLEN
SOWJETS
ANDERE NATIONEN
ERSTER TEIL – DIE MAUER – 1961
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
ZWEITER TEIL – DIE WANZE – 1961 BIS 1962
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
DRITTER TEIL – DIE INSEL – 1962
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
VIERTER TEIL – DIE WAFFE – 1963
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
FÜNFTER TEIL – DER SONG – 1963 BIS 1967
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
KAPITEL 36
KAPITEL 37
KAPITEL 38
KAPITEL 39
KAPITEL 40
SECHSTER TEIL – DIE BLUME – 1968
KAPITEL 41
KAPITEL 42
KAPITEL 43
KAPITEL 44
KAPITEL 45
SIEBTER TEIL – DAS BAND – 1972 BIS 1976
KAPITEL 46
KAPITEL 47
KAPITEL 48
KAPITEL 49
KAPITEL 50
ACHTER TEIL – DIE WERFT – 1976 BIS 1983
KAPITEL 51
KAPITEL 52
KAPITEL 53
KAPITEL 54
NEUNTER TEIL – DIE BOMBE – 1984 BIS 1987
KAPITEL 55
KAPITEL 56
KAPITEL 57
KAPITEL 58
ZEHNTER TEIL – DIE MAUER – 1988 BIS 1989
KAPITEL 59
KAPITEL 60
KAPITEL 61
KAPITEL 62
EPILOG – 4. NOVEMBER 2008
KAPITEL 63
ZITAT
DANKSAGUNGEN
DIE FAMILIEN ZU BEGINN VON STURZ DER TITANEN
DIE FAMILIEN ZU BEGINN VON WINTER DER WELT
DIE FAMILIEN ZU BEGINN VON KINDER DER FREIHEIT
DIE FAMILIEN AM ENDE DER JAHRHUNDERT-SAGA
Erstmals die große Jahrhundert Trilogie in einem eBook!
Sturz der Titanen
England. Ethel Williams, Kind einer Bergmannsfamilie aus Wales, ist Dienerin im Haus von Earl Fitzherbert. Als sie von ihm ein Kind erwartet, wird sie in Schande entlassen. Aber Ethel lässt sich nicht entmutigen und beginnt für die Rechte der Frauen zu kämpfen.
Russland. Grigori und Lew Peschkow wachsen als Waisen auf. Während Grigori zum Revolutionär wird, gelangt sein Bruder in Amerika zu Reichtum – bis er sich zur Armee melden muss und so als Soldat in die Heimat zurückkehrt.
Deutschland. Anders als sein Vater sehnt sich Walter von Ulrich nach einem demokratischen Deutschland. In London verliebt er sich Hals über Kopf in die emanzipierte Lady Maud. Am Tag vor der deutschen Kriegserklärung an Russland heiraten sie heimlich. Doch der beginnende Konflikt reißt die Liebenden auseinander.
Winter der Welt
Seit dem Ersten Weltkrieg ist eine neue Generation herangewachsen. Nun spitzt sich die Lage in Europa erneut gefährlich zu. In dieser dramatischen Zeit versuchen drei junge Menschen heldenhaft ihr Schicksal zu meistern.
Der Engländer Lloyd Williams wird Zeuge der Machtergreifung Hitlers und der Nationalsozialisten. Er entschließt sich, gegen den Faschismus zu kämpfen, und meldet sich freiwillig als Soldat im Spanischen Bürgerkrieg.
Die deutsche Adelige Carla von Ulrich ist entsetzt über das Unrecht, das im Namen des Volkes geschieht. Sie geht in den Widerstand und bringt damit sich und ihre Familie in höchste Gefahr.
Die lebenshungrige Amerikanerin Daisy hingegen träumt nur vom sozialen Aufstieg. Sie heiratet einen englischen Lord – aber ihr Mann steht auf Seiten der Faschisten …
Kinder der Freiheit
Der Krieg ist zu Ende, doch die Welt ist noch immer in Aufruhr. In Berlin wird eine Mauer errichtet, die Ost und West trennt und Millionen Familien zerstört. Nicht alle finden sich damit ab – trotz der Gefahr für Leib und Leben. Zur gleichen Zeit kämpfen die Schwarzen in Amerika für ihre Bürgerrechte, und die USA und die Sowjetunion stürzen sich in eine Auseinandersetzung, die die Welt an den Rand der Katastrophe führt. Wem kann man noch trauen in dieser Zeit, in der die Welt mehr als einmal am Abgrund steht?
Ken Follett, geboren 1949 in Cardiff, Wales, gehört zu den erfolgreichsten Autoren der Welt. Berühmt wurde er mit Die Säulen der Erde und deren Fortsetzung Die Tore der Welt, die beide auch erfolgreich verfilmt wurden. Kinder der Freiheit ist nach Sturz der Titanen und Winter der Welt der Abschluss seiner groß angelegten Jahrhundertsaga, in der er meisterhaft die spannende Chronik des 20. Jahrhunderts anhand der Geschichte von fünf miteinander verbundenen Familien aus Amerika, Deutschland, Russland, England und Wales erzählt. Neben seinem Interesse für Geschichte engagieren sich Ken Follett und seine Frau Barbara auch politisch. Außerdem spielt er zum Vergnügen Bass-Gitarre in einer Bluesband und setzt sich im Rahmen einer Stiftung für die Leseförderung ein.
Ken Follett
DIE JAHRHUNDERT-SAGA
Aus dem Englisch von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher
BASTEI ENTERTAINMENT
Digitale Originalausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2010 (»Sturz der Titanen«), Copyright © 2012 (»Winter der Welt«) und Copyright © 2014 (»Kinder der Freiheit«) by Ken Follett
Originalverlag: Macmillan, London/Dutton, New York
Titel der amerikanischen Originalausgaben:
»Fall of the Giants«, »Winter of the World« und »Edge of Eternity«
Für die deutschsprachigen Ausgaben:
Copyright © 2010 (»Sturz der Titanen«), Copyright © 2012 (»Winter der Welt«) und Copyright © 2014 (»Kinder der Freiheit«) by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat/Projektmanagement: Esther Madaler
Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel, punchdesign unter Verwendung von Motiven von: shutterstock: Andresr | Lora liu | Pinkyone | Nejron Photo
E-Book-Produktion: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
ISBN 978-3-7325-3790-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Ken Follett
STURZ DER TITANEN
DIE JAHRHUNDERT-SAGA
Roman
Übersetzung aus dem Englischen von Dietmar Schmidt und Rainer Schumacher
Dem Andenken meiner Eltern Martin und Veenie Follett.
Familie Dewar
Senator Cameron Dewar
Ursula Dewar, seine Frau
Gus Dewar, ihr Sohn
Familie Vyalov (vormals Wjalow)
Joseph Vyalov, Geschäftsmann
Lena Vyalov, seine Frau
Olga Vyalov, ihre Tochter
Andere
Rosa Hellman, Reporterin
Chuck Dixon, Schulfreund von Gus
Marga, eine Nachtclubsängerin
Nick Forman, ein Dieb
Ilya, Schläger
Theo, Schläger
Norman Niall, verschlagener Buchhalter
Brian Hall, Gewerkschaftsführer
Historische Persönlichkeiten
Woodrow Wilson, 28. Präsident der Vereinigten Staaten
William Jennings Bryan, Außenminister
Joseph Daniels, Marineminister
Familie von Ulrich
Otto von Ulrich, Diplomat
Susanne von Ulrich, seine Frau
Walter von Ulrich, ihr Sohn, Militärattaché der deutschen Botschaft in London
Greta von Ulrich, ihre Tochter
Graf Robert von Ulrich, Walters Cousin zweiten Grades, Militärattaché der österreichischen Botschaft in London
Andere
Gottfried von Kessel, Kulturattaché der deutschen Botschaft in London
Monika von der Helbard, Gretas beste Freundin
Historische Persönlichkeiten
Fürst Karl Lichnowsky, deutscher Botschafter in London
General der Infanterie Paul von Hindenburg
Generalmajor Erich Ludendorff
Theobald von Bethmann Hollweg, Reichskanzler
Arthur Zimmermann, Außenminister
Familie Fitzherbert
Earl Edward Fitzherbert, genannt Fitz
Fürstin Elizabeta, genannt Bea, seine Frau
Lady Maud Fitzherbert, seine Schwester
Lady Hermia, genannt Tante Herm, ihre verarmte Tante
Die Herzogin von Sussex, ihre reiche Tante
Gelert, Pyrenäenberghund
Grout, Fitz’ Butler
Sanderson, Mauds Zofe
Andere
Mildred Perkins, Ethels Mieterin
Bernie Leckwith, Sekretär der Unabhängigen Arbeiterpartei in Aldgate
Bing Westhampton, Fitz’ Freund
Marquess von Lowther, »Lowthie«, zurückgewiesener Freier von Maud
Albert Solman, Fitz’ Bevollmächtigter
Dr. Greenward, ehrenamtlicher Arzt in der Armenklinik
Lord »Johnny« Remarc, Staatssekretär im Kriegsministerium
Colonel Hervey, Adjutant von Sir John French
Mannie Litov, Fabrikbesitzer
Jock Reid, Schatzmeister der Unabhängigen Arbeiterpartei in Aldgate
Jayne McCulley, Soldatenfrau
Historische Persönlichkeiten
König George V.
Queen Mary
Mansfield Smith-Cumming, genannt »C«, Direktor des britischen Auslandsgeheimdienstes (des späteren MI6)
Sir Edward Grey, Außenminister
Sir William Tyrrell, Privatsekretär von Sir Edward Grey
Frances Stevenson, Geliebte von Lloyd George
Winston Churchill, liberaler Abgeordneter
H. H. Asquith, Premierminister
Field Marshal Sir John French, Oberbefehlshaber des britischen Expeditionskorps
Gini, ein Barmädchen
Colonel Dupuys, Adjutant von Général Galliéni
Général Lourceau, Adjutant von Général Joffre
Historische Persönlichkeiten
Général Joffre, Oberbefehlshaber der französischen Streitkräfte
Général Galliéni, Militärgouverneur der Garnison von Paris
Familie Peschkow
Grigori Peschkow, Metallarbeiter
Lew Peschkow, Stallbursche
Putilow-Werke
Konstantin, Industriedreher, Vorsitzender der bolschewistischen Diskussionsgruppe
Isaak, Kapitän der Werksfußballmannschaft
Warja, Arbeiterin, Konstantins Mutter
Sergej Kanin, Fertigungsleiter der Gießerei
Graf Malakowski, Direktor
Andere
Michail Pinsky, Reviervorsteher
Ilja Koslow, sein Handlanger
Nina, Zofe von Fürstin Bea
Fürst Andrej, Beas Bruder
Katherina, ein Bauernmädchen, neu in der Stadt
Mischka, Wirt
Trofim, ein Gangster
Fjodor, korrupter Polizist
Spirja, Passagier auf der Erzengel Gabriel
Jakow, Passagier auf der Erzengel Gabriel
Anton, Beamter in der russischen Botschaft in London und deutscher Spion
Sergeant Iwanow
Leutnant Tupolew
Historische Persönlichkeiten
Wladimir Iljitsch Lenin, Führer der bolschewistischen Partei
Lew Davidowitsch Trotzki
Familie Williams
David Williams, Gewerkschafter, genannt »Dah«
Cara Williams, seine Frau, genannt »Mam«
Ethel Williams, ihre Tochter
Billy Williams, ihr Sohn
Gramper, Mams Vater
Familie Griffiths
Len Griffiths, Atheist und Marxist
Mrs. Griffiths
Tommy Griffiths, Lens Sohn und Billy Williams’ bester Freund
Familie Ponti
Mrs. Minnie Ponti
Giuseppe »Joey« Ponti
Giovanni »Johnny« Ponti, sein jüngerer Bruder
Bergleute
David Crampton, »Dai Crybaby«
Harry »Suet« Hewitt
John Jones the Shop
Dai Chops, Metzgerssohn
Pat Pope, Anschläger
Micky Pope, Pats Sohn
Dai Ponies, Pferdetreiber
Bert Morgan
Bergwerksleitung
Perceval Jones, Generaldirektor von Celtic Minerals
Maldwyn Morgan, Grubendirektor
Rhys Price, Steiger
Arthur »Spotty« Llewellyn, Sekretär
Dienerschaft in Ty Gwyn
Peel, Butler
Mrs. Jevons, Haushälterin
Morrison, Diener
Andere
Dai Schiss
Mrs. Dai Ponies
Mrs. Roley Hughes
Mrs. Hywel Jones
Private George Barrow, B-Kompanie
Private Robin Mortimer, degradierter Offizier, B-Kompanie
Private Owen Bevin, B-Kompanie
Sergeant Elijah »Prophet« Jones, B-Kompanie
Second Lieutenant James Carlton-Smith, B-Kompanie
Captain Gwyn Evans, A-Kompanie
Second Lieutenant Roland Morgan, B-Kompanie
Historische Persönlichkeiten
David Lloyd George, liberaler Parlamentsabgeordneter
22. Juni 1911
An dem Tag, als George V. in der Westminster Abbey den Thron bestieg, fuhr Billy Williams zum ersten Mal in die Grube von Aberowen ein.
Es war Billys dreizehnter Geburtstag.
Sein Vater weckte ihn mit einer eher zweckmäßigen als sanften Methode: Rhythmisch klatschte er den Handrücken gegen Billys Wange. Billy, aus dem Schlaf geholt, versuchte anfangs, die unsanfte Behandlung nicht zu beachten, doch Dah hörte einfach nicht damit auf. Billy wollte schon wütend werden, als ihm einfiel, dass er aufstehen musste, sogar wollte. Er öffnete die Augen und setzte sich auf.
»Vier Uhr«, sagte Dah und verschwand wieder. Seine Stiefel bollerten auf den hölzernen Stufen, als er die Treppe hinunterstieg.
Billys großer Tag war gekommen. Heute würde er in der Zeche von Aberowen sein Arbeitsleben als Grubenjunge beginnen, so wie vor ihm die meisten Männer in dem südwalisischen Ort, als sie in Billys Alter gekommen waren. Nur hätte Billy sich jetzt gerne ein bisschen mehr wie ein Bergmann gefühlt … Er musste an David Crampton denken, der an seinem ersten Tag in der Zeche geflennt hatte und den man seitdem »Crybaby« nannte, Heulsuse, obwohl er schon fünfundzwanzig war und die große Hoffnung der örtlichen Rugbymannschaft. Billy war entschlossen, sich nicht zum Gespött zu machen.
Gestern war Sommersonnenwende gewesen, und das Licht des frühen Morgens fiel durch das winzige Fenster. Billy blickte auf seinen Großvater, der im gleichen Bett neben ihm lag. Gramper hatte die Augen offen. Er sagte immer, alte Leute bräuchten nicht viel Schlaf. Wahrscheinlich war er deshalb immer wach, egal, wann Billy aufstand.
Billy stieg aus dem Bett. Er trug nur seine Unterhose. Bei kaltem Wetter behielt er zum Schlafen auch das Hemd an, doch es war ein warmer Frühsommer in diesem Jahr, und die Nächte waren mild.
Billy zog den Nachttopf unter dem Bett hervor, nahm den Deckel ab und zog seinen »Peter« aus der Hose, wie er ihn bei sich nannte, um zu pinkeln. Traurig betrachtete Billy das noch immer kindlich kleine Ding. Seine stille Hoffnung, sein Peter würde in der Nacht vor seinem Geburtstag wachsen oder dass da unten wenigstens irgendwo ein schwarzes Haar sprießte, wurde bitter enttäuscht. Neidvoll dachte Billy an seinen besten Freund, Tommy Griffiths, der auf den Tag genauso alt war wie er selbst. Tommy hatte schon dunklen Flaum auf der Oberlippe, seine Stimme wurde tiefer, und sein Peter sah aus wie der eines Mannes. Es war niederschmetternd.
Während Billy so in den Topf pinkelte, schaute er aus dem Fenster auf die Halde, ein schmutzig graues Massiv, gewachsen aus dem Abraum aus der Zeche, hauptsächlich Schiefer und Sandstein. So muss die Erde am zweiten Tag der Schöpfung ausgesehen haben, überlegte Billy, bevor Gott die Pflanzen erschaffen hatte, indem er sprach: »Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut.« Ein leichter Wind trieb feinen schwarzen Staub von der Halde zu den Häuserreihen.
Im Zimmer war noch weniger zu sehen als draußen. Es lag im hinteren Teil des Hauses, ein winziger Verschlag, gerade groß genug für ein Bett, eine Kommode und Grampers alte Kiste. An der Wand hing ein gestickter Spruch:
GLAUBE AN JESUS CHRISTUS UNSEREN HERRN UND DU SOLLST ERRETTET WERDEN
Einen Spiegel gab es nicht.
Eine Tür führte zum Fuß der Treppe, eine weitere zu dem zweiten Schlafzimmer, das nach vorn rausging und nur durch Billys Kammer betreten werden konnte. Das andere Zimmer war größer und hatte Platz für zwei Betten, in denen Dah und Mam schliefen. Auch Billys Schwestern hatten in dem Zimmer geschlafen, aber das war lange her. Ethel, die Älteste, hatte das Haus verlassen, und die anderen drei waren gestorben: eine an den Masern, eine am Keuchhusten, eine an Diphtherie. Billy hatte auch einen älteren Bruder gehabt, Wesley, mit dem er in einem Bett geschlafen hatte, ehe Gramper zu ihnen gezogen war. Wesley war unter Tage von einem Hunt überrollt worden, einem der Förderwagen, in denen man die Kohle transportierte.
Billy streifte sich sein Hemd über, das gleiche, das er gestern noch zur Schule angehabt hatte. Heute war Donnerstag, und er wechselte sein Hemd nur sonntags. Doch Billys Hose war neu – seine erste lange Hose. Sie war aus Englischleder, einem dicken, Wasser abweisenden Baumwollstoff. Stolz streifte Billy die Hose über, verkörperte sie doch so etwas wie den Eintritt in die Welt der Männer. Der schwere Stoff fühlte sich derb und irgendwie männlich an. Billy schnallte sich den dicken Ledergürtel um, stieg in die Stiefel, die er von Wesley geerbt hatte, und ging nach unten.
Den größten Teil des Erdgeschosses nahm die Wohnküche in Beschlag – ein bescheidenes Zimmer, fünfzehn Fuß im Geviert. In der Mitte stand ein Tisch, an einer Wand war ein Kamin, und auf dem Steinfußboden lag ein selbst geknüpfter Teppich. Dah saß am Tisch, die Brille auf der langen, spitzen Nase, und las in einer alten Ausgabe der Daily Mail. Mam goss Tee auf. Als sie Billy erblickte, setzte sie den dampfenden Wasserkessel ab und küsste ihren Sohn auf die Stirn. »Und wie geht’s meinem kleinen Mann an seinem Geburtstag?«
Billy, leicht verärgert, antwortete nicht. Das »klein« verletzte ihn, denn er war klein, und das »Mann« war nicht weniger schmerzlich, weil er eben noch kein Mann war. Er schlurfte in die Küche an der Hinterseite des Hauses, tauchte eine Blechschüssel ins Wasserfass und wusch sich Hände und Gesicht; dann goss er das Wasser in den flachen Spülstein. Der Waschkessel über dem Feuerrost wurde nur benutzt, wenn am Samstagabend das Badewasser erhitzt wurde.
Aber bald sollten sie fließendes Wasser bekommen. Mehrere Bergmannshäuser, darunter das von Tommy Griffiths’ Familie, waren schon an die Leitung angeschlossen. Billy hatte Bauklötze gestaunt, als Tommy ihm gezeigt hatte, wie man eine Tasse kaltes klares Wasser bekam, indem er einfach nur am Hahn drehte, ohne dass man einen Eimer zum Standrohr auf der Straße tragen musste. Doch bis zur Wellington Row, wo die Williams wohnten, war das fließende Wasser noch nicht vorgedrungen.
Billy kehrte in die Stube zurück und setzte sich an den Tisch. Mam stellte ihm eine große Tasse Tee mit Milch hin, in den sie bereits Zucker eingerührt hatte. Dann schnitt sie Billy zwei dicke Scheiben selbst gebackenes Brot ab und holte Schmalz aus der Speisekammer unter der Treppe. Billy faltete die Hände, schloss die Augen und sagte: »Danke-o-Herr-für-diese-Speise-Amen.« Dann trank er einen Schluck Tee und strich dick Schmalz auf sein Brot.
Dahs hellblaue Augen blickten über den Rand der Zeitung. »Tu dir Salz drauf«, sagte er. »Unter Tage schwitzt du.«
Billys Vater war Funktionär der südwalisischen Bergarbeitergewerkschaft, der stärksten Gewerkschaft in Großbritannien, wie er bei jeder Gelegenheit hervorhob. Das hatte ihm den Namen »Dai Union« eingetragen, wobei Dai die Kurzform für David war – oder »Dafydd« auf Walisisch, ein beliebter Name in Wales, war der heilige David doch der Schutzpatron des Landes. Die vielen »Dais« unterschied man nicht an ihren Nachnamen – in der Stadt hießen fast alle Jones, Williams, Evans oder Morgan –, sondern anhand eines Spitznamens, wobei eine humorvolle Variante bevorzugt wurde. Billy zum Beispiel hieß William Williams, also nannten ihn alle »Billy Twice«, den »doppelten Billy«. Und Mam wurde »Mrs. Dai Union« genannt, da Frauen oft den Spitznamen ihres Mannes bekamen.
Gramper kam herunter, als Billy seine zweite Schnitte Brot aß. Trotz des warmen Wetters trug er Jacke und Weste. Nachdem er sich die Hände gewaschen hatte, setzte er sich Billy gegenüber an den Tisch. »Nun guck nicht so bang«, sagte er. »Ich war zehn, wie ich das erste Mal eingefahren bin. Mein Vater war noch jünger, erst fünf, und er musste von sechs am Morgen bis sieben am Abend schuften. Von Oktober bis März hat er kein Mal das Tageslicht gesehn.«
»Ich bin nicht bang«, widersprach Billy, obwohl ihm die Angst im Magen wühlte.
Aber Gramper, freundlich wie immer, ging nicht weiter darauf ein. Billy mochte Gramper sehr, denn er behandelte ihn wie einen erwachsenen Mann. Dah hingegen war streng und konnte ziemlich scharfzüngig sein, und Mam behandelte ihn wie ein Baby.
»Hört euch das mal an«, sagte Dah und löste den Blick von der Zeitung. Er hätte sich niemals eine Mail gekauft – in seinen Augen war sie ein konservatives Käseblatt –, doch wenn jemand ein Exemplar liegen gelassen hatte, brachte er es mit nach Hause und las dann mit verächtlicher Stimme daraus vor, voller Spott für die Dummheit und Unehrlichkeit der herrschenden Klasse. »›Lady Diana Manners, jüngere Tochter des Herzogs von Rutland, zog Unwillen auf sich, als sie auf zwei verschiedenen Bällen das gleiche Kleid trug. Für ihr Ensemble aus schulterfreiem Fischbeinstäbchenoberteil und Reifrock hatte Lady Diana auf dem Savoy Ball zweihundertfünfzig Guineas Preisgeld erhalten …‹« Dah senkte die Zeitung und sagte: »Dafür musst du fünf Jahre schuften, Billy-Boy.« Dann fuhr er fort: »›… was sie jedoch nicht daran hinderte, in demselben Gewand zum Empfang Lord Wintertons und F. E. Smiths im Hotel Claride zu erscheinen, worauf sie sich das Naserümpfen der Kenner zuzog. Man kann des Guten auch zu viel tun, sagten die Leute.‹« Wieder hob Dah den Blick. »Schlüpf bloß in ’n anderes Ensemble, Mam«, sagte er. »Oder willste dir das Naserümpfen der Kenner zuziehen?«
Mam fand das gar nicht komisch. Sie trug ein altes braunes Wollkleid mit Flicken auf den Ellbogen und fleckigen Achseln. »Ich weiß zwar nicht, was ’n Ongsombel ist, aber wenn ich zweihundertfünfzig Guineas hätte, würde ich besser aussehen als Lady Diana Dingsbums«, erwiderte sie nicht ohne Bitterkeit.
»Da hat se recht«, sagte Gramper. »Cara war immer schon die Hübscheste, genau wie ihre Mutter.« Gramper schaute Billy an. »Deine Großmutter war ’ne Italienerin, weißte. Maria Ferrone hat sie geheißen.« Das wusste Billy längst, aber Gramper erzählte gerne die alten Familiengeschichten, immer und immer wieder. »Von der ha’m deine Mam und deine Schwester ihre schwarzen Haare und die schönen dunklen Augen. Und deine Oma war das schönste Mädchen in ganz Cardiff, und ich hab sie gekriegt.« Plötzlich blickte er traurig drein. »Ach, war’n das Nächte!«, fügte er wehmütig hinzu.
Dah runzelte missbilligend die Stirn, schwangen in solchen Worten doch fleischliche Gelüste mit, aber Mam freute sich über die Komplimente und lächelte, als sie Gramper das Frühstück vorsetzte. »Ja«, sagte sie. »Ich und meine Schwester, wir hätten den feinen Pinkeln schon gezeigt, was ein schönes Mädchen ist, wenn wir Geld für Seide und Spitze gehabt hätten.«
Billy staunte. Er hätte seine Mutter nie als schön angesehen, musste aber einräumen, dass sie ganz nett aussah, wenn sie sich für das Gemeindetreffen am Samstagabend herausputzte, besonders mit Hut. Vielleicht war sie wirklich mal hübsch gewesen, doch irgendwie konnte Billy es sich schwer vorstellen.
»Und die Familie von deiner Oma, Billy-Boy, das waren alles kluge Leute«, fuhr Gramper fort. »Mein Schwager war Bergmann, weißte, bis er in Tenby ein Café eröffnet hat. Das is’ mal ’n Leben – immer frische Seeluft und den ganzen Tag nix anderes tun als Kaffee kochen und Geld zählen!«
Dah sagte: »Hört mal, was hier steht. ›Im Rahmen der Krönungsvorbereitungen hat der Buckingham Palace ein Anleitungsbuch von zweihundertzwölf Seiten Umfang herausgegeben.‹« Er blickte über den Zeitungsrand. »Sag das den Jungs unter Tage, Billy-Boy. Die werden erleichtert sein, dass unser Königshaus nichts dem Zufall überlässt.«
Billy interessierte sich nicht besonders für das Königshaus, eher schon für die Abenteuergeschichten, die ab und zu in der Mail standen, Geschichten über tapfere, Rugby spielende Eliteschüler, die hinterhältigen deutschen Spionen das schmutzige Handwerk legten. Glaubte man der Mail, wimmelte es in jeder britischen Stadt von deutschen Agenten. Nur um Aberowen schienen sie zu Billys Enttäuschung einen weiten Bogen zu machen.
Billy stand auf. »Ich geh mal die Straße runter«, verkündete er und verschwand durch die Vordertür. »Die Straße runtergehen« bedeutete, dass man zum öffentlichen Abort ging. Auf halber Höhe der Wellington Row stand über einem tiefen Erdloch ein niedriger Ziegelbau mit Wellblechdach. Der Bau war in zwei Hälften geteilt, eine für Männer, die andere für Frauen. Jede Hälfte hatte zwei Sitze, sodass man jeweils zu zweit aufs Klo ging. Niemand wusste, weshalb die Erbauer diese Anordnung gewählt hatten, aber alle machten das Beste daraus: Die Männer blickten stier nach vorn und hüllten sich in Schweigen, während die Frauen munter drauflos schwatzten. Der Gestank war pestilenzialisch, selbst dann noch, wenn man ihn sein Leben lang kannte. Wenn Billy auf dem Donnerbalken saß, versuchte er jedes Mal, so lange wie möglich den Atem anzuhalten; wenn er dann ins Freie kam, schnappte er nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Regelmäßig wurde die Jauche von einem Mann aus dem Loch geschaufelt, den man folgerichtig »Dai Schiss« nannte.
Als Billy wieder ins Haus kam, sah er zu seiner Freude seine Schwester Ethel am Tisch sitzen. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Billy!«, rief sie. »Ich musste einfach kommen und dir ’nen Kuss geben, ehe du einfährst.«
Ethel war achtzehn, und anders als bei Mam fiel es Billy überhaupt nicht schwer, sie als hübsch einzustufen. Ihre mahagonibraunen Locken ließen sich kaum bändigen, und in ihren dunklen Augen funkelte der Schalk. Vielleicht hatte Mam früher auch so ausgesehen. Ethel trug das schlichte schwarze Kleid und das weiße Baumwollhäubchen eines Hausmädchens, und es stand ihr gut.
Billy vergötterte Ethel. Sie war nicht nur hübsch, sie war auch lustig, klug und tapfer, und manchmal bot sie sogar Dah die Stirn. Sie erzählte Billy von Dingen, die ihm sonst niemand erklären wollte, zum Beispiel, dass Frauen jeden Monat ein paar Tage lang den »Fluch« hatten, wie Ethel es nannte, oder was die »öffentliche Unzucht« gewesen war, die den anglikanischen Pfarrer gezwungen hatte, fluchtartig die Stadt zu verlassen. In der Schule war Ethel immer die Klassenbeste gewesen; mit ihrem Aufsatz »Mein Heimatort« hatte sie bei einem Wettbewerb des South Wales Echo sogar den ersten Preis gewonnen: ein Exemplar von Cassells Weltatlas.
Sie küsste Billy auf die Wange. »Ich hab unserer Haushälterin gesagt, dass uns die Stiefelwichse ausgegangen ist und dass ich welche aus der Stadt hole.« Ethel wohnte und arbeitete auf Ty Gwyn, dem Herrenhaus von Earl Fitzherbert eine Meile den Hügel hinauf. »Hier.« Sie reichte Billy ein sauberes Tuch, in das etwas eingeschlagen war. »Ich hab ein Stück Kuchen für dich geklaut.«
»Oh, danke, Eth!«, rief Billy. Kuchen aß er für sein Leben gern.
Mam fragte: »Soll ich den Kuchen in deine Brotdose tun, Billy?«
»Ja, bitte, danke.«
Mam holte eine Blechdose aus dem Schrank und legte den Kuchen hinein. Dann schnitt sie noch zwei Brotscheiben ab, bestrich sie mit Schmalz, streute Salz darauf und legte sie zu dem Kuchen. Alle Bergleute hatten Brotdosen aus Blech. Hätten sie ihr Essen in ein Tuch eingehüllt mit unter Tage genommen, hätten die Mäuse es ihnen noch vor dem ersten »Buttern« – der ersten Pause – weggefressen.
»Wenn du deinen ersten Lohn nach Hause bringst«, sagte Mam, »kriegst du eine Scheibe gebratenen Speck aufs Brot.«
Viel würde Billy anfangs nicht verdienen, doch seine Familie konnte das Geld gut gebrauchen. Er fragte sich, wie viel Mam ihm als Taschengeld lassen würde und ob er jemals genug sparen könnte, um sich das Fahrrad zu kaufen, das er sich mehr wünschte als alles andere auf der Welt.
Ethel setzte sich wieder an den Tisch.
»Wie geht’s denn so zu im großen Haus?«, fragte Dah.
»Oooch, ganz ruhig«, antwortete Ethel. »Der Earl und die Fürstin fahren zur Krönung nach London!« Sie schaute zu der Uhr auf dem Kaminsims. »Sie müssen gleich aufstehen, damit sie früh genug in der Abbey sind. Na, das wird ihr gar nicht gefallen, weil sie immer lange im Bett liegt, aber beim König darf nicht einmal sie zu spät kommen.« Die Frau des Earls, Bea, war eine russische Fürstin und überaus vornehm.
»Sie wollen bestimmt vorne sitzen, damit sie den ganzen Zirkus sehen können, was?«
»Nein, nein, man kann sich nicht einfach hinsetzen, wo man will«, sagte Ethel. »Jeder hat einen eigenen Mahagonistuhl mit seinem Namen in Goldschrift hintendrauf. Für die Feier sind eigens sechstausend Stühle gemacht worden.«
»Na, datt nenn ich Verschwendung!«, rief Gramper. »Watt machen se denn nachher damit?«
»Weiß nicht. Vielleicht tut jeder seinen Stuhl als Andenken mit nach Hause nehmen.«
Dah meinte trocken: »Sag ihnen, wenn einer übrig bleibt, sollen sie ihn uns schicken. Wir sind nur fünf, und deine arme alte Mam muss stehen.«
Wenn Dah sich flapsig gab, steckte manchmal eine Stinkwut dahinter. Ethel sprang auf. »Oh, tut mir leid, Mam, ich hab nicht nachgedacht.«
»Bleib nur sitzen.« Mam winkte ab. »Ich hab sowieso keine Zeit.«
Die Uhr schlug fünf. »Am besten, du bist ein bisschen früher da, Billy-Boy«, sagte Dah. »Damit von vornherein alle wissen, dass du dabeibleiben willst.«
Billy erhob sich widerstrebend und nahm seine Brotdose.
Ethel küsste ihn noch einmal, und Gramper schüttelte ihm die Hand. Dah reichte ihm zwei rostige, verbogene Sechszollnägel. »Steck sie dir in die Hosentasche.«
»Wozu?«, fragte Billy.
»Tust schon sehen«, entgegnete Dah lächelnd.
Mam reichte Billy eine Literflasche aus Blech mit Schraubverschluss, in der kalter Tee mit Milch und Zucker war. »Vergiss nicht, dass der Herr Jesus immer bei dir ist, auch unten in der Grube.«
»Ja, Mam.«
Billy sah Tränen in ihren Augen und wandte sich rasch ab, weil auch ihm plötzlich zum Heulen zumute war. Er nahm seine Mütze vom Haken. »Bis dann«, sagte er so leichthin, als wollte er zur Schule, und ging zur Vordertür hinaus.
Der Frühsommer war bisher sonnig gewesen, doch heute war es bedeckt, und es sah nach Regen aus. Tommy lehnte an der Hauswand und wartete. »Aye, aye, Billy«, sagte er.
»Aye, aye, Tommy.«
Seite an Seite gingen die Jungen die Straße hinunter.
Aberowen, hatte Billy in der Schule gelernt, war früher ein Marktflecken für die Bauern der Umgegend gewesen. Vom höchsten Punkt der Wellington Row blickte man auf den alten Markt mit den offenen Pferchen für das Vieh, die Wollbörse und die anglikanische Kirche, die alle auf der gleichen Seite des Flusses Owen lagen, der eigentlich kaum mehr war als ein Bach. Jetzt durchschnitt ein Eisenbahngleis die Stadt wie eine hässliche Wunde und endete an den Tagesanlagen der Zeche. Die Häuser der Bergleute standen auf den Talhängen. Hunderte grauer Steinhäuschen mit Dächern aus dunklem walisischem Schiefer reihten sich in langen Serpentinen an den terrassenartig ansteigenden Hügeln. Kürzere Straßen querten die Häuserreihen und führten hinunter zur Talsohle.
»Was glaubste, bei wem du arbeiten tust?«, fragte Tommy.
Billy zuckte mit den Schultern. Die Neuen wurden einem Steiger zugeteilt. »Kann man nich’ wissen.«
»Ich hoffe, mich tun se in die Ställe.« Tommy mochte Pferde, und im Bergwerk gab es mehr als fünfzig Ponys. Sie zogen die kohlegefüllten Hunte über die Gleise. »Und was für ’ne Arbeit willst du machen?«
Billy hoffte, dass er in keine der »Knochenmühlen« kam, wie Dah es nannte. »Ich würde gerne Hunte schmieren.«
»Warum?«
»Ist nich’ so schwer, glaub ich.«
Sie gingen an der Schule vorbei, die sie gestern noch besucht hatten – ein viktorianisches Gebäude mit spitzen Fenstern wie in einer Kirche. Die Schule war von der Familie Fitzherbert errichtet worden, wie der Rektor die Schüler immerzu erinnerte. Der Earl ernannte die Lehrer und gab auch den Lehrplan vor. An den Wänden hingen Gemälde, die Szenen aus Englands glorreicher Vergangenheit zeigten, und jeder Schultag begann mit einer Religionsstunde, in der den Schülern die strenge anglikanische Doktrin eingebläut wurde, obwohl fast alle aus Freikirchler-Familien kamen. Die Schule hatte einen Verwaltungsausschuss, der aber gar nichts verwalten durfte, sondern nur beratende Funktion hatte. Dah, der dem Ausschuss angehörte, sagte immer, der Earl behandle die Schule wie sein persönliches Eigentum.
In ihrem letzten Jahr waren Billy und Tommy in den Grundlagen des Bergbaus unterrichtet worden, während die Mädchen das Nähen und Kochen lernen mussten. Zu seinem Erstaunen hatte Billy erfahren, dass der Boden unter ihren Füßen aus unterschiedlichen Erdschichten bestand, wie ein Berg gigantischer Butterbrote. Auch ein Kohlenflöz – ein Begriff, den Billy sein Leben lang gehört hatte, ohne ihn richtig zu verstehen – war eine solche Erdschicht. Die Kohle selbst, hatte Billy gelernt, bestand aus totem Laub und anderen Pflanzenresten, die sich in Tausenden von Jahren angesammelt hatten und vom Gewicht der Erde zusammengepresst worden waren. Für Tommys Vater, einen Atheisten, war dies der Beweis, dass die Bibel unrecht hatte, während Billys Dah sich auf den Standpunkt stellte, dies sei nur eine von vielen möglichen Erklärungen.
Die Schule war um diese Zeit noch leer, der Hof verlassen. Billy war stolz, die Schule hinter sich zu haben, hegte jetzt aber den heimlichen Wunsch, dorthin zurückzukönnen, statt in die Grube einzufahren.
Je näher sie den Tagesanlagen kamen, desto mehr Bergleute waren auf der Straße. Jeder hatte seine Brotdose und seine Teeflasche dabei, und alle trugen die gleichen alten Anzüge, die ausgezogen wurden, sobald die Kumpel vor Ort waren. In manchen Bergwerken herrschte unter Tage bittere Kälte; Aberowen jedoch war eine warme Kohlenmine, und die Männer arbeiteten in Unterwäsche und Schuhen oder in den kurzen Hosen aus grobem Leinen, die sie »Bannickers« nannten. Jeder trug die ganze Zeit eine gepolsterte Kappe, weil die Decken niedrig waren und man sich am »Hangenden« leicht den Kopf stoßen konnte.
Über die Häuser hinweg sah Billy die Hängebank am oberen Schachtende und die beiden großen Räder am Förderturm, die sich in entgegengesetzte Richtungen drehten und die Seile bewegten, an denen der Korb in die Tiefe gesenkt oder heraufgezogen wurde. Was die Kirchtürme in den Bauerndörfern, waren die Fördertürme in den Bergbaugemeinden der südwalisischen Täler.
Andere Gebäude scharten sich um die Tagesöffnung, wie achtlos dorthin geworfen: die Schachtkaue mit Lampenraum und Grubendirektion, die Schmiede und die Magazine. Schienen schlängelten sich zwischen den Bauten. Auf dem Schrottplatz lagen zerbrochene Hölzer, aufgerissene Futtersäcke, ausrangierte Förderwagen und verrostete Maschinenteile, alles von einer Schicht aus Kohlenstaub bedeckt. Dah sagte immer, es würde weniger Unfälle geben, wenn die Bergleute mehr Ordnung hielten.
Billy und Tommy betraten die Grubendirektion. Im Vorzimmer saß Arthur Llewellyn, ein Schreiber, der kaum älter war als die beiden Jungen. Wegen seines Pickelgesichts wurde er »Spotty« genannt. Kragen und Manschetten seines weißen Hemds waren schmutzig. Billy und Tommy wurden bereits erwartet. Spotty trug ihre Namen in ein Buch ein, ehe er sie ins Büro des Direktors führte, wo er sie mit den Worten ankündigte: »Der junge Tommy Griffiths und der junge Billy Williams, Mr. Morgan.«
Maldwyn Morgan war ein großer Mann in einem schwarzen Anzug. Kein Kohlenstaub verunzierte seine Manschetten; keine Bartstoppeln störten die Glätte seiner rosigen Wangen. Sein Ingenieursdiplom hing gerahmt an der Wand, und seine schwarze Melone – ein weiteres Abzeichen seines Standes – lag auf dem Kleiderständer neben der Tür.
Zu Billys Überraschung war Morgan nicht allein. Neben ihm stand eine noch beeindruckendere Gestalt: Perceval Jones, Generaldirektor von Celtic Minerals, dem Bergbauunternehmen, dem die Zeche in Aberowen und andere Minen gehörten. Jones war ein kleiner, reizbarer Mann, den die Bergleute »Napoleon« nannten, wenn sie unter sich waren. Er trug Morgenkleidung, einen schwarzen Frack, einen hohen Zylinderhut von gleicher Farbe und gestreifte graue Hosen.
Generaldirektor Jones musterte die Jungen voller Abscheu. »Griffiths«, spie er hervor. »Dein Vater ist ein Sozialist und Revolutionär.«
»Jawohl, Mr. Jones«, sagte Tommy.
»Und Atheist noch dazu.«
»Jawohl, Mr. Jones.«
Jones wandte sich Billy zu. »Und dein Erzeuger ist Gewerkschaftsfunktionär bei der South Wales Miners’ Foundation.«
»Jawohl, Mr. Jones.«
»Sozialisten hasse ich. Atheisten droht die ewige Verdammnis. Und Gewerkschafter sind die Schlimmsten von allen!«
Er starrte die Jungen drohend an, hatte aber keine Frage gestellt, also sagte Billy nichts.
»Ich will hier keine Unruhestifter!«, polterte Jones. »Im Rhondda-Tal wurde dreiundvierzig Wochen gestreikt, weil Rabauken wie eure Väter die Arbeiter aufgewiegelt haben.«
Billy wusste, dass der Streik im Rhondda-Tal keineswegs von Unruhestiftern, sondern von den Besitzern der Grube Ely bei Penygraig verursacht worden war, die ihre Arbeiter ausgesperrt hatten. Doch er hielt den Mund.
»Seid ihr ebenfalls Unruhestifter?« Generaldirektor Jones zeigte mit einem knochigen Finger auf Billy, worauf dieser zu zittern begann. »Hat dein Vater dir gesagt, du sollst auf deine Rechte pochen, wenn du für mich arbeitest?«
Billy versuchte nachzudenken, auch wenn es ihm schwerfiel, weil Jones ihn so finster anstarrte. Dann fiel ihm ein Ratschlag ein, den Dah ihm gestern Abend erteilt hatte: »Bitte, Sir, er hat zu mir gesagt: ›Sei nicht frech zu den Bossen, das ist mein Job.‹«
In Billys Rücken kicherte Spotty Llewellyn.
Generaldirektor Jones fand die Bemerkung gar nicht komisch. »Unverschämter Bengel! Am liebsten würde ich dich davonjagen, aber dann streikt mir noch das ganze Tal.«
Auf den Gedanken wäre Billy nie gekommen. War er so wichtig? Nein, das wohl nicht. Aber vielleicht würden die Bergleute tatsächlich dafür streiken, dass die Kinder ihrer Vertreter keine Nachteile erlitten. Es war erstaunlich: Da währte sein Arbeitsleben noch keine fünf Minuten, und schon schützte ihn die Gewerkschaft.
»Raus mit den beiden«, sagte Jones.
Morgan nickte. »Schaffen Sie die Bengel raus, Llewellyn«, sagte er zu Spotty. »Rhys Price soll sich um sie kümmern.«
Billy stöhnte innerlich auf. Rhys Price war einer der unbeliebten Steiger. Vor einem Jahr hatte er ein Auge auf Ethel geworfen, doch sie hatte ihn genauso abblitzen lassen wie die Hälfte aller Junggesellen in Aberowen. Price allerdings hatte diese Abfuhr gar nicht gut aufgenommen.
Spotty machte eine Kopfbewegung. »Raus«, sagte er. »Wartet draußen auf Mr. Price.«
Billy und Tommy verließen das Gebäude und lehnten sich neben der Tür an die Wand. »Napoleon ist ein kapitalistischer Hundesohn«, schimpfte Tommy. »Ich würde ihn gern in den Arsch treten.«
»Ich auch«, sagte Billy, dem so etwas noch nie in den Sinn gekommen war.
Kurz darauf erschien Rhys Price. Wie alle Steiger trug er einen flachen runden Filzhut, den man »Billycock« nannte und der teurer war als eine Bergmannskappe, aber billiger als eine Melone. In den Taschen seiner Weste steckten ein Notizbuch und ein Bleistift; außerdem hatte er einen Messstab dabei. Auf seinen Wangen sprossen dunkle Bartstoppeln, und zwischen seinen Schneidezähnen klaffte eine Lücke. Billy wusste, dass dieser Mann hinterhältig und gerissen war.
»Guten Morgen, Mr. Price«, sagte er.
Price musterte ihn argwöhnisch. »Wie kommst du dazu, mir einen Guten Morgen zu wünschen, Billy Twice?«
»Mr. Morgan sagt, wir sollen mit Ihnen einfahren.«
»Ach ja? Sagt er das?« Price hatte die Gewohnheit, ständig Blicke nach links und rechts zu werfen, manchmal auch über die Schulter, als rechnete er ständig mit Ärger aus irgendeiner unerwarteten Richtung. »Na, das werden wir noch sehen.« Er blickte zum Seilscheibengerüst hinauf, als suchte er dort nach einer Erklärung. »Ich hab keine Zeit, Kindermädchen zu spielen.« Damit verschwand er im Direktionsgebäude.
»Hoffentlich nimmt uns jemand anders mit unter Tage«, sagte Billy. »Mr. Price hasst meine Familie, weil meine Schwester nicht mit ihm gehen wollte.«
»Deine Schwester glaubt, sie ist zu gut für die Männer von Aberowen«, erwiderte Tommy; offensichtlich wiederholte er etwas, das er anderswo gehört hatte.
»Ist sie ja auch«, entgegnete Billy unbeirrt.
Price kam aus dem Gebäude. »Los, hier lang«, sagte er und gab einen raschen Schritt vor.
Die Jungen folgten ihm in die Lampenstube. Der Lampenmann reichte Billy eine Sicherheitslampe aus funkelndem Messing, und Billy hakte sie sich an den Gürtel, so wie alle Bergleute. Er hatte in der Schule gelernt, wie wichtig die Grubenlampen waren: Zu den größten Gefahren unter Tage gehörte Methan, ein entzündliches Gas, das den Flözen entströmte. Die Kumpel nannten es »schlagendes Wetter«; es war die Ursache für die verheerenden Explosionen unter Tage. Besonders die walisischen Zechen waren wegen ihrer schlagenden Wetter gefürchtet. Die Sicherheitslampe war so konstruiert, dass das Grubengas sich nicht an der Flamme entzünden konnte. Stattdessen veränderte die Flamme ihre Gestalt, wenn sie mit Methan in Berührung kam: Sie wurde länger, sodass der Bergmann gewarnt war, denn schlagende Wetter waren geruchlos.
Wenn die Lampe erlosch, konnte der Kumpel sie nicht selbst wieder anzünden, zumal es streng verboten war, Streichhölzer mit unter Tage zu nehmen. Außerdem ließ die Lampe sich nur mit einem speziellen Werkzeug öffnen, sodass der Bergmann mit einer erloschenen Lampe zur Lampenkammer musste, die sich meist am Füllort beim Schacht befand. Das konnte einen Marsch von einer Meile und mehr bedeuten, aber das war es wert, wenn dadurch eine Schlagwetterexplosion verhindert werden konnte.
Nachdem die Kumpel sich ihre Lampen geholt hatten, standen sie zur Seilfahrt an. Neben der Warteschlange hing eine Anschlagtafel, an der Ankündigungen der Sportvereine, des Männerchors von Aberowen und der Freien Bibliothek hingen, in der ein Vortrag über Karl Marx’ Theorie des Historischen Materialismus gehalten werden sollte. Daneben hingen handgeschriebene Zettel der Hauer, auf denen es um verlorene persönliche Gegenstände und Ähnliches ging. Steiger brauchten nicht in der Schlange zu warten, und so drängte Price sich nach vorn, die beiden Jungen im Schlepptau.
Wie die meisten Zechen hatte Aberowen zwei Schächte. Ein Lüfter presste die Luft in den einen Schacht, während der zweite Schacht das »Wetter« – also die Luft und sämtliche Gase in der Grube – aus dem anderen heraussaugte. Oft trugen die Schächte eigenwillige Namen; in Aberowen hießen sie »Pyramus« und »Thisbe«. Als Price die Jungen zum Pyramus führte, wehte Billy die warme Luft entgegen, die aus der Grube hinaufgeblasen wurde.
Im Jahr zuvor war es Billy und Tommy gelungen, einen Blick in die unergründlichen Tiefen des Schachts zu werfen. Am Ostermontag, als niemand arbeitete, hatten sie sich am Wachmann vorbeigeschlichen, waren über die Brache zu den Tagesbauten geflitzt und über den Absperrzaun geklettert. Die Schachtöffnung war nicht vollständig von der Kaue abgedeckt, und so legten die Jungen sich auf den Bauch und spähten über den Rand der Grube in die Tiefe, starrten gebannt in das grauenhafte Loch. Billy drehte sich der Magen um. Die Schwärze erschien unendlich. Bei dem Gedanken, dass er irgendwann hier würde einfahren müssen, packte ihn eisiges Entsetzen. Er warf einen Stein in den Schacht; dann lauschte er den Geräuschen, als der Stein von der hölzernen Führung für den Korb und der Backsteinauskleidung des Schachts abprallte, während er in die Tiefe sauste. Es schien unendlich lange zu dauern, bis das leise, ferne Platschen zu vernehmen war, als der Stein in das Wasser des Grubensumpfs fiel.
Jetzt, mehr als ein Jahr später, sollte Billy den gleichen Weg nehmen wie der Stein. Bei diesem Gedanken wurde ihm mulmig, doch er durfte sich seine Angst nicht anmerken lassen. Sei ein Mann!, ermahnte er sich, auch wenn er sich ganz und gar nicht so fühlte. Doch sich zu blamieren wäre das Schlimmste gewesen. Das machte ihm noch mehr Angst als der Tod.
Nun konnte Billy das Schiebegatter sehen, das den Schacht verschloss. Darunter war gähnende Leere, denn der Korb war auf dem Weg nach oben. Auf der anderen Seite sah er die Fördermaschine, von der die großen Seilscheiben angetrieben wurden. Zischend schoss Dampf aus dem ratternden, schnaufenden Ungetüm; in den Laufrinnen ächzten die Stahlseile, und die Luft roch nach heißem Öl.
Begleitet von lautem Rasseln und Klirren erschien der leere Korb hinter dem Gatter. Der Einweiser, der den Korb beaufsichtigte, schob die Absperrung beiseite. Rhys Price stieg in den leeren Korb; die beiden Jungen folgten ihm. Dann stiegen noch dreizehn Bergleute zu, denn der Korb konnte sechzehn Mann befördern. Der Einweiser knallte das Gatter zu.
Nichts geschah. Billy fühlte sich mit einem Mal schrecklich verletzlich. Auch wenn der Korb an einem Stahlseil hing, war es nicht vollkommen sicher: Jeder wusste, dass 1902 das Förderseil von Tirpentwys gerissen war, worauf der Korb in den Grubensumpf stürzte. Acht Männer waren dabei unter dem Berg geblieben.
Billy nickte dem Schlepper neben sich zu, Harry »Suet« Hewitt, ein Junge mit einem Gesicht wie aus Pudding, nur drei Jahre älter als Billy, aber einen Fuß größer. Harry hatte es nie über die dritte Klasse – die Zehnjährigen – hinaus geschafft; er war so oft sitzen geblieben, bis er alt genug war, im Bergwerk anzufangen.
Eine Glocke klingelte zum Zeichen, dass der Anschläger am Schachtende sein Gatter geschlossen hatte. Der Einweiser zog einen Hebel, und eine andere Klingel war zu hören. Die Fördermaschine zischte laut; dann gab es einen heftigen Schlag.
Der Korb stürzte ins Leere.
Billy schrie entsetzt auf, als seine Füße sich vom Boden hoben.
Die Kumpel lachten grölend. Sie wussten, dass es Billys erste Grubenfahrt war, und hatten auf genau diese Reaktion gewartet. Zu spät bemerkte Billy, dass alle anderen sich an den Stangen des Korbs festhielten, doch es minderte seine Angst kein bisschen. Er biss die Zähne zusammen, um nicht weiterzuschreien, während es in rasender Fahrt in die Tiefe ging.
Endlich griff die Bremse, und die Geschwindigkeit des Falles verringerte sich. Billy kam sich mit einem Mal doppelt so schwer vor; seine Füße wurden auf den Boden des Korbs gepresst. Er klammerte sich an einer Stange fest und versuchte, sein Zittern zu unterdrücken, während Scham und Wut seine Furcht verdrängten. Er musste kräftig schlucken, um die Tränen zurückzuhalten, wobei er Suet ins grinsende Pfannkuchengesicht blickte. »Mach deine große Klappe zu, Hewitt, du Spatzenhirn!«, rief Billy, um den Höllenlärm zu übertönen.
Suets Miene schlug augenblicklich um. Er funkelte Billy wütend an, doch die anderen Männer lachten nur umso lauter. Billy bekam Gewissensbisse und beschloss, sich bei Jesus zu entschuldigen, weil er ein schlimmes Wort benutzt hatte. Aber wenigstens kam er sich nicht mehr ganz so erbärmlich vor.
Er schaute Tommy an, dessen Gesicht kreidebleich war. Hatte Tommy ebenfalls geschrien? Billy hatte Angst, ihn danach zu fragen; schließlich konnte die Antwort Nein lauten.
Dann endlich hielt der Korb, das Gatter wurde aufgerissen, und die beiden Jungen traten mit weichen Knien in den Füllort.
Es war düster. Die Grubenlampen spendeten noch weniger Licht als die Paraffinwandleuchten zu Hause. In der Grube war es finster wie in einer mondlosen Nacht. Vielleicht muss man nicht gut sehen können, um Kohle zu hauen, überlegte Billy und platschte durch eine Pfütze. Als er auf den Boden schaute, sah er überall Lachen aus Wasser und Schlamm, in denen sich schimmernd das schwache Lampenlicht spiegelte. Er hatte einen seltsamen Geschmack im Mund, denn in der Luft hing schwer der Kohlenstaub. Konnten Menschen den ganzen Tag so schlechte Luft atmen, ein so »mattes Wetter«? Wahrscheinlich war das der Grund dafür, dass Bergleute ständig husteten und ausspuckten.
Vier Männer warteten darauf, in den Korb steigen und ausfahren zu können. Jeder trug einen Lederkasten, und Billy begriff, dass es Wettermänner waren. Jeden Morgen, ehe die Bergleute mit der Arbeit anfingen, prüften die Wettermänner die Stollen auf Grubengas. War zu viel Methan in der Luft, befahlen sie den Hauern, mit dem Kohlemachen zu warten, bis die Bewetterung das Gas abgeführt hatte.
In der Nähe sah Billy eine Reihe kleiner Ställe für die Ponys und eine offene Tür zu einem hell erleuchteten Raum mit einem abgewetzten Sekretär, offenbar eine Schreibstube für die Steiger. Die Hauer verteilten sich inzwischen auf die vier Gänge, die von der Sohle wegführten. Die Gänge unter Tage nannte man »Strecken«; sie führten zu den »Örtern«, wo die Kohle gehauen wurde.
Price ging mit Billy und Tommy zu einem Verschlag und öffnete ein Vorhängeschloss. In dem Verschlag lagerte Werkzeug. Er wählte zwei Schaufeln aus, reichte sie den Jungen und schloss wieder ab.
Sie gingen zu den Ställen. Ein Mann, der nur kurze Hosen und Schuhe trug, schaufelte schmutziges Stroh aus einem der Ställe in einen Förderwagen. Schweiß rann ihm den muskelbepackten Rücken hinunter. Price fragte ihn: »Brauchst du einen Jungen, der dir zur Hand geht?«
Der Mann drehte sich um, und Billy erkannte Dai Ponies, einen Ältesten der Bethesda-Kapelle. Dai ließ sich nicht anmerken, ob er Billy erkannte. »Den Kleinen will ich nicht«, sagte er.
»In Ordnung«, sagte Price. »Der andere ist Tommy Griffiths. Er gehört dir.«
Tommy blickte zufrieden drein. Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen: Er durfte in den Ställen arbeiten, selbst wenn er nur ausmistete.
»Komm mit, Billy Twice.« Price stapfte in einen Stollen hinein.
Billy schulterte seine Schaufel und folgte dem Steiger. Jetzt, wo Tommy nicht mehr bei ihm war, wurde er unsicher. Wäre er doch zusammen mit seinem Freund zum Ausmisten eingeteilt worden! »Was soll ich denn tun, Mr. Price?«, fragte er.
»Kannst du’s dir nicht denken?«, entgegnete Price. »Was meinst du, wofür ich dir die verdammte Schaufel gegeben habe?«
Billy war entsetzt, wie beiläufig Price das schlimme Wort benutzte. Außerdem hatte er immer noch keine Ahnung, was er arbeiten sollte. Aber er stellte keine Fragen mehr.
Die Strecke hatte einen runden Querschnitt; das Hangende wurde von gebogenen Stahlträgern gestützt. Eine zweizöllige Rohrleitung, die Wasser führte, verlief unter der Decke. Sie diente dazu, die Strecke in der Nacht zu berieseln, um den Kohlenstaub zu binden, der nicht nur für die menschliche Lunge ungesund war – wäre es bloß das gewesen, hätte Celtic Minerals die Sache wohl gar nicht gekümmert –, sondern auch eine Brandgefahr darstellte. Allerdings war die Berieselung unzureichend. Dah hatte sechszöllige Rohre gefordert, doch Generaldirektor Jones hatte sich geweigert, das nötige Geld zu bewilligen.
Nach ungefähr einer Viertelmeile bogen sie in eine leicht abfallende Strecke ein. Es war eine Richtstrecke, die dem Flöz folgte. Sie war kleiner und älter als die Hauptstrecke, denn hier gab es Stützhölzer statt Stahlträger. Price musste den Kopf einziehen, wenn das Hangende zu tief kam. In Abständen von ungefähr dreißig Yards kamen sie an Eingängen zu Örtern vorbei, wo die Hauer bereits Kohle machten.
Plötzlich hörte Billy ein Rumpeln. Price rief: »Schnell, ins Mannloch!«
»Was?« Verwirrt ließ Billy den Blick über den Boden schweifen. Mannlöcher gab es im Straßenpflaster, aber hier sah er nichts außer den Schienen, auf denen die Förderwagen fuhren. Als er den Blick wieder hob, hielt ein Grubenpferd auf ihn zu. Es kam rasch die Steigung hinunter, einen Zug Hunte im Schlepp.
»Ins Mannloch!«, brüllte Price.
Noch immer begriff Billy nicht, was los war, doch er sah, dass der Stollen kaum breiter war als die Wagen, sodass der Zug ihn zerquetschen würde.
Billy ließ die Schaufel fallen, drehte sich um und rannte den Weg zurück, den er gekommen war. Er versuchte, Vorsprung vor dem Grubenpferd zu gewinnen, aber das Tier bewegte sich überraschend schnell. Endlich entdeckte Billy eine in die Wand gehauene deckenhohe Nische, wie er sie ungefähr alle fünfundzwanzig Yards gesehen hatte, ohne darauf zu achten. Price musste diese Nischen gemeint haben, als er von Mannlöchern gesprochen hatte. Billy warf sich hinein, und der Zug ratterte an ihm vorbei.
Als die Gefahr vorüber war, kam Billy schwer atmend wieder zum Vorschein.
Price stapfte auf ihn zu. Er gab sich wütend, doch die Erleichterung war ihm anzumerken. »Du musst besser aufpassen, Junge!«, schimpfte er. »Sonst kommst du hier unter den Berg, genau wie dein Bruder.«
Billy nickte bloß und hob die Schaufel auf. Sie war unbeschädigt.
»Dein Glück«, sagte Price. »Hätte der Hunt sie kaputt gemacht, hättest du sie bezahlen müssen.«
Sie gingen weiter und gelangten in einen »Alten Mann«, einen erschöpften Abschnitt, in dem niemand mehr arbeitete. Am Boden stand nur wenig Wasser, doch er war von einer dicken Schicht nassem, schwerem Kohlenschlamm bedeckt. Billy und der Steiger nahmen mehrere Abzweigungen, sodass Billy bald die Orientierung verlor.
Schließlich gelangten sie an eine Stelle, an der die Strecke von einem rostigen alten Förderwagen versperrt wurde. »Hier muss sauber gemacht werden«, sagte Price, aber Billy hatte das seltsame Gefühl, dass der Steiger log. »Du wirst den Schlamm in den Hunt schaufeln.«
Billy sah sich um. Die Schlammschicht war einen Fuß dick und bedeckte den Boden, so weit das Licht seiner Lampe reichte. Wahrscheinlich sah es im ganzen Alten Mann so aus. Hier konnte er eine Woche schaufeln, ohne viel auszurichten. Wozu auch? Der Abschnitt war aufgegeben. Doch Billy stellte keine Fragen. Vielleicht war es eine Art Prüfung.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Price. »Dann werde ich sehen, wie du vorankommst.« Er ging den Weg zurück, den sie gekommen waren. Billy war allein.
Mit einer solchen Aufgabe hatte er nicht gerechnet. Er war sicher gewesen, für die Hauer und Schlepper arbeiten zu müssen, damit er von ihnen lernen konnte. Aber er musste tun, was man ihm sagte.
Billy hakte die Lampe von seinem Gürtel und hielt nach einer Stelle Ausschau, wo er sie aufstellen konnte. Aber überall lag Kohlenschlamm, und auf dem Boden war die Lampe nutzlos; dann reichte ihr Licht nicht weit genug. Plötzlich fielen ihm die Nägel ein, die Dah ihm gegeben hatte. Dafür also waren sie gedacht. Billy nahm einen Nagel aus der Tasche, schlug ihn mit dem Schaufelblatt in ein Stützholz und hängte die Lampe daran.
Schon besser.
Einem erwachsenen Mann reichte der Förderwagen bis zur Brust, doch Billy reichte er bis zur Schulter. Als er sich an die Arbeit machte, rutschte immer wieder die Hälfte des Kohlenschlamms vom Schaufelblatt, ehe Billy ihn über die Seitenkante des Förderwagens werfen konnte. Erst als er das Blatt leicht drehte, ging es besser. Nach wenigen Minuten war er schweißgebadet. Jetzt wusste er, wofür der zweite Nagel gedacht war. Er trieb ihn in ein anderes Holz und hängte sein Hemd und die Hose daran auf.
Unvermittelt hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Und tatsächlich erblickte er aus dem Augenwinkel eine dunkle Gestalt, die reglos wie eine Statue dastand. »O Gott!«, rief er erschrocken und fuhr herum.
Price trat aus dem Schatten auf ihn zu. »Ich hab vergessen, deine Lampe zu prüfen«, sagte er, nahm Billys Grubenlampe vom Nagel und hantierte damit herum. »Deine Lampe taugt nichts«, sagte er. »Ich lass dir meine hier. Na los, mach weiter!« Er hängte die andere Lampe an den Nagel und verschwand wieder.
So schroff und seltsam Price auch war – immerhin schien er um Billys Sicherheit besorgt zu sein.
Billy machte sich wieder an die Arbeit. Es dauerte nicht lange, und seine Arme und Beine schmerzten. Zwar war er das Schaufeln gewöhnt, denn Dah hielt hinter dem Haus ein Schwein, und einmal die Woche musste Billy den Stall ausmisten, aber das war in einer Viertelstunde erledigt. Hier, unter Tage, sollte er eine volle Schicht lang schuften, und er war jetzt schon erschöpft.
Unter dem Kohlenschlamm war der Boden steinhart, was die Arbeit zusätzlich erschwerte. Billy versuchte, den Hunt ein Stück vorzuziehen, damit er nicht jedes Mal mit der vollen, schweren Schaufel dorthin laufen musste, doch die Räder waren rostig und hatten sich festgefressen.
Billy besaß keine Uhr, und es ließ sich nur schwer sagen, wie viel Zeit verstrichen war. Er beschloss, seine Kräfte einzuteilen, und arbeitete langsamer.
Plötzlich flackerte das Licht. Billy blickte besorgt auf seine Grubenlampe, ob die Flamme länger geworden war, was ein Anzeichen für Grubengas gewesen wäre. Zu seiner Erleichterung war das nicht der Fall.
Dann erlosch die Flamme.
Billy erstarrte. Eine solch undurchdringliche Finsternis hatte er noch nie erlebt. Er sah nichts – keine Schemen, keine Schatten. Er hielt sich die Schaufel vors Gesicht und konnte spüren, dass sie nur einen Zoll von seiner Nase entfernt war, aber sehen konnte er sie nicht. So musste es sein, wenn man blind war.
Furcht erfasste Billy. Was sollte er tun? Eigentlich musste er die Lampe zur Lampenkammer bringen, aber selbst wenn er etwas hätte sehen können – er hätte den Rückweg nie gefunden. In dieser Finsternis konnte er stundenlang umherirren. Er hatte keine Ahnung, wie weit die aufgegebene Strecke sich hinzog. Aber er wollte auch nicht, dass man einen Suchtrupp nach ihm ausschicken musste.
Was sollte er nur tun?
Mit einem Mal kam Billy ein Verdacht. Schon als Price ihm den Auftrag erteilt hatte, den Schlamm wegzuschaufeln, hatte er gemerkt, dass etwas faul war. Wahrscheinlich hatte Price die ganze Sache geplant. Eine Grubenlampe konnte nicht ausgeblasen werden, und hier regte sich ohnehin kein Lüftchen. Für Billy gab es nur eine Erklärung: Price hatte ihm eine Lampe untergeschoben, in der kaum noch Öl war.
Selbstmitleid überkam Billy. Tränen traten ihm in die Augen. Dann riss er sich zusammen. Das hier war eine Prüfung, genau wie die Fahrt im Korb. Na, er würde ihnen schon zeigen, dass er zäh genug für die Grube war!
Billy beschloss, im Dunkeln weiterzuarbeiten. Zum ersten Mal, seit das Licht erloschen war, bewegte er sich, setzte die Schaufel am Boden an und schob sie vor. Als er sie hob, glaubte er am Gewicht zu erkennen, dass eine Ladung Schlamm auf dem Blatt lag. Er drehte sich um, machte zwei Schritte, hob die Schaufel und versuchte, den Schlamm in den Förderwagen zu werfen, verschätzte sich aber in der Höhe. Die Schaufel prallte gegen den Förderwagen, und der Schlamm klatschte zu Boden.
Billy versuchte es noch einmal, hob die Schaufel diesmal höher, kippte das Blatt leicht, ließ die Schaufel sinken und hörte, wie der Holzstiel gegen die Kante des Förderwagens schlug. Schon besser. Um sich die Orientierung zu erleichtern, zählte Billy jedes Mal seine Schritte, wenn er sich vom Hunt entfernte. Bald fand Billy in einen Rhythmus. Die Eintönigkeit der Arbeit ließ seine Gedanken abschweifen. Schaudernd dachte er an die gewaltige Erdmasse über seinem Kopf, mehr als eine halbe Meile dick, und an das ungeheure Gewicht, das die alten Stützhölzer tragen mussten. Er dachte an seinen Bruder Wesley und die vielen anderen Männer, die in dieser Zeche unter den Berg gekommen waren. Ob ihre Geister hier unten umgingen? Nein, bestimmt nicht. Wesley war im Himmel, und die anderen vielleicht auch, jedenfalls die Frommen und Gottesfürchtigen.
Erst jetzt merkte Billy, dass er hungrig war. Indem er sich am Förderwagen orientierte, bewegte er sich zu dem Stützbalken, an dem er seine Kleider aufgehängt hatte, tastete darunter am Boden und fand seine Flasche und die Brotdose. Er setzte sich mit dem Rücken an die Wand und nahm einen großen Schluck kalten, gesüßten Tee. Als er von seinem Schmalzbrot abbiss, hörte er ein leises Fiepen, das ihm nur zu vertraut war.
Ratten.
Angst hatte Billy nicht. In den Gräben, die jede Straße in Aberowen säumten, gab es mehr als genug Ratten. Doch im Dunkeln schienen sie mutiger zu sein, denn im nächsten Moment huschte eine über Billys nackte Beine. Er nahm das Schmalzbrot in die linke Hand, packte die Schaufel und schlug zu. Aber damit erschreckte er das Tier nicht einmal, denn wieder spürte er die kleinen Krallen auf der Haut. Diesmal versuchten gleich mehrere Ratten, an seinen Armen hinaufzuhuschen. Offensichtlich rochen die Biester das Essen. Das Fiepen wurde lauter. Billy fragte sich, wie viele Ratten sich hier unten wohl herumtrieben.
Er stand auf, stopfte sich den letzten Rest Brot in den Mund, spülte mit einem Schluck Tee nach und aß den Kuchen, der köstlich nach Dörrobst und Mandeln schmeckte, doch die Ratten huschten noch immer um seine Füße herum, sodass Billy es vorzog, den Kuchen hinunterzuschlingen, ehe er ihm streitig gemacht werden konnte.
Die Ratten schienen endlich einzusehen, dass es hier nichts zu holen gab, denn das Fiepen wurde allmählich leiser und verstummte schließlich.
Mit frischer Kraft machte Billy sich wieder an die Arbeit. Doch der Rücken tat ihm weh, und seine Arme waren müde, sodass er langsamer machte und immer wieder Pausen einlegte. Wie spät mochte es sein? Vielleicht war schon Mittag. Und bei Schichtende würde bestimmt jemand kommen, um ihn zu holen, denn der Lampenmann zählte nach; deshalb wusste man immer, wenn ein Kumpel nicht zurückgekommen war.
Mit einem Mal kam Billy ein beängstigender Gedanke. Wollte Price ihn über Nacht hier unten allein lassen? Hatte er deshalb die Lampen vertauscht?
Nein, bestimmt nicht. Dah würde Wirbel machen. Und die Bosse hatten Angst vor ihm; das hatte Generaldirektor Jones mehr oder weniger zugegeben.
Als Billy wieder hungrig wurde, war er sicher, dass viele Stunden verstrichen sein mussten. Erneut beschlich ihn Angst, und diesmal gelang es ihm nicht, sie abzuschütteln. Es war vor allem die Dunkelheit, die ihm zu schaffen machte. Das Warten hätte er ertragen können, doch die undurchdringliche Schwärze wurde immer furchterregender. Billy hatte kein Gefühl mehr für die Richtung. Jedes Mal, wenn er sich vom Hunt entfernte, hatte er Angst, nicht mehr zurückzufinden. Er hatte alle Mühe, nicht loszuplärren wie ein kleines Kind.
Als die Verzweiflung beinahe übermächtig wurde, fiel ihm ein, was Mam zu ihm gesagt hatte: dass der Herr Jesus immer bei ihm sei, auch in der Grube. Mam hatte sicher recht: Jesus war überall, also war er auch hier unten in der Finsternis. Jesus war bei ihm und gab auf ihn acht.
Vor Dankbarkeit – vielleicht auch, um sich Mut zu machen – stimmte Billy ein Kirchenlied an. Zwar mochte er seine Stimme nicht, denn sie klang ihm noch zu hoch, aber hier konnte ihn niemand hören, und er sang aus vollem Hals. Als er alle Strophen gesungen hatte und das Angstgefühl sich wieder meldete, stellte er sich vor, dass Jesus auf der anderen Seite vom Förderwagen stand, einen Ausdruck von Milde und Mitgefühl im ernsten, bärtigen Gesicht, und sofort ging es ihm besser.
Billy kannte jede Menge Kirchenlieder. Seit er alt genug geworden war, um still zu sitzen, ging er jeden Sonntag dreimal in die Bethesda-Kapelle. Gesangbücher waren teuer, und nicht alle Gemeindemitglieder konnten lesen; deshalb lernten alle die Texte auswendig.
Und so sang Billy nun einen Choral nach dem anderen und schaufelte den Kohlenschlamm im Takt der Melodie. Die meisten Lieder endeten mit einem Schwung der Schaufel. Sobald die Angst, man könnte ihn vergessen haben, sich zurückmeldete, dachte Billy an die Gestalt im Umhang, die mild lächelnd in der Dunkelheit neben ihm stand.
Billy schätzte, dass eine Stunde vergangen war, als er zwölf Choräle gesungen hatte. Die Schicht musste jetzt doch zu Ende sein? Aber nichts tat sich, und mit wachsender Verzweiflung sang Billy die frommen Lieder noch einmal von vorn.