Die Jungfern vom Bischofsberg - Gerhart Hauptmann - E-Book

Die Jungfern vom Bischofsberg E-Book

Gerhart Hauptmann

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Beschreibung

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betreut Emilie, die Schwester des verstorbenen Kaufmanns Ruschewey, ihre vier Nichten. Sie hat große Pläne für ihre Pflegetöchter. Diese werden jäh durchkreuzt, als sich die Älteste der Mädchen in einen reisenden Schiffsarzt verliebt, der nach Südafrika fahren soll. Emilie will Agathe stattdessen mit ihrem Pflegesohn verheiraten. Zwischen Irrungen und Wirrungen machen sich die vier jungen Mädchen auf die Suche nach ihrem persönlichen Glück. -

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Gerhart Hauptmann

Die Jungfern vom Bischofsberg

Lustspiel

Saga

Die Jungfern vom Bischofsberg

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1921, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726956856

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

Dramatis personae

Sabine Ruschewey, vier Schwestern im Alter von 25, 22, 20 und 15 Adelheid Ruschewey, Jahren, Töchter des verstorbenen Kaufmanns Agathe Ruschewey, Bertold Ruschewey Ludowike RuscheweyGustav Ruschewey, Geschwister des Bertold Ruschewey; Gustav ist 68, Emilie Ruschewey Emilie 60 Jahre alt Oberlehrer Dr. Nast, Pflegesohn Tante Emiliens, 37 Jahre alt Frau Madelon von Großmama der Schwestern Ruschewey Heyder, Reinhold Kranz, Adelheids Bräutigam, Kaufmann, 27 Jahre alt Otto Kranz, sein Bruder, 17jährig, besucht die Kunstakademie in München Dr. Grünwald, Arzt, 34 Jahre alt Dr. Kozakiewicz, Bibliothekar, 36 Jahre alt, leidend Konsistorialrat Joël, 70 Jahre alt Ein VagabundEin Herr

Die vier Schwestern Ruschewey sind übereinstimmend gekleidet.

Die Zeit der Geschehnisse ist die zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts.

Erster Akt

Ein Gemach auf dem Bischofsberge, einem altertümlichen Landhause, in Weinbergen und Gärten an der Saale gelegen. Die Hinterwand zeigt in einer tiefen Nische der dicken Mauer ein breites Fenster mit Bleifassungen. Durch das Fenster, das offensteht, erblickt man Türme und Dächer einer alten Stadt am jenseitigen Talabhange. Es ist Naumburg. Die Nische enthält zu beiden Seiten altes Gestühl, auf stufenartiger Erhöhung aus demselben Sandstein, der den Fußboden bildet; dazwischen steht ein Spinnrad. Die Decke des Zimmers ist gewölbt. Aus ihrer Mitte herab hängt ein schöner Hängeleuchter aus Messing, mit Lichtern, über einem großen, runden und schweren Eichentisch. Mit einem schwarzen, goldgesäumten Samt bedeckt, trägt dieser Tisch einige alte silberne Gefäße und einen vergoldeten, gebuckelten Pokal. Die Wand links schmückt ein alter Kamin. Zu seinen beiden Seiten sehr alte, nachgedunkelte Bilder, Bischöfe im Ornat darstellend. Die Wand gegenüber zeigt einen mächtigen Renaissanceschrank. Kleine Rundpforten sind hinter dem Kamin und rechts vor dem Schrank.

Es ist gegen Mittag eines Tages Anfang Oktober.

Auf zwei hochlehnigen Stühlen einander gegenüber sitzen der alte Herr Ruschewey im ländlichen Hausanzug und ein fremder ältlicher Herr, der Hut, Regenschirm und Überzieher auf dem Schoße liegen hat. Ruschewey ist gebräunt, bärtig, frisch und jovial. Der Herr, von nicht sehr einnehmendem Äußeren, bebrillt und in Gummischuhen, hat den Typus des Stubengelehrten.

Ruschewey. Ja, ja! Erlauben Sie mir, daß ich mir mittlerweile meine Pfeife anstecke?

Der Herr. Oh, ich habe nichts zu erlauben, Herr Ruschewey. Ich bin nur gekommen in aller Bescheidenheit . . . ich wollte mich nur in aller Bescheidenheit nach dem Befinden der jungen Damen untertänigst erkundigen, denen, wie ich zu meinem Schmerze gelesen habe, das unerbittliche Fatum Mutter und Vater so früh entrissen hat. Geht es den jungen Damen einigermaßen zufriedenstellend, wenn ich fragen darf? Natürlich den Umständen angemessen?

Ruschewey. Jawohl, ja! Es geht meinen Nichten recht leidlich.

Der Herr. Ja, ja, es war ein recht schwerer Schlag. So schnell nacheinander Mutter und Vater. –

Ruschewey. Jawohl, ja! Das heißt: In welchem Blatt steht denn das? Meine arme Schwägerin, die ja allerdings wirklich zu gut für diese Erde gewesen ist, hat unser himmlischer Vater nämlich bereits vor fünfzehn Jahren zu sich genommen. Volle vierzehn Jahre hat Bruder Bertold sie überlebt. Ich fürchtete damals, er würde es nicht sechs Monate aushalten. Wo haben Sie eigentlich meinen Bruder kennengelernt?

Der Herr. Seltsamerweise in einem Antiquitätenladen zu Amsterdam. Ich kann mich noch recht genau erinnern. Es war in einer recht wenig für die Anknüpfung gesellschaftlicher Beziehungen geeigneten Gegend der Judenstadt. Aber Herr Ruschewey, wie er mir sagte, kam schon zum dritten Male, und zwar einer alten Geige wegen, die der jüdische Antiquar besaß.

Ruschewey(erhebt sich und öffnet den Schrank). Er hat sie bekommen, die alte Geige; hier ist sie, wenn es Sie interessiert. (Er nimmt einen geschlossenen Geigenkasten aus dem Schrank und stellt ihn auf den Tisch.) Aber das ist schon sehr lange her, daß Bertold diese Geige gekauft hat.

Der Herr. Im Kriegsjahre einundsiebzig war's. Ihr Herr Bruder war ein sehr lustiger Herr und brachte den Juden oft zum Lachen; doch einig wurden sie lange nicht.

Ruschewey. Ich weiß, es lag ihm sehr viel daran. Er hatte sich nämlich in den Kopf gesetzt, daß diese Geige dieselbe wäre, die vor sehr vielen Jahrzehnten einmal meinem seligen Vater gestohlen wurde. Unser seliger Vater war Organist, und zwar drüben am alten Naumburger Dome; der hatte wieder das Instrument irgendwo, wer weiß, in der Sakristei oder Glockenstube oder sonstigem Heiligtume für Motten, Schaben und Würmer im Dome, und zwar in einzelnen Stücken, gefunden. (Er hat den Kasten geöffnet, die Seidentücher behutsam vom Geigenkörper zurückgeschlagen.) Nur um's Himmels willen, daß Lux nicht kommt; sonst nimmt sie den Onkel bei den Ohren.

Der Herr. Gewiß gehört es der jungen Dame.

Ruschewey. Gewiß gehört's ihr, und zwar mit Recht: denn der andere Grund, weshalb er die Geige ankaufte, war, daß Lux als sechs- oder siebenjähriges kleines Ding immer ein Liedchen sang, das die Worte enthielt: »Eine kleine Geige möcht' ich haben.« Sie hat auch seitdem recht wacker den Bogen führen gelernt.

Der Herr. Das Fräulein Lux ist die wievielte?

Ruschewey. Das Nestküken. Übrigens flügge genug!

Der Herr. Darf ich mir nun die Frage erlauben, wenn es nicht unbescheiden ist: Wird man die Damen, und wäre es für einen noch so kurzen köstlichen Augenblick, zu Gesicht bekommen?

Ruschewey. Ich glaube nicht.

Der Herr. Auch nicht, wenn man in der Lage ist, ihnen dies und das aus Persönlichem von der Begegnung mit ihrem Herrn Vater zu berichten?

Ruschewey. Weiß der Deubel, die Mädels sind scheuer als Holztauben.

Der Herr. Ja, das hat man mir schon im Gasthause drüben in Naumburg gesagt, als ich mich nach der Besitzung erkundigte. Ich muß gestehen, es tut mir leid. – Ich hoffe, Sie nehmen es, wie es gemeint ist, wenn ich Ihnen mitteile – wir sind ja unter uns Männern, nicht? –, daß ich wohlsituiert, nicht ohne private Mittel, Junggeselle und überdies ordentlicher Professor für klassische Philologie in Dorpat bin. Sie nehmen es mir gewiß nicht übel?

Ruschewey. Alle Achtung! Wie käme ich denn dazu!

Der Herr. Alle Achtung. Besonders, wenn man alles, wie ich als Kind armer Leute, durch eisernen, rastlosen Fleiß sich mühsam errungen hat. Ja. – Also: – »Wenn Sie Professor sind« – richtig! sagte der arme Herr Ruschewey damals zu mir in Amsterdam, als wir so stillvergnügt miteinander die portugiesische Synagoge betrachteten –, »wenn Sie Professor sind, kommen Sie zu mir! Ich hab' eine hübsche Fasanerie«, setzte er noch mit Humor hinzu. »Sie wird Ihnen möglicherweise Spaß machen.« – Den Augenblick habe ich leider verpaßt; denn als ich Professor geworden war . . .

Ruschewey. Wenn es Ihnen recht ist, Herr Professor, so gehen wir jetzt in den Garten hinaus, und ich lasse Sie gleich durch das untere Pförtchen. Sie gehen doch oben beträchtlich um.

Der Herr. Ich bin Ihnen äußerst verbunden dafür. – Das heißt, ehe ich gehe, noch ein Wort. – Ich habe die weite Reise gemacht . . . ich bin auch nicht mehr der Allerjüngste . . . Würde es vollkommen nutzlos sein . . . wir sind unter uns, unter Ehrenmännern! . . . mir schwebte, ich sage es frei heraus, die ältere von den Damen vor: ich benötige jemand gesetzteren Alters! . . . würde es nun ganz nutzlos sein, wenn ich fernerhin Zeit und Mühe dransetzte . . .

Ruschewey. Vollkommen nutzlos, ganz unbedingt.

Man hört flüchtige Rufe und plötzlich frisches, glockenartiges Gelächter von Mädchenstimmen.

Der Herr(hat sich erhoben und eine Verbeugung gemacht). Verzeihen Sie gütigst, wenn ich gestört habe. – Es ist ein beschwerlicher Weg hierherauf.

Ruschewey. Auf runterzu geht es bedeutend leichter.

Er öffnet das Pförtchen, läßt den Herrn vorantreten und geht mit ihm ab.

Ludowike Ruschewey, ein schlankes fünfzehnjähriges Mädchen mit kleinem Kopf, kommt leichtfüßig durch die Tür neben dem Kamin. Als sie die Geige auf dem Tisch bemerkt, erschrickt sie und entrüstet sich dann.

Ludowike. Was bedeutet denn das? Wer hat denn, gelinde gesagt, die Kühnheit besessen und hat meine Violine herausgeholt? (Sie nimmt das Instrument heraus, betrachtet es und legt es zurück. Nun kommt durch die gleiche Tür wie sie Adelheid herein. Ludowike ruft ihr entgegen.) Hast du meine Geige in Händen gehabt?

Adelheid(die ein gereiftes und schönes Mädchen ist, mit ausdrucksvollem Gesicht und fast südlichem Temperament und Feuer, antwortet leichthin). Aber, Dummchen, wie kommst du darauf? Tritt übrigens mal hinter den Vorhang. Onkel lotst wieder mal einen hinaus. (Sie späht, hinter dem Vorhang versteckt, durchs Fenster.)

Ludowike(stellt sich sogleich neben die Schwester). O Gott, wie aus dem Beinhaus entsprungen! Ein Gesicht wie'n alter Schweinslederband!

Adelheid. Beinah wie'n Bruder von Ewald Nast; oder find'st du den hübscher?

Ludowike(sich schüttelnd). Brrr, Adelheid, bitte, verschone mich! (Sie begibt sich wieder an ihre Geige, schließt den Kasten und stellt ihn in den Schrank.)

Adelheid. Willst du nicht gleich etwas üben, mein Liebchen?

Ludowike(eine priesterlich segnende Gebärde flüchtig nachahmend.) Du auserwählete Jungfrau: nein!

Adelheid. Ja, mein liebes Kind, warum denn nicht? Du hast noch ein hübsches Weilchen zu warten.

Ludowike. Offen gesagt, eure Errungenschaften und Aussichten blenden mich eigentlich nicht; wie wirst du heißen? Nicht mal Frau von Kranz, bloß Frau Kranz wirst du heißen! Ruschewey klingt doch zehnmal so gut, und wir haben außerdem einen Stammbaum. Ganz hübsch sah zum Beispiel der Rittmeister aus, als die Leutnants neulich zu Pferde herauskamen! – Aber Agathe ist doch blind! die sieht doch die schönsten Beine nicht. Bleibt also ihr Pädagoge Ewald: eh ich den nähme, würde ich Nähterin.

Adelheid(drollig betroffen). Seh' einer bloß dies Küken an! – Ich werde dir nochmals Konfekt mitbringen.

Ludowike. Jetzt sage mal ehrlich, Adelheid: was soll ich eigentlich davon haben, daß du dich zum Beispiel nächstens verheiratest? Na ja; auf der Hochzeit werde ich tanzen! Aber nachher, gleich, da verliert man dich doch! Oder sieh mal Agathe an . . . früher war sie gesellig und heiter – seit sie verlobt ist, ist sie meistens verstört und menschenscheu.

Adelheid. Ist sie denn überhaupt verlobt?

Ludowike. Ja, würde denn Ewald sie sonst so martern? Das müßt ihr doch sehen, er martert sie doch! Er macht sie doch reinwegs krank und schwermütig. Was gehen mich denn eure Bräutigams an, wenn sie einem Geschwister abspenstig machen! Ihr tut einem einfach ganz schauderhaft leid: ihr tut ja doch keinen Atemzug, den sie euch nicht genehmigt haben! Und früher, da wart ihr frei wie der Wind.

Adelheid(knicksend). Au contraire! Erst jetzt ist man frei geworden.

Die Tür neben dem Schrank wird hinter dem Rücken der Mädchen vorsichtig geöffnet, und ein Mann mit zerlaufenen Schuhen, geflickten Sachen, Knotenstock und verwegenem Kalabreser tritt ein. Er hat eine grobe Ledertasche umgehängt. Sein ziegenbockartiges Gesicht ist mit Sommersprossen bedeckt, übrigens nicht uninteressant. Haupt- und Barthaar rötlich. Das Alter des Vagabunden kann etwa fünfunddreißig Jahre betragen.

Der Vagabund. Ich möchte mir eine Frage erlauben.

Adelheid(fährt erschrocken herum). Um Gottes willen! Was wollen Sie denn?

Ludowike ist nach der Klingelschnur gelaufen und hat sie heftig gezogen.

Der Vagabund. Bei Gott, meine Damen, ich will weiter nischt. Ich mechte mir bloß die Frage erlauben: Wo geht denn der Weg nach Merseburg?

Adelheid. Wie sind Sie denn hier hereingekommen?

Der Vagabund. Auf Ehre, das weiß ich alleene nich! Erschtlich bin ich durch Gestrippe gestiegen, dann bin ich durch einen Weinberg runtergekomm'n, dann auf einen breiten Gartenweg, dann in eine scheene Eintrittshalle, dann durch einen scheenen Speisesaal, dann über ein kleines Treppchen rauf, und nu mechte ich gerne in meine Heimat.

Adelheid und Ludowike blicken bald den seltsamen Eindringling, bald einander an und brechen schließlich in herzhaftes Lachen aus.

Ludowike. Wo ist Ihre Heimat eigentlich? Doch nicht etwa vielleicht unsere Speisekammer!

Der Vagabund. Nein. Usingen ist mein Heimatland.

Adelheid. Hast du den Namen schon jemals gehört, Lux?

Ludowike. Non, mon enfant.

Der Vagabund. Ce n'est rien que Silésie, mesdames.

Adelheid. Sie sprechen Französisch?

Der Vagabund. C'est ça. Ich bin ein Jahr lang in Algier gewesen: ich war nämlich Fremdenlegionär! Dann hab' ich mich aber kleene gemacht.

Ludowike(ruft durchs Fenster hinunter). Da ist Otto! Otto, komm doch mal rauf! Wir haben Besuch aus Algier bekommen.

Der Vagabund. Ich kann Ihn'n meine Papiere zeigen. Uff Parole d'honneur; ich beschwindle Ihn'n nich. (Er kramt in seiner Tasche herum, die er ohne Umstände auf den Tisch legt.)

Durch die Tür an der Kaminwand tritt der siebzehnjährige Otto Kranz, ein Bruder von Adelheids Bräutigam. Er trägt sich idealisch, mit Schnallenschuhen, fliegenden Krawattenenden und langem Haar.

Ludowike(übermütig). Erlauben die Herren, daß ich vorstelle: Herr Otto Kranz, sculpteur de talent de Munic, und . . .?

Der Vagabund. Ich bin ein geborener Klemt! (Nach gravitätischer Verbeugung.) Und nu darf ich vielleicht zur Sache kommen. Das ist doch hier nämlich ein altes Haus. Das hab' ich nämlich von weitem gesehen, wie das mit dem hohen Dache so hoch aus a Linden und aus a Kastanien und aus a Nußbäumen rausgucken tutt, daß das hier a alter Kasten sein muß. Und solche Geniste, die sein was für mich: von Beruf bin ich nämlich Kammerjäger.

Otto(ohne weiteres laut). Wie hat sich der Kerl denn hier eingeschlichen?

Der Vagabund. Kerl? I nee, weeß Kneppchen. Da irren Sie sich! Ich geh' Ihn'n meinem Gewerbe nach, wie ein Jagdhund, Sie, wie ein richtiger Finder. Und da find' ich ooch stets was und täusche mich nich.

Otto. Ihr Gewerbe dürfte das Schnorren sein! – Kommen Sie mit! – Ich werde ihn raussetzen.

Der Vagabund. Und Ratten und Mäuse hätten Se nich? Und Kreuzottern keene in Ihrem Weinberg? Und Schlüffel nich? Und o Schwaben nich? Kee Ungeziefer im ganzen Hause? O keene schwarzen Husaren, mesdames?

Otto. Es ist bloß ein Hund hier, der Schweizer heißt! Ein ziemlich bissiger Bernhardiner.

Der Vagabund. De Schweizer sein gude Suldaten. Jawohl! – Also nischt nich fer ungutt! C'est ça, mesdames. (Er geht, von Otto eskortiert; an der Tür wendet er sich nochmals und blinzelt pfiffig nach den vergoldeten Gefäßen hin, die den Tisch schmücken.) Scheene Goldschmiedearbeit hab'n Se da stehn! Da lacht einem alten Schnapphahn das Herze! (Gefolgt von Otto, ab.)

Adelheid(ironisch). Otto ist heut gar nicht bei Humor. Ich dachte, der Mensch müßte ihm doch Spaß machen.

Ludowike. Ich hab' ihn beim »Arbeiten« aufgestört. Er zeichnete oder schrieb Gedichte. – Macht dein Bräutigam denn auch Gedichte?

Adelheid(ironisch). Leider nein! Otto hält sich für das Genie der Familie!

Ludowike. Dann hätte ich doch Otto genommen.

Adelheid. Das Kind?

Ludowike, im Begriff davonzueilen, trifft in der Tür auf Otto und Sabine.

Sabine. Habt ihr gesehen? Der wollte mich! Wie steh' ich da: wieder ein neuer Antrag! Schon vier Anträge hat Onkelchen mir verpfuscht! Nächstens werd' ich ihm mal gründlich das Ohrläppchen kneipen! (Heiterkeit.) Wißt ihr nicht, wo Agathe ist? – Otto, hat sie dir nicht heut morgen gesessen?

Otto. Ja. Ich habe bis etwa vor einer halben Stunde unten im Winzerhaus modelliert; dann plötzlich, ich weiß nicht, kam der Briefträger, und da stand sie plötzlich auf und verschwand.