Die Känguru-Offenbarung - Marc-Uwe Kling - E-Book

Die Känguru-Offenbarung E-Book

Marc-Uwe Kling

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Beschreibung

Endlich: Es geht weiter! Nach dem Manifest folgt die Offenbarung! Hier kommt die fulminante Fortsetzung der Fortsetzung: Das Beuteltier und der Kleinkünstler auf der Jagd nach dem mysteriösen Pinguin. Haltet euch bereit: »Dies ist die Offenbarung des Kängurus, dem Asozialen Netzwerk zu zeigen, was in der Kürze geschehen soll; und sie wurde gesandt durch eine E-Mail zu seinem Knecht Marc-Uwe, der bezeugt hat das Wort des Kängurus und das Zeugnis vom Asozialen Netzwerk, was er gesehen hat. Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung, denn die Zeit ist nahe.« Halleluja.

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Seitenzahl: 296

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Über das Buch

An dieser Stelle werden meist die halbe Handlung und die besten Pointen eines Buches verraten – in dem verzweifelten Versuch, durch Buchhandlungen stöbernde Menschen dazu zu bringen, genau dieses Buch zu kaufen. Mit dieser guten alten Tradition brechend, sollen hier kurz einige ­Themen aufgeführt werden, die in dem vorliegenden Buch nicht behandelt werden: skandinavische Kriminalbeamte, Hitlers Auf­erstehung, Kirchenbau im Mittelalter, niedliche Tiere. Dieses Buch lehrt Sie nicht, wie Sie im Schlaf intelligenter, selbstbewusster und schlanker werden. Auch um Vampire, Hexen, Zwerge und Sado-Maso geht es nur am Rande. Dieses Buch dreht sich um einen Kleinkünstler und ein sprechendes Känguru. Hauptsächlich dreht es sich um das sprechende Känguru.

Über den Autor

Marc-Uwe Kling singt Lieder und erzählt Geschichten. Sein Geschäftsmodell ist es, kapitalismuskritische Bücher zu schreiben, die sich total gut verkaufen. Seine Känguru-Geschichten wurden 2010 mit dem Deutschen Radiopreis und 2013 mit dem Deutschen Hörbuchpreis ausgezeichnet.

Aktuelle Auftrittstermine und Neuigkeiten unter:www.marcuwekling.de

»Neues vom Känguru« als Podcast bei Radio Fritz:www.fritz.de/kaenguru

Von Marc-Uwe Kling sind in unserem Hause bereits erschienen:

Die Känguru-Chroniken (2009)Das Känguru-Manifest (2011)

Marc-Uwe Kling

Die Känguru‐ Offenbarung

Der Känguru-Chroniken dritter Teil

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-buchverlage.de

In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

ISBN 978-3-8437-0664-3

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2014

Dieses Buch ist ein Anti-Terror-Anschlag des Asozialen Netzwerks. Keine Tiere kamen beim Schreiben dieses ­Werkes zu Schaden.

Umschlaggestaltung: Roman Klein, www.romanklein.com

Titelabbildungen: Foto Marc-Uwe Kling: privat; kangaroo close up with tongue uut: iStock /© arjayphotography; penguin isolated with path: iStock/© rusm; thinking kangaroo: iStock/© MoMorad

Illustration des Louie-Cartoons: Astrid Henn

Gestaltung des Anhangs: Roman Klein

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzung wie etwa Vervielfältigung,

Verbreitung, Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich

verfolgt werden.

eBook: LVD GmbH, Berlin

»Albert Einstein hat mal gesagt,dass Gandhi gerne berichtete,dass Voltaire ihm mal erzählt habe,dass er die Idee mit den falsch zugeordneten Zitatentotal witzig fände.«

Oscar Wilde

WAS BISHER GESCHAH:

Mark Twain hat mal gesagt: »Tiere sind die besten Freunde. Sie stellen keine Fragen und kritisieren nicht.« Welch ein Unfug.

Müßiger Leser! Ohne Schwur magst du mir glauben, dass ich wünsche, dieses Buch, das Kind meiner Formulierungskunst, wäre das schönste, lustigste und verständigste, das man sich nur vorstellen kann. Ich habe aber unmöglich dem Gesetze der Natur zuwiderhandeln können, dass jedes Wesen sein Ähnliches hervorbringt. Was konnte also mein unfruchtbarer, ungebildeter Geist anderes niederschreiben als die Geschichte eines aufmüpfigen und vorlauten Kängurus, das wunderlich und voll seltsamer Geschäftsideen ist, die vorher noch niemand beigefallen sind.

Ich wollte dir diese Geschichte nackt und bloß überreichen, ohne den Schmuck eines Prologs, ohne die unzählige Schar der herkömmlichen Sonette, Epigramme und Empfehlungsgedichte, die man vor den Anfang der Bücher zu setzen pflegt, doch mein Lektor zwingt mich dazu.

Aber ich muss dir sagen, ob mir das Buch auszuarbeiten wohl einige Mühe kostete, ich doch die für die größte halte, diese Vorrede zu machen, die du jetzt liesest. Indem ich nun nachdenkend bin, das Papier vor mir, die Feder hinter dem Ohre, den Ellenbogen auf dem Tische und die Hand an der Wange, wohl sinnend, was ich sagen solle, tritt ein Känguru, das munter und verständig ist, herein, und wie es mich so schwermütig sieht, fragt es nach der Ursache; ich verhehlte sie ihm nicht, sondern sagte, wie ich auf den Prolog sönne, den ich zur Geschichte seiner Offenbarung machen wolle, und dass mich dies so anstrenge. Als das Känguru dies hörte, schlug es sich vor die Stirn, brach in das lauteste Gelächter aus und sagte:

»Erst jetzt komme ich aus meinem Irrtum, in dem ich so lange gelebt habe, seit ich Euch kenne, indem ich Euch nämlich nach all Euren Handlungen immer für einen vernünftigen und verständigen Menschen gehalten habe. Aber jetzt sehe ich, dass Ihr ebenso weit davon entfernt seid, wie es der Himmel von der Erde ist. Wie ist es möglich, dass so geringfügige Dinge, die so leicht zu machen sind, stark genug sein sollen, einen so reifen Geist, wie der Eurige ist, zu binden und zu verwirren, dem es ein Leichtes ist, durch weit größere Schwierigkeiten zu brechen? Ihr setzt Euch in Eurem Buche nichts weiter vor, als Euch über das Ansehen lustig zu machen, in dem bei der Welt und dem Haufen die Fantasy-Trilogien, die historischen Kriminalromane, die religiösen Schriften und die BWL-Lehrbücher stehen. So nehmt für Euren Prolog doch einfach die Vorrede aus Leben und Taten des scharfsin­nigen Edlen Don Quijote de la Mancha und tauscht ein paar Schlüsselwörter aus.«

In andächtigem Stillschweigen hörte ich dem Rat des Kängurus zu, und seine Gedanken waren mir so einleuchtend, dass ich sie, ohne mit ihm zu disputieren, billigte, ja mir selbst vornahm, aus ihnen diesen Prolog zu bilden.

Lebe wohl!

»Das mit den Selbstgesprächen«, sage ich, »das wird langsam wirklich bedenklich.«

»Ja«, sage ich. »Absolut.«

Ich schleppe meine Gitarre und meinen Rollkoffer die Treppen des U-Bahnhofes hoch. Es nieselt. Ein paar nasse Blätter wehen mir ins Gesicht. Eine Rolle meines Rollkoffers ist zu Beginn dieser Tour kaputtgegangen. Er humpelt.

»Es ist deprimierend«, sage ich.

»Ja«, sage ich.

An einer Straßenlaterne auf meinem Nachhauseweg hängt Jörg Dwigs, der Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Partei für Sicherheit und Verantwortung. Leider hängt er nicht selbst von der Laterne. Es ist nur ein Wahlplakat. Da­r­auf erhebt Dwigs streng den Zeigefinger. Direkt unter dem Plakat wurde eine Werbung für ein Kindertheater befestigt. Darauf steht in großen Lettern: »Der Kasper kommt!«

Ich gehe näher ran. Am unteren Rand der Kasper-Werbung steht: »Dies ist ein Anti-Terror-Anschlag des Asozialen Netzwerkes!« Ich nicke und blicke die Straße hinauf. Unter wirklich jedem Dwigs-Plakat steht: »Der Kasper kommt!«

»Schön«, murmle ich.

»Ja«, sage ich. »’ne runde Sache.«

»Du redest schon wieder mit mir«, sage ich.

»Ja. Ist mir auch aufgefallen«, sage ich.

Im Schaufenster der Buchhandlung Carl Conrad Curcuma suche ich nach meinem neuen Buch. Vergeblich. Ich hole ein Känguru-Manifest aus meinem Rollkoffer, betrete den Laden und lege das Buch heimlich ins Schaufenster. Ich hole ein weiteres ­Exemplar aus dem Koffer und gehe damit zur Kasse.

»Dieses Buch hier …«, spreche ich die Buchhändlerin an, »können Sie es empfehlen?«

»Na ja«, sagt die Frau und rückt ihre Brille zurecht. »Viel Schönes dabei.«

»Viel Schönes dabei?«, frage ich. »Was soll das denn ­heißen?«

»Streckenweise okay.«

»Streckenweise okay?«, frage ich. »Damit könnte man auch die Autobahnen in Mecklenburg-Vorpommern beschreiben.«

Sie zuckt mit den Schultern.

»Sie sind doch Verkäuferin hier«, sage ich. »Sie wollen doch, dass ich dieses Buch kaufe! Müssten Sie da nicht, wie soll ich sagen, enthusiastischer vorgehen?«

»Joa«, sagt sie und rückt ihre Brille zurecht. »Egal.«

»Hm«, sage ich. »Alle lassen sich immer so stressen von ihrer Arbeit, aber Sie nicht. Das finde ich gut.«

»Ehrlich gesagt, hat es mich nie groß interessiert, Bücher zu verkaufen«, sagt die Buchhändlerin. »Ich will lieber ­Bücher schreiben.«

»Das ist witzig«, sage ich. »Mich hat es nie groß interessiert, Bücher zu schreiben. Ich will lieber welche verkaufen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meinte kaufen. Ich will lieber welche kaufen.«

»Sie sind komisch«, sagt die Frau.

»Danke«, sage ich.

Ich kratze mich am Bart.

»Was an dem Buch hat Ihnen denn gefallen?«, frage ich.

»Also, das Känguru fand ich echt witzig«, sagt die Frau, »aber diese andere Figur …«

»Ja?«

»… dieser Kleingärtner …«

»Kleinkünstler!«

»Ja. Der hat irgendwie genervt.«

»Hm«, sage ich. »Das habe ich schon öfter gehört.«

»Diese angeblich so sympathischen Verlierertypen stehen mir echt bis hier.«

»Also Sie würden mir eher abraten?«

»Na ja«, sagt sie. »Ja. Das Känguru wird am Ende nämlich abgeschoben. Superdeprimierend.«

»Wem sagen Sie das?«, murmle ich traurig.

»Keine Ahnung«, sagt die Buchhändlerin. »Sollte ich Sie kennen?«

»Nein, nein. Natürlich nicht«, sage ich. »Ich sehe dem Mann auf dem Buch nur zufälligerweise ähnlich.«

Die Buchhändlerin blickt lange auf das Cover.

»Also, ich finde nicht, dass Sie dem Bild ähnlich sehen«, sagt sie. »Da schmeicheln Sie sich.«

»Die Känguru-Chroniken fand ich ja sehr gut«, sage ich. »Und trotzdem würden Sie mir Das Känguru-Manifest nicht empf…«

»Ehrlich gesagt, habe ich den zweiten Teil gar nicht gelesen«, sagt die Frau. »Meine Kollegin hatte mir das Ende verraten, da ist mir die Lust vergangen.«

»Ich hasse Leute, die einem das Ende verraten«, sage ich.

»Na ja«, sagt die Frau und rückt ihre Brille zurecht.

»Wussten Sie, dass Hitchcocks Psycho in Chile total ­gefloppt ist?«, frage ich. »Der Filmverleih dort hatte sich nämlich einen neuen Titel ausgedacht: El hombre, que era su madre.«

»Was bedeutet das?«

»Der Mann, der seine Mutter war«, sage ich. »Die Leute kamen aus dem Kino und sagten: ›Das war ja total vorhersehbar.‹«

»Nein.«

»Was nein?«

»Wusste ich nicht.«

»Hm«, sage ich. »Woher auch?«

»Das ist ja so, als wäre der deutsche Titel von diesem einen Film mit Bruce Willis und dem gruseligen Jungen: Der tote Kinderpsychologe.«

»Habe ich noch nicht gesehen«, sage ich. »Danke.«

»War eh nicht so toll.«

»Diese Begeisterungsfähigkeit«, sage ich. »Wo nehmen Sie die nur her?«

»Na ja«, sagt die Frau. »Auch ein dummer Titel wäre: Wie es dazu kam, dass sich Anna Karenina vor den Zug warf.«

»Bitte hören Sie auf damit«, sage ich.

»Tom Riddle, dessen Name nicht genannt werden darf«, sagt die Buchhändlerin.

»Ich hätte das Thema nicht ansprechen sollen.«

»Der Polizist, der ein Paket bekommt mit dem Kopf seiner Frau.«

»Das wäre wirklich ein sehr dummer Titel«, sage ich. »Übrigens hat mir Ronnie Fischer an meinem achten Geburtstag, einen Tag bevor Das Imperium schlägt zurück im Fernsehen lief, die Verwandtschaftsverhältnisse in Star Wars verraten. Er steht noch heute auf meiner Todesliste.«

»Wer steht noch auf Ihrer Todesliste?«, fragt die Frau.

»Niemand«, sage ich. »Aber Sie arbeiten sich ran.«

»Na ja«, sagt die Frau und rückt ihre Brille zurecht.

»›Naja‹, zusammengeschrieben, ist der wissenschaftli-che Name für eine Kobra«, sage ich. »Haben Sie das gewusst?«

»Nein.«

»Und eine Naja naja ist eine südasiatische Kobra, eine sogenannte Brillenschlange.«

»Wollen Sie mich beleidigen?«

»Nein, nein«, sage ich. »Höchstens unbewusst.«

»Wussten Sie, dass das Känguru wirklich hier um die Ecke gewohnt hat?«, fragt die Frau. »Es war früher öfter bei uns und hat nach alten Ausgaben der Marx-Engels-Werke ge­stöbert.«

»Ja«, sage ich. »Ich selber war ja auch schon öfter hier …«

»Ich kann mich beim besten Willen nicht an alle Kunden erinnern.«

»Natürlich nicht«, sage ich verlegen.

»Jeden Tag kommen hier Hunderte von Ihresgleichen, Gesichtslose, wenn ich so sagen darf … stehen eine Weile vor dem Klassiker-Regal herum und kaufen dann, wenn keiner hinkuckt, heimlich Shades of Grey. Und ich kann Ihnen ­sagen, ich habe einen weitaus besseren SM-Roman verfasst. Aber den wollte ja kein Verlag haben. Obwohl ich immerhin wusste, wovon ich schreibe.«

»Jeder Mensch ist ein Abgrund«, murmle ich. »Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht.«

»Wollen Sie das Buch nun kaufen? Oder sind Sie nur einer von diesen einsamen Großstadtspinnern, die niemanden zum Reden haben außer wehrlosen Einzelhandelsangestellten?«

Durch ein Kopfschütteln verneine ich die letzte Frage, kaufe das Buch und habe das Gefühl, ein sehr schlechtes ­Geschäft gemacht zu haben.

Ich verlasse den Laden und entdecke auf der anderen Straßenseite ein Graffito1. Genauer gesagt entdeckte ich ein korrigiertes Graffito. Mit Schwarz steht an der Wand: »Sei ungehorsam!« Mit Rot steht darunter: »Nein!«

1 Mein Lektor zwingt mich, Graffito zu schreiben, obwohl das scheiße aussieht und scheiße klingt, da es seiner Meinung nach der korrekte Singular ist. Er ließ sich nicht einmal durch den sehr treffenden Einwand erweichen, dass niemand ernsthaft sagen würde: »Entschuldige mal, aber du hast da ein Spaghetto am Kinn kleben«, selbst wenn das der korrekteste aller Singuli wäre. (Anm. des Chronisten)

Kurz darauf erreiche ich unser Haus. Müde quäle ich mich durch den Flur und das Treppenhaus. Mein kaputter Roll­koffer humpelt hinter mir die Stufen hoch. Ich fürchte, ich muss ihn bald erschießen.

Seufzend schließe ich die Tür auf.

»Ich bin wieder da«, rufe ich in die leere Wohnung hinein. Nach all der Zeit passiert mir das immer noch. Leise singe ich vor mich hin: »Ain’t no sunshine when it’s gone … and this house just ain’t no home … anytime it goes away.«

»Man muss eine Weile nachdenken, um zu erkennen, dass man unglücklich ist, doch es lohnt sich.«

Sigmund Freud

»Ich fühle mich so einsam«, sage ich.

»Aha«, sagt mein Psychiater. »Ich habe das Gefühl, dass Sie sich gerade sehr einsam fühlen.«

»Wahnsinn …«

»Viele Patienten sind erstaunt über mein Einfühlungsvermögen, aber dafür habe ich ja auch jahrelang studiert.«

»Nun, jedenfalls bin ich auch wirklich einsam.«

»Aha«, sagt mein Psychiater. »Haben Sie es schon mal mit Alkohol versucht?«

»Wie bitte?«

»Kleiner Scherz.«

»Das ist nicht witzig«, sage ich. »Ich bin so einsam, ich führe schon Selbstgespräche.«

»Wie bitte?«, fragt mein Psychiater.

»Er sagte, er führe Selbstgespräche«, sagt mein Psychiater.

»Aha«, sagt mein Psychiater.

Ich blicke irritiert.

»Wieder nur ein Scherz«, sagt mein Psychiater. »Wenn man lacht, ist alles halb so schlimm. Die Euphorie des spontanen Lachens ist ein momentaner Widerschein unseres vergangenen Kinderglücks.«

»Was auch immer.«

»Nun gut. Sie sind also einsam …«

»Ja«, sage ich. »Das Känguru ist weg.«

»Aha. Gut. Sehr gut.«

»Wieso gut? Was soll denn daran gut sein?«

»Nun, es freut mich, dass Sie geheilt sind.«

»Ich habe mir das Känguru nicht nur eingebildet! Fangen Sie nicht wieder damit an.«

»Ich nenne Ihnen jetzt spontan drei Wörter«, sagt mein Psychiater. »Bitte merken Sie sich diese Wörter. Ich werde sie am Ende der Sitzung nach diesen drei Wörtern fragen.«

»Was soll das?«

»Keine Sorge. Nur ein Standardtest.«

»Schön und gut«, sage ich. »Aber ein Standardtest für was?«

»Also, hier die drei Wörter: Äh … Suppe, … äh … Salat, … äh … äh … Schnitzel.«

»Haben Sie Hunger?«, frage ich.

»Ich darf nicht mit Patienten ausgehen«, sagt mein Psych­i­ater. »Aber das Angebot schmeichelt.«

»Ich wollte Sie nicht …«

»Keine Sorge. Ich fühle mich nicht belästigt. Ich verstehe das. Sie sagten ja, dass Sie einsam sind.«

»Aber ich wollte wirklich nicht …«

»Das ist kein Grund, sich zu schämen. Ich fühle mich auch oft einsam.«

Ich seufze und setze mich auf. Mein Psychiater blickt mir direkt in die Augen.

»Wissen Sie, vielen Patienten fehlt etwas in der ersten Zeit, nachdem sie ihre Wahnvorstellungen überwunden haben«, sagt er.

»Meine Wahnvorstellungen habe ich immer noch«, sage ich. »Immer wenn ich mich irgendwo sehr unbehaglich ­fühle, glaube ich plötzlich, meine Mutter schleiche sich von hinten an mich ran.«

Ich werfe einen schnellen Blick über meine Schulter.

»Ach. Das ist ja interessant. Ihre Mutter …«

»Das war nur ein Scherz«, sage ich.

»Aha.«

»Ich habe kein Problem mit meiner Mutter.«

»Erzählen Sie doch mal von ihr.«

»Nein«, sage ich. »Ich bezahle Sie hier, damit ich Ihnen vom Känguru erzählen kann, was irgendwie absurd ist, denn normalerweise bezahlen die Leute mich, damit ich ihnen ­etwas vom Känguru erzähle.«

»Aha. Und dieses Känguru …«

»Sie kennen das Känguru!«, sage ich genervt. »Ich hatte es doch mal mitgebracht!«

»Nein, nein«, sagt mein Psychiater merkwürdig lächelnd. »Daran würde ich mich wohl erinnern.«

Kurz zuckt sein linker Mundwinkel, und seine Augenlider flackern.

»Ihre Augen …«, sage ich.

»Ja, Sie haben auch sehr schöne Augen«, sagt er. »Aber bitte hören Sie auf, mich in Versuchung zu führen. Ich darf nicht.«

Ich seufze kopfschüttelnd.

»Aber was glauben Sie, warum haben Sie das Känguru nicht mehr in Ihrem Kopf?«, fragt mein Psychiater.

»Es wurde abgeschoben«, sage ich traurig. »Es glaubt – aus mir nicht ganz verständlichen Gründen –, unser Nachbar, der Pinguin, stecke irgendwie dahinter. Es glaubt, der Pinguin sei sein Antagonist, sein kosmischer Widersacher, sein Erzfeind …«

»Aha. Der Pinguin … Vielleicht war ich etwas voreilig mit dem Wort ›geheilt‹. Sagen wir, es geht Ihnen besser …«

»Der Messias wollte dem Känguru zwar zur Flucht verhelfen, aber stattdessen ist er spurlos verschwunden …«

Mein Psychiater streicht wild in seinen Notizen herum.

»Aha. Sagen wir, es geht Ihnen etwas schlechter. Der Messias?«

»Ach so«, sage ich. »Ich war ja schon eine Weile nicht mehr bei Ihnen … Das Känguru hat in der Zwischenzeit eine Anti-Terror-Organisation gegründet, die Anti-Terror-Anschläge begeht. Gegen den Terror des Ministeriums für Produktivität, der Initiative für mehr Arbeit und der Radio NRJ Morning Show und so. Wir nennen uns Das Asoziale Netzwerk. Es gibt keine Hierarchien, und jedes Mitglied darf sich selbst einen – natürlich bedeutungslosen – Rang oder Titel aussuchen. Und der Messias nennt sich halt Messias. Er ist Polizist.«

»Nun gut. Sagen wir, Ihr Zustand hat sich massiv verschlechtert.«

»Jedenfalls habe ich seit der Abschiebung nichts mehr vom Känguru gehört, und jetzt weiß ich nicht, ob ich mir Sorgen machen soll, dass ihm etwas zugestoßen ist, oder ob ich ­sauer sein soll, weil es nur irgendwo hockt, World-of-Warcraft spielt und sich nicht meldet, weil es einfach nicht an mich denkt.«

»Ich muss gestehen, ich war ja kurz nach Ihren letzten ­Besuchen selber längere Zeit in Behandlung …«

»Gut so«, sage ich. »Als Sie das Känguru gesehen haben, sind Sie auf den Möbeln umhergesprungen und haben getschilpt wie ein Vogel.«

Wieder zuckt sein linker Mundwinkel, und seine Augen­lider flackern.

»… und wissen Sie, was mir geholfen hat? Nicht daran denken. Verdrängen. Eine ganz tolle neue Therapiemethode aus den USA.«

»Aber Sie haben mir doch früher immer gesagt, man müsse Probleme aufarbeiten. Einmal haben Sie mir sogar von Ihrer Kindheit erzählt! Eine ganze Sitzung lang haben Sie von ­Ihren Papageien berichtet, die Sie über alles geliebt haben. Und von dem Tag, an dem Ihre gestörte Mutter die Papageien vergiftete und Sie und Ihren kleinen Bruder gezwungen hat, mit diesen toten Vögeln den Dead-Parrot-Sketch von Monty Python nachzuspielen …«

»Ich hatte keine Mutter«, sagt er merkwürdig lächelnd.

»Wie bitte?«, frage ich.

Sein linker Mundwinkel zuckt, und seine Augenlider flackern.

»Ich bin ein Waisenkind«, sagt er, immer noch lächelnd.

»Wie?«

»Verstehen Sie nicht?«, fragt er. »In meiner Erinnerung mach ich mir die Welt, widdewiddewie sie mir gefällt. Jeder Mensch macht das, die meisten leider nur unbewusst. Mit professioneller Hilfe aber kann Ihre Kindheit zu einer Astrid-Lindgren-Geschichte werden. Immer wenn bei mir sehr unangenehme Erinnerungen hochkommen, singe ich zum Beispiel ganz laut Titellieder von Kinderserien. Das lenkt mich ab.«

»Titellieder von Kinderserien?«, frage ich verwundert.

Im schönsten Tenor beginnt mein Psychiater zu singen: »Mila kann fliegen wie die Schwalben über Fujiyama. Mila kann siegen. Irgendwann ist sie ein Superstar. Immer, immer am …«

»Das lenkt ja sogar mich ab«, sage ich irritiert.

»Haben Sie denn Ihre Gedanken unter Kontrolle?«, fragt mein Psychiater. »An was denken Sie jetzt zum Beispiel?«

»Äh …«, sage ich. »Suppe, Salat, Schnitzel.«

»Ha! Genau, was ich gerade gedacht habe«, ruft er. ­»Haben Sie auch so Hunger?«

»Das ist nett, dass Sie mich einladen«, sage ich.

»Ich denke, wir sollten die Sitzung an dieser Stelle unterbrechen«, sagt er. »Nächstes Mal reden wir dann über Ihre Gefühle für mich.«

An der Ampel vor der Praxis hängt ein Zettel. Darauf steht über einer Telefonnummer: »Hätte gerne ein WG-Zimmer in Kreuzberg!«

Ich stehe eine Weile davor.

»Nein«, sage ich schließlich. »Es kommt bestimmt wieder zurück.«

»Selbstgespräche«, murmelt ein alter Mann, der neben mir an der Ampel wartet. »So fängt es an.«

»So fängt was an?«, frage ich missmutig.

Die Ampel springt auf Grün. Ohne mir zu antworten, überquert der alte Mann die Straße. In seiner Hand hält er eine Leine, an der kein Hund mehr hängt.

»In diesem Fall ziehen Sie eine Maske schnell zu sich heran und platzieren diese fest auf Mund und Nase. ­Danach helfen Sie Kindern und hilfsbedürftigen ­Personen.«

Batman zu Robin

Ding Dong. Es klingelt. Ich laufe schnell zur Tür, öffne – und stehe einem Pinguin gegenüber.

»Oh!«, sage ich. »Sie … äh … der Pinguin … äh, ich ­meine … hallo, Herr Nachbar. Was kann ich für Sie tun?«

Der Pinguin deutet mit seiner Flosse auf das Paket, das neben der Tür liegt.

»Wollen Sie Ihr Paket abholen?«, frage ich.

Der Pinguin blickt mir in die Augen und blinzelt.

»Jemand hat mir mal gesagt, ich stelle gerne unnötige ­Fragen«, sage ich freundlich lächelnd.

Der Pinguin deutet noch einmal mit Nachdruck auf das Paket.

Ich reiche es ihm. Es ist von Teewurstversand24.de.

»Äh … möchten Sie vielleicht mal reinkommen?«, frage ich. »Ich weiß, wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten, aber wir sind doch alle Mensch… oder nun ja, jedenfalls dachte ich, wenn Sie mal jemanden zum Quatschen brauchen …«

Wortlos watschelt der Pinguin an mir vorbei in meine Wohnung. Als ich das Wohnzimmer betrete, hat er sich schon irgendwie auf meinen Drehsessel gehievt und lässt ­seinen Blick umherschweifen. Ich setze mich auf die Couch. Der Pinguin blickt mich schweigend an.

»Tja, nun«, sage ich freundlich. »Da simmer.«

Der Pinguin sagt nichts.

»Kann ich Ihnen etwas anbieten?«, frage ich. »Haben Sie Hunger?«

Der Pinguin schüttelt den Kopf.

»Vielleicht ein Eis?«, frage ich.

Er schüttelt den Kopf.

Wir schweigen eine kleine Weile.

»Also, ich meine natürlich ein Speiseeis«, sage ich. »Also, ganz normal«, ich räuspere mich, »also nicht, dass Sie jetzt denken, ich habe Ihnen nur Eis angeboten, weil Sie ein ­Pinguin sind.«

Der Pinguin blinzelt.

»Also. Ich meine … meinte … keine Eisscholle oder so. Speiseeis meinte ich. Ganz normal. Cookies & Cream.«

Der Pinguin schüttelt den Kopf.

»Laktoseintoleranz?«, frage ich.

Er nickt.

»Das ist genetisch bedingt, hab ich mal gelesen«, sage ich. »Am besten vertragen es die Nordeuropäer, und Sie sind ja nun so gar nicht von da … also nicht, dass ich irgendwie Ihre Herkunft … hui … jetzt begebe ich mich auf ganz dünnes Eis … für Sie wäre das ja kein Problem … Sie können ja bestimmt gut schwimmen … aber nicht fliegen … das ist doch komisch … Sie sind ein Vogel, können aber nicht … das muss doch komisch … ich sollte aufhören, jeden Gedanken auszusprechen …«

Der Pinguin blinzelt.

Wir schweigen eine lange Weile.

»Fischstäbchen?«, frage ich.

Er schüttelt den Kopf.

»Das habe ich auch nicht vorgeschlagen, weil Sie … Ich meine, ist ja eh kein Fisch drin. Ist alles Hähnchen.«

Schweigen.

»Mir fällt auf, dass ich auch eh keine Fischstäbchen da­gehabt hätte«, sage ich gezwungen lächelnd, »weil, ich ess’ ja kein’ Fisch … also nicht, dass ich finde, dass Leute, die Fisch essen, also, dass das schlimm ist, oder so … ich mein, höchstens wegen der Umwelt, also, die Fischindustrie ist ja fast noch schlimmer als die Fleisch… also … haben Sie dieses Buch gelesen? Tiere essen?«

Der Pinguin schüttelt den Kopf.

Eine streunende weiße Perserkatze hüpft durchs offene Fenster und läuft einmal quer durchs Zimmer. Schweigend blicken wir ihr hinterher.

»Haben Sie schon den Film mit dem niedlichen gemäßigt-sozialdemokratischen Koalabären gesehen?«, frage ich.

Der Pinguin schüttelt den Kopf.

»Irgendwie mag ich Filme mit witzigen Tieren«, sage ich. »Ich mochte auch den Film mit den tanzenden Ping… äh …, aber das ist vielleicht Geschmackssache.«

Schweigen.

»Fanden Sie den letzten Batman-Film auch so enttäuschend?«, frage ich. »Haben Sie den schon gesehen?«

Der Pinguin schüttelt den Kopf. Er schwingt herum und dreht mir die Rückenlehne des Sessels zu.

»Ich finde, Christopher Nolan, der Regisseur, hat einfach einen ganz entscheidenden dramaturgischen Fehler gemacht«, sage ich. »Man muss sich doch den stärksten Bösewicht für den dritten Teil aufheben!«

Der Pinguin dreht den Sessel zurück. Auf seinem Schoß sitzt die weiße Perserkatze. Er streicht mit seiner rechten Flosse über ihren Rücken.

»Wenn man schon im zweiten Teil den Joker bringt, hat man für den dritten eben nur noch Bane. Irgendbane. Verstehen Sie, was ich meine?«

Der Pinguin schüttelt den Kopf.

»Dabei hätte es im Batman-Kosmos schon noch bessere Antagonisten gegeben«, sage ich. »Zum Beispiel den … äh … den …«

Der Pinguin blinzelt.

»… den Riddler«, sage ich.

Die Katze hüpft vom Schoß des Pinguins.

»Sie mögen bestimmt auch lieber die alten Batman-Filme mit … äh … Danny deVito?«

Der Pinguin schweigt.

»Kucken Sie gerne Filme?«, frage ich.

Der Pinguin schüttelt den Kopf.

»Verstehe«, sage ich nickend. »Dann haben wir wohl ein bisschen aneinander vorbeigeredet. Also, ich hab an Ihnen vorbeigeredet … Sie haben ja nicht so viel …«

Der Pinguin schweigt.

»Man weiß immer, dass man jemand ganz Besonderen ­gefunden hat«, sage ich, »wenn man einfach mal für ’nen Augenblick die Schnauze halten und zusammen schweigen kann.«

Der Pinguin blickt irritiert.

»Das … das war ein Zitat«, sage ich. »Aus Pulp Fiction …, auch ein … ein Film …«

»Das war aber ein sehr langes Selbstgespräch«, sage ich, nachdem der Pinguin endlich gegangen ist.

»Ja«, sage ich.

»Die letzte halbe Stunde hat sich echt länger gezogen als die Abschiedsszenen am Ende des dritten Herr-der-Ringe-Films«, sage ich.

»Im Extended Unedited Director’s Cut«, sage ich.

Ich lache.

»Unedited ist witzig«, sage ich.

»Na ja«, sage ich.

Dann seufze ich und mache Nirvana an. Ich backe mir Eierkuchen und werfe mich danach mit dem Kopf nach unten auf die Couch. Nach einiger Zeit schalte ich das neue sündhaft teure Heimkinosystem von Déjà-vu-Electronics an, welches ich mir gegen die Einsamkeit gekauft habe. Ich habe einen Digitalsender abonniert, der rund um die Uhr nur Bud- Spencer-und-Terence-Hill-Filme zeigt. Gerade läuft Nobody ist der Größte.

»Ach«, sage ich. »Filme, in denen nur Terence Hill mitspielt, sollten verboten werden.«

Ich schalte den Projektor wieder aus, lege mir den Eier­kuchen aufs Gesicht und fange an, ihn einzusaugen.

Unsere Telefone klingeln. Freudlos schlucke ich die letzten Reste des Eierkuchens hinunter und schlurfe zum alten Wählscheibentelefon. Ich schlage mit meiner linken Hand auf den Sprechmuschelteil des Telefonhörers, woraufhin dieser von der Gabel in die Luft schnellt, und am höchsten Punkt fische ich mit meiner rechten Hand den Hörer wieder aus der Luft. Völlig verblüfft stehe ich da.

»Es hat geklappt!«, rufe ich. »Es hat geklappt!«

»FÜR FRIEDEN UND SOZIALISMUS: SEI BEREIT!«, sagt eine sehr tiefe, elektronisch verstellte Stimme und legt auf.

»Hm«, brumme ich und kratze mich am Kopf.

Ich nehme das andere Telefon, das schnurlose, und rufe die angezeigte Nummer zurück.

Klick.

»ÄH … JA?«, fragt die elektronisch verstellte Stimme.

»Bist du das?«, frage ich.

Eine lange Pause.

»NEIN.«

»Beuteltier?«

»NEIN.«

»Was soll das heißen: ›Sei bereit‹?«, frage ich. »Wofür denn?«

»UNSICHERE LEITUNG.«

»Soll ich Schnapspralinen kaufen?«

»ICH LEGE JETZT AUF.«

»Ist das ein Ja?«

Eine lange Pause.

»JA.«

Klick.

Ding Dong. Es klingelt. Ich gehe zur Tür, öffne und – da ist niemand … Ich blinzle, kucke hinter mich, schaue die Treppe runter, dann die Treppe rauf. Kucke geradeaus. Niemand zu sehen. Es ist Nacht. Es ist dunkel. Ich drücke auf den Lichtschalter. Nichts passiert. Entweder ist das Licht kaputt oder jemand hat eine Energiesparlampe eingeschraubt. Ich gehe ein Stück den Flur hinunter und spähe ins Treppenhaus. Nichts. Nur ein vier Tage alter Müllbeutel und das mir allzu vertraute unangenehme Bassgewummer aus einer Wohnung über uns. Kurz überlege ich, ob ich mich wegen des Lärmes beschweren soll, dann denke ich, dass das bestimmt bald der Pinguin macht.

»Hm …«, brumme ich und gehe wieder zurück. Als ich das dunkle Wohnzimmer betrete, brüllt jemand mit schriller Stimme: »NICHT ERSCHRECKEN!«

Ich erschrecke mich total. Die Stehlampe neben dem Drehsessel wird angeknipst. Im Sessel sitzt das Känguru.

Das Beuteltier hat es sich mit dem Kopf nach unten bequem gemacht, kichert und wirft sich eine Schnapspraline ein.

»Das ist ja ’ne Überraschung!«, rufe ich.

»Meine Mutti hat immer gesagt: ›Das Leben ist wie eine Schachtel Schnapspralinen!‹«, sagt das Känguru gut gelaunt.

»Alles sieht lecker aus, schmeckt aber furchtbar?«, frage ich. »Oder was wollte sie damit sagen?«

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was sie damit sagen wollte. Vermutlich hat meine Mutti meistens einfach nur Quatsch erzählt.«

»Die Vermutung hatte ich auch schon.«

»Sie hat mir aber auch wirklich gute Ratschläge gegeben, die ich immer noch beherzige.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel: Kind, was immer du mit deinem Leben anfängst, iss niemals gelben Schnee.«

Über uns drehen die Nachbarn ihre Anlage noch lauter auf. Der Bass lässt die Decke so stark vibrieren, dass die Farbschicht Risse bekommt.

»Ich werde eine neue politische Bewegung gründen, die sich gegen Privatbesitz von Subwoofern richtet«, sage ich. »Ich wünschte, es würde sich endlich mal jemand oben beschweren.«

Das Känguru geht zur Musikanlage, macht Nirvana an, dreht die Lautstärke auf und sagt: »Ich schicke mal den Kurt los, sich zu beschweren.«

Ich setze mich auf den frei gewordenen Sessel.

»Biste gar nicht überrascht, dass ich wieder da bin?«, ruft das Känguru und boxt mich freundschaftlich.

»Doch, doch. Das wollte ich mit dem Satz ›Das ist ja ’ne Überraschung!‹ zu verstehen geben«, sage ich. »Das war ­natürlich etwas missverständlich ausgedrückt.«

»Freuste dich gar nicht? Warum bist du denn so knatschig?«

»Ich bin nicht knatschig! Ich freue mich!«, sage ich. »Ich bin nur gerade emotional überfordert.«

Ich blase Luft in meine linke Backe und lasse sie wieder rausplatzen.

»Was soll eigentlich die Aufmachung?«, frage ich. Das Känguru trägt ein rotes Hawaiihemd mit lila Papageien und einen falschen Schnauzbart. Auf dem Kopf hat es eine Baseballkappe, auf der »God bless the USA» steht.

»Nun, nun. Meine Meinungsverschiedenheiten mit der Abschiebebehörde sind noch nicht gelöst.«

»Biste inkognito hier?«

»Ja.«

»Illegal?«

»Jo.«

»Cool.«

»Das ist deine Sicht der Dinge.«

»Und deshalb verkleideste dich jetzt immer?«

»Du stellst immer noch gern unnötige Fragen, was?«

»Aber müsstest du dich nicht lieber verstecken statt verkleiden?«

»Ich verstecke mich doch!«

»Zu Hause?«

»Ja.«

»Bist du verrückt?«

»Ja«, sagt das Känguru. »Aber das hat nichts damit zu tun.«

»Das ist doch total bescheuert.«

»Das ist ja das Brillante«, sagt das Känguru. »Sich zu Hause zu verstecken ist so bescheuert, dass die Polizei das von vorneherein ausschließen wird, wenn sie auch nur ein kleines bisschen mitdenkt.«

»Das ist aber ein sehr gewagter nachgestellter Konditionalsatz.«

»Alter, du bist so ein Klugscheißer«, sagt das Känguru. »Du könntest echt …«

Es pocht an der Tür.

»Hier ist die Polizei«, ruft eine tiefe Stimme. »Aufmachen!«

»›Wozu ist das?‹

›Das ist blaues Licht.‹

›Und was macht es?‹

›Es leuchtet blau.‹«

Deutsche Hochschule der Polizei

»Hier ist die Polizei!«, ruft die tiefe Stimme noch einmal. »Öffnen Sie die Tür!«

»Versteck dich!«, flüstere ich dem Känguru aufgeregt zu. »Sie dürfen dich nicht finden!«

»Was?«, ruft das Känguru. »Die Musik ist zu laut!«

Ich gestikuliere wild, darauf drängend, dass es verschwindet. Gemächlich schlurft es hinter den Garderobenständer. Ich öffne die Tür und verdecke dadurch den Garderoben­ständer.

Neben dem vier Tage alten Müllbeutel stehen ein Polizist und eine Polizistin.

»Wir sind die Polizei«, sagt die Polizistin.

»Nun«, sage ich. »So weit, so offensichtlich.«

»Einer Ihrer Nachbarn hat uns alarmiert«, sagt der Polizist.

»Ich bin ganz alleine zu Hause«, sage ich sofort. »Niemand ist hier, außer mir. Bin ganz allein.«

»Vielen Dank für das Angebot«, sagt der Polizist. »Aber wir sind im Dienst.«

»Ich wollte Sie nicht …«

»Einsamkeit ist kein Grund, sich zu schämen«, sagt der ­Polizist. »Ich fühle mich auch oft einsam.«

Ich kratze mich am Kopf.

»Haben Sie’s schon mal mit Alkohol versucht?«, frage ich.

»Natürlich«, erwidert der Polizist. »Aber lassen Sie sich eines sagen: Das ist keine Dauerlösung.«

»Und bitte machen Sie die Musik leiser«, sagt die Polizistin. »Es ist nach Mitternacht. Einer Ihrer Nachbarn fühlt sich belästigt.«

Das Känguru kommt hinter der Garderobe hervor.

»Nein, nein. Hier liegt eine Verwechslung vor«, sagt es. »Wir sind hier die Opfer.«

Es zieht eine Fernbedienung aus seinem Beutel und schaltet die Anlage aus.

»Ich habe nur so laut Nirvana angemacht, um das hier nicht ertragen zu müssen.«

Nun ist das Wummern über uns wieder deutlich zu hören.

»Es ist weniger die Lautstärke als vielmehr die Art der ­Musik, die mich stört«, sagt das Känguru.

»Nickelback«, sagt der Polizist.

»Tja ja«, sage ich achselzuckend. »Man liebt es, oder man hasst es.«

»Ich find’s mittelmäßig«, sagt die Polizistin.

Ich blinzle.

»Oder man findet’s mittelmäßig«, sage ich nickend. »So sagt man ja: Man liebt es, oder man hasst es, oder man findet’s mittelmäßig.«

»Es gibt auch Leute, die finden’s gut, also definitiv besser als mittelmäßig, aber lieben es nicht«, sagt der Polizist.

»Hm«, sage ich.

»Vorstellbar ist auch, dass es Leute gibt, denen es nicht gefällt, die es darum aber nicht gleich hassen«, fährt der ­Polizist fort.

»Gut möglich«, sage ich.

»Wahrscheinlich könnte man noch beliebig viele weitere Einstufungen vorschlagen und fände immer irgendwo jemanden, der zu Nickelback genau diese Meinung hat«, sagt der Polizist.

»Ja, wahrscheinlich.«

»Es gibt zum Beispiel bestimmt auch Leute, die sagen: ›Ich schalte im Radio nicht weg, aber ich würde mir nie ein ­Album kaufen.‹«

»Das könnte tatsächlich …«

»Oder auch ›Ich schalte im Radio weg, finde es in der Diskothek aber okay.‹«

»Ja, jetzt, wo ich darüber nachdenke …«

»Man sollte also nicht sagen: Man liebt es, oder man hasst es.«

»Nein«, sage ich einsichtig. »Das wäre falsch.«

»Ich hasse Nickelback«, sagt das Känguru.

»Ich auch«, sage ich.

»Ich auch«, sagt der Polizist.

»Ich eigentlich auch«, sagt die Polizistin. »Ich hatte es nur verwechselt.«

»Mit was denn verwechselt?«, fragt ihr Partner.