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Sie nennen es Gentrifizierung. Den Prozess kennen inzwischen alle Großstädte: die rasante Aufwertung ganzer Stadteile und die Vertreibung derer, die dort vorher gelebt haben. Die Kontroversen darüber werden verbissen diskutiert und mit harten Bandagen ausgefochten. Zeit, den Prozess mal satirisch zu betrachten! Beiträge zur Gentrifizierungsdebatte von Marc-Uwe Kling, Leo Fischer, Tilman Birr, Patrick Salmen, Sebastian 23, Ella Carina Werner, Ahne, Volker Strübing u.v.a.m.
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Seitenzahl: 200
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Sebastian Lehmann, Volker Surmann (Hrsg.)
lost in gentrification
sebastian lehmann | volker surmann (hrsg.)
E-Book-Ausgabe, September 2012
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2012www.satyr-verlag.de
Cover: V. Surmann
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
ISBN: 978-3-944035-01-7
Sebastian Lehmann/Volker Surmann: Vorwort
Sebastian Lehmann: Einleitung: We built this city, we built this city on Rock’n’Roll.
kapitel 1: gentrification
Julius Fischer: Hier isses nicht anders als woanders
Tobias Kunze: Kritik der modernen Architektur. Oder: Glas brennt nicht – schade.
Bov Bjerg: Gleich neben der U6 nach Tegel west Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Oder: Die Schwaben und ihre Berliner
Ahne: Wie mal etwas überhaupt nichts zu bedeuten hatte
Dan Richter: Ihr kriegt uns hier nicht raus
Ella Carina Werner: Gentrifizierung für Anfänger
Martin »Gotti« Gottschild: »Psst, nicht so laut!«
Leo Fischer: Aktuelle Urteile zum Lärmschutz
Frank Klötgen: Neocollognia
Volker Surmann: 50 Thesen zur Gentrifizierung
kapitel 2: in
Tilman Birr: Der Weg zur Bahn
Sebastian Lehmann: Willkommen im Club-Mate. Die Gentrifizierungs-Trilogie
Volker Surmann: Das Szenecafé
Frank Klötgen: Cindyrella
Thilo Bock: Ich bin nicht cool, ich war schon immer so.
kapitel 3: lost
Patrick Salmen: Der Bahnhof
Wolf Hogekamp: Meditation eines Rennfahrers (Oder: Da vorne steht ’ne Ampel)
Michael Sailer: Schwabinger Krawall: Fremd im eigenen Haus
Uli Hannemann: Kehraus
Maik Martschinkowsky: Gentrivacations
Jess Jochimsen: Der Keller
Sebastian 23: Steinkauz, Kuh und Du
Udo Tiffert: No Gentle Gentry
Frank Sorge: Galerie im Haus
kapitel 4: lost in gentrification
Volker Strübing: Der Benjamin
André Herrmann: Bitterfeld hat auch schöne Ecken
Marc-Uwe Kling: Die Party
Xóchil A. Schütz: Badenser Berg
Bumillo: Glaspalast
Insa Kohler: Prenzlauer Patchwork
Maik Martschinkowsky: Küchentischsoziologie
Sven Stickling: Die Schlaglocher
Klaus Bittermann: Das Gesicht der Gentrifizierung
Heiko Werning: Besuch beim alten Kumpel
Volker Surmann: Der Gentrifizierungsprozess
Kirsten Fuchs: Kreuzberg
Die Autorinnen und Autoren
sebastian lehmann, volker surmann
»It’s all part of the process«
(Morcheeba)
Scarlett Johanssons Blick schweift über die Hochhäuser Tokios. Sie sitzt alleine am Fenster ihres minimalistisch eingerichteten Hotelzimmers und weiß nicht so recht, was sie nun mit der Zeit in dieser riesigen Stadt anfangen soll. Überall blinken bunte Bildschirme, Menschenmassen drängeln sich in den U-Bahnen, sie versteht die Sprache nicht. Charlotte, so heißt Johanssons Figur im Film, fühlt sich verloren, überfordert. Zum Glück kommt dann irgendwann Bill Murray, der in Japan ganz ähnliche Übersetzungsprobleme hat. Lost in Translation hieß Sofia Coppolas wunderbarer Film von 2003.
Wir haben uns für diese Anthologie den Namen geliehen, ein wenig modifiziert natürlich. Denn auch in deutschen Städten kann man verloren gehen, allerdings auf ganz andere Weise als Charlotte in Tokio: Ein Prozess, der in den letzten Jahren verstärkt in Europa ankommt, »gentrification« genannt – oder eingedeutscht »Gentrifizierung« – ist der Grund, warum sich manche Bewohner in ihrer Stadt oft verloren und überfordert fühlen. Der Begriff hat es aus den Studierzimmern der Stadtsoziologen hinein in die Städte geschafft, und zwar bis an die Stammtische, unabhängig davon, wo diese Stammtische gerade stehen, ob in der Eckkneipe Zum goldenen Süffel oder der autonomen Kellerbar Kellerbar. Allerdings verlieren sich diese oft ebenfalls in der Übersetzung des Begriffs, die inhaltliche Kenntnis erschöpft sich allzu oft in einem diffusen: »Die Schwaben, die Hipster, die Touris und generell alle, die noch nicht so lange hier sind wie ich, sind daran schuld, dass die Stadt sich nicht so entwickelt, wie ich es gerne hätte.« Tilman Birr hat uns mit dieser vermeintlichen Essenz großstädtischer Hybris beglückt, und wir haben sogar mit dem Gedanken gespielt, unser Buch so zu nennen, wollten es aber nicht im Querformat herausbringen.
»Alle raus!«, war ein weiterer heißer Titelaspirant. Denn das rufen sie alle: die Eingeborenen zu den Hipstern, die Hausbesetzer zu den Touristen und der neue Hauseigentümer schlussendlich zu allen, die nicht freiwillig fliehen. Die Fronten sind unübersichtlich, aber verhärtet wie frisch abgebundener Beton. Wir denken, es ist dringend an der Zeit, den erbittert geführten Diskussionen um die rasante Aufwertung von Stadtteilen eine satirisch-humoristische Sichtweise an die Seite zu stellen. Und die Autorinnen und Autoren dieses Buches sind schließlich auch so etwas wie Experten für das Thema, oft genug wohnen sie in den sogenannten Künstlervierteln der Stadt, also im Zentrum der Gentrifizierungsumwälzungen, – diese Umbrüche spiegeln sich also auch in ihren Geschichten und Gedichten wider. Sie alle – wir alle – sind »part of the process« – und wahrscheinlich ist sogar dieses Buch Teil des Prozesses.
Am Ende möchten wir uns als Herausgeber noch bei all jenen entschuldigen, die die Gentrifizierung nicht gerade als eines der vordringlichen Probleme der Gesellschaft ansehen und eine so ausführliche Beschäftigung mit dem Thema eher mit »Langweilig!«-Rufen quittieren. Das können sie natürlich, dieses Buch einfach weglegen, aber dann würden sie nach einer thematischen Einleitung, sechsunddreißig zumeist sehr komische Geschichten verpassen, die sich auf sechsunddreißig unterschiedliche Weisen einmal quer durch das Schlachtfeld der Gentrifizierung kämpfen.
Und wer trotzdem meint, das ist alles großstädtische Nabelschau, der hat natürlich vollkommen recht. Der Städter beschäftigt sich eben gerne mit sich selbst und seiner unmittelbaren Umgebung. Das war wohl schon immer so. Jedenfalls hat der Philosoph, Vater der Soziologie und Urberliner Georg Simmel schon 1903 in einem Aufsatz über »Die Großstädte und das Geistesleben« geschrieben: »Es gibt vielleicht keine seelische Erscheinung, die so unbedingt der Großstadt vorbehalten wäre, wie die Blasiertheit.«
Dem wollen wir nichts hinzufügen, außer dieses Buch.
Berlin, Sommer 2012
sebastian lehmann
Ein Freund von mir, natürlich zugezogen aus dem Süden der Republik, eröffnete vor einiger Zeit ein Atelier-Galerie-Dings in einem alten Kohlegeschäft auf der Neuköllner Reuterstraße. Bis dahin säumten diesen Teil der Reuterstraße eher Altberliner Eckkneipen, türkische Kulturvereine und Dönerimbisse. Nun suchte mein Freund einen Namen für seine neue Kunst-Location, irgendjemand schlug »Gentrification« vor. Wir lachten alle, stießen mit unseren Augustiner-Flaschen an und fühlten uns nur ein klein wenig schlecht.
Berlin-Neukölln ist ja gerade der Boombezirk der Bohemians und natürlich auch zahlreicher äußerst gut gekleideter Touristen und Teilzeitberliner, die tags vor den niedlichen Cafés sitzen und Lemon Aid, das neue Biolimo-Supergetränk, schlürfen und nachts durch die Bars und halblegalen Clubs ziehen, die Club-Mate-Flasche aufgefüllt mit dem Berliner Hipster-Wodka Held. Selbst auf den Reiseführern steht es jetzt vorne drauf: »In-Viertel Neukölln.«
Szenenwechsel – das heißt: Wechsel des Ortes, aber auch Wechsel der Szene. Vor dem Pfefferberg im Prenzlauer Berg stehen ein paar smarte Herren in Anzügen, rauchen Zigaretten und flanieren dann wieder in das Restaurant nebenan. Hinten ist noch ein Hostel, und in die Kellerbar gelangt man durch eine automatische Glasschiebetür, wie in einem Supermarkt. Wahrscheinlich wegen der Energieeffizienz. Der Steinfließboden ist feucht gewischt. Ich muss an meine Heimatstadt Freiburg denken. Da sieht es überall so aus. West-Deutschland. Heile Welt.
Ich kann mich an eine Party erinnern, vor Jahren, das muss auch hier gewesen sein. Damals gab es aber noch keine Schiebetüren. Irgendwo stand nur eine unscheinbare, zugetaggte Tür offen, die in einen riesigen Keller führte, in dem laute Technomusik wummerte. Schweiß tropfte von der Decke. So jedenfalls meine durchaus romantisierende und lückenhafte Erinnerung. Aber egal, wichtig ist nur: Ich war ziemlich jung und ziemlich fasziniert von diesem krassen Berlin. Yeah!
An dieser Anekdote lassen sich schön die wichtigsten Probleme ausmachen, wenn sich unsereins (also eigentlich meine ich nur mich, aber wahrscheinlich trifft das auch auf einige Autoren dieser Anthologie zu) mit Gentrifizierung beschäftigt:
1. Ich komme nicht aus Berlin. Ich wollte nach Berlin, weil ich mit neunzehn dachte, Berlin ist cool. (Ist es ja auch.)
2. Ich bin die Gentrifizierung. Ich mache im weitesten Sinne Kunst, wenn man Lustige-Geschichten-Vorlesen dazuzählt. Aber noch schlimmer: Ich bin auch Veranstalter. Von Poetry Slams und Lesebühnen. In Kreuzberg.
3. Ich bin nicht der Leidtragende der Gentrifizierung. Jedenfalls nicht in erster Linie. Ich wurde nicht verdrängt und vertrieben, wie sozial schwächere Bewohner in Berlin-Mitte oder Hamburg-Altona. Klar ist, dass die Aufwertung am Pfefferberg schon angefangen hat, als die Subkultur dort noch Sternburg trank. Die hässliche Fratze der Gentrifizierung zeigt sich aber erst jetzt in Form dieser unfassbar furchtbaren neuen Nutzung.
Aber noch einmal einen Schritt zurück. Was ist überhaupt Gentrifizierung? Jeder hat da ja eine ziemlich konkrete Vorstellung, und in medialen und kneipalen Diskussionen fallen immer wieder ähnliche Schlagwörter: zugezogene Schwaben, Touristen, Hipster, Clubs, Bionade, Röhrenjeans, die kreative Klasse, Aufwertung, Verdrängung, Reiche, Baby-Yoga, Starbucks, Autos abfackeln, Galerien, Latte Macchiato, steigende Mieten, Investoren, Fickt euch ins Knie. Und natürlich noch viele mehr.
Aber auch Profis befassen sich mit dem Thema1, nicht alle kommen über diese Allgemeinplätze hinaus, aber drei kluge Professoren haben es in einem schmucken Suhrkamp-Bändchen zur »Stadtpolitik« kurz und bündig so zusammengefasst: »Mit Gentrification wird die bauliche Aufwertung eines Quartiers mit nachfolgenden sozialen Veränderungen bezeichnet, die in der Verdrängung einer statusniedrigen sozialen Schicht durch eine höhere resultieren.«2
In der in Deutschland noch jungen Gentrifizierungsforschung werden verschiedene Gentrification-Zyklen unterschieden, die wir alle aus unserer Großstadt kennen (falls wir denn in einer wohnen, aber auch kleinere Städte kennen inzwischen diese Phänomene). Die Pionierphase ist eigentlich noch schön: In einem meist ziemlich heruntergekommenen Stadtviertel entstehen plötzlich neue Cafés und illegale Clubs, kleine Galerien und Ateliers, es gibt die eine oder andere Hausbesetzung. »Eine räumliche Konzentration von Menschen [...], die als konkrete Personen in hohem Maß mit kulturellem Kapital ausgestattet sind«. So nennt es Andrej Holm in seinem interessanten Büchlein »Wir bleiben alle!«.3 Nach seiner Untersuchung skizziere ich hier auch die verschiedenen Gentrifizierungsphasen. Wie es weitergeht, ist klar: Das Image des Quartiers ändert sich, plötzlich ist es kein Arbeiterkiez mehr, sondern ein Szenebezirk. Stadtmagazine rufen das nächste große Ding aus, alle wollen dorthin ziehen und – wie Holm ironisch anmerkt – Autoren verlegen ihre Romane und Erzählungen in diese Gebiete. »Das individuelle, personengebundene, kulturelle Kapital hat sich in ortsgebundenes Kapital verwandelt.«4
Wenn das hier ein Hollywood-Gangster-Film wäre, dann würden jetzt langsam die Bösewichte aus dem Schatten treten. In der zweiten Phase der Gentrifizierung schleichen sich Investoren und Immobilienhaie in die neuen Szeneviertel und kaufen alles, was sie so bekommen können. Mieten steigen, denn die Bösewichte wollen natürlich Geld verdienen – vor allem, weil sie die Häuser oft nur auf Pump gekauft haben, und das muss erst einmal refinanziert werden. Dabei wird kräftig saniert, da ist ja auch viel zu machen, schließlich sind die Mieten jahrelang nicht umsonst so niedrig gewesen, denn um dieses Viertel hatte sich ja früher niemand geschert. Anders als in Hollywood gibt es kein Happy End: Die früheren, sozial schwächeren Bewohner müssen in der dritten Phase wegen der höheren Mieten wegziehen, und natürlich auch die Künstler und Hipster (die meisten Künstler sind ja nicht gerade reich, fragt da nur mal die Künstlersozialkasse oder die Autorinnen und Autoren dieses Buches), und in die schmucken Eigentumswohnungen ziehen Wohlbetuchtere ein, die so mit ihrem »ökonomischen Kapital« einen »symbolischen Wert« erwerben – eben die coole Wohnung im hippen Bezirk.
Holms Fazit ist ernüchternd: »Die Kreativität der Pionierphase wandelt sich so im Laufe eines Aufwertungsprozesses in einen käuflichen symbolischen Mehrwert. Gentrification stellt sich aus dieser Perspektive als immobilienwirtschaftlich vermittelte Enteignung des kulturellen Kapitals von (ökonomisch mittellosen) Künstler/innen durch später zuziehende Reiche dar.«5
Das hört sich natürlich hart an (also inhaltlich jetzt, sprachlich natürlich auch, aber das meine ich nicht), aber gerade in Berlin lassen sich solche Prozesse doch immer wieder beobachten. »Mediaspree« – also die geplante Bebauung des Spreeufers in Friedrichshain und Kreuzberg mit Bürogebäuden der sog. Kreativindustrie – ist ein gutes Beispiel. Bevor nicht irgendwelche verrückten Hippies und Künstler sich für den heruntergekommenen Uferbereich interessiert und Strandbars gegründet haben, hat sich auch die Stadt und das Kapital nicht dafür interessiert. Meine Lesebühne fand übrigens in einer dieser Strandbars, dem Kiki Blofeld, ihr erstes Zuhause. Mittlerweile gibt es das Kiki nicht mehr.
Ich kann mich noch an einen Beitrag im rbb erinnern, als ein Mediaspree-Vertreter (glaub ich jedenfalls, ist aber auch nicht so wichtig) im Kiki Blofeld interviewt wurde. Er stand mit grimmigem Gesichtsausdruck und dunklem Anzug im Sand, die Sonne schien, Kinder tollten um ihn herum, aber er breitete die Arme aus und rief so etwas wie: »Damit verdient Berlin keinen Cent.«
Die Stadt Berlin vielleicht wirklich nicht so viel. Zahlt ja keiner Steuern von diesen bärtigen Hippietypen. Aber ich habe zum Beispiel ein paar Cent verdient. Nicht so viel, denn damals verlangten wir für unsere Lesebühne noch keinen Eintritt und hin und wieder lag im Hut, den wir im Publikum rumgehen ließen, zwischen den 50-Cent-Münzen auch mal etwas würzig riechendes Gras – aber immerhin. Und irgendwie sind wir ja auch Berlin. Mehr als dieser Typ jedenfalls, seinetwegen kommen nämlich keine tollen Medienunternehmen ans Spreeufer. Die wollen sich ja schließlich auf unser kreatives Potenzial draufsetzen.
Aber sind die Künstler, die Hipster, die Alternativen, die plötzlich über einen Arbeiterkiez oder ein Migrantenviertel herfallen und dort rumkünstlern und rumhipstern nicht die Handlanger des bösen Investment-Gangsters? Verdrängen nicht schon die hippen Kreativen die frühere, ärmere Population des Quartiers? Schließlich fängt die Gentrifizierung ja oft genug mit ihnen an, wie wir oben gesehen haben.
Der Hipster hat im Moment keinen besonders guten Ruf, dafür werden ihm jetzt schon ganze Bücher gewidmet. Anfang 2012 kam die deutsche Ausgabe eines Sammelbandes des amerikanischen Publizisten Mark Greif mit dem Titel »Hipster« heraus.6 Der urbane Trendsetter kommt darin nicht gerade gut weg. Anhand der Entwicklungen im New Yorker In-Bezirk Lower East Side wird er als der Gentrifizierer schlechthin beschrieben: Er vertreibt angestammte Läden, eröffnet dafür Sneaker-Shops und überteuerte Restaurants und sieht obendrein noch peinlich aus mit seiner Trucker-Mütze und der viel zu engen Röhrenjeans. Der Hipster sei auch per se kein Künstler, sondern immer nur Konsument, ist eine der Ansichten, die in dem Buch vertreten werden. Also nicht einmal mehr der Pionierphase der Gentrifizierung zuzurechnen.
Der Hamburger Schriftsteller Thomas Meinecke sagt in seinem Beitrag, warum der Hipster so unbeliebt ist: »Ein Hipster sollte auch immer ein Schnösel sein«. Wie die Ur-Hipster in Warhols Factory ist er eben »arrogant, unverbindlich, glamourös«.7 Er muss immer einen Schritt voraus sein, modische und kulturelle Codes vor den »anderen« definieren – und das natürlich auch zur Schau stellen. Und so jemanden finden nicht alle sympathisch. Taugt er aber als Feindbild, als williger Adjutant der Geldgentrifizierer der dritten Phase?
Holm würde »mutwillige Aufwertungsmotive der zuziehenden Künstlerinnen« ausschließen, nicht immer aber »Ahnungslosigkeit und Naivität«.8 Im Umkehrschluss hieße das: Als Kulturschaffender im alternativen Bereich oder Clubbetreiber sollte man sich immer bewusst machen: Ich kann mit meiner Kunst oder womit auch immer Aufwertungsprozesse in Gang setzen, die vielleicht in erster Linie nicht mir schaden, aber doch den Bewohnern des Quartiers, die sich nicht so leicht wehren können. Und hier kommt wieder das Stichwort der Verdrängung ins Spiel. Eine WG von hippen, zugezogenen Studenten hat zwar meistens mehr Finanzmittel zur Verfügung als beispielsweise eine alleinerziehende Mutter oder ein Arbeitsloser und kann so eine höhere Miete aufbringen, d.h. die Studenten sind natürlich im Wettbewerb um eine leere Wohnung im Vorteil. Aber sie verdrängen effektiv nicht die alteingesessenen Bewohner, allerdings bieten sie, wie oben schon ausgeführt, den Nährboden für eine höhere Mietstruktur, die Investoren anzieht. Außerdem verändern sie nachhaltig das Erscheinungsbild eines Stadtteils, was für viele Alteingesessene auch problematisch sein kann. Gentrifizierung des Lebensstils könnte man das nennen. Verdrängung im großen Stil findet aber erst dann statt, wenn die Investoren günstige Mietwohnungen sanieren und in hochpreisige Eigentumswohnungen umwandeln. Das vertreibt nicht nur sozial schwächere Anwohner, sondern auch die Studenten, Hipster und Künstler. Die Gentrifizierung frisst ihre Kinder.
So, jetzt wird es aber noch komplizierter, denn Gentrifizierungsprozesse laufen natürlich nicht immer nach diesem vereinfachten Schema ab. Ein großes Problem der Stadtentwicklung wurde bis jetzt noch gar nicht angesprochen: Die Privatisierung der Öffentlichkeit. Hierbei ist in Deutschland besonders die Lage in Hamburg sehr interessant. Ich möchte mich gleich bei allen Einwohnern der Perle im hohen Norden für das Folgende entschuldigen, hier spricht ein Unwissender, kein Einwohner der Elbmetropole – und so einer kann eigentlich nicht über Hamburg sprechen. Aber zu meiner Ehrenrettung: Ich habe ein Buch gelesen, von einem Hamburger, Christoph Twickel heißt er, und sein Buch »Gentrifidingsbums. Oder: Eine Stadt für alle«.9 Darin beschreibt er zum einen, wie mit der inzwischen berühmt gewordenen Besetzung des Gängeviertels versucht wurde, anders mit Aufwertung und Gentrifizierung umzugehen. Künstler und Kulturschaffende wandten sich mit einem Manifest an die Öffentlichkeit und stellten klar, sie wollen mit der städtisch geförderten Aufwertung, mit der kreativen Klasse, nichts zu tun haben: »Not In Our Name, Marke Hamburg«.
Seit einigen Jahren betrachten sich Städte wie Hamburg plötzlich nämlich nicht mehr als Kommunen, sondern – wie es der neoliberale Mainstream fordert – als Unternehmen. Eine Stadt ist eine Marke geworden, die mit anderen Städten auf der globalisierten Welt im Wettbewerb um Innovation und Kreativität steht. Ja, ja, ich weiß, alles Bullshit-Wörter, aber so reden die halt wirklich. Schuld daran ist der amerikanische Ökonom Richard Florida, der festgestellt hat, dass Städte heutzutage auf die sogenannte kreative Klasse angewiesen sind, er berechnet zum Beispiel den »Boheme Index« oder den »Gay Index«, weil er Homosexuelle für besonders innovativ hält. Das finden Politiker, gerade auch des vermeintlich linken Spektrums, wahnsinnig aufregend. Die denken dann: Die Industrie ist weg, das ganze Geld auch, wir brauchen also jetzt die Intellektuellen, die Kreativen, die Künstler. Die schaffen ein schönes Umfeld, alle halten uns dann für hip, am Ende kommen die großen Unternehmen, weil sie sich auch so einen subkulturellen Anstrich geben wollen und alles wird gut. Vielleicht bauen wir auch noch ein paar große »Landmark«-Projekte, eine Elbphilharmonie zum Beispiel oder ein Riesenrad, das wir total kreativ »Wheel« nennen, damit wir allen zeigen, dass es mit unserer Stadt voll aufwärts geht.
Oft genug werden für diese Strategien Künstler benutzt, wie Twickel am Beispiel der Bergstraße in Altona zeigt. In einem leerstehenden Kaufhaus werden Ausstellungen organisiert, bis mit IKEA endlich ein neuer Mieter gefunden wurde. Und sofort ist für die Politiker klar, dass die Künstler ihre Rolle erfüllt haben und jetzt bitte weggehen sollen. Twickel bringt es auf den Punkt: »Die Kreativstadt mit ihren lebendigen, subkulturellen Szenen ist nur der schöne Schein der Gentrifizierung.« Es geht um etwas ganz anderes, es sollen Bedingungen hergestellt werden für »die Stadt als Verwertungsraum für hochtourigen Massenabsatz«. Und die Realität sieht am Ende ganz anders aus, es ist die »Privatisierung durch globale Franchise-Gastronomie, Malls, Megastores und andere ›Frequenzbringer‹, die Straßen und Plätze in Shoppingzonen verwandelt«.10
Zum Schluss kommen wir noch einmal zu den drei klugen Suhrkamp-Professoren vom Anfang. Die Frage lautet nämlich: Was kann gegen Gentrifizierungsprozesse, gegen Verdrängung unternommen werden? Die Professoren weisen daraufhin, dass immer die finanzielle Notlage der Kommunen angeführt wird, wenn es um Rechtfertigungen geht, warum die postmoderne Stadtentwicklung auf private Investoren angewiesen ist. Aber sie zeigen auch, dass die finanzielle Notlage keine Strafe Gottes ist, sondern eine politische Entscheidung, die Kommunen mit zu wenig Geld auszustatten. »Die marktförmige Organisation der Wohnungsversorgung« ist das Problem, diese führt nämlich zu »sozialer, kultureller und ethnischer Segregation.«11 Ihr Gewinnstreben kann man den privaten Investoren nicht einmal vorwerfen, anders wie den Kommunen geht es ihnen eben ausschließlich um Rendite, das ist ihr Sinn und Zweck. Politische Lenkung von Wohnungsfragen bleibt also unerlässlich. Eine Stadt muss auch für jene sorgen, die weniger zum Bruttosozialprodukt beitragen: Arbeitslose, Migranten, Rentner, Geringverdiener und viele andere. Eine Stadt darf nicht handeln wie ein renditeorientiertes Unternehmen oder gar ein Hedgefonds.
Aber auch die Künstler und Pioniere sind nicht von ihrer Verantwortung befreit. Es gilt aufmerksam zu sein, was man mit seiner kulturellen Aktivität bewirkt. Ebenso sollte nicht das Umfeld verleugnet werden, in dem man sich eingerichtet hat. Und man muss nicht in die Parolen der kreativen Stadt mit einstimmen, man muss nicht die ganze Zeit den kapitalistischen Verwertungsinteressen den Mund reden. Not in our name eben.
Ach ja, der Laden von meinem Freund in Neukölln heißt natürlich nicht »Gentrification«, sondern so wie der Kohleladen, der vorher die Räume nutzte. Immerhin irgendwie verbunden mit der Umgebung. Verdrängt hat er übrigens auch niemanden, der Laden stand jahrelang leer. Vielleicht kommt aber in fünf Jahren eine schöne Kaffeehauskette und verdrängt wiederum meinen Freund, wer weiß das schon. Ob er sich das dann einfach so gefallen lässt? Denn man sollte nie vergessen, was die unsägliche Band Starship schon in den Achtzigerjahren sang: Wir haben die Stadt selbst aufgebaut. Und zwar auf Rock’n’Roll.
1 Der Begriff »Gentrification« kommt übrigens aus dem Englischen vom Wort »gentry«, deutsch: niedriger Landadel.
2 Hartmut Häußermann, Dieter Läpple, Walter Siebel: Stadtpolitik. Frankfurt: Suhrkamp 2008. S. 242.
3 Andrej Holm: Wir bleiben alle! Gentrifizierung – Städtische Konflikte um Aufwertung und Verdrängung. Münster: Unrast Verlag 2010. S. 31.
4 ebd. S. 32.
5 alle Zitate: ebd. S. 33.
6 Mark Greif, Kathleen Ross, Dayna Tortorici, Heinrich Geiselberger: Hipster. Eine transatlantische Diskussion. Frankfurt: Suhrkamp 2012.
7 Beide Zitate: ebd. S. 174.
8 Beide Zitate: Wir bleiben alle!. S. 30.
9 Christoph Twickel: G entrifidingsbums. Oder: Eine Stadt für alle. Hamburg: Edition Nautilus 2010.
10 Ebd. S. 69.
11Stadtpolitik. S. 289.
julius fischer
Wenn in Berlin ein Haus umfällt, dann wissen alle Bescheid, ah ja, da, im Prenzlauer Berg, direkt neben dem Laden mit den Weinbergschneckencroissants, wo Marvin und Constanze ihren Laden haben, eine Mischung aus Boutique und Café, ein Bouticafé, bei dem wir noch froh sein können, dass sie ihn nur »Süßstoff« genannt haben und nicht »CoMa«, wegen Constanze und Marvin.
In Leipzig gibt es solche Läden auch, aber es kennt sie eben keiner.
Leipzig gilt nur einer ausgewählten Gruppe von Studenten und Frührentnern mit akademischem Hintergrund als interessante Adresse.
Ab und zu kommen Nazis vorbei, aber die müssen schon am Hauptbahnhof die Schuhe ausziehen und verlieren damit ihre militärische Ordnung, denn dann offenbart sich die echte rechte Natur, und man kann wohl so viel verraten: Braun ist eine recht seltene Sockenfarbe. Was, wenn die Renee-Freundin am Tag vor der Demo Waschtag hatte und nun nur noch ein paar eingelaufene Diddl-Socken zur Verfügung stehen …
Wie in Berlin, nur ohne dass davon Notiz genommen wird, ziehen in Leipzig alle paar Jahre Leute von dem einen in den anderen Stadtteil, weil es in ersterem zu teuer geworden ist, in letzterem aber nicht nur die Mieten günstiger sind, sondern auch auf der einen Hauptstraße zwei total schnuckelige Cafés aufgemacht haben, die von den Wohngemeinschaften oben drüber bewirtschaftet werden.
Toll!
Ich bin auch umgezogen, allerdings innerhalb meines Stadtteils, einfach zwei Straßen höher. Das kann man sich trauen, jetzt, wo die Aasgeier der Gentrifizierung weitergezogen sind.
Stadtteile, die als nicht mehr so hip angesehen werden, finde ich sehr hip.
Keine Studenten, kaum Kleinkinder, alles ein bisschen weniger provisorisch.
Vielleicht bin ich aber auch nur ein Snob.
Mir wurde neulich von einem Übernachtungsgast vorgeworfen, ich sei in der gehobenen Mittelschicht angekommen, weil ich ihm zwei unterschiedliche Sorten Käse vorsetzte, die nicht einer »ja!«-Packung »Aufschnitt light« entstammten.
Ich wohne einfach gerne gut, ohne daraus gleich ein Happening zu machen.
Ich bin Freund sanierter Altbauwohnungen, wo man nicht mehr auf halber Treppe dem Nachbarn dabei zuhören muss, wie er mit einer Leidenschaft, die er bei der Lebensplanung manchmal vermissen lässt, seinen Verdauungsapparat derart bemüht, dass ein postmoderner Künstler beim Hören der Audioaufnahmen vor Entzücken in Ohnmacht fallen würde.
Diese Auffassung kann natürlich auch negative Auswüchse haben, Stichwort: repräsentative Neubauten. In Leipzig wurde scheinbar ein wildgewordener, cracksüchtiger Baubürgermeister auf die Innenstadt angesetzt. Wo man hinsieht, Glas und Beton vor den alten Fassaden.
Ich frage mich, wie viele Universitätshauptbauten die Stadt seit dem Bestehen dieser heiligen Institution gesehen hat. Zehn oder zwanzig? Und dann pisst man auf die Tradition und klotzt an die DDR-Struktur ein bißchen Beton dran, baut eine Kirche nach, die aussieht wie aus Lego, putzt die Flure und nennt das Fortschritt?
Das einzig Positive am Augustusplatz in Leipzig, der vor sogenanntem Fortschritt nur so strotzt, ist der Umstand, dass es dort kein Café gibt, von welchem man Übersicht über den ganzen Platz hätte.
Ich denke, wenn ich Kaiser bin, werde ich als Erstes die Architekten verbieten. Ich bräuchte irgendeinen fadenscheinigen Grund … – Nö, bräuchte ich nicht, ich wäre ja Kaiser.
An die Stelle der Architekten würden Restaurateure treten, Spitzenkräfte mit Blick fürs Alte. Herrlich wäre das.