Die Keltennadel - Patrick Dunne - E-Book
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Die Keltennadel E-Book

Patrick Dunne

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Beschreibung

Eine Sekte zeigt ihr wahres Gesicht – und ihre gewaltige Macht: Der abgründige Thriller »Die Keltennadel« von Patrick Dunne als eBook bei dotbooks. Kilbride bei Dublin, Irland. In seiner Kirche macht Pfarrer Liam Lavelle einen schrecklichen Fund: Inmitten eines Kerzenmeers wurde die grausam zugerichtete Leiche einer Frau aufgebahrt, ihre Wange durchbohrt von einer keltischen Brosche. Als Sektenexperte liefert er der Polizei sofort eine detaillierte Analyse dieses rituellen Opfermordes – und gilt deswegen plötzlich als Mörder. Nur die Kunstkritikerin Jane Wade, die ihre Schwester Hazel an eine Sekte verloren hat, unterstützt Lavelle bei der Suche nach der Wahrheit. Schon bald haben sie die dunkle Ahnung, dass der Opfermord mit dem Verschwinden von Wades’ Schwester zusammenhängt … Wird es den beiden gelingen, den Kopf der Sekte zu entlarven – und Hazel zu retten, bevor es zu spät ist? »Patrick Dunnes Thriller bescheren Gänsehaut!« Münchner Merkur Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Thriller »Die Keltennadel« ist Patrick Dunnes Debütroman, der sofort zum internationalen Bestseller wurde. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 569

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Über dieses Buch:

Kilbride bei Dublin, Irland. In seiner Kirche macht Pfarrer Liam Lavelle einen schrecklichen Fund: Inmitten eines Kerzenmeers wurde die grausam zugerichtete Leiche einer Frau aufgebahrt, ihre Wange durchbohrt von einer keltischen Brosche. Als Sektenexperte liefert er der Polizei sofort eine detaillierte Analyse dieses rituellen Opfermordes – und gilt deswegen plötzlich als Mörder. Nur die Kunstkritikerin Jane Wade, die ihre Schwester Hazel an eine Sekte verloren hat, unterstützt Lavelle bei der Suche nach der Wahrheit. Schon bald haben sie die dunkle Ahnung, dass der Opfermord mit dem Verschwinden von Wades’ Schwester zusammenhängt … Wird es den beiden gelingen, den Kopf der Sekte zu entlarven – und Hazel zu retten, bevor es zu spät ist?

»Patrick Dunnes Thriller bescheren Gänsehaut!« Münchner Merkur

Über den Autor:

Patrick Dunne wurde in Dublin geboren und studierte Literatur und Philosophie. Nach dem Studium war er eine Zeitlang Musiker. Inzwischen ist er seit über 20 Jahren als Regisseur und Produzent beim irischen Rundfunk und Fernsehen tätig. Mit seinem Debütroman »Die Keltennadel« gelang ihm ein internationaler Bestseller. Patrick Dunne gehört heute zu den erfolgreichsten Autoren Irlands.

Patrick Dunne veröffentlichte bei dotbooks bereits »Skull Rack – Das Todesritual«.

***

eBook-Neuausgabe Mai 2022

Copyright © der englischen Originalausgabe unter dem Titel »Days of Wrath« 2000 by Patrick Dunne

Published by Arrangement with Patrick Dunne

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2000 by Limes Verlag GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Stefan Hilden, HildenDesign.de, © HildenDesign unter Verwendung mehrerer Motive von Shutterstock.com, Pictorial Expressions, rigsbyphoto

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-069-4

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Patrick Dunne

Die Keltennadel

Thriller

Aus dem Englischen von Fred Kinzel

dotbooks.

Jetzige Zeit und vergangene ZeitSind vielleicht gegenwärtig in künftiger ZeitUnd die künftige Zeit enthalten in der vergangenen.

T. S. Eliot, »Vier Quartette«

IDie Kirche

Kapitel 1

Einstimmiger Gesang erklang im Wechsel mit vielschichtig verwobenen Passagen. Mozart hatte die Stimmen im Kopf aus der Sixtinischen Kapelle geschmuggelt und – seine Exkommunikation riskierend – aus dem Gedächtnis niedergeschrieben:

Miserere mei, Deus ...

Erbarme Dich meiner, o Herr ...

Und nun lauschte ihnen der Priester über Kopfhörer.

Pfarrer Liam Lavelle lag mit geschlossenen Augen auf seiner Couch und sah im Geiste Weihrauchschwaden über den Sixtinischen Altar wabern, er sah die Seelen der Toten auferstehen und die Verdammten in die Hölle stürzen. Die quecksilbrige Stimme eines knabenhaften Soprans erklomm das hohe C, so wie es seinerzeit aus der Kehle eines Kastraten im päpstlichen Chor gedrungen sein mochte:

Erbarme Dich meiner, o Herr ...

Und von weitem Glockenläuten. Das Läuten einer Kirchenglocke hinter den Chorstimmen. Pfarrer Lavelle öffnete die Augen und starrte an die kahle Decke seines Wohnzimmers. Hier stimmte etwas nicht. Die Glocke war nicht auf der CD. Er nahm den Kopfhörer ab, und plötzlich war es still.

Dann läutete die Glocke erneut. In seiner Pfarrkirche, weiter unten im Ort. Er sah auf die Uhr. Ein Uhr fünfzehn. Er wälzte sich von der Couch, wobei er seinen Gin Tonic auf dem Teppich umstieß. Mist. Er zog Schuhe an und trat in den Flur. Wieder erklang die Glocke, kein anhaltendes Läuten, sondern nur ein einzelner Schlag. Dieses Theater hatten sie viel zu oft. Sie würden auf Automatik umstellen müssen. Dürfte der letzte von außen zugängliche Glockenturm in der ganzen Diözese sein. Pfarrer Lavelle zog seine Lederjacke an, vergewisserte sich, dass er die Schlüssel eingesteckt hatte, und öffnete die Haustür.

Es war eine raue, windige Nacht. Er schlug den Kragen hoch und ging an seinem Wagen vorbei durch das offene Tor, das auf die Dorfstraße von Kilbride führte. Erst vor einer Woche hatte sich wieder ein Haufen Besoffener den Spaß gemacht, am Glockenseil zu schwingen, meist waren es gelangweilte Teenager aus der Gegend auf dem Heimweg vom Pub. Aber in einer solchen Nacht? Und die Pubs hatten längst geschlossen.

Als er die Straße überquerte, riss ein eisiger Windstoß seine Jacke auf und ließ ihn bis ins Mark frösteln. Die Bö wehte einen weiteren Glockenschlag heran, dessen Nachhall jäh vom Wind abgeschnitten und davongetragen wurde. Pfarrer Lavelle zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und vergrub die Hände in den Taschen. Eine Coladose klapperte an ihm vorbei, Schaufensterläden schepperten und ächzten. Noch fünfzig Meter bis zur Kirche. Es läutete noch einmal. War etwa der Wind schuld? Aber immer nur ein Schlag, immer die gleiche Pause zwischen den Schlägen ... wie bei der Ankündigung ... eines Todes – die Totenglocke! Lavelle verlangsamte seinen Schritt, als er sich dem offenen Seitentor näherte, und blickte die Straße auf und ab. Niemand zu sehen. Er trat aus dem Licht der schaukelnden Straßenlampen in den Friedhof.

Hinter dem Westtor bog er vorsichtig auf den Kiesweg zwischen der Kirche und der Mauer des angrenzenden Parkplatzes. Der Weg führte zum Glockenturm und dem Eingang neben Sakristei und Altar.

»Wer ist da?«, rief er in die Dunkelheit.

Nur der Wind antwortete.

Dann bemerkte er einen Lichtschein in den Fenstern. Keine Reflexion, es schien kein Mond. Er tastete sich mit der rechten Hand an den Steinquadern des Gebäudes entlang. Langsam fuhren seine Finger über die abgeschrägte Oberfläche, zuckten aber jäh zurück, als sie auf eine feuchte, schwammige Stelle stießen. Lavelle unterdrückte einen irrationalen Schrecken. Nur ein Mooskissen. Er tastete sich weiter bis zu einer Nische in der Gebäudewand vor, und als er eine Hand an die Tür legte und mit der anderen nach den Schlüsseln griff, ging die Tür auf.

Überrascht sah Pfarrer Liam Lavelle den Hochaltar vor sich in hellem Kerzenschein erstrahlen. Brennende Kandelaber standen in Reihen auf den Stufen, während hinter dem Altartisch sämtliche hohen Kerzen von Haupt- und Seitenaltären zu einem flammenden Halbkreis aufgestellt waren. Ihre flackernden Lichtzungen erzeugten die Illusion, als bewegten sich die Marmorstatuen auf dem Altarbild darüber.

Er trat in den Mittelgang und überflog mit einem raschen Blick das Kirchenschiff, die Bankreihen im Halbdunkel und die Finsternis dahinter. Als er sich dem Kommunionsgitter zuwandte, glaubte er kurz, eine der Statuen der Länge nach auf dem Altar liegen zu sehen. Doch als er den Lichtkranz durchschritten hatte, erblickte er entsetzt den Körper einer jungen Frau, die nackt auf dem Altartuch lag. Ihre Haut war wie Kerzenwachs, ihre Hände waren über den Brüsten gefaltet, die Augen geschlossen, und das schwarze Haar breitete sich wie ein Fächer über das weiße Leinen aus.

Lavelle befühlte ihre Stirn und erhielt bestätigt, was er bereits vermutet hatte ... kalt wie der Marmor, auf dem sie lag. Aber da war noch etwas ... es ragte aus ihrer Wange ... eine Art Schmucknadel ... oder ein Spieß. Gleichzeitig nahm er einen heftigen Geruch wahr, keinen Fäulnisgeruch, sondern noch süßer ... sinnlich, dekadent. Überwältigt von einer Ahnung des Bösen, kniete Pfarrer Lavelle nieder und betete.

Kapitel 2

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite war ein Irish Pub. Die Frau, die im strömenden Regen auf das Umschalten der Ampel wartete, hätte normalerweise über diese Ironie gelächelt, aber sie musste den Mund fest geschlossen halten, um den Speichel zurückzuhalten, den ihre Drüsen unablässig produzierten. Die Übelkeit gewann langsam die Oberhand.

Walk. Weiß war die Farbe des Exils, dachte sie verbittert.

Auf dem Weg über die Straße blieb sie alle paar Schritte stehen und kämpfte gegen den Brechreiz an. Die regennassen Fahrzeugschlangen im abendlichen Berufsverkehr reflektierten einen Wirrwarr aus Neonlichtern von Läden und Reklameschildern. Die Frau blickte starr geradeaus, bis sie den Eingang zur Kneipe erreicht hatte, und trat mit ruckartigen Bewegungen ein. Im Fernseher hinter der Theke lief die Aufzeichnung einer Partie Gaelic Football, die bei strahlendem Sonnenschein gespielt worden war. Eine Hand voll Männer schauten zu, und auch der Barkeeper hatte den Kopf zum Gerät gewandt, sodass er die Frau nicht bemerkte, die die Kapuze ihres Parkas zurückschlug und wie ein Roboter auf die Toilette zusteuerte.

Dort angekommen, schlug sie die Tür einer Kabine hinter sich zu und schloss ab. Sie beugte sich über die Schüssel, stemmte die Hände gegen die Rückwand und ergab sich ihrer Übelkeit. Die erste Konvulsion riss ihr den Kopf zurück, und sie spuckte das saure Erbrochene auf den Boden. Sie trat einen Schritt nach hinten und kauerte sich über die Toilette, die Hände auf die Knie gestützt, das Gesicht fast in der Schüssel. Ein zweiter Krampf förderte so gut wie nichts herauf, aber sie würgte immer weiter. Der Brechanfall ließ ihr die Augen aus den Höhlen treten. Nach einem neuerlichen Würgen spürte sie schließlich etwas in der Kehle. Sie steckte zwei Finger tief in den Rachen und fing an zu ziehen. Zwischen ihren tropfenden Fingern tauchte etwas auf, das wie ein Stück Zellophan aussah. Sie zerrte weiter daran, bis ein in Abschnitte unterteilter Plastikstreifen wie ein riesiger Bandwurm aus ihrem Mund zu gleiten begann. Jeder Abschnitt wies eine leichte Wölbung auf. Sie würgte noch einmal und spie den zusammengerollten Rest des Plastikwurms in die Schüssel. Der Brechreiz ließ nach, und sie holte mehrmals tief Luft. Ihre Kehle war wund.

Sie riss Papier aus dem Spender und schob sich Streifen in Mund und Nase. Dann schnäuzte sie sich mit einem frischen Papier. Sie stand auf, ihre Augen brannten. Sie tupfte sie mit dem Klopapier ab und sah auf die Uhr. Fast fünfzehn Stunden. Sie wurde immer besser. Sie sollte Meldung machen. Aber sie wartete lieber, bis sie draußen auf der Straße war.

Sie verließ die Kabine und trat vor das Waschbecken, wo sie einen rosa Seifenklecks in ihre Handfläche drückte und sich die Hände wusch. Dann spritzte sie sich Wasser ins Gesicht und blickte in den Spiegel.

Ihr aschfahles Gesicht wirkte winzig, wie es aus der großen Parkahaube ragte. Die Augen lagen tief über hervorstehenden Backenknochen. Die pergamentdünne Haut der Augenhöhlen sah blutunterlaufen aus und ließ die Augen größer wirken, als sie waren. Sie betrachtete sich aus der Nähe und zwickte sich in die Wangen. Ein zartes, blasses Rosa erschien auf beiden Seiten des Gesichts. Sie runzelte missbilligend die Stirn. Aber wenigstens dämpfte dieses neue Training ihren Appetit.

Sie ging zurück in die Kabine und spülte. Das Wasser stieg bis zum Rand der Schüssel und lief unter dem Plastikknäuel im Ausfluss langsam wieder ab, ohne es wegzusaugen. Sie beschloss, es dort zu lassen. Ein Kurier, würde man denken, hinter dem jemand hergewesen war. Der in Panik geriet. Sich auf dem Klo des Zeugs entledigte. Man würde die Polizei holen. Aber sie würden keine Drogen finden.

Kapitel 3

»Sarah Glennon wurde seit zwei Tagen vermisst. Sie war auf dem Fest zum einundzwanzigsten Geburtstag einer Freundin gewesen, in einem Hotel im Norden der Stadt.« Detective Inspector Kevin Dempsey unterrichtete die drei Priester der Gemeinde Kilbride in Liam Lavelles Wohnzimmer vom Stand der Dinge. Er war ein kräftiger Mann mit kurz geschnittenem grauem Haar, das eine tonsurförmige kahle Stelle einrahmte, und trug einen blauen Regenmantel, aus dem er gerade einen Spiralblock gezogen hatte.

Lavelle hatte Dempsey einen Lehnstuhl angeboten und sich selbst auf den zweiten gesetzt, während sich die beiden anderen Priester die Couch vor dem leeren Kamin teilten. Es war Mittag, im Haus lief keine Heizung, und alle vier froren. Lavelle war außerdem übermüdet – er hatte nicht geschlafen, seit er die Leiche in der Kirche gefunden hatte. Die Priester waren schon am Morgen einzeln vernommen worden, aber sie hatten kaum Informationen zu dem Fall erhalten, der ihre Gemeinde in die Schlagzeilen brachte. Deshalb hatten sie Dempsey um diese Unterredung gebeten.

»Sie teilte sich mit zwei Freunden ein Taxi in die Stadt, um den Nachtbus noch zu kriegen – die drei trennten sich, und sie stieg in den Bus nach Ballinteer, das liegt auf dem Weg in die Hügel vor Dublin. Wir wissen, dass eine junge Frau, auf die ihre Beschreibung passt, dort in eine durchgehend geöffnete Tankstelle gegangen ist; wahrscheinlich wollte sie ihre Eltern anrufen und sich abholen lassen, aber das Telefon war defekt. Vermutlich beschloss sie dann, die anderthalb Kilometer zu ihrem Elternhaus zu laufen, das außerhalb der Siedlung liegt, an der Straße in Richtung Ticknock. Danach wurde sie nicht mehr gesehen. Wir sind zunächst der Möglichkeit nachgegangen, dass ein Angreifer ihr vom Bus oder der Tankstelle aus gefolgt ist. Inzwischen ist klar, dass sie entführt und ermordet wurde, aber wo und zu welchem Zeitpunkt nach ihrem Verschwinden, kann ich nicht sagen.«

»Hören Sie, Inspector«, knurrte Paddy Quinn, der silberhaarige Gemeindepfarrer. Er trug als Einziger unter Dempseys Zuhörern ein vollständiges schwarzes Priestergewand. »Haben Sie eine Erklärung dafür, warum eine junge Frau, die unseres Wissens keine Verbindung zu Kilbride hat, ausgerechnet in unserer Pfarrkirche tot aufgefunden wird?«

»Nein. Hat jemand von Ihnen eine?«

Lavelle beobachtete, wie der Polizist sie alle drei rasch der Reihe nach ansah, wobei er den Eindruck hatte, dass sein Blick eine Spur länger auf ihm selbst verweilte. Dempseys Augen waren klein für sein Gesicht, oder sie wirkten klein, weil sie über einem Paar feister Wangen saßen, aber sie waren lebhaft und wachsam. Lavelle überlegte, dass sein Bart, die Lederjacke und der offene Hemdkragen ihn in den Augen des Detective nicht nur räumlich von den beiden konventioneller aussehenden Priestern auf der Couch abhob.

Niemand hatte eine Idee.

»Sie sagen, sie wurde ermordet«, wandte sich Conor Lyons, der jüngere der beiden Kuraten, wichtigtuerisch an den Detective. »Auf welche Weise?«, Lyons trug einen leuchtend grünen Golfpullover mit V-Ausschnitt, der ein pastoralgraues Hemd mit Priesterkragen sehen ließ. Sein Gesicht war rosig und glänzte, als hätte er es den ganzen Morgen heftig geschrubbt.

»Die amtliche Pathologin wird in etwa einer Stunde mit der Obduktion beginnen, aber ihre vorläufige Untersuchung weist auf einen Zusammenbruch aller Körperfunktionen infolge massiver Blutung hin – Sarah wurde ausgeblutet ... sie hatte kaum noch einen Tropfen Blut in den Adern.«

»O Herr, steh uns bei!«, platzte Lyons heraus.

Lavelle schloss die Augen, um einen Blickkontakt zu verhindern, bevor Lyons ihn ebenfalls zu einer melodramatischen Reaktion auffordern konnte. Kein Blut mehr in ihr. Wobei war das eine Bedingung? Bei einem Opfer.

»Es sieht aus, als hätten wir es mit einem Ritualmord zu tun«, sagte Dempsey zu Quinn, ohne auf Lyons zu achten. »Erinnert es Sie an irgendeine Zeremonie – eine Schwarze Messe vielleicht?«

»Ich bezweifle, dass einer von uns hier je Zeuge einer Schwarzen Messe oder sonstigen satanischen Treibens war, aber die Verwendung eines weiblichen Körpers in Blasphemien wie der Gnostischen Messe ist bekannt ... allerdings handelt es sich dabei meines Wissens um eine lebende Person, nicht um einen Leichnam. Habe ich Recht, Liam?«

Pfarrer Lavelle, der zusammengesunken in seinem Lehnstuhl saß und die Augen geschlossen hatte, nickte zerstreut. Welches Datum war heute? Der 1. Februar. Der Frühlingsbeginn in der Natur, und demzufolge ...

Dempsey wandte sich wieder an Quinn.

»Wurden die Kirche oder der Friedhof in letzter Zeit geschändet?«

»Wissen Sie, Inspector, wir leben in einer Zeit, die keinen Respekt mehr kennt vor Dingen, die früher einmal heilig waren«, sagte Quinn mit einiger Leidenschaft. »Sie benutzen die Kirche als Toilette, sie feiern Trinkgelage auf dem Friedhof, sie rauben sogar den Opferstock für die Kerzen!«

Kerzen. Ganze Reihen von Kerzen, letzte Nacht in der Kirche. Wozu?

»Ich meinte richtige Sakrilege. Gestohlene Hostien, Zeichen von Teufelsanbetung ...«

»Die Kerzen!« Lavelle schien aus einer Trance zu erwachen. »Das Ritual hat mit Feuer, mit der heiligen Brigitta und mit ... Reinigung zu tun!«

Er setzte sich aufrecht und fuchtelte mit den Armen in Quinns Richtung. »Wessen Fest ist heute, Paddy?«

»Das der heiligen Brigitta.«

»Und was feiern wir morgen?«,

»Die Darstellung Christi im Tempel oder, wie es in meiner Jugend hieß, das Fest Mariae Reinigung.«

»Aber es gibt einen noch älteren Namen dafür.«

»Du meinst Lichtmess?«

»Richtig. Lichtmess. Gefeiert mit brennenden Kerzen. Und woran genau erinnert das Fest?«

»An den Besuch der Heiligen Jungfrau im Tempel, vierzig Tage nach Jesu Geburt. Sie ging hin, um sich reinigen zu lassen und um Opfer darzubringen. Soll das eine Bibelstunde werden, Liam, oder worauf willst du hinaus?«

»Nur einen Moment Geduld, bitte. Heute ist der 1. Februar. In Irland nennen wir ihn La Fheile Bride – das Fest der heiligen Brigitta. Wir befinden uns im Dorf Kilbride – Cill Bride heißt die Kirche der heiligen Brigitta –, und unsere Kirche ist ihr ebenfalls geweiht. Dann die Kerzen. Der Zusammenhang ist folgender: Brigitta ist nicht nur eine christliche Gestalt, es gab auch schon vorher eine Brigida, eine mächtige keltische Göttin, die im Mittelpunkt eines Feuerkults stand. Außerdem gibt es eine Volkssage, an die ich mich nur noch teilweise erinnere, wie die heilige Brigitta mit einer Krone aus Kerzen auf dem Kopf die Heilige Jungfrau in den Tempel begleitet. Kennst du die Geschichte, Paddy?«

»Ja, ich erinnere mich gut. Maria war sehr schüchtern und wollte nicht gesehen werden, und Brigitta mit ihren Kerzen lenkte die Aufmerksamkeit von ihr ab. Aus Dankbarkeit erlaubte sie Brigitta, ihren Festtag vor dem Fest Mariae Reinigung zu feiern ... Aber ich weiß immer noch nicht, worauf du hinauswillst.«

»Aber verstehst du denn nicht? Eine Brigitta, die deutliche Züge der keltischen Gottheit trägt, zusammen mit der Jungfrau Maria in einer Geschichte, in der Kerzenlicht erwiesenermaßen das Vermächtnis der alten Religion ist. Göttin und Gottesmutter in einer Zeremonie vereint, die Feuer, Opfer und Reinigung beinhaltet. Das stellte das Ritual von letzter Nacht dar. Eine Verschmelzung von Lichtmess und Fest der Brigida. Genau das müssen der oder die Täter im Sinn gehabt haben. Was letzte Nacht drüben in der Kirche stattfand, war nicht nur Mord und Schändung ... es war mehr.«

Er sank erschöpft in seinen Sessel zurück. Dann sagte er mit tonloser Stimme: »Mir ist noch etwas eingefallen. Es heißt, dass am ersten Tag des Frühlings die Göttin Brigida dem toten Winter neues Leben einhaucht. Die Geschehnisse der letzten Nacht in Kilbride haben selbst das noch pervertiert!«

»Ach, hör doch auf«, sagte Lyons nach einigen Sekunden Schweigen. »Dann soll also eine Bande Feueranbeter aus unserer Gegend ein Mädchen entführt und ermordet haben, um das Gegenteil von irgendeinem keltischen Quatsch zu feiern – jetzt lass mal die Kirche im Dorf, Liam!«

Lyons lachte über sein eigenes Wortspiel und brachte Quinn mit einem Augenzwinkern dazu, es ihm gleichzutun.

Lavelle achtete nicht auf ihn. »Ich war derjenige, der sie finden sollte«, sagte er mehr zu sich selbst und legte die Fingerspitzen an die Stirn.

»Apropos toter Winter – besteht die Möglichkeit, diesem Raum hier ein bisschen Leben oder Wärme einzuhauchen, Liam? Ich friere.« Lyons genoss seine Rolle als Spaßvogel.

Dempseys Handy piepste. Er holte es aus seiner Manteltasche. »Dempsey ... gut, dann habt ihr also Eingang, Sakristei und Altar erledigt ... Ja, alle Kirchenbänke und Beichtstühle, pudert alles ein ... ja, die Empore ebenfalls.« Er steckte das Telefon wieder ein und setzte sein Gespräch mit den Priestern fort.

»Es scheint, als würden Sie alle hier davon ausgehen, dass mehrere Leute beteiligt waren und dass sie aus der Gegend sind.«

»Für eine Zeremonie braucht man zweifellos mehrere Personen – als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, bestand ein Hexensabbat aus dreizehn«, sagte Lyons. »Und warum sollten sich Leute, die nicht aus der Gegend sind, unsere Kirche aussuchen? Wahrscheinlich weiß nicht mal die Hälfte der Gemeindemitglieder, dass sie überhaupt existiert, von Auswärtigen ganz zu schweigen!«

Lyons’ Albernheiten gingen Lavelle auf die Nerven.

Dempsey fuhr geduldig fort. »Wenn ich recht verstehe, gab es also Ihres Wissens keine Anzeichen für Teufelsanbetung, okkulte Praktiken oder dergleichen in Kilbride, ja? Pfarrer Lavelles Idee mit den Festtagen ist demnach von Ihrer Seite die einzige Vermutung, was es mit diesem Ritual auf sich haben könnte. Ist das richtig?«

Die beiden Priester auf der Couch sahen einander an, dann gaben sie mit einem Achselzucken zu erkennen, dass sie ihm nicht widersprechen wollten.

»Wir wissen außerdem, dass Sarah bereits tot war, als sie hierher gebracht wurde. Bei all dem Blutverlust war sie noch leichter und sie war ohnehin ein zierliches Mädchen. Ein halbwegs kräftiger Mann könnte sie transportiert haben, zwei hätten mit Sicherheit keine Schwierigkeiten gehabt.«

»Aber wie hat es sich abgespielt ... wie kamen sie in die Kirche ... wie haben sie die Leiche transportiert?«, fragte Quinn.

»Gott, das ist wirklich wie bei Burke and Hare.« Lyons wieder.

»Wir reden hier vom Mord an einer jungen Frau, vielleicht auch von Folterung, Hochwürden. Um Leichenraub geht es jedoch nicht.« Offensichtlich ging Lyons auch Dempsey auf die Nerven. »Aber um Pfarrer Quinns Frage zu beantworten ... Wir arbeiten an einer Reihe von Möglichkeiten.« Der Detective beugte sich vor und heftete den Blick auf den jungen Priester. »Anscheinend wurde die Seitentür mit dem Reserveschlüssel geöffnet, der immer in der Sakristei hängt, und zwar von innen – er steckte noch im Schloss. Woher wussten die Täter, wo sie suchen mussten oder dass er überhaupt da war? Hat es ihnen jemand verraten?«

Lyons krümmte sich unbehaglich auf seiner Couch. »Sie meinen, einer von uns? Na ja, Paddy und ich waren gestern natürlich auf dem Land. Aber Liam war den ganzen Tag hier ... in der Gemeinde ...«

»Halt verdammt noch mal die Klappe, Conor! Ich kann für mich selbst reden«, brauste Lavelle auf.

Die beiden Priester auf der Couch waren verblüfft über Lavelles Heftigkeit.

»Kein Grund für so einen Tonfall, Liam«, rüffelte ihn Quinn.

»Nein? Ich bin hier nicht derjenige, der seine Sprache nicht unter Kontrolle hat«, sagte Lavelle und sah Lyons böse an.

Lyons zog eine Schnute. »Ich wollte doch nur sagen –«

Dempseys Telefon läutete wieder. Er bat mit einer Handbewegung um Ruhe. »Ja, Jack ... was, jetzt schon? Gut, sag ihr, ich bin unterwegs, und halt so lange die Stellung.«

Er stand auf. »Ich muss weg. Seien Sie inzwischen vorsichtig, was Sie zu Reportern oder überhaupt zu irgendwem sagen. Ich würde Ihre Diskretion begrüßen, und das gilt sicher auch für Sarahs Familie.« Er sah Lyons scharf an. »Und nur zur Erinnerung – wir versiegeln den ganzen Tatort, das heißt das Gebäude, die Außenanlagen und den Parkplatz, Sie müssen also für Ihre Gottesdienste in den nächsten Tagen anderweitig Vorkehrungen treffen. Und falls Sie Informationen haben, von denen Sie glauben, sie könnten uns nützen, hier ist die Nummer der Sonderkommission, die wir in Lucan eingerichtet haben.«

Er schrieb eine Nummer in seinen Notizblock, riss die Seite heraus und gab sie Pfarrer Quinn. Das Polizeirevier von Lucan war für die Ermittlungen bei Gewaltverbrechen im Westen Dublins zuständig und lag nur drei Meilen von Kilbride entfernt.

Als er bereits auf dem Weg zur Tür war, drehte er sich noch einmal zu Lavelle um. Er hatte noch eine Frage. »Warum glauben Sie, dass Sie das Mädchen finden sollten?«

»Ich weiß nicht. Ich glaube ... ich bin wohl einfach nur müde.«

Kapitel 4

Was Jane Wade von der Ausstellung gesehen hatte, reichte ihr, und sie würde auch nicht wiederkommen. Der Bursche war ein großer Selbstdarsteller, aber mit Kunst hatte das nach ihrem Verständnis nichts zu tun. Die Öffentlichkeit schockieren, grausige Denkwürdigkeiten zeigen, das klebrige Innere des Körpers zur Schau stellen – ging das alles nicht schon ein bisschen zu lange so? Gab es keine lebensbejahenden Themen zu erkunden, gerade jetzt im neuen Jahrtausend? Ihr Interview mit Raymond O’Loughlin, dem enfant terrible der irischen Kunstszene, war für die morgige Ausgabe der Radiosendung Artspeak geplant, zeitgleich mit der Eröffnung seiner neuesten Ausstellung »Cryptology«. Sie konnte es genauso gut heute Abend bearbeiten, anstatt morgen zur Vernissage zu kommen, deren Besuch er ihr ans Herz gelegt hatte.

Wind und Regen peitschten durch Temple Bar, Dublins Künstlerviertel, als Jane auf ein Café zusteuerte. Sie stieß die Tür auf, ein Wirbel kalter Luft folgte ihr. Sie setzte sich an einen kleinen Tisch neben einem Heizkörper, legte den schlappen Samthut und die Wollhandschuhe ab und stellte die lederne Umhängetasche neben sich auf die Bank. Sofort erschien eine Kellnerin, bei der sie einen Cappuccino bestellte. Jane nahm einen metallicblauen Minirecorder, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, aus ihrer Tasche und legte ihn auf den Tisch. Dann steckte sie sich einen winzigen Knopfhörer ins Ohr, startete das Gerät und hörte sich O’Loughlins Antwort auf ihre erste Frage an:

... sagte, Kunst ist überhaupt ganz nutzlos, aber das war nur ein superschlauer Spruch fürs Publikum, das ihm alles kritiklos abnahm, inzwischen begeisterten er und seine Freunde sich für Pornografie von Aubrey Beardsley und wichsten in Messbücher, während sie Statuen von gehäuteten Märtyrern betrachteten ... Für mich kommt es rund hundert Jahre später darauf an, alles in die Öffentlichkeit zu bringen ... Scheiße, meine Generation ist mit Porno- und Gewaltvideos aufgewachsen, erwarten Sie, dass ich Sonnenuntergänge male ... Wenn ich es täte, würde ich’s »Himmlische Pollution« nennen, deshalb haben wir so tolle Sonnenuntergänge und so beschissenes Wetter, ha, ha ...

Sie würde reichlich redigieren müssen. Vorsichtshalber hatte sie aber auch Kara McVey interviewt, O’Loughlins Lebensgefährtin und Leiterin der Riverrun Gallery, in der die Ausstellung stattfand.

Die Kellnerin kam mit dem Kaffee. Jane wurde langsam warm, sie zog den Reißverschluss ihrer wetterfesten, gewachsten Jacke auf, umfasste die Tasse mit beiden Händen und sah aus dem Fenster. Gut zehn Meter entfernt, auf den Stufen zu einem offenen Platz, versammelte sich eine kleine Gruppe Männer und Frauen in Wind und Regen. Jane beobachtete träge, wie sie zwei Reihen bildeten, eine stand eine Stufe höher als die andere. Sie begannen zu singen. Jane schaute sich im Café um, ob noch jemand die Gruppe bemerkt hatte, und fing den Blick der Kellnerin hinter der Theke auf.

»Bisschen spät dran für Weihnachten, was?«, sagte die Bedienung in ihrer trockenen Dubliner Art.

»Wer sind die?«

»Jedenfalls keine Weihnachtssänger – bloß wieder so ein Haufen, der glaubt, dass das Ende der Welt bevorsteht.«

»Leute, die an das tausendjährige Reich Christi und so glauben?«

»Ja, nur dass die Bande hier musikalisch ist und sich offenbar drauf freut. Sie kommen jetzt schon seit Wochen. Ein paar Kirchenlieder, dann hält dieser eine Typ eine Rede, und sie verteilen Flugblätter.«

Jane trank ihren Kaffee aus und zog sich wieder warm an. Sie zahlte an der Theke und dankte der Kellnerin. Als sie auf den Platz trat, hörte sie die letzten Worte eines Chorals:

Reichlich schenkest du Vergebung Vor dem Tage der Vergeltung.

Ein junger Mann löste sich aus der Gruppe und reichte Jane ein Flugblatt, als sie vorüberging. Es ähnelte mehr einem Comic als einem religiösen Traktat. Sie ging über den Platz zu Merchants’ Arch, wo die Leute in der Gasse, die zur Liffey hinabführte, gegen den Wind ankämpften. Sie blieb stehen, um zwei ältere Damen vorbeizulassen; eine stützte sich mit der Hand an der Wand ab, und die andere klammerte sich an sie. Während sich die beiden an Jane vorbeimühten, steckte sie das Flugblatt in ihre Tasche. Vom Platz her schnappte sie einen amerikanischen Akzent auf, der aus einem Megafon tönte.

Sie hatte bereits beschlossen, einen Bus nach Ryevale zu nehmen, einer Vorstadt fünfzehn Kilometer westlich der Stadtmitte, und sich unterwegs ihr Interview anzuhören. Dann konnte sie ihren Wagen abholen, der dort zur Inspektion war, und das Interview zu Hause bearbeiten.

Bevor sie in der Abbey Street in den Bus stieg, kaufte sie den Evening Herald mit der Schlagzeile: RITUALMORD IN KIRCHE.

Die Nachricht vom Fund der Leiche Sarah Glennons war zu spät für die Morgenzeitungen gekommen, aber Jane kannte einige Einzelheiten aus den Radionachrichten und aus Gesprächen im Büro.

Sie setzte sich an ein von Kondenswasser beschlagenes Fenster und las den Bericht in der Boulevardzeitung, während der Bus im Leerlauf stand. Schließlich legte sie die Zeitung in den Schoß, wischte mit dem Handrücken ein Stück Fenster frei und sah hinaus. Auf der anderen Straßenseite lief eine elektronische Botschaft in roten Lettern über die Schaufensterfront einer christlichen Buchhandlung: ... denn der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren war ...

In diesem Augenblick dachte Jane an Sarah Glennon, und sie dachte auch an ihre eigene, verlorene Schwester.

Kilbride lag fünf Kilometer hinter Ryevale, an derselben Busroute, vielleicht sollte sie ...

Der Bus fuhr mit einem Ruck aus der Haltebucht und unterbrach ihre Träumerei.

Kurz vor Ryevale packte sie gerade ihren Recorder und ihr Notizbuch zusammen, als sie bemerkte, dass der Fahrgast neben ihr, ein Mann in einer grünen Armeejacke, auf ihre Beine hinabstarrte. Ihr Rock war kurz, aber wegen der Kälte trug sie eine schwarze Wollstrumpfhose. Sie zog ihre Tasche auf den Schoß, aber dann bemerkte sie, dass er in Wirklichkeit in die Zeitung sah.

»Die Frau hatte keine Kleider an«, sagte er, nachdem sie den Kontakt mit einem fiebrigen Augenpaar hergestellt hatte. Sein Gesicht war weiß, es hätte vor Wut sein können, aber er sprach in einer Art Singsang, wie ein Kind. »Man geht nicht ohne Kleider auf den Altar, oder? Sie war eine böse Schlampe!« Er schrie das Wort zu Jane hinauf, während sie sich an ihm vorbeizwängte. Es waren nur noch zwei weitere Leute im Bus. Sie drückte erst wenige Meter vor ihrer Haltestelle auf den Summer und sprang hinaus, bevor der Bus richtig stand.

Sie sah, wie der Mann an der Fensterscheibe rieb und zornig zu ihr hinausstarrte, während der Bus in Richtung Kilbride davonfuhr.

Kapitel 5

Regen schlug gegen die Wagenfenster, als Dempsey zum Tallaght Hospital fuhr. Die Obduktion war bereits im Gange, und Deirdre Figgis, die Pathologin, beschwerte sich wahrscheinlich schon über sein Fehlen. Aber er war bei der Voruntersuchung dabei gewesen und freute sich nicht gerade darauf, mit anzusehen, wie der Körper der jungen Frau seziert wurde. Er widerstand dem Drang nach einer Zigarette, denn er hatte beim Rauchen gern das Fahrerfenster offen, und jetzt würde es hereinregnen.

Diese Priester – wie alt waren die eigentlich? Seit er selbst fünfzig geworden war, benutzte er dieses Alter als eine Art Messlatte für andere Leute. Quinn – älter, etwas über sechzig. Lavelle – jünger, noch nicht vierzig. Und Lyons – noch jünger, Ende Zwanzig. Da Dempsey um die Mitte des Jahrhunderts geboren wurde, ließen sich seine eigenen Lebenserfahrungen und die anderer Leute von diesem Ausgangspunkt praktisch einordnen. Die Entwicklungsjahre von Quinn – die Kirche im Aufsteigen begriffen, die Balladensängerin Delia Murphy und irische Folkbands, Emigration, wenigstens ein Junge in jeder Familie Priester oder Mönch. Lavelle – ein Bein noch in den Sechzigern, Theologie der Befreiung, sich modern gebende Priester, feministische Nonnen und Liedermacher. Lyons, nur ein paar Jahre vor Dempseys Ältestem – Computer und Videos, Drogen und Gewalt, U2, Priester, die Kinder missbrauchten, und die Kirche im Niedergang begriffen. Und er selbst? Aus einer Kleinstadt stammend, die sich in seiner Schulzeit noch halb im Mittelalter befand, hatte er die Science-Fiction seiner Kindheit Realität werden sehen. Ein Gewirr von Kommunikationsmitteln umspannte den Globus, man konnte Menschen klonen, und das Jahr 2001 war bereits vorüber.

Er fuhr auf den Parkplatz des Krankenhauses, wartete einige Minuten im Wagen und blies Rauch aus dem von der Gebäudewand geschützten Fenster. Die Gerichtsmedizinerin duldete Rauchen unter keinen Umständen. Er schnippte die Zigarette aus dem Fenster. Zeit für Figgy.

Auf dem Weg zum Obduktionssaal kamen ihm Detective Sergeant Jack Taaffe und Mitglieder des Spurensicherungsteams entgegen. Taaffe verabschiedete sich von den anderen und blieb bei Dempsey stehen. Er kleidete sich mehr wie ein leitender Angestellter in der Wirtschaft als ein Polizist: schicke Anzüge und italienische Schuhe, modische Hemden und eine Seidenkrawatte für jeden Wochentag. Obwohl er erst in den Dreißigern war, umrahmten die Reste seines braunen Haars eine umfangreichere kahle Stelle als die seines älteren Kollegen, aber seine Frisur verschleierte diese Tatsache geschickt.

»Sie ist schon fertig, Kevin, finito. Sie räumt gerade auf und möchte, dass du auf den abschließenden Bericht wartest. Mach dich auf einiges gefasst, es ist einfach grauenhaft. Ich würde den, der das getan hat, jederzeit aufknüpfen – nachdem ich ihm vorher die Eier abgeschnitten habe. Hast du aus den Herren Geistlichen in Kilbride noch was herausgekriegt?«

»Nicht viel. Quinn ist der typische Gemeindepfarrer. Lyons ist ein ziemlicher Quatschkopf. Lavelle war durchaus hilfreich und er hat das Zeug zu einer Art Erklärung für das Ritual.«

»Auf den müssen wir aufpassen, Kevin. Als Erster am Tatort, du kennst das ja. Ich würde alles mit Vorsicht genießen, was er sagt.«

»Hmm ... er wirkt eigentlich ganz ehrlich, allerdings habe ich heute Nachmittag erlebt, wie er in Wut geriet. Kann’s ihm aber nicht verübeln. Er passt nicht sonderlich zu den beiden anderen Priestern. Ziemlicher Einzelgänger, würde ich sagen. Quinn hat mir ein paar Hintergrundinformationen über ihn gegeben, denen sollten wir nachgehen.«

»Aha? Hat er sich etwa an Ministranten vergriffen?«

»Na klar, Jack. Einer, den sein Zölibat frustriert – genau wie bei dir, was?« Dempsey gab seinem Kollegen einen freundlichen Klaps mit auf den Weg, dann rief er ihm nach: »Kümmerst du dich darum, dass die ganze Mannschaft um« – er sah auf die Uhr –, »sagen wir, vier Uhr in Lucan versammelt ist. Stimm die Zeit mit unseren Leuten in Ticknock ab – die wollen uns ihre Ergebnisse vorbeibringen. Wo finde ich Figgy?«

»An der Tür steht A3, ist ein kleiner Besprechungsraum gleich über dem Obduktionssaal. Wird noch ’ne Weile dauern, sie ordnet ihre Aufzeichnungen. Und weil du gerade von Frust redest – denk dran: Rauchen verboten!«

Eine halbe Stunde später begann die Unterredung.

»Ich habe Ihnen heute Morgen nach meiner ersten Untersuchung bereits mitgeteilt, dass das Opfer zu einem unbestimmten Zeitpunkt vor Entdeckung der Leiche einen massiven und tödlichen Blutverlust erlitten hat.«

Dr. Figgis trug ein zweiteiliges, marineblaues Kostüm mit rosa Bluse und keinen Schmuck außer einer schlanken Uhr am leicht fleischigen Handgelenk. Sie neigte unabhängig vom Anlass zu einer förmlichen Ausdrucksweise, ein Eindruck, den ihre Stimme, beinahe ein Bariton, noch verstärkte. Dempsey fühlte sich immer an die frühere irische Präsidentin Mary Robinson erinnert. Figgis saß ihm gegenüber an einem Schreibtisch und las von ihrem Laptop ab. Er hielt seinen Spiralblock bereit.

»Die vorderen beziehungsweise oberen Flächen beider Füße weisen je ein rundes Stichmal auf, hervorgerufen von einem Gegenstand, der jeweils die Dorsalis-Pedis-Arterie durchbohrte. Die Blutergüsse um diese Wunden zeigen an, dass die Verletzungen dem Opfer zugefügt wurden, als es noch lebte. Es handelt sich zwar um keine schweren Verletzungen, doch hatten sie durch die Beschädigung der Arterien eine beträchtliche Blutung zur Folge. Im Bereich von Handgelenken und Knöcheln waren Spuren kapillarer Blutergüsse festzustellen, zusammen mit Hautabschürfungen, vor allem an den Handgelenken und Knöcheln selbst. Weiter –«

»Worauf lässt das schließen?«

»Dass ihr in diesen Bereichen sehr eng sitzende Fesseln angelegt wurden und dass sie verzweifelt versucht hat, sich aus ihnen zu befreien.«

»Keine Brandspuren von Stricken, keine Fasern auf ihrer Haut?«

»Nein. Ich gehe davon aus, dass die Fesseln aus einem dünnen, glatten Material waren, Plastik vielleicht.«

»Wie Kabelbinder?«

»Nein, biegsamer, sodass man die Fessel sehr eng machen konnte. Ein steiferes Material hätte einen gewissen Bewegungsspielraum gelassen und folglich zu mehr Scheuerspuren geführt. Aber Sie werden wie immer der Erste sein, den ich benachrichtige, Detective Inspector, falls ich zweckdienliche Informationen habe. Darf ich jetzt fortfahren?«

»Ja, natürlich, Doktor.« Sie mochte es nicht, wenn sie unterbrochen wurde.

»Weiter also mit anderen äußerlichen Merkmalen: Ich sollte wohl erwähnen, dass der Leichnam des Opfers gereinigt und gewaschen wurde, hergerichtet und aufgebahrt wie für eine Beerdigung, sogar die Fingernägel hatte man ihr geschrubbt. Das ist in Mordfällen nicht die Regel und stellt aus gerichtsmedizinischer Sicht eine zusätzliche Schwierigkeit dar. Und wenn ein Leichnam im Leichenschauhaus zur Beerdigung vorbereitet wurde, sollte man annehmen, auf Seifenrückstände, Körperpuder vielleicht oder Handtuchfasern zu stoßen. Ich habe von alldem keine Spur gefunden, was den Schluss nahe legt, dass man die Tote eventuell mit Wasser abgespritzt hat und anschließend trocknen ließ.

Es gibt zwei Schnittwunden, im Mittel sieben Zentimeter lang, an den vorderen Gelenken, wo die Beine auf den Rumpf treffen – mit anderen Worten, eine in jeder Leiste. Diese Schnitte haben Haut und Sehnen zusammengedrückt und durchtrennt, was auf ein zweischneidiges Tatwerkzeug, etwa eine große Schere schließen lässt. Kein Bluterguss, kein Anzeichen einer Blutung, woraus ich folgere, dass diese Schnitte post mortem ausgeführt wurden. Vielleicht waren die Beine der Toten gespreizt, als die Leichenstarre einsetzte, und es handelte sich um den Versuch, sie zu lösen und gerade zu richten, was ohnehin nicht funktioniert hätte. Das Werkzeug, mit dem diese Schnitte ausgeführt wurden, hat noch an drei anderen Stellen Anwendung gefunden – darauf komme ich später zurück.«

Dempsey runzelte die Stirn und unterstrich seine Notizen.

»Dasselbe gilt für die Wunde in der linken Wange ...«

»Inwiefern dasselbe?«

»Ebenfalls eine Post-mortem-Verletzung. Die an der Wange stammt von einem spitzen Metallgegenstand, der an Ort und Stelle vorgefunden wurde – es handelt sich um ein Schmuckstück, die Replik einer keltischen Brosche von schlichter Ausführung. Ursprünglich dienten diese Broschen als Fibeln, als Gewandnadeln, sie mussten also robust sein; diese hier hatte etwa die Stärke einer Stricknadel und lief am Ende spitz zu. Sie ist zehn Zentimeter lang, in einer Goldlegierung gearbeitet und von einer kreisförmigen, erhabenen Verzierung von knapp vier Zentimeter Durchmesser gekrönt, in deren Mitte ein tiefblauer Stein mit goldenen Sprenkeln eingelegt ist. Die Nadel ist bis zu einer Tiefe von fünf Zentimetern eingedrungen, sie wurde zwischen den Zähnen hindurchgezwängt und in die Zunge gestoßen. Ich habe sie mit den Stichwunden an den Füßen verglichen und glaube, diese könnten vom selben Werkzeug stammen.

Auf der linken Fußsohle befand sich eine Spur aus getrocknetem Blut; ich dachte zunächst, sie rührte von der Wunde auf der Oberseite her, aber das ließ sich nicht mit der Sorgfalt vereinbaren, die zur Säuberung des Leichnams verwandt wurde. Die Spur war nicht sehr ausgeprägt, aber bei genauerer Prüfung erkannte ich, dass sie absichtlich zurückgelassen wurde ... dass man sie sogar entdecken sollte ... es handelt sich nämlich um ein Wort, Inspector, oder den Teil eines Wortes ... geschrieben mit dem Blut der jungen Frau.«

Dempsey sah auf, ihre Blicke trafen sich.

»Ich habe Fotos mitgebracht.«

Sie holte eine digitale Kamera aus ihrem Aktenkoffer und klickte zum ersten Bild, das sie ihm zeigen wollte, bevor sie ihm die Kamera reichte. Er sah es sich an.

»Man kann es kaum erkennen, aber es sieht aus wie vier Großbuchstaben, D-E-D-I, sie erstrecken sich von der Ferse bis zum Fußballen und wurden mit etwas geschrieben, das ungefähr so dick war wie das stumpfe Ende eines Bleistifts. Ich habe überlegt, dass es sich um den Teil eines Wortes handeln könnte, dessen Rest an einer anderen Stelle des Leichnams zu suchen wäre, aber ich habe nichts gefunden. Ich habe eine Probe des Blutes ans Labor geschickt, um bestätigen zu lassen, dass es ihr eigenes ist, und für den Fall, dass sich Verunreinigungen aus einer anderen Quelle finden, möglicherweise Zellmaterial des Mörders.«

»Dedi ... dedi ... Dedikation ...« Ein anderes Wort mit dieser Wurzel fiel Dempsey nicht ein. »Könnte das ›I‹ ein ›L‹ sein?«, fragte er.

»Dazu dürfte Ihnen erst recht nichts einfallen, Inspector«, sagte sie trocken. »Und nachdem die ersten drei Großbuchstaben sind, sollte man davon ausgehen, dass der vierte auch einer ist. Ich habe den Polizeifotografen gebeten, ein paar Schwarzweißfotos zu machen. Bestimmt erkennen Sie die Buchstaben besser, wenn Sie die fertigen Negative genau ansehen.«

Das war zumindest eine greifbare, wenn auch rätselhafte Verbindung zu dem unbekannten Täter, dachte Dempsey beim Betrachten der digitalen Bilder. Eine Art Botschaft, die sie entschlüsseln konnten, ein Spiel, das er mit ihnen trieb, oder ein bedeutungsloses Rätsel, das sie nur verwirren sollte.

»Wie gesagt war die Leiche wie für ein Begräbnis hergerichtet – in Mund, Nasenlöchern und Rektum steckte Watte, die offenbar mit einem stark duftenden Öl getränkt worden war. Ich habe eine Probe zur Analyse ans Labor geschickt. Der auffälligste Befund meiner inneren Untersuchung betrifft den Zustand des Genitalbereichs und des Fortpflanzungstrakts. Vulva, Vagina und die benachbarten Organe waren in einem Ausmaß verletzt, dass Blutgefäße barsten, massive Blutungen mussten aufgetreten sein und ...«

Dempsey blickte auf. Die Pathologin geriet sonst nicht leicht ins Stocken. Sie hatte den Kopf zum Fenster gewandt, über das im trüben Nachmittagslicht der Regen strömte. Nach einem Seufzer drehte sie sich wieder um.

»Lokale Blutergüsse und Anzeichen innerer Blutungen weisen darauf hin, dass ihr diese Verletzungen zugefügt wurden, als sie noch lebte. Der Blutverlust durch die Beschädigung der Arterien musste zu Kreislaufzusammenbruch und Tod führen, ein Prozess, den die Wunden an den Füßen noch beschleunigten.«

»Wurde sie sexuell missbraucht – vergewaltigt?«

»In dem Sinne, dass ihr äußerste Gewalt angetan wurde, ja, aber womit, kann ich nicht sagen. Mein Problem dabei ist, dass sie ausgespült wurde, gründlich innerlich gereinigt. Ich habe natürlich einen Abstrich gemacht, aber ich glaube nicht, dass wir Spuren von Samen finden oder von dem Instrument, das ...«

Sie hielt erneut inne.

»Der Angreifer hat etwas benutzt, das sie innerlich buchstäblich ... zerfetzt hat.«

Draußen regnete es heftiger, die tief hängenden Wolken verdüsterten das letzte Tageslicht. Es wurde dunkel im Besprechungsraum. Dempsey stand auf und schaltete die Neonröhre an der Decke ein. Bevor sie den Raum in ihr ungesundes Licht tauchte, saß er bereits wieder. Dr. Figgis setzte ihren Bericht fort.

»Ich habe die beiden post mortem mit einer Art Schere zugefügten Schnittwunden erwähnt. Es gab drei weitere. Zwei davon haben Sie heute Morgen schon gesehen, als wir die Leiche an Ort und Stelle untersucht haben, sie betrafen die Entfernung beider Brustwarzen und der Warzenhöfe.«

Er sah ein Bild von dem geschändeten Körper des Mädchens vor sich, das er schnell wieder aus seinem Kopf verbannte. Während er auf die Beschreibung der letzten Wunde wartete, schrieb er die Zahl ›8‹ in sein Notizbuch und begann Kreise um sie herum zu malen. Er hatte eine Reihe Kreise gezogen, bevor Dr. Figgis anfügte: »In ähnlicher Weise wurde die Klitoris entfernt.«

Dempsey hörte auf zu zeichnen. Er schloss die Augen und holte tief Luft.

Die Pathologin fuhr in ihrem sachlichen Ton fort. »Als Todesursache nehme ich Herzversagen infolge eines Kreislaufzusammenbruchs an, den die schweren Blutungen aus ihren inneren Verletzungen und den Wunden an den Füßen hervorriefen. Ich sollte anfügen, dass sich der beinahe vollständige Blutverlust nur mit Hilfe der Schwerkraft erreichen ließ und ihr Körper in eine entsprechende Lage gebracht worden sein muss.«

»Mit anderen Worten«, sagte Dempsey, »sie wurde aufgehängt ... wie ... wie ein Tier im Schlachthaus.« Abscheu schnürte ihm die Kehle zu und trocknete seinen Mund aus. »Wie lange hat sie gebraucht, um zu sterben?«, flüsterte er.

»Nach Einsetzen der schweren Blutungen muss sie innerhalb von Minuten das Bewusstsein verloren haben. Wie lange sie vorher gelitten hat, kann ich nicht genau sagen.«

»Himmel, womit haben wir es hier nur zu tun?«

Dr. Figgis antwortete nicht, sondern las weiter von ihrem Bildschirm ab. »Da es keine Hypostase gab – keine Blutansammlung im Körper –, lässt sich die Todeszeit schwer bestimmen, wie auch die Frage, ob die Leiche längere Zeit auf einer bestimmten Oberfläche gelegen hat. Ich schätze aber, dass der Tod zum Zeitpunkt meiner ersten Untersuchung höchstens sechsunddreißig Stunden zurücklag, da immer noch Anzeichen von Leichenstarre zu bemerken waren.«

»Das heißt, sie lebte nach ihrem Verschwinden noch mindestens zwölf Stunden.«

Dempsey hatte sich, erschüttert von den Einzelheiten über den Tod der jungen Frau, unbewusst eine Zigarette in den Mund gesteckt. Er hielt inne, als der Deckel des Feuerzeugs aufsprang.

»Rauchen Sie ruhig«, sagte Dr. Figgis ungewohnt nachgiebig. »Sie fragen, womit wir es hier zu tun haben – ich weiß es nicht, aber ich habe noch eine kleine Beobachtung für Sie, die bei den Ermittlungen behilflich sein könnte. Nichts Wissenschaftliches, eigentlich nicht mein Fach ...« Sie schloss ihren Laptop. »Vor etwa anderthalb Jahren war eine amerikanische Freundin von mir wegen einer Konferenz zu Besuch. Wir haben uns ein paar Tage freigenommen, sind in den Westen Irlands gefahren und haben Thoor Ballylee in der Nähe von Gort besucht, ein Schloss, in dem der Dichter William Butler Yeats gewohnt hat. Dort gibt es einen Laden, der Bücher und Kunstartikel verkauft. Meiner Freundin hatte es ein Schmuckstück besonders angetan, deshalb habe ich es ihr gekauft, als Andenken an unseren Ausflug. Es war eine keltische Brosche. Und exakt die gleiche habe ich heute Morgen in Sarah Glennons Gesicht stecken sehen!«

Kapitel 6

Lavelle erwachte fröstelnd in seinem Lehnstuhl. Nachdem Dempsey und die beiden Priester gegangen waren, wollte er sich eigentlich für ein paar Stunden Schlaf ins Bett schleppen, aber stattdessen war er hier eingenickt. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei.

In der Küche wärmte er sich die Hände an einer Tasse Kaffee und sah in den strömenden Regen hinaus. Der triste Nachmittag gab den Versuch, sich zu behaupten, bereits wieder auf und versank in Dunkelheit.

Warum hatte er so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen? Er hatte es gerade nötig, sich über Lyons’ Geplapper aufzuregen. Und woher kam diese unausgegorene Theorie? Wohl aus einem dämmrigen Teil seines Gehirns zwischen Schlaf und Halluzination. Er würde sich mehr anstrengen müssen. Und dann hatte er auch noch Lyons angefaucht. Er hasste es, wenn er wütend wurde, er kam sich dann immer lächerlich vor – nein, schwach.

Er ging nach unten in sein Arbeitszimmer. Der Raum hatte ein Fenster, das auf die Einfahrt hinaussah. Ein kleines Stück innerhalb des Fensters stand ein großer Schreibtisch mit PC, Drucker und Telefon. Bücher und Papiere stapelten sich in den Wandregalen, ein Drehstuhl und ein Aktenschrank standen hinter dem Schreibtisch, ein Sessel davor. Lavelle setzte sich mit dem Rücken zum Fenster und schaltete zunächst eine Schreibtischlampe mit grünem Schirm an und dann den Computer. Nachdem er eine Weile nachgedacht hatte, begann er einige Anmerkungen zu tippen.

WARUM AM ERSTEN TAG DES FEBRUARS?

Feuer wird bei Reinigungsriten benutzt. Anbetung des Feuers in alter Zarathustrareligion Persiens. Hat das Judentum beeinflusst und damit auch Christentum und Islam.

BISHERIGER STAND

Spuren von Feuer-, Fruchtbarkeits- und Reinigungszeremonien. Naher Osten bis Nordatlantik.

Vorbereitung worauf?

Er kratzte nur an der Oberfläche. Oder vielleicht sah er ein Muster, das in Wirklichkeit gar nicht existierte. Er könnte immer so weitermachen und alle möglichen Interpretationen auftischen. Wer sollte ihm widersprechen?

Während er noch einmal durchlas, was er getippt hatte, nahm er abwesend eine kleine, kegelförmige Meeresmuschel in die Hand, die in einem Behälter für Kugelschreiber und Büroklammern gelegen hatte. Er drehte sie zwischen den Fingern, während er mit der Maus gelegentlich ein Wort auf dem Schirm markierte und unterstrich. Dann fiel ihm plötzlich auf, dass er mit der Muschel spielte. Ein Bild blitzte auf. Eine andere Frau, nackt auf weißem Tuch. Rumpf und Glieder mit Sand bedeckt. Das Haar wie tropfender Seetang über dem Gesicht. Er sah, wie sich am Ende einer Strähne über ihren Lippen Wasser sammelte. Es lief langsam hinab zur Kinnspitze, wo es Tropfen bildete, die in der Schwebe blieben, bis sie eine kritische Masse bildeten und rasch an der Haut über ihrer Kehle hinabglitten, in das gerinnende Blut um die Wunde herum, die in der weichen Kuhle an ihrem Halsansatz klaffte. Dort sammelte es sich eine Weile mit dem dunkler werdenden Blut, verdünnte es und floss dann als zinnoberrotes Rinnsal zwischen ihren Brüsten hindurch.

Lavelle ließ die Muschel wieder an ihren Platz fallen, schloss fest die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Nachdem er mit beträchtlicher Mühe seine Konzentration wiedererlangt hatte, tippte er weiter.

WARUM LIESS MAN SIE AUSBLUTEN?

Weil alles mit Blut oder durch Blutvergießen gereinigt werden muss.

Er sah vom Schirm auf und fragte sich, wohin dieser Gedankengang ihn wohl führte.

Kapitel 7

Er hatte sie besucht ... nach all den Jahren ... die Wohnung hatte hübsch ausgesehen, als er kam ... war es nicht großartig, dass er jetzt Priester war ... im eigenen Land durfte er ja keiner werden ... nein, nach Amerika musste er gehen ... deshalb nennt man es das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ... so ist es ...

all die Jahre hatte sie gehofft ... hatte ihn wie einen kleinen Heiligen erzogen ... keine Mädchen und solche Sachen ... denn er war der Sohn eines Bischofs, und das wussten auf der ganzen Welt nur sie und ihr Junge ...

sie selbst war immer gut gewesen bis auf dieses eine Mal ... wie hätte sie jemandem von dem Tag in der Klosterküche erzählen können, als er vorbeikam und um eine Tasse Tee und Toast bat ... es gefiel ihr nicht, wie er sie ansah ... da hätte sie es schon wissen müssen, aber man durfte zu niemandem was sagen ... er war ein Bischof, und die Nonnen krochen ihm in den Arsch ... wenn sie ihn nicht gerade von vorn bedienten ... was manche von denen unter dem Rock trugen ... wozu brauchten die so ausgefallene Unterwäsche ... vielleicht trieben sie es ja auch miteinander ...

aber jetzt log sie ... sie hatte Ärger bekommen, weil sie log ... sie schlugen sie immer ... deshalb konnte sie es niemandem erzählen ... sie hätten ihr nicht geglaubt ... und dann hätte sie sowieso Prügel gekriegt ...

aber als sie sahen, dass sie in der Tinte saß, da wussten sie genau Bescheid ... und ob sie Bescheid wussten ... deshalb hielten sie es geheim ... dem Bischof zuliebe ...

und jetzt musste sie auch ein Geheimnis bewahren ... nur fürs Erste, hatte er gesagt ... sag fürs Erste zu niemandem ein Wort...

Kapitel 8

Am nächsten Morgen hatte sich der Nordostwind zwar nicht gelegt, aber er blies nun trocken und kieselhart unter einem bleichen Himmel. Jane sah sich in ihrem Garten nach einer Spur von Frühling um. Sie fütterte noch immer die Vögel und war herausgekommen, um ein paar Saatkrähen und Dohlen zu verscheuchen, die ihre kleineren Verwandten vom Körnertisch und den daran aufgehängten Nusskörben fernhielten. Außerdem verstreuten sie die Körner im halben Garten, wenn sie sich zankten und mit den Flügeln nacheinander schlugen. Jane war jeden Sommer fasziniert von der seltsamen Auswahl an Blumen und Gräsern, die aus den umherfliegenden Samen sprossen. Doch nun begrüßten sie keine neuen Triebe im Blumenbeet – natürlich waren die Schneeglöckchen unter dem Baum schon da, aber die signalisierten für Jane nur das Ende des Winters und nicht den Beginn des Frühjahrs, auch wenn das nicht sehr logisch klang.

In der Küche läutete das Telefon, und sie ging zurück ins Haus. Eine unbekannte Männerstimme fragte, ob sie Jane Wade sei.

»Hier ist Liam Lavelle – Sie wollten mich sprechen?«

Eine angenehme, warme Stimme.

»Ach ja, Pfarrer Lavelle – ich weiß, Sie haben bestimmt viel zu tun ... und nach allem, was gestern passiert ist, sind Sie –«

»Sind Sie die Jane Wade von der Sendung Artspeak?«

Er schaltete schnell. Sie hatte am Abend zuvor nichts von ihrem Job gesagt, als sie ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter hinterließ.

»Ja, richtig, aber ich wollte Sie in einer persönlichen Angelegenheit sprechen. Vielleicht könnten wir einen Termin irgendwann in den nächsten Tagen vereinbaren?«

»Na ja, ich bin ein bisschen wie die Wettervorhersage – nicht sehr zuverlässig, wenn es über ein, zwei Tage hinausgeht. Heute ist so gut wie jeder andere Tag ... sagen wir um fünf. Ich rufe Sie an, falls es Probleme gibt, am besten geben Sie mir also auch die Nummer von Ihrer Arbeit.«

Sie sagte ihm ihre Büro- und Handynummer.

»Wo finde ich Sie, wenn ich von der Stadt komme?«

Er fragte, ob sie wisse, wo Kilbride liege, und beschrieb ihr dann den Weg zu seinem Haus an der Hauptstraße.

Sie hatte das Gefühl, noch einen Umstand erwähnen zu müssen. »Ich ... ähm ... gehöre übrigens nicht Ihrem Bekenntnis an.«

»Anglikanische Kirche?«

»Ja ... gewissermaßen.«

»Okay. Bis später dann.«

Sie legte auf, ein wenig überrascht von seinem lockeren Benehmen. Sie hatte bisher kaum persönlichen Kontakt mit katholischen Priestern gehabt und schon gar nicht einen in dieser Weise angesprochen. War sie eigentlich noch ganz bei Trost?

Sie ging ins Wohnzimmer. Was würde Hazel davon halten – wenn sie’s wüsste? Sie nahm einen gläsernen Briefbeschwerer aus dem Regal, der dort zusammen mit mehreren anderen lag. Ach was, schaden konnte es nicht.

Sie hielt den Briefbeschwerer gegen das Fenster, um das Licht einzufangen. Das Gewirr von Farben und winzigen Bläschen darin war wie ein Miniaturkosmos, in dem sich ferne Sonnen aus galaktischen Gas- und Staubwolken bildeten. Sie drehte den Briefbeschwerer in der Hand – eine Göttin, die die Erschaffung des Universums beobachtet. Er war ein Geburtstagsgeschenk von Hazel, aber für Jane würde er immer mit einem anderen Ereignis in jenem besonderen Jahr verknüpft bleiben.

Der Komet Hale-Bopp hatte damals seit zwei Wochen am Nachthimmel gefunkelt, als Jane eines Tages nach Hause gekommen war und ihre Schwester in heller Aufregung antraf, weil sie etwas im Internet entdeckt hatte. Hazel surfte in letzter Zeit ziemlich oft darin; wie so häufig damals wusste sie nicht recht, was sie mit sich anfangen sollte. Mit ihren zweiundzwanzig hatte sie ein Jahr zuvor einen Abschluss in Wirtschaft gemacht, woran sie jedoch kein Interesse mehr zu haben schien. Jane, die ein Jahr älter war, hatte gerade ihr Diplom in Kommunikationswissenschaft erworben. Schon seit ihrem zweiten Studienjahr hatte sie für die Zeitschrift Hot Press auf freiberuflicher Basis Bands besprochen und Musiker interviewt, und nun war sie Reporterin bei RTE, dem nationalen Radiosender. Die beiden Schwestern hatten sich im Vorort Ryevale ein Haus gekauft; das Geld für die Anzahlung stammte aus dem Nachlass ihres Vaters, der in London an Krebs gestorben war, nachdem er schon lange von ihrer Mutter getrennt gelebt hatte.

An jenem Abend war Jane im nahe gelegenen Maynooth College bei ihrem Italienischkurs gewesen, zu dem sie Hazel vergeblich zu überreden versucht hatte. Anschließend war sie weitere zwanzig Meilen gefahren, um ihre Mutter in der Grafschaft Meath zu besuchen, wo diese eine zunehmend exzentrische Existenz mit einem Antiquitätenhändler führte, der mehr Objekte zu kaufen als zu verkaufen schien. Als sie kurz vor Mitternacht wieder in Ryevale aus ihrem verbeulten Ford Fiesta stieg, blieb sie vor dem Haus stehen und sah zu dem Kometen am klaren Himmel über Dublin empor. Er strahlte hier viel weniger hell, als wenn man ihn von der Wiese hinter dem Haus ihrer Mutter betrachtete, aber er war immer noch beeindruckend.

»Buonanotte«, flüsterte sie ihm in ihrer neuen Sprache zu. Es kam ihr passend vor. Sie übte die beiden letzten Silben mit der Zungenspitze an der Innenseite der Schneidezähne, als die Tür aufging und Hazel aus dem Haus stürzte.

»Du glaubst nicht, was ich gerade im Net gefunden habe – komm schnell rein.«

Auf dem Bildschirm war eine Website zu sehen. Heaven’s Gate.

»Schau dir das mal an«, sagte Hazel aufgeregt. »Es geht um eine Organisation in Kalifornien, die sich Higher Source nennt, und sie glauben, der Komet ist ein Zeichen, dass sie die Welt verlassen sollen.«

DIESISTDASZEICHEN, AUFDASWIRGEWARTETHABEN. DIEANKUNFTDESRAUMSCHIFFSAUFDEREBENEÜBERDERMENSCHLICHENSTEHTBEVOR. SIEWERDENUNSMITINIHREWELTNEHMEN ... WIRGEHENMITFREUDEN ...

»Sie sind fest überzeugt, dass sich hinter dem Komet ein Raumschiff verbirgt – was sagst du dazu?« In Hazels Stimme schwang nicht eine Spur Skepsis mit.

»Verrückt ... aber so sind sie halt in Kalifornien«, spielte Jane das Thema herunter. »Da finde ich ja die Theorie deiner Mutter noch überzeugender – sie hat mir gerade erzählt, dass es ein herabfallender Stern ist ... dass die Astronomen sich und uns jahrelang mit dem Geschwätz über Lichtjahre und unglaubliche Entfernungen nur zum Narren gehalten haben. In Wirklichkeit sind die Sterne nur ein paar Meilen entfernt!«

»Und die Erde ist eine Scheibe, oder?«

Sie lachten beide. Aber Hazel blieb in dieser Nacht noch lange auf und durchstreifte das Internet.

Am nächsten Tag erfuhren sie von den neununddreißig Menschen, die ihrem Leben in San Diego in aller Ruhe ein Ende gesetzt hatten; sie hatten ihre Gesichter mit einem purpurnen Tuch bedeckt, alle trugen neue schwarze Laufschuhe und eine kleine Tasche mit Habseligkeiten für die Reise. Und damals begann auch Hazels Reise ins Ungewisse.

Kapitel 9

Im Polizeirevier von Lucan saßen Dempsey und Taaffe jeweils am Ende eines langen Tisches, auf dem Schriftstücke, Fotos und Beutel mit Beweismaterial ausgebreitet lagen. Ein Dutzend kreuz und quer stehender Stühle und der Mief von Zigaretten und menschlichen Ausdünstungen zeugten davon, dass sich bis vor kurzem noch sehr viel mehr Leute im Raum der Sonderkommission aufgehalten hatten. Es war die zweite Versammlung dieser Art in ebenso vielen Tagen gewesen.

»Also, was haben wir, Jack?«

Dempsey schlug eine neue Seite in seinem Notizblock auf. Trotz der Wärme im Zimmer trug er seinen blauen Regenmantel. Taaffe hatte ein zitronengelbes Hemd mit passender grüner Krawatte an. Er öffnete eine neue Datei auf dem PC vor ihm und begann eine Liste von Überschriften und Bemerkungen einzugeben, die er gleichzeitig laut mitlas.

»Die Leiche – keine Spuren von Samen oder anderen Körperflüssigkeiten; keine fremden Hautpartikel oder Haare, mit anderen Worten: nichts für einen DNS-Test. Keine losen Fasern. Das Blut auf der linken Fußsohle als das des Opfers bestätigt, ohne anderes Zellmaterial – weitere Analysen werden feststellen, ob Spuren von dem Instrument zurückgeblieben sind, mit dem die Buchstaben geschrieben wurden. Die Watte – handelsübliches Produkt, erhältlich in Drogerien und Supermärkten. Analyse des Duftöls – Ergebnisse werden im Lauf des Tages erwartet. Die Gewandnadel – Nachforschungen in Gort laufen. Die Schrift auf der Fußsohle –« Er nahm ein großformatiges Negativ zur Hand und hielt es gegen das Licht.

Dempsey sah deutlich die gespenstischen Buchstaben, die das Wort bildeten.

»D-E-D-I«, fuhr Taaffe fort. »Teil eines Wortes oder eines fremdsprachlichen Wortes oder vielleicht Initialen, die für einen Namen, eine Organisation oder eine Art Motto stehen. Jedenfalls keine Hinweise, was es bedeuten könnte.«

»Das Turiner Grabtuch.«

»Was?« Taaffe blinzelte seinen Kollegen an.

»Nein, ich meinte das Negativ. Seinerzeit hat erst eine Fotografie enthüllt, was tatsächlich auf dem Tuch war. Mehr wollte ich nicht sagen.«

»Ja, Kevin. Also, Todesart – radikales Ausbluten, die Methode eines gewissen Graf Dracula.« Er versuchte einen transsylvanischen Akzent nachzumachen.

»Sehr witzig, Jack. Aber was hältst du davon: Lassen nicht orthodoxe Juden die Tiere, die sie essen, auf diese Weise schlachten ... damit das Fleisch koscher ist?«

»Nicht nur Juden, glaube ich. Moslems ebenfalls. Bei denen heißt das Fleisch dann halal. Dem Tier wird die Kehle durchgeschnitten, das Blut fließt heraus, und dann zieht man es in die Höhe, damit es vollständig ausläuft. Ich weiß das, weil ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin, und einmal hat mich mein Vater in die Wurstfabrik in Sallins mitgenommen. Dort habe ich zugeschaut, wie sie das Vieh für den Export in den Iran vorbereitet haben. Sie haben die Tiere vorher nicht einmal betäubt. Ich musste schnell raus da. Meinem Vater hat es auch nicht gefallen, und der war weiß Gott nicht zimperlich.«

»Moslems also auch ... interessant. Aber jetzt weiter zum Tatort – fangen wir draußen an, Parkplatz, Friedhof –, was haben wir da?«

»Allerlei Müll – Bonbonpapiere, Streichhölzer, Kippen, Konfetti, Zigarettenschachteln, das meiste irrelevant, weil es vom Regen aufgeweicht ist, und an jenem Abend hat es gegen sechs zu regnen aufgehört. Wir schätzen, dass der Täter frühestens eine Stunde später aufgetaucht ist. Wir haben noch ein paar Fetzen von Supermarkttüten, Folie und anderes Zeug, das der Wind in eine Ecke der Mauer geweht hat. Das hier dürfte noch am ehesten etwas hergeben.«