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Nur die Monarchie kann Bayern noch retten! Bayern, 2036. Im noch jungen, unabhängigen Staat formiert sich eine politische Bewegung mit dem Ziel, eine neue Monarchie auszurufen. Die beiden alten Schulfreunde Benno und Viktor schaffen es bis in den innersten Kreis der Monarchisten. Wie weit werden sie gehen, um der jungen Helena den Aufstieg zur Königin von Bayern zu ermöglichen?
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Seitenzahl: 358
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Das letzte Mal hatten sich Benno und Viktor persönlich gesehen, als gerade Covid25 wütete. Es war ihre Abiturzeit in Würzburg gewesen und Covid mischte sowohl in der Vorbereitungszeit als auch in der Feierphase danach kräftig mit. In den folgenden Jahren waren sie nur noch in Kontakt gewesen, als sie online über den Bavaxit diskutiert hatten.
Viktor war zu dieser Zeit nicht zimperlich mit Benno umgegangen, allerdings war Viktor schon immer so gewesen. Er tat sich mit anderen Meinungen nicht leicht und so ging es bei ihm auch schnell einmal unter die Gürtellinie. Benno hatte danach den Kontakt mit ihm weitestgehend eingestellt, so wie er überhaupt kaum noch Berührungspunkte mit seinen alten Schulfreunden hatte.
Warum auch? Benno war glücklich mit seiner Frau Selina verheiratet, hatte einen guten Job und lebte in seiner Traumstadt München. Mit den meisten aus seiner Stufe war er nur noch über die sozialen Medien wie Instagram oder LinkedIn verbunden, seit Kurzem sogar über Boaznbande, wie die neue bayerische Plattform hieß. Twitter war dagegen nie seins und diese neue asiatische Gesangsplattform K-Chànnge war wirklich nur etwas für Teenager.
Trotzdem saß Benno Grimm nun hier im Biergarten in der Nähe des Sendlinger Tors und wartete auf seinen alten Schulfreund Viktor Oral, weil der in der Stadt war und ihn unbedingt sehen wollte. Warum auch immer.
Benno entdeckte Viktor sofort, als der den Biergarten betrat und sich suchend umsah. Er hatte sich im Vergleich zu ihrer Schulzeit kaum verändert. Er trug eine hellblaue Jeans und ein kariertes Flanellhemd, natürlich ordentlich in die Hose gesteckt. Nur Kugelschreiber oder Bleistifte fehlten noch in seiner Hemdtasche. Über dem Hemd trug er eine hellbraune Cordjacke. Die Brille von früher fehlte, vielleicht trug er jetzt Kontaktlinsen oder er hatte was an den Augen machen lassen. Dafür sahen die kurzen, verwuschelten und – nun ja, wie sollte man es anders sagen – leicht fettigen Haare noch so aus wie zu Schulzeiten.
Benno stellte sein schon angefangenes Bier ab und gab ihm ein Zeichen. Hand hoch mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger, dezent auf Kopfhöhe. Viktor sah ihn nicht. Noch mal das gleiche Zeichen – hatte er ihn jetzt gesehen? Anscheinend immer noch nicht, vielleicht saß Benno doch etwas zu weit am Rande des Biergartens.
»Viktor?«
Endlich reagiert Viktor und kam rüber zu seinem Tisch. Hektisch nestelte er dabei bereits an seiner Maske.
»Ah, da bist du ja, grüß dich! Moment«, sagte er, fummelte sich die Maske umständlich vom Gesicht und steckte sie sich in die hintere linke Tasche seiner Jeans. »So, schon besser«, murmelte er, gab Benno fest die Hand und setzte sich seufzend hin. »Daran werde ich mich echt nicht mehr gewöhnen. Aber gut. Wie ich sehe, hast du dir schon was bestellt?«
»Ja, schuldig«, sagte Benno. »Ich wusste ja nicht, wie lange du noch durch den Verkehr brauchst. Und meine App-Bestellung wurde dann so schnell an den Tisch gebracht!«
»Kein Problem. Die Bahn hatte ein paar Minuten Verspätung.«
»Hier klebt übrigens der QR-Code.« Benno deutete auf den Tisch. »Die Speisekarte ist da hinterlegt.«
»Danke.« Viktor setzte sich und scannte den Code ein. »Ist ja schon ein wenig her seit dem letzten Mal, was?«
»Das stimmt allerdings«, gab Benno zurück, während er beobachtete, wie Viktor mit seinem Smartphone hantierte. Nach einer kurzen Pause setzte er hinzu: »Müssten wohl so elf Jahre mittlerweile sein.«
Viktor hatte keinen Zweifel daran, dass es stimmte. Bei solchen Sachen hatte sich Benno schon früher selten geirrt, Zahlen und Zeiträume hatte er immer gut im Kopf. Obwohl, so ganz stimmte es ja nicht.
»Bis auf unsere Diskussion damals. Zum Bavaxit. Weißt du noch?«, fragte er, während er seine Getränkebestellung an die Küche schickte.
»Bavaxit, klar. So ein kleines, historisches Ereignis vergisst man nicht so schnell«, entgegnete Benno und schmunzelte. »Aber das war ja nur online. Und so weit waren wir ja nun auch nicht auseinander mit unseren Meinungen.«
»Ja, das war eine verrückte Zeit«, sagte Viktor. »So schnell konnte die Geschichte von Jahrhunderten beendet werden. War doch aufregend, oder?«
»Macht euren Scheiß doch alleine!« Benno lachte und Viktor stieg in das Gelächter ein.
Aus diesen im Frust angeblich dahingesagten Worten des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten war eine Bewegung geworden, an dessen Ende die bayerische Unabhängigkeit stand. Bavaria exit oder kurz: Bavaxit. Bayern war raus aus der BRD und das Zitat zu einer beliebten Phrase geworden.
»Weiß man mittlerweile eigentlich, ob der Söder das wirklich so gesagt hat?«, fragte ihn Benno. »Er hat es danach ja immer abgestritten.«
»Ist doch egal«, meinte Viktor. »Nur das Ergebnis zählt! Und der Söder war froh, dass er die Milliarden für den Länderfinanzausgleich nicht mehr zahlen musste.«
Benno lachte.
»Am Ende waren die beiden Corona-Krisen damit doch noch für etwas gut«, sagte Viktor und lehnte sich zufrieden zurück.
»Stimmt. Masken, Kaugummi-Schnelltests und das unabhängige Bayern. Mehr ist fast nicht geblieben.«
Die Masken. Ausgerechnet! Viktor hätte darauf auch gut verzichten können. Immerhin waren mittlerweile doch alle recht routiniert geworden im Umgang mit Covid. Impfungen, Medikamente, Schnelltests, das sollte doch eigentlich reichen.
Die Kellnerin stellte eine Cola ohne Eis vor Viktors Nase ab und er nahm schnell seinen ersten Schluck.
»Das hat halt auch damals das Schlimmste in den Menschen hervorgebracht«, sagte er schlürfend. »Als plötzlich jedes Land in Europa und jedes Bundesland nur noch an sich gedacht hat. Und die Politiker an sich und ihre Wähler.« Er überlegte kurz. »Also einfach an sich selbst.« Viktor griff erneut beherzt nach seiner Cola. Die Zeit mit der Maske in den öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ihn durstig gemacht.
Das waren schließlich auch traurige Zeiten damals, als immer mehr Länder aus dem abgesprochenen gemeinsamen Einkauf von Impfstoffen und Medikamenten gegen Covid19 und Covid25 ausscherten. Zuerst stiegen Polen und Ungarn aus der Vereinbarung aus und bemühten sich selbst um die Medikamente. Und als dieser Dominostein gefallen war, zogen Italien und Slowenien nach, danach Griechenland und die Niederlande und schließlich brachen alle Dämme. Und was in der großen EU nicht funktionierte, klappte in der alten Bundesrepublik auch nicht mehr. In manchen Bundesländern an der Küste, wo sich Covid25 nicht so stark ausgebreitet hatte, standen mehr als genug Medikamente zur Verfügung. In den am stärksten betroffenen Gebieten in Hessen, Sachsen und Bayern langte es dagegen vorne und hinten nicht.
» Politiker sorgten sich damals schon mehr um die Wiederwahl, als um die Nöte der Menschen«, sagte Viktor verächtlich.
»Ich will ja jetzt die alten Geschichten nicht wieder aufwärmen«, begann Benno, »aber darüber waren wir uns ja damals einig. Mit etwas gutem Willen hätte man die Probleme allerdings auch anders lösen können als mit dem Bavaxit.«
»Aber warum? So schlecht hat die Unabhängigkeit ja nicht funktioniert, oder? Es ist zwar bei Weitem nicht alles perfekt«, sagte Viktor vorsichtig, »aber auf den ersten drei Jahren in der Unabhängigkeit kann man aufbauen.«
»Na ja, das wissen wir jetzt. Aber für den Rest Deutschlands sind wir mittlerweile gestorben. Für die ist Bayern nur noch der seltsame Onkel, der sich mal an Weihnachten blicken lässt.«
»Gibt doch Schlimmeres«, grummelte Viktor. Über was sich Benno auch alles Gedanken machen konnte!
»Was führt dich denn eigentlich nach München?«, fragte Benno. Er nutzte Viktors Trinkpause, um das Thema zu wechseln und sich unverfänglicheren Dingen zu widmen. Sie saßen erst zehn Minuten zusammen und schon ging es wieder um Politik und das Schicksal der Welt. Es musste doch auch mal eine Nummer kleiner gehen. Außerdem hatte er Hunger, so langsam sollten sie mal ihr Essen bestellen.
»Ach, ich habe hier beruflich zu tun. Stehen einige größere Projekte an. Und dafür muss ich auch noch ein paar Leute treffen«, gab Viktor zurück, während er auf seinem Smartphone die Speisekarte studierte.
»Ah, okay. Ja cool.« Benno hatte nur eine grobe Ahnung von dem, womit Viktor sein Geld verdiente. Irgendwas mit IT-Sicherheit. Genauer wollte er es eigentlich auch nicht wissen.
»Für die Wiesn wärst du auch etwas früh in der Stadt«, unkte er.
Erst in drei Wochen wäre es wieder so weit, bis das Oktoberfest 2036 vor der Tür stand. Alljährlich verwandelte sich die altehrwürdige Theresienwiese in ein buntes Treiben. Fahrgeschäfte, Imbissbuden und die riesigen Bierzelte wechselten sich unter den strengen Augen der Bavaria ab, die groß und mächtig am Rande des Festplatzes über das ganze Geschehen wachte.
»Ja, das wäre etwas sehr früh. Aber ich werde dafür einfach wieder nach München kommen«, antwortete Viktor.
Ein zweites Mal? Viktor jetzt das eine Mal nach all den Jahren wiederzutreffen, war ja noch okay, aber er hoffte, sich nicht gleich wieder mit ihm verabreden zu müssen. Und dann auch noch für die Wiesn. Er selbst ging mittlerweile nur noch widerwillig dorthin. Zu laut, zu viele Menschen, zu viele schlechte Gerüche. Wie die Leute sich da teilweise aufführten! Und Gelegenheiten zum Biertrinken gab es in München wahrlich genug.
»Nach den pandemiebedingten Ausfällen muss man ja jetzt jede Gelegenheit nutzen«, redete Viktor weiter.
»Das ist mittlerweile schon Jahre her!«
»Ja, trotzdem. Ich mag die Stimmung in den Zelten, wenn alles etwas ausgelassener und lockerer wird und die Menschen auf den Bierbänken stehen und mitsingen.«
»Aber du trinkst doch kaum Alkohol oder Bier, oder doch?« Das waren in Bayern zwei verschiedene Dinge.
»Eine oder zwei Maß Radler sind schon drin«, verteidigte sich Viktor. »Mir langt es schon, wenn ich den anderen dabei zusehen kann, wie sie immer betrunkener werden und ihre Hemmungen ablegen.«
»Okay, wenn du meinst.« Für Benno klang das seltsam. Die anderen sollten ihren Panzer ablegen und sich lockermachen, aber Viktor selbst wollte sich nicht gehen lassen? Das ist ja fast schon egoistisch. Andererseits hatte Viktor noch nie Probleme gehabt, Emotionen zu zeigen. Es waren nur meistens negative.
»Ja, mein ich. Übrigens: Soll ich dir noch ein Bier bestellen?«
Benno war sich nicht sicher, ob die Frage höflich gemeint oder nur ein Witz auf seine Kosten sein sollte.
»Na gut, dann bestell mir noch eins. Wo übernachtest du hier eigentlich im Moment?«
»Ähm, in der Nähe vom Rosenheimer Platz, da ist ein Hilton. Kann ich über die Spesen einfach abrechnen. Aber sag mal, wie sind die Schnitzel hier?«
Benno lachte kurz auf bei der Frage. Das war ja klar. Mit einem leichten Grinsen im Gesicht sagte er: »Die sind mega. Riesig und gut, fast größer als der Teller! Es gibt wirklich alles, was der Schnitzelfreund sich wünscht. Wenn man herkommt, isst man eigentlich Schnitzel.«
»Ah sehr gut«, sagte Viktor und er klang fast etwas erleichtert. »Du bist wohl öfter hier?«
»Ab und an. Wenn Besuch in der Stadt ist, führe ich den gerne in diesen Biergarten.«
»Du weißt schon, dass ich auch aus Bayern bin? Ich bin aus Franken, nicht aus China! Die bayerische Kultur ist mir nicht ganz fremd«, meinte Viktor spöttisch.
Er kann aber auch aus allem ein Thema machen, dachte Benno genervt. Dabei hatte Benno den Laden doch nur vorgeschlagen, weil Viktor schon früher so schwierig beim Essen war! Er entschied sich dafür, besser nicht darauf zu reagieren.
»Mit vier Jahren steckte ich das erste Mal in einer Lederhose«, setzte Viktor seine Belehrung trotzdem fort. »Mit vier! Aber gut. Dann lass uns bestellen! Soll ich schnell eintippen?«
Erleichtert atmete Benno aus.
»Für mich das panierte Schnitzel mit der Pfefferrahmsauce. Und einen grünen Salat dazu.«
»Salat?« Viktor schaute ihn skeptisch an.
»Für das Gewissen. Und sonst bekomme ich Ärger zu Hause.« Er lächelte verschmitzt.
Viktor ließ einen unterdrückten Lacher hören. »Du kannst hier sogar angeben, ob das Schnitzel vom Schwein oder der Pute sein soll oder vegetarisch«. Er schaute ihn fragend an. »Schon Schwein, oder?«
Benno nickte.
»Okay. Und ich nehme das panierte Schnitzel mit Pommes. Vom Schwein natürlich!«
War ja klar. Hier gab es die tollsten Varianten und Viktor nahm sich natürlich die simpelste von allen. Manches änderte sich offenbar nie.
Viktor wusste, dass er nicht mit der Tür ins Haus fallen durfte. Vor allem nicht bei Benno, der würde sonst sofort abschalten oder dichtmachen. Und Viktor wollte ihn schließlich nicht verschrecken.
»Was machst du denn eigentlich mittlerweile? Wohnst du hier in der Nähe?«, fragte er Benno deshalb und gab sich dabei keine große Mühe, sein vorgespieltes Interesse besser zu überspielen.
»Nicht ganz. Früher habe ich noch hier im Zentrum gewohnt, aber jetzt haben wir seit einigen Jahren eine schöne Neubauwohnung im Westen der Stadt, in Freiham. Drei Zimmer, separate Küche, Tageslichtbad und schöner Balkon.«
»Wir?«
»Mit Selina, meiner Frau.«
»Und was ist mit Kindern?«
»Sind im Moment nicht geplant.«
Viktor sah, wie Benno dabei die Augen verdrehte. Offenbar wurde er das öfter gefragt.
»Aber vielleicht holen wir uns mal ein paar Katzen«, fügte Benno hinzu.
Viktor war froh, dass er sich jetzt keine Kindergeschichten anhören musste. Und Katzen fand er sogar ganz sympathisch. Die waren wenigstens unabhängig.
»Und was macht der Job?« Danach wäre es aber wirklich mal gut mit Small Talk.
»Ich arbeite bei einer großen Versicherung in der Schadensregulierung. Bin dort als Datenexperte beschäftigt. Mach ich mittlerweile schon seit einigen Jahren.«
»Ach, cool.«
»Genau.« Benno zögerte etwas und schickte noch ein gemurmeltes »Ganz cool« hinterher.
»Da ist es für uns Würzburger Jungs doch ganz gut gelaufen«, resümierte Viktor. »Du bei einer Versicherung hier in der Großstadt, ich als selbständiger Berater für IT-Sicherheit. Da haben wir doch einiges erreicht.«
»Stimmt«, bestätigte Benno.
Für Viktors Beruf schien sich Benno nicht zu interessieren, dabei hätte Viktor diese Vorlage gerne aufgenommen, um auf Kailo, seinen wichtigsten Kunden und Vertrauten, zu kommen und damit auf alles andere. Dann musste er wohl selbst dem Gespräch auf die Sprünge helfen.
»Für mich läuft es ja wirklich gut. IT-Sicherheit ist immer noch ein riesiges Thema und ich betreue viele Kunden. Morgen zum Beispiel treffe ich hier noch-«
»Du, es tut mir leid, dass ich vor ein paar Jahren nicht auf unserem Jahrgangstreffen war«, fiel Benno ihm ins Wort und sagte fast entschuldigend: »Ich war nicht da, ich war mit Selina in London.«
Warum fing er denn jetzt damit an? Das Treffen war schon einige Jahre her. Zwar hatte Viktor damals wirklich viel Zeit in die Organisation gesteckt, aber das war okay, es waren genug andere gekommen und er machte so etwas ja gerne: Sachen auf die Beine stellen und vorantreiben. Natürlich war es schade, dass Benno nicht dabei war, immerhin waren sie während der Schulzeit schon ziemlich eng miteinander, aber so wild war das nun auch nicht. Das Treffen war auch ohne Benno gut gelaufen.
Als er in Bennos Jahrgangsstufe versetzt wurde, weil er hauptsächlich wegen Covid19 eine Ehrenrunde drehen musste, freundeten sie sich schnell an und verbrachten oft die Pausen zusammen und spielten Handyspiele oder ließen bei Magic: The Gathering ihre Zauberer gegeneinander antreten. Sie diskutierten über die neusten Netflix-Serien – so etwas wie: Cowboy Bebop als Anime oder Realverfilmung? Sie schauten zusammen oft bei Hermkes vorbei, das war damals das lokale Zentrum ihrer jugendlichen Nerd-Kultur, wo sie nach Comics und Fantasy- oder Sci-Fi-Romanen stöberten. Er wollte gar nicht an das ganze Geld denken, das er dort für die Sammelkarten-Spiele gelassen hatte! Viktor war oft bei ihm und seinen Eltern im kleinen Obernachtheim, einem Vorort von Würzburg, zu Besuch gewesen, wo sie zusammen PlayStation spielten und er den ein oder anderen verstohlenen Blick auf die langen, nackten Beine von Bennos Schwester Britta geworfen hatte.
»Kein Problem. War halt nur schade, weil ja unser Schulabschluss schon wegen Covid 25 so untergegangen war«, entgegnete er.
Als Viktor das sagte, tat er Benno fast schon etwas leid.
»Wir waren doch alle zusammen auf der Alten Mainbrücke nach dem Abitur. Die Brückenschoppen, schon vergessen?«, erinnerte er Viktor.
»Aber in dem Corona-Sommer durften sich immer nur maximal Fünfergruppen draußen treffen. Das war ja kein Ersatz für eine richtige Feier«, meinte Viktor.
»Das stimmt. Aber immerhin!« Benno lachte. »Und ich weiß auch noch ganz genau, wer mir damals auf meine Schuhe gekotzt hat, weil er den Alkohol nicht vertragen hat, Viktor!«
Viktor sah bedröppelt zur Seite.
Benno musste wieder daran denken, wie oft er damals mit seinen anderen Freunden abends auf der Brücke unterwegs gewesen war. Viktor hatten sie meistens nicht gefragt, weil der eh kein großer Trinker war – der Beweis dafür landete ja schließlich irgendwann auf Bennos Schuhen – und sie deshalb einen der wertvollen Plätze in den Fünfergruppen nicht an ihn verschwenden wollten. Nur ein- oder zweimal nahm er ihn alibimäßig mit.
»Entschuldigung Sie bitte«, unterbrach sie die Kellnerin höflich. Sie stand mit den Schnitzeln vor dem Tisch und offensichtlich wollte sie die besser jetzt als gleich loswerden. »Wer hatte denn das Pfefferrahmschnitzel?«
Benno räusperte sich. »Ähm, das ist meins.«
Die Bedienung stellte es vor ihm ab. Es sah auch wieder fantastisch aus. Tellergroß und goldbraun gebacken, mit einer wunderbar cremigen Sauce. Die Portion, die sie Viktor servierte, war nicht minder beeindruckend. Irgendwo unter dessen Schnitzel mussten auch ein paar Pommes liegen.
Sicher, etwas dekadent war es schon, solche Mengen Fleisch in diesen Zeiten zu verdrücken. Und dann auch noch zu solchen Kampfpreisen. Aber ab und an musste man sich das einfach gönnen. Und so dünn, wie die Schnitzel geklopft waren, war es gar nicht mal so viel Fleisch.
»Den Salat bringe ich Ihnen gleich.«
Sie griffen zum Besteck und machten sich an ihren Schnitzeln zu schaffen. Von Viktor war ein anerkennendes »Wow« zu hören.
Ihre Unterhaltung verebbte zunächst, als sie sich mit ihren Schnitzeln beschäftigten.
Die Kellnerin kam zurück und stellte den kleinen, grünen Salat vor Benno ab. Er hatte nicht vor, viel davon zu essen, aber es beruhigte sein Gewissen. Und wenn Selina ihn später fragte, was er wieder alles Fettiges gegessen hätte, könnte er, ohne zu lügen, von einem Salat erzählen und nicht von goldgelben Fritten oder von den schön krossen Bratkartoffeln. Während er jetzt so darüber nachdachte und sie gegenüber auf Viktors Teller sah, hätte er auch nichts gegen ein paar Fritten gehabt. Er schnitt sich noch ein Stück vom Fleisch ab und tunkte es ordentlich in die Rahmsoße.
Es half ja alles nichts, Viktor konnte es nicht länger aufschieben. Er war kein Freund von ziellosem Small Talk, für seine Verhältnisse hatte er das Vorspiel nun schon genug strapaziert. Langsam war der Zeitpunkt gekommen, um das kritische Thema anzusprechen. Die Wahrheit war: Sie konnten dringend Hilfe gebrauchen. Vielleicht nicht unbedingt sofort, aber perspektivisch. Mittel- und langfristig mussten sie wachsen. Darauf hatten sie sich alle geeinigt.
Und Benno war zwar ein Mann ohne große Visionen, aber ein guter Unterstützer. Wenn man ihn in die richtige Richtung lenken könnte, würde er in Zukunft sehr hilfreich für sie sein. Außerdem war er niemand, der für Streitigkeiten sorgen würde. Er war ja schon mit Schnitzel und Bier zufriedenzustellen.
»Mhm.« Viktor begann seine Frage etwas zögerlich. Bevor er weitersprach, kaute er erst noch auf seinem Fleisch herum, um etwas Zeit zu gewinnen und sowohl das Schnitzel als auch die Wörter in die richtige Reihenfolge zu bekommen. »Hast du eigentlich schon mal was von den Monarchisten gehört? Ist dir das ein Begriff?«
»Was, Monarchisten? Nein.« Benno schaute von seinem Schnitzel auf. »Hm, warte. Doch, stimmt, von denen habe ich tatsächlich gehört. Die wollen in Bayern wieder eine Monarchie einführen, ist das richtig? Und auf dem Weg hierher habe ich auch überall diese Sticker an den Wänden in den S-Bahn-Stationen gesehen.«
»Ja, da haben der Uffz und Teresa ganze Arbeit geleistet« Viktor grinste.
»Wer?«, fragte Benno irritiert.
»Ach, nicht so wichtig.«
Benno ließ sich von Viktors seltsamer Bemerkung nicht aus dem Konzept bringen. »Aber was für ein Quatsch, oder? Was soll das werden? Ein Rückschritt ins 19. Jahrhundert? Wollen die den König Ludwig wieder ausbuddeln?«
Er konnte nicht fassen, dass sich tatsächlich jemand für diesen Unsinn begeistern konnte. Jedenfalls niemand, der halbwegs seine Sinne beisammenhatte. Und Viktor war doch eigentlich politisch interessiert und nicht naiv. Verärgert vielleicht und emotional, aber nicht dumm.
»Ach, das ist doch blöd«, ereiferte sich Viktor. »Man wird das doch wohl wenigstens durchdenken können. Bloß nicht nach links oder rechts schauen, immer nur mit Scheuklappen durch das politische System. Als wäre es verboten, sich auch mal andere Gedanken zu machen. Es gibt viel radikalere Ideen als die Monarchie und schaue dir doch an, wie das im Moment mit dem Bayerischen Parlament läuft!«
Benno ignorierte das, so gut er konnte, ernst nehmen konnte und wollte er das allerdings nicht. »Wer soll es denn machen, irgendein entfernter Nachkomme vom Ludwig? Kaiser Franz? Robert Lewandowski?«
»Was, wer?«
Benno guckte ihn entgeistert an, aber im Grunde war das wieder typisch Viktor. Viktor kannte früher zwar sämtliche Star Trek-Serien in- und auswendig, konnte alle sechs Matrix-Filme mitsprechen, aber für Sport hatte er sich nie interessiert. Die größten Münchner Fußballer der letzten 50 Jahre hätte aber selbst er kennen sollen.
Wie ein User von Gala oder Bunte wirkte er auf Benno jedoch auch nicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Viktor sich auf deren Seiten regelmäßig über den Gossip aus den europäischen Königshäusern informierte. Woher kam also auf einmal sein Interesse an Königshäusern? Seinen flapsigen Spruch hätte Benno sich wohl sparen können und eigentlich bedauerte er es schon fast, überhaupt auf den Quatsch eingestiegen zu sein.
Etwas ernster fügte er hinzu: »Gut, wenn man ihn fragen würde, würde Söder es wahrscheinlich auch selbst machen. Er sieht sich eh schon als Sonnenkönig Bayerns.«
Vermutlich war das nach achtzehn Jahren an der Spitze sogar richtig. Nach seinem gescheiterten Versuch, 2021 der nächste Kanzler Deutschlands zu werden, hatte sich Söder komplett nach Bayern zurückgezogen. »Sein Platz war in Bayern«, sagte er wieder und wieder und so war es seitdem auch geblieben. Zwar hatte man ihn 2025 angefleht, doch noch einmal eine Kandidatur als Bundeskanzler ins Auge zu fassen, aber er hatte dankend abgelehnt – genau an dem Tag, an dem Benno seine mündliche Abitur-Prüfung in Geschichte ablegte. Seitdem hatte Söder an seinem eigenen Denkmal in Bayern gearbeitet und sich schließlich mit der Unabhängigkeit Bayerns gewissermaßen die Krone aufgesetzt. Nur dass es eben keine Krone gab. Und jetzt traten die Monarchisten auf den Plan und wollten genau diese Bayerische Krone wieder einführen und vermutlich sogar das Königlich, Bayerische Amtsgericht.
»Na, siehst du. So groß wäre der Unterschied gar nicht. Kein Grund also, diese Idee gleich als lächerlich abzutun. Man wird das doch mal noch ruhig und sachlich diskutieren können.«
Auf diese Zustimmung von Viktor hätte Benno verzichten können. Darauf hatte er es nun wirklich nicht angelegt. Und dann sprach er auch noch von ruhig und sachlich. Ausgerechnet er!
»Dann könnte man wenigstens Schloss Neuschwanstein endlich so nutzen, wie es sich König Ludwig vorgestellt hat.«
Jetzt musste sogar Viktor lachen.
»Aber mal ernsthaft, Viktor. Was soll das denn bringen? Warum sollte das besser funktionieren?«
»Na, schau dir doch mal an, welche Nationen erfolgreich und stark sind.« Er legte das Besteck kurz beiseite. »China vor allem! Mittlerweile ganz klar die führende Nation weltweit, wirtschaftlich und bald auch kulturell. Der ganze arabische Raum. Das sind alles Nationen mit einer starken und kontinuierlichen Führung. Und auf der anderen Seite haben wir die USA. Alle vier oder acht Jahre ein neuer Präsident. Die sind seit Jahrzehnten im Sinkflug. Europa mit der EU ist nie richtig ins Laufen gekommen.«
Viktor machte eine kurze Pause. Offenbar erwartete er irgendeine Reaktion von Benno.
Als der sie ihm jedoch nicht gab, sprach Viktor einfach weiter: »Und in Deutschland war das doch das Gleiche. Ständig gibt es irgendwelche Wahlen. Bloß dem Volk keine harten Einschnitte zumuten, man könnte ja nicht wiedergewählt werden. Man will bloß niemandem wehtun. Ständig kommen irgendwelche leeren Versprechungen. Und kaum sind die Politiker gewählt, wollen sie davon nichts mehr wissen. Da wird hier ein Kompromiss gemacht und da einer. Und am Ende passt da nichts mehr zusammen.«
Viktor schlug erregt auf den Tisch.
»Schau dir doch den Klimawandel an«, ereiferte er sich weiter. »Da wird seit Jahren diskutiert und diskutiert, aber es passiert nichts. Kohlekraftwerke sind immer noch ans Netz angeschlossen. Isar 2 läuft weiterhin. Windkraft? Doch nicht in Bayern.«
»Ja, aber die Genehmigungsverfahren sollten doch jetzt verkürzt werden«, unterbrach ihn Benno.
»Das sagen sie doch schon seit Jahrzehnten. Und dann kommt irgendein Bürgerbegehren und das war’s. Bei der Pandemie-Bekämpfung ist es doch das Gleiche. Man will niemandem vors Schienbein treten, aber alle müssen darunter leiden. Weil es sich hinzieht und hinzieht. Weil man nicht konsequent handelt. Denen fehlt der Mut. Und die langfristige Planung.«
Viktor nahm einen Schluck von seiner Cola und sprach dann weiter.
»Oh nein, ich mute niemandem den harten Einschnitt zu. Für den Moment geht das doch noch. Soll sich mein Nachfolger damit rumschlagen! So denken die Politiker doch, Benno. So denken die!«
Langsam wurde es Benno zu viel. »Aber Viktor, du kannst doch nicht ernsthaft dafür sein, die Demokratie einzuschränken und einen Alleinherrscher zu installieren, der machen kann, was er will? Wahlen sind nun mal der Kontrollmechanismus, damit niemand den Wagen komplett gegen die Wand fahren kann.«
»Was heißt denn, er kann machen, was er will? Es geht doch nicht um einen Despoten, der ohne Kontrollinstanz regieren kann. Da gibt es ja Mittel und Weg-«
»Doch!«, unterbrach ihn Benno. »Du hast doch selbst gerade China als Beispiele genannt. Vielleicht hast du Nordkorea in deiner Aufzählung ja einfach nur vergessen. Russland, wo man einfach mal einen Krieg vom Zaun brechen kann. Oder Kuba. Dort könntest du nicht so locker und lässig im Biergarten sitzen wie jetzt und über die Regierung herziehen.«
»Aber das lässt sich doch alles regeln! Ich habe nichts gegen eine Verfassung gesagt. Ich habe nichts gegen feste Rahmenbedingung gesagt. Einen Rahmen, der Menschenrechte garantiert, der alle Bayern oder besser gesagt alle, die hier leben, gleichbehandelt.«
»Das klingt für mich trotzdem mehr nach Obersalzberg und Kehlsteinhaus als nach Neuschwanstein.« Nachdenklich nippte Benno an seinem Bier. »Wie kommt man denn ausgerechnet auf die Monarchie?«
»Okay, pass auf. Letztlich geht es nur darum, ein System zu etablieren, das funktioniert. Und Kompromisse funktionieren nicht. Die sind weder Fisch noch Fleisch. Deshalb muss man sie vermeiden. Jemand muss das Sagen haben und seine Ideen zu 100 Prozent durchsetzen können. Dann ist es durchdacht, dann geht die Rechnung auch auf. Macht er hier einen Kompromiss, muss er auch da einen machen und so weiter. Schon passt das alles nicht mehr zusammen. Und damit haben sie eine neue Kompromissgeburt entbunden.«
»Entschuldigen Sie bitte.« Die Kellnerin stand wieder vor ihrem Tisch. »Ich glaube Ihnen ja, dass das wahrscheinlich furchtbar interessant ist, was Sie diskutieren. Aber die anderen Gäste beschweren sich schon, weil Sie so laut sind.«
Benno musste ihr recht geben. Es war für ihn zwar mehr furchtbar als interessant, aber Viktor war tatsächlich mal wieder lauter geworden. Es erinnerte ihn an früher, da konnte er sich auch schon in alles hineinsteigern und sich in Rage reden. War es der Umgang mit Covid, die Deutsch-Klausur oder das Mensaessen. Legendär war sein Ausbruch, als die Schule es gewagt hatte, bei der fränkischen Nationalspeise Drei im Weggla auf einmal nur noch zwei Würstchen ins Brötchen zu legen. Wenn Viktor erst mal richtig in Fahrt war, gab es kein Halten mehr.
»Oh, das tut mir leid.« Viktor senkte die Stimme auf eine fast verschwörerische Lautstärke und wandte sich wieder an Benno. »Also. Die Monarchie hat hier in Bayern einfach Tradition und besitzt immer noch einen guten Ruf. Königshäuser sind in der Regel positiv besetzt. Schau dir die Windsors vom britischen Königshaus an. Trotz aller Skandale werden sie immer noch von ihrem Volk geliebt!«
»Kim Jong-un auch. Oder die Borg-Königin«, entgegnete Benno trocken.
Für diesen Kommentar musste er einen vernichtenden Blick von Viktor einstecken. Wortlos schnitt der sich noch ein großes Stück von seinem Schnitzel ab und garnierte es mit einer ordentlichen Portion Ketchup, bevor er es sich in den Mund schob.
Auch Benno nutzte die kurze Pause, die sich da unverhofft auftat, um sich intensiver seinem Schnitzel zuzuwenden. Er schaute auf seinen Teller und kam zu dem Schluss, dass er seine Portion wohl nicht aufessen würde. Vielleicht würde er sich den Rest einfach einpacken lassen. Aber ein wenig ging schon noch. A bissel was geht immer, wie man in München so sagte. Und während er noch überlegte, wie viel er von seinem Schnitzel maximal essen könnte, damit sich das Mitnehmen noch lohnte, ergriff Viktor wieder das Wort.
»So etwas wie das Hyperloop-Desaster hätte es dort jedenfalls nicht gegeben«, merkte Viktor an.
Der Hyperloop war tatsächlich ein Drama für sich. Er wurde praktisch in jedem Wahlkampf erwähnt. Es war Söders Vorzeigeprojekt im Verkehrssektor. Von der Hauptstadt in seine fränkische Heimat Nürnberg in nur zwölf Minuten!
»Okay.« Benno musste Viktor da recht geben. »Da lief bisher tatsächlich einiges schief.«
»Einiges? Da wurde schon so viel Geld verschwendet. So viele Machbarkeitsstudien, so viele Feststellungsverfahren! Und was ist bisher passiert?«
Benno ging auf diese rhetorische Frage nicht ein.
»Ich sage es dir, Benno: nichts. Eine Teststrecke von 140 Metern wurde gebaut. Die zweite Stammstrecke in München ist eine Erfolgsstory dagegen!«
»Aber Potential hat die Idee schon. Die Röhre soll ja zu Bayerns Rückgrat des Fernverkehrs für Passagiere und Waren werden. Man könnte von den beiden Endpunkten Nürnberg und München aus das Netz noch weiter ausbauen. Im Norden in Richtung Frankfurt, Berlin und Prag. Im Süden nach Salzburg und Wien oder durch die Berge bis nach Südtirol.« Ja, die Idee an sich gefiel Benno gut.
»Das wird nie im Leben passieren«, winkte Viktor ab. »Vorher wird noch das Beamen erfunden. Aber auf den Wahlplakaten macht sich das Thema natürlich gut.«
»Und du glaubst, in einer Monarchie würde das schneller gehen?«, hakte Benno nach. Er war sich nicht ganz sicher, wie das die Lösung sein sollte.
»In einer Monarchie wäre das Thema längst erledigt und wir hätten Millionen, wenn nicht sogar Milliarden gespart! Kein Wahlkampf, keine dummen Versprechen!«
»Keine Visionen.«
»Die Monarchie ist die Vision! Es ist die ideale Regierungsform für uns. Tradition und Moderne, Laptop und Lederhose, klare Strukturen. Keine Verwässerung durch irgendwelche Kompromisse, sondern die Möglichkeit, seine Vision von A bis Z durchzusetzen. Natürlich mit Gewaltenteilung und allem Pipapo. Es wird klar geregelt, wer was macht, und dann werden die Ideen von oben nach unten durchgereicht. Transparent für alle.« Viktor legte sein Besteck auf den Teller und ließ sich laut ausatmend nach hinten gegen die Lehne fallen. »Gleich platze ich.«
Dankbar für dessen Entscheidung schloss sich Benno an. »Mir langt’s auch.« Er schnitt sich noch ein letztes Stück ab und betrachtete es eingehend auf seiner Gabel. Dann atmete er noch einmal tief durch und ließ das Fleisch in seinen Mund wandern. Er war echt ziemlich satt. Und dabei war der Salat kaum angerührt.
Während ihre Mägen schwer am Arbeiten waren, saßen sie sich einen Moment schweigend gegenüber. Was Benno da gehört hatte, beschäftigte ihn. Das war irrsinnig, klar. Aber warum sollte man seinen Gedanken irgendwelche Grenzen setzen? Genau das zeichnete doch ein freies Bayern aus: Jeder durfte seine Meinung haben, das Rumspinnen war nicht verboten. So etwas wie eine Gedankenpolizei gab es höchstens im Film oder in dystopischen Büchern. Und solange die Monarchisten ihre Pläne nicht mit Gewalt durchsetzen wollten, konnten sie von ihm aus machen, wonach immer ihnen der Sinn stand. Aber Moment, bei dem Gedanken fiel ihm eine Sache auf, die er sich partout nicht erklären konnte.
»Wie soll es denn zur Monarchie kommen? Wo sollte denn auf einmal ein König auftauchen? Und noch wichtiger: Warum sollte man ihn einfach zum Thron durchwinken?« Er nahm noch mal einen kräftigen Schluck von seinem Bier und sagte dann spöttisch: »Der Söder wird ja nicht mal eben das Parlament auflösen und die Regierung entmachten.«
Viktor grinste in sich hinein. »Doch, das wird er. Das Volk wird es so wollen. Es wird sich alles regeln. Glaub mir.«
Das war ihm zu viel. Benno holte sein Smartphone aus der Tasche und legte es auf den Tisch. »Lass uns zahlen.«
Benno lag bereits auf ihrem gemeinsamen Bett, als Selina ins Schlafzimmer geschlendert kam. Sie war gerade frisch aus der Dusche gestiegen und roch nach Kiwi und Mandelblüten. Er stank noch nach Bratenfett und Bier. Auf dem Bildschirm im Schlafzimmer liefen die letzten Minuten von Peitzers Late Night Show, danach wollte er noch die Spätnachrichten abrufen.
»Du hast noch gar nichts von heute Abend erzählt«, meinte sie. »Wie war es denn mit Viktor? Regt er sich immer noch so schnell auf, wie du immer sagst?«
Gelächter war zu hören. Benno schaute rüber zum Bildschirm, aber den Witz hatte er wohl verpasst. Er überlegte kurz, ob er zurückspulen oder den Stream pausieren sollte, entschied sich aber dagegen. Er wollte es nicht so aussehen lassen, als ob sie ihn beim Fernsehen störte.
»Noch genauso wie früher!«, antwortete er und schmunzelte dabei. »Im Kühlschrank sind übrigens noch die Reste meines Pfefferrahmschnitzels. Habe ich dir extra einpacken lassen, sollte für dich reichen.« Er wartete auf eine Reaktion, die aber erst einmal nicht kam. »Sonst mache ich mir das morgen Mittag selbst noch mal warm.«
Sie legte sich zu ihm aufs Bett und cremte sich dabei die Hände ein. Sie kräuselte die Nase. »Und was gab’s als Beilage? Wieder mal Pommes?«
»Ach Quatsch. Ich hatte nur den Beilagensalat. Reicht ja auch. Bei den Mengen!«
Als sie sich kennengelernt hatten, hätte er ihr wahrscheinlich noch etwas anderes erzählt. Und auch gedacht. Aber damals war er noch jünger, da konnte er essen, was er wollte, ohne dass es sich gleich an den Hüften oder am Bauch festsetzte. Und vernünftiger war er jetzt eh.
»Also, willst du das Schnitzel nun für morgen oder nicht?«
»Danke, aber ich muss morgen mal wieder ins Büro. Ich hole mir dann mit Hannah und den anderen in der Mittagspause was. Also iss es ruhig. Ich bin doch nicht verrückt und stelle mich zwischen dich und dein Schnitzel!« Sie lachte dabei verhalten.
»Wer von uns hat denn früher im Burgerladen gearbeitet?«
»Aber nicht dort gegessen. Das warst nämlich du. Und zwar viel zu oft!« Sie pikste ihn dabei in die Seite. »Aber iss ruhig dein Schnitzel.«
Benno witterte zwar eine Falle, aber das war ihm egal. »Na gut, das lasse ich mir nicht zweimal sagen«, antwortete er.
»Wir müssen noch unsere Tabletten nehmen, es ist doch Mittwoch!« Selina sprang noch einmal auf und verschwand im Bad.
Benno fand dieses sklavische an-den-Kalender-halten ja etwas übertrieben. Einmal in der Woche nahmen sie die Covid-Blocker vorsorglich ein, so wie es vom bayerischen Gesundheitsamt empfohlen wurde. Die brannten sozusagen den ganzen Rachenraum und die Speiseröhre frei und beseitigten so zuverlässig alle sich dort womöglich angesammelten Corona-Viren – und verursachten bei Benno auch gerne Sodbrennen. Keine gute Kombi mit dem fettigen Essen von heute Abend.
Selina kam mit den beiden Tabletten zurück ins Schlafzimmer und reichte Benno eine. Er nahm sie, steckte sie sich in den Mund und spülte sie mit einem großen Schluck Wasser hinunter. Er spürte, wie sie erst im Rachen und danach im Magen leicht schäumte.
»Du hast jetzt immer noch nicht gesagt, wie dein Abend mit Viktor war. War es nicht so gut oder willst du einfach nicht darüber reden?«
»Sagen wir mal so«, begann Benno ausweichend. »Er ist immer noch sehr speziell und hat manchmal überraschende Ansichten.«
»Okay? Was wollte er denn in München, hast du ihn noch erkannt?«
Benno lächelte. »Ja, sofort. Er war nicht zu übersehen, als er in den Biergarten kam. Er sah noch genauso aus wie früher, nur ohne Brille. Und kann immer noch genau so laut werden. Kennst du ihn eigentlich?«
»Nein, woher denn? Du hast doch gemeint, du hast ihn seit dem Abi nicht mehr gesehen. Da kannten wir uns ja noch nicht.«
Er nickte. »Was er hier wollte, kann ich gar nicht so genau sagen. Er meinte, er wäre beruflich in München und müsste noch ein paar Leute treffen. Es klang aber eher so, als hätte er da ein paar private Projekte am Laufen.«
»Oh, vielleicht eine Frau? Eine heimliche Geliebte?«, wisperte Selina verschwörerisch.
»Also das glaube ich eher nicht.« Benno grinste breit. Viktors neuste Idee war ja eigentlich noch verrückter. Er war sehr gespannt auf Selinas Reaktion und was sie davon halten würde. »Offenbar hat sich der alte Revoluzzer einem neuen Hirngespinst verschrieben. Ich habe dir doch erzählt, wie er damals als einer der ersten schon Feuer und Flamme für die Unabhängigkeit Bayerns war. Das langt anscheinend nicht mehr. Der kleine Lord Viktor hat sich nun als Anhänger von Königshäusern geoutet. Er träumt davon, dass die Monarchie in Bayern aufersteht. Er, ein erwachsener Mann. Kann man das glauben?« Er lachte kurz auf. »Also falls du wieder jemanden für einen Serienabend mit The Crown oder Downton Abbey oder wie diese alten Serien alle heißen, suchst, ich hätte da jemanden für dich!«
Selina schrie auf: »Sissi! Franzl!«
Benno mochte es, wenn sie so herumalberte. Sie bekam dann immer so ein neckisches Leuchten in den Augen und ihre Wangen färbten sich rosa.
»Nein, wirklich! Ich glaube, das meint er ernst. Eine Monarchie hier in Bayern! So wie früher.«
»Was, aber warum?«
»Wahrscheinlich weil er schon immer Probleme mit Autoritäten hatte. Oder weil er sich gerne selbst als Opfer sieht. Waren es früher die Lehrer, auf die er schimpfte, sind es jetzt die Politiker. Erst die in Berlin, jetzt die hier in der Regierung. Richtig diskriminiert kann er sich als weißer Mann ja schlecht fühlen, da nimmt er jede Opferrolle ein, die er kriegen kann.«
Benno lachte, als er an Viktors frühere Streitigkeiten dachte. Lehrer, Schulkantinen, Filme, Videospiele, die Liste war lang und der Anlass nicht immer nachvollziehbar.
Fast automatisch stellte er nebenbei den Screen auf die Spätnachrichten vom Bayerischen Rundfunk ein. Es war schon fast zu einem Ritual von ihnen geworden, vor dem Schlafengehen die Nachrichten laufen zu lassen, um den Tag damit abzuschließen.
»Warum auch immer, aber er glaubt, wenn das politische System straffer organisiert wäre, würde alles besser gehen. Jedenfalls besser, als wenn der eine etwas sagt und der andere etwas dagegen sagt und sich beide schließlich bei einem Kompromiss in der Mitte treffen.«
»Aber genau das ist doch das Wesen einer Demokratie. Einen Kompromiss zu finden, mit dem die Mehrheit leben kann.«
»Nicht für Viktor. Vielleicht weil er Informatiker ist. Da gibt es klare Antworten, was richtig und was falsch ist. Da ist kein Platz für einen Mittelweg. Entweder es funktioniert oder eben nicht.«
»Und wenn es nicht funktioniert und zu Fehlern kommt, ist ein kompletter Neustart am besten«, sinnierte Selina.
»Scheint so.«
»Aber warum will er dafür gleich ein Königshaus?«
»Ich weiß nicht, ob er gleich ein ganzes Königshaus will. So wie er es beschrieben hat, schwebt ihm wohl eher eine Diktatur vor. Mit einem Diktator, dem man eine Krone aufsetzt. Der soll dann klare Ansagen machen und das Volk darf darauf hoffen, dass die vernünftig sind und er sich dabei nicht in die eigene Tasche wirtschaftet.«
»Und was will er dann konkret anders machen lassen?«, fragte sie ihn.
»Darüber haben wir nicht gesprochen. Ihm ging es nur um das System. Über die Inhalte hat er nichts gesagt.«
»Das klingt ja auch nicht anders als bei den jetzigen Politikern«, meinte sie.
»Oh, warte mal kurz.« Benno machte den Nachrichtenstream lauter. »Darüber haben wir heute auch kurz gesprochen.«
Der Nachrichtensprecher sprach von neuem Ärger um eine weitere Machbarkeitsstudie für den Hyperloop München – Nürnberg. Verkehrsminister Hoheneder hatte wohl eine Beratungsfirma beauftragt, die den beteiligten Technologiefirmen etwas zu nahe stand. Damit wurde wieder ein größerer Millionenbetrag für eine Untersuchung versenkt, bei der fast erwartungsgemäß ein verhalten positives Ergebnis für die Rentabilität einer solchen Strecke herausgekommen ist. Dass in der gleichen Beraterfirma demnächst sein Neffe ein begehrtes Praktikum antreten würde, war da fast nur noch eine Fußnote.
Manchmal war es echt erstaunlich, wie tapsig Politiker agieren konnten. Tapsig und realitätsfremd. Söder nahm seinen Minister in der Öffentlichkeit natürlich in Schutz, aber dazu, selbst die Verantwortung zu übernehmen – immerhin handelte es sich hierbei um sein Prestigeprojekt –, ließ er sich allerdings auch nicht hinreißen.
Benno schüttelte den Kopf. »Ist ja auch nicht so, als würden die Politiker das im Moment deutlich besser machen.«
»Aber wenigstens kann man sie beim nächsten Mal abwählen.«
»Das hier ist Bayern. Hier wird die CSU erst abgewählt, wenn sie die Berge verkaufen und die Seen zuschütten, um Parkplätze daraus zu machen. Und wahrscheinlich nicht mal dann. So viel Freibier können die anderen Parteien dem Volk nicht versprechen, damit sich daran mal was ändert.«
»Aber zum Freibier würdest du auch nicht nein sagen!«
»Das stimmt allerdings.« Benno lächelte wegen der Neckerei. »Wobei ich auch kostenlose Spezi nehmen würde.«
»Wir werden wohl langsam erwachsen, Benno. Wann hatten wir denn unser letztes Feierabendbier an der Isar?«
»Dafür haben wir doch jetzt unseren eigenen Balkon.«
»Von da ist auch der Weg zu einer ordentlichen Toilette nicht mehr so weit wie an der Isar«, antwortete Selina und grinste.
»Na, wenn das jemand weiß, dann ja wohl du«, antwortete Benno. Dabei musste er selbst von Bier ständig pinkeln.
Die Nachrichten liefen auf dem Screen noch weiter und beschäftigten sich nun mit den Themen Kultur und Sport, aber keiner von ihnen hörte mehr aufmerksam zu. Während Selina zu ihrem E-Book-Reader griff, musste Benno weiter über Viktor nachdenken.
Offenbar war Viktor immer noch nicht zur Ruhe gekommen. Mit seinen dreißig Jahren könnte er sich ja auch mal auf dem Erreichten ausruhen. Stattdessen war er als Selbständiger unterwegs – gut, Chef von Viktor würde auch niemand sein wollen, da hätte man wahrscheinlich kein angenehmes Leben. Aber dieses Pendeln zwischen Würzburg und München und wer weiß, wo seine Kunden sonst noch so sitzen, stellte sich Benno stressig vor. Über eine Beziehung hatte er nichts gesagt. Vielleicht wäre das gut für ihn. Dann wäre er vielleicht nicht mehr so empfänglich für jeden Quatsch und dankbar für jede Möglichkeit, gegen die Autoritäten zu wettern.
Viktor wollte lieber alles umschmeißen und auf links drehen, als einfach mal durchschnaufen und auf das Erreichte stolz sein. Lieber als der große Mahner auftreten und der war-ja-klar-dass-das-passiert-Sager sein, als mit der großen Masse mitzuschwimmen. Schon früher war es bei ihm so gewesen, dass es ihm mehr darum ging, sich abzugrenzen und seine eigene moralische oder politische Überlegenheit zu zelebrieren, als den Leuten zu vertrauen, die diese großen Entscheidungen berufsmäßig treffen mussten oder ähnliche schon in der Vergangenheit getroffen haben. Als es früher gegen die Lehrer ging, war das ja noch ganz lustig für Benno, immerhin hatte sich Viktor für den ganzen Jahrgang eingesetzt. Aber das hier war das echte Leben!
Und Benno war schon lange im echten Leben angekommen. Er wohnte mittlerweile seit sieben Jahren in München, war gesund, glücklich mit Selina verheiratet und ihre gemeinsame Wohnung war klasse, wenn auch vielleicht etwas teuer. Aber das war halt München. Seine Arbeit war gut, er hatte sie locker im Griff und verdiente damit gutes Geld. Er hatte sich im Büro einen Namen gemacht und wurde von allen geschätzt. Mehr erwartete er im Moment nicht vom Leben, so hatte er sich das immer vorgestellt.