Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie - Edmund Husserl - E-Book

Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie E-Book

Edmund Husserl

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Beschreibung

In "Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie" führt Edmund Husserl eine umfassende und tiefgründige Analyse der aktuellen Situation des europäischen Denkens durch. Mit einem klaren und prägnanten Schreibstil bietet er dem Leser Einblicke in die zentrale Rolle der Philosophie bei der Bewältigung der existentiellen Krisen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist. Husserls Buch reflektiert nicht nur über die philosophische Tradition Europas, sondern bietet auch eine kritische Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen. Es ist ein Werk, das durch seine Tiefe und Scharfsinnigkeit beeindruckt und zum Nachdenken anregt. Als einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts schafft Husserl eine faszinierende Verbindung zwischen Philosophie und menschlicher Existenz, die sowohl akademische Gelehrte als auch Laien ansprechen wird. Durch die Verbindung von philosophischer Reflexion und praktischer Anwendung bietet "Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie" wertvolle Einsichten und Anregungen für alle Leser, die an tieferen philosophischen Fragen interessiert sind.

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Edmund Husserl

Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie

Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie: Die geschichtsphilosophische Idee und Der teleologische Sinn

Books

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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-272-1114-2

Inhaltsverzeichnis

I
II
III

Der äußere Anlaß zum Entstehen von Husserls letzter großer Arbeit «Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie» war eine Einladung des Wiener Kulturbundes zu einem Vortrag, den er unter dem Titel «Die Philosophie in der Krisis der europäischen Menschheit» am 7. und 10. Mai 1935 hielt. Dieser Vortrag erhielt später den oben genannten Titel. Am «Krisis-Komplex» arbeitete Husserl von 1934 bis zu seinem Tode. Der Text des Wiener Vortrags wurde 1954 von Walter Biemel in den Husserliana VI zum ersten Mal veröffentlicht.

I

Inhaltsverzeichnis

Ich will in diesem Vortrage den Versuch wagen, dem so viel verhandelten Thema der europäischen Krisis ein neues Interesse dadurch abzugewinnen, daß ich die geschichtsphilosophische Idee (oder den teleologischen Sinn) des europäischen Menschentums entwickle. Indem ich dabei die wesentliche Funktion aufweise, welche in diesem Sinn die Philosophie und ihre Verzweigungen als unsere Wissenschaften zu üben haben, wird auch die europäische Krisis eine neue Erleuchtung gewinnen.

Knüpfen wir an Allbekanntes an, an den Unterschied zwischen der naturwissenschaftlichen Medizin und der sogenannten «Naturheilkunde». Entspringt diese im allgemeinen Volksleben aus naiver Empirie und Tradition, so die naturwissenschaftliche Medizin aus der Verwertung von Einsichten rein theoretischer Wissenschaften, denen der menschlichen Leiblichkeit, zunächst der Anatomie und Physiologie. Diese aber beruhen selbst wieder auf den allgemein erklärenden Grundwissenschaften von der Natur überhaupt, auf Physik und Chemie.

Wenden wir nun den Blick von der menschlichen Leiblichkeit auf die menschliche Geistigkeit, das Thema der sogenannten Geisteswissenschaften. In ihnen geht das theoretische Interesse ausschließlich auf Menschen als Personen und ihr personales Leben und Leisten sowie korrelativ auf Leistungsgebilde. Personales Leben ist, als Ich und Wir vergemeinschaftet in einem Gemeinschaftshorizont leben. Und zwar in Gemeinschaften verschiedener einfacher oder aufgestufter Gestalten, wie Familie, Nation, Übernation. Das Wort Leben hat hier nicht physiologischen Sinn, es bedeutet zwecktätiges, geistige Gebilde leistendes Leben: im weitesten Sinn kulturschaffend in der Einheit einer Geschichtlichkeit. Das alles ist Thema mannigfaltiger Geisteswissenschaften. Offenbar besteht nun der Unterschied zwischen kraftvollem Gedeihen und Verkümmern, also, wie man auch sagen kann, von Gesundheit und Krankheit, auch für Gemeinschaften, für Völker, für Staaten. Demnach liegt die Frage nicht so fern: Wie kommt es, daß es in dieser Hinsicht nie zu einer wissenschaftlichen Medizin, einer Medizin der Nationen und übernationalen Gemeinschaften gekommen ist? Die europäischen Nationen sind krank, Europa selbst ist, sagt man, in einer Krisis. An so etwas wie Naturheilkundigen fehlt es hier durchaus nicht. Wir werden ja geradezu überschwemmt von einer Flut naiver und überschwenglicher Reformvorschläge. Aber warum versagen die so reich entwickelten Geisteswissenschaften hier den Dienst, den die Naturwissenschaften in ihrer Sphäre vortrefflich üben?

Die mit dem Geiste der modernen Wissenschaften Vertrauten werden um eine Antwort nicht verlegen sein. Die Größe der Naturwissenschaften besteht darin, daß sie sich mit einer anschaulichen Empirie nicht beruhigen, da für sie alle Naturbeschreibung nur methodischer Durchgang sein will zur exakten, letztlich der physikalisch-chemischen Erklärung. Sie meinen: «Bloß beschreibende» Wissenschaften binden uns an die Endlichkeiten der irdischen Umwelt. Die mathematisch-exakte Naturwissenschaft aber umspannt mit ihrer Methode die Unendlichkeiten in ihren Wirklichkeiten und realen Möglichkeiten. Sie versteht das Anschaulich-Gegebene als bloß subjektiv relative Erscheinung und lehrt, die übersubjektive (die «objektive») Natur selbst in systematischer Approximation nach ihrem unbedingt Allgemeinen an Elementen und Gesetzen zu erforschen. In eins damit lehrt sie alle anschaulich vorgegebenen Konkretionen, ob Menschen, ob Tiere, <ob> Himmelskörper, aus dem letztlich Seienden zu erklären, nämlich von den jeweiligen faktisch gegebenen Erscheinungen aus die künftigen Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten in einem Umfang und einer Genauigkeit zu induzieren, die alle anschaulich gebundene Empirie übersteigt. Die Folge der konsequenten Ausbildung der exakten Wissenschaften in der Neuzeit war eine wahre Revolution in der technischen Naturbeherrschung.

Ganz anders ist leider (im Sinn der uns schon ganz verständlich gewordenen Auffassung), und zwar aus inneren Gründen, die methodische Lage in den Geisteswissenschaften. Die menschliche Geistigkeit ist ja auf die menschliche Physis gegründet, jedes einzeln-menschliche Seelenleben ist fundiert in der Körperlichkeit, also auch jede Gemeinschaft in den Körpern der einzelnen Menschen, welche Glieder dieser Gemeinschaft sind. Wenn also für die geisteswissenschaftlichen Phänomene eine wirklich exakte Erklärung möglich werden soll und demnach eine ähnlich weitreichende wissenschaftliche Praxis als wie in der Natursphäre, so müßten die Geisteswissenschaftler nicht bloß den Geist als Geist betrachten, sondern auf die körperlichen Unterlagen zurückgehen und mittels der exakten Physik und Chemie ihre Erklärungen durchführen. Das scheitert aber (und daran kann sich für alle irgend absehbare Zeit nichts ändern) an der Komplikation der nötigen psychophysisch-exakten Forschung schon hinsichtlich der einzelnen Menschen und erst recht der großen historischen Gemeinschaften. Wäre die Welt ein Bau von zwei sozusagen gleichberechtigten Realitätssphären, Natur und Geist, keine vor der anderen methodisch und sachlich bevorzugt, dann wäre die Situation eine andere. Aber nur die Natur ist für sich schon wie eine geschlossene Welt zu behandeln, nur die Naturwissenschaft kann in ungebrochener Konsequenz von allem Geistigen abstrahieren und Natur rein als Natur erforschen. Andererseits führt vice versa eine solche konsequente Abstraktion von der Natur für den rein für Geistiges interessierten Geisteswissenschaftler nicht zu einer in sich geschlossenen, einer rein geistig zusammenhängenden «Welt», die das Thema einer reinen und universalen Geisteswissenschaft werden könnte, als Parallele der reinen Naturwissenschaft. Denn die animalische Geistigkeit, die der menschlichen und tierischen «Seelen», auf die alle sonstige Geistigkeit zurückführt, ist einzelweise in Körperlichkeit kausal fundiert. So versteht es sich, daß der rein für Geistiges als solches interessierte Geisteswissenschaftler nicht über Deskriptives, nicht über eine Geisteshistorie hinauskommt, also an die anschaulichen Endlichkeiten gebunden bleibt. Jedes Beispiel zeigt es. Z.B. ein Historiker kann doch nicht altgriechische Geschichte behandeln, ohne die physische Geographie Altgriechenlands, nicht seine Architektur, ohne die Körperlichkeit der Bauten mitzunehmen usw. usw. Das scheint ganz einleuchtend.

Aber wie, wenn die ganze in dieser Darstellung sich bekundende Denkweise auf verhängnisvollen Vorurteilen beruhte und in ihren Auswirkungen selbst mitschuldig wäre an der europäischen Erkrankung? In der Tat, so ist meine Überzeugung, und ich hoffe damit auch verständlich zu machen, daß hier auch eine wesentliche Quelle liegt für die Selbstverständlichkeit, mit der der moderne Wissenschaftler die Möglichkeit der Begründung einer rein in sich geschlossenen und allgemeinen Wissenschaft vom Geiste nicht einmal für erwägenswert hält und somit glattweg leugnet.