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In 'Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge' präsentiert Edmund Husserl eine tiefgreifende Analyse der cartesianischen Philosophie und der Rolle des Bewusstseins in der Erkenntnistheorie. Der Autor führt den Leser durch eine Reflexion über die Entstehung von Bewusstsein und die Konstruktion von Wahrnehmung, wobei er auf die Bedeutung der Phänomenologie für die philosophische Praxis eingeht. Husserls Schreibstil ist präzise und akademisch, wodurch er komplexe philosophische Konzepte klar vermittelt. Dieses Werk ist ein Meilenstein in der Phänomenologie und prägte nachhaltig das philosophische Denken des 20. Jahrhunderts.
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Seitenzahl: 58
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[Die Cartesianischen Meditationen und ihre kritische Umbildung zur meditierenden Erschließung
An dieser ehrwürdigsten Stätte französischer Wissenschaft über die neue Phänomenologie sprechen zu dürfen, erfüllt mich aus besonderen Gründen mit Freudigkeit. Denn kein Philosoph der Vergangenheit hat auf den Sinn der Phänomenologie so entscheidend gewirkt wie Frankreichs größter Denker René Descartes. Ihn muß sie als ihren eigentlichen Erzvater verehren. Ganz direkt, ausdrücklich sei es gesagt, hat das Studium der Cartesianischen Meditationen in die Neugestaltung der werdenden Phänomenologie eingegriffen und ihr diejenige Sinnesform gegeben, die sie jetzt hat und die es fast gestattet, sie einen neuen Cartesianismus zu nennen, einen Cartesianismus vom 20. Jahrhundert
Bei dieser Sachlage darf ich wohl im Voraus Ihres Anteils sicher sein, wenn ich an diejenigen Motive der Meditationes de prima philosophia anknüpfe, denen, wie ich glaube, eine Ewigkeitsbedeutung zukommt, und wenn ich daran anschließend die Umbildung und Neubildung kennzeichne, in welchen das Eigentümliche der phänomenologischen Methode und Problematik entspringt.
Jeder Anfänger der Philosophie kennt den merkwürdigen Gedankenzug der Meditationen. Ihr Ziel ist, wie wir uns erinnern, eine völlige Reform der Philosophie, darin beschlossen die aller Wissenschaften. Denn sie sind nur unselbständige Glieder der einen universalen Wissenschaft, der Philosophie. Nur in ihrer systematischen Einheit können sie zu echter Rationalität gebracht werden - die ihnen, so wie sie bisher erwachsen sind, fehlt. Es bedarf eines radikalen Neubaues, der der Idee der Philosophie als universaler Einheit der Wissenschaften in der Einheit einer absolut rationalen Begründung genugtut. Diese Forderung des Neubaues wirkt sich bei Descartes in einer subjektiv gewendeten Philosophie aus. Diese subjektive Wendung vollzieht sich in zwei Stufen.
Fürs erste: Jeder, der ernstlich Philosoph werden will, muß sich einmal im Leben auf sich selbst zurückziehen und in sich den Umsturz aller vorgegebenen Wissenschaften und ihren Neubau versuchen. Philosophie ist eine ganz persönliche Angelegenheit des Philosophierenden. Es handelt sich um seine sapientia universalis, das ist um sein ins Universale fortstrebendes Wissen - aber um ein echt wissenschaftliches, das er von Anfang an und in jedem Schritte absolut verantworten kann aus seinen absolut einsichtigen Gründen. Ich kann zum echten Philosophen nur werden durch meinen freien Entschluß, diesem Ziel entgegenleben zu wollen. Habe ich mich dazu entschlossen, somit den Anfang erwählt aus absoluter Armut und den Umsturz, so ist natürlich ein Erstes, mich zu besinnen, wie ich den absolut sicheren Anfang und die Methode des Fortgangs finden könnte, wo mir jede Stütze vorgegebener Wissenschaft fehlt. Die Cartesianischen Meditationen wollen also nicht eine Privatangelegenheit des Philosophen Descartes sein, sondern das Urbild der notwendigen Meditationen jedes neuanfangenden Philosophen überhaupt.
Wenden wir uns nun dem uns Heutigen so befremdlichen Inhalt der Meditationen zu, so vollzieht sich darin alsbald ein Rückgang auf das philosophierende ego in einem zweiten und tieferen Sinne. Es ist der bekannte epochemachende Rückgang auf das ego der reinen cogitationes. Es ist das ego, das sich als das einzig apodiktisch gewiß Seiende vorfindet, während es das Dasein der Welt, als nicht gegen möglichen Zweifel gesichert, außer Geltung setzt.
Dieses ego vollzieht nun zunächst ein ernstlich solipsistisches Philosophieren. Es sucht apodiktisch gewisse Wege, durch die sich in der reinen Innerlichkeit eine objektive Äußerlichkeit erschließen läßt. Das geschieht bei Descartes in der bekannten Weise, daß zunächst Gottes Existenz und veracitas erschlossen werden und dann mittels ihrer die objektive Natur, der Dualismus der Substanzen, kurz der objektive Boden der positiven Wissenschaften und diese selbst. Alle Schlußweisen erfolgen am Leitfaden von Prinzipien, die immanent, die dem ego eingeboren sind.
Soweit Descartes. Wir fragen nun: Lohnt es sich eigentlich, einer Ewigkeitsbedeutung dieser Gedanken kritisch nachzuspüren? Sind sie geeignet, unserer Zeit lebendige Kräfte einzuflößen?
Bedenklich ist jedenfalls, daß die positiven Wissenschaften, die doch durch diese Meditationen eine absolut rationale Begründung erfahren sollten, sich um sie so wenig gekümmert haben. Allerdings in unserer Zeit fühlen sie sich trotz der glänzenden Entwicklung der drei Jahrhunderte durch die Unklarheit ihrer Grundlagen sehr gehemmt. Aber es fällt ihnen doch nicht ein bei der Neugestaltung der Grundbegrifflichkeit auf die Cartesianischen Meditationen zurückzugreifen.
Andererseits wiegt es doch schwer, daß die Meditationen in der Philosophie in einem ganz einzigen Sinn Epoche gemacht haben, und zwar gerade durch ihren Rückgang auf das ego cogito. Descartes inauguriert in der Tat eine völlig neuartige Philosophie. Diese nimmt, ihren gesamten Stil verändernd, eine radikale Wendung vom naiven Objektivismus in einen transzendentalen Subjektivismus, der in immer neuen und doch immer ungenügenden Versuchen zu einer reinen Endgestalt hinstrebt. Sollte also diese fortgehende Tendenz nicht einen Ewigkeitssinn in sich tragen, für uns eine große, von der Geschichte selbst uns auferlegte Aufgabe, an der mitzuarbeiten wir alle berufen sind?
Die Zersplitterung der gegenwärtigen Philosophie in ihrer rastlosen Betriebsamkeit gibt uns zu denken. Ist sie nicht darauf zurückzuführen, daß in ihr die von Descartes' Meditationen ausstrahlenden Triebkräfte ihre ursprüngliche Lebendigkeit eingebüßt haben? Sollte das nicht die einzig fruchtbare Renaissance sein, die diese Meditationen wiedererweckt, nicht sie zu übernehmen, sondern den tiefsten Sinn ihres Radikalismus im Rückgang auf das ego cogito allererst zu enthüllen und die von da entsprießenden Ewigkeitswerte?
Jedenfalls bezeichnet sich damit der Weg, der zur transzendentalen Phänomenologie geführt hat.
Diesen Weg wollen wir nun gemeinsam beschreiten. Cartesianisch wollen wir als radikal anfangende Philosophen Meditationen vollziehen, natürlich in steter kritischer Umbildung der altcartesianischen. Was in diesen bloß Keimanlage war, soll zu freier Entfaltung gebracht werden.
Wir fangen also an, jeder für sich und in sich, mit dem Entschluß alle uns vorgegebenen Wissenschaften außer Geltung zu setzen. Das Descartes leitende Ziel absoluter Wissenschaftsbegründung lassen wir nicht fahren, aber zunächst soll nicht einmal seine Möglichkeit als Präjudiz vorausgesetzt werden. Wir begnügen uns damit, uns in das Tun der Wissenschaften hineinzuversetzen und daraus ihr Ideal der Wissenschaftlichkeit als das zu entnehmen, worauf sie, worauf Wissenschaft hinauswill. Ihrem Absehen nach soll nichts als wirklich wissenschaftlich gelten, was nicht durch vollkommene Evidenz begründet ist, d. h. auszuweisen ist durch Rückgang auf die Sachen oder Sachverhalte selbst in ursprünglicher Erfahrung und Einsicht. Davon geleitet machen wir anfangende Philosophen uns zum Prinzip, nur in Evidenz zu urteilen und die Evidenz selbst kritisch nachzuprüfen, auch das selbstverständlich wieder in der Evidenz. Haben wir am Anfang die Wissenschaften außer Geltung gesetzt, so stehen wir im vorwissenschaftlichen Leben, und darin fehlt es ja auch nicht an Evidenzen, an unmittelbaren und mittelbaren. Das und nichts anderes haben wir zunächst.
Von da aus ergibt sich für uns die erste Frage: Können wir nicht unmittelbare und apodiktische Evidenzen aufweisen, und zwar an sich erste, d. h. solche, die allen sonstigen Evidenzen notwendig vorangehen müssen?
Indem wir meditierend dieser Frage nachgehen, scheint sich zunächst als in der Tat an sich erste aller Evidenzen und als apodiktische die von der Existenz der Welt darzubieten. Auf die Welt beziehen sich alle Wissenschaften und vor ihnen schon das handelnde Leben. Allem voran ist das Dasein der Welt selbstverständlich