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Dieses eBook: "Über den Begriff der Zahl: Psychologische Analysen" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Edmund Husserl (1859-1938) war ein Philosoph und Mathematiker. Husserl gilt als Begründer der Phänomenologie, mit deren Hilfe er die Philosophie als strenge Wissenschaft zu begründen suchte. Er ist einer der einflussreichsten Denker des 20. Jahrhunderts. Inhalt: Die Analyse des Begriffes der Anzahl nach Ursprung Die Entstehung des Begriffes der Viehieit vermittelst desjenigen der colleetiven Verbindung. Kritische Entwickelung einiger Theorien. Feststellung der psychologischen Matur der colleettven. Verbindung. Analyse des Zahlbegriffs nach. Ursprung und Inhalt. Aus dem Buch: "Um eine Analyse der Begriffe, welche der Mathematik zu Grunde liegen, der elementaren Wahrheiten, auf welchen sie auferbaut ist und der Methoden, durch welche sie jederzeit als das Muster streng-wissenschaftlicher Deduction gegolten hat, bemühte man sich von Alters her, ja seit Jahrtausenden immer von Neuem. Und es geschah dies nicht etwa ausschliesslich von Seiten der Mathematiker, sondern viel mehr noch von Seiten der Metaphysiker und Logiker, welche aus der Fülle der hierher gehörigen Probleme, je nach dem besonderen Interesse, das sie antrieb, bald dieses, bald jenes herausgriffen und zum Gegenstande specieller Untersuchung machten. In der That handelt es sich hierbei nicht um Fragen, die allein oder hauptsächlich den Mathematiker angehen. Ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Philosophie lehrt, wie die Auffassungen bezüglich des theoretischen Charakters der Mathematik in einer wesentlichen und oft bestimmenden Art auf die Gestaltung bedeutender philosophischer Weltanschauungen eingewirkt haben."
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Die Ziele und Aufgaben der Metaphysik
Inhaltsverzeichnis
Um eine Analyse der Begriffe, welche der Mathematik zu Grunde liegen, der elementaren Wahrheiten, auf welchen sie auferbaut ist und der Methoden, durch welche sie jederzeit als das Muster streng-wissenschaftlicher Deduction gegolten hat, bemühte man sich von Alters her, ja seit Jahrtausenden immer von Neuem. Und es geschah dies nicht etwa ausschliesslich von Seiten der Mathematiker, sondern viel mehr noch von Seiten der Metaphysiker und Logiker, welche aus der Fülle der hierher gehörigen Probleme, je nach dem besonderen Interesse, das sie antrieb, bald dieses, bald jenes herausgriffen und zum Gegenstande specieller Untersuchung machten. In der That handelt es sich hierbei nicht um Fragen, die allein oder hauptsächlich den Mathematiker angehen. Ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Philosophie lehrt, wie die Auffassungen bezüglich des theoretischen Charakters der Mathematik in einer wesentlichen und oft bestimmenden Art auf die Gestaltung bedeutender philosophischer Weltanschauungen eingewirkt haben. In gegenseitigem Widerstreite glaubten die verschiedenartigsten philosophischen Richtungen sich auf das Zeugnis der Mathematik berufen zu dürfen, sowohl Rationalisten als Empiristen, sowohl Phänomenalisten als Realisten, und selbst die Skeptiker scheuten diesen Kampfplatz nicht. Insbesondere traten seit Kant die mathematisch-philosophischen Streitfragen immer mächtiger in den Vordergrund. Für Kant selbst bilden Untersuchungen über die Natur der mathematischen Erkenntnisse die Fundamente seiner Erkenntnistheorie.
In Deutschland war es in jüngster Zeit hauptsächlich der vielverbreitete Neu-Kantianismus, welcher, in dem Bestreben die Grundlagen der Kantischen Vernunftkritik von Neuem zu sichern und zumal dem von England herübergekommenen Empirismus gegenüber zu stützen, sich genötigt sah, jenen Fragen vorzügliche Aufmerksamkeit zuzuwenden. Nicht ohne Einfluss blieben hierbei die in England durch viele Jahre und mit grossem Scharfsinn fortgeführten Discussionen zwischen Whewell, Hamilton und seinen Schülern, als den Repräsentanten der Kant’schen Ideen auf der einen Seite, und den von J. Stuart Mill geführten Denkern der empiristischen Richtung auf der andern Seite.
Ausser dem engbegrenzten Kreise von Fragen, auf welche sich diese erkenntnistheoretischen Streitigkeiten ursprünglich bezogen, gab es aber noch eine Anzahl erheblich schwierigerer, welche zunächst nur von mathematischen Fachmännern behandelt wurden, späterhin jedoch die allgemeinere Aufmerksamkeit auf sich zogen und dem philosophischen Denken neues Material darboten.
Die Interessen, von denen geleitet die Mathematiker in so vielfache Berührung mit der Philosophie kamen, hatten die Quelle in dem Stande ihrer eigenen Wissenschaft.
Es ist bekannt, welch grossartigen Aufschwung die Mathematik im Verlaufe der letzten Jahrhunderte genommen hatte, wie eine Reihe neuer und weittragender Werkzeuge der Untersuchung erfunden und eine schier unübersehbare Fülle bedeutender Erkenntnisse gewonnen worden war. Man versteht es leicht, wie in früherer, schöpfungsfreudiger Zeit, als es noch galt die grossen Gedanken eines Newton und Leibnitz auszugestalten und durch sie immer neue Wissengebiete zu befruchten, Reflexionen über die logische Natur all der räthselhaften Hilfsbegriffe, zu deren Einführung und consequenten Verwendung man sich gedrängt sah, gegenüber dem Streben nach Resultaten, nach Entdeckungen, nach Auswertung des wunderbaren Werkzeuges zurücktreten musste. Erst später, als die hauptsächlichsten oder nächstliegenden Consequenzen der neuen Principien gezogen waren, als die Fehler, welche in Folge der Unklarheit über die Natur der verwendeten Hilfsmittel und die Grenzen der Zuverlässigkeit der Operationen entstanden, immer häufiger wurden, da erwachte stets lebhafter und endlich unabweisbar das Bedürfnis nach logischer Klärung, Sichtung und Sicherung des Gewonnenen; nach einer scharfen Analyse der zu Grunde liegenden und der vermittelnden Begriffe; nach logischer Einsicht in die Abhängigkeit der verschiedenen, da nur lose zusammenhängenden, dort wieder unentwirrbar verschlungenen mathematischen Disciplinen; und endlich nach einer streng deductiven Entwickelung der ganzen Mathematik aus möglichst wenigen, durch sich selbst einleuchtenden Grundsätzen.
Seit Anfang dieses Jahrhunderts ist die Zahl solcher mathematisch-logischen Arbeiten ins Unabsehbare gewachsen. Die eine verspricht uns ein vollkommen consequentes System der Mathematik; die andere eine Klarstellung des Verhältnisses der allgemeinen Arithmetik zur Geometrie; wieder andere versuchen die Aufhellung jener dunkeln, scheinbar widerspruchsvollen und gleichwohl der Analysis unentbehrlichen Hilfsbegriffe, wie des Imaginären, des Irrationalen, des Differentials und Integrals, des Continuirlichen u. s. f.; wieder andere - und deren Zahl ist Legion - behandeln die Axiome der Geometrie, insbesondere Euclides XL Axiom, versuchen es zu beweisen oder vorgebliche Beweise zu widerlegen, oder endlich durch fictive Constructionen von Geometrien ohne dieses Axiom, dessen Entbehrlichkeit und bloss inductive Gewissheit, gegenüber den Behauptungen seiner a priori’schen Notwendigkeit darzuthun.
An dieser innerhalb der Mathematik entstandenen Literatur musste naturgemäss die Philosophie unserer Zeit lebhaften Antheil nehmen und dies nicht bloss mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Metaphysik, sondern auch auf diejenigen der Logik.
In der That, seitdem die neuere Logik.im Gegensatze zu der älteren ihre wahre Aufgabe als die einer practischen Disciplin (einer Kunstlehre des richtigen Urtheilens) erfasst hatte, und einer allgemeinen Methodenlehre der Wissenschaften als einem, ihrer vorzüglichsten Ziele zustrebte, fand sie mannigfache und dringende Anlässe, auf die Fragen nach dem Charakter der mathematischen Methoden und der logischen Natur ihrer Grundbegriffe und Grundsätze ihr besonderes Augenmerk zu richten. So nehmen denn im Zusammenhange metaphysischer und logischer Werke derartige Erörterungen eine beträchtliche Ausdehnung ein, während überdies eine grosse Zahl philosophischer Specialabhandlungen bald diese bald jene Frage des Grenzgebietes zwischen Philosophie und Mathematik bearbeiten.
Auch die neuere Psychologie blieb diesem Gebiete nicht gänzlich fremd, sei es auch nur, um einige Fragen, die entweder mit den metaphysischen und logischen vermengt behandelt oder überhaupt noch nicht aufgeworfen worden waren — nämlich die Fragen nach dem phänomenalen Charakter und dem psychologischen Ursprung der Vorstellungen von Raum, Zeit, Zahl, Continuum u. A. — einer gesonderten Untersuchung zu unterwerfen. Dass aber die Ergebnisse derselben auch für die Metaphysik und Logik von Bedeutung sein müssen, dies ist jedem Einsichtigen klar.
Nach so vielen, von verschiedenen Seiten und in verschiedenen Epochen unternommenen Bemühungen sollte man erwarten, dass wenigstens in Rücksicht auf die hauptsächlichsten der bezüglichen Probleme Lösung und allgemeine Uebereinstimmung erzielt worden sei. Doch die Jahrhunderte flössen dahin und jene Fragen blieben bestehen; ja zu den alten traten nur noch neue hinzu. Ob unsere Zeit in dieser Hinsicht glücklicher sein wird? Sicherlich! Gar viele Anzeichen sprechen dafür, es möchte ihr in diesen, wie in anderen Beziehungen, vergönnt sein, alte Räthsel zu lösen. Und gewiss berechtigen uns zu dieser Ueberzeugung die grossen Fortschritte, welche die wissenschaftliche Psychologie und Logik in letzter Zeit gemacht haben. Die Hilfsmittel liegen dort bereit, um endgiltige Entscheidungen zu treffen; aber freilich muss man sie auch dort suchen. Durch nominalistische oder formalistische Kunststücke wird es nie gelingen, sachliche Schwierigkeiten hinwegzuzaubern.
Im Hinblick auf den Stand der Dinge gelangten so Manche zu der Meinung, die philosophisch-mathematischen Streitfragen wären nichts weiter als ein unentwirrbarer Knäuel überflüssiger Subtilitäten, den zu lösen es der Mühe nicht lohne; um sie unbekümmert nähme die Wissenschaft ruhig ihren Fortgang.
Indessen, diese Ansicht ist thatsächlich falsch. Sähen wir auch davon ab, dass die Lösung jener Subtilitäten ein wesentliches Interesse der Philosophie bildet, so lehrt auch der blosse Hinweis auf die vielen, folgenschweren Irrthümer, welche innerhalb der Mathematik selbst durch falsche Auffassungen des Differentialbegriffs u. s. f. begangen worden sind, wie sehr eine derartige Ansicht fehl geht.
Was nun die Gründe anlangt, welche bewirkten, dass es in Betreff so wichtiger Probleme noch immer an völlig befriedigenden und jeden Zweifel ausschliessenden Lösungen mangelt, so liegen sie, wie eine genauere Kritik beweisen würde, theils in hemmenden, metaphysischen Vorurtheilen, theils in Fehlern der Methode.
Es war in letzterer Hinsicht insbesondere auch die zusammenhangslose Vereinzelung der Versuche ein Hemmnis des Fortschrittes gewesen. Der systematisch-innige Connex innerhalb jener Kette von Problemen hätte eine naturgemässe Reihenfolge in der Bearbeitung erfordert; in Wirklichkeit folgte man aber den jeweiligen besonderen Interessen und suchte für sich zu begreifen, was nur in seiner Abhängigkeit von Anderem begriffen werden konnte. Ein vorzügliches Beispiel hierfür bietet uns die berühmte Riemann-Helmholtz’sche Raumtheorie. Die Methode, die sie zur Lösung der an die Axiome der Geometrie sich anknüpfenden Principienfragen für ausgezeichnet geeignet hält und auch verwendet, ist die analytisch-rechnende. Helmholtz rühmt wiederholt als den besonderen Vorzug der analytischen Geometrie, dass sie mit reinen Grössenbegriffen rechne und zu ihren Beweisen keine Anschauung brauche (cf. „Ueber die thatsächlichen Grundlagen der Geometrie. Wissenschaftliche Abhandlungen II. Band, p. 611). Hiedurch entfiele für sie — der rein anschaulich verfahrenden Euclidischen Geometrie gegenüber — „die Gefahr, dass sich gewohnte Anschauungsthatsachen als Denknotwendigkeiten unterschieben könnten“, (cf. Ueber den Ursprung der geometr. Axiome. Vorträge und Reden II, p. 16).
Indessen hier erheben sich alsbald schwere Zweifel. Setzt nicht auch die analytische Methode in der Geometrie gewisse Anschauungsthatsachen voraus? Offenbar. Wie gelangte man denn sonst zu jenen allgemeinen Vorschriften, nach denen jedes geometrische Gebilde auf algebraischem Wege durch eine Gleichung definirt, und dann aus jeder algebraischen Beziehung auf eine geometrische geschlossen werden kann? Beruht denn nicht das bekannte Grund- und Hilfsmittel der analytischen Geometrie, welche die erwähnte Umsetzung allererst ermöglicht, nämlich die eindeutig charakterisirende Darstellung eines jeden Raumpunktes durch die Masszahlen seiner Abstände von drei festen "Coordinatenaxen" auf Eigenthümlichkeiten unserer Raumvorstellung, und könnten wir diese anderswoher abstrahiren, als von Anschauungen ? Welches sind also die Anschauungsthatsachen, auf welchen im letzten Grunde die Möglichkeit, die allgemeine Arithmetik auf die Geometrie anzuwenden, fusst?
Diese und so manche andere Fragen wurden aber vorher gar nicht aufgeworfen, geschweige denn gelöst. Es ist offenbar, so lange das Verhältnis der Arithmetik zur Geometrie nicht vollkommen geklärt ist, bietet uns kein Versuch, die Principienfragen der Geometrie auf analytischem Wege zu beantworten, Sicherheit und Gewähr dafür, dass wir nicht etwa im Cirkel geführt werden — wie dies nach meiner Ueber-zeugung bei der Riemann-Helmholtz’schen Theorie thatsächlich der Fall ist.