Die Lage der arbeitenden Klasse in England - Friedrich Engels - E-Book

Die Lage der arbeitenden Klasse in England E-Book

Engels Friedrich

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Beschreibung

Die Lage der arbeitenden Klasse in England mit dem Untertitel Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen ist eine wichtige Arbeit und Frühschrift von Friedrich Engels aus dem Jahr 1845, in der er die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse in England zur Zeit der frühen Industrialisierung darstellt. Die Schrift gilt als Pionierwerk der empirischen Sozialforschung und erhebt eine vernichtende Anklage gegen die englische Bourgeoisie, deren "zügellose Profitgier" Engels für die Verelendung der Arbeiter verantwortlich macht - bis hin zum "sozialen Mord". (aus wikipedia.de)

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Die Lage der arbeitenden Klasse in England

Nach eigner Anschauung und authentischen Quellen

Friedrich Engels

Inhalt:

Friedrich Engels – Biografie und Bibliografie

Die Lage der arbeitenden Klasse in England

Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1892

An die arbeitenden Klassen Großbritanniens

Vorwort

Einleitung

Das industrielle Proletariat

Die großen Städte

Die Konkurrenz

Die irische Einwanderung

Resultate

Die einzelnen Arbeitszweige.

Die Fabrikarbeiter im engeren Sinne

Die übrigen Arbeitszweige

Arbeiterbewegungen

Das Bergwerksproletariat

Das Ackerbauproletariat

Die Stellung der Bourgeoisie zum Proletariat

Fußnoten

Die Lage der arbeitenden Klasse in England, Friedrich Engels

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849611767

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Engels – Biografie und Bibliografie

Sozialist, geb. 28. Nov. 1820 in Barmen als Sohn eines Fabrikanten, gest. 5. Aug. 1895 in London, war 1838 Volontär in einem Geschäft in Bremen und übernahm dann die Filiale des väterlichen Geschäfts zu Manchester, die er bis 1845 leitete. Schon in früher Jugend literarisch tätig und sozialistischen Ideen zugeneigt, wurde er durch seinen Aufenthalt in England angeregt zur Veröffentlichung des Werkes »Die Lage der arbeitenden Klassen in England« (Leipz. 1845; 2. Aufl., Stuttg. 1892; engl. Übersetzung, mit Nachtrag, von Wischnewetzky, New York 1887). Nachdem er bereits 1844 für die von A. Ruge und K. Marx herausgegebenen »Deutsch-französischen Jahrbücher« Beiträge geschrieben, ward er 1844 in Brüssel mit Marx persönlich bekannt, dem er fortan in treuer Freundschaft anhing. Mit ihm verfasste er gemeinsam die gegen Bruno Bauer gerichtete Schrift »Die heilige Familie«, ebenso 1847 im Auftrag des internationalen Kommunistenbundes das »an die Proletarier aller Länder« gerichtete kommunistische Manifest. E. war damals erst in London, später in Brüssel Sekretär des Zentralausschusses des genannten Bundes. 1848–49 beteiligte er sich als Mitarbeiter an der von Marx in Köln redigierten »Neuen rheinischen Zeitung«, dann nahm er an den Aufständen in der Pfalz und in Baden teil und flüchtete nach deren Niederwerfung nach England, wo er nach Gründung der »Internationale« für diese und überhaupt für Verbreitung sozialistischer Ideen wirkte. Von 1850–69 war er wieder im väterlichen Geschäft in Manchester tätig und lebte seit 1869 in London. Eine Reihe von seinen im »Vorwärts« veröffentlichten Abhandlungen erschien 1878 u. d. T.: »Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft« (4. Aufl., Stuttg. 1901); andre Schriften sind: »Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates« (Zür. 1884; 8. Aufl., Stuttg. 1900); »Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie« (das. 1888, 3. Aufl. 1903); »Die Entwickelung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft« (4. Aufl., Berl. 1881). Auch gab er den von Marx im Manuskript hinterlassenen 2. und 3. Band des Werkes: »Das Kapital, Kritik der politischen Ökonomie« (Hamb. 1885) heraus und besorgte die 3. und 4. Auflage des 1. Bandes. Gesammelte Schriften aus dem Nachlaß wurden zusammen mit denen von Marx und Lassalle von Mehring herausgegeben (Stuttg. 1901 ff.). Vgl. »Die Neue Zeit«, 9. Jahrgang, S. 225 ff. (Stuttg. 1890); Sombart, Friedrich E. (Berl. 1895).

Die Lage der arbeitenden Klasse in England

Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1892

Das Buch, das hiemit dem deutschen Publikum aufs neue zugänglich gemacht wird, erschien zuerst im Sommer 1845. Im guten wie im schlechten trägt es den Stempel der Jugend des Verfassers. Damals hatte ich vierundzwanzig Jahre; heute bin ich dreimal so alt, und wie ich diese Jugendarbeit wieder durchlese, finde ich, daß ich mich ihrer keineswegs zu schämen brauche. Ich denke also nicht daran, diesen Stempel der Jugendarbeit irgendwie zu verwischen. Ich lege sie dem Leser unverändert wieder vor. Nur einige nicht ganz klare Stellen habe ich schärfer gefaßt und hier und da eine neue, mit der Jahreszahl (1892) bezeichnete, kurze Fußnote hinzugesetzt.

Von den Schicksalen dieses Buches erwähne ich nur, daß es 1885 in New York in englischer Übersetzung (von Frau Florence Kelley Wischnewetzky) erschien und daß diese Übersetzung 1892 in London bei Swan Sonnenschein & Co. neu aufgelegt wurde. Die Vorrede zur amerikanischen Ausgabe liegt der zur englischen, und diese wieder dem gegenwärtigen deutschen Vorwort zugrund. Die moderne große Industrie gleicht die ökonomischen Verhältnisse aller von ihr ergriffnen Länder in so riesigem Maße aus, daß ich dem deutschen Leser kaum etwas andres zu sagen habe als dem amerikanischen und englischen.

Der in diesem Buch beschriebne Stand der Dinge gehört heute – wenigstens was England angeht – größtenteils der Vergangenheit an. Obwohl nicht ausdrücklich in den anerkannten Lehrbüchern mit aufgezählt, ist es doch ein Gesetz der modernen politischen Ökonomie, daß, je mehr die kapitalistische Produktion sich ausbildet, desto weniger sie bestehn kann bei den kleinen Praktiken der Prellerei und Mogelei, die ihre früheren Stufen kennzeichnen. Die kleinlichen Schlaumeiereien des polnischen Juden, des Repräsentanten des europäischen Handels auf seiner niedrigsten Stufe, diese selben Pfiffe, die ihm in seiner eignen Heimat so vortreffliche Dienste leisten und dort allgemein angewandt werden, lassen ihn im Stich, sobald er nach Hamburg oder Berlin kommt. Desgleichen der Kommissionär, Jude oder Christ, der von Berlin oder Hamburg auf die Börse von Manchester kommt, fand wenigstens noch vor nicht zu langer Zeit dies eine aus: Wollte er Garn oder Gewebe wohlfeil kaufen, so mußte er vor allem sich jener, um ein geringes verfeinerten, aber immer noch jammervollen Manöver und Kniffe entledigen, die in seiner Heimat für die Spitze aller Geschäftsklugheit galten. Allerdings soll mit dem Fortschritt der großen Industrie auch in Deutschland sich manches geändert haben, und namentlich seit dem industriellen Jena von Philadelphia sogar der altdeutsche Biedermannsgrundsatz in Verruf kommen: Es kann den Leuten ja nur angenehm sein, wenn wir ihnen erst gute Muster schicken und nachher schlechte Ware! Und in der Tat, diese Kniffe und Pfiffe bezahlen sich nicht mehr in einem großen Markt, wo Zeit Geld ist und wo eine gewisse Höhe der kommerziellen Moralität sich entwickelt, nicht aus Tugendschwärmerei, sondern einfach, um Zeit und Mühe nicht nutzlos zu verlieren. Und genauso ist es in England gegangen im Verhältnis des Fabrikanten zu seinen Arbeitern.

Die Wiederbelebung des Geschäfts nach der Krisis von 1847 war der Anbruch einer neuen industriellen Epoche. Die Abschaffung der Korngesetze und die daraus notwendig sich ergebenden weiteren finanziellen Reformen schufen der Industrie und dem Handel Englands allen erwünschten Ellbogenraum. Gleich darauf kam die Entdeckung der kalifornischen und australischen Goldfelder. Die Kolonialmärkte entwickelten in steigendem Maß ihre Absorptionsfähigkeit für englische Industrieprodukte. Der mechanische Webstuhl von Lancashire schaffte ein für allemal Millionen indischer Handweber aus der Welt. China wurde mehr und mehr eröffnet. Vor allen andern aber entwickelte sich Amerika mit einer selbst für dies Land des Riesenfortschritts unerhörten Schnelligkeit; und Amerika, vergessen wir es nicht, war damals eben nur ein Kolonialmarkt, und zwar der größte von allen, d.h. ein Land, das Rohprodukte lieferte und Industrieprodukte von außen – hier von England – bezog.

Zu alledem kam aber noch, daß die neuen, am Schluß der vorigen Periode eingeführten Verkehrsmittel – Eisenbahnen und ozeanische Dampfschiffe – jetzt auf internationalem Maßstab verwirklicht wurden und damit das tatsächlich herstellten, was bisher nur der Anlage nach bestanden hatte: den Weltmarkt. Dieser Weltmarkt bestand damals noch aus einer Anzahl von hauptsächlich oder ausschließlich ackerbauenden Ländern, gruppiert um ein großes Industriezentrum: England. England verbrauchte den größten Teil ihrer überschüssigen Rohprodukte und versorgte sie dafür mit dem größten Teil ihres Bedarfs an Industrieerzeugnissen. Kein Wunder also, daß Englands industrieller Fortschritt kolossal und unerhört war, so sehr, daß der Stand von 1844 uns heute als vergleichsweise unbedeutend und fast waldursprünglich erscheint.

In demselben Grad aber, worin dieser Fortschritt sich darstellte, in demselben Grad wurde auch die große Industrie, dem äußeren Schein nach, moralisch. Die Konkurrenz von Fabrikant gegen Fabrikant, vermittelst kleiner Diebstähle an den Arbeitern, zahlte sich nicht mehr. Das Geschäft war solchen miserablen Mitteln des Geldverdienens entwachsen; der fabrizierende Millionär hatte Beßres zu tun, als seine Zeit zu verlieren mit derlei kleinlichen Kniffen. So etwas war gut genug höchstens für kleine geldbedürftige Leute, die jeden Groschen aufschnappen mußten, wollten sie nicht der Konkurrenz erliegen. So verschwand das Trucksystem aus den Fabrikbezirken; die Zehnstundenbill und eine ganze Reihe kleinerer Reformen ging durch – alles Dinge, die dem Geist des Freihandels und der zügellosen Konkurrenz direkt ins Gesicht schlugen, die aber ebensosehr die Konkurrenz des Riesenkapitalisten gegen seine weniger begünstigten Geschäftskollegen noch überlegner machten.

Ferner. Je größer eine industrielle Anlage, je zahlreicher ihre Arbeiter, um so größer war der Schaden und der Geschäftsverdruß bei jedem Konflikt mit den Arbeitern. Daher kam mit der Zeit ein neuer Geist über die Fabrikanten, namentlich über die größten. Sie lernten unnötige Streitereien vermeiden, sich mit dem Bestand und der Macht der Trades Unions abfinden, und schließlich sogar in Strikes – wenn nur zur richtigen Zeit eingeleitet – ein wirksames Mittel entdecken zur Durchführung ihrer eignen Zwecke. So kam es, daß die größten Fabrikanten, früher die Heerführer im Kampf gegen die Arbeiterklasse, jetzt die ersten waren im Aufruf zu Frieden und Harmonie. Und aus sehr guten Gründen.

Alle diese Konzessionen an die Gerechtigkeit und Menschenliebe waren eben in Wirklichkeit nur Mittel, die Konzentration des Kapitals in den Händen weniger zu beschleunigen und die kleineren Konkurrenten zu erdrücken, die ohne solchen Extraverdienst nicht leben konnten. In den Händen dieser wenigen hatten die kleinen Nebenerpressungen früherer Jahre nicht nur alle Wichtigkeit verloren, sie waren jetzt dem Geschäft auf großem Fuß geradezu im Weg. Und so hat die Entwicklung der kapitalistischen Produktion allein hingereicht, wenigstens in den leitenden Industriezweigen – denn in den weniger wichtigen ist dies keineswegs der Fall – alle jene kleineren Beschwerden zu beseitigen, die in frühem Jahren das Los des Arbeiters verschlimmerten. Und so tritt mehr und mehr in den Vordergrund die große Haupttatsache, daß die Ursache des Elends der Arbeiterklasse zu suchen ist nicht in jenen kleinern Übelständen, sondern im kapitalistischen System selbst. Der Arbeiter verkauft dem Kapitalisten seine Arbeitskraft für eine gewisse tägliche Summe. Nach der Arbeit weniger Stunden hat er den Wert jener Summe reproduziert. Aber sein Arbeitsvertrag lautet dahin, daß er nun noch eine weitere Reihe von Stunden fortschanzen muß, um seinen Arbeitstag voll zu machen. Der Wert nun, den er in diesen zusätzlichen Stunden der Mehrarbeit produziert, ist Mehrwert, der dem Kapitalisten nichts kostet, trotzdem aber in seine Tasche fließt. Dies ist die Grundlage des Systems, das mehr und mehr die zivilisierte Gesellschaft spaltet, einerseits in einige wenige Rothschilde und Vanderbilts, die Eigner aller Produktions- und Unterhaltsmittel, und andererseits in eine ungeheure Menge von Lohnarbeitern, Eigner von nichts als ihrer Arbeitskraft. Und daß dies Ergebnis geschuldet ist nicht diesem oder jenem untergeordneten Beschwerdepunkt, sondern einzig dem System selbst – diese Tatsache ist durch die Entwicklung des Kapitalismus in England heute ins grellste Licht gestellt.

Ferner. Die wiederholten Heimsuchungen durch Cholera, Typhus, Pocken und andre Epidemien haben dem britischen Bourgeois die dringende Notwendigkeit eingetrichtert, seine Städte gesund zu machen, falls er nicht mit Familie diesen Seuchen zum Opfer fallen will. Demgemäß sind die in diesem Buch beschriebenen schreiendsten Mißstände heute beseitigt oder doch weniger auffällig gemacht. Die Kanalisation ist eingeführt oder verbessert, breite Straßenzüge sind quer durch viele der schlechtesten unter den »schlechten Vierteln« angelegt. »Klein-Irland« ist verschwunden, die »Seven Dials« kommen demnächst an die Reihe. Aber was heißt das? Ganze Bezirke, die ich 1844 noch als fast idyllisch schildern konnte, sind jetzt, mit dem Anwachsen der Städte, herabgefallen in denselben Stand des Verfalls, der Unwohnlichkeit, des Elends. Die Schweine und die Abfallhaufen duldet man freilich nicht mehr. Die Bourgeoisie hat weitere Fortschritte gemacht in der Kunst, das Unglück der Arbeiterklasse zu verbergen. Daß aber, was die Arbeiterwohnungen angeht, kein wesentlicher Fortschritt stattgefunden hat, beweist vollauf der Bericht der königlichen Kommission »on the Housing of the Poor«, 1885. Und ebenso in allem andern. Polizeiverordnungen sind so häufig geworden wie Brombeeren; sie können aber nur das Elend der Arbeiter einhegen, beseitigen können sie es nicht.

Während aber England dem von mir geschilderten Jugendstand der kapitalistischen Ausbeutung entwachsen ist, haben andre Länder ihn eben erst erreicht. Frankreich, Deutschland und vor allem Amerika sind die drohenden Rivalen, die, wie ich 1844 vorhersah, mehr und mehr Englands industrielles Monopol brechen. Ihre Industrie ist jung gegen die englische, aber sie wächst mit weit größrer Geschwindigkeit als diese und ist heute so ziemlich auf derselben Entwicklungsstufe angekommen, worauf die englische 1844 stand. Mit Beziehung auf Amerika ist die Parallele besonders frappant. Allerdings sind die äußern Umgebungen für die amerikanische Arbeiterklasse sehr verschieden, aber dieselben ökonomischen Gesetze sind an der Arbeit, und die Ergebnisse, wenn nicht in jeder Beziehung identisch, müssen doch derselben Ordnung angehören. Daher finden wir in Amerika dieselben Kämpfe für einen kürzeren, gesetzlich festzustellenden Arbeitstag, besonders für Frauen und Kinder in Fabriken; wir finden das Trucksystem in voller Blüte und das Cottagesystem, in ländlichen Gegenden, von den »bosses«, den Kapitalisten und ihren Vertretern, ausgebeutet als Mittel der Arbeiterbeherrschung. Als ich 1886 die amerikanischen Zeitungen erhielt mit den Berichten über den großen Strike der pennsylvanischen Bergleute im Distrikt von Connelsville, kam es mir vor, als läse ich meine eigne Schilderung des Ausstands der Kohlengräber in Nordengland 1844. Dieselbe Prellerei der Arbeiter durch falsches Maß; dasselbe Trucksystem; derselbe Versuch, den Widerstand der Grubenleute zu brechen durch das letzte zermalmende Mittel des Kapitalisten: die Ausweisung der Arbeiter aus ihren Wohnungen, die der Zechenverwaltung gehören.

Ich habe weder hier noch in den englischen Ausgaben versucht, das Buch dem heutigen Stand der Dinge anzupassen, d.h. die seit 1844 eingetretenen Änderungen im einzelnen aufzuzählen. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens hätte ich den Umfang des Buches verdoppeln müssen. Und zweitens gibt der erste Band des Marxschen »Kapital« eine ausführliche Darstellung der Lage der britischen Arbeiterklasse für die Zeit von etwa 1865, d.h. die Zeit, wo die britische industrielle Prosperität ihren Höhepunkt erreichte. Ich hätte also das von Marx Gesagte wiederholen müssen.

Es wird wohl kaum nötig sein zu bemerken, daß der allgemein theoretische Standpunkt dieses Buchs – in philosophischer, ökonomischer und politischer Beziehung – sich keineswegs genau deckt mit meinem heutigen Standpunkt. Im Jahr 1844 existierte der moderne internationale Sozialismus noch nicht, der seitdem, vor allem und fast ausschließlich durch die Leistungen von Marx, zu einer Wissenschaft ausgebildet worden. Mein Buch repräsentiert nur eine der Phasen seiner embryonalen Entwicklung. Und wie der menschliche Embryo in seinen frühesten Entwicklungsstufen die Kiemenbögen unserer Vorfahren, der Fische, noch immer reproduziert, so verrät dies Buch überall die Spuren der Abstammung des modernen Sozialismus von einem seiner Vorfahren – der deutschen klassischen Philosophie. So wird großes Gewicht gelegt – namentlich am Schluß – auf die Behauptung, daß der Kommunismus nicht eine bloße Parteidoktrin der Arbeiterklasse ist, sondern eine Theorie, deren Endziel ist die Befreiung der gesamten Gesellschaft, mit Einschluß der Kapitalisten, aus den gegenwärtigen einengenden Verhältnissen. Dies ist in abstraktem Sinn richtig, aber in der Praxis meist schlimmer als nutzlos. Solange die besitzenden Klassen nicht nur kein Bedürfnis verspüren nach Befreiung, sondern auch der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse sich mit allen Kräften widersetzen, solange wird die Arbeiterklasse nun einmal genötigt sein, die soziale Umwälzung allein einzuleiten und durchzuführen. Die französischen Bourgeois von 1789 erklärten auch die Befreiung der Bourgeoisie für die Emanzipation des gesamten Menschengeschlechts; Adel und Geistlichkeit wollten das aber nicht einsehn; die Behauptung – obwohl damals, soweit der Feudalismus dabei in Betracht kam, eine unleugbare, abstrakte, historische Wahrheit – artete bald aus in pure sentimentale Redensart und verduftete gänzlich im Feuer des revolutionären Kampfs. Heutzutage gibt es auch Leute genug, die den Arbeitern von der Unparteilichkeit ihres höheren Standpunkts einen über allen Klassengegensätzen und Klassenkämpfen erhabenen Sozialismus predigen. Aber sie sind entweder Neulinge, die noch massenhaft zu lernen haben, oder aber die schlimmsten Feinde der Arbeiter, Wölfe im Schafpelz.

Im Text wird die Kreislaufsperiode der großen industriellen Krisen auf fünf Jahre angegeben. Dies war die Zeitbestimmung, die sich aus dem Gang der Ereignisse von 1825 bis 1842 scheinbar ergab. Die Geschichte der Industrie von 1842 bis 1868 hat aber bewiesen, daß die wirkliche Periode eine zehnjährige ist, daß die Zwischenkrisen sekundärer Natur waren und seit 1842 mehr und mehr verschwunden sind. Seit 1868 hat sich die Sachlage wieder verändert; darüber weiter unten.

Ich habe mir nicht einfallen lassen, aus dem Text die vielen Prophezeiungen zu streichen, namentlich nicht die einer nahe bevorstehenden sozialen Revolution in England, wie meine jugendliche Hitze sie mir damals eingab, ich habe keinen Anlaß, meine Arbeit und mich selbst besser darzustellen, als wir beide damals waren. Das wunderbare ist, nicht daß so viele dieser Prophezeiungen fehlgingen, sondern daß so viele eingetroffen sind und daß die kritische Lage der englischen Industrie, infolge kontinentaler und namentlich amerikanischer Konkurrenz, die ich damals in einer allerdings viel zu nahen Zukunft voraussah, seitdem wirklich eingetreten ist. In Beziehung auf diesen Punkt bin ich verpflichtet, das Buch mit dem heutigen Stand der Dinge in Einklang zu bringen. Ich tue es, indem ich hier einen Artikel reproduziere, der in der Londoner »Commonweal« vom 1. März 1885 englisch und in der »Neuen Zeit« vom Juni desselben Jahres (Heft 6) deutsch erschien.

»Vor 40 Jahren stand England vor einer Krisis, die zu lösen allem Anschein nach nur die Gewalt berufen war. Die ungeheure und rasche Entwicklung der Industrie hatte die Ausdehnung der auswärtigen Märkte und die Zunahme der Nachfrage weit überholt. Alle zehn Jahre wurde der Gang der Produktion gewaltsam unterbrochen durch eine allgemeine Handelskrisis, der, nach einer langen Periode chronischer Abspannung, wenige kurze Jahre der Prosperität folgten, um stets wieder zu enden in fieberhafter Überproduktion und schließlich in neuem Zusammenbruch. Die Kapitalistenklasse verlangte laut nach Freihandel in Korn und drohte, ihn zu erzwingen durch Rücksendung der hungernden Städtebevölkerung in die Landbezirke, woher sie kamen; aber, wie John Bright sagte: ›nicht wie Bedürftige, die um Brot betteln, sondern wie eine Armee, die sich auf feindlichem Gebiete einquartiert‹. Die Arbeitermassen der Städte verlangten ihren Anteil an der politischen Macht – die Volkscharte; sie wurden unterstützt von der Mehrzahl der Kleinbürger, und der einzige Unterschied zwischen beiden war, ob die Charte gewaltsam oder gesetzlich durchgeführt werden sollte. Da kam die Handelskrisis von 1847 und die irische Hungersnot, und mit beiden die Aussicht auf Revolution.

Die französische Revolution von 1848 rettete die englische Bourgeoisie. Die sozialistischen Proklamationen der siegreichen französischen Arbeiter erschreckten das englische Kleinbürgertum und desorganisierten die Bewegung der englischen Arbeiter, die innerhalb engerer, aber mehr unmittelbar praktischer Grenzen vor sich ging. Gerade in demselben Augenblick, wo der Chartismus seine volle Kraft entwickeln sollte, brach er in sich selbst zusammen, schon ehe er am 10. April 1848 äußerlich zusammenbrach. Die politische Tätigkeit der Arbeiterklasse wurde in den Hintergrund gedrängt. Die Kapitalistenklasse hatte auf der ganzen Linie gesiegt.

Die Parlamentsreform von 1831 war der Sieg der gesamten Kapitalistenklasse über die grundbesitzende Aristokratie. Die Abschaffung der Kornzölle war der Sieg der industriellen Kapitalisten nicht nur über den großen Grundbesitz, sondern auch über die Fraktionen von Kapitalisten, deren Interessen mehr oder weniger mit denen des Grundbesitzes identisch oder verkettet waren: Bankiers, Börsenleute, Rentiers usw. Freihandel bedeutete die Umgestaltung der gesamten inneren und äußeren Finanz- und Handelspolitik Englands im Einklang mit den Interessen der industriellen Kapitalisten, der Klasse, die jetzt die Nation vertrat. Und diese Klasse machte sich ernstlich ans Werk. Jedes Hemmnis der industriellen Produktion wurde unbarmherzig entfernt. Der Zolltarif und das ganze Steuersystem wurden umgewälzt. Alles wurde einem einzigen Zweck untergeordnet, aber einem Zweck von der äußersten Wichtigkeit für den industriellen Kapitalisten: der Verwohlfeilerung aller Rohstoffe und besonders aller Lebensmittel für die Arbeiterklasse; der Produktion der Rohstoffe und der Niederhaltung, wenn auch noch nicht der Herunterbringung des Arbeitslohnes. England sollte ›die Werkstatt der Welt werden‹; alle anderen Länder sollten für England werden, was Irland schon war – Märkte für seine Industrieprodukte, Bezugsquellen seiner Rohstoffe und Nahrungsmittel. England, der große industrielle Mittelpunkt einer ackerbauenden Welt, mit einer stets wachsenden Zahl Korn und Baumwolle produzierender Trabanten, die sich um die industrielle Sonne drehen. Welch herrliche Aussicht!

Die industriellen Kapitalisten gingen an die Durchführung dieses ihres großen Ziels mit dem kräftigen, gesunden Menschenverstand und der Verachtung überkommener Grundsätze, durch die sie sich immer ausgezeichnet haben vor ihren philisterhafteren Konkurrenten auf dem Kontinent. Der Chartismus war im Aussterben. Die Wiederkehr der Geschäftsblüte, natürlich und fast selbstverständlich, nachdem der Krach von 1847 sich erschöpft hatte, wurde ausschließlich auf Rechnung des Freihandels geschrieben. Infolge beider Umstände war die englische Arbeiterklasse politisch der Schwanz der ›großen liberalen Partei‹ geworden, der von den Fabrikanten angeführten Partei. Diesen einmal gewonnenen Vorteil galt es zu verewigen. Und aus der heftigen Opposition der Chartisten nicht gegen den Freihandel, sondern gegen die Verwandlung des Freihandels in die einzige Lebensfrage der Nation, hatten die Fabrikanten begriffen und begriffen täglich mehr, daß die Bourgeoisie nie volle soziale und politische Herrschaft über die Nation erringen kann, außer mit Hülfe der Arbeiterklasse. So veränderte sich allmählich die gegenseitige Haltung der beiden Klassen. Die Fabrikgesetze, einst der Popanz aller Fabrikanten, wurden jetzt nicht nur willig von ihnen befolgt, sondern mehr oder minder auf die ganze Industrie ausgedehnt. Die Trades Unions, vor kurzem noch als Teufelswerk verrufen, wurden jetzt von den Fabrikanten kajoliert und protegiert als äußerst wohlberechtigte Einrichtungen und als ein nützliches Mittel, gesunde ökonomische Lehren unter den Arbeitern zu verbreiten. Selbst Strikes, die vor 1848 in die Acht erklärt worden waren, wurden jetzt gelegentlich recht nützlich befunden, besonders, wenn die Herren Fabrikanten zu gelegener Zeit sie selbst hervorgerufen hatten. Von den Gesetzen, die dem Arbeiter gleiches Recht gegenüber seinem Beschäftiger geraubt hatten, wurden wenigstens die empörendsten abgeschafft. Und die einst so fürchterliche Volkscharte wurde nun der Hauptsache nach das politische Programm derselben Fabrikanten, die ihr bis zuletzt opponiert hatten. Die Abschaffung des Wählbarkeitszensus und die geheime Abstimmung sind durch Gesetz eingeführt. Die Parlamentsreformen von 1867 und 1884 nähern sich schon stark dem allgemeinen Stimmrecht, wenigstens wie es jetzt in Deutschland besteht; die Wahlkreisvorlage, die das Parlament jetzt berät, schafft gleiche Wahlkreise, im ganzen wenigstens nicht ungleicher als die in Frankreich oder Deutschland. Diäten und kürzere Mandatsdauer, wenn auch nicht gerade jährlich gewählte Parlamente kommen in Sicht als unzweifelhafte Errungenschaften der nächsten Zukunft; und dennoch sagen einige Leute, der Chartismus sei tot.

Die Revolution von 1848, wie manche ihrer Vorgänger, hat seltsame Geschicke gehabt. Dieselben Leute, die sie niederwarfen, sind, wie Karl Marx zu sagen pflegte, ihre Testamentsvollstrecker geworden. Louis Napoleon war gezwungen, ein einiges und unabhängiges Italien zu schaffen, Bismarck war gezwungen, Deutschland in seiner Art umzuwälzen und Ungarn eine gewisse Unabhängigkeit wiederzugeben, und die englischen Fabrikanten haben nichts Besseres zu tun, als der Volkscharte Gesetzeskraft zu geben.

Die Wirkungen dieser Herrschaft der industriellen Kapitalisten für England war[en] anfangs staunenerregend. Das Geschäft lebte wieder auf und dehnte sich aus in einem Grade, unerhört selbst in dieser Wiege der modernen Industrie. Alle früheren gewaltigen Schöpfungen des Dampfes und der Maschinerie verschwanden in nichts, verglichen mit dem gewaltigen Aufschwung der Produktion in den zwanzig Jahren von 1850 bis 1870, mit den erdrückenden Ziffern der Ausfuhr und Einfuhr, des in den Händen der Kapitalisten sich aufhäufenden Reichtums und der sich in Riesenstädten konzentrierenden menschlichen Arbeitskraft. Der Fortschritt wurde freilich unterbrochen, wie vorher durch die Wiederkehr einer Krisis alle zehn Jahre; 1857 so gut wie 1866; aber diese Rückschläge galten nun als natürliche unvermeidliche Ereignisse, die man eben durchmachen muß und die schließlich doch auch wieder ins Gleise kommen.

Und die Lage der Arbeiterklasse während dieser Periode? Zeitweilig gab es Besserung, selbst für die große Masse. Aber diese Besserung wurde immer wieder auf das alte Niveau herabgebracht durch den Zustrom der großen Menge der unbeschäftigten Reserve, durch die fortwährende Verdrängung von Arbeitern durch neue Maschinerie und durch die Einwanderung der Ackerbauarbeiter, die jetzt auch mehr und mehr durch Maschinen verdrängt wurden.

Eine dauernde Hebung findet sich nur bei zwei beschützten Abteilungen der Arbeiterklasse. Davon sind die erste die Fabrikarbeiter. Die gesetzliche Feststellung eines, wenigstens verhältnismäßig rationellen, Normalarbeitstages zu ihren Gunsten hat ihre Körperkonstitution relativ wiederhergestellt und ihnen eine, noch durch ihre lokale Konzentration verstärkte, moralische Überlegenheit gegeben. Ihre Lage ist unzweifelhaft besser als vor 1848. Der beste Beweis dafür ist, daß von zehn Strikes, die sie machen, neun hervorgerufen sind durch die Fabrikanten selbst und in ihrem eignen Interesse als einziges Mittel, die Produktion einzuschränken. Ihr werdet die Fabrikanten nie dahin bringen, daß sie sich alle dazu verstehn, kurze Zeit zu arbeiten, mögen ihre Fabrikate noch so unverkäuflich sein. Aber bringt die Arbeiter zum Striken, und die Kapitalisten schließen ihre Fabriken bis auf den letzten Mann.

Zweitens die großen Trades Unions. Sie sind die Organisationen der Arbeitszweige, in denen die Arbeit erwachsener Männer allein anwendbar ist oder doch vorherrscht. Hier ist die Konkurrenz weder der Weiber- und der Kinderarbeit noch der Maschinerie bisher imstande gewesen, ihre organisierte Stärke zu brechen. Die Maschinenschlosser, Zimmerleute und Schreiner, Bauarbeiter, sind jede für sich eine Macht, so sehr, daß sie selbst, wie die Bauarbeiter tun, der Einführung der Maschinerie erfolgreich widerstehn können. Ihre Lage hat sich unzweifelhaft seit 1848 merkwürdig verbessert; der beste Beweis dafür ist, daß seit mehr als fünfzehn Jahren nicht nur ihre Beschäftiger mit ihnen, sondern auch sie mit ihren Beschäftigern äußerst zufrieden gewesen sind. Sie bilden eine Aristokratie in der Arbeiterklasse: sie haben es fertiggebracht, sich eine verhältnismäßig komfortable Lage zu erzwingen, und diese Lage akzeptieren sie als endgültig. Sie sind die Musterarbeiter der Herrn Leone Levi und Giffen (und auch des Biedermanns Lujo Brentano), und sie sind in der Tat sehr nette, traktable Leute für jeden verständigen Kapitalisten im besondern und für die Kapitalistenklasse im allgemeinen.

Aber was die große Masse der Arbeiter betrifft, so steht das Niveau des Elends und der Existenzunsicherheit für sie heute ebenso niedrig, wenn nicht niedriger als je. Das Ostende von London ist ein stets sich ausdehnender Sumpf von stockendem Elend und Verzweiflung, von Hungersnot, wenn unbeschäftigt, von physischer und moralischer Erniedrigung, wenn beschäftigt. Und so in allen anderen Großstädten, mit Ausnahme nur der bevorrechteten Minderheit der Arbeiter; und so in den kleineren Städten und in den Landbezirken. Das Gesetz, das den Wert der Arbeitskraft auf den Preis der notwendigen Lebensmittel beschränkt, und das andere Gesetz, das ihren Durchschnittspreis der Regel nach auf das Minimum dieser Lebensmittel herabdrückt, diese beiden Gesetze wirken auf sie mit der unwiderstehlichen Kraft einer automatischen Maschine, die sie zwischen ihren Rädern erdrückt.

Das also war die Lage, geschaffen durch die Freihandelspolitik von 1847 und durch die zwanzigjährige Herrschaft der industriellen Kapitalisten. Aber dann kam eine Wendung. Der Krisis von 1866 folgte in der Tat ein kurzer und leichter Geschäftsaufschwung gegen 1873, aber er dauerte nicht. Wir haben in der Tat zu der Zeit, wo sie fällig war, 1877 oder 1878, keine volle Krisis durchgemacht, aber wir leben seit 1876 in einem chronischen Versumpfungszustand aller herrschenden Industriezweige. Weder will der vollständige Zusammenbruch kommen noch die langersehnte Zeit der Geschäftsblüte, auf die wir ein Recht zu haben glaubten sowohl vor wie nach dem Krach. Ein tödlicher Druck, eine chronische Überfüllung aller Märkte für alle Geschäfte, das ist der Zustand, den wir seit beinahe zehn Jahren durchmachen. Woher das?

Die Freihandelstheorie hatte zum Grund die eine Annahme: daß England das einzige große Industriezentrum einer ackerbauenden Welt werden sollte, und die Tatsachen haben diese Annahme vollständig Lügen gestraft. Die Bedingungen der modernen Industrie, Dampfkraft und Maschinerie, sind überall herstellbar, wo es Brennstoff, namentlich Kohlen gibt, und andre Länder neben England haben Kohlen: Frankreich, Belgien, Deutschland, Amerika, selbst Rußland. Und die Leute da drüben waren nicht der Ansicht, daß es in ihrem Interesse sei, sich in irische Hungerpächter zu verwandeln, einzig zum größeren Ruhme und Reichtum der englischen Kapitalisten. Sie fingen an zu fabrizieren, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die übrige Welt, und die Folge ist, daß das Industriemonopol, das England beinahe ein Jahrhundert besessen hat, jetzt unwiederbringlich gebrochen ist.

Aber das Industriemonopol Englands ist der Angelpunkt des bestehenden englischen Gesellschaftssystems. Selbst während dies Monopol dauerte, konnten die Märkte nicht Schritt halten mit der wachsenden Produktivität der englischen Industrie; die zehnjährigen Krisen waren die Folge. Und jetzt werden neue Märkte täglich seltner, so sehr, daß selbst den Negern am Kongo die Zivilisation aufgezwungen werden soll, die aus den Kattunen von Manchester, den Töpferwaren von Staffordshire und den Metallartikeln von Birmingham fließt. Was wird die Folge sein, wenn kontinentale und besonders amerikanische Waren in stets wachsender Masse hervorströmen, wenn der jetzt noch den englischen Fabriken zufallende Löwenanteil an der Versorgung der Welt von Jahr zu Jahr zusammenschrumpft? Antworte, Freihandel, du Universalmittel!

Ich bin nicht der erste, der darauf hinweist. Schon 1883, in der Versammlung der British Association in Southport, hat Herr Inglis Palgrave, Präsident der ökonomischen Sektion, geradezu gesagt, daß die Tage großer Geschäftsprofite in England vorbei seien und eine Pause eingetreten sei in der Weiterentwicklung verschiedner großer Industriezweige. Man könne fast sagen, daß England im Begriffe sei, in einen nicht länger fortschreitenden Zustand überzugehen.

Aber was wird das Ende von alledem sein? Die kapitalistische Produktion kaum nicht stabil werden, sie muß wachsen und sich ausdehnen, oder sie muß sterben. Schon jetzt, die bloße Einschränkung von Englands Löwenanteil an der Versorgung des Weltmarkts, heißt Stockung, Elend, Übermaß an Kapital hier, Übermaß an unbeschäftigten Arbeitern dort. Was wird es erst sein, wenn der Zuwachs der jährlichen Produktion vollends zum Stillstand gebracht ist? Hier ist die verwundbare Achillesferse der kapitalistischen Produktion. Ihre Lebensbedingung ist die Notwendigkeit fortwährender Ausdehnung, und diese fortwährende Ausdehnung wird jetzt unmöglich. Die kapitalistische Produktion läuft aus in eine Sackgasse. Jedes Jahr bringt England dichter vor die Frage: Entweder die Nation geht in Stücke oder die kapitalistische Produktion. Welches von beiden muß dran glauben?

Und die Arbeiterklasse? Wenn selbst unter der unerhörten Ausdehnung des Handels und der Industrie von 1848 bis 1868 sie solches Elend durchzumachen hatte, wenn selbst damals ihre große Masse im besten Fall nur eine vorübergehende Verbesserung ihrer Lage erfuhr, während nur eine kleine privilegierte, geschützte Minorität dauernden Vorteil hatte, wie wird es sein, wenn diese blendende Periode endgültig zum Abschluß kommt, wenn die gegenwärtige drückende Stagnation sich nicht nur noch steigert, sondern wenn dieser gesteigerte Zustand ertötenden Druckes der dauernde, der Normalzustand der englischen Industrie wird?

Die Wahrheit ist diese: Solange Englands Industriemonopol dauerte, hat die englische Arbeiterklasse bis zu einem gewissen Grad teilgenommen an den Vorteilen dieses Monopols. Diese Vorteile wurden sehr ungleich unter sie verteilt; die privilegierte Minderheit sackte den größten Teil ein, aber selbst die große Masse hatte wenigstens dann und wann vorübergehend ihr Teil. Und das ist der Grund, warum seit dem Aussterben des Owenismus es in England keinen Sozialismus gegeben hat. Mit dem Zusammenbruch des Monopols wird die englische Arbeiterklasse diese bevorrechtete Stellung verlieren. Sie wird sich allgemein – die bevorrechtete und leitende Minderheit nicht ausgeschlossen – eines Tages auf das gleiche Niveau gebracht sehen wie die Arbeiter des Auslandes. Und das ist der Grund, warum es in England wieder Sozialismus geben wird.«

Soweit der Artikel von 1885. In der englischen Vorrede vom 11. Januar 1892 fuhr ich dann fort:

»Dieser Schilderung der Sachlage, wie sie mir 1885 vorkam, habe ich nur wenig zuzufügen. Es ist unnötig zu sagen, daß es heute, wirklich wieder Sozialismus in England gibt; und das massenhaft: Sozialismus aller Schattierungen, Sozialismus bewußt und unbewußt, Sozialismus in Prosa und in Versen, Sozialismus der Arbeiterklasse und der Mittelklasse. Denn wahrlich, dieser Greuel aller Greuel, der Sozialismus, ist nicht nur respektabel geworden, sondern hat sich allbereits in Gesellschaftstoilette geworfen und lungert nachlässig herum auf Salonkauseusen. Das beweist wieder einmal, von welch unheilbarer Unbeständigkeit jener schreckliche Despot der guten Gesellschaft ist: die öffentliche Meinung der Mittelklasse, und rechtfertigt wieder einmal die Verachtung, die wir Sozialisten einer vergangnen Generation stets für diese öffentliche Meinung hegten. Sonst aber haben wir keinen Grund, uns über dies neue Symptom zu beklagen.

Was ich für weit wichtiger halte als diese augenblickliche Mode, in Bourgeoiszirkeln mit einer verwässerten Lösung von Sozialismus großzutun, und selbst wichtiger als den Fortschritt, den der Sozialismus in England im allgemeinen gemacht, das ist das Wiedererwachen des Londoner Ostends. Dies unermeßliche Lager des Elends ist nicht mehr die stagnierende Pfütze, die es vor sechs Jahren noch war. Das Ostend hat seine starre Verzweiflung abgeschüttelt; es ist dem Leben wiedergegeben und ist die Heimat des ›Neuen Unionismus‹ geworden, d.h. der Organisation der großen Masse ›ungelernter‹ Arbeiter. Diese Organisation mag in mancher Beziehung die Form der alten Unionen von ›gelernten‹ Arbeitern annehmen; sie ist dennoch wesentlich verschieden dem Charakter nach. Die alten Unionen bewahren die Traditionen der Zeit, wo sie gegründet wurden; sie sehn das Lohnsystem für eine, ein für allemal gegebne, endgültige Tatsache an, die sie im bester. Fall im Interesse ihrer Mitglieder etwas mildern können. Die neuen Unionen dagegen wurden zu einer Zeit gegründet, wo der Glaube an die Ewigkeit des Lohnsystems schon gewaltig erschüttert war. Ihre Gründer und Beförderer waren entweder bewußte oder Gefühlssozialisten; die Massen, die ihnen zuströmten und in denen ihre Stärke ruht, waren roh, vernachlässigt, von der Aristokratie der Arbeiterklasse über die Achsel angesehn. Aber sie haben diesen einen unermeßlichen Vorteil: Ihre Gemüter sind noch jungfräulicher Boden, gänzlich frei von den ererbten, ›respektablen‹ Bourgeoisvorurteilen, die die Köpfe der bessergestellten ›alten Unionisten‹ verwirren. Und so sehn wir jetzt, wie diese neuen Unionen die Führung der Arbeiterbewegung überhaupt ergreifen und mehr und mehr die reichen und stolzen ›alten‹ Unionen ins Schlepptau nehmen.

Unzweifelhaft haben die Leute des Ostends kolossale Böcke gemacht; das taten aber ihre Vorgänger auch, das tun noch heute die doktrinären Sozialisten, die über jene die Nase rümpfen. Eine große Klasse wie eine große Nation lernt nie schneller als durch die Folgen ihrer eignen Irrtümer. Und trotz aller möglichen Fehler in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bleibt das Erwachen des Ostends von London eins der größten und fruchtbarsten Ereignisse dieses fin de siècle, und froh und stolz bin ich, daß ich es erlebte.«

Seit ich Vorstehendes vor sechs Monaten schrieb, hat die englische Arbeiterbewegung wieder einen guten Schritt vorwärts getan. Die Parlamentswahlen, die seit einigen Tagen hinter uns liegen, haben den beiden offiziellen Parteien, den Konservativen wie den Liberalen, die Kundmachung in aller Form zugestellt, daß sie beide von nun an mit einer dritten Partei, der Arbeiterpartei, zu rechnen haben. Diese Arbeiterpartei ist erst in der Bildung begriffen; ihre Elemente sind noch damit beschäftigt, überkommene Vorurteile aller Art – bürgerliche, altgewerkschaftliche, ja selbst schon doktrinär-sozialistische – abzuschütteln, damit sie sich endlich auf dem ihnen allen gemeinsamen Boden zusammenfinden können. Und doch war der sie zusammenführende Instinkt schon jetzt so groß, daß er Wahlresultate erzeugte, wie sie bisher in England unerhört. In London stellen sich zwei Arbeiter zur Wahl, und zwar offen als Sozialisten; die Liberalen wagen nicht, ihnen einen der Ihrigen entgegenzustellen, und die zwei Sozialisten gehn mit überwältigender und unerwarteter Majorität durch. In Middlesbrough tritt ein Arbeiterkandidat auf gegen einen Liberalen und einen Konservativen und wird trotz beider gewählt; die neuen Arbeiterkandidaten dagegen, die mit den Liberalen ein Bündnis abgeschlossen, fallen mit Ausnahme eines einzigen rettungslos durch. Unter den bisherigen sogenannten Arbeitervertretern, d.h. den Leuten, denen man ihre Arbeiterqualität verzeiht, weil sie selbst sie gern im Ozean ihres Liberalismus ertränken möchten, ist der bedeutendste Vertreter des alten Unionismus, Henry Broadhurst, mit Glanz durchgefallen, weil er sich gegen den Achtstundentag erklärt hat. In zwei Wahlkreisen von Glasgow, in einem von Salford, und noch in mehreren anderen traten unabhängige Arbeiterkandidaten auf gegen Kandidaten beider alten Parteien; sie wurden geschlagen, aber die liberalen Kandidaten auch. Kurz, in einer Anzahl großstädtischer und industrieller Wahlkreise haben die Arbeiter sich entschieden von aller Verbindung mit den beiden alten Parteien losgesagt und damit direkte oder indirekte Erfolge erreicht wie bei keiner Wahl vorher. Und die Freude darüber unter den Arbeitern ist namenlos. Zum erstenmal haben sie gesehen und gefühlt, was sie können, wenn sie ihr Wahlrecht im Interesse ihrer Klasse ausnutzen. Der Aberglaube an die »große liberale Partei«, der die englischen Arbeiter fast vierzig Jahre beherrscht hat, ist gebrochen. Sie haben an schlagenden Beispielen gesehn, daß sie, die Arbeiter, die entscheidende Macht in England sind, wenn sie nur wollen und wissen, was sie wollen; und die Wahlen von 1892 waren der Anfang des Wissens und des Wollens. Für das übrige wird die kontinentale Arbeiterbewegung sorgen; die Deutschen und Franzosen, die in Parlamenten und Lokalräten schon so reichliche Vertretung besitzen, werden durch weitere Erfolge den Wetteifer der Engländer schon genügend im Gang halten. Und wenn in nicht mehr ferner Zeit sich herausstellt, daß dies neue Parlament nichts mit Herrn Gladstone und Herr Gladstone nichts mit diesem Parlament anfangen kann, dann wird die englische Arbeiterpartei auch wohl hinreichend konstituiert sein, um dem Schaukelspiel der beiden alten, einander an der Regierung ablösenden und eben dadurch die Bourgeoisherrschaft verewigenden Parteien demnächst ein Ende zu machen.

London, 21. Juli 1892

F. Engels

An die arbeitenden Klassen Großbritanniens

Arbeiter!

Euch widme ich ein Werk, in dem ich den Versuch gemacht habe, meinen deutschen Landsleuten ein treues Bild eurer Lebensbedingungen, eurer Leiden und Kämpfe, eurer Hoffnungen und Perspektiven zu zeichnen. Ich habe lange genug unter euch gelebt, um einiges von euren Lebensumständen zu wissen; ich habe ihrer Kenntnis meine ernsteste Aufmerksamkeit gewidmet; ich habe die verschiedenen offiziellen und nichtoffiziellen Dokumente studiert, soweit ich die Möglichkeit hatte, sie mir zu beschaffen – ich habe mich damit nicht begnügt, mir war es um mehr zu tun als um die nur abstrakte Kenntnis meines Gegenstandes, ich wollte euch in euren Behausungen sehen, euch in eurem täglichen Leben beobachten, mit euch plaudern über eure Lebensbedingungen und Schmerzen, Zeuge sein eurer Kämpfe gegen die soziale und politische Macht eurer Unterdrücker. Ich verfuhr dabei so: Ich verzichtete auf die Gesellschaft und die Bankette, den Portwein und den Champagner der Mittelklasse und widmete meine Freistunden fast ausschließlich dem Verkehr mit einfachen Arbeitern; ich bin froh und stolz zugleich, so gehandelt zu haben. Froh, weil ich mir auf diese Weise manche frohe Stunde verschaffte, während ich gleichzeitig euer wirkliches Leben kennenlernte – manche Stunde, die sonst vertan worden wäre in konventionellem Geschwätz und langweiliger Etikette; stolz, weil mir dies Gelegenheit gab, einer unterdrückten und verleumdeten Klasse Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, der bei allen ihren Fehlern und unter allen Nachteilen ihrer Lage höchstens eine englische Krämerseele die Achtung versagen wird; stolz auch, weil ich auf diese Weise in die Lage versetzt wurde, das englische Volk zu bewahren vor der wachsenden Verachtung, die auf dem Festland die unvermeidliche Konsequenz der brutal-eigennützigen Politik und überhaupt des Auftretens eurer herrschenden Mittelklasse gewesen ist.

Dank meiner gleichzeitigen umfassenden Gelegenheit zur Beobachtung der Mittelklasse, eures Gegners, bin ich sehr schnell zu dem Schluß gelangt, daß ihr im Recht, völlig im Recht seid, wenn ihr von ihnen keinerlei Hilfe erwartet. Ihre Interessen sind den euren diametral entgegengesetzt, obgleich sie immer versuchen werden, das Gegenteil zu behaupten und in euch den Glauben zu wecken an ihr herzlichstes Mitgefühl mit eurem Schicksal. Ihre Taten strafen sie Lügen. Ich hoffe mehr als genügendes Beweismaterial dafür erbracht zu haben, daß die Mittelklasse – was immer sie zu sagen beliebt – in Wirklichkeit kein anderes Ziel kennt, als sich durch eure Arbeit zu bereichern, solange sie deren Produkt verkaufen kann, und euch dem Hungertod zu überlassen, sobald sie aus diesem indirekten Handel mit Menschenfleisch keinen Profit schlagen kann. Was haben sie getan, um ihre vorgeblichen guten Absichten euch gegenüber zu beweisen? Haben sie euren Leiden jemals irgendwie ernste Beachtung geschenkt? Haben sie mehr getan, als die Kosten zu bewilligen für ein halbes Dutzend Untersuchungskommissionen, deren umfangreiche Berichte verurteilt sind, ewig unter Haufen von Makulatur auf den Regalen des Home Office zu schlummern? Haben sie sich je dazu aufgeschwungen, aus ihren modernen Blaubüchern auch nur ein einziges lesbares Buch zusammenzustellen, das jedem die Möglichkeit geben würde, sich ohne Mühe einiges Material über die Lebenslage der großen Mehrheit der »freigebornen Briten« zu machen? Natürlich nicht, das sind Dinge, über die sie nicht zu sprechen lieben – sie überließen es einem Ausländer, der zivilisierten Welt über die entwürdigende Lage zu berichten, in der ihr zu leben gezwungen seid.

Ein Ausländer für sie, ich hoffe, nicht für euch. Mag auch mein Englisch nicht rein sein, so werdet ihr doch hoffentlich finden, daß es deutliches Englisch ist. Kein Arbeiter in England – nebenbei gesagt, auch in Frankreich nicht – hat mich je als Ausländer behandelt. Mit dem größten Vergnügen sah ich euer Freisein von dem verderblichen Fluch der nationalen Beschränktheit und der nationalen Überheblichkeit, die schließlich nichts ist als Egoismus im großen – ich beobachtete eure Sympathie mit jedem, der seine Kräfte ehrlich dem menschlichen Fortschritt widmet, ob er ein Engländer oder nicht – eure Bewunderung für alles Edle und Gute, ob auf eurem Heimatboden erwachsen oder nicht – ich fand, daß ihr mehr seid als nur Engländer, Angehörige einer einzelnen, isolierten Nation; ich fand, daß ihr Menschen seid, Angehörige der großen und internationalen Familie der Menschheit, die erkannt haben, daß ihre Interessen und die der ganzen menschlichen Rasse die gleichen sind, und als solche, als Glieder dieser Familie der »einen und unteilbaren« Menschheit, als menschliche Wesen

Vorwort

Die nachfolgenden Bogen behandeln einen Gegenstand, den ich anfangs nur als einzelnes Kapitel einer umfassenderen Arbeit über die soziale Geschichte Englands darstellen wollte, dessen Wichtigkeit mich jedoch bald nötigte, ihm eine selbständige Bearbeitung zu geben.

Die Lage der arbeitenden Klasse ist der tatsächliche Boden und Ausgangspunkt aller sozialen Bewegungen der Gegenwart, weil sie die höchste, unverhüllteste Spitze unsrer bestehenden sozialen Misere ist. Der französische und deutsche Arbeiterkommunismus sind direkt, der Fourierismus und der englische Sozialismus sowie der Kommunismus der deutschen gebildeten Bourgeoisie sind indirekt durch sie erzeugt. Einerseits, um den sozialistischen Theorien, andrerseits, um den Urteilen über ihre Berechtigung einen festen Boden zu geben, um allen Schwärmereien und Phantastereien pro et contra ein Ende zu machen, ist die Erkenntnis der proletarischen Zustände deshalb eine unumgängliche Notwendigkeit. Die proletarischen Zustände existieren aber in ihrer klassischen Form, in ihrer Vollendung nur im britischen Reich, namentlich im eigentlichen England; und zugleich ist nur in England das nötige Material so vollständig zusammengetragen und durch offizielle Untersuchungen konstatiert, als es zu einer irgendwie erschöpfenden Darstellung des Gegenstandes nötig ist.

Ich hatte während einundzwanzig Monaten Gelegenheit, das englische Proletariat, seine Bestrebungen, seine Leiden und Freuden in der Nähe aus persönlicher Anschauung und persönlichem Verkehr kennenzulernen und zugleich meine Anschauung durch den Gebrauch der nötigen authentischen Quellen zu ergänzen. Was ich gesehen, gehört und gelesen habe, ist in vorliegender Schrift verarbeitet. Ich bin darauf vorbereitet, meinen Standpunkt nicht nur, sondern auch die gegebenen Tatsachen von vielen Seiten her angegriffen zu sehen, besonders wenn mein Buch in die Hände von Engländern gerät; ich weiß ebensogut, daß man hier und da eine unbedeutende Unrichtigkeit, wie sie bei dem umfassenden Gegenstande und seinen weitläufigen Voraussetzungen selbst von einem Engländer nicht zu vermeiden wäre, wird um so eher nachweisen können, als selbst in England noch kein einziges Werk existiert, das wie das meinige alle Arbeiter behandelt; aber ich stehe keinen Augenblick an, die englische Bourgeoisie herauszufordern: mir auch nur bei einer einzigen Tatsache, die irgendwie von Bedeutung für den Standpunkt des Ganzen ist, eine Unrichtigkeit nachzuweisen – nachzuweisen mit ebenso authentischen Belegen, wie ich sie angeführt habe.

Für Deutschland insbesondere hat die Darstellung der klassischen Proletariatszustände des britischen Reichs – und namentlich im gegenwärtigen Augenblick – große Bedeutung. Der deutsche Sozialismus und Kommunismus ist mehr als jeder andre von theoretischen Voraussetzungen ausgegangen; wir deutschen. Theoretiker kannten von der wirklichen Welt noch viel zu wenig, als daß uns die wirklichen Verhältnisse unmittelbar zu Reformen dieser »schlechten Wirklichkeit« hätten treiben sollen. Von den öffentlichen Vertretern solcher Reformen ist wenigstens fast kein einziger anders als durch die Feuerbachsche Auflösung der Hegelschen Spekulation zum Kommunismus gekommen. Die wirklichen Lebensumstände des Proletariats sind so wenig gekannt unter uns, daß selbst die wohlmeinenden »Vereine zur Hebung der arbeitenden Klassen«, in denen jetzt unsre Bourgeoisie die soziale Frage mißhandelt, fortwährend von den lächerlichsten und abgeschmacktesten Meinungen über die Lage der Arbeiter ausgehen. Uns Deutschen vor allen tut eine Kenntnis der Tatsachen in dieser Frage not. Und wenn auch die proletarischen Zustände Deutschlands nicht zu der Klassizität ausgebildet sind wie die englischen, so haben wir doch im Grunde dieselbe soziale Ordnung, die über kurz oder lang auf dieselbe Spitze getrieben werden muß, welche sie jenseits der Nordsee bereits erlangt hat – falls nicht beizeiten die Einsicht der Nation Maßregeln zustande bringt, die dem ganzen sozialen System eine neue Basis geben. Dieselben Grundursachen, welche in England das Elend und die Unterdrückung des Proletariats bewirkt haben, sind in Deutschland ebenfalls vorhanden und müssen auf die Dauer dieselben Resultate erzeugen. Einstweilen wird aber das konstatierte englische Elend uns einen Anlaß bieten, auch unser deutsches Elend zu konstatieren, und einen Maßstab, woran wir seine Ausdehnung und die Größe der – in den schlesischen und böhmischen Unruhen zutage gekommenen – Gefahr messen können, welche von dieser Seite der unmittelbaren Ruhe Deutschlands droht.

Schließlich habe ich noch zwei Bemerkungen zu machen. Erstens, daß ich das Wort Mittelklasse fortwährend im Sinne des englischen middle-class (oder wie fast immer gesagt wird: middle-classes) gebraucht habe, wo es gleich dem französischen bourgeoisie die besitzende Klasse, speziell die von der sogenannten Aristokratie unterschiedene besitzende Klasse bedeutet – die Klasse, welche in Frankreich und England direkt und in Deutschland als »öffentliche Meinung« indirekt im Besitze der Staatsmacht ist. So habe ich auch die Ausdrücke: Arbeiter (working men) und Proletarier, Arbeiterklasse, besitzlose Klasse und Proletariat fortwährend als gleichbedeutend gebraucht. – Zweitens, daß ich bei den meisten Zitaten die Partei meiner Gewährsleute aus dem Grunde angeführt habe, weil fast durchgängig die Liberalen das Elend der Ackerbaudistrikte hervorzuheben, das der Fabrikdistrikte aber wegzuleugnen suchen, während umgekehrt die Konservativen die Not der Fabrikdistrikte anerkennen, aber von der der Ackerbaugegenden nichts wissen wollen. Aus dieser Ursache habe ich auch, wo mir offizielle Dokumente abgingen, in der Schilderung der Industriearbeiter immer einen liberalen Beleg vorgezogen, um die liberale Bourgeoisie aus ihrem eignen Munde zu schlagen, und überhaupt mich nur dann auf Tories oder Chartisten berufen, wenn ich entweder die Richtigkeit der Sache aus eigner Anschauung kannte oder von der Wahrheit der Aussage durch den persönlichen oder literarischen Charakter meiner Autoritäten überzeugt sein konnte.

Barmen, den 15. März 1845

F. Engels

Einleitung

Die Geschichte der arbeitenden Klasse in England beginnt mit der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, mit der Erfindung der Dampfmaschine und der Maschinen zur Verarbeitung der Baumwolle. Diese Erfindungen gaben bekanntlich den Anstoß zu einer industriellen Revolution, einer Revolution, die zugleich die ganze bürgerliche Gesellschaft umwandelte und deren weltgeschichtliche Bedeutung erst jetzt anfängt erkannt zu werden. England ist der klassische Boden dieser Umwälzung, die um so gewaltiger war, je geräuschloser sie vor sich ging, und England ist darum auch das klassische Land für die Entwicklung ihres hauptsächlichsten Resultates, des Proletariats. Das Proletariat kann nur in England in allen seinen Verhältnissen und nach allen Seiten hin studiert werden.

Wir haben es hier einstweilen nicht mit der Geschichte dieser Revolution, nicht mit ihrer ungeheuren Bedeutung für die Gegenwart und Zukunft zu tun. Diese Darstellung muß einer künftigen, umfassenderen Arbeit vorbehalten bleiben. Für den Augenblick müssen wir uns auf das wenige beschränken, das zum Verständnis der nachfolgenden Tatsachen, zum Verständnis der gegenwärtigen Lage der englischen Proletarier notwendig ist.

Vor der Einführung der Maschinen geschah die Verspinnung und Verwebung der Rohstoffe im Hause des Arbeiters. Frau und Töchter spannen das Garn, das der Mann verwebte oder das sie verkauften, wenn der Familienvater nicht selbst es verarbeitete. Diese Weberfamilien lebten meist auf dem Lande, in der Nähe der Städte, und konnten mit ihrem Lohn ganz gut auskommen, da der heimische Markt noch für die Nachfrage nach Stoffen entscheidend, ja fast der einzige Markt war und die mit der Eroberung fremder Märkte, mit der Ausdehnung des Handels später hereinbrechende Übermacht der Konkurrenz noch nicht fühlbar auf den Arbeitslohn drückte. Dazu kam eine dauernde Steigerung der Nachtrage im heimischen Markt, die mit der langsamen Vermehrung der Bevölkerung Schritt hielt und also sämtliche Arbeiter beschäftigte, und dann die Unmöglichkeit einer heftigen Konkurrenz der Arbeiter gegeneinander, die aus der ländlichen Vereinzelung ihrer Wohnungen entstand. So kam es, daß der Weber meist imstande war, etwas zurückzulegen und sich ein kleines Grundstück zu pachten, das er in seinen Mußestunden – und deren hatte er so viele als er wollte, da er weben konnte, wann und wielange er Lust verspürte – bearbeitete. Freilich war er ein schlechter Bauer und betrieb seine Ackerwirtschaft nachlässig und ohne viel reellen Ertrag; aber er war doch wenigstens kein Proletarier, er hatte, wie die Engländer sagen, einen Pfahl in den Boden seines Vaterlandes eingeschlagen, er war ansässig und stand um eine Stufe höher in der Gesellschaft als der jetzige englische Arbeiter.

Auf diese Weise vegetierten die Arbeiter in einer ganz behaglichen Existenz und führten ein rechtschaffenes und geruhiges Leben in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, ihre materielle Stellung war bei weitem besser als die ihrer Nachfolger; sie brauchten sich nicht zu überarbeiten, sie machten nicht mehr, als sie Lust hatten, und verdienten doch, was sie brauchten, sie hatten Muße für gesunde Arbeit in ihrem Garten oder Felde, eine Arbeit, die ihnen selbst schon Erholung war, und konnten außerdem noch an den Erholungen und Spielen ihrer Nachbarn teilnehmen; und alle diese Spiele, Kegel, Ballspiel usw., trugen zur Erhaltung der Gesundheit und zur Kräftigung ihres Körpers bei. Sie waren meist starke, wohlgebaute Leute, in deren Körperbildung wenig oder gar kein Unterschied von ihren bäurischen Nachbarn zu entdecken war. Ihre Kinder wuchsen in der freien Landluft auf, und wenn sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen konnten, so kam dies doch nur dann und wann vor, und von einer acht- oder zwölfstündigen täglichen Arbeitszeit war keine Rede.

Was der moralische und intellektuelle Charakter dieser Klasse war, läßt sich erraten. Abgeschlossen von den Städten, in die sie nie hineinkamen, da das Garn und Gewebe an reisende Agenten gegen Auszahlung des Lohns abgeliefert wurde, so abgeschlossen, daß alte Leute, die ganz in der Nähe von Städten wohnten, doch nie hingingen, bis sie endlich durch die Maschinen ihres Erwerbs beraubt und gezwungen wurden, in den Städten sich nach Arbeit umzusehen, standen sie auf der moralischen und intellektuellen Stufe der Landleute, mit denen sie ohnehin noch durch ihre kleine Pachtung meistens unmittelbar verknüpft waren. Sie sahen ihren Squire – den bedeutendsten Grundherrn der Gegend – für ihren natürlichen Vorgesetzten an, sie trugen ihn um Rat, legten ihm ihre kleinen Zwiste zur Entscheidung vor und gaben ihm alle Ehre, die dies patriarchalische Verhältnis mit sich brachte. Sie waren »respektable« Leute und gute Familienväter, lebten moralisch, weil sie keine Veranlassung hatten, unmoralisch zu sein, da keine Schenken und liederlichen Häuser in ihrer Nähe waren, und weil der Wirt, bei dem sie dann und wann ihren Durst löschten, auch ein respektabler Mann und meist ein großer Pächter war, der auf gutes Bier, gute Ordnung und frühen Feierabend hielt. Sie hatten ihre Kinder den Tag über im Hause bei sich und erzogen sie in Gehorsam und der Gottesfurcht; das patriarchalische Familienverhältnis blieb ungestört, solange die Kinder noch nicht selbst verheiratet waren; die jungen Leute wuchsen in idyllischer Einfalt und Vertraulichkeit mit ihren Gespielen heran, bis sie heirateten, und wenn auch geschlechtlicher Verkehr vor der Ehe fast durchgängig vorkam, geschah dies doch nur, wo die moralische Verpflichtung zur Ehe von beiden Seiten anerkannt war, und die nachfolgende Heirat brachte alles wieder ins gleiche. Kurz, die damaligen englischen Industriearbeiter lebten und dachten auf dieselbe Weise, wie man es in Deutschland noch hie und da findet, in Abgeschlossenheit und Zurückgezogenheit, ohne geistige Tätigkeit und ohne gewaltsame Schwankungen in ihrer Lebenslage. Sie konnten selten lesen und noch viel weniger schreiben, gingen regelmäßig in die Kirche, politisierten nicht, konspirierten nicht, dachten nicht, ergötzten sich an körperlichen Übungen, hörten die Bibel mit angestammter Andacht vorlesen und vertrugen sich bei ihrer anspruchslosen Demut mit den angeseheneren Klassen der Gesellschaft ganz vortrefflich. Dafür aber waren sie auch geistig tot, lebten nur für ihre kleinlichen Privatinteressen, für ihren Webstuhl und ihr Gärtchen und wußten nichts von der gewaltigen Bewegung, die draußen durch die Menschheit ging. Sie fühlten sich behaglich in ihrem stillen Pflanzenleben und wären ohne die industrielle Revolution nie herausgetreten aus dieser allerdings sehr romantisch-gemütlichen, aber doch eines Menschen unwürdigen Existenz. Sie waren eben keine Menschen, sondern bloß arbeitende Maschinen im Dienst der wenigen Aristokraten, die bis dahin die Geschichte geleitet hatten; die industrielle Revolution hat auch nur die Konsequenz hiervon durchgesetzt, indem sie die Arbeiter vollends zu bloßen Maschinen machte und ihnen den letzten Rest selbständiger Tätigkeit unter den Händen wegnahm, sie aber eben dadurch zum Denken und zur Forderung einer menschlichen Stellung antrieb. Wie in Frankreich die Politik, so war es in England die Industrie und die Bewegung der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt, die die letzten in der Apathie gegen allgemein menschliche Interessen versunkenen Klassen in den Strudel der Geschichte hineinriß.

Die erste Erfindung, die in der bisherigen Lage der englischen Arbeiter eine durchgreifende Veränderung hervorbrachte, war die Jenny des Webers James Hargreaves zu Standhill bei Blackburn in Nord-Lancashire (1764). Diese Maschine war der rohe Anfang der späteren Mule und wurde mit der Hand in Bewegung gesetzt, hatte aber statt einer Spindel, wie das gewöhnliche Handspinnrad, deren sechzehn bis achtzehn, die von einem einzigen Arbeiter getrieben wurden. Hierdurch wurde es möglich, bedeutend mehr Garn zu liefern als bisher; während früher, wo ein Weber immer drei Spinnerinnen beschäftigt hielt, nie genug Garn dagewesen war und der Weber oft auf Garn hatte warten müssen, war jetzt mehr Garn da, als von den vorhandenen Arbeitern verwebt werden konnte. Die Nachfrage nach gewebten Zeugen, die ohnehin im Zuwachs war, stieg noch mehr durch den billigeren Preis dieser Zeuge, der aus den durch die neue Maschine erniedrigten Produktionskosten des Garns folgte; es waren mehr Weber nötig, und der Weblohn stieg. Jetzt, da der Weber mehr an seinem Stuhl verdienen konnte, ließ er seine Ackerbaubeschäftigung allmählich fallen und legte sich ganz aufs Weben. Um diese Zeit konnte eine Familie von vier Erwachsenen und zwei Kindern, die zum Spulen angehalten wurden, bei täglich zehnstündiger Arbeit vier Pfund Sterling – achtundzwanzig Taler preußisch Kurant – in der Woche verdienen, und oft noch mehr, wenn das Geschäft gut ging und die Arbeit drängte; es kam oft genug vor, daß ein einzelner Weber an seinem Stuhl wöchentlich zwei Pfund verdiente. Nach und nach verschwand so die Klasse der ackerbauenden Weber ganz und löste sich in die neuentstehende Klasse der bloßen Weber auf, die allein vom Arbeitslohn lebten, gar keinen Besitz, nicht einmal den Scheinbesitz einer Pachtung hatten und somit Proletarier (working men) wurden. Hierzu kam noch, daß auch das alte Verhältnis des Spinners zum Weber aufgehoben wurde. Bisher war, soweit dies anging, unter einem Dach das Garn gesponnen und verwoben worden. Jetzt, wo die Jenny ebensogut wie der Webstuhl eine kräftige Hand erforderte, fingen auch Männer an zu spinnen, und ganze Familien lebten von ihr allein, während andre wiederum das jetzt veraltete und überflügelte Spinnrad beiseite stellen und, wenn ihnen die Mittel zum Ankauf einer Jenny fehlten, allein von dem Webstuhl des Familienvaters leben mußten. Hiermit fing die in der späteren Industrie so unendlich ausgebildete Teilung der Arbeit beim Weben und Spinnen an.

Während so schon mit der ersten noch sehr unvollkommnen Maschine das industrielle Proletariat sich entwickelte, gab dieselbe Maschine Anlaß zur Entstehung auch des Ackerbauproletariats. Bisher hatte es eine große Menge kleiner Grundeigentümer gegeben, die Yeomen genannt wurden und die in derselben Stille und Gedankenlosigkeit hinvegetiert hatten wie ihre Nachbarn, die ackerbauenden Weber. Sie bebauten ihre Fleckchen Land ganz in der alten nachlässigen Weise ihrer Väter und widersetzten sich jeder Neuerung mit der Hartnäckigkeit, die solchen durch eine Reihe von Generationen stabil gebliebenen Gewohnheitsmenschen eigentümlich ist. Unter ihnen gab es auch viele kleine Pächter, aber nicht Pächter im heutigen Sinne des Worts, sondern Leute, die entweder durch vertragsmäßige Erbpacht oder kraft alter Sitte ihr Fleckchen Land von ihren Vätern und Großvätern überkommen und darauf bisher so fest gesessen hatten, als ob es ihnen eigentümlich gehöre. Jetzt wurden, da sich die Industriearbeiter vom Ackerbau zurückzogen, eine Menge Grundstücke frei, und auf ihnen nistete sich die neue Klasse der großen Pächter ein, die fünfzig, hundert, zweihundert und mehr Morgen zusammen in Pacht nahmen, tenants-at-will waren, d.h. Pächter, deren Pacht jedes Jahr gekündigt werden konnte, und die nun durch besseren Ackerbau und großartigere Wirtschaft den Ertrag der Grundstücke zu steigern wußten. Sie konnten ihre Produkte wohlfeiler verkaufen als der kleine Yeoman, und diesem blieb nun, da sein Grundstück ihn nicht mehr ernährte, nichts übrig, als es zu verkaufen und entweder eine Jenny oder einen Webstuhl anzuschaffen oder sich als Taglöhner, Ackerbauproletarier, bei dem großen Pächter zu verdingen. Seine angestammte Trägheit und die nachlässige Art der Bebauung seines Grundstücks, die er von seinen Vorfahren überkommen hatte und über die er sich nicht erheben konnte, ließen ihm nichts andres übrig, als er in die Notwendigkeit versetzt wurde, gegen Leute zu konkurrieren, die ihre Pacht nach vernünftigeren Prinzipien und mit allen Vorteilen betrieben, die eine große Wirtschaft und die Anlage von Kapitalien in der Verbesserung des Bodens in die Hand geben.

Die Bewegung der Industrie blieb indes hierbei nicht stehen. Einzelne Kapitalisten fingen an, Jennys in großen Gebäuden aufzustellen und durch Wasserkraft zu treiben, wodurch sie in den Stand gesetzt wurden, die Arbeiterzahl zu verringern und ihr Garn wohlfeiler zu verkaufen als die einzelnen Spinner, die bloß mit der Hand die Maschine bewegten. Es fielen fortwährend Verbesserungen der Jenny vor, so daß jeden Augenblick eine Maschine veraltet war und verändert oder gar beiseite geworfen werden mußte; und wenn der Kapitalist durch Anwendung der Wasserkraft selbst mit älteren Maschinen noch bestehen konnte, so war dies dem einzelnen Spinner auf die Dauer unmöglich. Und wenn schon hierin der Anfang des Fabriksystems lag, so erhielt dies durch die Spinning-Throstle, die Richard Arkwright, ein Barbier aus Preston in Nord-Lancashire, 1767 erfand, eine neue Ausdehnung. Diese Maschine, im Deutschen gewöhnlich Kettenstuhl genannt, ist neben der Dampfmaschine die wichtigste mechanische Erfindung des achtzehnten Jahrhunderts. Sie ist von vornherein auf eine mechanische Triebkraft berechnet und auf ganz neuen Prinzipien basiert. Durch die Vereinigung der Eigentümlichkeiten der Jenny und des Kettenstuhls brachte Samuel Crompton aus Firwood (Lancashire) 1785 die Mule zustande, und da Arkwright um dieselbe Zeit die Kardier- und Vorspinnmaschinen erfand, so war hierdurch für das Spinnen der Baumwolle das Fabriksystem zum allein herrschenden geworden. Allmählich fing man an, diese Maschinen durch einige unbedeutende Veränderungen auf das Spinnen der Wolle und später (im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts) auch des Flachses anwendbar zu machen und dadurch auch hier die Handarbeit zu verdrängen. Aber auch hierbei blieb es nicht; in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte Dr. Cartwright, ein Landpfarrer, den mechanischen Webstuhl erfunden und gegen 1804 so weit gebracht, daß er erfolgreich gegen die Handweber konkurrieren konnte; und alle diese Maschinen erhielten doppelte Wichtigkeit durch James Watts Dampfmaschine, die um 1764 erfunden und seit 1785 zur Betreibung von Spinnmaschinen angewandt worden war.

Mit diesen Erfindungen, die seitdem noch jedes Jahr verbessert wurden, war der Sieg der Maschinenarbeit über die Handarbeit in den Hauptzweigen der englischen Industrie entschieden, und die ganze Geschichte dieser letzteren berichtet von nun an nur, wie die Handarbeiter aus einer Position nach der andern durch die Maschinen vertrieben wurden. Die Folgen hiervon waren auf der einen Seite rasches Fallen der Preise aller Manufakturwaren, Aufblühen des Handels und der Industrie, Eroberung fast aller unbeschützten fremden Märkte, rasche Vermehrung der Kapitalien und des Nationalreichtums; auf der andern eine noch viel raschere Vermehrung des Proletariats, Zerstörung alles Besitzes, aller Sicherheit des Erwerbs für die arbeitende Klasse, Demoralisation, politische Aufregung und alle die den besitzenden Engländern so höchst widerwärtigen Tatsachen, die wir in den nachfolgenden Bogen zu betrachten haben werden. Haben wir schon oben gesehen, welche Umwälzung in den gesellschaftlichen Verhältnissen der unteren Klassen eine einzige unbeholfene Maschine wie die Jenny hervorbrachte, so wird man sich nicht mehr über das wundern, was ein vollständig ineinandergreifendes System fein ausgearbeiteter Maschinerie bewirkt hat, welches das rohe Material von uns empfängt und uns fertiggewebten Stoff zurückgibt.

Verfolgen wir indes die Entwicklung der englischen Industrie1 etwas genauer und fangen wir mit ihrem Hauptzweige, der Baumwollenindustrie an. In den Jahren 1771 bis 1775 wurden im Durchschnitt jährlich weniger als fünf Millionen Pfund roher Baumwolle importiert; im Jahre 1841 fünfhundertachtundzwanzig Millionen, und die Einfuhr von 1844 wird mindestens sechshundert Millionen Pfund betragen. 1834 exportierte England 556 Millionen Yards gewebter Baumwollenstoffe, 76 1/2 Millionen Pfund Baumwollengarn und für 1200000 Pfd. St. baumwollne Strumpfwaren. In demselben Jahre arbeiteten über acht Millionen Mulespindeln, 110000 mechanische und 250000 Handwebstühle, ungerechnet die Kettenstuhlspindeln, im Dienst der Baumwollenindustrie, und nach MacCullochs