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"Ich gestehe, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen." Die Vielfalt der Themen und die Entwicklung eines unvergleichlichen Stils treten in den Erzählungen von Siegfried Lenz deutlich hervor. Brillant verdichtet er auf engstem Raum und mit außerordentlicher Intensität Situationen und die Gefühlswelten seiner Figuren. In der Tradition der deutschen Novelle, der russischen Erzählung und der angelsächsischen Kurzgeschichte stehend, hat Siegfried Lenz die kurze Form zu einer in der Gegenwartsliteratur beispielhaften Meisterschaft geführt. "Lenz schreibt unglaubliche und letztlich, da mit künstlerischen Mitteln beglaubigt, doch glaubhafte Erzählungen; sie mögen einem bisweilen unwahrscheinlich vorkommen, aber sie sind immer wahr." Marcel Reich-Ranicki Diese eBook-Ausgabe wird durch zusätzliches Material zu Leben und Werk Siegfried Lenz ergänzt.
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Seitenzahl: 16
Siegfried Lenz
Die Lampen der Eskimos
Erzählung
Hoffmann und Campe Verlag
oder Die Leiden eines Spezialisten
An alles haben die Architekten meines Instituts gedacht, sogar an die Aussicht: frei läuft der Blick über die Alster, über die salzweißen Segel auf unserem Binnensee, streift Fährhäuser, Ruderclubs und vollkommene Versicherungsbauten, in denen alle Mißgeschicke der Hamburger zuverlässig aufgefangen und vergütet werden.
Nach dem Umbau der ehemaligen Hassebrouk-Villa zu unserem Institut fanden wir wirklich alles, was unsere Arbeit erleichterte, und meine Studenten und ich atmeten auf, als wir aus dem baufälligen Bodenraum der Universität, in dem wir so viele Jahre hatten zubringen müssen, hier herüberziehen durften – belohnt durch ein Gebäude, das alle Ansprüche erfüllte, verwöhnt durch Zuwendungen, die nunmehr im rechten Verhältnis zum Institut standen und uns erlaubten, in unserer Forschungsarbeit großzügiger zu sein. Die Alster vor dem Fenster, in der Nachbarschaft lautloser, melancholischer Villen, gingen wir mit Leidenschaft unserer dringenden Aufgabe nach, und ich würde ihr auch heute noch nachgehen, wenn ich nicht jene Reise gemacht hätte, von der ich nichts mitbrachte als einwandfreie Zweifel.
Seitdem ich von jener Reise zurück bin, finde ich nicht mehr die Kraft, dort wieder anzufangen, wo ich aufgehört habe; eine redliche Niedergeschlagenheit, eine Verbitterung, die so groß ist, daß sie einen gewissen Messinggeschmack in meinem Speichel hervorruft, hindern mich daran, die zweckmäßige Schönheit meines Instituts zu erkennen, meine Arbeit fortzusetzen – zumindest mit der Selbstverständlichkeit, mit der ich es einst tat. Schließlich ist das mindeste, was durch diese Reise geschehen ist, die Zerstörung eines Lebenswerks.