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Bodo Wontoschka

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

"Es ist immer so gewesen, am letzten Tag wird vorgelesen". So sagte man früher bei uns in der Schule, wenn die Ferien anstanden. Allerdings verläuft der Vorlesetag von Hauptlehrer Bohn nicht ganz problemlos, ist aber deshalb umso kurzweiliger, und weckt selbst den Penner von der letzten Bank... "Darling One" liegt dann schon mitten in der Ferienzeit, und beschreibt skurrile Rituale rund um einen Badeurlaub der anderen Art. Was eigentlich in "Das Gegenfeuer" geschieht, ist zum Teil mir selbst bis heute rätselhaft, auch, warum jemand auf einem Traktor durch Sizilien reist und dabei keinen Erfolg bei den Frauen hat....aber so war es, und so musste es berichtet werden. Das "Korsische Tryptichon" deutet zumindest schon im Titel an, wo die Geschichte spielt. Was aber nach einer ebenso langweiligen wie langatmigen Einleitung auf den Leser zukommt, wird ihm, sollte er sich durch hartnäckiges Weiterlesen den dramatischen Höhepunkt verdient haben, den Atem verschlagen.

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Bodo Wontoschka

Die Leiden des Herrn Ringwald

4 seltsame Geschichten

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Die Leiden des Herrn Ringwald

 

Die Leiden des Herrn Ringwald

 

Wie man an der Jahreszahl sieht, ist dies eine Geschichte aus einer fernen Zeit, denn sie hat sich im vergangenen Jahrhundert zugetragen. Wenn ich sie erzählen will, muss ich mich zuerst an unser Schulhaus erinnern, was nicht schwer ist, weil es sich bis heute kaum verändert hat, außer dass aus unserem steinigen Schulhof eine Grünanlage geworden ist, im Haus eine Zahnarztpraxis eingerichtet wurde, und es aus dem rückwärtigen Kellereingang nicht mehr nach Pisse riecht, weil die Zahnarztpraxis mit neuen, vorschriftsmäßigen sanitären Anlagen ausgestattet wurde. Auch hat der alte, mächtige Kastanienbaum, der auf der Straßenseite mit seinen Wurzeln das Pflaster zu einem kuriosen Hügel aufgewölbt hatte, die Jahrhundertwende nicht überlebt, ebenso wie alle unserer Lehrer, auch Hauptlehrer Bohn und viele meiner Mitschüler.

Fast kommt es mir vor wie ein Sakrileg, wenn ich die Dinge beschreibe, die ich in unserem Klassenzimmer sehe, während alle auf dem Schulhof sind. Überall liegen Taschen herum, und Pudelmützen, und der Leser fragt, was, mehr nicht, aber die Frage ist nicht, ob vielleicht noch mehr herumlag, sondern ob man das Recht darauf hat, mehr zu beschreiben, wenn das erste Bild, an das man sich erinnert, nur diese Dinge enthält, und damit so eigentlich ziemlich komplett ist, bevor man daran geht, allerhand andere Dinge zu erwähnen, die der Erwartung des Lesers entsprechen mögen, obwohl man sie eigentlich gar nicht sieht. Verstehen Sie? Ich will ihnen ja auch kein Unrecht tun.

Da waren also die alten Sitzbänke mit den gekippten Schreibflächen, die noch mal aus einem anderen Jahrhundert stammten, als aus dem, in dem sich diese Geschichte zugetragen hat, nämlich aus dem davor, und sie sind so klein und eng, dass kein Erwachsener jemals darin hätte sitzen können, und fest miteinander in der Reihe verschraubt, so dass es unmöglich war, sie umzuwerfen. Es waren Höhlungen in der Oberseite, in denen Tintenfässer standen, und längliche Rillen, in die wir die Federhalter legten, und das Holz, ursprünglich naturfarben, war von einem bräunlichen Goldton, vernarbt und fleckig von den Runen uralter Botschaften aus Kinderhand, die sich in vielen Jahrzehnten in mehreren Schichten in das Holz gegraben, und das Geheimnis und die Dringlichkeit ihrer Botschaft mit in die Tiefe genommen hatten.

Dann war da noch der mächtige schwarze Ofen mit dem Schirm davor, und dem silbrigen Rohr das oben in der Decke verschwand. Kamen alle hereingerannt, und es war Sommer, galt es, als erster am Wasserhahn im Flur zu sein, dem einzigen für hundertachtzig Kinder, aus ihm tröpfelte ständig ein dünnes Rinnsal auf die rostbraune Stelle in dem kleinen Becken darunter, auch wenn niemand davorstand, aber wenn man ihn aufdrehte, prasselte gleich ein schäumender Strahl heraus, und nicht nur nach unten, sondern nach allen Seiten, und es entbrannten stets heftige Kämpfe um Trinken, Schubsen und Nassmachen, in denen die Großen stets die Sieger blieben, während die Kleinen sich heulend zurückzogen, und der gekachelte Boden und die leeren gekalkten Wände hallten wider, wie in einer Kirche, von unserem Geschrei und unseren Schritten.

Immer war ein Rennen. Raumschiffe voll Brausepulver belegten die ersten Plätze, die Kinder sangen zum braunen Klavier. Alle waren irgendwie gleich...aber manche hatten zu Hause schon Ukaweh, die anderen nur Mittelwelle, ein paar sogar Fernsehen. In den Klassen war es gemütlich. Die dritte Klasse war oben, und die Treppen polterten, wenn es geschellt hatte. Der kleine Turnsaal war ein Anbau aus neuerer Zeit, er dient heute als Garage. Er war eine seltsame Konstruktion mit einem großen Oberlicht, das bei schönem Wetter aufgeklappt wurde, so dass man den blauen Himmel sehen konnte...

Nun wird es notwendig, dass wir uns der achtbaren Person von Hauptlehrer Bohn zuwenden, wie er vor uns stand und, den Blick über uns hinweg auf die rückwärtige Wand gerichtet, nach Worten suchte.

Dabei befingerte er seine Brille, seine Krawatte und die immer gleiche Strickjacke, und sagte oft halblaute Sätze, die keiner verstand. Hinter ihm hing eine Deutschlandkarte in den Grenzen von neunzehnhundertsiebenunddreißig, und daneben eine unrealistische Darstellung des menschlichen Körpers. Oben konnte man gut erkennen, wie das Gehirn im Schädel saß, darunter alles andere, aber gewöhnlich blieben unsere Augen an der mageren Darstellung des Unterleibes hängen, dessen deutlichste Details hinten mit “Steißbein” und vorne mit “Harnblase” bezeichnet waren. Ob man aus Kostengründen auf Hinweise auf geschlechtliche Unterschiede verzichtet hatte, blieben denen immer unklar, die davon wussten, regte sie aber ständig zu Mutmaßungen an über die Informationen, die man uns vorenthielt, und die Diskussionen die wir darüber in den Jahren führten, die ich in dieser Schule verbrachte, haben nie ein Ende genommen, und dauern wohl heute noch an.

Wenn Geschichtentag war - meistens am letzten Tag vor den Ferien - hielt Hauptlehrer Bohn es nie für nötig, dafür ein Buch hervorzuholen. Er erzählte nur, was er, wie er stets versicherte, am eigenen Leibe erlebt hatte. Wir wussten dies zu schätzen, hatten aber oft Mühe, ihm zu glauben, da seine Geschichten, so harmlos und alltäglich sie auch begannen, stets die unwahrscheinlichsten Wendungen nahmen.

Bevor er dann schließlich begann, wanderte sein Blick mit stillem Lächeln über unsere Reihen, wobei es offensichtlich war, dass er sich an unseren gespannten Gesichtern weidete, schließlich putzte er sich umständlich die Brille an seiner Krawatte, setzte sie so langsam wieder auf, dass wir meinten, dazu einen gedämpften Trommelwirbel zu hören, und begann, mit einer Stimme zu erzählen, die war so klar und fest, dass sie nicht nur verriet, dass er endlich an das glaubte, was er zu sagen hatte, sondern wir hatten sogar oft den Eindruck, Hauptlehrer Bohn verwandle sich in diesen Momenten in eine ganz andere Person.

“Es gab,” so begann er, “eine Adresse in unserer Stadt, die hieß Winkelzeile 4. Bei näherem Hinsehen entpuppte sie sich als die hiesige“ Schöne-Weiber-Schule”, wo alle Weiber, die echt superschön waren, noch schöner gemacht wurden. Aber.....” - er befingerte zerstreut die Knöpfe seiner Strickjacke - ”ich schweife bereits vom Thema ab. Winkelzeile 4 spielt nämlich in unserer Geschichte überhaupt keine Rolle, es geht vielmehr um das alte Postamt, Winkelzeile 6, also gleich daneben.”

Wir sahen uns an. Keiner hatte je etwas von einer Schöne-Weiber-Schule gehört, entweder, es gab sie schon lange nicht mehr, oder er hatte einfach wieder einmal versucht, seine Geschichte mit einem pikanten Detail zu würzen, das er sich aus den Fingern gesogen hatte, was diesmal gründlich danebengegangen war. Inzwischen hatte er sich gefangen.

“Ich erinnere mich noch deutlich an das alte Postamt,” fuhr er fort. “es hatte eine moosig grün schimmernde Klinkerfassade, und ebenso grüne Eingangstüren, mit großen Glasscheiben darin.”

Wir sahen uns an. Es gab zwar fast nur Klinkerhäuser in unserem Ort, aber sie waren ausnahmslos von rötlicher Farbe, und es war, selbst für uns Zweitklässler, nur schwer vorstellbar, dass sich roter Klinker dicht mit grünem Moos überzog. Efeu vielleicht, Moos, nein. Manche schüttelten die Köpfe. Bohn würde es schwer haben, uns zu überzeugen. Und große Glasfassaden, wie sie erst in unserer Zeit, dem Beginn des Wirtschaftswunders, hier und da auftauchten, gab es damals erst recht nicht, es war doch alles kaputt und Glas war teuer.

Unsere Skepsis wuchs. Aber Hauptlehrer Bohn fuhr unbeirrt fort: