Die Leidenschaft des Lairds - Anne de Lisle - E-Book
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Die Leidenschaft des Lairds E-Book

Anne de Lisle

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Beschreibung

Mit klopfendem Herzen steht sie vor ihm ... Der historische Liebesroman »Die Leidenschaft des Lairds« von Anne de Lisle jetzt als eBook bei venusbooks. Sie werden zur Heirat gezwungen – können sie einander lieben lernen? Auf Befehl des Königs von England soll die junge Clementina Grey das Oberhaupt des schottischen Cameron-Clans heiraten. Doch der ebenso stolze wie stattliche Jamie scheint ihr die Schuld für die ungewollte Heirat zu geben und behandelt sie kalt und abweisend. Erst als sie ihm in der Hochzeitsnacht völlig verschüchtert gegenübertritt, scheint eine Veränderung in dem Laird vor sich zu gehen ... Je näher sie sich kommen, desto mehr scheint es, als hätte dieser große, starke Highlander doch ein Herz – wird er es Clementina schenken können, wenn sie ihm die zarten Gefühle offenbart, die längst in ihr erwacht sind? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der romantische Highlander-Roman »Die Leidenschaft des Lairds« von Anne de Lisle. Lesen ist sexy: venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 463

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Über dieses Buch:

Sie werden zur Heirat gezwungen – können sie einander lieben lernen? Auf Befehl des Königs von England soll die junge Clementina Grey das Oberhaupt des schottischen Cameron-Clans heiraten. Doch der ebenso stolze wie stattliche Jamie scheint ihr die Schuld für die ungewollte Heirat zu geben und behandelt sie kalt und abweisend. Erst als sie ihm in der Hochzeitsnacht völlig verschüchtert gegenübertritt, scheint eine Veränderung in dem Laird vor sich zu gehen ... Je näher sie sich kommen, desto mehr scheint es, als hätte dieser große, starke Highlander doch ein Herz – wird er es Clementina schenken können, wenn sie ihm die zarten Gefühle offenbart, die längst in ihr erwacht sind?

Über die Autorin:

Anne de Lisle lebt mit ihrem Ehemann in einem angeblichen »Geisterhaus« in Maryborough. Ihre Romane sind international erfolgreich.

Anne de Lisle veröffentlichte bei venusbooks bereits die historischen Liebesromane »Das Herz des Lairds«, »In den Händen des Schotten« und »Tender Kiss – Ein Lord zum Verlieben«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2023

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Originaltitel »Clementina« bei Bantam Australia, an imprint of Transworld Publishers Division of Random House Australia. Die deutsche Erstausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Gefangene der Leidenschaft« bei Lübbe.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1996 by Anne de Lisle

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2000 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2023 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © Period Images sowie © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96898-230-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Anne de Lisle

Die Leidenschaft des Lairds

Roman

Aus dem Englischen von Bettina Albrod

venusbooks

Für Chris,

für sein Vertrauen und seine Ermutigung

Kapitel 1

Lochaber, Schottland 1606

»Du kannst doch jetzt nicht verschwinden, Mann. Das geht nicht. Du solltest wenigstens hiersein, um sie zu begrüßen.«

»Warum?« Jamie Cameron trat mit dem Fuß gegen ein glimmendes Stück Holz am Rande der Feuerstelle, was den Hund, der ihm am nächsten lag, dazu bewog, den Kopf zu heben und ihn mißtrauisch zu betrachten.

Jamies Cousin Alex zuckte mit den Schultern. »Mach, was du willst. Niemand weiß besser als ich, daß man mit dir nicht vernünftig reden kann.«

Bei dieser Bemerkung wandte Jamie den Blick von den Flammen und sah seinem Cousin ins Gesicht. »Stell meine Geduld nicht auf die Probe, Alex. Du weißt sehr gut, was ich von der ganzen Sache halte. Außerdem«, setzte er bitter hinzu, »ist es meines Wissens doch der Brauch, daß ein Ehemann seine Braut am Tag vor der Hochzeit nicht sehen darf.«

»Davon weiß ich nichts«, gab Alex zu, »aber was ist mit ihrer Familie? Falls sie sie hierherbegleiten, erwarten sie bestimmt, daß du sie hier begrüßt.«

»Warum sollte ich?« fuhr Jamie ihn an. »Mein Befehl lautet, das Mädchen zu heiraten. Davon, daß ich ihre Familie unterhalten soll, war nicht die Rede.« Er wandte sich ab und trat ans Fenster, wo er schweigend einen Moment stand und Alex den Rücken zuwandte. Jamie war ein großer, kräftiger Mann, der schon immer ein wildes Temperament gehabt hatte. Während Alex zusah, wie Jamie sich um Selbstbeherrschung bemühte, konnte er sehr gut nachvollziehen, warum der gesamte Clan in den letzten Wochen auf Samtpfoten um seinen heißblütigen jungen Laird herumgeschlichen war. Denn Jamie war wütend, seit er vom Hof des Königs in London zurückgekehrt war, wo er schon in guten Zeiten nur widerstrebend hinging, wenn der König ihm kein Ultimatum stellte.

Alex hatte seinen Cousin schon oft schlechtgelaunt erlebt, aber noch nie hatte er ihn in einer solchen Wut gesehen. Sie waren gleich alt, nur ein paar Monate trennten sie, und beide hatten sie den Großteil ihres Lebens in diesem abgelegenen Teil Schottlands auf Glenachen Castle verbracht. Niemand sonst auf der Welt verstand Jamie Cameron so gut wie Alex, und Alex bekam langsam Angst, daß Jamies wachsende Wut die Oberhand über seine Vernunft gewinnen und sie alle in Gefahr bringen könnte. Er wünschte sich weiß Gott genausowenig wie der Rest des Clans eine englische Herrin hier, und er haßte es, einen Mann, der so stolz war wie Jamie, unter der Laune eines anderen leiden zu sehen, selbst wenn dieser andere der König war. Aber es stand soviel auf dem Spiel.

»Jamie?«

Alex trat zu seinem Cousin und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Jamie – woran denkst du, Mann?«

Jamie fuhr mit wildem Blick zu seinem Cousin herum, aber als er die Sorge auf Alex’ Gesicht sah, wurde sein stürmischer Blick sanfter. »Oh, mach dir keine Sorgen, Alex. Ein so großer Narr bin ich denn doch nicht.« Während er sprach, fuhr er mit der Hand durch die dichten Haare. »Ich habe mich in mein Schicksal ergeben und werde sie nicht wieder wegschicken. Ich weiß auch, daß der König durchaus dazu fähig ist, seine Drohungen wahrzumachen. Es wäre sicher ein Riesenspaß für ihn, mich meines Erbes zu berauben. Du weißt, daß ich das niemals riskieren würde, denn es geht hier nicht nur um mich. Wie könnte ich ruhigen Gewissens weiterleben, wenn meine Clansleute ihr Zuhause verlören? Ich würde sie niemals in diese Gefahr bringen.«

»Aye, das weiß ich.«

»Dann vertraue mir und entspann dich.«

»Aye.« Alex betrachtete das attraktive Gesicht seines Cousins. Das Feuer in den dunklen Augen brannte nicht mehr ganz so wild, aber er hatte die Lippen noch immer zu einer grimmigen dünnen Linie zusammengepreßt. Beide Männer wußten nur zu gut, daß man die Drohungen König James’ nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte. Er hatte schon mehrmals seine Bereitschaft bewiesen, diejenigen zu bestrafen, die sich seinen Anordnungen widersetzten, zuletzt, als er George, den Earl of Dunbar, nach Norden geschickt hatte, um an den unsicheren Grenzen für Ruhe zu sorgen. Diese Aktion hatte damit geendet, daß mehr als hundert Männer gehängt worden waren. Gut, sie waren die schlimmsten der Räuber und Grenzschmuggler gewesen, aber das entschuldigte in den Augen der Schotten keineswegs ihren Tod, denn war es nicht seit vier Jahrhunderten so an der Grenze zugegangen? War das nicht der Lauf der Dinge? Das Massaker hatte ihnen jedoch deutlich vor Augen geführt, daß König James es nicht zuließ, daß man ihm nicht gehorchte.

»Glaubt der König denn im Ernst, daß er seine beiden Reiche enger aneinanderbindet, wenn er die Familien durch Heiraten zusammenführt?« fragte Alex schließlich. James zuckte mit den Schultern. »Wer weiß? Es ist immerhin ein Brauch, der schon lange praktiziert wird, und nicht nur in unserem Land. Aber ich glaube nicht, daß es ein Zufall ist, daß er ausgerechnet mich dafür ausgesucht hat. Du weißt ja, daß mein Vater aus seiner Abneigung gegen den König nie einen Hehl gemacht hat. Ohne Zweifel macht es James gewaltig Spaß, unsere Clans seine Macht spüren zu lassen. Noch mehr Spaß würde es ihm machen, unseren Clan um sein Erbe zu erleichtern. Du weißt so gut wie ich wie teuer es für James ist, den Lebensstandard zu halten, an den er gewöhnt ist. Unser König wirft mit Geld nur so um sich, aber er ist kein Narr. Sein Einfallsreichtum, wie er seine leeren Truhen wieder auffüllen kann, scheint grenzenlos zu sein.«

Die beiden Männer hätten es niemals gewagt, an einem anderen Ort ihre Meinung über den König so offen zu diskutieren, aber sie hatten absolutes Vertrauen zueinander. Obwohl die Camerons schon immer loyale Anhänger der Stuarts gewesen waren, hielten sie beide nicht viel von James Stuart, dem Mann, den sie den König nannten. Aber als ihr Oberhaupt und Sohn der tragikumwitterten Maria Stuart, Königin von Schottland, die ihre Anhänger so verehrt hatten, gebührte ihm ihre Loyalität.

Alex erkannte, daß die Wut seines Cousins noch immer unter der Oberfläche brodelte, und versuchte deshalb, ihn abzulenken. »Vielleicht wirst du ja auch positiv überrascht sein. Es könnte doch sogar sein, daß du sie magst.«

»Das bezweifele ich«, erwiderte Jamie. »Ein verwöhntes, verweichlichtes englisches Mädchen? Sie wird bestimmt keine Puritanerin sein, soviel ist sicher. Der König würde ihren Onkel nie bei Hof dulden, wenn dieser nicht seine ausgeprägte Vorliebe für ein ausschweifendes Leben teilen würde, und ich habe gehört, daß kaum jemand dem König näher steht als Henry Grey. Was weiß sie schon vom Leben im Hochland? Was wird sie erwarten? Ich bin überrascht, daß ihre Familie der Verbindung zugestimmt hat.«

»Ich nicht, Jamie. Du bist eine gute Partie, das weißt du sehr gut. Es ist ja nicht so, daß bisher noch keine ihre Angel nach dir ausgeworfen hätte.« Alex lächelte. »Diese Verbindung wird die Hoffnungen etlicher heiratsfähiger Mädchen enttäuschen.«

Obwohl von Jamie natürlich erwartet wurde, daß er irgendwann heiraten und einen Erben zeugen würde, waren alle auf Glenachen Castle, angefangen bei der geringsten Küchenmagd bis hin zu seiner Familie, entsetzt gewesen zu hören, daß König James für ihren Laird eine Ehe mit einer Engländerin arrangiert hatte. In diesen Teilen des Landes galten selbst Leute aus der Ebene als Fremde, aber diejenigen, die von der anderen Seite der Grenze stammten, waren die alten Feinde. Auch wenn König James erklärt hatte, daß eine Grenze zwischen seinen beiden Königreichen nicht notwendig sei, waren Haß und Mißtrauen doch immer noch stark. Über Jahrhunderte hatte Krieg geherrscht, und das war nicht leicht zu vergessen, zumal tiefe Wunden geschlagen worden waren. Daß ihnen ein englisches Mädchen als Herrin aufgezwungen wurde, hatte bitterste Gefühle geweckt.

Jamie wußte das alles, aber er wußte auch, wann er in der Falle saß. Dem König konnte man sich nicht widersetzen. Um seinem Clan nicht zu schaden, mußte er seinen Stolz hinunterschlucken und einwilligen, ein Mädchen zur Frau zu nehmen, das der König ausgewählt hatte – ein Mädchen von untadeliger Herkunft, eine Nichte von Sir Henry Grey, einem der engsten Vertrauten des Königs. An diesem Abend sollten sie nun getraut werden. Je mehr seine Hoffnung auf ein Entkommen aus dieser Zwangslage schwand, desto stärker empfand er die Wut und die Hilflosigkeit, die sich schon seit Wochen in ihm anstauten. Er wollte verdammt sein, wenn er den Tag damit verbrachte, auf die englischen Gäste zu warten und sie zu begrüßen. Es gab andere Vergnügungen, die es zu genießen galt: Jamie sah in den dichten Nebel hinaus und wußte, daß andere ihn für verrückt erklären würden, wenn er in solchem Wetter ausritt, aber er kannte sein Land gut genug, um auch mit verbundenen Augen den Ritt zu wagen.

»Ich reite aus, Alex«, erklärte er und ging mit großen Schritten zur Tür. Doch dann bekam er Mitleid mit seinem treuen Cousin und drehte sich doch noch einmal zu ihm um. »Ich werde rechtzeitig zurück sein, mach dir keine Sorgen.«

Dann war er fort, und Alex blieb mit seinen Sorgen allein zurück.

Kapitel 2

Die mächtigen grauen Mauern von Glenachen Castle waren in dem dichten Nebel erst zu sehen, als sie nur noch wenige Meter entfernt waren. Kummervoll betrachtete Clementina Grey die massive Festung, die vor ihr aufragte, und fragte sich, ob wohl je ein Sonnenstrahl die kalten grauen Steine gewärmt hatte. Es war schwer, sich eine Meinung über das Gemäuer zu bilden, weil sie kaum etwas davon erkennen konnte, aber als sie durch den Torbogen ritten, fand Clementina sich auf einem kiesbestreuten Hof wieder, umringt von neugierigen Gesichtern.

Der Anführer ihrer Begleitmannschaft stieg rasch vom Pferd und trat an ihre Seite. Dankbar für die Hilfe erlaubte Clementina ihm, ihr aus dem Sattel zu helfen.

»Danke, Mr. Cameron«, sagte sie lächelnd, als er sie auf die Füße gestellt hatte. Wenn Hugh Cameron typisch für die Gesellschaft war, die sie auf Glenachen erwartete, würde das Leben vielleicht doch nicht so schwierig werden. Er war ein Mann von guten Manieren, und sein Englisch unterschied sich nur wenig von ihrem. Dann war Rachels Annahme, daß sie in diesem Land eine fremde Sprache sprachen, also falsch gewesen, und Clementina war dankbar dafür. Aber sie hatte nur wenig Zeit, um sich ihre Umgebung anzusehen, denn nun ergriff Hugh ihren Arm und führte sie über breite Stufen durch einen Torbogen, der mit steinernen Eichenblättern verziert war, dem alten Emblem der Camerons.

Clementina sah sich mit wachsender Bewunderung um, denn die Halle, in der sie stand, war riesig, hatte eine holzgetäfelte Decke und eine Galerie, die oben herumführte, von Steinbögen getragen. Alte Waffen und Gobelins schmückten die Wände, und in der Mitte der Halle schwang sich eine gewaltige Steintreppe nach oben. Das Ganze wirkte in Clementinas Augen höchst mittelalterlich, denn sie war an die Bequemlichkeiten moderner Ausstattung wie in Northamberton Park gewöhnt. Trotz eines gewaltigen Kamins, in dem ein Feuer brannte, war es kalt hier drin, und sie zog ihren pelzgefütterten Umhang noch enger um sich.

»Am besten warten Sie hier, bis ich den anderen Ihre Ankunft verkündet habe«, schlug Hugh vor, während er sie zu einem Zimmer führte, das an die Halle angrenzte. Dieses erwies sich als gemütlicher, als Clementina gedacht hatte. Kissenbedeckte Stühle gruppierten sich um ein wärmendes Feuer, und vor den hohen Fenstern waren die Vorhänge zugezogen, um das ungemütliche Wetter draußen zu lassen.

Hugh nahm Clementina den Umhang ab und breitete ihn über einen Stuhl, damit er trocknen konnte. »Kann ich Sie hier einen Moment lang allein lassen?« Seine Augen sprachen von wirklicher Anteilnahme.

»Aye, ich danke Ihnen. Aber was ist mit Bessie? Kümmert sich jemand um sie?«

»Aye. Sie ist sicher schon in der Küche, wo sie am Herd sitzt und etwas zu essen bekommt.«

Clementina nickte. Sie hätte diesem Mann, Hugh Cameron und offenbar ein Cousin ihres zukünftigen Gatten, gerne noch viele Fragen gestellt. Er hatte sie auf der langen Reise gen Norden immer freundlich behandelt, aber ihre Scheu und wachsende Nervosität hielten sie davon ab, ihn mit Fragen zu durchlöchern. Also zog sie sich wieder in sich selbst zurück, wie sie es gewohnt war.

Die letzten zehn Jahre, die sie als Mündel des Bruders ihres Vaters, Sir Henry Grey, und dessen Frau Margaret verbracht hatte, hatten Clementina gelehrt, ihre Gedanken gut zu verbergen und zu schweigen, wenn ihr etwas in den Sinn kam, selbst wenn sie es nur zu gerne ausgesprochen hätte – eine nützliche Eigenschaft für den Fall, daß ihr Ehemann Schwäche an seiner Frau zu schätzen wüßte. Clementina wußte zwar nicht, was dieser James Cameron besonders an einer Frau schätzten mochte, aber sie hatte eine vage Vorahnung, daß er von ihr enttäuscht sein würde. Sie wußte selbst, daß sie niemals eine so ausladende Figur haben würde, wie sie gerade in Mode war, und mit neunzehn hatte sie auch jede Hoffnung aufgegeben, noch ein wenig zu wachsen. Sie hielt sich selbst für zu klein und zu dünn, und diese Auffassung wurde noch dadurch gestärkt, daß Margaret Grey und ihre jüngere Tochter Rachel nie aufgehört hatten, sie zu kritisieren.

Doch dieses Urteil war zu hart. Zwar war Clementina klein und zierlich, aber dünn war sie nicht, und darüber hinaus besaß ihr Körper eine natürliche Anmut und Weiblichkeit, die den Neid vieler Frauen weckte.

Was Clementina allerdings viel mehr Sorgen bereitete, war ihre Neigung zu stottern, insbesondere dann, wenn sie unsicher war, und sie war überzeugt davon, daß ihr Verlobter sie deswegen verachten würde. Rachels Hohn und Spott und Tante Margarets schlecht verhohlene Ungeduld hatten ihr jegliches Selbstbewußtsein genommen und alles noch schlimmer gemacht, und mittlerweile haßte Clementina es, sich mit Leuten zu unterhalten, die sie fürchtete. Ob dieser James Cameron, wenn er sie nun kennenlernte, so enttäuscht sein würde, daß er sie nach Northamberton zurückschickte? Wie sie eine solche Demütigung überstehen sollte, konnte Clementina sich nicht einmal vorstellen. Sie hatte keinen Zweifel, daß man ihr allein die Schuld daran geben und ihr Verbrechen als unverzeihlich ansehen würde.

Clementina hatte ihre Tante Margaret und alles, wofür sie stand, nie gemocht, eher sogar gefürchtet. Aber nun, nachdem zweihundert Meilen zwischen ihnen lagen, war ihr Triumph zunächst Sorge und nun nackter Angst gewichen. Konnte es sein, daß sie nur einen Tyrannen gegen den anderen eintauschte? Sie wußte so gut wie nichts über Schottland, bloß ein paar Einzelheiten, die sie gelegentlich aufgeschnappt hatte, größtenteils von der stets fröhlichen, aber etwas vorlauten Molly Grimshaw, die als Hausmädchen in Northamberton Park arbeitete. Laut Molly waren die Schotten kein zivilisiertes Volk, sondern hatten noch immer eine wilde, primitive Art bewahrt, besonders die Hochländer. Doch Clementina wußte es besser, als den Spekulationen Mollys zu glauben, denn war nicht auch der König ein Schotte? Und seine Mutter, die arme Königin Maria, die in jenem Jahr hingerichtet worden war, als Clementina zur Welt kam, sollte höchst gebildet gewesen sein.

Clementina tat vom Reiten alles viel zu weh, als daß sie sich hätte hinsetzen wollen, und so stellte sie sich statt dessen vor das Feuer, um sich zu wärmen. Ihr Kleid war feucht und verschmutzt von der Reise, und ihr dickes Haar zerzaust. Sie versuchte, sich ein wenig aufzufrischen. So gut es ohne Spiegel möglich war, während sie angespannt darauf wartete, daß jemand kam. Als sie dann schließlich hörte, daß sich Schritte näherten, hob sie das Kinn und bemühte sich um einen Gesichtsausdruck, der Fassung und Würde vorgaukeln sollte. Dabei hielt sie die Hände fest verschränkt, damit deren Zittern nicht ihren wahren Gemütszustand verriet. Die Tür ging auf, und eine energisch wirkende Frau kräftiger Statur kam herein. Ihr Alter war nur schwer zu schätzen. Sie war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, hatte die Haare unter einer Haube straff aus dem Gesicht gebunden und sah recht streng aus, doch als sie näher kam, bemerkte Clementina, daß ihr Ausdruck milder wurde.

»Guten Tag, Mylady. Ich bin Mistreß Kerr, die Haushälterin hier auf Glenachen.«

»Ich f-freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. I-ich bin Clementina Grey«, stammelte Clementina und ärgerte sich über sich selbst, weil sie ihre Nervosität nicht in den Griff bekam. Schließlich war die Frau nur die Haushälterin. Warum also fühlte sie sich so eingeschüchtert?

»Aye, ich weiß, wer Sie sind. Sie müssen ganz erschöpft sein nach der langen Reise.«

»Ich bin ein wenig müde«, gab Clementina zu. Auch wenn der schottische Akzent der Frau ausgeprägt war, konnte Clementina sie doch besser verstehen als so manche andere, denen sie begegnet waren, nachdem sie die Grenze überquert hatten. »Kommen Sie, und ich zeige Ihnen Ihr Zimmer. Sie werden sicher die feuchten Sachen ausziehen wollen.«

»Danke, das möchte ich wirklich«, erwiderte Clementina dankbar.

Mistreß Kerr ergriff ihren nassen Umhang und führte dann Clementina zur Tür.

»Es ist nicht weit. Dieses alte Haus ist riesig, aber die Wohnräume liegen alle in diesem Trakt.« Damit begann sie, die hohe Steintreppe emporzusteigen, und Clementina folgte ihr, sich unbehaglich der vielen Augen bewußt, die sie beobachteten.

Mistreß Kerr trat durch eine der vielen Türen und sagte: »Es tut mir sehr leid, daß niemand anderer Sie begrüßt, aber Jamie, unser Laird, ist ausgeritten, und der Rest des Haushalts hat alle Hände voll mit den Hochzeitsvorbereitungen zu tun.«

»Das macht mir nichts aus. Im Gegenteil, es ist eine Erleichterung, mich erst… e-ein bißchen zurechtmachen zu können, ehe ich d-den … jemanden treffe«, erwiderte Clementina ehrlich und dachte dabei insbesondere an ihren Verlobten.

Wenn Clementina sich bewußtmachte, daß sie überhaupt nichts von ihm wußte – den Mann in der Tat noch nicht einmal zuvor gesehen hatte, so konnte sie sich ruhig ein wenig Selbstmitleid erlauben. Obwohl es nur wenige Mädchen ihres Standes gab, die ihren Ehemann selbst wählen durften, so hatten die meisten ihren Verlobten vor der Hochzeit zumindest schon einmal gesehen, und Clementina wünschte, auch sie hätte Gelegenheit dazu gehabt. Aber das war nicht der Fall. Und nun war der Ehevertrag unterzeichnet, und sobald die Trauung in der Kapelle von Glenachen stattgefunden hatte, würde sie lebenslang an einen Fremden gebunden sein.

Clementina trat zu einem hohen Spiegel, der neben dem Fenster stand, und betrachtete sich unzufrieden, denn aus dem Spiegel blickte ihr eine entschieden unordentliche Person entgegen. Schlamm klebte am Saum ihres Kleides, und die Spitze am Kragen war schlaff und zerknittert.

»Ich b-bin mir sicher, daß Sie alle viel zu tun haben vor der Hochzeit, Mistreß Kerr, aber glauben Sie, e-es könnte mir trotzdem jemand etwas heißes Wasser bringen?« fragte sie und warf einen Blick auf die Wanne in einer Ecke des Zimmers. »I-ich würde nur zu gerne den Schmutz von der langen Reise abwaschen.«

»Aye. Ich werde mich darum kümmern. Ich werde Ihnen auch ein Tablett mit einer leichten Mahlzeit bringen. Und dann müssen Sie sich ausruhen.«

»Danke«, sagte Clementina. »N-noch etwas, Mistreß Kerr – mein Mädchen Bessie. K-kann sie hier übernachten, ehe sie zurückkehrt?«

»Aber ja. Das Mädchen kann doch jetzt nicht wieder abreisen. Es muß genauso erschöpft sein wie Sie. Wir werden uns schon um sie kümmern, machen Sie sich keine Sorgen.«

»Danke.« Clementina lächelte die ältere Frau an. »Sie sind sehr freundlich.«

Als sie wieder allein war, schaute Clementina sich erst einmal um. Der Raum war teilweise mit Holz getäfelt, die Möbel dick gepolstert. Schwere rote Vorhänge umgaben das Bett, hingen auch zu beiden Seiten des großen Fensters, das tief in die dicke Mauer eingelassen war. Das Bett erschien ihr verlockend, aber Clementina wollte das saubere Leinen nicht mit ihren feuchten Kleidern verdrecken, deshalb begnügte sie sich fürs erste mit einem Stuhl vor dem Kamin, während sie auf das Badewasser wartete.

Es dauerte nicht lange, bis ein Klopfen ertönte und Mistreß Kerr wieder eintrat, mit einem Tablett mit kaltem Fleisch und noch ofenwarmem Brot in der Hand. Hinter ihr folgten zwei Zimmermädchen mit Eimern voll dampfend heißem Wasser.

»Die Köchin schickt ihre Entschuldigung wegen des kargen Mittagessens, aber da unten laufen sie sich die Füße wund wegen des Hochzeitsmahls.«

»H-hochzeitsmahl?« wiederholte Clementina überrascht.

»Aye. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, daß der Laird heiratet. Es hat seit über zwanzig Jahren keine Hochzeit mehr hier gegeben.«

»Oh, ich verstehe.« Aus irgendeinem Grund hatte sich Clementina nicht vorgestellt, daß ihre Hochzeit besonders festlich gefeiert würde, und nun schalt sie sich dafür. Warum sollte es kein Hochzeitsmahl geben? Nur weil sie der Eheschließung mit einem zunehmenden Gefühl von Furcht und düsteren Ahnungen entgegengeblickt hatte, bedeutete das nicht, daß die Leute hier das gleiche empfinden mußten.

Clementina nahm sich ein Stück Brot und sah zu, wie die Mädchen die Wanne füllten. Jede mußte dreimal laufen, bis die Wanne voll war, und das ließ Clementina genügend Zeit, sie zu beobachten. Sie wirken wie Schwestern, dachte sie, so ähnlich sahen sie einander. Beide hatten sie dunkle Haare, die sie lang und offen über den Rücken hängen ließen, und beide hatten sie helle Haut. Die kleinere von beiden schaute Clementina gelegentlich verstohlen und neugierig an, und Clementina lächelte jedesmal schüchtern, wenn ihre Blicke sich trafen.

Annie Kerr beobachtete ihrerseits Clementina. Das arme Mädchen erschien scheu und verängstigt. Und wo war ihre Familie? Als Annie unten in die Halle gekommen war und Clementina da so allein, großäugig und verängstigt hatte stehen sehen, hatten alle ihre Vorbehalte sich verflüchtigt. Sie war ja kaum mehr als ein Kind und wirkte jünger als ihre neunzehn Jahre. Wie konnte ihre Familie sie nur ganz allein, nur in Begleitung einer Magd, auf eine solche Reise schicken? Sie hätten doch wissen müssen, wie sie sich fühlen mußte. Und Jamie. Seine Wut würde sicher verrauchen, wenn er das erstemal seiner Braut gegenüberstand, denn sie war ein hübsches kleines Ding. Aye, wenn Jamie sie sah, würde er nicht mehr wütend auf sie sein. Zufrieden mit der Entwicklung der Dinge lächelte Annie in sich hinein.

Eine knappe Stunde später war Clementina sauber und erfrischt und lag in ihrem großen Bett. Ihre Sachen waren ausgepackt worden, die Kleider aufgehängt, und das Hochzeitskleid war zum Bügeln weggebracht worden. Mistreß Kerr hatte darauf bestanden, daß sie am Nachmittag ausreichend ausruhte, ehe sie sich für die Feier vorbereitete. Auch wenn Clementina der Kopf von ihren Gedanken schwirrte, genoß ihr erschöpfter Körper es, nach der langen Reise in einem so weichen Bett ausruhen zu können. In der behaglichen Wärme des Feuers wurden ihr die Lider schwer, und schon bald war sie tief eingeschlafen. So tief, daß sie nicht hörte, wie Annie Kerr ein paar Stunden später das Zimmer betrat und die Vorhänge um ihr Bett zurückzog, und sie regte sich erst, als Annie ihr eine Hand auf den Arm legte und ihren Namen nannte. Einen Moment lang fragte Clementina sich, wo sie war, aber dann erkannte sie die Haushälterin, die neben ihr stand, und plötzlich fiel ihr alles wieder ein.

»Es ist Zeit zum Ankleiden, Mylady. Es tut mir leid, Sie zu wecken, aber wir haben bis zur Feier nur noch eine Stunde Zeit.«

»Oh, habe ich den ganzen Nachmittag über geschlafen?« fragte Clementina überrascht und kletterte aus dem Bett, wobei sie sich die frisch gewaschenen Haare aus dem Gesicht strich.

»Aye, aber das haben Sie auch nötig gehabt. Kommen Sie, ich helfe Ihnen beim Frisieren.«

Clementina setzte sich gehorsam auf den Stuhl vor dem Spiegel, während Annie ihre dicken Locken mit kräftigen und doch sanften Bürstenstrichen zu glätten begann. Dann wand sie ihr die Haare um den Kopf und steckte sie mit Kämmchen fest.

»Es muß nicht leicht sein, in die Fremde zu lauter unbekannten Leuten zu reisen, um einen Mann zu heiraten, den man noch nie gesehen hat«, begann Annie, die immer aussprach, was sie gerade dachte, und fuhr fort: »Gab es denn niemanden aus Ihrer Familie, der Sie zur Hochzeit hätte begleiten können? Ihre Mutter vielleicht?«

»Nein.« Clementina schüttelte den Kopf. »M-meine Mutter ist gestorben, als ich sechs Jahre alt war, und mein Vater kaum zwei Jahre später.«

»Was ist mit Geschwistern? Haben Sie denn gar keine Verwandten?«

»I-ich habe meinen Onkel Henry und Tante Margaret. Nachdem mein Vater gestorben war, ohne einen Sohn zu hinterlassen, ging der Besitz in Northamberton an Onkel Henry. E-er ist mit seiner Familie eingezogen, und ich habe bei ihnen gelebt.«

»Konnte denn keiner von ihnen Sie hierherbegleiten?«

»N-nein. Sie machen sich nicht viel aus Reisen, und der Weg hierher war weit.«

Clementina biß sich auf die Lippe und hoffte, daß die Frau, die es nur gut meinte, aufhörte, Fragen zu stellen. Annie spürte ihr Unbehagen und sagte nichts mehr, überlegte aber, was für Verwandte das waren, daß sie ein so junges Mädchen allein auf so eine weite Reise schickten. Ihr Herz erwärmte sich noch mehr für die junge Frau.

»Meister?« drang Clementinas sanfte Stimme in Annies Gedanken.

»Wer? Oh, Sie meinen den Laird.« Annie lächelte. »Nun, ich fürchte, ich bin ein wenig voreingenommen. Ich habe mich viele Jahre lang um ihn gekümmert und liebe ihn, als wäre er mein eigener Sohn, und seinen Fehlern gegenüber bin ich sicherlich blind, falls er überhaupt welche hat!« Sie lachte.

»Bitte, erzählen Sie weiter.«

»Nun, er ist groß und stark, wie Sie ja selbst bald sehen werden. Ich kann mir denken, daß viele, die ihn nicht gut kennen, ihn für furchteinflößend halten, aber sein Aussehen täuscht. Er ist freundlich und großzügig denen gegenüber, die ihm loyal ergeben sind, und das sind alle Clanmitglieder. Er folgt gerne seinem eigenen Kopf, und deshalb ist er auch so wütend über den Befehl des Königs, Sie zu heiraten. Ich habe ihn noch nie so wütend gesehen wie in dem Moment, als ihm klar wurde, daß er sich dem Befehl des Königs nicht widersetzen kann, daß er eine englische Braut akzeptieren muß und nicht eine von seiner eigenen…« Annie unterbrach sich abrupt, als sie Clementinas bleiches Gesicht im Spiegel sah.

»Es tut mir leid, Mädchen, was rede ich da? Machen Sie sich keine Sorgen. Er wird Ihrem hübschen Gesicht nicht widerstehen können, und er wird gut für Sie sorgen. So gut kenne ich ihn. Es ist nur so, daß er es haßt, wenn ein anderer ihm sagt, was er tun soll. Er trifft lieber seine eigenen Entscheidungen.«

Annie wandte sich ab und ergriff das Hochzeitskleid, das frisch gebügelt auf dem Bett ausgebreitet lag. Clementina betrachtete sich im Spiegel. Das war ja noch schlimmer, als sie befürchtet hatte. Er verabscheute die Ehe mit ihr – schlimmer noch, allein die Vorstellung, sie heiraten zu müssen, hatte den Mann in schwärzeste Wut versetzt. Und doch wagte er es nicht, sich dem König zu widersetzen. Wie konnte sie ihren Schwur leisten, wenn sie doch wußte, daß er sie verabscheute, ehe er sie überhaupt gesehen hatte? Unerwünschte Tränen brannten in Clementinas Augen, und hastig versuchte sie, sie zurückzudrängen, ehe Mistreß Kerr sie sah, denn die Frau war ihrem Herrn offenbar treu ergeben und würde sicher nicht verstehen, warum es jemand widerstreben sollte, seine Frau zu werden.

Clementina erhob sich, während Annie ihr erst das Unterkleid aus Satin und anschließend das Kleid selbst überstreifte. Sie hatte das Gefühl, daß die Beine sie kaum tragen wollten. Wenn dies hier ein glücklicherer Anlaß gewesen wäre, wäre Clementina nur zu froh gewesen, ein Kleid wie dieses tragen zu dürfen, denn sie hatte nie auch nur ein halb so schönes besessen, aber so stand sie nur da und ließ es über sich ergehen, daß Annies rasche Finger ihr das Kleid zuknöpften und die Spitze glätteten, ehe sie die Ärmel aufbauschten.

»Sie sehen sehr schön aus, Kind.« Annie trat einen Schritt zurück, um ihr Werk zu bewundern. »Haben Sie ein Schmuckstück dazu? Eine Kette vielleicht?«

»Aye. M-meine Perlen. Ich h-hätte gleich daran denken sollen.« Clementina trat zu ihrer Truhe und zog ein kleines Holzkästchen hervor. Es war ein einfaches Kästchen mit einfachem Schmuck, aber sie hing sehr daran, weil er einst ihrer Mutter gehört hatte. Als Clementina mit steifen Fingern versuchte, die Schließe zu öffnen, kam Annie ihr zu Hilfe.

Dann stand Clementina stumm vor dem Spiegel und betrachtete die fremde, elegante Erscheinung darin. Der Rock ergoß sich in goldbraunen Falten großzügig von ihrer schmalen Taille bis auf den Boden, und die reich bestickte Korsage schmiegte sich eng an ihren schlanken Oberkörper. Onkel Henry hatte auf einer angemessenen Zahl neuer Kleider bestanden, und Clementina konnte nur annehmen, daß ihr sonst so geiziger Onkel nicht gewollt hatte, daß die neue Familie ihn als armen Mann betrachtete. Clementina mußte lächeln, als sie sich vorstellte, wieviel Seelenruhe ihn dies gekostet haben mochte.

Wenn doch nur ihre Mutter an diesem Tag bei ihr hätte sein können, wenn sie, Clementina, heute doch nur nicht allein sein müßte! Als sie erneut Tränen in ihren Augen aufsteigen spürte, wandte sie hastig den Blick vom Spiegel und ärgerte sich über sich selbst, daß sie so sentimental war und es zuließ, daß sie sich immer wieder dem Selbstmitleid ergab.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie zusammenzucken, und sie wandte sich mit großen Augen um, als Annie Kerr zur Tür ging, doch als sie sah, daß es Hugh Cameron war, der mit einem bewundernden Grinsen und einer kleinen Blume in der Hand ins Zimmer trat, entspannte sie sich wieder.

»Sie sehen entzückend aus, Mylady. Eine wirklich schöne Braut.«

Clementina lächelte voller Dankbarkeit und machte einen kleinen Knicks, ehe sie die Blume entgegennahm.

»Danke, Sir.«

»Gern geschehen. Jamie ist ein glücklicher Mann, auch wenn ich bezweifle, daß er das jetzt schon weiß. Alle sind unten in der Kapelle versammelt. Sind Sie fertig?«

Clementina sah zu Annie herüber. »Ich g-glaube, ja. K-kommen Sie auch mit hinunter, Mistreß Kerr?«

»Aye, ich werde doch die Hochzeit des Laird nicht verpassen.«

»N-nein, n-natürlich nicht«, stammelte Clementina. Eine kalte Faust der Furcht faßte nach ihrem Herzen, und ihre Glieder wurden seltsam schwach. Sie fragte sich, wie sie es schaffen sollte, auch nur einen Schritt zu machen, und sie betete, daß es kein weiter Weg bis zur Kapelle sein möge. Doch dann hob sie das Kinn und sagte: »Nun, dann wollen wir gehen.«

Kapitel 3

Als Clementina den langen Gang zwischen all diesen unbekannten Menschen hindurch zum Altar schritt, hatte sie das Gefühl, sich in einem Traum zu befinden. Ihr Kopf war seltsam leicht, und trotz der vielen Kerzen in den Nischen der Seitenwände nahm sie die Gesichter der Anwesenden kaum wahr.

Ihr Blick konzentrierte sich auf die Gestalt, die am Ende des Ganges wartete. Er war in die Farben der Camerons gekleidet, trug ein weißes Hemd dazu. Groß, mit gestrafften Schultern stand er da und wandte nicht eine Sekunde den Blick von ihr.

Clementina schlug die Augen nieder, als sie zu ihm trat, weil sie nicht in der Lage war, ihn direkt anzusehen. Sein Blick war ohne jede Wärme gewesen, und unwillkürlich stützte Clementina sich haltsuchend auf Hughs Arm, als ihre Knie unter ihr nachzugeben drohten. Als sie ihr Ziel erreicht hatten, trat Hugh beiseite, und sie stand nun allein neben ihrem Verlobten.

Der Priester begann zu reden, und Clementina hob den Blick zu dem finsteren Gesicht über ihr. Sie biß sich auf die Lippen, ihr Atem ging stoßweise. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals einen so großen Mann gesehen zu haben, und sein harter Gesichtsausdruck brachte sie dermaßen außer Fassung, daß sie kaum etwas anderes wahrnahm – sie spürte nur Überraschung, daß Augen von einem so warmen, tiefen Braun eine solche Kälte ausstrahlen konnten.

Clementina hörte, wie er mit tiefer Stimme, die nur einen Hauch von schottischem Akzent verriet, seinen Eid leistete, und dann war sie an der Reihe. Clementina schaffte es, indem sie das Gelöbnis Wort für Wort nachsprach, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Dann packten seine Hände die ihren in einem warmen, festen Griff, und er steckte ihr den Ring an den Finger. Clementina betrachtete ihre Hand, als er sie losließ. Das breite Goldband war viel zu weit. Sie würde den Ring sicher verlieren.

Der Priester sprach noch eine Weile von Gott und von Ehe, und dann war es vorbei. Sie war für alle Zeit an den Fremden an ihrer Seite gebunden, und Clementina fragte sich, ob sich wohl je eine Braut so einsam und trostlos gefühlt hatte wie sie. Dann legten sich die starken Hände ihres Mannes um ihre Taille, als er sich herabbeugte und ihr einen Kuß auf die Wange hauchte – eine Geste, die die Gemeinde erwartet hatte, aber nicht die Braut. Clementinas Augen weiteten sich, sie wich einen Schritt zurück und wäre gefallen, wenn seine Hände sie nicht festgehalten hätten. Sie errötete heftig und senkte den Blick, während er ihren Arm ergriff und sie durch das Kirchenschiff zum Ausgang geleitete. Ohne ein Wort zu sagen, schritt er bis zum Speisesaal neben ihr her, wo alles für das Hochzeitsmahl bereitet war.

Nachdem sie an der langen Tafel Platz genommen hatten, sah Clementina sich um. Wenn sie nicht so nervös gewesen wäre, hätte sie den Anblick zu schätzen gewußt, der sich ihr bot, denn die langen Tische waren mit Damasttüchern gedeckt und mit Blättern und Wiesenblumen hübsch dekoriert. Aber so benommen, wie Clementina war, sah sie nur die langen Reihen der Menschen, die die gleichen Farben trugen wie ihr Ehemann, sie aus unfreundlichen Augen musterten und sich gedämpft unterhielten, ohne daß auch nur ein wenig Freude auf kam.

Dann begannen die Geiger zu spielen. Ihre Musik erfüllte den großen Raum, durchbrach die unbehagliche Stille und lockerte die Spannung ein wenig. Bedienstete brachten das Essen herbei, und schon bald hatten sie ein Festmahl vor sich. Fleisch von Lamm, Schaf und Rind, ganze Gänse, Hühner und Forellen waren auf riesigen Platten angerichtet, und dazwischen standen Schüsseln mit Gemüse, Kartoffeln, gezuckerten Aprikosen und anderen Früchten. Im Mittelpunkt, direkt vor Clementina, stand ein ganzes geröstetes Lamm. Das offene Maul war mit einer Kräutermischung gefüllt, und angewidert wandte Christina den Blick ab.

Neben ihr saß ihr Ehemann. Seine Schultern waren so breit, daß sie sich noch kleiner als sonst fühlte, und für einen Moment schloß Clementina die Augen und fragte sich, wie sie das Essen an seiner Seite überstehen sollte, ganz zu schweigen den Rest ihres Lebens. Sie teilten sich eine Sitzbank, und das brachte ihn in Clementinas Augen viel zu nahe an sie heran, denn jedesmal, wenn er die Hand nach seinem Weinglas ausstreckte, streifte er sie mit dem Ellenbogen. Als er das Glas hob, riskierte sie einen raschen Blick aus den Augenwinkeln auf ihn. Sie sah, daß sein Haar dick und fast schwarz war, sein schmales Gesicht war gebräunt, was ihr verriet, daß er viele Stunden im Freien verbrachte. Er hatte eine gerade Nase und einen schmalen Mund, der ihr grausam vorkam. Auf dem Weg von der Kapelle hierher hatte sie seinen kalten Blick ein- oder zweimal auf sich gespürt, aber jetzt konzentrierte er sich zum Glück auf seinen Wein.

Es erschreckte sie, als er sie plötzlich ansprach, und Clementina verschüttete etwas Wein auf das Tischtuch. »Ich hoffe, du fandest die Reise nicht zu anstrengend?«

Clementina sah den Riesen neben sich an. »Nein, M-mylord.«

»Wie hat dir die Landschaft im Hochland gefallen?«

Er sprach mit kühler Förmlichkeit, und Clementina hatte nicht den Eindruck, daß er ihr mit seinen Fragen helfen wollte, sich wohler zu fühlen. Im Gegenteil, er wollte sicher, daß sie sich hier nicht wohl fühlte.

Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn er ihr überhaupt keine Unterhaltung aufgezwungen hätte. Oder aufhören würde, sie so anzusehen. Diese dunklen Augen verunsicherten sie in höchstem Maße.

Clementina holte tief Luft und antwortete. »W-wir sind durch Landschaften gekommen, w-wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe, M-mylord. Ich f-fand d-die Berge und T-täler höchst eindrucksvoll, aber auch einschüchternd. Al-allein hätte ich n-nie den Weg hindurchgefunden.«

»Bist du wirklich neunzehn?«

Verstört durch den plötzlichen Themenwechsel sah Clementina ihn an und antwortete leicht verärgert: »Ich versichere Ihnen, S-sir, daß ich es bin. Mein neunzehnter Geburtstag ist sch-schon ein p-paar Monate her.«

Die Andeutung eines Lächelns glitt über sein Gesicht. »Verzeih meinen Zweifel, aber du siehst jünger aus.« Er machte eine Handbewegung zu ihrem schlanken Körper hin, und Clementina spürte, wie sie heiß errötete.

»Du hast kaum etwas gegessen. Sind alle englischen Mädchen so zurückhaltend beim Essen?«

»N-nein, n-nicht alle«, stammelte Clementina und dachte an Rachel und Anne.

»Dann muß ich dich dazu bringen, daß du mehr ißt.« James schnitt ein paar Scheiben Forelle auf und reichte sie ihr, ehe er sich an den Mann zu seiner Linken wandte und sie wieder ignorierte.

Die Forelle war köstlich, aber Clementina brachte nur ein paar Bissen herunter. Ihre Kehle war so eng, daß sie kaum schlucken konnte. Es war schade, daß sie dem Essen nicht gebührend zusprechen konnte, und sie konnte nur hoffen, daß die Gäste nicht glaubten, sie wäre undankbar oder würde ihre Speisen verachten. Es ruhten viele Blicke auf ihr, einige neugierig, aber die meisten feindselig. Clementina konnte nicht verstehen, warum vollkommen Fremde sie ablehnen und verachten sollten, obwohl sie sie überhaupt nicht kannten.

Obwohl sie wenig Appetit hatte, fuhr sie doch fort, immer wieder an dem Wein zu nippen, der vor ihr stand. Sie spürte bereits, wie er ihr Blut erwärmte und ihre Furcht betäubte, und zum erstenmal wandte sie sich an einen Jungen an ihrer anderen Seite, der noch jünger aussah als sie. Sein dickes braunes Haar war kurz geschnitten und seine Haut so glatt wie die eines Kindes. Sie waren einander vorgestellt worden, als sie Platz genommen hatten, und Clementina erinnerte sich, daß der Junge Davie hieß.

»E-eßt ihr hier immer so gut?« erkundigte sie sich scheu.

»Nein, natürlich nicht!« Davie lachte. »Heute ist ein besonderer Anlaß.«

Clementina nahm einen weiteren Schluck Wein, ehe sie sich ihm erneut zuwandte. »Mir fällt auf, d-daß die meisten hier dieselben Farben tragen. B-bist du auch ein Cameron?«

»Aye, das bin ich. Mein Vater war ein jüngerer Bruder von Jamies Vater.«

»Dann bist du ein Cousin meines Mannes?«

»Aye.«

Der Junge hatte ein nettes Gesicht und ein freundliches Lächeln, und Clementina entschied, daß sie ihn mochte. Sie entspannte sich ein wenig und fragte ihn dann, ob er schon sein ganzes Leben in Lochaber verbracht habe.

»Ich bin hier geboren, aye, und mein Bruder auch.«

»Dein Bruder?«

»Alexander. Dort, neben Jamie.«

»Oh.« Auch ihm war Clementina vorgestellt worden, und seine genaue Musterung hatte sie unsicher gemacht. »Ich wußte nicht, daß ihr Brüder seid.«

»Er ist auch mehr Vater als Bruder für mich. Unsere Eltern sind schon seit vielen Jahren tot, und Alex und Jamie haben beide Vaterstelle an mir vertreten.«

Plötzliche Sympathie erfaßte Clementina, und sie spürte eine Verwandtschaft zu dem Jungen, der von zwei so hart aussehenden Männern aufgezogen worden war.

»Auch ich w-weiß, w-was es bedeutet, seine El-Eltern zu verlieren«, fuhr sie fort. »Du warst sicher einsam.«

»Einsam?« wiederholte Davie überrascht. »Es ist unmöglich, auf Glenachen einsam zu sein. Was meine Eltern angeht, so war ich noch ein Baby, als sie starben, also kann ich nicht sagen, daß ich sie vermisse, denn ich habe sie ja nie gekannt.«

»Oh.« Clementina trank noch einen Schluck Wein und setzte das Glas dann sorgfältig ab. Wirklich, sie durfte nicht noch mehr trinken – in ihrem Kopf begann sich bereits alles zu drehen.

»Noch mehr Wein, Clementina?« Langsam gewöhnte sie sich an die tiefe Stimme ihres Mannes. Er füllte ihr Glas erneut, ehe sie antworten konnte, und reichte es ihr etwas unsicher. Clementina begriff, daß auch er nicht mehr ganz nüchtern war. Sie hatte noch nie zuvor einen Mann oder eine Frau gesehen, die zuviel getrunken hatten, aber seine Stimme klang nicht mehr so eisig wie am Anfang, wenn er sie ansprach, und da seine Augen unnatürlich schimmerten, nahm sie an, daß der Alkohol der Grund dafür war.

»Willst du nicht auf unsere glückliche Zukunft trinken?« fragte er, als er ihr Zögern bemerkte, den Wein anzunehmen. Clementina hörte den Sarkasmus in seiner Stimme, und Ärger keimte in ihr auf. Er gab sich kein bißchen Mühe, die Situation für sie einfacher zu machen. Clementina nahm den gebotenen Wein an und nippte daran, wobei sie hoffte, daß seine Aufmerksamkeit bald wieder den anderen Gästen gelten würde. Aber er war beharrlich, und ein amüsiertes Funkeln erschien in seinen Augen.

»Glaubst du, daß du mir eine gute Frau sein wirst, Clementina?«

Sie zögerte, hin und her gerissen zwischen ihrem Verlangen, diesem arroganten Mann eine Abfuhr zu erteilen, und der Furcht, ihn zu verärgern. Sie verfluchte ihre Feigheit und murmelte: »Ich w-werde mein B-bestes tun, Mylord.«

Aber dabei dachte sie, daß sie ihn jetzt schon nicht mochte, weil er sie mit dieser nur schlechtverhohlenen Verachtung behandelte und weil seine Blicke und sein Ton, wenn er mit ihr sprach, arrogant waren und ihr nicht gefielen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Entsetzt, daß sie hier vor aller Augen in Tränen ausbrechen könnte, biß Clementina sich auf die Lippe und konzentrierte sich darauf, gleichmäßig zu atmen. Wenn sie jetzt die Fassung verlöre, würde es diese Leute nur in dem bestätigen, was sie sowieso schon von ihr dachten – daß sie es nicht wert war, die Herrin ihres Clans zu werden. Auf dem Tiefpunkt ihres Selbstbewußtseins angelangt, war Clementina geneigt, ihnen zuzustimmen.

Dann riß sie ein seltsames Geräusch aus ihren Überlegungen – es war Musik, aber andere, als sie je zuvor gehört hatte. Sie sah auf, um zu sehen, wo sie herkam, und entdeckte einen Mann, der am Tisch entlangschritt und auf etwas blies, das aussah wie eine ganze Sammlung von Flöten. Er trug die Kleidung, die hier offenbar als eine Art Uniform üblich war: Ein safrangefärbtes Hemd, und darüber Meter um Meter Wolltuch in den Cameronfarben, die sich um seine Taille schlangen und an der Schulter mit einer Nadel gehalten wurden. Die Musik klang nicht schlecht, und Clementina hörte mit Interesse und nicht ohne Dankbarkeit zu, weil ihr Ehemann sich wieder Alex Cameron zugewandt hatte, um sich mit ihm zu unterhalten, und keinen weiteren Versuch unternahm, mit ihr zu reden.

Clementina fuhr fort, während des nicht enden wollenden Mahls gedankenverloren mit ihrem Essen und dem Wein zu spielen, und nur mit Davie wechselte sie gelegentlich ein paar Worte. Als die Nacht fortschritt, änderte sich allmählich die Stimmung der versammelten Camerons, dank des Weinkonsums, wie sie annahm, und sie spürte, daß sie nicht länger im Mittelpunkt ihres Interesses stand. Im Gegenteil, alle waren so intensiv mit essen, trinken und sich unterhalten beschäftigt, daß es wahrscheinlich niemand gemerkt hätte, wenn sie den Raum verließe, und sie fragte sich unglücklich, welches Schicksal wohl schlimmer war – fortwährend verachtet und beschimpft oder vollkommen links liegengelassen zu werden.

Schließlich fragte Clementina sich, wie lange sie es wohl noch schaffen würde, nicht vor Erschöpfung vom Stuhl zu fallen oder vor lauter Selbstmitleid in Tränen auszubrechen, und in diesem Moment tippte ihr jemand auf die Schulter. Als sie sich umwandte, stand Annie Kerr hinter ihr.

»Verzeiht, Mylady, aber ich habe bemerkt, daß Sie fast einschlafen. Wenn Ihr Ehemann nichts dagegen hat, begleite ich Sie auf ihr Zimmer.«

Hoffnungsvoll sah Clementina zu dem Mann an ihrer Seite auf.

»Aye, Annie. Nimm sie mit. Ich bleibe noch ein bißchen hier.« Jamie stand unsicher auf und half Clementina vom Stuhl. Überrascht von seiner höflichen Geste, erhob sich Clementina, während er ihre Hand ergriff und zu einem Kuß an die Lippen führte.

»Gute Nacht, Lady, Annie wird sich vorerst um dich kümmern.«

Ehe Clementina Zeit hatte, über diese Bemerkung nachzudenken, hatte Annie Kerr sie bereits aus dem Saal gezogen und steuerte durch die große Halle auf die Treppe zu.

»Danke, Mistreß Kerr«, sagte Clementina erleichtert. »I-ich bin schon fast auf dem Stuhl eingeschlafen. Ich h-hätte nicht soviel Wein trinken dürfen.«

»Sie haben bei weitem nicht so viel getrunken wie mancher andere«, erwiderte Annie, und Clementina vermutete richtig, daß die ältere Frau ihren Ehemann meinte.

»T-trinkt er im-immer so – großzügig?« fragte Clementina vorsichtig, während sie die Treppe emporstiegen.

»Nein. Aber heute muß er sein schlechtes Gewissen ertränken.«

»Schlechtes Gewissen?«

»Aye. Er weiß sehr wohl, daß er netter zu Ihnen hätte sein müssen. Lassen sie ihm Zeit, Kind. Die braucht er.«

Clementina war von Mistreß Kerrs Worten verwirrt. Sollte dieser fürchterliche Mann wirklich ein Gewissen haben? Sie bezweifelte das sehr, aber andererseits kannte Mistreß Kerr ihn schon sein Leben lang. Clementina konnte hier oben noch die Musik hören, und fröhliche Gesprächsfetzen klangen von unten herauf. Die Stimmung dieser Schotten war eindeutig besser geworden, seit sie sie allein gelassen hatte.

»G-glauben Sie, daß die anderen sich auch bald zurückziehen werden, Mistreß Kerr, oder wird die Feier noch die ganze Nacht dauern?«

»Das hängt vom Laird ab, Kind. Keiner wird gehen, bevor er sich erhebt.«

»Oh.« Clementina sank in den Stuhl vor dem Ankleidetisch, während Annie damit begann, ihr das Kleid aufzuknöpfen. Diese letzte Auskunft bestärkte sie nur in der Meinung, die sie bereits von ihrem Mann hatte. Daß niemand vor dem Laird den Saal zu verlassen wagte, kam ihr geradezu mittelalterlich vor. Dieser arme Junge Davie. Würde er die halbe Nacht am Tisch sitzen müssen, nur weil sein Laird beschlossen hatte, sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken?

Abwesend zog sich Clementina die Kämme aus dem Haar und betrachtete ihre linke Hand mit dem breiten Goldreif am Finger. Ob er es ihr übelnehmen würde, wenn sie den Ring abnahm? Falls sie es nicht tat, würde sie ihn wahrscheinlich im Bett verlieren, deshalb streifte sie ihn ab und legte ihn sorgfältig auf den Tisch. Wenn sie alles andere doch auch so einfach abstreifen könnte wie ihre Hand! Und währenddessen plauderte Annie Kerr über dieses und jenes, fast, als wäre auch sie nervös. Mißtrauisch warf Clementina ihr einen Blick zu. Annie faltete gerade eines der hübschen neuen Nachthemden auseinander, die Teil ihrer Mitgift waren. Es war aus feinster Baumwolle und an Halsausschnitt und Ärmeln mit kleinen Rosenknospen bestickt. Clementina erhob sich und ließ es sich über den Kopf streifen, dann band Annie ihr die Bänder an der Korsage zu.

»Setzen Sie sich, Kind, damit ich Ihnen die Haare bürsten kann.«

Clementina nahm wieder auf dem Stuhl vor dem Frisiertisch Platz und spielte mit den Bändern an ihren Ärmeln. Sie war unglaublich müde, aber dennoch rasten ihre Gedanken. Am liebsten hätte sie sich jetzt noch eine Weile mit der älteren Frau unterhalten.

»Mistreß Kerr?«

»Aye?«

»Haben Sie immer schon h-hier gelebt? Bei d-diesem Clan, meine ich?«

»Nein, ich bin in der Ebene geboren, viele Meilen von hier in Pertshire. Ich war Kammerjungfrau von Alice MacPherson, die James Cameron geheiratet hat – Jamies Vater. Ich bin mit ihr hierhergekommen, als sie eine Braut war, so wie Sie jetzt.« Sie legte die Bürste hin. »So, mein Kind, Sie sehen entzückend aus.«

»Danke. Aber wie war sie? Alice, meine ich. War sie glücklich, daß sie hierherkam und James Cameron heiraten konnte?«

»Aye. Sie hat ihn auf den ersten Blick geliebt. Und nun gute Nacht, Mylady, ich muß jetzt gehen.«

Clementina erhob sich. »Danke für Ihre Hilfe. W-werde ich S-sie morgen früh sehen?« Sie ließ die Frau nur widerstrebend gehen. Irgendwie kam sie ihr vor wie eine Rettungsleine, das einzige, was sie mit der Normalität und Sicherheit verband. Clementina hatte Angst davor, in diesem großen Zimmer allein gelassen zu werden.

»Aye, aye, das werden Sie. Aber jetzt muß ich gehen«, wiederholte Annie bestimmt und öffnete die Tür. Dort blieb sie zögernd stehen und wandte sich noch einmal Clementina zu. »Machen Sie sich keine Sorgen, Kind. Er ist ein guter Mann. Er wird heute Nacht sanft mit Ihnen umgehen.« Dann ging sie und schloß die Tür leise hinter sich.

Clementina ließ sich auf das große Bett sinken, um über das nachzudenken, was die Haushälterin gerade gesagt hatte. Er wird sanft mit mir umgehen? Heute nacht? Würde sie ihn denn in der Nacht Wiedersehen? Hatte Mistreß Kerr sich deshalb soviel Mühe mit ihren Haaren und dem hübschen Nachthemd gegeben, das sie ausgesucht hatte? Doch bestimmt nicht. Dies war bloß eine Vernunftehe, die nur dem Namen nach bestand. Keiner von ihnen hatte vorgegeben, irgendwelche Gefühle für den anderen zu hegen, warum also sollte er in ihr Zimmer kommen? Clementina war nicht so unschuldig, daß sie nicht gewußt hätte, daß eine Art körperlicher Vereinigung zwischen Ehepaaren üblich war, aber sie war nicht für einen Moment auf die Idee gekommen, ihr widerstrebender Ehemann könnte wünschen, sie in diesem Sinne zu seiner Frau zu machen.

Langsam stahl sich eine tiefe Furcht in ihre Seele und ihren Körper, die im Magen begann und sich von dort immer weiter ausbreitete, bis ihre Hände und Füße eiskalt waren. Seltsame Bemerkungen, die Molly, das Mädchen in Northamberton Park, gemacht hatte, fielen ihr wieder ein. Das Mädchen hatte dabei immerzu gekichert, wobei es oft um die Schlafgewohnheiten anderer Bediensteter ging, aber immer schlug sie die Hand vor den Mund und verbarg ihre Erheiterung, wenn Clementina sie bat, ihr den Grund ihrer Belustigung zu erklären. Wenn Molly ihr doch nur etwas gesagt hätte, dann wüßte sie jetzt eher, was sie zu erwarten hatte.

Clementina sah sich im Zimmer um. Es war riesig. Groß genug für zwei und das Bett … Vielleicht konnte sie einfach die Tür abschließen. Aber wenn das hier wirklich auch sein Zimmer war, würde es ihn nur wütend machen, wenn sie ihn ausschloß, und sie hatte kein Verlangen danach, diesen Mann wütend zu erleben. Von unten klangen noch immer Musik und Gelächter herauf, also hatte sie zumindest noch Zeit. Vielleicht würde er ja darauf verzichten, sie zu wecken, falls sie bei seinem Eintreffen schon fest schlief. Clementina öffnete die Vorhänge und glitt in das große Bett, wo sie sich unter der Decke zusammenrollte und tatsächlich schon bald eingeschlafen war.

Sie fuhr auf, als ein lautes Geräusch sie weckte. Jemand war an der Tür und versuchte sie zu öffnen. Mit einem Schlag war sie hellwach und versuchte angsterfüllt, die Dunkelheit mit ihren Blicken zu durchdringen. Die Vorhänge waren noch nicht vorgezogen, aber die Kerze war schon lange niedergebrannt. Clementina hörte, wie die Tür aufging, und die Umrisse einer Gestalt, die die Tür hinter sich zutrat, waren zu erkennen. Clementina hatte keinen Zweifel daran, daß dies ihr Ehemann war. Niemand sonst hier war so groß, und niemand sonst würde es wohl wagen, mitten in der Nacht in ihr Zimmer zu kommen. Er schien Mühe damit zu haben, aufrecht zu stehen, denn er lehnte sich an die Wand, als er versuchte, eine Kerze anzuzünden. Schließlich gelang es ihm, und ein warmer Schimmer erhellte den Raum. In dem flackernden Schein kam ihr sein Gesicht geradezu satanisch vor, und Clementina schloß fest die Augen.

Er trat ans Bett, stellte die Kerze auf den Nachttisch und ließ sich schwer auf die Matratze sinken.

»Schläfst du schon, kleine Frau?« hörte sie ihn sagen. »Ich habe gedacht, daß du mich erwarten würdest.« Sarkastisch fuhr er fort: »Die Hochzeit ist noch nicht vorbei …«

Clementina öffnete die Augen einen Spalt und sah, daß er dabei war, sich aus dem Plaid zu wickeln, wobei er Mühe mit der Schulterschließe hatte und die ganze Zeit fluchte. Weil er ihr den Rücken zugewandt hatte, öffnete sie die Augen ganz und wagte es, einen Moment lang das Objekt ihrer Furcht und Verachtung zu betrachten. Sie sah, daß ihm schließlich gelang, was er sich vorgenommen hatte, und nachdem er das Plaid zu Boden geworfen hatte, begann er sein Hemd zu öffnen. Da verließ Clementina der Mut, und sie glitt wieder tief unter die Decke und kniff die Lider fest zusammen. Er hatte zweifellos vor, das Bett mit ihr zu teilen, und sie mußte die Hand vor den Mund pressen, um ihr erschrockenes Aufkeuchen zu dämpfen.

Dennoch schrie sie vor Überraschung auf, als er die Decke zurückklappte und neben ihr auf die Matratze sank. Gelähmt vor Furcht lag sie stocksteif da und wagte kaum zu atmen. Auch er lag einen Moment lang bewegungslos da, so nahe, daß seine Körperwärme zu ihr drang, was sie seltsamerweise fast tröstete. Doch dann drehte er sich plötzlich um und nahm sie in die Arme, ein Übergriff, der sie so sehr erschreckte, wie er ihr unwillkommen war, und sie begann, sich heftig gegen ihn zur Wehr zu setzen.

»Lieg still«, hörte sie ihn sagen, »ich werde dir nicht weh tun.« Aber seine Worte erhöhten nur ihre Entschlossenheit, freizukommen. Blinde Panik erfaßte sie, als ihr bewußt war, wie hilflos sie ihm ausgeliefert war, denn jetzt, wo sein großer Körper auf ihr lag und sie in die Matratze drückte, konnte sie sich kaum noch bewegen. Dann fand seine Hand die Bänder an ihrem Ausschnitt und drang vor zu ihren Brüsten, und Clementina entschied, daß das die äußerste Demütigung war, die sie je erlebt hatte.

Jamie war heute Nacht in das Schlafzimmer gekommen, weil er fest entschlossen war, sie in jeder Hinsicht zu seiner Frau zu machen. Irgendwann mußte es ja sein, hatte er sich gesagt. Der König hatte keinen Zweifel daran gelassen, daß er Erben aus ihrer Verbindung erwartete, und Jamie sah keinen Sinn darin, das Unvermeidliche hinauszuschieben. Sie war ein hübsches kleines Ding, zierlich, aber attraktiv genug, um diese Pflicht nicht zu einer lästigen zu machen. Und sie fühlte sich überraschend gut in seinen Armen an, wie er nun verdutzt erkannte. Tatsächlich überwältigte ihn ein unerwartet heftiges Verlangen, als seine Hand zum erstenmal ihre seidige Haut berührte. Nun bereute er plötzlich, daß er soviel Wein getrunken hatte, und er strengte sich an, seinen Kopf klar zu bekommen, um zu genießen, was sie an unerwarteten Gefühlen in ihm geweckt hatte.

Jamie spürte, wie sie sich unter ihm versteifte, suchte ihren Mund und küßte sie in der Hoffnung, daß sie sich entspannen würde.

Clementina zitterte, viel aufgewühlter von dem Intermezzo, als sie erwartet hätte. Ein Glück nur, daß er seine unglaublich intime Umarmung gelockert hatte. Wenn sie daran dachte, wie kühn seine Hand sie berührt hatte, wie wissend,