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Der menschliche Barkeeper Mercurius will mit der übernatürlichen Welt von Berlin nichts zu tun haben. Mit seiner Ruhe ist es allerdings vorbei, als in seinem Nachtclub ein mythisches Wesen zwei seiner Partygäste tötet und einen ganzen Raum in Schutt und Asche legt. Die mächtige Hexe Agnes beschuldigt Mercurius, das Wasserwesen selbst beschworen zu haben, und befiehlt ihm, sich rauszuhalten. Doch er hat sich noch nie gerne etwas von Agnes vorschreiben lassen. Gemeinsam mit seinem besten Freund Ferat macht sich Mercurius lieber selbst auf die Suche nach dem Schuldigen ...
Über die Serie: Mercurius ist Barkeeper, Nachtclubbesitzer - und ein Mensch. Diese Tatsache ist in seinem Fall nicht ganz selbstverständlich, hat er doch familiäre Verbindungen zur magischen Unterwelt von Berlin. Unbemerkt von der Öffentlichkeit leben Hexen, Elfen und Elementarwesen mitten in der Stadt. Mercurius will mit dieser verborgenen Welt nichts zu tun haben. Doch als ein mächtiges Wasserwesen in Merc’s Nachtclub auftaucht, den Abstellraum zertrümmert und zwei Partygäste tötet, kollidieren die beiden Welten auf einen Schlag ...
Für Fans von Ben Aaronovitch und Benedict Jacka
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Seitenzahl: 148
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Grußwort des Verlags
Die letzten Hexen von Berlin – Die Serie
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Mercurius ist Barkeeper, Nachtclubbesitzer – und ein Mensch. Diese Tatsache ist in seinem Fall nicht ganz selbstverständlich, hat er doch familiäre Verbindungen zur magischen Unterwelt von Berlin. Unbemerkt von der Öffentlichkeit leben Hexen, Elfen und Elementarwesen mitten in der Stadt. Mercurius will mit dieser verborgenen Welt nichts zu tun haben. Doch als ein mächtiges Wasserwesen in Merc’s Nachtclub auftaucht, den Abstellraum zertrümmert und zwei Partygäste tötet, kollidieren die beiden Welten auf einen Schlag …
Der menschliche Barkeeper Mercurius will mit der übernatürlichen Welt von Berlin nichts zu tun haben. Mit seiner Ruhe ist es allerdings vorbei, als in seinem Nachtclub ein mythisches Wesen zwei seiner Partygäste tötet und einen ganzen Raum in Schutt und Asche legt. Die mächtige Hexe Agnes beschuldigt Mercurius, das Wasserwesen selbst beschworen zu haben, und befiehlt ihm, sich rauszuhalten. Doch er hat sich noch nie gerne etwas von Agnes vorschreiben lassen. Gemeinsam mit seinem besten Freund Ferat macht sich Mercurius lieber selbst auf die Suche nach dem Schuldigen …
OLIVER SKUZA
Wütende Wasser
»Wir sind am Türsteher vorbeigekommen«, flüsterte Jana und zog sie vom Eingang weg. »Ist das zu fassen? Ich mein, wie der uns angeguckt hat. Ich dachte, der durchschaut das sofort.«
Marie erging es ebenso. Sie waren noch keine achtzehn. Ihre Lehrerin glaubte, sie würden in den Betten liegen. Und jetzt waren sie hier.
»Wusstest du, dass die einen Darkroom haben?«, fragte Jana begeistert. »Krass, oder? Da müssen wir unbedingt rein, Marie, aber du darfst mir nicht von der Seite weichen, sonst schrei ich laut nach Hilfe, völlig egal, wie peinlich das ist. Versprichst du mir das?«
Marie war nicht in der Lage, zu antworten. Der Club war überwältigend. Eine raue Industriehalle mit gigantischen Lichtanlagen und einem Meer aus Körpern.
»Das glaubt uns in Euskirchen keiner«, plapperte Jana weiter. »Die werden denken, wir verarschen sie. Wir müssen unbedingt Beweisfotos machen, für eine lückenlose Herleitung, dafür sorge ich. Mann, wie cool ist das.«
Etwas Seltsames passierte mit Marie. Sie hätte es kaum in Worte fassen können. Es war, als wäre sie wie Alice im Wunderland in einen Kaninchenbau gefallen und in einer Traumwelt gelandet. Sie begriff sofort, dass dies ein Ort war, nach dem sie sich ihr ganzes Leben gesehnt hatte, ohne es überhaupt zu wissen. Dass sie ihr Zuhause gefunden hatte.
Jana redete aufgeregt weiter. Sie schien sich nicht daran zu stören, dass Marie gar nichts sagte. Sie nahm ihre Hand, um sie auf die Tanzfläche zu ziehen, als ihr einfiel, dass Marie draußen in der Schlange noch unbedingt auf die Toilette wollte.
»Ach so«, sagte sie. »Geh ruhig erst aufs Klo. Nicht dass du dir in die Hose machst. Ich warte hier auf dich. Oder soll ich lieber mitkommen? Guck mal die Bar, die ist ja cool, oder? Ich besorge uns was zu trinken. Einen Gin Tonic für dich? Wie abgefahren ist das hier! Ich warte da vorne, siehst du?«
Hinter der Bar arbeitete ein tätowierter Barkeeper mit aschblondem Haar und milchiger Haut, der seltsam anmutig wirkte. Marie bestaunte ihn. Vor ihm am Tresen standen Frauen und Männer, verschiedene Hautfarben und Typen, trotzdem sahen sie alle aus wie eine Familie. Marie stellte sich vor, sie würde dazugehören. Sie stellte sich vor, die schneeweiße Haut des Barkeepers zu berühren. Obwohl sie nichts genommen hatte, fühlte sie sich total berauscht.
»Jetzt geh schon, Marie. Drück mal auf die Tube.«
Jana gab ihr einen kleinen Schubs, und Marie tauchte ein in die Clubwelt. In ihr neues Leben, so fühlte es sich zumindest an. Sie wandelte zwischen den Menschen, durch Lichter und Rhythmen, ohne so recht zu wissen, ob sie überhaupt den richtigen Weg zur Toilette eingeschlagen hatte.
»Hoppla. Pass auf, wo du hinläufst.«
Ein Anzugträger fing sie ab, bevor sie in ihn hineinstolpern konnte. Das war echt seltsam. Sie fragte sich, wie jemand wie der am Türsteher vorbeigekommen war. Der passte ja noch weniger hierher als zwei minderjährige Schülerinnen auf Klassenfahrt. Gleich danach fielen ihr seine bernsteinfarbenen Augen auf, die wie bei einem Teddybären aussahen.
»Tut mir leid«, sagte sie.
»Schon okay.« Er lächelte verlegen, wollte sie offenbar nicht gehen lassen. »War auch meine Schuld. Darf ich dich auf einen Drink einladen?«
»Ich suche eigentlich die Toilette.«
»Verstehe. Dann vielleicht später.«
»Ja, vielleicht.«
Er betrachtete sie eingehend. Marie wartete. Es dauerte einen Moment, bis er begriff.
»Ach so. Den Gang hier runter. Die Toiletten sind am anderen Ende.«
Sie bedankte sich und ging weiter. Als sie sich umsah, stand der Anzugträger in der Menge und sah ihr nach. Mit einem Lächeln, als wollte er ihr die Welt zu Füßen legen. Marie stellte sich vor, der blasse Barkeeper würde sie so anlächeln. Was für eine traumhafte Vorstellung.
Sie irrte weiter, durch labyrinthartige Gänge, vorbei an feiernden Menschen, an knutschenden Pärchen, bis am Ende eines weniger belebten Gangs eine unscheinbare Tür auftauchte. Möglich, dass dort das Klo war. Sie sah sich noch einmal um, ließ diesen großartigen Club auf sich wirken, dann stieß sie die Tür auf.
Vor ihr lag ein gefliester und in Neonlicht getauchter Raum. Bierkisten standen übereinander, Regale mit Gläserkartons, es gab demolierte Umkleidebänke, Spinde mit defekten Schlössern und ein paar versiffte Toiletten. Es war ein Personalraum. Warum war der dann nicht abgeschlossen?
Die Tür schlug hinter ihr zu, und augenblicklich war sie allein. Die Bässe waren jetzt gedämpft, und sie hörte das Tropfen eines undichten Wasserhahns. Ein halbblinder Spiegel hing über einem Waschbecken. Sie trat näher und betrachtete sich. Sie wollte die neue Marie sehen, die in einem Nachtclub zu Hause war. Um erwachsen zu wirken, hatte sie ordentlich Make-up aufgelegt. Jetzt fand sie, es wäre besser gewesen, keine Schminke zu tragen. An einem Ort wie diesem, fand sie, konnte sie die sein, die sie war. Einen eigenen Style finden und sich nicht unter Schichten von Make-up verstecken, nur um älter zu wirken. Sie wollte die ganze Nacht tanzen. Sie wollte dazugehören. Beim nächsten Mal, sagte sie sich.
Glücklich wandte sie sich um zu den Toiletten. Eine der Klotüren stand weit offen. Die Schüssel hatte einen Sprung, und das Wasserrohr war angelaufen. Irgendwas stimmte damit nicht. Die Party rückte in den Hintergrund. Sie starrte das Klo an wie ein Suchbild, in dem ein Fehler versteckt war.
»Hallo?«, rief sie. »Ist hier jemand?«
Nichts. Sie war allein.
Da flog die Tür auf, die Bässe wurden lauter und verstummten wieder, und zwei Männer standen im Raum. Das seltsame Klo war vergessen. Es waren Anzugträger. Der Mann mit den Knopfaugen, den sie fast angerempelt hatte, und ein bulliger Typ, offenbar sein Kumpel, dessen Pupillen groß waren wie Unterteller. Die beiden betrachteten sie schweigend.
»Was wollt ihr hier?«, fragte sie und wusste selbst nicht genau, ob sie den Club meinte, der nicht umsonst einen Türsteher hatte, oder den Personalraum. »Das ist nur für Personal.«
Sie hörte selbst, wie defensiv sie klang. Der Typ mit den Knopfaugen lächelte. Fast auf die gleiche Weise wie eben in der Menge, als wollte er ihr die Welt zu Füßen legen. Das Ganze wirkte ziemlich gruselig.
»Ich gehe jetzt«, teilte sie ihnen mit und steuerte die Tür an.
Wie aus dem Nichts packte sie der Bullige hart am Arm und versperrte den Weg. Marie stolperte entsetzt zurück. Das konnte nicht sein Ernst sein. Die beiden bauten sich vor ihr auf, wie um klarzumachen, dass sie keine Chance gegen sie hatte. Erst jetzt begriff sie so richtig, was passierte. Es war deren Ernst. Sie zogen sie aus dem Kaninchenbau, in den sie sich hatte glücklich hineinfallen lassen, mit Gewalt wieder heraus. Rissen sie aus ihrer Traumwelt in eine grausame Realität.
»Komm schon, mach dich locker«, sagte er Bullige. »Wir wollen nur ein bisschen Spaß haben.«
»Mein Freund wartet draußen.«
»Huh! Dein Freund. Jetzt krieg ich ja Angst.«
Das passiert nicht, schoss es ihr zusammenhanglos durch den Kopf. Das darf nicht passieren. Ich erlebe dies nicht. Das ist komplett irre.
Der Bullige trat mit hässlichem Grinsen näher. Der andere sagte gar nichts. Er sah so harmlos aus mit seinen schönen Augen. So nett und mitfühlend. Sie stolperte wie hypnotisiert zurück.
Tu was, verdammt!, hallte es durch ihren Kopf, als wäre da eine andere Marie, die das Ruder übernahm. Hau ab!
Die offene Tür des Personalklos, dachte sie überstürzt. Sie könnte sich dort einschließen. Per Handy Hilfe holen. Außerdem war der Personalraum nicht abgeschlossen, und das hieß, dass jeden Moment ein Mitarbeiter vom Club auftauchen musste. Bestimmt der blasse Barkeeper, der sie retten würde.
Wie auf Kommando stürzte sie auf die Kabine zu. Mit einem Teil ihres Gehirns, der wie abgespalten war, fragte sie sich immer noch, was mit dem Klo nicht stimmte. Da wurden ihr die Beine weggeschlagen. Sie fiel der Länge nach auf die schmutzigen Bodenfliesen. Ihre Fußknöchel wurden gepackt, und der Bullige zog sie mit einem widerlichen Lachen von ihrer vermeintlichen Rettung weg.
Da endlich begriff sie wie im Nebel, was das Sonderbare an dem Klo war. Es warf keinen Schatten. Die Neonröhre an der Decke strahlte hartes Licht ab, aber weder die Rohre noch der hochstehende Deckel warfen Schatten auf die dahinterliegenden Fliesen. Das war unmöglich!
»Möchtest du mir nicht hiermit helfen?«
Der Bullige deutete auf seinen Hosenschlitz.
»Wenn du nett bist, dann tut es nicht weh.«
Sein Grinsen zog sich übers ganze Gesicht. Er genoss seine Macht. Doch Marie konnte den Blick kaum vom Klo lösen.
Die Luft in der Kabine schien sich zu verformen. Der Raum wölbte sich. Die Wände zitterten, und oberhalb der Wasserspülung schlug ein Augenlid auf. Ein fußballgroßes Auge sah auf sie herab, mit einem Blick, in dem nichts Menschliches lag. Das Klo, oder vielmehr dessen Abbild, verformte sich. Rohre und Fliesen kräuselten sich, die gesamte Kabine glitt wie Wasser zur Seite und gab den Blick frei auf ein Trümmerfeld aus Fliesen und Emaille, während das zerknautschte Abbild des unversehrten Klos als riesiger chamäleonartiger Haufen samt Auge weiter in den Raum glitt. Plötzlich waren die Anzugträger nicht mehr das Gruseligste im Personalraum.
»Was ist los, du Miststück?«
Der Bullige schien irritiert. Er fragte sich offenbar, weshalb er Maries Aufmerksamkeit verloren hatte. Dass sie vor ihm Angst hatte, war Teil des Spiels. Aber als er sich umdrehte, war es schon zu spät. Der Haufen öffnete sein Maul, eine schleimtriefende Fangzunge schoss heraus und packte ihn. Mit einem grauenhaften Schmatzen verschwand der Mann in dem Schleimberg und war verschwunden.
Maries Kopf war wie leergefegt. Der Berg glitt zur Seite, zerdrückte knirschend eine Umkleidebank unter sich und bildete sie anschließend samt Fliesen und Wände auf seiner Körperoberfläche ab. Kein Mensch, der die Verwandlung nicht gesehen hätte, wäre auf die Idee gekommen, dass vor ihnen keine gewöhnliche Umkleidebank stand.
Ihre Instinkte übernahmen. Sie schob sich panisch auf Händen und Füßen von dem Monster weg. Verkroch sich unter das Waschbecken und klammerte sich an ein Rohr. Der Anzugträger mit den Knopfaugen, der ebenfalls zu Boden gegangen war, kroch entsetzt in ihr Versteck und versuchte sie wegzudrücken. Marie verteidigte ihren Platz mit Händen und Füßen. Sie hatte keinen Funken Angst mehr vor dem Typen. Trat mit aller Kraft zu, völlig egal, wo sie ihn traf. Das Monster färbte sich ozeanblau, bewegte sich wabernd auf sie zu, wie ein Pizzateig auf abschüssiger Fläche.
Der Anzugträger sprang mit einem Satz auf und riss die Tür zum Putzschrank auf, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Die plötzliche Bewegung zog die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich. Die grässliche Zunge schoss wieder hervor und umschlang seine Hüfte. Er klammerte sich mit einem hellen Schrei an den Türgriff, und der Putzschrank flog mit so einer Wucht auf, dass Eimer, Besen und Putzmittel durch den Raum flogen. Er verlor sofort den Halt und begann laut herumzuschreien, während das Monster ihn unerbittlich näher zog. Seine Hände patschten über den glatten Boden und suchten wild rudernd nach irgendeinem Halt. Marie zog sich unter das Waschbecken zurück.
Die Tür flog krachend auf. Zwei Männer stürmten in den Raum. Da war er endlich: der tätowierte Barkeeper mit der schneeweißen Haut. Sie hatte gewusst, er würde sie retten. Hinter ihm ein kleiner untersetzter Mann mit Halbglatze und Schweinsaugen. Die beiden blieben stehen und starrten ungläubig das Monster an. Der Barkeeper stieß die Luft aus. Er wandte sich an den kleinen Mann.
»Willst du mich verarschen?«
»Ich … ich weiß nicht, was ich …«
»Was zur Hölle ist das, Basilius?«
Der untersetzte Mann antwortete nicht. Er war wie gefangen von dem Monster.
»Habt ihr sie noch alle?«, rief der Barkeeper. »Das kann nicht euer Ernst sein. Das ist doch kein …«
Ab da gingen seine Worte in dem Kreischen des Anzugträgers unter. Mit einem Fluch sprang der Barkeeper kurzerhand in den Raum und packte seinen Arm. Der Mann klammerte sich sofort an ihn wie an einen Rettungsring.
»Basilius! Ich kann ihn nicht lange halten.«
»Ich weiß nicht, wie ich es …«
»Jetzt hilf mir, verdammt!«
Der untersetzte Mann hob die Hände wie zu einer Beschwörung und murmelte unverständliche Worte. Die Luft schien sich zu bewegen, schien Wellen zu schlagen. Das teigartige Wesen zog sich unter Schmerzen zusammen, wechselte aufgeregt die Farbe, mehr passierte indes nicht. Mit der Fangzunge hielt es seine Beute fest umklammert.
»Basilius!«
»Ich hab alles unter Kontrolle.«
Die Beschwörung wiederholte sich, leider mit dem gleichen Ausgang. Der Anzugträger schnappte verzweifelt nach den Armen seines Retters, verlor dabei den Halt, und im nächsten Moment hatte der Barkeeper nur noch die Anzugjacke in den Händen. Der Mann verschwand augenblicklich im Maul des Ungeheuers, wie schon zuvor sein Freund. Wieder dieses schmatzende Geräusch, dann waren die Schreie verstummt.
Marie spürte Entsetzen. Der Barkeeper war doch da, um sie retten, oder etwa nicht?
Er warf das Jackett zur Seite.
»Wir müssen ihn zurückholen. Schnell.«
»Ich … ich versuche alles. Das ist nicht so leicht.«
Der Mann setzte seine Beschwörung fort. Das Wesen zuckte zwar, aber das war alles. Im Gegenteil. Es schien jetzt richtig stinkig zu werden. Der Körper pulsierte, die Haut leuchtete in wechselnden Farben.
Marie war so erstarrt in ihrem Schock, dass sie zuerst die Hand des Barkeepers gar nicht bemerkte, die er ihr entgegenstreckte.
»Du musst hier raus. Verschwinde, schnell.«
Ehe sie aufstehen konnte, schnitt ihnen das Wesen den Weg zum Ausgang ab. Der untersetzte Mann war jetzt auf der anderen Seite des Monsters.
»Es klappt nicht, Mercurius«, jammerte er. »Ich kann es nicht aufhalten. Es ist zu stark.«
Das Ding nahm wieder das Bild der Umgebung an, und Marie sah den überforderten Mann auf der Oberfläche der Haut, wie er ratlos zu ihnen herübersah. Dann wurde die Haut feuerrot, und das Monster schoss auf sie zu. Diesmal schnappte es sich den Barkeeper, der im letzten Moment nach dem Abflussrohr des Waschbeckens griff und sich daran festhielt.
»Basilius!«
Der Barkeeper hing mit einer Hand am Wasserrohr, während seine Beine bereits im Maul des Monsters zu verschwinden begannen. Das Murmeln des untersetzten Mannes wurde lauter, es war eine Sprache, die Marie noch nie gehört hatte. Er sprach immer schneller, Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Das Ungeheuer zuckte zusammen, wand sich, stieß einen wütenden Schrei aus und ließ den Barkeeper fallen, der mit einem Stöhnen auf den Fliesen landete. Jetzt konzentrierte es sich ganz auf den untersetzten Mann. Der versuchte es zwar weiter mit seinen Beschwörungen, jedoch erfolglos.
Der Barkeeper robbte derweil hektisch zum Putzschrank. Er schnappte sich eine Glasflasche Essig-Essenz aus den herumliegenden Putzmitteln und warf sie mit aller Kraft gegen die Decke, sodass die Flasche in tausend Scherben zerbrach und Säure auf die Schleimhaut des Monsters herabregnete.
Die Wirkung war enorm. Bestialische Schreie erfüllten den Raum. Die Haut der Kreatur warf Blasen und Warzen, und der Teighaufen schrumpfte auf die halbe Größe zusammen.
Eine zweite Flasche folgte, und das quiekende und schreiende und aufheulende Monster schoss jetzt zurück zur zertrümmerten Klokabine. Es verformte sich, wurde zu einem schlangenartigen Wesen und verschwand in Windeseile durch das Abflussrohr hinunter in die Kanalisation.
Es wurde still im Personalraum. Nur Trümmer und das offene Rohr blieben zurück. Trotz der fernen Bässe und der johlenden Partymeute wirkte es, als wäre der Club hinter der Personaltür auf einem anderen Planeten. Durch Maries Kopf fegte ein Tornado. Nichts von dem, was passiert war, ergab irgendeinen Sinn. Sie starrte fassungslos zum Klo. Ihr Atem ging stoßweise.
»Es tut mir leid, Mercurius«, jammerte der untersetzte Mann. »Darauf war ich nicht vorbereitet. Absolut nicht. Aber Essigsäure? Ehrlich … das war eine fantastische Idee.«
Der Barkeeper rappelte sich mühsam auf.
»Wir müssen hinterher.«
»Mercurius, wir … es tut mir leid.«
»Wir müssen dem Typen helfen.«
»Es ist zu spät dafür.«
Der Barkeeper starrte zum offenen Rohr und fuhr sich frustriert mit der Hand durchs aschblonde Haar.
»Willst du mir sagen, wir haben einen Toten? Bei mir im Club? Kannst du mir mal erklären, weshalb …«
»Es waren zwei«, flüsterte Marie.
Der Barkeeper stockte und wandte sich ihr zu.
»Wie bitte? Zwei, sagst du?«