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«Der westliche Mann wird unterdrückt, diskriminiert und verweiblicht, er ist vom Aussterben bedroht.» So lautet das Mantra eingefleischter Männerbünde, von Burschenschaftlern und antifeministischen Maskulisten bis zu neurechten Frauenhassern und Neonazis. Tobias Ginsburg hat sich ihnen undercover angeschlossen, um herauszufinden, woher diese tiefen Ängste rühren und was diese Gruppen umtreibt. Er geht dem Zorn testosteronverklebter Sexisten ebenso nach wie den seltsamen verbissenen Männerrechtlern, lässt sich zum «wahren Mann-Sein» anleiten und begleitet rechtsextreme Neonazis bei der kulturellen Penetration des Ostens. Eine gefährliche Reise in fremde Welten mitten unter uns, in die die meisten Männer und Frauen nie vordringen können. «Ein leidenschaftlicher Aufklärer.» MDR Sachsenspiegel
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Seitenzahl: 424
Tobias Ginsburg
Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats
Mit einem Vorwort von Günter Wallraff
«Der westliche Mann wird unterdrückt, diskriminiert und verweiblicht, er ist vom Aussterben bedroht.» So lautet das Mantra eingefleischter Männerbünde, von Burschenschaftlern und antifeministischen Maskulisten bis zu neurechten Frauenhassern und Neonazis. Tobias Ginsburg hat sich ihnen undercover angeschlossen, um herauszufinden, woher diese tiefen Ängste rühren und was diese Gruppen umtreibt. Er geht dem Zorn testosteronverklebter Sexisten ebenso nach wie den seltsamen verbissenen Männerrechtlern, lässt sich zum «wahren Mann-Sein» anleiten und begleitet rechtsextreme Neonazis bei der kulturellen Penetration des Ostens. Eine gefährliche Reise in fremde Welten mitten unter uns, in die die meisten Männer und Frauen nie vordringen können.
«Ein leidenschaftlicher Aufklärer.» MDR Sachsenspiegel
Tobias Ginsburg, Jahrgang 1986, ist Autor und Regisseur. Er studierte Dramaturgie, Literaturwissenschaft und Philosophie. 2016 war er Fellow des Hanse-Wissenschaftskollegs, 2020 erhielt er das Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2021
Copyright © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
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Covergestaltung zero-media.net, München
Coverabbildung FinePic®, München
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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ISBN 978-3-644-00706-2
www.rowohlt.de
Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.
Vorwort von Günter Wallraff
Netzwerker, Hintermänner
Antifeminismus und der Einstieg in die Welt des Hassens
Ein Albtraum
Ein Jahr unter Kriegern und gekränkten Männern
Eins Der Krieg des gekränkten Mannes
Die Schmerzensmänner Von Männerrechtlern und anderen Unterdrückten
Asche, Wut und Unrecht
Willkommen in der Manosphere
1916. Kapitel
Der Tritt
Rote Pillen
Die unerträgliche Ununterscheidbarkeit
Die Männer, der Schmerz und das Nichts
Der Doppelagent – Codename: Gorbatschow
Der große Agentenführer und die heißen Mäuschen
Der Kongress. Von Gender und Würsten
Die Männerschmiede
Der Korpsgeist und andere Gespenster
Die Verführung Von Pick-Up-Artists, Coaches und anderen Jägern
Comic Relief
Der Horror
Die Therapie
Die Männlichkeitsindustrie und das beste Business der Welt
Die Verführer
DruKos IRL
Täter Opfer Beute Blut
Ein Ausflug in die USA Von Kicherfaschisten, Incels und der Alt-Right
Pepe did nothing wrong!
Pride and Prejudice and Monsterpower
The Rise and Fall of Milo Yiannopolous
«I’m no fucking Incel!»
Metamorphosen
Mickey und das Ende der Ironie
Zwei #Der Prototyp des neurechten Kriegers
Im Netz der Neuen Rechten
Angst und Schrecken in Halle (Saale)
Der Männerbund
Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn (Ein Abend in sechs Bieren)
Die Marburger Burschenschaft Germania (Der Vogelmann und der fade Faschismus)
Das Café Extrablatt (Harte Männer in harten Zeiten)
Die Alte Hallesche Burschenschaft Rhenania-Salingia zu Düsseldorf (Radikale Körper)
Mit Rechten rappen
Die Schleusung
Widerstand im Hühnerstall
Neurechte Frauen und uralter Sexismus
Mit Rechten reden
Germanen-Rap
Für die Töchter
Die Riefenstählernen
Der Boss-Exkurs: Kollegah, Kai und der Mainstream
Der Boss steht zu seinem Wort
Das Boss-Dilemma
Die Boss-Identität
Die Boss-Transformation
Die männlichsten Männer Offenbachs
Die Heldenreise
«Die gefährlichsten Rapper Deutschlands?»
Katastrophen
Kein Corona
Romantik
Erotik
Die Krönung der Männlichkeit
Der Putsch gegen den Schmerz
Schornsteine und Schreibtischtäter
Adolf Hitler liebt Bambi
Der letzte harte Alman im Kreis Düren
Der Anruf
Atmen in Sauerlach
Die Fusion
Die neue Neue Rechte
Die Garantie
Drei #Die Weltkrieger des Patriarchats
Ordo Iuris
Der Klotz
«Männer für die AfD»
Der alte junge Dr. Warszawski
Ein neuer Köder
Die Feinde der offenen Gesellschaft
Metapolitik in seidenmatt
Männer in Maschinen
Das Netzwerk, die Sekte und der Präsident
Klementyna
Göttliche Ordnung, natürliches Recht
Die schöne Frau Nowak
Die russische Zwickmühle
Das Netzwerk hinterm Netzwerk und die Leute dahinter
Verschworen
Stimmen
Jakub und Margot
Der Schutzwall
Ryszard und der Verfall der Sitten
Enjoy Poland
Kasia, Sabina und die Frankfurter Allgemeine Zeitung
Warszawskis Haus
Die Führung
Polen, Pöbel und Proleten
Wein und Blut
Szene einer Ehe
Der Untergang des Hauses Warszawski
Smash the patriarchy!
Dank
Welche Gesellschaft wollen wir?!
Nach seinem Report über Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker («Die Reise ins Reich») hat sich Tobias Ginsburg nun erneut in die Abgründe gewaltig männlicher Welterretter begeben und über ein Jahr lang Gruppen radikaler Antifeministen gesucht, gefunden und beweiskräftig überzeugend dokumentiert. Ob in Burschenschaften, in der Rap-Szene, bei Männer-Coaches, in der «Neuen Rechten», in einflussreichen Juristenkreisen oder unter gewaltaffinen Trump-Anhängern: Diese Männer (und auch einige Frauen) sehen «Männlichkeit» in Gefahr und sind der Ansicht, das gesellschaftliche Gefüge werde durch den Feminismus und selbstbewusste, gleichberechtigte Frauen zerstört. Sie rufen zum heiligen Krieg auf, mit unbändigem Hass und, wenn es sein muss, auch mit Waffengewalt.
Ginsburg konstatiert, dass sich diese Männlichkeitsideologie ausbreitet als Antwort auf globale Verunsicherungen, soziale Ängste und männlichen Herrschaftsverlust. Sie propagiert als Gegenentwurf die Oberhoheit starker Männer, die herkömmlich-patriarchalische Familienstruktur, die strikte Geschlechtertrennung und die Unterdrückung jeglicher sexuellen Diversität.
Starke Männer. Das bedeutet gleichzeitig: keine starken Frauen. Die stille und laute Propaganda für diese Geschlechterzuweisung ist der stärkste Klebstoff in rechtsradikalen und rechtskonservativen Netzwerken. Sie ist der wichtigste gemeinsame Nenner von Menschen, vorwiegend von Männern, deren Ideal eine Gesellschaft der Hierarchisierungen, der Ober- und Unterordnungen und der Ausgrenzungen ist. «Die Freiheit, andere zu diskriminieren, wird so zu einem zu schützenden Recht», bringt die Kulturwissenschaftlerin Stefanie Mayer den Kern dieser Sichtweise auf den Punkt. Brandgefährlich ist diese Propaganda, demokratiefeindlich allemal, und am Ende kann sie, wie wir nicht nur in Oslo, in Christchurch oder in München erleben mussten, mörderisch werden.
Dennoch wird diese Männlichkeitspropaganda bis heute unterschätzt.
Wer das Buch von Tobias Ginsburg gelesen hat, wird diesen Fehler nicht mehr machen. Denn Ginsburg führt uns so hautnah an die «toxische Männlichkeit» heran, er nähert sich derart schmerzhaft den verbalen Ausbrüchen, den Phantastereien und der aufgeladenen Gewaltbereitschaft ihrer Protagonisten, dass ihre Gefährlichkeit nicht mehr kleingeredet werden kann.
Schon vor diesem Buch gab es wissenschaftliche Untersuchungen dieser «toxischen Männlichkeit», Studien, Analysen, nicht nur aus feministischer Sicht. Ginsburg jedoch geht weiter: Er setzt sich ganz persönlich und ungeschützt den Männern aus, die von ihrer einzigartigen männlichen Stärke überzeugt sind, die eine Führungsrolle beanspruchen, die nur ihnen zukäme, weil sie Männer sind, die an ihr phantasiertes Recht auf Unterdrückung glauben, an ihre zurechtgesponnene Pflicht zur Unterwerfung anderer – nicht nur des anderen Geschlechts, sondern generell aller Menschen, die nicht sind wie sie.
Diese Männer zelebrieren ihre Ideologie wie eine Religion, sie geilen sich an diesem Glauben auf, stählen ihre Körper, um den Worten Taten folgen zu lassen, verbrüdern sich, um zu erobern, zuzuschlagen, zu herrschen.
Sie feiern in ihren Kreisen die Attentäter, die aus der gleichen frauenfeindlichen Motivation wie sie zu Mördern geworden sind. 2011 hatte Anders Behring Breivik, der in Norwegen 77 Menschen ermordete, in seiner Bekenntnisschrift erklärt, der Feminismus bedeute das Ende der Männlichkeit. Brenton Tarrant, der 2019 im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen umbrachte, schrieb die Forderung nach Männern, die wieder Männer werden müssten, in sein Mördermanifest.
Der Autor hat sich in eine bekennend frauenfeindliche Parallelgesellschaft hineingewagt, hat sich eine Identität zugelegt, die dort akzeptiert wurde, und hat mitgespielt. Er musste zu diesem Zweck in die Privatsphäre dieser Männer eindringen, denn es geht bei allen politischen Folgen toxischer Männlichkeit zuerst einmal um die sehr persönliche, individuelle Entscheidung, sich als Antifeminist zu bekennen. Ginsburg musste diesen Schritt gehen, auch wenn er zu einer Gratwanderung führt. Sonst hätte er dieses Buch nicht schreiben können.
Manches wirkt skurril, absurd und bedrohlich im Biotop der bekennenden Männlichkeit. Sich damit zu konfrontieren, dazuzugehören, mitzuphantasieren, geht an die Grenzen von Ginsburgs eigener Identität. Er fühlt sich beschmutzt und verletzt. Ginsburg fragt sich während seiner Recherche immer wieder, wie lange er diese hassgeschwängerte Verbrüderung noch aushalten kann. Als er sich nach Wochen der Selbstzweifel und des Rückzugs wieder auf ein Treffen einlässt, reagiert einer der Männer, ein durchtrainierter Schlägertyp: «Du musst wissen: So V-Leute, die versucht haben, sich hier so unterschwellig einzufädeln, die sind alle verschwunden.» Wäre er enttarnt worden, hätte er das unter Umständen mit seiner Gesundheit, am Ende sogar mit seinem Leben bezahlt.
Der Bericht von Ginsburg ist erschütternd, er macht Angst. Das noch immer anzutreffende Schulterzucken, diese Männer seien halt nur ewiggestrige, beleidigte Typen, die den Anschluss verloren hätten, weshalb die Geschichte über sie hinweggehen werde, wird durch die Lektüre seines Buches ad absurdum geführt.
Ginsburg zeigt uns nicht nur das Ausmaß des Frauenhasses in den oft klandestinen Männerbünden. Er zeigt uns auch das Ausmaß der Vernetzung, die diese Männer knüpfen, wenn sie ihre Herrschaftsallüren in Politik umsetzen. Die Vernetzung findet national und international statt, weit über die kleinen bekennenden Frauenhasser-Zirkel hinaus, weit hineinreichend in konservativ-bürgerliche Kreise, in Regierungen, Ämter, Universitäten und fundamentalistische kirchliche Institutionen in Europa, in den USA, in Russland.
Ginsburg konzentriert sich bei seinen Recherchen auf Männer in der rechtsradikalen Szene. Sehr unterschiedliche Männer. Verklemmte, Selbstbewusste, Macher, Agitatoren. Wir sind dabei, wie er sie kennenlernt und wie sie nach und nach oder auch recht schnell ihren Hass offenbaren oder ihn einzubinden versuchen. Es gibt eine wachsende Zahl von Männern, die ihre Probleme dadurch lösen wollen, dass sie sich zu Herrschern aufschwingen wollen, nachdem sie sich zuvor generell zu Opfern von Gleichberechtigung und Pluralismus stilisiert haben. Das genau beabsichtigen und praktizieren die Propagandisten der gewaltaffinen Männerherrschaft. Hier liegt ihre gesellschaftliche Gefahr, hier liegt ihr kollektives zerstörerisches Potenzial.
Dieses Gewaltkonzept wird nicht allein von sexuell frustrierten Einzelkämpfern umgesetzt. Für die Bundestagsfraktion der AfD sind zum Beispiel 36 Mitglieder stramm rechter Burschenschaften tätig, deren Männlichkeitswahn Programm ist, wie Ginsburg uns stellvertretend miterleben lässt, als er in einige dieser Burschenschaften eindringt und von ihrer Verachtung und ihrem Hass auf Frauen berichtet, in dem sie sich bei ihren Besäufnissen kollektiv suhlen.
Noch wesentlicher sind die internationalen Netzwerke, in denen sie sich alle wiederfinden: rechtsradikale Parteien Europas in der Opposition und an der Regierung, Institutionen der fundamentalistisch-katholischen und evangelikalen Kirchen und ihre Beauftragten, Männerbünde und -verbände.
Für sie sind die Haudrauf-Frauenhasser nur Instrumente, um ihre Macht zu festigen und auszuweiten. Trump ist dafür ein Beispiel, dessen Einpeitscher Steve Bannon mit seinem Online-Portal Breitbart die Organisierung und Radikalisierung der Antifeministen vorangetrieben hat, um sie international zu vernetzen und zu steuern. Ginsburg berichtet davon nach seiner Recherchereise in die USA.
Auch die PiS-Partei in Polen weiß diese Leute, die sich um ihre Männlichkeit betrogen fühlen, für sich einzusetzen. Der Ausstieg aus dem Istanbul-Abkommen, einer völkerrechtlich bindenden Übereinkunft zum Schutz gegen Gewalt an Frauen, wird von der PiS vorbereitet; vom selbstherrlichen türkischen Autokraten und Frauenfeind Erdoğan und vom Männerbündler Orbán in Ungarn ist dieser Austritt bereits vollzogen worden.
Ginsburg hat sich in Polen als rechtsradikaler AfDler ausgegeben und wurde vom Netzwerk Ordo Iuris, dem «Institut für Rechtskultur», mit offenen Armen empfangen. Ein juristischer Thinkthank, ultrarechts, christlich-fundamentalistisch, dessen Leute bereits in den polnischen Ministerien, Gerichten und Kommunalverwaltungen sitzen. Für ihn arbeiten neben den festen Mitarbeitern Dutzende einflussreiche «Berater» und kooperierende Anwaltskanzleien. Ordo Iuris verfügt über beste Kontakte zu gleichgesinnten Institutionen in aller Welt. Der Präsident der Stiftung, die die «christlichen Werte verteidigen» will, zählt nach Ansicht des US-Magazins Politico zu den 30 Menschen in Europa, die die europäische Politik und ihre Regeln im Jahr 2021 prägen werden.
Ordo Iuris arbeitet erfolgreich an der europäischen und sogar weltweiten Vernetzung von Männerbündlern, zum Beispiel durch den WCF, den World Congress of Families, ein Projekt der religiösen Rechten aus den USA und aus Russland, das in den 1990er Jahren aufgebaut wurde. Jährlich stattfindende Großveranstaltungen in Mexico City, Sydney, Budapest oder Verona versammeln Tausende Antifeministen aus zahlreichen Ländern. Politiker und Regierungsmitglieder aus Frankreich, Ungarn, Russland, Kroatien, Uganda und Brasilien haben auf diesen Versammlungen gesprochen, der damalige italienische Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini war Stargast in Verona.
Die «Agenda Europe», ein weiteres Netzwerk rechter Antifeministen, agitiert seit zehn Jahren unter dem Schlachtruf «Die natürliche Ordnung wiederherstellen!». «Die ursprüngliche Gruppe von Aktivisten», so eine Studie des Europaparlaments, «ist gewachsen: Sie hat mittlerweile über 100 menschenrechts-, frauenrechts- und LGBTI-feindliche Organisationen in mehr als 30 europäischen Ländern als Mitglieder gewonnen. Sie ist ein vom Vatikan inspiriertes, professionelles Interessennetzwerk, dessen Mitglieder sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit treffen.»
Keine guten Nachrichten für Gleichberechtigung, Diversität und für Demokratie. Dank Tobias Ginsburg können wir die Gefahren erkennen, die von Frauenhassern und ihren Organisationen ausgehen. In einer Zeit, in der sich die Fronten in einer polarisierenden Gesellschaft ständig verhärten, wagt Tobias Ginsburg einen Höllengang in ein Finsterreich des Männlichkeitswahns und klärt auf: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?!
Der dicke Junge hasst Frauen.
Vielleicht ist dick nicht das richtige Wort, er ist eher pummelig. Ein weiches Kind, noch keine zwanzig Jahre alt. Aufgeregt hält er sich am schweren Bierkrug fest, schaut mit unsicherem Blick durchs Brillenglas, dann verkündet er, dass er Frauen hasst. Anfangs glaube ich noch, der dicke Junge sei nur betrunken oder frustriert vom Dicke-Jungen-Dasein oder agitiert von dem ganzen langen Abend aus Geschrei und Grausamkeit. Aber je länger er spricht, desto klarer wird, dass er es auch wirklich so meint. Er hat sich Gedanken über das Thema gemacht, hat dazu Texte gelesen und Statistiken studiert, seinen Hass unterfüttert. Der dicke Junge hasst Frauen aus Überzeugung. Und der Kerl neben ihm, ein breiter Bursche mit vernarbtem Gesicht und akkurater Frisur, lacht lang und laut und schlägt dem Jungen mit der flachen Hand so fest auf den weichen Rücken, dass der fast vornüberfällt: «So sieht’s aus, Kamerad», dröhnt der Vernarbte, «du hast es begriffen!»
Die Tirade des Jungen war bei weitem nicht das Schlimmste, was ich an diesem Abend zu hören und zu sehen bekam. Aber das Bedrückendste. Es gab mir den Rest. Ich war in eine albtraumhafte Welt aus Hass und Alkohol geraten, und beides war ich in diesen rauen Mengen nicht gewohnt. Und vor allem hatte ich vorher nie diese Qualität von Hass erlebt. Sicher, man muss nicht in eine rechtsextreme Studentenverbindung gehen, um Rassismus und Frauenverachtung, Judenhass und Homophobie zu erfahren. Das findet man zur Genüge auch anderswo, das grassiert in der ganzen Gesellschaft. Aber dieser Hass hier war mir neu: eiskalt, rationalisiert und studiert. Ein Hass, der die Frauenverachtung des dicken Jungen absorbieren und befeuern konnte. Ein Hass, den ich immer noch in meinen Knochen spüre. Auch nach zehn Jahren noch.
Es war das erste Mal, dass ich mich bei Menschen einschlich, von denen man sich tunlichst fernhalten sollte. Mein erster Besuch bei wirklichen Faschisten, und schon begegneten mir ein entfesselter Männlichkeitswahn und Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit. Kein Wunder, denn diese Dinge gehören zusammen. Sie sind integrale Bestandteile rechtsextremer Ideologie, unauflösbar miteinander verknüpft. Aber das begriff ich erst sehr viel später. Und leider gibt es noch immer sehr viele Menschen, die es nicht begreifen.
«Silentium!»
Das Kommando wird in den lärmenden Saal geschleudert, ein Säbel schmettert krachend auf den Tisch. Auf den Schlag verstummen die vierzig oder fünfzig Männer (in meiner Erinnerung sind es mehr), und diese vielen hundert Mann stellen ihre tausend Bierkrüge ab und erheben sich. Sie haben Studentenmützen auf dem Kopf und Narben im Gesicht, tragen dunkle Anzüge und Couleur, die Bänder in Verbindungsfarben quer über die Brust: Weiß-Lindgrün-Rosenrot. Sie stehen stramm und schauen bedeutsam. Es ist der Oktober 2009, und in ihrer Prunkvilla im Münchner Nobelviertel Bogenhausen feiert die Burschenschaft Danubia ihre Semesterantrittskneipe. Es ist eine ernste Angelegenheit, ein altes Ritual von Gehorsam, Gebrüll und Alkoholismus.
Der «Chargierte», ein weichgesichtiger Lehramtsstudent mit Segelohren, leitet mit Befehlston und Säbelhieben durch den ersten, den offiziellen Teil des Abends. Wie albern waren er und die beiden anderen Vorsitzenden mir eben noch vorgekommen, verkleidet in ihren Vollwichs, dieser nostalgiedurchtränkten Aufmachung: goldverzierte Uniformröcke und Stulpenstiefel und buschige Federn, die halberigiert von den Mützen ragten. Die Narben in ihren Gesichtern, die Spuren des gemeinsamen Fechtens und Blutens hätte man auch für schlecht verheilte Akne halten können. Aber jetzt stehen sie vor den zigtausend Männern, ihre bescheuerten Schwerter in den Fäusten, und die Männer gehorchen ihnen. Der Chargierte lässt seine Brüder und Gäste aufstehen und hinsetzen, sprechen und schweigen, prosten und saufen, singen und grölen. «Müller an die Bierorgel!», befiehlt er, und Bursche Müller hetzt zum Klavier, haut in die Tasten, nicht gut, dafür laut, und das alte Liedgut ertönt. Verse von blutiger Treue und geschlagenen Schlachten und von Deutschland, von Deutschland über allem. Halb wird gesungen, halb gebrüllt, die Fäuste trommeln auf die Tische, dass die Bierkrüge tanzen. Dann eine Ansprache, pathetische Parolen über Kameraden, Ehre und Volk. Darauf ein Prosit und auf das Bier einen Schnaps, dann wieder von vorne. Und auch in den Pausen, im Colloquium, wenn das freie Gespräch gestattet ist, trinken sie noch gierig weiter.
Das ist eben traditionelle Männlichkeit: durstig, gierig, diszipliniert. Und hierarchisch strukturiert bis in die Sitzordnung! Auf der einen Seite die alten Herren, die ihre Studentenzeit schon hinter sich haben und ihren aktiven Brüdern das Leben in der Villa finanzieren. Auf der anderen Seite die Füchse, die Neuzugänge, die herumkommandiert werden, bevor sie endgültig in den lebenslangen Männerbund aufgenommen werden. Und ganz am äußeren Tischende, da kauern nervös die Anwärter, die Spefüchse. Rohes Männermaterial, das gründlich auf seine Tauglichkeit geprüft wird – politisch, menschlich, ethnisch. Heute sind zwei Kandidaten geladen: der dicke Junge, der Frauen hasst, und ich, Tobias Günzburg. Mir war am Telefon auf die Schnelle kein besserer Name eingefallen.
Im Grunde war ich bloß zufällig, während der Recherche zu einem Theaterstück, auf diese Burschen gestoßen – auf sie und auf ein ganzes Netzwerk rechtsextremer Burschenschaften, Organisationen und Strukturen. Auf Menschen, die mir und meinen Freund*innen das Existenzrecht absprechen. Unheimlich das alles, aber mich packte die Neugierde. Ich rief einfach mal an, auf gut Glück. Dass man mich einladen würde, damit hatte ich nicht wirklich gerechnet … Hat man aber. Ich bin nun mal ein Mann und ich bin weiß – und das reicht. Ich kann auch Orte betreten, an die man keinen Fuß setzen sollte. Für mich gibt es kaum No-go-Areas, und als deutscher Jude bin ich es sowieso gewohnt, mich zu assimilieren. Mit anderen Worten: Ich kann das, was mir Angst macht, aus nächster Nähe betrachten.
«Wo kommt denn der interessante Nachname her? Woher die Familie? Aha, und die Großeltern? Und politisch?» Während der Pausen werde ich von den Burschen belagert und ausgehorcht, aber meine Antworten scheinen zu gefallen. Nur von den Fotografien an den holzvertäfelten Wänden blicken die Danuben vergangener Zeiten grimmig auf mich herab. Ganz so, als hätten sie mich durchschaut.
Und dann ist da der Bursche aus Aachen. Ein Gast aus einer befreundeten Verbindung, ein riesiger Kerl, in meiner Erinnerung zwei Meter oder noch größer, vielleicht sogar zweieinhalb – nein das kann nicht sein … Die Details verschwimmen nach all den Jahren, als wäre alles nur ein böser Traum gewesen. Aber was er sagte, das habe ich noch immer ganz genau im Ohr: «Meine Herren, wir haben heute Abend einen Juden unter uns!»
Ich will an meiner Zigarette ziehen, aber kriege keine Luft. Das war’s, denk ich mir. Hier komm ich nicht mehr raus. Aus. Vorbei. Kaputtgehauen in einer Naziburschenschaft … Aber der Aachener Riese fletscht die Zähne zu einem breiten Grinsen und deutet auf den Chargierten: «Also, wenn das mal keine Judenohren sind, was?»
In meinem ganzen Leben habe ich nie wieder so sehr über einen Witz gelacht. Hoffentlich werde ich es auch nie mehr tun. Was für ein wunderbarer Witz! Judenohren! Ohren, so groß wie die von einem Juden! Spefuchs Günzburg ist entzückt – und die Burschen von ihm. Wir haben offenbar denselben Sinn für Humor. Darauf einen schönen Schluck Bier, und da schmettert auch schon der Säbel des Chargierten auf den Tisch – Silentium! Diszipliniert geht es weiter, Bier und Schnaps strömen in die Burschen hinein, Liedgut und Parolen gurgeln aus ihnen heraus.
Irgendwann ist der offizielle Teil überstanden, nach anderthalb oder zwei oder zwanzig Stunden, was weiß ich. Und nun begann das ungezwungene Beisammensein, nun quoll die wahre Gesinnung aus der kostümierten Burschenherrlichkeit. Erst sind es vereinzelte Widerlichkeiten. Ätzende Kommentare und pointenlose Witze über Schwarze Bundesligaspieler und Homosexuelle und den Islam, bald wird über die Geburtenraten von Migrant*innen gefeixt, dann auch schon der Holocaust geleugnet. Man hat sich jede Zurückhaltung weggesoffen. Ein gedrungener Bursche setzt sich neben mich und erklärt mir, dass es da draußen doch ohnehin bergab ginge. «Diese ganze bundesrepublikanische Gesellschaft ist längst verweichlicht», tönt er und raunt vom Kreuzzug des Kulturmarxismus.
Dieser Begriff und sein Kreuzzug sind mir neu, aber der Gedrungene klärt mich gerne auf. Er berichtet mir von einem Komplott: «Im Grunde ist das der neue Kommunismus, aber auf Umwegen!» Die globale Linke wolle Nationen und Sitten auslöschen, die Werte von Familie und Männlichkeit. Und genau deswegen werde der Westen auch mit dieser ganzen linken Propaganda geflutet: Mit politischer Korrektheit und «Homolobby» und Feminismus. «In Wahrheit ist das alles nur Kulturmarxismus, ein Krieg gegen den Mann, die Familie, das Volk!» Auch daher sei die Burschenschaft, der wehrhafte Männerbund, eine der letzten Bastionen des Widerstands, erklärt er, und da wird auch schon das Gästebuch voll grotesker Judenkarikaturen herumgereicht, und irgendwer schreit irgendwas von Verschwulung. Es ist schwer erträglich, aber zum Glück ist da der dicke Junge.
Seine Anwesenheit beruhigt mich! Um uns herum werden Härte und Hass zelebriert – aber der Junge sitzt einfach nur ausdruckslos da. Um uns herum wird das Unsagbare gesagt – aber der Junge starrt nur so vor sich hin und knetet seine Finger. Und ich bin ihm dafür so verdammt dankbar! Er sieht mindestens so unsicher aus, wie ich mich fühle. Verloren und ein bisschen dümmlich. Ich verstehe ihn! Als Einzigen hier: Das ist ein ganz armer Typ, denke ich, der will einfach irgendwo dazugehören!
Aber dann wacht er auf.
Gerade hat irgendein Bursche angefangen, über «die Weiber» zu lallen, die es wagten, mit nicht-arischen Männern zu schlafen – «Diese Kanakenweibchen!» – und dieser selten ekelhafte Ausdruck ist das Stichwort für den Jungen. Er blinzelt ein paarmal, dann legt er los. Er verkündet seinen Hass. Erklärt, dass Frauen biologisch dazu prädestiniert wären, mit den stärksten Männern zu schlafen und deswegen auch prädestiniert, ihr Land zu verraten. Er spricht vom Ende der traditionellen Familie, unterteilt Männer in Alphas und Betas, benutzt Wörter wie Hypergamie und Staatsfeminismus … Und ich verstehe nicht. Nicht ihn und kaum ein Wort, das er sagt. Ich sehe nur diese unermessliche Wut in seinem Blick und höre das einvernehmliche Lachen eines Burschen, vieler Burschen, das Lachen der vielen hundert Männer mit den tausend zerschnittenen Gesichtern …
Torkelnd fliehe ich aus dieser holzvertäfelten Parallelgesellschaft. Ich kann nicht mehr. Was für ein Wahnsinn, was für ein hasserfüllter Dreck! Ich bin zittrig, und ich schäme mich. Wie kann man nur in diesem Land leben, ohne zu wissen, wie heftig es unter der Oberfläche brodelt?
Nein, kein Grund zu Panik, beruhigte ich mich: Ich war bei Faschisten gewesen, beim Bodensatz der rechtsextremen Studentenverbindungen! In einem Haus, in dem Fascho-Prominenz ein und aus ging. In dem 2001 ein junger Neonazi untertauchen konnte, nachdem er einen Griechen um ein Haar totgeprügelt hatte. In einem Haus, das 1938 von den Nazis arisiert wurde – geraubt von einer jüdischen Familie, die sich ein paar Jahre später das Leben nahm, um der Deportation zu entgehen. Sicher, in einem so bösen Haus, da kann dieser Irrsinn über kulturmarxistische Verschwörer, aussterbende Familien und Staatsfeminismus gedeihen … Aber doch nicht hier draußen. Nicht bei uns!
Das dachte ich wirklich. Damit beruhigte ich mich und wankte durch die prachtvolle Münchner Villengegend. Damals. In einer Oktobernacht im Jahr 2009. Kurz bevor völkische Untergangsphantasien wieder Mainstream wurden, die extreme Rechte weltweit erstarkte und der militante Antifeminismus eine neue Qualität erreichte.
«Das Erstarken des Feminismus bedeutet das Ende der Nation und das Ende des Westens.»
Anders Bering Breivik, Mörder und Rechtsterrorist, 2011
«Die Männer des Westens müssen wieder Männer werden.»
Brenton Tarrant, Mörder und Rechtsterrorist, 2019
«Ich glaube, der Holocaust hat nie stattgefunden, der Feminismus ist an der sinkenden Geburtenrate im Westen schuld, die die Ursache für die Massenimmigration ist. Und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.»
Stephan Balliet. Mörder und Rechtsterrorist, 2019
Im Spätsommer 2019 begann ich meine Recherche. Ich kleidete mich neu ein, legte mir eine Auswahl an Webseiten und Profilen in allerhand sozialen Netzwerken zu und verpasste mir einen neuen Namen – diesmal einen deutlich besseren. Das nagelneue Diktiergerät steckte ich mir dezent in die Hosentasche. Dann machte ich mich auf. Weit über ein Jahr und eine Pandemie hinweg jagte ich politischem Antifeminismus und rechtem Männlichkeitswahn hinterher und ganz besonders jener unheimlichen Vorstellung, die ich in der albtraumfarbenen Nacht vor zehn Jahren das erste Mal zu hören bekam. Die Vorstellung, der westliche, der wahre Mann werde unterdrückt, verweiblicht, oder gleich komplett vernichtet. Wie fremd und fern, wie unsagbar krude und extrem war mir das damals vorgekommen!
Nun hatte sich dieser Irrsinn ausgebreitet, hatte sich über die halbe Welt gelegt und quer durch die Gesellschaft gefressen. Versatzstücke und Variationen dieser wahnwitzigen Ideen fluten das Internet, füllen dort Kommentarspalten, Foren und Videoplattformen. Sie sind in Bestsellern und in Artikeln großer Zeitungen zu finden, zu hören in den Reden von Politikern, auch aus den Mündern brasilianischer, russischer und, bis vor kurzem noch, amerikanischer Präsidenten. Entsprechend hatte ich eine weite Reise zurückzulegen.
Meine Recherche führte mich quer durch Deutschland und das Internet, in die USA und nach Polen. Ich traf auf Maskulisten und Frauenhasser, auf Online-Trolle und Offline-Schläger, auf Incels, Identitäre und Neonazis – und schließlich auf ein international agierendes Netzwerk antifeministischer Fundamentalisten. Ich wollte herausfinden, wo all der Hass und die Ängste herrühren, wollte selbst erleben, wie sie geschürt werden, wer von ihnen profitiert, wer von ihnen kaputtgemacht wird Und ich kam diesen Menschen nah. Manchmal ein wenig zu nah.
Dabei sind es sehr unterschiedliche Personen, von denen ich hier erzähle – und beileibe nicht alle sind rechts oder rechtsradikal. Antifeminismus ist eine gesamtgesellschaftliche Ideologie und Männlichkeitswahn nicht nur Mainstream, sondern, wie ich bald herausfinden sollte, eine ausgesprochene Industrie. Aber gerade deshalb sind diese Ideen so gefährlich. Die Wut auf Feminismus, sexuelle Minderheiten und «Genderideologie» ist nicht bloß ein Klebstoff, der die verschiedenen Milieus der radikalen Rechten zusammenhält – er macht die Szene auch anschlussfähig. Das antifeministische Klebstoffschnüffeln wird zur Einstiegsdroge für viele wütende Männer – und natürlich auch für einige wütende Frauen.
Im ersten Teil des Buches erzähle ich von meiner Reise zu den Bewohner*innen der Manosphere, der «Sphäre des Mannes». Hinter diesem merkwürdigen Begriff verbirgt sich zunächst ein Internetphänomen: Seit den nuller Jahren formierte sich dieses lose digitale Netzwerk aus einer ganzen Reihe Gruppierungen, Organisationen und Online-Communities. Geeint werden diese vornehmlich virtuellen Herrenclubs durch ihre maskulistischen Überzeugungen – sie alle glauben sich vom Feminismus benachteiligt oder unterdrückt. In diese illustre Runde gehören Männer- und Vaterrechts-Aktivisten genauso wie antifeministische Trolle und Pick-Up-Artists, also selbsternannte Verführungskünstler, die Tipps austauschen, wie man Frauen am besten ins Bett manipulieren kann. Die MGTOWs wiederum, die «Men going their own way», wollen mit Frauen im Grunde gar nichts mehr zu tun haben, während die Incels, die «Involuntary Celibates», als «ungewollt Enthaltsame» den Feminismus für ihr sexloses Dasein verantwortlich machen – und in ihrer ultratoxischen Ecke des Internets ein riesiges Gewaltpotenzial entwickelt haben.
Diese Auflistung mag zunächst wahnsinnig heterogen klingen. Aber die ideologischen und personellen Überschneidungen und Verquickungen innerhalb der Manosphere sind immens, die Argumentationsmuster oft identisch. Und so führte mich der Besuch einer bürgerlichen Männerrechtsgruppe wütender und wirrer FDP-Mitglieder auf direktem Wege zur größten maskulistischen Veranstaltung Deutschlands. Und ich lernte Vertreter all dieser verschiedenen Bewegungen persönlich kennen und musste erleben, wie leicht sich die Maskulisten (die nebenbei die Bezeichnung «Maskulinisten» ablehnen) für rechte und rechtsradikale Ideen begeistern können.
Dass sich die Manosphere zusehends radikalisiert, ist kein Zufall. Es waren besonders die US-amerikanischen Rechtsextremen der Alt-Right, die Ideen und Sprache der gekränkten Männer instrumentalisierten. 2014 begannen sie mit einer großangelegten Kampagne, vornehmlich junge Männer aus dieser Welt zu rekrutieren. Also flog ich nach Boston und schleuste mich bei Alt-Right-Aktivist*innen ein, die dort unter dem Deckmantel ironischer Provokation gegen politische Korrektheit und Feminismus marschierten.
Aber auch die extreme Rechte in Deutschland hat das Thema für sich neu entdeckt. Im zweiten Teil des Buches beschreibe ich, wie gerade durch das Erstarken der sogenannten Neuen Rechten männerbündische Formationen ihr Comeback feierten. Burschen, Identitäre und Neonazis rekrutieren mit maskulistischer Sprache und dem Versprechen «wahrer Männlichkeit» ihren Nachwuchs. Monatelang durchstreifte ich ihr finsteres Netzwerk, kehrte widerwillig zurück in die Burschenschaftshäuser, besuchte rechtsextreme Konferenzen und Konzerte. Und bald schloss ich mich selbst einem rechten Männerbund an, zumindest ein bisschen: Über ein halbes Jahr begleitete ich eine Gruppe rechtsextremer Rapper (ja, wirklich), die mit Propaganda, hartem Bizeps und schlechter Musik die verweichlichte deutsche Jugend zu germanischen Kriegern stählen wollen. Mit Hass und Hypermaskulinität bereitet man sich auf den Tag X vor, auf die groß antizipierte Entscheidungsschlacht.
Der relative Erfolg der testosteronbesoffenen Rechtsradikalen kommt allerdings nicht von ungefähr. Denn musikalisch, ästhetisch wie inhaltlich konnten sich die Rassistenrapper bei ihren Vorbildern aus dem Mainstream bedienen. Ganz besonders bei Kollegah, dem extrem erfolgreichen Gangsta-Rapper, Männer-Coach, Muskelliebhaber, Sexisten, Antisemiten und Fitnessguru, der den soldatischen Männlichkeitswahn zu seiner Marke gemacht hat. Als sich mir also die Gelegenheit für ein persönliches Kennenlernen bot, konnte ich nicht anders – ich reiste dem muskelbepackten Popstar hinterher. Faschistische Männlichkeit ist kein Nischenprodukt.
Maskulisten, Trolle, Nazis und rechte Rapper, die zum Erhalt wahrer Männlichkeit mobil machen – ja, trotz allen Blutvergießens mag vieles zunächst skurril klingen. Aber der Krieg gegen Feminismus und «Genderismus» ist in vielen Ländern bereits Teil der Staatsräson. Auch in Polen, wo queere und feministische Aktivist*innen für ihre Menschenrechte und um ihre Existenz kämpfen müssen. Der dritte Teil des Buches erzählt von ihnen und davon, was es bedeutet, wenn die Phantasien maskulistischer Kämpfer und hypermaskuliner Krieger Realität werden. Und wo ich schon mal da war, schlich ich mich als vermeintlicher AfD-Mann bei Ordo Iuris ein – einem bestürzend einflussreichen Institut rechtsextremer Fundamentalisten. Eine federführende Kraft hinter den polnischen Kampagnen gegen Abtreibung und die LGBTQ-Community, und stolz berichteten mir die Mitarbeiter*innen dieses düsteren Instituts von ihren Schlachten gegen die «kulturmarxistische Verschwörung». So erhielt ich auch Einblicke in das mächtige Netzwerk dahinter, das weltweit, auch in Brüssel und auch in Deutschland, den Kampf gegen Frauen- und Menschenrechte vorantreibt. Polen ist uns nicht bloß geographisch nah.
Selbst jetzt, nach dieser langen Zeit, die ich in diesen stockfinsteren Welten zugebracht habe, fühle ich mich manchmal noch wie in der Oktobernacht 2009. Ungläubig stand ich auf der Straße und wollte glauben, dass dieser Hass nichts mit unserer, nichts mit meiner Welt zu tun habe. Aber das stimmt nicht. Und der Hass rückt immer näher.
Von der Blase der Manosphere über die extreme Rechte bis in das Netz des religiösen Fundamentalismus: Die stockfinsteren Welten mögen vielfältig sein, aber ihre Narrative und Feindbilder haben sich angeglichen, einander beeinflusst und befeuert. Der Angriff auf Demokratie und offene Gesellschaften richtet sich nicht zufällig so oft zunächst gegen Feminismus, Frauen und sexuelle Minderheiten. Mit dieser Agitation lassen sich gekränkte Männer zu Kriegern formen. Diese Agitation kostet Menschenleben.
Nein, wir können, wir dürfen das alles nicht länger ignorieren, kleinreden oder belächeln.
In diesem Buch erzähle ich von Menschen, die sich bis in die hinterletzten Ecken menschenverachtender Ideologien hineinmanövriert haben, die zum Teil unerträgliche und lebensgefährliche Dinge glauben, sagen und tun. All das gebe ich in diesem Buch wieder, ich reproduziere es. Es ist nicht leicht, sich mit solchen Ideen zu beschäftigen, ich weiß das nur zu gut – aber ich fürchte, es ist notwendig. Der Blick in den Abgrund kann uns begreiflich machen, was tagtäglich in unserer Mitte geschieht.
Und hier gleich noch eine Trigger-Warnung hinterher: Ich benutze Begriffe wie Trigger-Warnung. Ich benutze auch inklusive und geschlechtergerechte Sprache. Na gut, zumindest gebe ich mir wirklich Mühe. Nach über einem Jahr in diesen testosteronverkleisterten Netzwerken bin ich mir ganz sicher, dass jeder Versuch, unsere Welt auch nur ein klein wenig besser zu gestalten, unendlich wichtig ist. Also hier die Warnung: Man kann sich gelegentlich den Kopf an einem Gendersternchen stoßen, und ab und an wird es mir auch nicht gelingen. Zum Beispiel, wenn ich von Männern und Frauen schreibe und damit – das ist dem düsteren Diskurs geschuldet, über den ich hier berichte – in der Regel nur cisgeschlechtliche Menschen meine.
An den beschriebenen Begebenheiten habe ich nur das abgeändert, was mir unbedingt notwendig erschien. So wurde mal ein dreistündiges Gespräch aus dramaturgischen Gründen zu drei Sätzen, mal aus drei Gesprächen eines. Generell habe ich die Namen aller Personen verändert, die selbst nicht in der Öffentlichkeit stehen oder sie aktiv suchen. Also habe ich biographische Details und einzelne Umstände verfremdet, um bestimmte Identitäten unkenntlich zu machen. Denn in diesem Buch geht es nicht nur um die einzelnen traurigen, skurrilen und gefährlichen Individuen, die einzelne traurige, skurrile oder gefährliche Sachen sagen. Es geht um Ideen, die um sich greifen. Und die sind überall. Sie sind anschlussfähig. Sie töten.
Die Krieger des Patriarchats rufen zur Schlacht.
Frontberichte aus der Manosphere
«Das männlichste Volk dieser Erde, das deutsche, muss die Schmach erleben, von seinen Weibern dem Verfall entgegengeführt zu werden.»
Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation, 1918
Die halbe Flasche Grillanzünder war zu viel des Guten gewesen, aber das Tagesprogramm ist dicht und durchgetaktet, da bleibt für kulinarische Sperenzchen wenig Zeit. Dann sind die Würste jetzt eben verbrannt, außen verkohlt und innen noch roh, was soll’s? Davon lassen sich die Männer nicht abschrecken. Das schmeckt auch so, man hat ja Senf und Hunger, Prinzipien und zum Runterspülen einen ganzen Kasten Bier. «Außerdem ist das Gutfinden von Thüringer Rostbratwürsten die erste Voraussetzung, um eingebürgert zu werden», ruft der Persönlichkeitstrainer, ein wuchtiger Altherrenkörper mit winziger Lesebrille auf der Nasenspitze, und die übrigen Männer lächeln höflich, nehmen Platz und beißen in ihre Brötchen voll rohem Fleisch und Karzinogenen.
Was müssen wir für ein merkwürdiges Bild abgeben, die acht Herren des Männerrechtsvereins und ich, umweht vom Funkenflug auf dem kleinen Grillplatz hinter einer Jugendherberge! Es will nicht zusammenpassen. Nichts will hier zusammenpassen. Diese Gut- und Sehr-gut- und Noch-besser-Verdiener, die sich als rundum diskriminierte Geschöpfe wahrnehmen, sitzen eingezäunt zwischen Geräteschuppen und Parkplatz. Männer im besten Alter und noch älter, mit Status und Geld. Ein dezent gemustertes Bürgertum mit kurzärmligen Hemden und braun-beige-khakifarbenen Baumwollhosen und Polos mit den teuren Tierchen auf der Brust. Ich weiß nicht, warum sie sich gerade diesen kuriosen Ort für ihre Zusammenkunft ausgesucht haben: Das Internationale Gästehaus auf dem Herrenberg am Rande des Jenaer Forsts. Ein himmelblau gestrichener DDR-Betonbau mit Mehrbettzimmern, muffigen Seminarräumen und dem allgegenwärtigen Geruch von Früchtetee. Vielleicht hat sich kein anderer geeigneter Ort für die Tagungsklausur der Bundesvereinigung Liberale Männer e.V. gefunden. Oder vielleicht gefiel ihnen einfach die Adresse: die Männerrechtler vom Herrenberg. Das klingt doch nach was.
Und schon geht es wieder los, Pause hin oder her, das wütende Geschimpfe und verschwörerische Geraune blüht auf. Auch beim Abendessen, auch mit vollen Mündern wird das große Unrecht besprochen. Dafür sind sie hier, um dieses Unrecht in all seinen Facetten zu besprechen und sich einander in ihrem Glauben daran zu bestätigen. Und sie sprechen von der systematischen Unterdrückung des Mannes. Von der gewaltigen Krise der Männlichkeit. Vom tobenden Krieg der Geschlechter. Und vor allem sprechen sie vom allgegenwärtigen und übermächtigen Feind: vom vermaledeiten Feminismus.
«Sicher, die Feministinnen sind mittlerweile überall», bestimmt der Politiker, ein Fünfzigjähriger mit ewig spöttischem Lächeln im Gesicht und kleinem Bäuchlein im grell-türkisen Polohemd: «Aber ewig werden sich die Männer das alles nicht mehr gefallen lassen!» Er klingt überzeugt, ganz so, als sei der Aufstand des Mannes längst entschiedene Sache. Dann lacht er bitter auf und prostet mir zu. Und weil ich mit dieser kläglichen Situation nicht anders umzugehen weiß, proste ich zurück und schlucke Bier und Fleisch und Asche. Ich spiele mit, auch wenn ich das Spiel noch nicht verstehe. Aber dafür bin ich schließlich hier. Ich will sie verstehen, diese Männer und ihren Glauben. Nur mit dem Ausmaß der Kläglichkeit habe ich nicht gerechnet.
Wie wird ein Mann zum Männerrechtler? Was wurde diesen Männern bloß angetan, dass sie sich entrechtet glauben?
Die Klausur sei nicht zuletzt für den persönlichen Austausch gedacht, ganz menschlich, von Mann zu Mann zu Mann. So in etwa sagte es mir der Vorsitzende der Liberalen Männer, der Regensburger Universitätsdozent, und im Unkostenbeitrag von 37 Euro sind Übernachtung und Verpflegung schon inbegriffen. Ein Schnäppchen, dachte ich mir – aber auch nach einem Tag in ihrer Mitte bin ich kein bisschen schlauer. Ich weiß nicht, was diese Männer hergetrieben hat. Man stellt diese Frage nicht. Niemand hier stellt diese Frage, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Männer viel voneinander wissen. Nicht mal die Frage, ob wir uns jetzt siezen oder duzen, ist so richtig geklärt. Alles, was sie einander preisgeben, ist ihr jeweiliger Beruf – und das ist auch alles, was sie von mir wissen wollten: Ich, Anton Schneider, ein unauffälliger Mann mit ungoogelbarem Namen, bin hier einfach nur der Doktorand.
«Du promovierst in Germanistik?», fragt der Politiker.
«Literaturwissenschaft», sage ich und setze an, von meiner fiktiven Doktorarbeit zu erzählen: von Mishima und Marinetti und anderen hypermaskulinen Autoren der Geschichte, die sich auch schon nach wahrer Männlichkeit sehnten und vor Verweiblichung fürchteten – aber schon fällt mir der Politiker lachend ins Wort: «Literatur studiert der, und dann auch noch in Berlin, boah, das ist ja hart!» Er versucht nicht einmal, sich den abschätzigen Tonfall zu verkneifen. Er selbst sei ja nicht nur Politiker, sondern auch Diplomkaufmann und Vermieter, ein rundum echter Machertyp: «Na, vielleicht wirst du ja mal Professor.» Und der Syndikusanwalt erkundigt sich besorgt, ob man als männlicher Literaturdoktorand überhaupt Berufschancen habe, aber da weiß der Universitätsdozent Bescheid: «Nicht in diesem feminisierten Uni-Betrieb.» Und damit ist das Interesse an mir, Anton Schneider, dem frischgebackenen Männerrechtler, auch schon wieder erloschen. Ist doch egal, was mich im Detail hergeführt hat. Die Männer haben alle ihre Gründe, also werde ich schon den meinen haben.
Diese halbe Anonymität und Schicksalslosigkeit der Herren ist ein Panzer, und es gibt kein Durchkommen. Es ist frustrierend. Dabei habe ich mir im Vorfeld viele Gedanken gemacht, was jemanden auf so einen Herrenberg herauftreiben könnte. Und ich habe sogar Antworten gefunden! Denn tatsächlich, inmitten all der Wut und Polemik, da gibt es sie ja, die legitimen und die zumindest nachvollziehbaren Anliegen. Es sind existenzielle Probleme, von denen Männer durchschnittlich sehr viel häufiger betroffen sind als Frauen. Dinge wie Wohnungslosigkeit, Drogensucht und Alkoholismus, die höhere Selbstmordrate und die geringere Lebenserwartung. Oder auch Missstände, die in der Öffentlichkeit einfach wenig Gehör finden: die geringen Chancen von Vätern bei Sorgerechtsstreitigkeiten oder häusliche oder sexuelle Gewalt gegen Männer. Diese Themen haben sich die Männerrechtler auf die Fahnen geschrieben und ja, auch hier, auf dem Herrenberger Grillplatz bekomme ich sie zu hören. Besprochen werden sie nicht, das wäre zu viel gesagt, aber sie werden benannt. Vorgetragen wie Stoßgebete, wie ständig wiederkehrende Mantras: Wohnungslosigkeit, Drogen, Familiengericht, Selbstmord …
Sicher, jedem dieser Probleme kann man eine kleinere oder größere Relativierung hinterherschieben, sollte vor schiefen Vergleichen und falschen Gleichsetzungen warnen. Denn auch, wenn es mich etwa erstaunt, dass bei rund 18 Prozent aller Fälle häuslicher Gewalt Männer die Opfer sind, ist die Gewalt, die Frauen widerfährt, unvergleichlich brutaler: In Deutschland versucht statistisch gesehen jeden Tag ein Mann seine Partnerin oder Ex-Partnerin zu ermorden. An jedem dritten Tag ist einer erfolgreich. Und nach der Statistik versuchen Frauen doppelt so oft wie Männer, sich das Leben zu nehmen. Allerdings gelingt es Männern viermal so oft. Weil es Männern oft schwerfällt, über ihre Probleme zu sprechen. Weil vielen Männern das soziale Netz fehlt. Weil da meist niemand ist, sie abzuhalten oder noch rechtzeitig zu finden. Weil sie meist auch brachialere Methoden zur Selbsttötung wählen … Um es kurz zu machen: Es ist alles kompliziert, und Vergleichen bringt wenig. Aber Schmerz ist Schmerz, Unrecht ist Unrecht, und für die meisten dieser Probleme habe ich größtes Verständnis. Ich bin ja auch ein Mann. Und wie oft in meinem Leben habe ich versucht, Einsamkeit und Schmerz mit Aggression wettzumachen? Habe rumgeschrien, mich aufgeführt, mich isoliert? Ich habe mir lange doch auch nicht meine psychischen Probleme eingestehen können, egal wie sehr und offensichtlich ich Hilfe gebraucht hätte. Denn ich hatte ja gelernt, was ein Mann ist: hart im Nehmen, funktionstüchtig, resilient. Da blieb in meiner Selbstwahrnehmung kein Platz für Depression und Angstzustände, für Panikattacken und Essstörung. Ein trauriger Mann mit Essstörung? Pah, eine alberne Vorstellung! Das wollte, das konnte ich mir nicht eingestehen. Und ich verlor Jahre meines Lebens. Verlor Freundinnen und Freunde. Weil ich ein Mann sein wollte. Weil ich glaubte zu wissen, was das ist.
Könnte sich da diese merkwürdige Abendgesellschaft vom Herrenberg nicht doch noch als Truppe unwahrscheinlicher Helden entpuppen? Vielleicht später, wenn die angestaute Wut aufgebraucht ist und die letzte gekränkte Stammtischparole ausgekotzt, müssten sie dann nicht ihre Würste und gestrigen Geschlechterbilder fallenlassen? Vom Tisch aufspringen und das eigentliche Problem angehen? Sie könnten einander ihre Wunden zeigen und gemeinsam um Heilung kämpfen.
Ich warte vergebens. Die Männer haben genug Wut und Schmerz für den ganzen Abend dabei, genug für ein ganzes Menschenleben und fallenlassen werden sie gar nichts. Ihre Analyse ist abgeschlossen, der Feind ausgemacht: Schuld hat für sie ausschließlich und exklusiv der Feminismus, der den Staat fest in der Hand hält. Oder wahlweise der Staat, der seine Bürger mit seiner feministischen Agenda traktiert. Die Politik sei von feministischen Netzwerken durchsetzt, lerne ich, Parteipolitik nur noch Frauenpolitik, und im Grunde lebten wir alle in einer dystopischen DDR-zwei-Punkt-null, in der Männer zu austauschbaren Arbeitskräften verkommen, zu Samenspendern und Verbrauchsmaterial, pfandfrei und entbehrlich.
Was auch immer die Männer erlebt haben, verschwindet inmitten all dieses heraufbeschworenen Unrechts. Nur manchmal, ganz plötzlich, da bricht etwas aus den Männern hervor. Mitten ins Gespräch mischt sich ein kaum verständliches Genuschel oder zischt eine bittere Bemerkung, ein fieser Nebensatz über die Ex-Frau oder das Gericht oder den Job. Viel konkreter wird es nicht. Dann flüchten sich die Männer wieder ganz schnell zurück ins schicksallose Geschimpfe über die feminisierte Gesellschaft oder die Gender-Ideologie oder das Gender Mainstreaming oder die Gendersternchen oder das Gender-was-auch-immer. Dann lachen sie höhnisch oder blicken ernst. Nur traurig will hier keiner sein. Und ich glaube, gerade deshalb kommen sie mir alle so unendlich traurig vor.
Einzig der Geologe, ein dürrer Mann mit seltsam alterslosem Gesicht, wirkt tatsächlich melancholisch, und auch am kollektiven Echauffieren beteiligt er sich kaum. Überhaupt scheint er mit der bisherigen Veranstaltung unzufrieden. Er verzichtet sogar auf seine verbrannte Thüringer, begnügt sich mit ein paar Brötchen und etwas mittelscharfem Senf, was für allgemeine Erheiterung sorgt. Aber jetzt will er doch was sagen: Er kenne das ja aus der Wissenschaft, erklärt er, meist sei nicht nur das eine oder das andere richtig, und so sei es doch auch mit dem Maskulismus und dem Feminismus, und da müsste man doch …
Es ist ein etwas umständlich-vorsichtiger Appell zur Mäßigung, den er mit seiner heiseren Stimme vorzubringen versucht. Glaube ich zumindest, aber da grätscht ihm der wuchtige Persönlichkeitstrainer ins Wort: «Das ist jetzt nicht Inhalt und Gegenstand.» Und weil der dürre Geologe noch einmal Luft holt, um irgendetwas zu erwidern, donnert der Wuchtige hinterher: «Die Liberalen Männer sind eine Vorfeldorganisation der FDP auf Bundesebene! So.»
Der Geologe verstummt. Darauf fällt ihm nichts mehr ein. Mir auch nicht. Während die anderen schnell zurück zu ihren Aschewürsten und gemeinschaftlichen Tiraden finden, erhebt sich der Geologe, stellt sich schweigend an den verrosteten Holzkohlegrill und stochert etwas unmotiviert in den glühenden Kohlen herum. Und weil ich jetzt auch genug vom immergleichen Geschimpfe habe, geselle ich mich zu ihm. Ist alles in Ordnung?
Er zuckt mit den Schultern. «Was will die Männerrechtsbewegung überhaupt? Ich frag mich das manchmal wirklich …» Was für eine kuriose Frage, die er ausgerechnet mir stellt! Immerhin ist das hier mein Debüt, mein erster Tag als Männerrechtler, der Geologe ist seit vielen Jahren dabei. Aber das meiste findet eben digital statt. Für persönlichen Austausch in der realen Welt gibt es nur wenige Gelegenheiten, und er hatte nicht mit dem harten Umgangston gerechnet, nicht mit der Lautstärke und vor allem nicht mit der geballten Wut. Damit kommt er offenbar noch wesentlich schlechter klar als ich. «Ich weiß manchmal nicht, ob ich überhaupt verstanden habe, worum es hier geht. Die reden doch nur über Feindbilder.»
«Und worum geht es dir?»
«Mir ging es immer um die Gleichbehandlung von Mann und Frau. Weil, die Leute glauben, dass Männer und Frauen so unterschiedlich wären, und deswegen könnte man Männer schlechter behandeln. Wenn Männer immer so stark und durchsetzungsfähig sind, warum sollte man sie dann schützen, nicht?»
Einen solchen Satz hätte ich nicht mehr erwartet. «Wow! Es geht dir also darum, alte Geschlechterrollen aufzubrechen?»
Aber «Geschlechterrollen», das geht dem Geologen doch etwas zu weit, bei dem Wort verzieht er das Gesicht: «Nein, nein. Also, die Frauen haben sich ja schon längst emanzipiert. Dieses Rollenkorsett gilt nur noch für Männer, die darunter leiden.»
Und ohne dass ich fragen muss, erzählt er von sich. Tatsächlich! Ganz von alleine und freimütig berichtet er von seiner Scheidung, die ihn zum Männerrechtler gemacht habe, und ich höre dankbar zu – auch wenn seine Erzählung mir nicht so ganz einleuchten will. Seine Ex habe zwar besser verdient als er, sei aber dennoch nur an seinem Geld interessiert gewesen. Die Geburt des zweiten Kindes habe sie noch abgewartet und ihn dann vor die Tür gesetzt. «Die war eben berechnend und unberechenbar zugleich!» Beim Sorgerechtsstreit habe sie dann behauptet, der Geologe könne die Kinder nicht angemessen versorgen: «Das wurde nicht hinterfragt. Umgekehrt, wenn ein Mann so was sagt, dann glaubt ihm kein Richter der Welt. Das ist evolutionsbiologisch bedingt. Die Männer ziehen immer den Kürzeren!»
«Na ja, immer? Vor hundert Jahren hättest du deine Ex noch in die Irrenanstalt einweisen können, oder?»
«Wir sind aber im Jetzt», hält er dagegen. «Und jetzt können die mit irgendwelchen Gesetzen etwas festlegen, und ich lande im Gefängnis …»
Aber weshalb würde er denn im Gefängnis landen?
«Also, nach der Scheidung, da wäre ich fast im Gefängnis gelandet.»
«Was hast du denn gemacht?»
«Nichts! Aber man würde es meiner Ex-Frau glauben, wenn sie was sagen würde.»
«Was würde sie denn erzählen?»
«Was auch immer! Was ihr einfällt.»
«Du hast doch gerade gesagt, dass du fast im Gefängnis gelandet wärst!»
«Sie würde ja nichts Wahres sagen!»
«Ich weiß! Aber was würde sie denn lügen? Du hast ja offensichtlich vor irgendwas Angst?»
«Sie hat damit gedroht!»
«Womit hat sie denn gedroht!?» Der Geologe zuckt zusammen, die Frage kam sehr viel lauter aus mir heraus, als ich wollte.
«Ich hätte sie und die Kinder geschlagen … Was auch immer.» Ich schaue ihn an. Er schaut zurück. «Das Problem ist, das wird halt geglaubt! MeToo und so? Das war ja schon viele Jahre vorher so, aber MeToo hat das gezeigt, wie das läuft.»
Vom Herrentisch wabern breitmäulige Diskussionsfetzen zu uns herüber. Irgendwas über die AfD, was mich vermutlich interessieren sollte. Aber ich bin gerade nicht aufnahmefähig.
Es ist ja möglich. Wirklich. Vielleicht hat der Geologe einfach nur furchtbar Pech gehabt und ist an eine böse oder irre Frau geraten. Oder er ist nur ein bisschen paranoid. Ein seltsamer Kauz, der in all den Jahren als Männerrechtler seinem Verfolgungswahn erlegen ist, einem neurotischen Kurzschluss. Oder vor mir steht doch einer, der seine Frau und Kinder prügelt.
Ich kann es nicht sagen. Kann nicht sagen, wer er ist. Wer irgendjemand hier ist.
Und ohne es zu wissen, bin ich genau in diesem Moment so richtig angekommen. In einer Welt der unerträglichen Ununterscheidbarkeit, voller Hass, Schmerz und schrecklicher Vermutungen.
Willkommen auf dem Herrenberg.
Willkommen in der Manosphere.
In den Wochen zuvor kauerte ich mit stetig wachsender Ratlosigkeit über meinem Laptop und klickte mich durch all die Webseiten, auf denen sich die Männerrechtler austoben. Ein unübersichtliches und ausfransendes Netz, in dem das Feindbild Feminismus zementiert wird und der ideologische Grundstein für die gesamte Manosphere gelegt wurde. Inhaltlich herrscht in der Szene der Männerrechtler zwar Einigkeit, zumindest in den zentralen Punkten, aber stilistisch ist es ein breites Spektrum. Es gibt Hunderte Foren und Facebookgruppen, YouTube-Kanäle, Onlinemagazine und etliche Blogs mit kryptisch-stottrigen Namen wie Genderama, Emannzer, FemokratieBlog oder Alternativlos-Aquarium. Man stößt auf wüste Tobsuchtsanfälle und staubtrockene Zahlendrehereien, halbgare Polemiken und fußnotengarnierte Abhandlungen. Kaum hatte ich eine lexikalische Aufzählung der gefühlten Ungerechtigkeiten bewältigt, pestete mir ein wutschäumender YouTube-Kerl mit wirrem Blick entgegen, dann ein überheblich daherschnöselnder Frauenhasser, und zwei Klicks weiter wuchern schon die rechten und rassistischen Parolen.
Man könnte die Männerrechtler leicht für ein kurioses Internetphänomen halten, und sicher, die Szene hat seit den nuller Jahren sehr an Bedeutung gewonnen. Aber es sind mehr als nur ein paar frustrierte Nerds an ihren Endgeräten. Über die Herrenrechtler schrieb auch schon die große Feministin Hedwig Dohm in ihrer Schrift «Die Antifeministen» aus dem Jahr 1902. Dohm, eine der ersten Frauen in Deutschland, die das uneingeschränkte Wahlrecht und die Gleichberechtigung forderten, beschreibt in ihrem Text eine finstere Allianz: Da waren «praktische Egoisten», die nicht auf die Annehmlichkeiten weiblicher Hausarbeit verzichten wollten, dann die «altgläubigen» Traditionalisten, die mal auf Gott, mal auf angebliche Naturgesetze pochten. Und schließlich eben die «Herrenrechtler», die sie in «Charakterschwache und Geistesdürftige» unterteilt: Die einen würde schlicht die «Furcht an die Front gegen die Frauenbewegung» treiben, die anderen hätten Angst, sie könnten nach der Emanzipation niemanden mehr finden, den sie als dümmer darstellen könnten, als sie es selber sind: «Er, der an Geist zu kurz Gekommene, ist es, der des Weibes völligen Mangel an Logik fett unterstreicht, mit dem triumphierenden Ausdruck, als plansche er lebenslang in logischen Wonnen.»
Und auch die Verquickung von Antifeminismus und rechtem Ressentiment ist wirklich nichts Neues. Zehn Jahre nachdem Dohm ihr Buch veröffentlicht hatte, gründete sich der «Bund zur Bekämpfung der Frauenemanzipation». Antimodern, antidemokratisch und antisozialistisch, war er von Anfang an eng mit der völkischen Bewegung verbunden. Zwar löste der Bund sich 1920 wieder auf – zwei Jahre nachdem die Frauen in Deutschland das Wahlrecht erlangt hatten –, aber seine wichtigsten Mitglieder konnten bald bei den Nazis mitmischen.
Und auch heute, beim Durchforsten des digitalen Dickichts, stößt man immer wieder auf rechtsextreme Manifestationen eines puren und ungefilterten Hasses. Skurril-unerträgliche Seiten wie «Weiberplage.org» oder «Wie viel Gleichberechtigung verträgt das Land?» (das ist freilich eine rhetorische Frage. Die Antwort: keine!) Und dann ist da die berüchtigte Online-Enzyklopädie WikiMANNia.
In den Tausenden Einträgen dieser längst indizierten, aber nach wie vor aktiv betriebenen und abrufbaren Datenbank, handelt es sich nach Eigenaussage um «feminismusfreies Wissen», mit dem «die Jugend vor familienzerstörender Politik und staatlicher Indoktrination» geschützt werden soll. Es ist eine schon faszinierend eklige Melange aus rassistischen Parolen, Idiotie und Bösartigkeit – und dazu diese ständige Umkehrung der Begriffe! Den eigenen Rechtsextremismus will man sich pro forma nicht eingestehen, also wird alles als «faschistisch» bezeichnet, was vom eigenen stramm rechten Kurs abweicht. Da ist von einem «linken Faschismus» die Rede, einem «EU-Faschismus» und «Islam-Faschismus» und «Klima-Faschismus» und «Antifa-Faschismus» und «LGBT