Die Leuteschreck-Saga - Sabine Lippert - E-Book

Die Leuteschreck-Saga E-Book

Sabine Lippert

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Beschreibung

Die etwas andere Wikinger-Saga, welche enthüllt: wie gefährlich Nebel auf hoher See schon damals war dass schicksalhafte Begegnungen auch auf Öko-Märkten stattfinden können dass Stubenhocker nicht immer langweilig sind dass die britische Brexitkrise den Wikingern Tür und Tor öffnete dass das Große Heidenheer eine Frauenquote hatte dass es dunkle Zeiten für die UNESCO waren und Regenschirme nicht unmartialisch sein müssen...

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In memoriam

Kirsten Walther (alias Yvonne)

Ove Sprogöe (alias Egon Olsen)

Poul Buntgaard (alias Benny)

und

Morten Grunwald (alias Kjeld)

haben in vorliegender Saga die dänischen Vorfahren des „Olsenbande“-Clans Yvona, Hakon, Benno und Kjöld ihren Auftritt als Nachbarn und beste Freunde der berüchtigten Leuteschreck-Wikinger.

Überall strecken die Gletscher ihre Waffen vor dem unaufhaltsamen Klimawandel und schmelzen traurig vor sich hin. Selbst auf Island. Doch auch solches hat zuweilen sein Gutes, denn so manche Eismasse birgt lang ungehobene Schätze. Wenn die dann – gelegentlich nach Jahrtausenden – zum Vorschein kommen, herrscht großes Staunen.

Auf diese Weise geschah es, dass ein lang verschollenes uraltes literarisches Werk geborgen wurde: Die Leuteschreck-Saga, tiefgefroren und nahezu unversehrt! Welche Sensation, als sich herausstellte, dass es eine Saga über berüchtigte Seekönige der klassischen Wikingerzeit war: Nämlich Ragnar „Leuteschreck“ sowie seine nicht minder notorischen Sprösslinge Ingwer „Knochenlos“, Sigurd „Siggi Schlangenauge“, Björn „Eisenschulter“ sowie – last but not least – Uwe „Ubba“, post mortem genannt „Golfball“!

Sie erzählt Abenteuer all dieser schlimmen wikingischen Schwerenöter, von denen andere Sagas gar nichts wussten! Manches scheint gar zu... phantastisch. Aber darf es das bei einer Saga nicht sein?

Vom Eise befreit sind Fjord und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick; Zeit, die Drachenschiffe zu rüsten, die Schwerter zu gürten und auf große Fahrt zu gehen an die hübschen fränkischen Gestade, Truhen voll blinkendem Silber zu ergattern, die Beile zu schwingen, den Tisch für Raben und Wölfe zu decken!

Kehre dich um, von diesen Höhen nach dem Meer zu sehen! Jeder sonnt sich heut so gern unter dem flatternden Segel. Sie feiern einen gelungenen Raubzug. Sieh nur, sieh, wie der Fjord in Breit und Länge so manchen stolzen Drakkar bewegt! Ich höre schon der Methalle Getümmel. Hier ist des Wikings wahrer Himmel, hier ist er Mensch, hier darf ers sein! (Ragnar Leuteschrecks Frühlings-Erwachen)i

Zu der guten, alten Schwert- und Beilzeit lebte auf Seeland ein selten kühner Wikinger namens Ragnar Leuteschreck. Er hatte seinerzeit sämtliche dänischen Inseln erobert (selbst die winzigsten). Manche nannten ihn Ragnar Lodenhose, wegen seiner robusten Kleidung, denn er war auch noch, mitsamt Gefolge, ein Musterbild von Berserker!

Nun traf es sich einmal, dass jener Ragnar übers Kattegat nach Norwegen rübersegelte, zu irgendeinem Berserker-Treffen - und da begegnete ihm, kaum dass er an Land gestiefelt war, etwas Außerordentliches: Nämlich eine Maid von kolossalen Ausmaßen. Sage und schreibe sieben Fuß hoch! Es fand gerade ein beliebter Öko-Markt statt, wo sie an einem Stand Backerzeugnisse feilbot. Ohne Umstände steuerte Ragnar ebendorthin; unter dem Vorwand, sich mit frischem Brot einzudecken, suchte er die Bekanntschaft mit der hünenhaften Dame.

„Holde Maid: Welche von all diesen leckeren Kreationen kannst du mir am wärmsten empfehlen?“

„Im wahrsten Sinne des Wortes unsere noch backwarme Spangerheid-Kruste.“, antwortete die Riesenmaid mit Charme – allein ihre Stimme klang so schrecklich, dass Ragnar unwillkürlich zwei Schritte zurückwich. Er hatte sich schnell wieder gefasst, da der liebreizende Ausdruck ihrer meergrünen Augen alles wieder ausglich.

„Ja... dann... die Spangerheid-Kruste, bitte!“, stammelte er. „Übrigens... ich seh dich heute hier zum ersten Mal.“

„Ich bin ja auch zum ersten Mal hier.“, lächelte die Maid wonnevoll, was einen interessanten Kontrast zu ihrer gewöhnungsbedürftigen Stimme bildete. „Endlich mal auf dem Markt mitverkaufen, anstatt immer nur daheim zu hocken, unter Ochs und Kuh. Das macht doch auf Dauer trübselig.“

„Zumal wenn man so ein frisches junges Mädchen ist. Wo ist denn dein Zuhause?“, wagte Ragnar den direkten Vorstoß.

Die Maid stemmte ihre Pratzen in die Hüften. „Na, hab ich doch eben verraten!“

Ragnar legte den Kopf schief – und da fiel der Pfennig. „Klar – da, wo die leckere Spangerheid-Kruste herkommt. Jetzt bin ich mal gespannt, was du kreiert hast.“

„Ich wünsch dir guten Appetit!“, schmunzelte sie. In dem Moment wollte sich ein ungeduldiger Kunde zwischen sie drängen; er bekam von Ragnar kurzerhand eine Kopfnuss verpasst. „Ich bin noch nicht fertig, Mann!“

„Was hättest du denn gerne noch?“, fragte die grünäugige Riesin.

Vertraulich beugte sich Ragnar vor. „Ein Date...“

Wie sie da errötete und verschämt auf ihre Zehenspitzen schielte. Einfach reizend!

„Du hast mir ja noch nicht deinen Namen verraten.“, zierte sie sich. Unter den bereits eine Traube um sie bildenden Kunden wachsender Unmut. „He, hier wollen noch andere was kaufen! Verlegt euer Privatgezwitscher auf die Freizeit!“

Jetzt drehte sich Ragnar langsam um, blähte seine Brust. Kein Murren mehr, kein Gemaule. Totenstille. Keiner kam ihm zu nah. Er trug eben nicht umsonst den Spitznamen Leuteschreck. Es war kein Ding für ihn, eine ganze Taverne auszuräumen, wenn ihn einer schief anguckte. Und ob das Eindruck machte bei der Maid!

„Ich bin Ragnar!“, klopfte er sich dröhnend auf die Brust. „Du hast bestimmt einen genauso hübschen Namen...“

Kokett schlug sie die Lider auf und ab. „Was hältst du von Aslaug?“

Er spitzte die Lippen. „Klingt süß wie Honig.“

„Weil du das so lieb gesagt hast, kriegst du von mir noch was Kleines geschenkt – ein Spangerheid-Rundstück...“, flötete sie (krächzend).

„Und das Date?“, zwinkerte er.

Während Aslaug Bauernbrot und Rundstück in einen umweltfreundlichen Jutebeutel einpackte, warf sie nervöse Blicke an Ragnar vorbei.

„Ist da irgendwas hinter mir?“, fragte er alarmiert. „Falls da jemand dumm kommt, ist das schnell erledigt, meine Süße.“

„Nein, nur... meine Eltern haben da drüben ihren Stand, mit Bio-Gemüse – und sie gucken schon andauernd hier rüber...“

„Verstehe.“, nickte Ragnar. „Eltern müssen nicht alles mitkriegen. Besuch mich mal auf dem Grünen Drachen am Hafen. Bin noch drei Tage hier.“

„Der Grüne Drachen... ist das dein Schiff?“

„Und was für ein schönes! Ich würd's dir gern zeigen...“

Sie errötete nochmal, jetzt heftiger, und als Ragnar endlich das Feld räumte, hatte sich schon eine Schlange bis quer über den Markt gebildet. Keiner wagte einen Mucks – bis er außer Sichtweite war.

Auf dem Grünen Drachen angelangt konnte er es kaum erwarten, in die noch backwarme Spangerheid-Kruste reinzubeißen. Seine Mannschaft murrte, da er ihnen – gegen alle Konvention – nichts abgeben wollte.

„Kauft euch selber was Feines!“, wimmelte er sie ab. Rasch hatte sich allerdings herumgesprochen, was ihrem Käpt'n im Kopf rumspukte.

„Ragnar – spinnst du? Das Riesenweib überragt dich glatt um einen Kopf und legt dich flach! Die hat die norwegische Damen-Ringmeisterschaft gewonnen! An die geht keiner...“

„Umso besser. Vor allem kann sie vorzüglich backen.“, entgegnete Ragnar schmatzend. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen...

„Und ihre grässliche Stimme erst! Weißt du, wie die genannt wird: Die Krähe!“

„Gut – ihr Stimmorgan ist grenzwertig.“, gab Ragnar zu. „Aber welche Frau ist schon perfekt?“

„Außerdem passt die gar nicht zu deinem Stand, Chefchen! Papa Landwirt, Mama Bäuerin. Denk daran, was das für ein Abstieg ist gegenüber deiner ersten Frau Thora.“

Ragnar war nämlich bereits einmal verheiratet gewesen, und zwar mit Thora, Tochter des schwedischen Jarls Rammstein, also einer exzellenten Partie. Die Ehe war ausgesprochen glücklich gewesen – nur leider, leider hatten die Nornen sich (wieder einmal) als erbarmungslos erwiesen und Ragnar zum Witwer gemacht!

„Man sollte nicht immer nur auf die Herkunft gucken.“, belehrte Ragnar seine Leute. „Auf's Glück des Herzens kommt's doch an. Thora war zweifellos eine wunderbare Frau – nur kochen konnte sie nicht!“

„Na, du musst wissen, was du tust!“, beendeten seine Männer die Debatte, denn sie kannten den Sturkopf ihres Käptn's. Der lauerte nun, ob Aslaug den Weg zu seinem Grünen Drachen fand. Gern wäre er nochmal zum Markt; allein das Risiko, dass ihre Eltern was spitzkriegten, wollte er nicht eingehen.

In den Nachmittagsstunden – Ragnar döste gerade an Deck – geriet seine Mannschaft unvermittelt in Aufruhr, und alles hechtete von Bord. Als er sich aufrappelte, war von ihnen schon nichts mehr zu sehen. Dafür rückte nun was sehr viel Interessanteres in sein Blickfeld: Eine turmhohe Frauengestalt in Begleitung einer nur halb so großen Weibsperson. In voller Aufregung stöberte Ragnar nach seinem Kamm aus Hirschgeweih, um das Haar halbwegs in Ordnung zu bringen; rasch streifte er noch ein frisches Wams über. Da war sein Besuch bereits am Landesteg angelangt. Ritterlich streckte er die Hand aus, um beide Gäste sicher an Bord zu geleiten. Aslaug trug einen großen Kessel in ihren Armen.

„Da wären wir nun. Darf ich dir meine jüngere Schwester Helga vorstellen?“, krächzte Aslaug. „Sag mal, Ragnar, wieso hat deine Mannschaft eben so fluchtartig das Schiff verlassen?“

„Ja... ähem... die sind so abergläubisch. Weißt du: Frauen an Bord und so...“

Aslaug und ihre Schwester guckten sich an und brachen schließlich in ein herzhaftes Gekicher aus. „Zu komisch! Männer können so albern sein...“

Ragnar nahm ihr nun erstmal den schweren Kessel ab. „Meine Güte, was habt ihr da mitgeschleppt?“

„Einen schönen Gemüseeintopf, ganz frisch gekocht, mit Zutaten aus unserer bio-dynamischen Landwirtschaft.“, erläuterte Aslaug. „Ich dachte mir, den könnten wir Drei nun zusammen verdrücken...“

„Fabelhafte Idee!“, lobte Ragnar begeistert, denn er liebte Eintöpfe über alles. „Ich hol uns dazu einen Wein!“

„Du hast Wein hier an Bord?“, staunte Aslaug.

„Ganz frisch importiert aus den Kellern fränkischer Mönche!“, grinste der Gastgeber. „Immer nur Met auf die Dauer macht stumpfsinnig.“

Und so verbrachten sie nun einen wunderbaren Nachmittag miteinander an Bord des Grünen Drachens. Ragnars vertriebene Mannschaft besoff sich derweil in einer nahen Taverne. Mit der Abenddämmerung wagten sie sich zurück. Die Luft schien rein.

„Na, Chefchen – Verlobung gefeiert?“, stichelte man.

„Wenn die kleine Schwester nicht dabei gewesen wäre, Mann, da wäre was abgegangen!“, träumte Ragnar selig. „In zwei Monaten wird Aslaug 21. Wie soll ich das bis dahin aushalten?“

„Und ihre Eltern, die haben ein Auge drauf.“, mahnte ein alter Fischer, der sich Ragnars Leuten angeschlossen hatte. „Ich kenn die ganz gut. Den wackeren Aki und die treue Grima...“

„Sind das auch solche Riesen?“, wollte Ragnar wissen.

„Nee, die haben ganz vernünftige Ausmaße. Aber hässlich sind die beide, wie die Nacht! Die führen hier den größten Bio-Landwirtschaftsbetrieb in der Region! Haben sogar schon Auszeichnungen gekriegt...“

„Dann wäre Aslaug ja gar nicht so unstandesgemäß.“, überlegte Ragnar bei sich.

Der alte Fischer rückte nah an ihn heran. „Ich geb dir mal nen Rat, wie du bei denen gut landen kannst. Die haben nämlich was übrig für markige Naturburschentypen, so wie du einer bist. Die Chancen stehen gar nicht schlecht für dich...“

„Für so gute Tipps hast du dir ein Fass Wein verdient, Freund!“, schlug Ragnar dem alten Fischer auf die Schulter. „Und zur Hochzeit bist du jetzt schon eingeladen!“

Bevor sich die Riesenmaid einfangen ließ, stellte sie allerdings eine Bedingung: Ragnar musste ihr drei seiner besten Wikingerabenteuer so spannend erzählen, dass sie von ihm restlos überzeugt war.

„Überhaupt gar kein Ding!“, erklärte der Leuteschreck großspurig. „Gib mir nur ein wenig Zeit, die drei spektakulärsten Taten aus dem dicken Katalog meiner Wikingertriumphe auszuwählen.“

Wenige Tage darauf wurde er auf dem stolzen Hofgut zu Spangerheid vorstellig, mit großzügigen Gastgeschenken und vor allem packendem Erzählstoff.

„Bloß kein Wikingergarn!“, mahnte Aslaug mit scherzhaft erhobenem Zeigefinger. „Damit fällst du bei mir durch!“

'Hui – die weiß, was sie will!', holte Ragnar Luft. 'Vormachen kann man der so leicht nichts...“

Das üppige bio-dynamische Mahl an der Tafel seiner (hoffentlich künftigen) Schwiegereltern brachte ihn bald in die richtige Erzählstimmung. Alles einschließlich der Dienerschaft hing an seinen Lippen.

„... Ziel unserer kühnen Fahrt war damals eigentlich Bordeaux, jene reiche Hafenstadt im Süden des Frankenlandes und Heimat eines exzellenten Weins. Aber wie das manchmal so kommt – wir wurden ein Opfer der launischen Nornen, die sich mit Meeresgöttin Ran offenbar tüchtig gegen uns verschworen hatten. Statt an der Mündung der Gironde landeten wir an einem öden Eiland inmitten der Weite des Ozeans. Die Christen nannten es St. Helena. Tatsächlich lebten da ein paar Einsiedler, die wir ganz unbeabsichtigt in ihrer Ruhe störten. Da wir uns nach einer solchen Irrfahrt erst einmal erholen mussten, stand uns zunächst nicht der Sinn nach Plündern. Allzu viel wäre da ohnehin nicht zu holen gewesen. Stattdessen hatten wir eine höchst merkwürdige Begegnung...“

Aslaug spitzte die Lippen. „Nun sag bloß nicht, mit furchterregenden Drachen...“

Ragnar trank ihr zu. „Die Kuriosität, die uns dort begegnete, lässt die Begegnung mit einem Drachen als Banalität erscheinen, Liebes. Da lebte nämlich, außer den Einsiedlern, noch ein Mann mit eigenartigen Sitten und Klamotten. Der fiel uns bald auf, mit seiner exzentrischen Kopfbedeckung...“

Der Erzähler hielt inne, um an seinem Gürtel rumzufingern. Dann präsentierte er seiner Angebeteten sowie ihren Eltern eine Zeichnung, die er in den Knauf seines Dolchs geritzt hatte. „Da hab ich seinen Hut verewigt. Sieht man nicht alle Tage, was?!“

Aslaug besah sich die Skizze äußerst skeptisch. „Nach solcher Irrfahrt, stelle ich mir vor, war ihr doch reichlich übermüdet, und dann sieht man manchmal ganz komische Sachen, nicht wahr?“

Auch Aki und Grima begutachteten ausführlich das Beweisstück – und hielten es für ausgeschlossen, dass sich jemand so etwas Merkwürdiges ausdenken konnte.

„Habt ihr denn rauskriegen können, welchem Volk dieser Träger eines zweispitzigen Hutes angehörte?“

Schmunzelnd lehnte sich Ragnar zurück. „Nicht so einfach – der redete nämlich nicht mit jedem. Er sonderte sich immer ab. Selbst an seine Diener kam man nicht ran. Wir schafften es nicht mal, die mit Met zu bestechen; die und ihr Boss tranken nämlich nur Rotwein. Da war schon mal klar: Südländer. Italien, Spanien oder so. Aber keine Sarrazini.

'Ich fahr hier nicht eher wieder ab, bis ich weiß, wer hinter diesem Typ steckt! ', vertröstete ich meine Mannschaft. Wenn Ragnar was rauskriegen will, dann kriegt er es raus!

Auf dem Eiland gab's nämlich nur eine einzige Taverne – die besuchte unser Freund immer zu einer bestimmten Zeit. An einem stürmischen Abend passten wir ihn dort mal ab. Da saß er in seiner Ecke, an seinem Rotwein nippend, mit dem üblichen grimmigen Ausdruck im Schatten seiner Kopfbedeckung...“

„Wie – die trug er sogar in der Taverne?“, wunderte sich Schwiegermutter in spe Grima.

„Wer nicht erkannt werden will, trägt in der Taverne einen Hut.“, zwinkerte Ragnar. „Mit dem Knaben war also was. Und tatsächlich: Nachdem mein heißblütiger Smutje Rollo der Rollige mit dem Schankmädchen ins Gebüsch gehüpft war, sahen wir ein wenig klarer.“ Er beugte sich weit vor, den Ton gedämpft. „Stellt euch vor: Ein Kaiser im Exil...“

Aki und Grima stutzten. „Dann war er... ein Karolinger?“

„Dachten wir erst auch. Aber der hieß weder Ludwig noch Karl noch Lothar – sondern... wartet mal... Napolius Bona...dingsbums aus Korsika!“

„Das ist doch so eine Insel bei Spanien...“, überlegte Aki.

„Eher bei Italien.“, korrigierte der weitgereiste Leuteschreck. „Wie sich rausstellte, war dieser Napolius bei seinem Versuch, den fränkischen Thron zu usurpieren, ins Exil gejagt worden, auf dieses öde Eiland...“

„Deshalb hat er wohl auch immer grimmig geguckt und den Hut aufbehalten.“, folgerte Grima.

„Ich überlegte mir nun eine Strategie, wie ich mit dem mal ins Gespräch kommen könnte.“, fuhr Ragnar fort. „Wir hatten nämlich mitgekriegt, dass der zuweilen mit einem seiner Diener so ein ähnliches Spiel spielte wie unser Hnefatafl.ii Als er wieder mal dabei war, zur üblichen Zeit in der Taverne, packten auch wir unser Hnefatafl-Brett aus. Ich spielte ein paar Runden mit Rollo. Zwischendurch immer mal ein verstohlener Blick rüber – und der nahm auch unauffällig Maß. Nach einigen Stunden und Hörnern Met ging ich in die Offensive und zu ihm rüber, um seine hübschen Spielfiguren zu loben. Aus Elfenbein waren die, so was habt ihr noch nicht gesehen! Das weckte natürlich Beutehunger, aber man bezähmte sich ausnahmsweise. Tatsächlich gewann ich ihn für eine Runde Hnefatafl , wo ich ihn schlug. Dafür haute er dann mich auf seinem Brett raus. Wie hieß doch sein Spiel gleich? Ich glaube, ich werde alt...“

„Ach, dieser Kaiser ist doch interessanter als sein Spiel!“, warf Aki ungeduldig ein. „Konntet ihr sein Geheimnis endlich lüften?“

„Nicht wirklich. Er war schon ne eigenartige Ausgabe. Als der Wein seine Zunge gelockert hatte, zählte er mir eine Kette von Schlachten aus, die er in seinen besseren Tagen gewonnen hatte. Schlachten gegen die Ostfranken, Sachsen, Bajuwaren, von denen keiner unter uns je gehört hatte!“

„Eventuell war er ein Hochstapler.“, flüsterte Grima.

„“Ein Intelligenzbrocken war er zumindest. Vielleicht doch irgendein versprengter Enkel Karls des Großen. Ich hab ihn aufgemuntert, sein Scheitern und Exil nicht so schwer zu nehmen – schließlich ist auch so mancher tüchtige Dänenkönig im Exil gelandet, nicht?! Wir boten ihm eine Allianz zur Eroberung des Frankenreiches an; er aber war dafür – leider, leider – zu müde.“

„Mag sein, dass er so allein da draußen schwermütig geworden ist.“, äußerte Grima anteilnehmend.

„Obwohl ich mir die Antwort eigentlich denken konnte, hab ich ihn frei heraus gefragt, ob er mir seinen Hut schenken würde. Ich bot ihm dafür mein zweitbestes Schwert. Er meinte, ich könnte mit seinem Spielbrett mitsamt Figuren vorlieb nehmen – das aber wollte ich nicht. Wo dieses Spiel doch sein einziger Zeitvertreib war da draußen. Bevor er uns noch ansteckte mit seiner Schwermut, segelten wir mit dem nächstbesten günstigen Wind ab.“

Einen Moment lang herrschte Stille. „Wer weiß, ob dieser traurige Kaiser noch immer da draußen sitzt.“, ließ sich Grima vernehmen.

„Das wissen nur die Asen, fürchte ich. Keiner der vielen Seefahrer, die uns seitdem begegneten, konnten uns dahingehend Auskunft geben. Es kannte noch nicht mal einer diese Insel! Was Wunder, da wir dort selbst rein zufällig gestrandet waren...“

Nun lauerte Ragnar auf Aslaugs Urteil. Sie ließ sich Zeit und ihn zappeln.

„Nun denn,“ unterbrach sie endlich ihr Nachsinnen. „Es gibt gewiss aufregendere und spannendere Abenteuer eines Wikingers. Deines aber ist ehrlich und ohne Übertreibungen erzählt. Es besteht für mich kein Zweifel mehr, dass du diesem Kaiser Napolius wirklich begegnet bist. Und du hast dich von Anfang bis Ende sehr klug angestellt...“

Der Leuteschreck atmete auf. Erste Prüfung bestanden!

Nach einem herzhaften Rübeneintopf anderntags war Ragnar in der Stimmung, sein zweites Abenteuer vorzutragen.

„Dieses hat nichts mit schwermütigen Kaisern zu tun – wohl aber wieder mit einer Insel, diesmal einer wohlbekannten in südlichen Gefilden...“

Aki, Grima und Tochter Aslaug sowie Gesinde hatten es sich rings um die Feuerstelle auf weichen Fellen bequem gemacht, voller Vorfreude.

„Sicher habt ihr schon von der Insel Mallorca gehört. Nahe Spanien schwimmt sie im Mittelmeer, immer einen Plünderzug wert. Da sitzen nämlich die Sarracini, die man gern mal um Gold und Silber erleichtert. In meiner Lehrzeit unter dem großen Hasting räuberten wir dort mehr als einmal. Jahre später trommelte ich meine eigene Mannschaft zusammen. 'Lust auf Mallorca?' Einstimmig angenommen!

Allerdings erwartete uns nach aufregender Fahrt eine Überraschung: Als wir nämlich vor Mallorca kreuzten, fanden wir die schönen Strände rammelvoll! So voll wie eine Walrossinsel!

'Was geht denn da ab?', wunderte sich selbst der Abgebrühteste unter uns. Männer, Weiber, Kinder – alles lümmelte faul in der Sonne! 'Halten wir mal näher dran, damit ich's glaube!'

'Das sieht aber nicht nach Mauren aus. He, da vorne liegt einer auf seinem Badetuch – ich glaub, den kenn ich von Batavia...“

„Dahinten... haben wir für die nicht mal ein stattliches Lösegeld kassiert? Hamburger Fischhändler...“

'Ach, du hast doch was am Auge, Harald! Was hätten denn Hamburger Fischhändler hier verloren, he?“

„Die fette Brumme da vorne kenn ich ganz bestimmt! Die stammt aus Jütland!'

'Da muss uns die Sonne einen Streich spielen!', war ich mir zunächst sicher.

Am Strand war man derweil längst auf uns aufmerksam geworden. Doch anstatt die Flucht zu ergreifen – wie gewöhnlich beim Anblick unserer Drakkareiii – was machten die? Winkten uns wie wild zu!

'Entweder haben die einen Sonnenstich oder wir.', meinte ich zu meinen konsternierten Leuten. 'Oder versteht ihr die gute Laune da drüben?'

Vor allem die vielen Kinderchen! In Scharen schwammen die uns entgegen, planschten übermütig um uns rum! „Juhuu! Hallo, ihr Wickis!“ Bei solch nettem Empfang konnten wir einfach nichts anders, als anzulegen. Im nächsten Moment wuselten um uns herum große und kleinere Kinder, die unsere Ruder und vor allem die schönen Drachenköpfe bestaunten. 'Heißt du Hägar?', fragte mich ein Knirps. „Nein, Ragnar.“ „Kennst du Hägar und Helga?“ „Hm, ich kenne zwei Helgas, aber leider keinen Hägar.“

Ragnar hielt inne. „Kennt ihr vielleicht einen Hägar?“

Aki kratzte sich am Ohr. „So hieß mal einer meiner Knechte. Sonst kennen wir keinen Hägar, nicht wahr, Grima? Hägar ist auch kein Name der Vestfold -Dynastie...“

„... und auch nicht unserer dänischen Dynastien.“, nickte Ragnar. „Ich hatte den Eindruck, der Kleine meinte jemanden Berühmtes. Vielleicht meinte er auch nur einen Onkel oder sonstigen Verwandten, den ich leider nicht kannte. Aber um wieder den Erzählfaden aufzunehmen: Im Gefolge der Kinder nahten haufenweise spärlich bekleidete Weiber – nur mit Höschen und Busenbinde!“

Aslaug spitzte die Lippen. „Da konntet ihr euch doch wie Hahn im Korb fühlen, nicht wahr?“

„Na ja, aber gleich so ein Ansturm! An jedem von uns zuppelten mehrere, mancher verlor das Gleichgewicht und nahm ein Bad, was die gute Laune nur noch steigerte. Wir machten uns auf eine Konfrontation mit eifersüchtigen Ehegatten gefasst – die aber brieten nur bräsig in der Sonne, wahrscheinlich froh, mal Ruhe zu haben. In solcher Umzingelung war ohnehin kein Entrinnen mehr möglich, und so wurden wir vom lärmenden Weibsvolk regelrecht den Strand raufgeschoben!

'Willkommen, ihr wilden Wikinger! Willkommen am Teutonengrill, ihr tollen Mannsbilder!'

'Wie – wollen die uns hier grillen?', fragte mich einer bang. „Die sind in Ekstase, wie mir scheint. Womöglich Menschenfresser...'

'Jetzt zeigen wir euch erstmal den Ballermann!', johlten unsere holden Führerinnen. Die Kinder wurden zum Strand zurückgeschickt. Wohl aus gutem Grund...

'Ist Ballermann euer Anführer?', wagte ich zu fragen. Eine Woge von Gelächter überrollte mich.

'Du bist süß!', bekam ich einen dicken Knutsch. 'Aber dem König vom Ballermann können wir euch gleich vorstellen!'

Nun harrte unser die nächste Überraschung: Nämlich eine überaus geräumige Bierhalle! Und in der thronte der König vom Ballermann und sang mit entzückender Stimme fröhliche Lieder...“

Aslaug hatte den Kopf schief gelegt. „Ich fürchte, jetzt gleitest du doch ab ins Wikingermärchen...“

„Und wahrhaftig wähnte ich mich in einem Märchen oder Traum!“, beteuerte der Erzähler. „Fürwahr, das klingt alles nach Harun-al-Raschidiv und ist uns dennoch leibhaftig widerfahren! Wir fragten unsere reizenden Begleiterinnen erstmal, wo denn die Mauren abgeblieben waren – denn um uns herum sprach man nur fränkisch, sächsisch, friesisch, alemannisch, dänisch und sogar englisch!

'Meint ihr die Ureinwohner? Ach, die meiden den Ballermann. Denen ist das zu laut hier. Die bleiben lieber im Hinterland.'

Ja, ganz offenbar herrschte nun der König vom Ballermann, und er hieß uns Wikinger herzlich willkommen. Sein Dialekt klang bajuwarisch.

'Unglaublich! Wie habt ihr es geschafft, den Mauren Mallorca zu entreißen?', fragte ich ihn. 'Wie lange herrscht ihr schon hier?'

Bereits etliche Jahrzehnte, wie man uns belehrte. Das bajuwarische Bier habe die Insel erobert, und es mundete auch uns derart gut, dass wir es nicht über uns brachten, unsere Gastgeber zu plündern. Obwohl da einiges zu holen gewesen wäre. Da standen Türme von Häusern. Je älter die Damen, desto teurer die Klunker, die sie trugen. Uns juckten die Finger. Aber man überhäufte uns mit tollen Geschenken, weil wir so eine gute Stimmung mitgebracht hatten und die Kinder eine Hafenrundfahrt auf unseren Drakkaren machen durften. Ein verrücktes Völkchen. Die sind da zweifellos wegen der schönen Sonne hin ausgewandert...“

Aki und Grima schauten sich an. „Womöglich sind dorthin auch welche aus dem kalten Norwegen ausgewandert. Da müssen wir uns mal umhören...“

„Bei den Geschenken war ich stehen geblieben.“, fuhr Ragnar fort. „Zum Einen waren da kleine hauchdünne bunte Häute, die man aufblasen konnte – einige wurden einfach nur rund. Andere bekamen die Form eines prallen Weibes...“

Aslaugs Augen weiteten sich. „Nach wie vielen bajuwarischen Bieren hattet ihr solche Visionen?“

„Nein, ehrlich! Rorik unser Steuermann war so dämlich, einem dieser aufgeblasenen Weiber in die Rundungen zu kneifen – der Traum zerplatzte mit einem lauten Knall! Das gab Spott! Rorik meinte nur, jetzt wisse er, was er an seiner robusten Alten daheim habe...“

Aki gluckste. „Falls das nicht wahr ist, dann ist es verdammt gut erfunden!“

„Wartet.“ Ragnar griff in seine Gürteltasche. Zum Vorschein kam ein zarter grellbunter Gegenstand. Den reichte er Aslaug. „Aufblasen, Liebes – und dann unten vorsichtig verknoten.“

Seine Angebetete zögerte. „Ich will jetzt aber keine Schweinereien aufblasen!“

„Ich glaube, das ist ein normaler runder Ballon – so nennen die das auf Mallorca.“

Unter den gespannten Blicken ihrer Eltern blies Aslaug vorsichtig die bunte Haut zu voller Größe. Sie formte sich zu einem lustigen Gesicht.

„Darfst du behalten, Liebes.“, blinzelte Ragnar. „Bitte von Feuer und spitzen Gegenständen fern halten. Kannst du auch an einen dünnen Stab binden und aufheben, als Spielzeug für unsere Kinderchen...“

„Da hat es aber einer eilig.“, konterte Aslaug kokett.

„Nun aber weiter mit deinem Abenteuer!“, drängte Aki.

„Wo war ich stehengeblieben? Ah – Gastgeschenke. Von den Kindern bekamen wir noch aufblasbare Tiere, aus dickerer Haut. Mit denen kann man im Wasser planschen. Wenigstens eines habe ich in meiner Reisetruhe gerettet. Die anderen überlebten unsere Wikingfahrt leider nicht.

Bücher kriegten wir auch – voller bunter Bilder und alles lebensecht! Auf den Bildern verführerisch schöne Weiber. Um dieses Zeug entbrannte bald heftiger Streit. Überall an Bord flogen ausgerissene Seiten mit Schönheiten drauf rum. Dieses Völkchen auf Mallorca ist offenbar nicht nur sinnenfroh, sondern auch bildersüchtig. Mit kleinen Kästen laufen die rum, um Menschen, Tiere und Meer auf Bildern einzufangen. Wie diese Bilder dann in Bücher kommen, dürft

ihr mich nicht fragen...“

„Hört sich nach Zauberei an.“, mutmaßte Grima.

„War auch unser Eindruck.“ nickte Ragnar. „Erstaunlich, denn man scheint dort ununterbrochen betrunken. Ach ja, ein paar Fass bajuwarisches Bier bekamen wir auch mit auf die Reise. Mann, zieht das rein! Möglich, dass das besondere Inspirationen hervorbringt. Ich könnte euch noch so manches berichten, was uns dort unglaublich dünkte. Viele tragen dunkles Glas vor den Augen, als Sonnenschutz, und eigenartig duftende Räucherstäbchen im Mund. Vielleicht eine Abart der muselmanischen Wasserpfeifen...

Doch genug, sonst sitzen wir noch am Julfest hier. Dass es uns schwerfiel, da Lebewohl zu sagen, versteht sich von selbst. Etwas Kleines Unschönes musste sich leider noch zutragen...

Aus unserer Mannschaft waren ein Dutzend Leute während eines Biergelages mit zwei Dutzend Einheimischen handfest aneinandergeraten. Dabei hatte sich die Übermacht wie Weicheier vermöbeln lassen, stellt euch vor! Die hetzten uns nun die Lagmännerv auf den Hals. Viel hätte nicht gefehlt, und meine Leute hätten diesen ganzen Ballermann zu Kleinholz zerkloppt. Deren König konnte uns aber beschwichtigen, und nun verhandelten wir mit den Lagmännern, bis man die Kerkerhaft unserer Leute auf eine Woche runter hatte. So konnte zumindest der Rest von uns sich derweil noch auf Mallorca verlustieren. Doch jetzt kommt's...

Man ließ nämlich unsere Leute bereits nach drei Tagen frei! Die Begründung: Ihr Gestank sei unerträglich! Im Kerker würde es schlimmer als in einem Raubtierkäfig miefen!“

Aki schlug sich auf die Schenkel. „Nee, so was!“

„Wir kamen zu dem Schluss, dass die Mallorca-Bewohner andere Riechzapfen haben mussten als wir. Jeder Seekönig von Rang achtet schließlich auf eine angemessene Körperpflege seiner Crew. Es war aber tatsächlich so, dass die Untertanen des Königs vom Ballermann einen Großteil ihrer Zeit im Meer, Badezuber oder in großen Wasserbecken verbrachte, um sich anschließend von Kopf bis Fuß mit duftenden Ölen einzureiben. Zweifellos haben sie sich das von den Mauren abgeguckt. Ratet mal, was man uns noch als Gastgeschenk mitgab: Eine Kiste voll Seife!

Bei unserer Abreise fragten wir die netten Mädels, als die uns tränenreich verabschiedeten, ob wir wirklich so eine Zumutung für ihre zarten Näschen waren. Es wären eigentlich nur die Achselhöhlen, meinten sie offenherzig. Ansonsten wären wir ganz leckere Jungs...“

Unwillkürlich hob Aki den Arm, um seine Achselhöhle zu beschnuppern. „Grima – jetzt sag mir mal ehrlich: Habe ich da eine unangenehme Ausdünstung?“

Seine Gattin furchte die Stirn. „Wenn mir in den vergangenen 20 Ehejahren dahingehend nichts aufgefallen ist, wieso dann jetzt auf einmal?!“

„Tja – aber meine Mannschaft hatte seitdem einen Knacks! Es begann sich unter ihnen ein Waschzwang auszubreiten. Ständig berochen sie sich und bildeten sich ein, sie würden schlimm miefen. Daheim schickte ich sie alle erstmal in eine Therapie zu ihrem Godhi.vi Der hatte zu tun, den Tick wegzukriegen...“

„Und was war mit dir selbst?“, horchte Aslaug.

„Ein bisschen hatte natürlich auch ich daran zu knabbern.“, gestand Ragnar. „Aber mein gesundes Selbstvertrauen half mir da gut durch. Und bald darauf begegnete ich ja Thora, meiner künftigen ersten Frau. Die hatte nie etwas auszusetzen am Duft meiner Achselhöhlen, und ich hoffe,“ zwinkerte er, „dass es auch meiner zweiten besseren Hälfte nicht einfallen wird...“

Kokett wiegte Aslaug den Kopf. „Nun, das wird sich finden.“

Damit war Ragnar am Ende seines zweiten Abenteuers angelangt und harrte demütig auf ein günstiges Urteil.

„Auch diese Schilderung schien mir ehrlich.“, befand seine Angebetete. „Denn du hast nicht geschönt, sondern auch weniger Glorreiches berichtet. Und vor allem danke ich dir für dein originelles Geschenk!“

„Bevor ich euch mitnehme auf mein drittes Abenteuer, seid vorgewarnt!“, bereitete der Leuteschreck seine Zuhörer vor. „Denn was ihr nun zu hören kriegt, wird euer Vorstellungsvermögen gewaltig übersteigen! Glaubt mir, ich selbst habe einige Zeit gebraucht, jene Ereignisse zu verdauen...

Ich muss zugeben, dass ich seit damals mich auf jene Route nicht mehr gewagt habe. Auch wenn es mir arg schwerfiel. Bedeutete es doch, auf die besten Plünderziele zu verzichten.

Damals waren wir zu meiner zweiten Mittelmeer-Expedition gestartet. Das Ziel hieß diesmal: Monaco! Ihr wisst schon – dieses märchenhaft reiche Kleinkönigreich an der fränkischen Südküste. Man sagt, dass nur das arabische Bagdad reicher sei. Außerdem gibt es da zwei Prinzessinnen zu kidnappen, also Aussicht auf ein traumhaftes Lösegeld! Das dachten wir uns so schön. Also erst die Westküste von Francia entlang bis in den Golf von Biscaya. Dort hatten wir einen Zwischenstopp eingelegt, wo wir uns nochmal verproviantierten für die Weiterfahrt. Wie gut, denn einige Tage darauf gerieten wir in einen so dichten Nebel, dass nicht einmal mehr unsere Nasenspitzen zu sehen waren. Einen meilenweiten Nebel, der – wie uns vorkam – wohl bis zum Rand Midgardsvii reichte!

'Wenn wir jetzt irgendwo anstoßen, dann ist es bestimmt der Wanst der Weltenschlange, die dann aufgestört wird und uns verschlingt!', grausten sich meine Leute. Mittlerweile trieben wir eine volle Woche durch diese Suppe; unsere Einbildungen nahmen immer groteskere Formen an. Von morgens bis abends beteten wir zu den Asen um Erlösung. Und dann – kurz bevor wir den Verstand zu verlieren drohten, öffnete sich der Nebel wie ein Vorhang, und wir steuerten ins schönste Wetter hinein! Vor uns lag eine spiegelglatte See, wie man sie selten sieht! Das Erste war nun, sich erstmal an Stand und Höhe der Sonne zu orientieren. Dabei stellten wir mit Schrecken fest, dass es uns auf die Weiten des Ozeans getrieben hatte!

Ich sehe noch vor mir, wie plötzlich meine halbe Crew wie gebannt über Steuerbord hing, so dass unser Drakkar ordentlich Schlagseite bekam! Einen großen dunklen Schatten wollte man dicht unter der Wasseroberfläche erspäht haben. Gleich darauf nahm auch ich den Schatten wahr; mein erster Gedanke: Ein fetter Pottwal. Als ich da näher ein Auge drauf warf, schien mir das nicht mehr so sicher. Irgendwas an dem Schatten bewegte sich anders als ein Wal.

'Muss ein anderer großer Fisch sein. So weit draußen im Ozean mag's Fische geben, von denen hat man keine Vorstellung. Hauptsache, das Vieh wird nicht zu unserem ständigen Begleiter.“

Dieser Wunsch erfüllte sich nicht; vielmehr stockte uns allen gleich darauf der Atem: Da tauchte auf einmal – nur etwa so 20 Fuß von uns entfernt – ein dunkelgrauer kurzer Turm aus dem Wasser! Auf diesem befanden sich auch noch Zeichen: Symbole, mit denen wir nichts anfangen konnten. Für einige von uns war das zu viel – sie wären beinahe über Bord gehüpft!

„Der unerschrockene Ragnar Leuteschreck bewahrte selbstverständlich die Fassung.“, stichelte Aslaug.

„Das sollte ein tauglicher Seekönig auch!“ Der Erzähler ließ sich von seiner Herzensdame Met kredenzen. „Obwohl – ich gestehe – auch mir die Knie ganz schön schlotterten. Mein erster Gedanke war, dass irgendwelche Bewohner von Utgardviii der Oberfläche einen Besuch abstatteten, um uns aus diesen Gefilden zu verjagen.

Auf dem turmartigen Gebilde tat sich auch noch was: Eine Gestalt wurde drauf sichtbar – wie ein Wachposten auf einem Festungsturm! Die glotzte uns nicht weniger verzückt an als wir sie! Dann brüllte sie irgendwas, und gleich darauf tauchten neben ihr noch zwei Gestalten auf. Man zeigte mit dem Finger zu uns rüber, palaverte dabei aufgeregt.

Meine Leute hatten sich indessen aus ihrer Lähmung gelöst! Instinktiv erhoben sie, mit ihren Äxten wedelnd, ein wildes Geheul, in der Hoffnung, diese merkwürdigen Wesen ganz schnell wieder in die Tiefe zu verscheuchen.

Leider bewirkten wir damit das Gegenteil: Der zu dem Turm gehörende mächtige Körper, den wir kurz zuvor noch für einen Pottwal gehalten hatten, tauchte nämlich nun halb auf! Er hatte wirklich die Form eines Wals, nur dass er offenbar aus Metall war! Unschwer zu erkennen, dass wir es hier mit einem Gegner besonderer Güte zu tun hatten! Mit Mühe brachte ich meine Mannschaft zur Ruhe. Die da auf dem Turm und wir starrten uns weiterhin eine Weile an, während die Wogen uns hin und her schaukelten.

Schließlich rief einer der Drei – wohl der Befehlshaber – etwas zu uns rüber. Einer meiner Leute glaubte, den Dialekt der Hamburger Fischhändler wiederzuerkennen. Das zumindest erleichterte uns ungemein. Keine Utgard-Bewohner also...

'Wer seid ihr – woher kommt ihr – wohin wollt ihr?', schrie einer von uns im Dialekt der Hamburger Fischhändler rüber.

Da drüben schüttelte man die Köpfe und tippte sich auch noch an die Stirn! Wieder verloren einige meiner Jungs die Beherrschung. Man hätte einige Lanzen pfeifen lassen, wenn ich dem nicht zuvorgekommen wäre.

'Die haben es gewagt, uns einen Piepmatz zu zeigen!', wurde gegrollt. 'Los, geben wir denen richtig Bescheid!'

Die Drohgebärden von drüben brachten meine Crew wahrhaftig an den Rand der Weißglut. Nur mit äußerster Mühe konnte ich meine Meute bändigen. 'Frag die, warum sie uns provozieren!'

Rufe gingen hin und her. 'Die fragen uns, was wir hier zu suchen haben.'

'Erst sollen die uns verraten, was die sich hier in diesem metallenen Walkörper rumtreiben und arglose Seefahrer erschrecken!'

'Die antworten: Es ist Krieg – ob wir das nicht mitgekriegt hätten auf unseren Spielzeugbooten?'

Das trieb natürlich auch mir den Zorn in die Wangen. Wer waren die, dass die so wenig Respekt vor unseren Drakkaren, dem Schrecken sämtlicher europäischer Küsten, zollten?

'Frag die, wieso die Streit suchen – und verklar ihnen, dass sie sich besser nicht mit der Flotte Ragnar Leuteschrecks anlegen!'

'Da – jetzt hat's denen die Sprache verschlagen! Wahrscheinlich hat der große Name Leuteschreck doch ihr Mütchen etwas abgekühlt...'

Wieder hallte eine Gegenfrage rüber. 'Ob wir Briten sind...'

Ich spuckte aus. 'Aus was für einer Welt kommen die? Als ob Briten Drachenboote steuern könnten! Klär sie auf, dass wir wackere Dänen sind – und falls sie's nicht glauben, gibt’s eine Kostprobe!'

'Die fordern uns auf, aus der Schusslinie zu gehen, da hier gleich die Fetzen fliegen! Wir sollen woanders weiterspielen, während die hier in Kürze englische Kriegsschiffe zu Kleinholz schießen!'

'Englische Kriegsschiffe?!' Ich hätte fast aufgelacht. 'Etwa ein paar Drakkare, die die Briten von uns irgendwann erbeutet haben...'

Bis mich einer meiner Leute antippte. 'Guck mal hinter dich, Chefchen.'

Ich spähte angestrengt, bis ich endlich was am Horizont ausmachen konnte. Es wurde größer und größer und hielt genau auf uns zu...

'Beim Höllenhund Gorm! Was für ein Monster naht denn da? Eine schwimmende Festung!'

Irgendwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu, dämmerte uns nun. Und dass es wohl klüger war, dem Rat der drei Turmfalken zu folgen und sich schleunigst abzusetzen. Also gaben wir dem Metallwal nochmal Signal und klemmten uns dann ordentlich in die Riemen. Zum Glück mit günstigem Wind, so dass der Abstand zwischen uns und diesem schwimmenden Koloss rasch wuchs. Dennoch blieb uns die Zeit, uns viele Einzelheiten jener Bedrohung einzuprägen.

'Unglaublich! Was für Türme dieses Festungsschiff hat – und gewaltige Bolzen, die sich von selbst bewegen! Welch Hexenwerk!'

'Wer baut so was? Sagt mir nicht, die Briten! Das wär ja ein Wunder!'

Und nun ging es los! Das Ding spuckte Feuer! Unser Wal-Schiff war freilich längst weggetaucht.

'Griechisches Feuer.', staunte ich. 'Die schießen Griechisches Feuer ab! Wie das die See aufwühlt!'

'Da fallen einem ja die Ohren ab! Das reinste Ragnarökix da hinten!'

'Den Asen sei Dank sind wir da raus aus der Schusslinie! Sonst wären unsere schönen Drakkare jetzt Möwenfutter!'

'Schaut – die Festung hat was abgekriegt! Das muss vom Tauchschiff gekommen sein! Kann mir mal einer erklären, was da abgeht?'

'Ich habe die Hosen voll, Freunde! Ich will nach Hause, zu Muttern!'

So mitgenommen hatte ich meine Mannschaft nie zuvor erlebt! Die sahen derart grün und blau aus, als wär das ihre erste Wikingtour! Und ganz offen gestanden – mir ging's nicht besser. Nur durfte ich als Seekönig es mir nicht anmerken lassen...“

Ragnar legte eine Pause ein. Allein das Erzählen ließ ihn alles noch einmal durchleben. Seine Knie bebten. Mit sanftem Druck legte sich nun darauf eine Hand. Sein und Aslaugs Blick begegneten sich.

„Was meint ihr,“ flüsterte Ragnar, nach einem tiefen Seufzer, „wie oft diese Ungeheuer mich noch im Schlaf verfolgt haben! Das ging selbst einem hartgesottenen Viking ans Eingemachte!“

Ihre Hand ruhte noch immer auf seinem Knie. „Lass uns Abschied nehmen von diesem grusligen Abenteuer. Als ein umsichtiger Seekönig hast du dich und deine Flotte vor dem Verderben einer unbekannten Bedrohung bewahrt. Nun kein Blick mehr zurück...“

„Dennoch muss ich alles zu Ende bringen.“ Ragnar straffte sich. „Denn auf einmal verschlang uns wieder dichter endloser Nebel! Der war uns merkwürdigerweise nun sehr, sehr willkommen! In ihm fühlten wir uns geborgen wie unter einer warmen Bettdecke. Kein Gedröhne mehr, nur wohltuende Stille. Und als er sich schließlich lichtete – da erspähten wir in der Ferne die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen!“

„Puuh!“, schnaufte Aki. „Da habt ihr wahrlich was durchgemacht! Da müssen euch irgendwelche Zaubermächte einen schlimmen Streich gespielt haben!“

„Später vertraute ich alles einem Godhi an. Er hatte für unser haarsträubendes Erlebnis tatsächlich eine Erklärung: In manchen Gefilden des weiten Ozeans können seltsame Dinge geschehen. Insbesondere, wenn noch riesige Nebelfelder hinzukommen. Man könne dann in ganz andere Zeiten versetzt werden – in die Zukunft oder Vergangenheit...“

„Na herzlichen Dank!“, schauderte Grima. „Was, wenn man aus dieser anderen Zeit gar nicht mehr zurückkehrt? Nicht auszudenken!“

„Zum Glück und mit Odins Lenkung sind wir ja zurückgekehrt!“, lächelte Ragnar. „Ich bin mir sicher, wir waren damals in eine ferne Zukunft versetzt – wo Schiffe größer als die Grabhügel von Uppsala die Meere befahren und sich Kämpfe liefern mit Metallwalen, die ihnen unter Wasser auflauern. Wie auch immer diese Monster sich vorwärts bewegen, ohne Segel und Ruder. Beides haben wir nämlich nicht wahrgenommen!“

„Die haben sich über euch doch genauso gewundert.“, schmunzelte Aki. „Klar, dass eure Drakkare denen wie Spielzeug vorkamen.“

„Mich würde ja interessieren,“ sinnierte Ragnar, „wer damals diese Seeschlacht gewonnen hat: Der Metallwal – oder das englische Festungsschiff...“

Jetzt erhielt er einen Kneifer ins Knie. „Am Ende wärst du ja doch gern mitten drin gewesen.“, zwinkerte Aslaug. „Und ich wette, du verbringst manch schlaflose Nacht damit, dich zu fragen, wie die Schiffe eurer Zukunftsvision gelenkt werden und kämpfen. Das wird immer ein Geheimnis bleiben. Seid froh, dass euer irrtümlicher Besuch dort nur so kurz war...“

„Und weißt du,“ schaltete sich nun Grima ein, „was ich glaube, jetzt nachdem ich deine drei Abenteuer gehört habe? Dass sie alle Drei Besuche in anderen Zeiten waren! Dieser Kaiser mit dem komischen Hut auf der unbekannten Insel – gehörte der nicht auch in eine ganz andere Zeit? Oder die Bewohner von Mallorca mit ihren 'Bilderkästen' und empfindsamen Nasen?...“

Ragnar nickte. „Da könntest du richtig liegen. Ragnar Leuteschreck wäre somit bereits dreimal in eine andere Zeit hineingeplatzt! Darauf brauche ich jetzt noch einen Met!“

„Nicht nur du!“, lachte Aki.

Da sogar die Nornen Ragnars neuem Herzensglück wohlgesonnen schienen, konnte tatsächlich bald Vermählung gefeiert werden, auf Spangerheid, dem größten landwirtschaftlichen Betrieb der Region. Eine riesige Hochzeitsgesellschaft hatte sich eingefunden – vom Großbauern bis zum Seekönig. Von jenem Ereignis sprach man noch viele Generationen lang.

Allein die Hochzeitsnacht hielt einen Wermutstropfen bereit: Als Ragnar nämlich, in stürmischem Überschwang und voll freudiger Erwartung, seinen Willen vollbringen wollte, da zierte sich doch seine frisch Angetraute!

„Es tut auch bestimmt nicht weh.“, versicherte er zärtlich.

„Darum geht es nicht.“ Aslaug schaute ihn um Verständnis heischend an. „Ich habe ausgerechnet meinen Migräneanfall...“

„Ach herrje!“, seufzte Ragnar. „Hätten wir die ganze Festlichkeit doch nur um eine Woche verschoben!“

„Da es so ist, wie es ist, bitte ich dich, Verständnis für meine Lage zu haben.“, flehte Aslaug. „Wir können einander ja auch so Freude bereiten, nicht?“

Aber es fehlte eben der Höhepunkt! 'Wenn das nur nicht ein übles Omen ist.', bangte Ragnar. 'Eine Hochzeitsnacht ohne Höhepunkt...“

Also vollbrachte Ragnar einige Tage später seinen Willen. Da der Mond im Skorpion stand, schien Aslaug auch jener Zeitpunkt nicht der Günstigste, aber sie wagte ihren Schatz nicht länger hinzuhalten.