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Die Panikmache geht weiter: Unisono fordern Politiker und Industrie, dass Schüler mit allerlei Technik überhäuft werden, um den Anschluss ans digitale Zeitalter nicht zu verpassen. Diese Digitalisierung der Bildung erfolgt jedoch fast nur technologie- und ökonomiegetrieben. Pädagogische Konzepte? Fehlanzeige! Die Autoren üben nicht nur Kritik an dieser Art von Digitalisierung, sondern nehmen in dieser Neuauflage gezielt auch die wirtschaftlichen Verflechtungen aufs Korn, die zwischen IT-Industrie und Bildungspolitik bestehen. Sie greifen zentrale Mythen der Digital-Befürworter an und entlarven die Anstrengungen für eine »Lernfabrik 4.0«, in der Computer allmählich Lehrer ersetzen sollen. Die Autoren danken insbesondere auch der FDP für ihr inspirierendes Wahlplakat »Digital first. Bedenken second«. Und zeigen, dass gerade das Gegenteil richtig ist.
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Seitenzahl: 298
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4. Auflage 2020
© 2015 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
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Redaktion: Bärbel Knill, Landsberg am Lech
Umschlaggestaltung: Laura Osswald, München
Umschlagabbildung: Shutterstock / Atomic BHB
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-86881-697-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-96267-006-1
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96267-007-8
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.redline-verlag.de
Vorwort zur dritten Auflage
Teil 1: Kleinkinder, Kindergarten und Grundschule
1. Brillante Babys
Die Sehnsucht nach dem perfekten Kind – oder warum Babys vorm Bildschirm verkümmern
2. Im Kreuzfeuer der Werbung
Wie Kinder zu unkritischen Konsumenten werden – beschleunigt durch digitale Medien
3. Impulskontrolle
Warum Verzicht glücklich macht – und digitale Medien das verhindern
4. Denken lernen
Wie wir uns auf den Weg machen, die Welt zu verstehen
5. Digital schnell entwurzelt
Warum uns Tablets nicht auf die Stürme des Lebens vorbereiten
Teil 2: Weiterführende Schulen, Ausbildung und Studium
6. Lernen verlernen
Wie digitale Medien Motivation zerstören
7. Anfassen statt angucken
Warum Schüler am Bildschirm keine realen Lernerfahrungen machen
8. Medienkompetenz
Irrwege zum Heiligen Gral – oder was Kinder in der virtuellen Welt wirklich brauchen
9. Fit für die Zukunft
Nicht Technik zählt, sondern der kritische Verstand – welche Fähigkeiten am Computer tatsächlich notwendig sind
10. Profit
Digitale Bildung ist ein riesiger Markt – egal ob pädagogisch wertvoll oder nicht
11. Murks mit MOOCs
Masse statt Klasse: Vorlesungen auf Video – oder wie es viel besser geht
Wenn alles schiefgeht …
Zukunftsszenario einer schönen neuen, digitalen Welt
Zu Risiken und Chancen fragen Sie das Gehirn
Erkenntnisse der Neurobiologie zum Lernen mit digitalen Medien
Drei zentrale Erkenntnisse
Der Dreiklang aus Aktivität, Dynamik und Kompensation
Ausblick
Unsere Thesen
Danksagung
Die Autoren
Literaturhinweise
Im Bundestag beschimpft zu werden … gibt’s Schöneres für Buchautoren? Sven Volmering hat zwar seine Wiederwahl ins neue Parlament verpasst, aber im Juli 2015 schlug er für die CDU-Fraktion scharfe Töne an: Er warnte davor, »panikmachenden Leuten hinterherzulaufen, die von der Lüge der digitalen Bildung sprechen«. Damit konnte er nur unser Buch meinen, das Sie gerade in der Hand halten. Die erste Auflage war drei Monate zuvor erschienen und setzt seitdem bewusst einen deutlichen Kontrapunkt zum vorherrschenden Digital-Diskurs.
Unsere Kritik hat weite Kreise gezogen. Wir geben vielen Menschen gute Argumente in die Hand, damit Bildungseinrichtungen nicht »alternativlos« digitalisiert werden müssen. Wie wichtig das ist, zeigt ein beklemmendes Erlebnis, das uns ein Student erzählt hat: Er war an einer norddeutschen Universität eingeschrieben, saß in der Bibliothek und hatte vor sich mehrere Fachbücher ausgebreitet – darunter auch Die Lüge der digitalen Bildung. Ein Dozent kam vorbei, warf einen Blick auf die Literatur und kommentierte unser Buch mit den Worten: »So ein Buch würde ich nicht verwenden, sonst könnte das später mit einer Anstellung schwer werden.«
Welch ein Armutszeugnis, wenn Dozenten Denkverbote aussprechen … Außerdem mussten wir die Geschichte verfremden, weil der Student sonst Nachteile im Studium zu befürchten hatte. Ein weiteres Armutszeugnis, diesmal für die akademische Debattenkultur in Deutschland. Hinzu kommt eine ellenlange Liste von Beschimpfungen, die uns an den Kopf geworfen worden sind. Von »selbst ernannten Experten« bis zur »vakuumversiegelten Hohlbirne« war eigentlich alles dabei. Willkürlich wurden unsere Argumente als »unlauter«, »unseriös« oder »indiskutabel« hingestellt. Aber wie lautet eine Redensart? »Der getroffene Hund bellt.«
Warum dieser aggressive Ton? Wer unser Buch bis zum Ende liest, stellt schnell fest: Wir wollen nicht die gute alte »Kreidezeit« verklären, als der Lehrer mit staubigen Händen vor einer Kreidetafel stand. Nein, statt um Verklärung geht es uns um Aufklärung:
Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins digitale Zeitalter,
lautet unsere erste These. Paradox? Eher eine bewusste Gegenposition zur alternativlosen Digital-Debatte, die seit langer Zeit recht einseitig in der Öffentlichkeit läuft.
Fast einstimmig wird verkündet: Deutschland läge bei der Digitalisierung der Schulen weit zurück, wir würden den Anschluss an globale Entwicklungen verpassen. Unterschwellig klingt mit: Unser Wohlstand ist in Gefahr, wahlweise stehen Koreaner, Chinesen oder Brasilianer vor den Toren Europas. So das fast einhellige Echo auf die ICILS-2013-Studie, die im November 2014 erschienen ist. Sie attestierte deutschen Achtklässlern nur Mittelmaß, wenn es um die Nutzung von Computern geht (Kapitel 8, Medienkompetenz).Doch unsere These ist nicht paradox – und das beweisen wir in diesem Buch. Dabei leitet uns kein Gefühl der Nostalgie, sondern die Entwicklungsbiologie (Kapitel 4, Denken lernen). Unser roter Faden sind die Fragen:
•Wie verläuft eigentlich die kognitive Entwicklung von Kindern?•Welche Wirkung entfalten digitale Medien auf diesen unterschiedlichen Stufen der Entwicklung?•Welche pädagogischen Konzepte sind für diese Entwicklungsstufen angemessen?Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben wir intensiv mit vielen Experten diskutiert – unter anderem aus der Psychologie, Pädagogik und Neurobiologie. Die Forschung gibt klare Antworten: Kinder brauchen eine starke Verwurzelung in der Realität, bevor sie sich in virtuelle Abenteuer stürzen. Ihr Gehirn entwickelt sich besser, wenn kein Tablet oder Smartphone reale Welterfahrungen verhindert. Kinder sollten lieber im Matsch spielen als mit Tablets – das ist der beste Weg, um für das digitale Zeitalter fit zu werden. Warum das so ist, schildern wir ausführlich in Teil 1 des Buches. Außerdem konnten wir Prof. Gertraud Teuchert-Noodt für einen Gastbeitrag gewinnen: »Zu Risiken und Chancen fragen Sie das Gehirn«. Die Neurobiologin hat jahrzehntelang das Gehirn erforscht und untermauert viele Aussagen, die wir aus pädagogischer oder psychologischer Sicht treffen. Sie hat auch die Rubrik »Was das Gehirn sagt« gestaltet: kleine neurobiologische Schlaglichter, passend zu den Themen in einzelnen Kapiteln. Vielen Dank für die wissenschaftliche Unterstützung!
Aufklärung ist notwendig: Zu viele moderne Mythen entstehen in der Öffentlichkeit, zu wenig kritische Diskussion findet statt – zum Schaden der Kleinsten, die sich nicht dagegen wehren können. Sie können sich nicht wehren, wenn Tablets in ihren Kindergärten und Grundschulen platziert werden. Nach Jahren der Betrachtung unseres Themas erhärtet sich der Eindruck: In erster Linie geht es nicht um die beste Entwicklung unserer Kinder, sondern um einen Multi-Milliarden-Markt für die IT-Industrie, pädagogische Konzepte dienen vor allem als Deckmäntelchen (Kapitel 10, Profit). Begleitet durch ein Marketing der Angst, verklausuliert mit dem Mantra der »frühen Medienkompetenz«: Eltern sollen fürchten, ihre Kinder gingen im globalen Wettbewerb unter, wenn sie nicht mit drei Jahren ihre erste App programmieren können. Das halten wir für irreführend und gefährlich, deshalb unser provokanter Titel: »Die Lüge der digitalen Bildung«.
Wir wünschen uns mehr Gelassenheit und den Blick auf das Wesentliche, unsere Kinder. Gönnen wir den Kindern doch ihre Kindheit – mit Toben, Purzeln, Malen und Singen. Tablets bringen nichts im Kindergarten. Statt Milliarden in IT-Infrastruktur zu investieren, sollten wir das Geld besser für Erzieherinnen ausgeben. Sie stehen an vorderster Front und haben den größten Einfluss auf unsere Kinder. Ihr Einfühlungsvermögen entscheidet darüber, wie sie sich entwickeln. Da kann es nicht sein, dass wir sie mit rund 2 500 Euro brutto abspeisen – gerade wegen dieser wichtigen Rolle. Unsere Argumentation orientiert sich an der kognitiven Entwicklung der Kinder, entscheidend ist für uns die Erkenntnis: Wenn das Bildungssystem Kinder nicht zu früh mit Digitalität konfrontiert, sind sie ab der Pubertät in der Lage, vernünftig damit umzugehen (Kapitel 8, Medienkompetenz). Eine Frage der Entwicklungsbiologie: Jugendliche entfalten ihr volles kognitives Potenzial, wenn die Reifung des Gehirns in den ersten Lebensjahren ohne Störung verläuft. Digitale Medien können diesen Prozess stören. Für junge Erwachsene können digitale Medien ein Gewinn sein, sobald sie einen kritischen, verantwortungsvollen und gesunden Umgang mit digitalen Medien aufbauen (Kapitel 9, Fit für die Zukunft). Sie ist viel mehr als die Wisch- und Bedienkompetenz vieler »Digital Natives«, denn die Arbeit am Computer erfordert ein hohes Maß an Konzentrations- und Kritikfähigkeit. Diese Themen stehen in Teil 2 im Mittelpunkt. Um sie sollte sich auch der Bildungsauftrag der Schulen im digitalen Zeitalter drehen.Unser Buch wendet sich besonders an alle, die in Erziehungsprozessen stehen: Eltern, Lehrer und Erzieher. Eigentlich aber auch an alle, die sich darüber wundern …
•… dass kleine Kinder von Tablets aufgesaugt werden (Kapitel 1, Brillante Babys);•… dass digitale Medien helfen, Kinder in einer Werbewelt einzusperren (Kapitel 2, Im Kreuzfeuer der Werbung);•… dass bunte Videos Unterricht durch Menschen ersetzen sollen (Kapitel 6, Lernen verlernen).Und vor allem, dass unsere Gesellschaft mehr an Technik glaubt als an Menschen. Ein großer Irrtum, weil es immer auf den Menschen ankommt, und auf den Lehrer, damit Bildung gelingt (Kapitel 9, Fit für die Zukunft). Da ist es gleichgültig, ob hinter ihm ein Smartboard oder eine Kreidetafel hängt. Lassen wir uns vom digitalen Hype also nicht blenden, der Tanz ums goldene Tablet in Kitas und Grundschulen wird ein natürliches Ende finden. Vielleicht sieht dann die Welt ganz anders aus, wie wir es in unserer rabenschwarzen Dystopie ausmalen (Kapitel »Wenn alles schiefgeht«). Digitalität schlägt uns nicht mehr in den Bann, wir schaffen es, den Computer ab und zu auszuschalten. So nehmen wir mit unseren Kindern am wirklichen Leben teil – auf dem Sportplatz, im Wald, im Theater, im Konzert, in der Familie und im sozialen Miteinander.
Gerald Lembke & Ingo Leipner