Die Macht der guten Gefühle - Barbara L. Fredrickson - E-Book

Die Macht der guten Gefühle E-Book

Barbara L. Fredrickson

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Beschreibung

Gute Gefühle machen uns stärker, gesünder, kreativer - wenn sie im richtigen Verhältnis zu negativen Emotionen stehen. Dreimal mehr positive Emotionen als negative: Das ist die wissenschaftlich erwiesene Formel, die Sie immun macht gegen Krisen und Rückschläge. "Barbara Fredrickson ist das Genie der Positiven Psychologie." Martin E. Seligman "Die Macht der guten Gefühle ist ein mächtiges Buch! Barbara Fredricksons Methoden für ein erfüllteres, positives Leben haben Gelinggarantie. Unbedingt zu empfehlen." Daniel Goleman "Faszinierende Erkenntnisse über das menschliche Verhalten und alltagstaugliche Ratschläge von einer der einflussreichsten Stimmen der Positiven Psychologie." Mihaly Csikszentmihalyi

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Seitenzahl: 383

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Barbara L. Fredrickson

Die Macht der guten Gefühle

Wie eine positive Haltung Ihr Leben dauerhaft verändert

Mit einem Vorwort von Ursula Nuber

Aus dem Englischen von Nicole Hölsken

www.campus.de

Information zum Buch

Die herkömmliche Psychologie hat sich jahrelang ausschließlich mit Traumata, Ängsten und Zwängen beschäftigt. Die Positive Psychologie hingegen wendet sich den guten Gefühlen zu. Die weltweit renommierte Psychologin Barbara Fredrickson bringt nun beide Ansätze zusammen und beweist erstmals: Negative Emotionen sind kein lästiges Übel, sondern unverzichtbar. Entscheidend ist, dass jeder negativen Emotion dreimal mehr positive folgen und dass diese Emotionen nicht erzwungen werden, sondern echt sind. Fredricksons 3-zu-1-Formel birgt ein wissenschaftlich erprobtes und intelligentes Rezept für eine positive Lebenseinstellung.

Der Goldene Schnitt für ein erfülltes und glücklicheres Leben!

Informationen zur Autorin

Barbara L. Fredrickson, Jahrgang 1964, ist Professorin für Psychologie an der University of North Carolina in Chapel Hill und hat die Entwicklung der Positiven Psychologie durch ihre bahnbrechenden Erkenntnisse maßgeblich beeinflusst. Seit Jahren forscht sie über Einfluss und Wirksamkeit positiver Gefühle auf das menschliche Verhalten, die Psyche und die Gesundheit. Für die von ihr entwickelte Broaden-and-Build-Theorie wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Templeton Prize in Positiver Psychologie. Im Mai 2010 lud sie der Dalai Lama zu sich ein, um sich von ihr persönlich über die Ergebnisse ihrer Studien berichten zu lassen.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel Positivity bei Crown Publishers, an imprint of the Crown Publishing Group, a division of Random House Inc., New York. Copyright © 2009 by Barbara Fredrickson, Ph.D.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2011. Alle deutschsprachigen Rechte bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main

Umschlaggestaltung: total italic, amsterdam–berlin

ISBN der Printausgabe: 978-3-593-39081-9

E-Book ISBN: 978-3-593-41162-0

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

|9|Vorwort

Vor etwa 13 Jahren begann eine neue Ära in der Psychologie. Damals, 1998, hielt der amerikanische Sozialpsychologe Martin Seligman von der University of Pennsylvania eine bahnbrechende Rede. In seiner Eigenschaft als Präsident der American Psychological Association (APA), der weltgrößten Vereinigung von Psychologen und Psychotherapeuten mit mehr als 155000 Mitgliedern, rief er seine Kollegen und Kolleginnen auf, ihre Blickrichtung radikal zu verändern. Sie sollten sich nicht mehr länger ausschließlich mit seelischer Krankheit – ihren Entstehungsbedingungen und ihrer Behandlung – beschäftigen, sondern ihr Augenmerk und ihr Forschungsinteresse auch darauf richten, was Menschen seelisch gesund erhält. Warum gelingt es manchen Männern und Frauen, trotz widriger Umstände an Leib und Seele gesund zu bleiben? Was lässt sie Krisen meistern? Warum sind manche glücklicher als andere? Warum werfen Misserfolge, Kränkungen, Krankheiten einige Menschen seelisch aus der Bahn, während andere offensichtlich unbeschadet ihren Lebensweg weitergehen?

Die Rede zeigte Wirkung. Seligmans Forderung wurde begeistert aufgegriffen, ein neuer, vielversprechender Forschungszweig der psychologischen Wissenschaft war damit ins Leben gerufen: die Positive Psychologie. Ihre Vertreter und Vertreterinnen haben in den vergangenen Jahren interessante Studien vorgelegt, die zeigen, welche bedeutende Rolle positive Gefühle, Optimismus, Hoffnung, Dankbarkeit und Glück für unsere seelische Gesundheit spielen.

|10|Eng verbunden mit der Positiven Psychologie ist der Name Barbara L. Fredrickson. Die Professorin für Psychologie an der University of North Carolina in Chapel Hill hat diesen neuen Ansatz in der Psychologie mit ihren richtungsweisenden Forschungsarbeiten wesentlich beeinflusst und geprägt. Sie konnte in zahlreichen Experimenten und Studien nachweisen, dass wir unter dem Einfluss guter Gefühle wacher, aufmerksamer und als Folge davon auch klüger werden. Positive Gefühle begünstigen laut Fredrickson den Aufbau und die Pflege sozialer Beziehungen und Bindungen, sie ermöglichen und fördern das Lernen, die Kreativität und alle anderen Intelligenzleistungen, die uns Problemlösungen erleichtern. Gute Gefühle erhalten die körperliche Gesundheit, indem sie Stressreaktionen mildern und schneller abbauen und wie ein Puffer gegen zukünftigen Stress wirken, und sie erhöhen unsere seelische Widerstandskraft.

Dass positive Emotionen besser sind als negative, das weiß jeder Mensch natürlich aus eigener Erfahrung. Doch Barbara Fredricksons Forschungsarbeiten gehen über diese Feststellung weit hinaus. Es ist ihr gelungen, nachzuweisen, dass positive Gefühle bewusst herbeigeführt werden können und damit das Leben in eine »Aufwärtsspirale« gebracht werden kann. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ihre Open-Heart-Studie: Versuchspersonen, die an einem Meditationskurs teilnahmen, berichteten nicht nur über eine Zunahme an positiven Gefühlen, sie konnten durch diese positiven Emotionen auch dauerhaft neue Ressourcen aufbauen. Angenehme Gefühle sorgen dafür, so Frederickson, dass unser Repertoire an sozialen und intellektuellen Problemlösungsfähigkeiten ständig zunimmt.

Diese Erkenntnis ist von großer Tragweite. Denn eigentlich verfügen wir Menschen über ein »katastrophisches Gehirn« (Martin Seligman), das mehr das Negative registriert als das Positive. Unsere Vorfahren mussten Feinde aller Art rechtzeitig entdecken und Gefahren antizipieren können. Der Mensch hat als Art nur überlebt, weil er sich auf das konzentrierte, was schieflaufen konnte, nicht auf das, was problemlos war. Dieses auf Gefahren und Probleme orientierte |11|Gehirn besitzen wir auch heute noch. Es ist dafür verantwortlich, dass wir häufig zum Katastrophisieren neigen und uns zu viele Sorgen machen. Das, was gutgeht, das Schöne und das Positive, wird oft gar nicht bewusst registriert. Im Leben der meisten Menschen haben negative Gedanken und Gefühle eine Vormachtstellung.

Doch diese Vormachtstellung des Negativen kann gebrochen werden. Barbara Fredricksons Forschungsarbeiten belegen, dass es jedem Menschen möglich ist, eine positive Grundeinstellung aufzubauen und konkret Einfluss auf seine Gefühlslage zu nehmen. Keinesfalls sind ihre Erkenntnisse und Hinweise dabei zu verwechseln mit der esoterischen Richtung des Positiven Denkens. Die Anhänger dieser Bewegung, die auf den französischen Apotheker Emile Coué zurückgeht, behaupten, dass sich durch eine optimistische Einstellung alles zum Besten wenden lässt und empfehlen gegen trübe Stimmung positive Suggestionen wie »Es geht mir jeden Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser«. Mit dieser schlichten Grundannahme – vermehrtes positives Denken verringert negative Gedanken – haben Fredericksons Studien nichts gemein. Ihre wissenschaftlich fundierten Forschungsergebnisse sind von solcher Pop-Psychologie weit entfernt.

So wenig Barbara Fredrickson eine »Positiv-Denkerin« ist, so wenig sollte man sie zur Riege der Glückspropheten zählen, die in jüngster Zeit immer zahlreicher auf der Welle der Positiven Psychologie mitschwimmen. Allein im Jahr 2008 wurden in den USA 4000 Bücher zum Thema »Glück« auf den Markt gebracht; acht Jahre zuvor, im Jahr 2000, gab es nur 50 Neuerscheinungen dazu. Auch in Deutschland boomt der Glücksmarkt, die Suche nach dem Glück lässt die Kassen klingeln. Barbara Fredricksons Verlagen, sowohl dem amerikanischen als auch dem deutschen, ist zu gratulieren, dass sie der Versuchung widerstanden, das vorliegende Werk aus Marketinggründen in die verkaufsträchtige Nähe von billigen Glücksversprechen zu rücken. Denn um das Glück geht es der Wissenschaftlerin nicht. Sie weiß, dass es ein Leben ohne Niederlagen, ohne Leid, ohne Angst und Schmerz nicht gibt. Die Relevanz negativer Gefühle leugnet sie nicht. Aber es ist ihr wichtig aufzuzeigen, dass niemand in negativen |12|Emotionen stecken bleiben muss; seelische Probleme müssen nicht chronisch werden. Wie es scheint, kommt es auf die richtige Balance zwischen positiven und negativen Gefühlen an. Die Faustregel, die Frederickson in differenzierten Analysen herausgefunden hat, heißt 3:1: Wem es gelingt, dreimal häufiger positive als negative Gefühle zu erleben, der bewältigt auch Schicksalsschläge.

In jüngster Zeit ist zunehmend Kritik an der Positiven Psychologie laut geworden. Sogar Vertreter dieser Richtung selbst warnen, die Ergebnisse nicht überzuinterpretieren. So schreiben beispielsweise die Herausgeber des Handbook of Positive Psychology: »In der Begeisterung, die angesichts dieser neuen, Hoffnung weckenden Methode bisweilen aufkommt, mag manch einer versucht sein, zu weitreichende Schlüsse zu ziehen, um über Fortschritte berichten zu können. Dies gilt insbesondere, wenn uns die Nachrichtenmedien vermeintliche Fortschritte geradezu in den Mund legen.«

Auf Barbara Fredrickson trifft diese Kritik nicht zu. Sie zieht weder zu weitreichende Schlüsse aus ihrer Arbeit, noch lässt sie sich von den Medien zu allzu vereinfachenden Aussagen verleiten. Wenn wir die »Macht der guten Gefühle« erleben wollen, müssen wir bereit sein, uns eine entsprechende Lebenshaltung zu erarbeiten. Was wir dazu brauchen, beschreibt Barbara Frederickson anschaulich und seriös in diesem Buch. Sie zeigt uns die beiden Wege auf, vor denen wir stehen, den der Hoffnung und den der Verzweiflung. Es liegt an uns zu entscheiden, welchen Weg wir gehen.

Ursula Nuber

|13|I

DASGUTEANPOSITIVENGEFÜHLEN

|15|1 Das Positive erkennen

»Erkennen heißt:

Alle Dinge zu unserem Besten

zu verstehen.«

Friedrich Nietzsche

Szene 1 Die Morgensonne strömt durch Ihr Schlafzimmerfenster und weckt Sie aus Ihrem unruhigen Schlaf. Nach vielen grauen und regnerischen Tagen freuen Sie sich über den blauen Himmel – doch da fällt Ihnen plötzlich auf, dass Ihr Wecker überhaupt nicht geklingelt hat. Sie sind frustriert, denn eigentlich wollten Sie heute früh ein bisschen Zeit für sich selbst haben, bevor die Kinder aufwachen und der hektische Tag beginnt. Doch jetzt ist die Zeit knapp, deshalb verzichten Sie auf die geplante Morgengymnastik und bleiben noch etwas im Bett, um Tagebuch zu führen. Sie schreiben:

»Unglaublich! Ich bekomme es einfach nicht auf die Reihe, mehr auf mich selbst zu achten! Diesmal habe ich vergessen, mir den Wecker zu stellen. Wie soll ich es jemals schaffen, Verantwortung für meinen Alltag (und mein ganzes Leben!) zu übernehmen, wenn ich noch nicht einmal zu dieser einfachen Veränderung in der Lage bin? Ohne Sport komme ich mir wieder den ganzen Tag wie ein träges Faultier vor. Pfui! Ich sollte mich lieber darauf konzentrieren, warum ich dieses Tagebuch eigentlich führe: um mir meiner übergeordneten Ziele bewusst zu werden und sie in meinen Alltag zu integrieren. Allerdings frage ich mich, ob das überhaupt etwas bringt. Vielleicht sollte ich in dieser Zeit lieber länger schlafen. Oder meine dringenden Mails checken oder meine lächerlich lange To-do-Liste abarbeiten. Da fällt mir ein: Ich glaube, die Wasserrechnung ist überfällig! Wo ist die überhaupt?«

Sie legen das Tagebuch beiseite, stehen auf und schalten den Computer |16|ein, um Ihre E-Mails abzufragen. Tatsächlich stellen Sie fest, dass Ihre Kollegin Sharon bis heute Nachmittag noch einige Informationen benötigt, damit sie ein Angebot fertig stellen kann. Sie werden also zumindest einen Teil des Vormittags damit verbringen, Formulare für sie auszufüllen. Sie sind wütend über diese Zumutung und öffnen die nächste E-Mail. Hier erfahren Sie, dass das Projekt, für das Sie sich eingesetzt haben, vorläufig genehmigt wurde und dass Sie 48 Stunden Zeit haben, um noch ein paar letzte Korrekturen anzubringen. »48 Stunden!«, sagen Sie laut. »Soll ich dafür etwa alles andere liegen lassen? Wie soll ich denn das nur schaffen?« Die Nanosekunde der Freude über die gute Nachricht wird durch die Sorge, wie Sie diese letzte Hürde bewältigen sollen, zunichte gemacht.

In diesem Augenblick wacht Ihre kleine, bald vierjährige Tochter auf und ruft nach Ihnen. Wie oft haben Sie der Kleinen nun schon gesagt, dass sie ruhig in ihrem Zimmer warten soll, bis Sie um sieben Uhr hineinkommen, um sie aus dem Bett zu holen. Schon wieder hat sie nicht zugehört! Sie werden immer frustrierter. Viel zu viele Anforderungen, sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause. Seit der Beförderung bekommen Sie Ihr Leben kaum noch gemeistert, doch dafür scheint niemand Verständnis zu haben. Sie gehen also ins Zimmer ihrer Tochter und schimpfen sie aus, weil sie so früh nach Ihnen gerufen hat. Dann stapfen Sie hinaus, um das Frühstück zu machen.

Der ganze Morgen ist ein verbissener Kampf gegen die Uhr, bei dem es nur Verlierer gibt. Sie wären durchaus rechtzeitig aus dem Haus gewesen, wenn Ihr siebenjähriger Sohn nicht seine Lieblingsschuhe verlegt hätte. Und schon lassen Sie mal wieder eine Ihrer mütterlichen Tiraden los: »Warum kannst du nicht einfach andere Schuhe anziehen? Wenn diese Schuhe dir so wichtig sind, warum gibst du dann nicht besser darauf acht?« Daraufhin rennen alle vier Familienmitglieder – die Kinder, Sie selbst und Ihr Mann – wie die Wilden durchs ganze Haus, um diese dämlichen Schuhe zu finden!

Nachdem Sie die Kinder an der Schule abgesetzt haben – wieder einmal zu spät –, kommen auch Sie endlich im Büro an. Natürlich ebenfalls zu spät. Als Erstes treffen Sie auf Joe, Ihren Mitarbeiter bei dem Projekt, das gerade genehmigt worden ist. Er grinst breit. Manchmal finden Sie |17|Joes gute Laune wunderbar, aber heute macht sein Lächeln Sie misstrauisch. Sie denken: »Der versucht mich doch nur einzuwickeln, damit ich die Korrekturen alle allein vornehme!«

»Hast du die Neuigkeiten schon gehört?«, strahlt er. »Wir kriegen das Geld bewilligt! Jetzt haben wir für den Rest des Jahres ausgesorgt!«

»Ja schon!«, antworten Sie. »Aber hast du die To-do-Liste gesehen? Wir haben für die Überarbeitung nur 48 Stunden Zeit. Und außerdem muss ich mich heute Morgen auch noch mit Sharons Angebot herumschlagen.« Joes Lächeln verblasst, und er braucht einen Augenblick, um sich darüber klar zu werden, wie er auf Ihre negative Art reagieren soll.

Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann sind Sie kein Einzelfall. Wir kennen doch alle Gedanken wie diese: »Nichts mache ich richtig. Ich schaffe es einfach nicht, mir die Zeit zu nehmen, die ich brauche. Ich führe ja noch nicht einmal regelmäßig Tagebuch. Ich finde es höchst ärgerlich, dass Sharon mich kurzerhand für ihre Ziele einspannt, ohne überhaupt nachzufragen, ob das in meinen Zeitplan passt. Ich habe keine Ahnung, wie ich meinen Projektvorschlag in 48 Stunden überarbeiten soll. Ich komme mit Joe einfach nicht klar. Ich schaffe es noch nicht einmal, meinen Kindern beizubringen, bis sieben Uhr morgens im Bett zu bleiben. Es vergeht kein Morgen ohne Hektik, Geschrei und Aufregung. Die Kinder sind fast nie rechtzeitig in der Schule, von mir selbst ganz zu schweigen. Und wenn ich nicht pünktlich am Arbeitsplatz bin – wie um alles in der Welt soll ich dann all meinen Aufgaben gerecht werden?«

Negative Gedanken dieser Art machen wir uns alle ab und zu. Sie sind leicht zu identifizieren und können Ihren Alltag ganz schön beeinflussen. Sie durchdringen Ihre Selbstgespräche und Ihr Urteilsvermögen. Sie beeinflussen die Kommunikation mit Ihren Kindern, ebenso wie die mit Ihren Kollegen und machen jeden guten Willen zunichte. Zu allem Übel führt eine ungebremste negative Haltung zu gesundheitsschädlichen Gefühlen – zu Wut, Verachtung, bis hin zu Depressionen –, die letztlich Ihren ganzen Körper beeinträchtigen. Sie spüren geradezu, wie die Bitterkeit in Ihnen brodelt und Ihnen |18|Magenschmerzen verursacht, wie sie Ihren Blutdruck erhöht und Ihre Schulter- und Nackenmuskulatur verhärtet. Selbst die Gesichtsmuskulatur ist chronisch angespannt, weshalb Ihre Mitmenschen Sie möglicherweise meiden. Überdies gehen Sie mit Scheuklappen durchs Leben. Überall finden Sie Fehler und Schuld, aber Lösungen entwickeln Sie keine. Alles ist auf schmerzliche Weise vorhersagbar. Negative Gedanken wirken ebenso schnell wie heftig – wie ein Vorschlaghammer. Und keiner von uns ist dagegen immun.

Don’t worry, be happy?

Doch wie steht es mit positiven Gefühlen? Im Vergleich zur negativen Stimmung ist die positive nur blass und schwach. Sie ist nicht mehr als ein kümmerliches Abbild, sodass wir sie oft kaum wahrnehmen.

Was aber, wenn eine positive Grundhaltung überaus wichtig wäre? Und was bedeutet es überhaupt, eine positive Grundeinstellung zu haben? Klären wir doch erst einmal, was es nicht bedeutet. Es heißt nicht, dass wir – egal was passiert – auf Teufel komm raus lächeln müssen oder uns an dem Lied »Don’t worry, be happy« orientieren sollten. Eine positive Grundeinstellung geht viel tiefer. Sie umfasst eine Vielzahl positiver Gefühle – Wertschätzung, Liebe, Vergnügen, tief empfundene Freude, Hoffnung, Dankbarkeit und vieles mehr. Eine positive Haltung ist zum einen geprägt von einer optimistischen Einstellung, die gute Gefühle und einen offenen Geist fördert, die für ein weiches Herz, einen entspannten Körper und einen sanften Gesichtsausdruck sorgt. Aber sie zeigt auch Langzeitwirkung, denn positive Gefühle wirken sich auf unseren Charakter, auf unsere Beziehungen, auf die Gemeinschaft, in der wir leben, und auf unsere Umgebung aus. Angesichts meiner Wortwahl denken Sie wahrscheinlich unwillkürlich an die Sprüche auf irgendwelchen Grußkarten, die wir alle kennen. Aber eine tief empfundene positive Haltung ist mehr als das: Sie ist für eine Fülle lebenswichtiger Augenblicke |19|im menschlichen Dasein verantwortlich. Seit einiger Zeit befasst sich auch die Wissenschaft mit diesem Phänomen, und die Erkenntnisse über die Bedeutung einer positiven Lebenseinstellung sind verblüffend.

Leise, flüchtige Augenblicke haben viel mehr Einfluss auf Ihr Denken und Empfinden als Sie glauben. Sie verändern Ihren Geist und Ihren Körper und können Ihnen buchstäblich zum bestmöglichen Leben verhelfen.

Schauen wir uns also jetzt eine Wiederholung jener morgendlichen Szene an, diesmal aber unter dem Vorzeichen einer positiven Grundeinstellung. Auch Sie besitzen die Fähigkeit zum positiven Denken, egal wie sehr Sie in Ihrer negativen Sichtweise verankert sind. Während der Lektüre sollten Sie sich also stets vor Augen führen, dass die menschliche Grundhaltung – ob positiv oder negativ – viel mehr ist als nur ein innerer Monolog. Auf sehr subtile Weise durchdringt sie Ihre Vorstellungswelt und Ihre Zukunftserwartungen, ebenso wie den Rhythmus Ihres Herzens und Ihre Körperfunktionen, Ihre Muskelspannung und Ihren Gesichtsausdruck, Ihre Ressourcen und Ihre Beziehungen.

Szene 2 Das Sonnenlicht, das durch die Fenster in Ihr Schlafzimmer scheint, weckt Sie, und Sie fühlen sich erfrischt und ausgeruht. Sie bemerken, dass Ihr Wecker nicht geklingelt hat. Sie sind enttäuscht, weil Sie eigentlich etwas früher hatten aufstehen wollen, um noch etwas Zeit für sich selbst zu haben, bevor die Kinder wach werden. Sie schauen aus dem Fenster und denken: »Oh, naja, wenigstens bekommen wir heute gutes Wetter.« Ihre Enttäuschung schmilzt dahin. »Ich habe noch etwas Zeit für mich selbst.« Sie beschließen, die geplante Gymnastik ausfallen zu lassen und sich gleich Ihrem Tagebuch zu widmen. Dann machen Sie folgende Eintragung:

»Mein Körper hat instinktiv dafür gesorgt, dass ich nicht ganz verschlafe, sondern noch frühzeitig wach werde, um ein bisschen Zeit für mich zu haben. Ich muss mir überlegen, wie ich heute doch noch etwas Sport in meinen Alltag integrieren kann … Ich werde in der Mittagspause |20|einen schnellen Spaziergang im Park machen. Dieses neue Tagebuch ist ungeheuer wichtig für mich. Hier kann ich darüber nachdenken, was in meinem Leben gut funktioniert – und meiner Dankbarkeit für alles, was ich habe, Ausdruck verleihen. Es hilft mir, meine höheren Ziele im Blick zu behalten: Es trägt dazu bei, dass ich am Arbeitsplatz etwas verändere, und hilft mir, liebevoller mit meiner Familie umzugehen.«

In diesem Augenblick wacht Ihre jüngste, noch nicht ganz vierjährige Tochter auf und ruft nach Ihnen. Sie werfen einen Blick auf die Uhr: 6:42 Uhr. Sie haben sie darum gebeten, leise in ihrem Zimmer zu bleiben, bis Sie um sieben Uhr hineinkommen, um etwas mit ihr zu kuscheln und dann mit ihr aufzustehen. Sie fragen sich, ob die Kleine irgendetwas braucht. Sie stehen auf, gehen in ihr Zimmer und nehmen sie lange und liebevoll in den Arm. Dann geben Sie ihr einen Kuss: »Ich habe dich vermisst, Mami«, sagt sie. Sie kriechen zu ihr unter die Decke und sie beide erzählen sich etwas bis sieben Uhr.

Der Morgen ist immer hektisch, aber Sie stellen fest, dass es viel besser funktioniert, wenn Sie ruhig und gut ausgeruht sind. Aus der Suche nach den verlegten Schuhen Ihres siebenjährigen Sohnes können Sie sogar ein Familienspiel machen: »Wer die Schuhe findet, darf entscheiden, was es zum Abendessen gibt!« Schon bald sind die Schuhe wieder aufgetaucht, ganz ohne Hektik.

Nachdem Sie Ihre Kinder in Schule und Kindergarten abgesetzt haben, kommen Sie ins Büro. Der Erste, den Sie treffen, ist Joe, Ihr Mitarbeiter bei dem Projektvorschlag, den Sie vor ein paar Monaten eingereicht haben. Sein Lächeln ist so herzlich, dass Sie es unwillkürlich erwidern. »He, guten Morgen, Joe – was ist los?« Und er antwortet: »Hast du schon die Neuigkeiten gehört? Wir kriegen das Geld bewilligt! Jetzt haben wir für den Rest des Jahres ausgesorgt!«

Begeistert strahlen Sie ihn an und sagen: »Wir sind schon ein tolles Team, was?« Aufgrund der Erfahrungen des vergangenen Jahres vermuten Sie, dass in letzter Minute noch ein paar Korrekturen anstehen werden. Sie laden Joe auf Ihren Parkspaziergang ein, um mit ihm zu besprechen, wie Sie die Überarbeitung untereinander aufteilen können.

|21|An dieser Stelle denken Sie vielleicht, dass man einen Morgen, der von einer solchen positiven Grundhaltung geprägt wird, nicht so einfach mit einem Morgen voller Negativität vergleichen kann, zumal im zweiten Szenario nicht annähernd so viel Schlimmes passiert. Immerhin haben Sie in der zweiten Szene keine schlechte Nacht hinter sich, und Sharons kurzfristige Anfrage fehlt ebenso wie die Verspätung in der Schule und am Arbeitsplatz. Ich stimme Ihnen zu: Ganz so einfach geht das nicht. Aber lassen Sie uns einmal darüber nachdenken, wie und warum eine positive Einstellung einen Unterschied ausmacht.

Sechs Fakten zur positiven Grundhaltung

Nehmen Sie sich zunächst einmal einen Augenblick Zeit, um sich vor Augen zu führen, dass einige ungünstige Faktoren der beiden morgendlichen Szenen durchaus identisch sind: Ihr Wecker hat nicht geklingelt, Ihre Tochter ist zu früh aufgewacht, Ihr Sohn hat seine Lieblingsschuhe verschlampt, und Sie haben mutmaßlich eine knappe Deadline für die Überarbeitung Ihres Projekts. Eine positive Grundeinstellung kann nicht alle negativen Dinge von Ihnen fernhalten – nur manche.

Um herauszufinden, um welche es sich handelt, sollten wir uns zunächst einige besonders wichtige Unterschiede zwischen beiden Szenarien ansehen. Diese Unterschiede illustrieren sechs grundlegende Fakten in Bezug auf eine positive Grundhaltung.

1. Eine positive Grundhaltung vermittelt ein gutes Gefühl

Ich vermute, dass Sie sich nach der Lektüre der zweiten Szene deutlich besser fühlten als nach der Lektüre der ersten. Die Stimmung in der ersten war düster und angespannt, während die in der zweiten leicht und fröhlich war. Diese Tatsache ist scheinbar fast schon |22|zu offensichtlich, um der Erwähnung wert zu sein, aber sie ist wesentlich. Immerhin ist es der Funke guter Gefühle, der Ihre Motivation zur Veränderung entfacht. Sie sehnen sich nach mehr »guten Tagen« wie diesem. Diese Wahrheit scheint so einfach zu sein, dass sie uns zunächst einmal entgeht. Und noch schwerer fällt es uns, subtilere Mechanismen zu durchschauen, die durch eine positive Grundhaltung ausgelöst werden. In Kapitel 2 werden wir uns eingehender damit befassen und entdecken, was für ein kostbares Geschenk eine positive Haltung ist. Im Übrigen ist letztere nicht immer durch die gleichen Empfindungen geprägt. In Kapitel 3 beschreibe ich die Formen, die eine positive Grundstimmung annehmen kann, angefangen bei Freude über Dankbarkeit, Heiterkeit und Interesse bis hin zu Hoffnung, Stolz, Vergnügen, Inspiration, Ehrfurcht und – last, but not least – Liebe. Jedes dieser zehn positiven Gefühle kann Ihr Leben verändern – und Ihre Zukunft.

2. Eine positive Grundhaltung verändert das Denken

Eine positive Stimmung ist nicht nur dafür verantwortlich, dass schlechte Gedanken sich in gute verwandeln, sie erweitert auch die Grenzen Ihres Geistes, sodass sich Ihnen mit einem Mal deutlich mehr Möglichkeiten eröffnen. Von diesem größeren geistigen Rahmen profitieren Sie in Szene 2 gleich mehrfach. Zunächst einmal fällt Ihnen sogleich eine Möglichkeit ein, um Ihren Frühsport zu einem anderen Zeitpunkt nachzuholen. Dann das Tagebuch: Hier konzentrieren Sie sich auch weiterhin auf Ihre höheren Ziele. Zum Dritten macht es Ihnen nichts aus, dass Ihre kleine Tochter früher aufwacht, und Sie nehmen eine insgesamt versöhnliche Grundhaltung ein. Zum Vierten machen Sie aus der Suche nach den verlorenen Schuhen ein Familienspiel. Fünftens stellen Sie eine Verbindung zu Ihrem Kollegen Joe her und vertrauen seinem Lächeln. Sechstens denken Sie sich eine Methode aus, um Sport und Ihren vollen Terminkalender miteinander in Einklang zu bringen, indem Sie Joe einladen, Sie auf Ihrem strammen Parkspaziergang zu begleiten. Die positive Grundeinstellung |23|hat Ihre Perspektive nur ganz leicht – kaum wahrnehmbar – verändert, aber für die Entwicklung der morgendlichen Ereignisse ist dies von entscheidender Bedeutung. In Kapitel 4 werden wir sehen, wie diese Bewusstseinserweiterung vonstatten geht.

3. Eine positive Grundeinstellung verändert Ihre Zukunft

Gute Gefühle sind zwar nicht von Dauer, bringen aber auf lange Sicht Ihr Bestes zum Vorschein. Man spürt intuitiv, dass das emotionale Klima der zweiten Szene keine Ausnahme ist. Diesem Morgen gingen Tage voraus – vielleicht sogar Wochen oder Monate –, die ebenfalls viel Positives zu bieten hatten. Sie sammelten immer mehr positive Gefühle und damit innere Ressourcen, durch die Sie in dieser speziellen Situation deutlich besser gestimmt waren. Wiederholte positive Erfahrungen haben sich zunächst einmal auf Ihr körperliches Wohlbefinden ausgewirkt (Sie haben besser geschlafen). Auch auf mentaler Ebene wurde eine ihrer Ressourcen aktiviert (Sie reagierten sensibel auf die gegenwärtige Situation); hinzu kamen mindestens zwei psychologische (Sie waren optimistischer und widerstandsfähiger) und einige soziale Ressourcen (Sie hatten eine bessere Verbindung zu Ihrer Familie und zu Ihren Kollegen). Jede dieser Ressourcen, die durch wiederholte positive Erfahrungen in Ihrer jüngsten Vergangenheit aufgebaut wurden, trug dazu bei, dass der Morgen in der zweiten Version deutlich besser verlief als in der ersten. In Kapitel 5 führe ich Ihnen vor Augen, wie eine positive Grundhaltung Ihre Zukunft zum Besseren verändern kann.

4. Positive bremst negative Grundhaltung

Von einer Sekunde zur nächsten führt eine negative Grundhaltung zu einer Erhöhung des Blutdrucks. Eine positive Stimmung hingegen kann ihn wieder senken. Sie wirkt wie ein Warmstart. In Szene 2 profitierten Sie mindestens zweimal von diesem Effekt. Zunächst waren Sie zwar enttäuscht, weil Ihr Wecker nicht klingelte und Ihre Tochter |24|so früh aufwachte, aber die Positivität spülte die negativen Gefühle sofort hinweg. Dadurch waren Sie in einer besseren Position und konnten das Beste aus der neuen Situation machen, mit der Sie sich konfrontiert sahen. Tatsächlich ist eine positive Grundeinstellung das Geheimnis der Widerstandskraft (Resilienz). In Kapitel 6 gehe ich auf die wissenschaftlichen Hintergründe dieses Geheimnisses ein.

5. Die positive Grundhaltung unterliegt dem Gesetz des Tipping-Points

Eine ebenso verblüffende wie praktische Erkenntnis der Positiven Psychologie besteht darin, dass die Auswirkung positiver Gefühle nicht linear erfolgt. Wir betreiben hier nicht Wissenschaft im üblichen Sinne. Es gibt nicht nur einen einzelnen Pfeil, der uns von der Ursache zur Wirkung führt, sondern unzählige Pfeile. Und diese fliegen nach unten, machen einen Looping und nehmen uns von allen Seiten gleichzeitig unter Beschuss. In der traditionellen, linearen Wissenschaft gilt die Regel des Proporzes: Egal, wo Sie anfangen, wenn Sie die Menge des Inputs verändern, verändert sich die Menge des Outputs entsprechend. Anders ist es in der nichtlinearen Wissenschaft. Hier macht es einen Riesenunterschied, wo Sie beginnen. Gibt es an einem bestimmten Startpunkt überhaupt keine Folgeerscheinungen, so sind letztere unverhältnismäßig groß, wenn sie woanders einsetzen. Unter »Tipping-Point« oder »Umkipp-Punkt« verstehen wir jenen wundervollen Punkt, an dem eine kleine Veränderung enorme Auswirkungen hat.

Für die psychologische Befindlichkeit der Hauptperson besteht zwischen Szene 1 und Szene 2 kein gradueller, sondern ein elementarer Unterschied, denn sie befindet sich jeweils auf den unterschiedlichen Seiten dieses Tipping-Points. Wenn Sie Szene 1 genauer unter die Lupe nehmen, werden Sie feststellen, dass es auch hier Positives gibt. Sie bemerken die helle Morgensonne und registrieren die guten Nachrichten zu Ihrem Projekt ebenso wie das Lächeln Ihres Kollegen. Doch scheinen diese Faktoren kaum ins Gewicht zu fallen. Die |25|negative Grundstimmung ist für die Tagesbilanz verantwortlich. Im Gegensatz dazu gibt es in Szene 2 genug Positives, um die Waagschalen zugunsten außergewöhnlicher Ergebnisse zu bewegen. Ihr Morgen ist nicht nur etwas besser, sondern erheblich. Sie fühlen sich lebendig und entwickeln sich innerlich weiter. Sie messen den Beiträgen, die Sie zu Hause und am Arbeitsplatz leisten, Wert bei. Die beiden Seiten rund um den Tipping-Point fühlen sich vollkommen unterschiedlich an – und sind es auch. Das vorliegende Buch liefert ein Rezept, um Ihr Leben nach der wachstumsorientierten und erfüllten Seite auszurichten. In Kapitel 7 beschreibe ich die neuen, nichtlinearen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die diesem Rezept zugrunde liegen.

6. Sie können Ihre positive Grundeinstellung ausbauen

Wenn die Lektüre der beiden morgendlichen Szenen Sie beeindruckt hat, dann deshalb, weil Sie sowohl das Potenzial zur lebensfeindlichen Negativität als auch das zur lebensspendenden Positivität in sich tragen. Auf das, was Sie zu welchem Zeitpunkt fühlen, haben Sie mehr Einfluss als Sie glauben. Der Schatz Ihrer eigenen positiven Lebenseinstellung wartet auf Sie. Sie selbst sind das Zünglein an der Waage. Es liegt in Ihrer Hand, das Potenzial Ihres Lebens voll auszuschöpfen. Deshalb widme ich den gesamten zweiten Teil dieses Buches – die Kapitel 8 bis 12 – der Frage, wie Sie dies erlernen können.

Die Natur des Menschseins

Eine positive Grundeinstellung kann in Ihrem Leben einen enormen Unterschied bewirken. Dieses Buch will Ihnen vor Augen führen, warum sie solche Macht besitzt: Durch eine positive Haltung entdecken Sie neue Möglichkeiten, erholen sich schneller von Rückschlägen, fühlen sich anderen Menschen stärker verbunden und werden ein besserer Mensch. Sie schlafen sogar besser. Woher ich das weiß? Teilweise deshalb, weil ich – wie Sie selbst und alle anderen Menschen |26|– auch Tage kenne, die scheinbar unter einem schlechten Stern stehen, und Tage, an denen alles rund läuft. Doch hinzu kommt, dass ich mich beruflich der Erforschung der Frage widme, welche Auswirkungen eine positive Lebenseinstellung auf die emotionale Befindlichkeit von Menschen hat.

Während ein Dichter nach immer neuen Metaphern sucht, um seine Vorstellungen über menschliche Gefühle zum Ausdruck zu bringen, suche ich als Wissenschaftlerin Mittel und Wege, um sie zu messen. Ich habe festgestellt, dass eine wissenschaftliche Erforschung der Emotionen weit davon entfernt ist, eine trockene, abstrakte Übung zu sein, sondern vielmehr dazu angetan ist, verborgene und vielleicht universelle Wahrheiten über die tatsächliche Natur des Menschseins zu enthüllen. Sie haben sich sicherlich schon häufiger die Frage gestellt: »Warum haben wir Gefühle?« Oder: »Welchen Unterschied macht es, wenn ich die Dinge positiv betrachte?« Ich kann es Ihnen sagen: Die neueste Wissenschaft zeigt, dass unsere täglichen emotionalen Erfahrungen den Verlauf unseres Lebens beeinflussen.

Mein Spezialgebiet ist die Psychologie. Auch wenn diese Wissenschaft schon seit Ende des 19. Jahrhunderts als etabliert gilt, waren Emotionen überraschenderweise lange ein Tabuthema. Da sie ebenso schwer zu erfassen wie zu messen sind, hielt man sie für kein legitimes Forschungsziel. Deshalb galten meine Mentoren in diesem Wissenschaftszweig als Pioniere. Ich selbst gehöre zur zweiten Wissenschaftlergeneration, die auf diesem Gebiet forscht. Früher konzentrierte sich die Emotionsforschung vornehmlich auf negative Gefühle – auf Depressionen, Aggressionen, Angstneurosen und all die krankhaften Veränderungen und Leiden, die negative Gemütszustände im Leben von Menschen auslösen können. Ich jedoch schlug einen anderen Weg ein. Ich konzentriere mich vornehmlich auf die Erforschung der positiven Gefühle – Freude, Heiterkeit, Interesse, Liebe und dergleichen. Dieser Ansatz ist in der Emotionsforschung immer noch die Ausnahme.

In der psychologischen Fachliteratur wird in diesem Zusammenhang meine sogenannte »Broaden-and-Build«-Theorie positiver Gefühle |27|am häufigsten zitiert.1 Diese Theorie beschreibt nicht nur die Entwicklung positiver Emotionen bei unseren Vorfahren, sondern sie konzentriert sich auch auf den Wert, die sie für den modernen Menschen haben. Seit 1999, dem Geburtsjahr der Positiven Psychologie, gehöre ich auf diesem Gebiet zu den führenden Wissenschaftlern und Experten.

Doch sind wir in gewisser Weise nicht alle Experten für Gefühle? Wir erfahren sie Tag für Tag aufs Neue: Trauer und Freude, Zorn und Dankbarkeit und vieles mehr – sie sind so normal und natürlich wie das Atmen. Worte wie Liebe, Freude, Dankbarkeit, Heiterkeit und Hoffnung durchdringen die Wünsche, die wir haben, die Bücher, die wir lesen, und die Filme, die wir uns ansehen. Trotzdem sind sie mehr als nur literarische Begriffe. Es handelt sich auch um wissenschaftliche Termini, die mit großer Genauigkeit definiert und gemessen werden können. Ich habe diese wesentlichen menschlichen Gefühle untersucht, um zu zeigen, inwiefern sie einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der allgemeinen Lebensqualität leisten können.

Mein Versprechen an Sie

Eines kann ich Ihnen versprechen: Durch die Lektüre werden Sie eine ganz neue Sichtweise entwickeln. Sie werden die Wirkung positiver Gefühle verstehen und schätzen lernen, und Sie werden feststellen, wie erstaunlich nützlich sie sein können. Sie werden eine neue, wissenschaftlich erwiesene Seite dieser Gefühle kennen lernen, durch die Sie sich selbst besser verstehen und Ihr Potenzial besser ausschöpfen können. Sie werden in der Lage sein, Ihren Alltag besser zu bewältigen und täglich selbstbestimmtere Entscheidungen zu treffen, Ihre geistige Energie zu erneuern und Ihre persönlichen Beziehungen zu verbessern. Eine positive Haltung gibt uns die Gelegenheit, eine neue Ebene unseres Seins zu betreten: unseren Geist zu erweitern (broaden) und uns eine neue Zukunft aufzubauen (build).

Eigentlich begann ich mich nur deshalb wissenschaftlich mit positiven |28|Emotionen auseinanderzusetzen, weil es sich damals um bislang unerforschtes Terrain handelte und ich intellektuelle Herausforderungen liebe. Zwar ist meine Arbeit immer noch von dieser Einstellung geprägt, aber vor ein paar Jahren hat sich etwas verändert. Die Informationen und Daten, die ich im Laufe der Jahrzehnte gesammelt hatte, nahmen Form an und zeigten mir erheblich mehr als erwartet. Plötzlich hielt ich ein Rezept zum Leben und zur Lebensführung in den Händen. Ich war verblüfft. Und bin es noch.

Heute besteht meine Arbeit eher darin, dieses Rezept auf seine Tauglichkeit hin zu überprüfen. Kann man es wirklich für bare Münze nehmen? Als Wissenschaftlerin liegt es mir nun einmal nicht im Blut, Dinge einfach nur zu akzeptieren, weil ich daran glaube – oder weil die Daten, die ich gesammelt habe, darauf hinweisen. Meine Mission besteht darin, den verborgenen Wert einer positiven Lebenseinstellung ans Licht zu bringen, zu testen und meine Erkenntnisse der Welt mitzuteilen. Sicher wollen auch Sie erfahren, was die Wissenschaft zu der Frage zu sagen hat, inwiefern eine positive Haltung Ihr Leben verbessern kann.

Wenn Sie sich nach einem lebendigeren, erfüllteren Leben sehnen, dann ist dieses Buch genau das Richtige für Sie.

|29|2 Positive Gefühle: Mittel, nicht Zweck

»Es gäbe kein gefälschtes Gold,

wenn es nicht irgendwo auch echtes Gold gäbe.«

Sufi-Sprichwort

Zunächst die gute Nachricht: Unabhängig von Ihren derzeitigen Lebensumständen haben Sie alles, was Sie brauchen, um Ihr Leben und Ihre Umgebung zum Besseren zu verändern. Sie tragen eine erneuerbare Energiequelle in Ihrem Innern, aus der Sie schöpfen können, wann immer Sie Ihren Vorrat auffüllen wollen.

Leider gibt es auch einen Haken an der Sache: Wenn Sie sich vom Rest der Menschheit nicht nennenswert unterscheiden, dann ist diese Energie bei Ihnen etwas knapp. Und ohne einen größeren Vorrat davon werden Sie es auch nicht schaffen, dem Rezept für ein besseres Leben zu folgen. Noch trauriger ist, dass Sie vermutlich gar keine Ahnung haben, dass Ihnen dieser innere Quell überhaupt zur Verfügung steht. Deshalb können Sie ihn auch nicht ausschöpfen. Sie stolpern orientierungslos durch Ihr Leben und suchen das, was Sie brauchen, an der falschen Stelle, nämlich außerhalb Ihres Selbst. So konzentrieren Sie sich beispielsweise auf Ihre finanzielle Situation und auf alles, was man mit Geld kaufen kann – und kommen dabei persönlich zu kurz.

Ihre Energiequelle ist eine tief empfundene positive Lebenseinstellung. Dieses ebenso subtile wie flüchtige Gefühl ist unser menschliches Geburtsrecht. Es kommt in vielen Formen und Geschmacksrichtungen daher. So fühlen Sie sich anderen Menschen beispielsweise manchmal besonders verbunden oder von ihnen geliebt – wenn Sie mit ihnen spielen, gemeinsam kreativ oder ausgelassen sind. Manchmal |30|glauben Sie, gesegnet zu sein, Sie sind eins mit Ihrer Umgebung; Ihre Seele wird von der Schönheit des Seins berührt; Sie sind voller Energie und widmen sich ganz aufgeregt einer neuen Idee oder einem neuen Hobby. Wann immer positive Emotionen – wie Liebe, Freude, Dankbarkeit, Heiterkeit, Interesse und Inspiration – Ihr Herz berühren und öffnen, sind Sie von einer positiven Gesamtstimmung erfüllt.

Doch ob es nun Faszination, Lachen oder Liebe ist, diese Augenblicke der aus dem Herzen kommenden Positivität dauern in der Regel nicht lange. Gute Gefühle kommen und gehen, ähnlich wie gutes Wetter. So ist der Mensch nun einmal gestrickt. Positive Stimmungen verblassen. Dadurch können wir uns leichter auf Veränderungen einstellen. Wer ständig positiv gestimmt wäre, könnte den Unterschied zwischen guten und schlechten Nachrichten nicht erkennen, genauso wenig wie den zwischen einer Einladung und einer Beleidigung.

Quantität zählt

Das Geheimnis besteht darin, die positive Stimmung nicht krampfhaft festzuhalten und ihre flüchtige Natur nicht zu leugnen. Stattdessen ist es sinnvoll, einfach häufiger positive Augenblicke in Ihr Leben zu integrieren – steigern Sie die Quantität positiver Empfindungen. Das Entscheidende ist meinen Forschungsergebnissen zufolge nämlich der sogenannte positive Quotient. Hierbei handelt es sich um das messbare Verhältnis zwischen tief empfundenen positiven und herzzerreißenden, negativen Gefühlen. Formal betrachtet berechnet sich der positive Quotient durch die Häufigkeit positiver Emotionen während eines beliebigen Lebensabschnitts geteilt durch die Häufigkeit negativer Gefühle im gleichen Zeitraum, also durch die einfache mathematische Formel P:N (Positivität: Negativität).

In späteren Kapiteln werden wir sehen, dass der positive Quotient einem Tipping-Point unterliegt. Wenn die Positivität unter einen bestimmten Wert sinkt, geraten die Menschen in eine durch Negativität |31|genährte Abwärtsspirale. Ihr Verhalten wird auf schmerzhafte Weise vorhersagbar – sie sind geradezu erstarrt. Sie haben das Gefühl, eine große Last auf den Schultern zu tragen – manchmal fühlen sie sich wie tot. Doch bleibt die positive Grundeinstellung über diesem bewussten Wert, dann scheinen die Menschen in einer von Positivität gespeisten Aufwärtsspirale emporzustreben. Ihr Verhalten ist deutlich weniger vorhersagbar und kreativer. Sie wachsen, haben Auftrieb und fühlen sich lebendig.

Meiner Auffassung nach haben Sie es selbst in der Hand, ob Sie in eine Abwärts- oder in eine Aufwärtsspirale gelangen. Wie sehr wir uns gegen diese Erkenntnis auch sträuben, wir Menschen sind keine statischen Wesen. Entweder befinden wir uns auf positivem oder auf negativem Kurs. Entweder wachsen wir, werden bessere Menschen, werden kreativer und widerstandsfähiger, oder wir verfestigen unsere schlechten Gewohnheiten, bleiben stehen und entwickeln uns nicht mehr weiter. Ihr positiver Quotient macht dabei den entscheidenden Unterschied. Er stellt die Weichen für Ihre Lebenskurve und bestimmt, ob Sie in Ihrer Entwicklung stehenbleiben oder ein erfülltes Leben führen, ob Sie gedeihen oder verwelken.

Denn wie jedes andere Lebewesen auch können Sie stagnieren, dahinvegetieren, innerlich abgestorben sein – oder eben erblühen, voller Möglichkeiten und bemerkenswert widerstandsfähig in schweren Zeiten. Menschen, die gedeihen, funktionieren oft in hohem Maße effizient – und zwar sowohl auf psychologischer als auch auf sozialer Ebene. Sie sind nicht einfach nur Menschen, denen es gut geht. Gedeihen geht über bloßes Glücklichsein oder Zufriedenheit mit dem Leben hinaus – diese Menschen tun darüber hinaus auch noch Gutes. Sie leisten einen wertvollen Beitrag zum Weltgeschehen. Menschen, die gedeihen, engagieren sich innerhalb ihrer Familie, am Arbeitsplatz und in ihrer Umgebung. Sie werden von dem Gefühl angetrieben, dass ihr Leben einen Sinn hat. Sie empfinden sich als wichtiges Mitglied der Gesellschaft. Sie wissen, warum sie morgens aufstehen. Wer danach strebt, zu gedeihen, der verfolgt also ein übergeordnetes, erhabenes Ziel. Es geht nicht einfach nur darum, sich selbst glücklich zu machen, sondern |32|vielmehr darum, mit seinem Tag und seinem Leben etwas Wertvolles anzufangen. In diesem Sinne ist zu gedeihen zwar durchaus edel, impliziert aber keineswegs große oder grandiose Taten. Es erfordert lediglich die Überwindung der Eigeninteressen insoweit, dass man das Gute mit anderen teilt und mit ihnen feiert. Ein erfülltes Leben dieser Art bietet Ihnen die bestmögliche Zukunft. Und eine positive Lebenseinstellung kann Ihnen dabei helfen, dorthin zu gelangen.

Über das menschliche Dasein können wir noch viel lernen. Je mehr wir wissen, umso eher können wir uns das Leben aufbauen, das wir uns wünschen. Ich bin überzeugt, dass Sie mehr über tief empfundene positive Gefühle erfahren und dass Sie wissen wollen, wie sie funktionieren und Sie davon profitieren können. Ich hoffe inständig, dass dieses Buch Sie dazu inspirieren wird, mit einer positiven Haltung zu experimentieren, damit Ihr Geist sich weitet (broaden) und Sie die beste Zukunft für sich selbst und für die Menschen, die Sie lieben, aufbauen können (build).

Der Nutzen guter Gefühle

Es scheint fast schon unsinnig, die Frage zu stellen, welchen Nutzen gute Gefühle haben. Die Antwort liegt schließlich auf der Hand: Angenehme Gefühle sind wertvoll, weil wir sie genießen. Sie signalisieren: Alles ist gut. Unser Leben ist schön. Wir haben einen Erfolg erlebt. Wir sind sicher und zufrieden.

Wenn Sie einem Arzt oder einem Therapeuten erklären, dass Sie sich gut fühlen, wird er das als Zeichen dafür werten, dass Schmerzen, Leiden, Depressionen und Feindseligkeit Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden im Augenblick nicht beeinträchtigen. Für viele Mediziner bedeutet »sich gut fühlen« nicht viel mehr als »sich nicht schlecht fühlen«. Wer sich schlecht fühlt, der muss genau in Augenschein genommen werden. Denn dieses Gefühl geht Herzinfarkten, Schlaganfällen, Essstörungen, Fettleibigkeit, Selbstmord, einer hohen |33|Gewaltneigung und vielem mehr voraus. Psychisches Wohlbefinden senkt das Gesundheitsrisiko.

Aber eine positive Grundhaltung ist mehr als nur die Abwesenheit von Negativität und gesundheitlichen Risiken. Sie lässt sich nicht auf Sicherheit und Befriedigung, Erfolg und gute Gesundheit reduzieren. Die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass eine positive Einstellung nicht einfach nur Erfolg und Gesundheit signalisiert, sondern dass sie sie auch verursacht. Demzufolge spüren wir die Auswirkungen einer positiven Gestimmtheit auch dann noch, wenn sie nachlässt. Über den gegenwärtigen, fröhlichen Augenblick hinaus hat sie langfristige Auswirkungen auf Ihre Lebenskurve. Sie bestimmt, ob Sie gedeihen oder dahinvegetieren.

Einer meiner bislang wichtigsten wissenschaftlichen Beiträge besteht in der Antwort auf ein Rätsel, für das die Wissenschaft lange keine Erklärung hatte. Ich brachte es auf folgende Formel: »Wozu sind positive Gefühle gut?« Und wie bei jedem guten Rätsel muss man die Perspektive wechseln, um die richtige Antwort zu finden.

Die alte Betrachtungsweise: Positivität ist aufgewärmte Negativität

An dieser Stelle erscheint ein historischer Exkurs zum Thema Gefühle durchaus sinnvoll. Früher versuchte die Wissenschaft das Rätsel positiver Emotionen zu lösen, indem sie von der Annahme ausging, dass alle Emotionen, sowohl die negativen als auch die positiven, auf unsere menschlichen Vorfahren zurückzuführen seien, da sie den Drang hervorriefen, auf bestimmte Art und Weise zu handeln. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge lösen Emotionen einen bestimmten Handlungsimpuls aus. Furcht ist mit dem Impuls verbunden, zu flüchten, Zorn mit dem Impuls, anzugreifen, Abscheu mit dem Impuls, etwas zu vermeiden, und so weiter.

Der Kerngedanke, der sich hinter diesem Konzept verbirgt, ist der, dass Emotionen deshalb so überaus wichtig für unsere Spezies waren, |34|weil unseren Vorfahren angesichts bestimmter Gefühle genau diese bestimmten Handlungsmuster in den Sinn kamen. In Situationen, bei denen es um Leben und Tod ging, erwies sich dieses Verhalten am sinnvollsten. Mit anderen Worten: Diejenigen, die davonrannten, wenn sie eine große Raubkatze erblickten, überlebten. Die, die es nicht taten, wurden gefressen. Das Überleben ist der Schlüssel der Evolution: Wenn einer unserer Vorfahren nicht lang genug lebte, um Kinder zu zeugen, wurde er nicht Bestandteil unseres vorzeitlichen Familienstammbaumes.

Des Weiteren beruht diese Theorie auf der Annahme, dass diese Impulse durch physische Reaktionen unterstützt werden. Der emotionale Impuls und die körperliche Veränderung sind schneller als das bewusste Denken. Ich will Ihnen das an einem Beispiel vor Augen führen. Stellen Sie sich eine gefährliche Situation vor: Ein entgegenkommendes Auto ist von der Fahrbahn abgekommen und rast nun auf Sie zu. Angesichts der drohenden Gefahr spüren Sie nicht nur den Impuls, sich in Sicherheit zu bringen, sondern ihr Herz-Kreislauf-System leitet innerhalb von Millisekunden jede Menge sauerstoffhaltiges Blut in ihre Extremitäten, damit Sie besser flüchten können. Ihre Nebennierendrüsen produzieren vermehrt Cortisol, um mehr Energie zur Verfügung zu stellen, indem der Glukosegehalt im Blutkreislauf erhöht wird. Der Fluchtimpuls, der mit der Furcht einhergeht, spielt sich also nicht nur in Ihrem Kopf ab, sondern durchdringt Ihren ganzen Körper, Ihr gesamtes Sein.

Auf wissenschaftlicher Ebene bringt diese Erkenntnis zweierlei zum Ausdruck: Sie erklärt zum einen, wie die Kräfte der natürlichen Selektion unsere Emotionen prägten und warum sie Bestandteil der allgemeinen menschlichen Natur sind – sie halfen unseren Vorfahren, schnell und entschlossen in lebensbedrohlichen Lagen zu reagieren. Zum zweiten erklärt sie, warum Gefühle sowohl den Geist als auch den Körper beeinflussen können, denn immerhin lösen sie eine Kaskade physiologischer Veränderungen aus.

Es ist also nicht verwunderlich, dass viele Wissenschaftler von der Theorie der bestimmten Handlungsmuster, denen wir alle folgen, so |35|begeistert waren, dass sie sie weiter erforschen wollten. Aber es erwies sich als schwierig, derlei Handlungsmuster auch für positive Gefühle herauszuarbeiten. Ein Wissenschaftler verband Freude mit dem Impuls, einfach alles tun zu wollen. Ein anderer assoziierte Heiterkeit mit dem Impuls, nichts zu tun. Solche »positiven Impulse« sind nicht annähernd so genau oder intensiv wie Kämpfen, Flüchten oder Drohen. Darüber hinaus sind die physiologischen Veränderungen, die mit positiven Empfindungen einhergehen, mit denen, die negative Emotionen begleiten, nicht vergleichbar. Positive Gefühle passten einfach nicht in das theoretische Schema, das bei der Erklärung von negativen Gefühlen so gut funktioniert hatte. Vor diesem Hintergrund war die Frage, wozu positive Emotionen eigentlich gut sind, natürlich doppelt spannend.

Der neue Blickwinkel: die Broaden-and-Build-Theorie

Während ich mich mit diesem kniffligen Rätsel und anderen faszinierenden Eigenschaften positiver Gefühle befasste, entwickelte ich in den ausgehenden Neunzigerjahren die Broaden-and-Build-Theorie der positiven Emotionen.

Durch diese neue Theorie stellte ich die bisherige Sichtweise, die in der Psychologie vorherrschte, in Frage. Ich bewegte mich weit über das hinaus, was meine Mentoren mir beigebracht hatten. Während ich ihnen zwar darin zustimmte, dass die Vorstellung bestimmter Handlungsmuster und Impulse nützlich war, war ich darüber hinaus davon überzeugt, dass dies nur für die negativen Gefühle galt. Um den Wert positiver Emotionen vollkommen zu erfassen, musste ich einen neuen Kurs einschlagen. Meine Annahme lautete wie folgt: Während negative Emotionen den Blickwinkel der Betroffenen im Hinblick auf mögliche Handlungsalternativen einschränken, leisten positive Emotionen genau das Gegenteil. Sie erweitern (broaden) unseren Horizont und unser Bewusstsein und ermöglichen uns einen größeren Denk- und Handlungsspielraum als sonst. Freude beispielsweise löst den Impuls aus, zu spielen und kreativ zu sein. Interesse bewegt uns dazu, zu erforschen und zu lernen, während Heiterkeit dazu führt, dass wir die gegenwärtige Situation genießen und uns selbst und unsere Umgebung in neuem Licht sehen. Die erste Kernwahrheit lautet also, dass positive Emotionen unsere Herzen und unseren Geist öffnen, sodass wir empfänglicher und kreativer werden.

|36|1. Kernwahrheit

Positive Emotionen öffnen unsere Herzen und unseren Geist, sodass wir empfänglicher und kreativer werden.

Des Weiteren bezweifelte ich die stillschweigende Annahme meiner Kollegen, dass Gefühle deshalb für unsere menschlichen Vorfahren von Wert waren, weil sie Verhaltensweisen auslösten, die die Überlebens- und Vermehrungschancen des Menschen erhöhten. Es ist leicht vorstellbar, dass Flucht aufgrund von Angst lebensrettend sein kann. Aber freudiges Spiel wird wohl kaum etwas Ähnliches leisten. Um hier eine sinnvolle Erklärung zu finden, musste ich mich von der Betrachtung des gegenwärtigen Augenblicks lösen und darüber hinaus blicken.

Schließlich kam ich zu dem Schluss, dass positive und negative Gefühle auf verschiedenen Zeitebenen wirken. Negative Gefühle bewirken eine verengte Weltsicht, die für unsere Vorfahren oft überlebenswichtig war. Eine erweiterte Perspektive, wie sie durch positive Gefühle inspiriert wird, war für unsere Vorfahren hingegen auf anderen Gebieten und über einen längeren Zeitraum hinweg wertvoll. Auf lange Sicht bewirkte sie eine Bewusstseinssteigerung, die es unseren Vorfahren ermöglichte, innere Ressourcen zu bilden und ihr Potenzial, ihre Fähigkeiten und nützlichen Eigenschaften weiterzuentwickeln. Diese neuen Ressourcen dienten als Reserven, durch die unsere Vorfahren wiederum noch besser auf jene unvermeidlichen, lebensbedrohlichen Situationen reagieren konnten.

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