Die Macht der Liebe - Barbara L. Fredrickson - E-Book

Die Macht der Liebe E-Book

Barbara L. Fredrickson

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Beschreibung

Liebe ist … Sie wissen schon? Vergessen Sie alles, woran Sie bisher geglaubt haben und machen sich bereit für ein radikales Upgrade: Liebe 2.0! Die neueste Forschung von Barbara L. Fredrickson zeigt: Liebe ist ein Mikromoment der Verbundenheit zwischen zwei Menschen, eine alltägliche Emotion, die uns überall begegnen kann. Mit ihren revolutionären Thesen über unser »höchstes Gefühl« sprengt die Psychologin sämtliche Klischees von der exklusiven, bedingungslosen und ewig andauernden Liebe. Gleichzeitig zeigt sie uns, dass unserem Körper ohne Liebe ein entscheidender »Nährstoff« fehlt. Dieses Buch macht klar: Die Macht der Liebe verändert die Welt.

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Seitenzahl: 372

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Über das Buch

Liebe ist nicht das, wofür wir sie halten. Sie ist kein dauerhaftes und exklusives Gefühl, das an die Beziehung zu einem besonderen Menschen gebunden ist. Und dennoch ist und kann sie viel mehr als Popsongs, Filme und Romane uns erzählen. Liebe besteht aus Sekundenbruchteilen emotionaler Verbundenheit, die unsere Psyche, unseren Körper und unser soziales Umfeld positiv beeinflussen. Unser ganzes Leben profitiert von diesen kurzen Momenten der Verbindung zu anderen Menschen, die wir nicht einmal kennen müssen. Barbara Fredrickson beschreibt eindrucksvoll, was Liebe wirklich ist, wie und wann sie entsteht, wie wir sie fördern können und wieso sie die Macht hat, unsere Welt zum Guten zu verändern.

Über die Autorin

Barbara Lee Fredrickson, Jahrgang 1964, ist Professorin für Psychologie und Direktorin des Labors für Positive Emotionen und Psychophysiologie an der University of North Carolina in Chapel Hill. Durch ihre bahnbrechenden Erkenntnisse hat sie die Entwicklung der Positiven Psychologie maßgeblich beeinflusst. Mit ihrem Bestseller Die Macht der guten Gefühle (2011) hat sie gezeigt welche Auswirkungen eine positive Grundhaltung auf unser Leben hat. Nun geht sie noch einen Schritt weiter und revolutioniert unseren Blick auf die Liebe. Bereits zweimal wurde Fredrickson vom Dalai Lama eingeladen, um ihm die Ergebnisse ihrer Forschungen zu präsentieren.

Barbara L. Fredrickson

Die Macht der Liebe

Ein neuer Blick auf das größte Gefühl

Aus dem Englischen von Nicole Hölsken

Campus VerlagFrankfurt/New York

Inhalt

TEIL I LIEBE NEU DENKEN

1. Liebe – unser höchstes Gefühl

Liebe ist anders, als Sie denken

Ein neuer Denkansatz

Die weiteren Aussichten

2. Was Liebe ist

Liebe ist allgegenwärtig

Liebe braucht Sicherheit

Liebe braucht wahre Verbundenheit

Für die Liebe geschaffen

Liebe zu Freunden

Positivität von Anfang an

Die weiteren Aussichten

3. Die Biologie der Liebe

Liebe und das Gehirn

Die Biochemie der Liebe

Die Bedeutung des Vagusnervs

Entfesselte Aufwärtsspiralen

Die weiteren Aussichten

4. Die Wellen der Liebe

Denken

Tun

Werden

Die weiteren Aussichten

Teil II IHR LEITFADEN ZUR LIEBE

5. Liebende Güte

Ihr Liebespotenzial

Ihre Vorbereitung

Drei liebevolle Verbindungen

Liebende-Güte-Meditation

Die weiteren Aussichten

6. Liebendes Selbst

Hindernisse der Selbstliebe überwinden

Liebende Güte für Sie selbst

Selbstakzeptanz

Die weiteren Aussichten

7. Andere lieben. In Krankheit und Gesundheit

Gefährliche Vergleiche

Mitgefühl: Leiden mit Liebe begegnen

Ein Fest: Dem Glück des anderen mit Liebe begegnen

Die weiteren Aussichten

8. Liebe ohne Grenzen

Die unendliche Weite Ihres Herzens

Über Liebe, Wissenschaft und Spiritualität

Die weiteren Aussichten

9. Liebevolles Schlusswort

Ein Gefühl wird geboren?

Genexpression – Marke Eigenbau?

Ihr inneres Navigationssystem

Die weiteren Aussichten

Danksagung

Lektüreempfehlungen

Index der Übungen

Anmerkungen

Teil I

LIEBE NEU DENKEN

Die Eskimos hatten zweiundfünfzig Namen für »Schnee«, weil er für sie wichtig war. Es sollte ebenso viele Ausdrücke für »Liebe« geben.1

Margaret Atwood

KAPITEL 1LiebeUnser höchstes Gefühl

Sehnsucht. Sie kennen das Gefühl. Es ist die schmerzhafte Ahnung, dass etwas Elementares in Ihrem Leben fehlt; ein tiefer Hunger nach mehr. Nach mehr Sinn, mehr Verbundenheit, mehr Energie – mehr irgendetwas. Sehnsucht erfüllt Sie, kurz bevor Ihnen aufgeht, dass Sie ruhelos, einsam oder unglücklich sind.

Sehnsucht ist nicht einfach nur ein Geisteszustand. Sie ist zutiefst körperlich. Ihr Körper lechzt nach einem Grundnahrungsmittel, das ihm vorenthalten wird. Doch Sie wissen nicht, was das sein könnte. Manchmal können Sie den Schmerz betäuben, indem Sie sich in die Arbeit stürzen, tratschen, fernsehen oder spielen. Doch können uns solche Versuche nur vorübergehend von unserer inneren Leere ablenken. Die Sehnsucht lässt nicht nach. Sie verfolgt uns wie ein Schatten, beharrlich, und macht Zerstreuungen aller Art nur umso attraktiver. Die gibt es schließlich in Hülle und Fülle – das zweite oder dritte Glas Wein, Unmengen von SMS und Tweets, die Couch mit der Fernbedienung.

Vermutlich leiden Sie keinen Hunger. Und an sauberem Trinkwasser herrscht ebenfalls kein Mangel. Die Luft ist sauber und Ihre Wohnung einigermaßen behaglich. Diese grundlegenden Bedürfnisse sind also seit langem erfüllt. Wonach Sie sich jetzt sehnen, ist weit schwerer greifbar.

Sie sehnen sich nach Liebe. Ob Sie Single sind oder nicht, ob Sie Ihre Tage vornehmlich isoliert verbringen oder stets unter Menschen sind und sich mit ihnen unterhalten, die Liebe ist ein wesentlicher Nährstoff, den unsere Zellen unbedingt brauchen; eine wahrhaft positiv aufgeladene Verbindung zu anderen Lebewesen.

Unser Körper braucht Liebe, ganz so, wie Pflanzen Sonne, gute Erde und Wasser benötigen, um zu gedeihen. Je mehr Liebe Sie erleben, umso mehr öffnen Sie sich, umso mehr können Sie wachsen, weiser werden und ein besseres Gefühl für Ihre Umgebung entwickeln. Sie werden resilienter und effektiver, glücklicher und gesünder. Sie wachsen auch auf spiritueller Ebene, können die ebenso unerklärliche wie tiefe Verbundenheit zu den anderen Menschen in Ihrem Leben intensiver fühlen und wertschätzen.

Genau so, wie Ihr Körper Sauerstoff über die Atemluft aufnimmt und die Nährstoffe aus den Nahrungsmitteln, die Sie zu sich nehmen, nutzt, so wurde er dazu geschaffen zu lieben. Die Liebe ist wie ein tiefer Atemzug – oder wie eine saftige Orange, die man genießt, wenn man erschöpft und durstig ist. Sie schmeckt nicht nur gut, sondern ist lebensspendend, ein unentbehrlicher Quell der Energie und Gesundheit.

Wenn ich hier Liebe mit Sauerstoff und Nahrung gleichsetze, so ist das mehr als nur dichterische Freiheit. Ich beziehe mich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft: Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass die An- oder Abwesenheit von Liebe die biochemischen Stoffe in unserem Körper auf grundlegende Weise verändern kann. Und dadurch wiederum verändert sich die Manifestation Ihrer DNA in Ihren Körperzellen. Die Liebe, die Sie heute erfahren oder nicht erfahren, verändert buchstäblich Schlüsselaspekte Ihrer Zellarchitektur, die Ihre körperliche Gesundheit, Ihre Vitalität und Ihr Wohlbefinden beeinflussen. So wie saubere Luft und gesunde Ernährung die Voraussetzungen für Gesundheit und Wohlbefinden sind, genauso bestimmt das Maß an Liebe, das Ihnen zuteilwird, ob es Ihnen gut geht oder nicht.

Liebe ist anders, als Sie denken

Um zu verstehen, was die neue Wissenschaft der Liebe Ihnen zu bieten hat, müssen Sie sich vom Konzept der »Liebe«, wie Sie es kennen, ein Stück weit lösen. Vergessen Sie alles, was die Medien Ihnen vermitteln wollen. Liebe, so wie wir sie hier verstehen, hat nichts mit dem körperlichen Verlangen nach einer neuen Eroberung zu tun. Befreien Sie sich auch von der Auffassung von Liebe, die Sie in Ihrer Familie kennen gelernt haben. Hier erwartet man von Ihnen, dass Sie Ihre Verwandten bedingungslos lieben, egal, ob ihr Verhalten Sie stört oder Sie so wenig Kontakt zu ihnen haben, dass eine innige Bindung eigentlich gar nicht möglich ist. Ich fordere Sie sogar auf, sich von Ihrer Auffassung von Liebe als besonderes Band oder als Bestandteil einer Beziehung – zu Ihrem Ehepartner, Lebenspartner oder Seelenverwandten – zu lösen. Wenn Sie Liebe bislang unter dem Aspekt der gegenseitigen Verpflichtung betrachtet haben, die durch ein Versprechen oder Gelöbnis zementiert wird – sei es durch die Ehe oder ein anderes Loyalitätsritual –, dann machen Sie sich auch hier auf eine Kehrtwende gefasst.

Ich verlange von Ihnen, dass Sie sich von all Ihren vorgefassten Ansichten lösen und sich auf einer neuen Ebene auf dieses Gefühl einlassen. Die Macht der Liebe bietet Ihnen eine andere, aktualisierte Perspektive – die Perspektive Ihres Körpers.

Ihre heutige Definition des Begriffes Liebe ist vermutlich eine bunte Mischung aus verschiedenen kulturellen Botschaften und Ihren eigenen zutiefst persönlichen Erfahrungen mit Intimität. Doch unser Körper hat seine eigene – ganz andere – Auffassung. Und darum geht es in diesem Buch. Bei Liebe handelt es sich nicht um sexuelles Verlangen oder um verwandtschaftsbedingte Blutsbande. Auch nicht um ein besonderes Band oder eine Verpflichtung. Natürlich ist Liebe mit all diesen wichtigen Komponenten verbunden. Doch keines dieser Konzepte erfasst die wahre Bedeutung der Liebe so, wie Ihr Körper sie erlebt.

Die Vision der Liebe, die ich in diesem Buch vorstelle, erfordert eine radikale Abwendung von dem, was wir bislang geglaubt haben. Liebe ist keine Beziehungskategorie. Und sie ist auch nichts, das »da draußen« auf Sie wartet und Ihnen auf magische Weise zuteilwird oder Ihnen – Jahre später – wieder verlorengeht. Die Liebe als besonderes zwischenmenschliches Band zu definieren, ist üblich, führt aber in die Irre. Natürlich kann eine solche Bindung zwischen zwei Menschen Jahre überdauern, sogar ein ganzes Leben, wenn beide bereit sind, Zeit und Mühe zu investieren. Und eine enge Beziehung zu mindestens einem Mitmenschen ist unbestreitbar wesentlich für Ihre Gesundheit und Ihr Glück.2 Trotzdem sollte man dieses besondere Band und die damit oft einhergehende Verbindlichkeit nicht als Liebe per se auffassen, sondern vielmehr als Produkt der Liebe – als Ergebnis der zahllosen kleineren Augenblicke, in denen die Liebe die beiden Partner durchströmt. Liebe, die mit einer intimen Beziehung gleichgesetzt wird, ist oftmals verwirrend. Sie kann großartig sein, aber auch ungeheuer schmerzhaft. Manchmal hebt sie uns in die luftigen Höhen großartiger Zukunftsträume, zu anderen Zeiten wiederum drückt sie uns nieder, weil wir uns unserer eigenen Unzulänglichkeit schämen oder uns wegen unseres Verhaltens in der Vergangenheit schuldig fühlen.

Wer seine Sichtweise auf die Liebe derart beschränkt, sie also auf Beziehungen oder Bindungen reduziert, der riskiert, dass Liebe ein komplexes und verwirrendes Dickicht von Emotionen, Erwartungen und Unsicherheiten wird. Doch wenn man den Blick darauf richtet, wie unser Körper Liebe definiert, erscheint plötzlich ein deutlicher Pfad vor unseren Augen, der uns durch das Dickicht hindurch und zu einem besseren Leben führt.

Es gibt noch weitere Vorstellungen, von denen wir uns befreien müssen, auch von der besonders verbreiteten, dass Liebe exklusiv sei, dauerhaft und bedingungslos. Dieser zutiefst in uns verankerte Glaube entspricht im wahren Leben häufig eher einem Wunschdenken als der Realität. Er greift den Tagtraum der Menschen über die Liebe des Lebens auf, die man irgendwann trifft. Doch Liebe, so wie Ihr Körper sie definiert, ist nichts Exklusives, nichts, das für Ihren Partner reserviert ist, Ihren innersten Kreis, Ihre Familie oder Ihre sogenannten Angehörigen. Die Liebe reicht viel weiter, als man es uns normalerweise glauben macht. Und trotzdem ist der Zeitrahmen der Liebe deutlich kürzer, als wir üblicherweise annehmen. Sie werden sehen, dass Liebe nicht dauerhaft ist. Tatsächlich ist sie erheblich flüchtiger, als die meisten von uns zugeben oder anerkennen wollen. Andererseits ist Liebe aber stets erneuerbar. Und das vielleicht Problematischste: Liebe ist nicht bedingungslos. Sie entsteht nicht unabhängig von äußeren Bedingungen und bleibt nicht, egal was geschieht, bestehen. Im Gegenteil: Sie werden feststellen, dass die Liebe, nach der sich Ihr Körper sehnt, außerordentlich empfindlich auf äußere Einflüsse reagiert. Sie gehorcht bestimmten Vorbedingungen. Haben Sie diese Vorbedingungen aber einmal durchschaut, können Sie Liebe unzählige Male am Tag finden.

Es ist schwer, Liebe auf wissenschaftlicher Basis zu diskutieren, weil die Zuhörer und Leser meist eine vorgefasste und ausgeprägte Meinung zu diesem Thema haben. Viele dieser Ansichten spiegeln unser gemeinsames, kulturelles Erbe wider, wie die zahlreichen Lieder und Filme, die Liebe mit Verliebtheit oder sexuellem Verlangen gleichsetzen, die Geschichten, in denen man für immer glücklich zusammen lebt, oder die durchaus realistischen Eheschließungszeremonien, die die Liebe als exklusives Band und ausschließliche Verpflichtung feiern, jeden Tag aufs Neue zeigen. Andere Überzeugungen im Hinblick auf die Liebe wiederum sind zutiefst individuell und persönlich. Sie sind das Spiegelbild der eigenen Lebensgeschichte, mit zwischenmenschlichen Triumphen und Narben, mit Lektionen über Intimität, die wir gelernt oder noch nicht gelernt haben. Wenn wir diese vorgefasste Meinung nicht kritisch hinterfragen, kann sie eine ernsthafte intellektuelle Diskussion zum Thema Liebe zum Scheitern bringen. Derlei Vorurteile verhindern, dass wir die ganze Tragweite unserer neuen Erkenntnisse zu diesem Thema erfassen.

Ein neuer Denkansatz

Mein Ansatz verwebt verschiedene neue wissenschaftliche Strömungen miteinander, behält aber gleichzeitig den spirituellen und den praktischen Aspekt im Auge. Die Wurzeln gehen Jahrtausende zurück auf unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren. Gleichzeitig behält er die Zukunft im Blick. Er entwirft eine Vision von Ihrem bislang ungenutzten Potenzial zu Liebe und Wachstum und von Ihrer Fähigkeit, Zusammenhänge zu schaffen, die Liebe und Wachstum in anderen Menschen fördern, und das auch bei zukünftigen Generationen, Ihren Erben.

Die Macht der guten Gefühle

Die Basis für meine neue Sichtweise der Liebe ist die Wissenschaft der Emotionen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten erforsche ich bereits jene Gefühle, die gut für uns sind, jene angenehmen Zustände – wie Freude, Vergnügen, Dankbarkeit, Hoffnung und so weiter –, die gleichzeitig Ihren Geist und Ihren Körper erfüllen. Ob allein oder mit anderen, wir alle wechseln ständig zwischen den unterschiedlichen Gefühlszuständen hin und her.

Obwohl positive Emotionen oft als außerordentlich subtil und kurz erlebt werden, können sie eine ungeheure Kraft des Wachstums in unserem Leben entzünden. Zunächst sorgen sie dafür, dass wir uns öffnen. Einfacher formuliert: Durch positive Emotionen erweitert sich unser Blickfeld, und wir erkennen plötzlich das große Gesamtbild. Durch diese für einen Augenblick erweiterte und umfassendere Denkart werden wir flexibler, können uns besser auf andere einstellen, werden kreativer und klüger. Mit der Zeit werden wir sogar einfallsreicher. Das liegt daran, dass diese bewusstseinserweiternden Augenblicke positiver Gefühle sich Stück für Stück summieren und unser Leben zum Besseren wandeln, wodurch wir kompetenter, widerstandsfähiger, sozial integrierter und gesünder werden. Die Wissenschaft dokumentiert, dass positive Emotionen eine Aufwärtsspirale in unserem Leben in Gang setzen, eine sich selbst erhaltende Trajektorie oder Aufwärtskurve des Wachstums, die uns emporhebt, um eine bessere Version Ihrer selbst zu werden.

Diese beiden Kernwahrheiten über positive Emotionen – dass sie uns öffnen und zum Besseren verwandeln – bilden die beiden Eckpfeiler meiner sogenannten »Broaden-and-Build«-Theorie positiver Gefühle, die in zahlreichen Studien bewiesen wurde und die ich in meinem ersten Buch Die Macht der guten Gefühle3 ausführlich behandle.4 Darin schildere ich, wie wir unsere positiven Emotionen im Alltag wirkungsvoll einsetzen können, um eine negative Grundhaltung, die Negativität, zu überwinden und erfolgreicher, gesünder und glücklicher zu werden.

Das Gegenstück zur Negativität nenne ich Positivität, also eine positive Grundhaltung, die die volle Bandbreite der positiven Emotionen und vieles mehr abdeckt. Sie umfasst auch die psychologischen Befindlichkeiten, durch die Ihre positiven Gefühle erst ausgelöst werden, und die Vielzahl der damit einhergehenden Auswirkungen – eine langsamere Herzfrequenz, die Öffnung Ihres Geistes, eine entspannte und einladende Ausstrahlung. Außerdem sind mit diesem Begriff der Positivität auch die Früchte der positiven Emotionen gemeint, die erst in der nächsten Saison heranreifen – die zunehmende Auswirkung auf Ihre Beziehungen, Ihren Charakter, Ihre Gesundheit und Ihr spirituelles Wachstum.

Natürlich können Sie jetzt den Einwand erheben, dass ich diesen Begriff überfrachte. Doch ich halte ein allumfassendes Wort wie Positivität durchaus für eine wertvolle Sache. Es steht für das volle, dynamische System, innerhalb dessen Liebe und andere positive Emotionen wirksam werden. Positive Emotionen sind winzige Motoren, die dieses komplizierte, ständig brodelnde System der Positivität in Bewegung bringen und am Laufen halten. Treten wir einfach einmal von dem sprichwörtlichen Mikroskop zurück, um das größere System zu betrachten, in das die positiven Emotionen eingebettet sind: Dann erkennen wir, dass letztere uns mit dem Stoff des Lebens vernetzen, mit jenem sozialen Gewebe, das uns mit anderen verbindet. Wir erkennen, inwiefern diese Emotionen es uns ermöglichen, zu wachsen und uns von Rückschlägen wieder zu erholen. Um dieses breite System fassbar zu machen, brauchte ich einen Begriff: die Positivität.

Die Dynamik der Liebe

Durch das Grundgerüst der Positivität lässt sich auch der Begriff der Liebe genauer definieren, wie wir im zweiten Kapitel sehen werden. Liebe folgt – wie alle anderen positiven Emotionen auch – der Logik meiner Broaden-and-Build-Theorie. Jene schönen und doch so flüchtigen Augenblicke der Verbundenheit, die Sie mit anderen erleben, erweitern Ihre Achtsamkeit auf eine Art und Weise, die auf lange Sicht dauerhafte und wohltuende Veränderungen in Ihrem Leben bewirken.

Die Liebe, nach der Sie sich sehnen, liegt in der flüchtigen Erfahrung von Verbundenheit.5 Andere Konzepte, die in unserem gemeinsamen, kulturell bedingten Vokabular mit dem Wort Liebe einhergehen – wie alles verschlingende Sehnsucht, ausschließliche Bande, Verpflichtung zur Loyalität, bedingungsloses Vertrauen –, betrachtet man besser als Schlüsselbegriffe innerhalb des größeren Positivitätssystems, das die Liebe umgibt. Tatsächlich wird jedes dieser Gefühle stärker, je mehr Augenblicke der Liebe Sie erleben. Wenn Sie eine wirkliche Verbindung mit einem anderen Menschen haben, dann wächst auch das Vertrauen in diese Person; Ihre Beziehung und die gegenseitige Loyalität vertiefen sich, und Sie wollen mehr Zeit miteinander verbringen.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn die Kausalkette funktioniert auch in umgekehrter Richtung: Jeder dieser Faktoren in dem umfassenden Positivitätssystem – die Sehnsucht, die Bande, die Verpflichtungen und das Vertrauen – löst in der Folge weitere Augenblicke liebevoller Verbundenheit aus. Einfach formuliert: Es ist viel leichter, eine Beziehung zu einem anderen Menschen zu pflegen, wenn Ihre Sehnsucht, das Band, die Verpflichtung und das Vertrauen vorhanden und stark ausgeprägt sind. Die genannten Faktoren sind sowohl Basis als auch Konsequenz der liebevollen Verbundenheit. Diese Dynamik unterstützt das komplexe und dynamische Positivitätssystem, durch das Ihre häufig unerklärlichen Bande zu Familienmitgliedern, Freunden und einer Gemeinschaft erst geschmiedet werden. Die Liebe gibt dem ganzen System Energie und setzt es in Bewegung.

Dabei stiftet das Wort Liebe häufig Verwirrung, denn es wird unterschiedlichen Teilen des Systems zugeschrieben. Wenn Sie also jemandem sagen, dass Sie ihn lieben, berufen Sie sich auf unterschiedlichste, wenn auch eng miteinander verwandte Konzepte. So wollen Sie vielleicht sagen, dass Sie sich nach gemeinsamer Zeit sehnen. Alternativ könnten Sie auch meinen, dass Sie der betreffenden Person vertrauen und ihr gegenüber ebenfalls loyal sein wollen. Vielleicht wollen Sie mit Ihrem Liebesgeständnis dieser bestimmten Beziehung eine besondere Bedeutung in Ihrem Leben beimessen oder den Betreffenden besonders an sich binden. Und meist soll die Erklärung »Ich liebe dich« sogar all diese Facetten vermitteln. Vom praktischen Standpunkt aus gesehen ist daran sicher nichts auszusetzen. Ich würde Sie nicht bitten, Ihre Sichtweise von Liebe zu erneuern, wenn ich nicht davon ausgehen würde, dass sich dieser Schritt lohnt. Wenn wir in Kapitel 2 genauer auf die Liebe eingehen, werden Sie verstehen, was Liebe für Ihren Körper bedeutet. An dieser Stelle jedoch möge folgender Hinweis genügen: Sie selbst definieren Liebe auf vielfältige Weise, aber Ihr Körper kennt nur eine einzige: Liebe ist für ihn der Mikromoment der Wärme und Verbundenheit, den wir mit einem anderen lebendigen Menschen teilen.

Ich will jedoch noch einmal betonen, dass Liebe nicht einfach nur eines der zahlreichen positiven Gefühle ist, die uns von Zeit zu Zeit überkommen. Sie ist größer als die Freude, als das Vergnügen, die Dankbarkeit oder die Hoffnung. Sie hat einen ganz besonderen Stellenwert. Ich nenne sie unser »höchstes Gefühl«. Zum einen kann jede andere positive Emotion – Freude, Vergnügen, Dankbarkeit, Hoffnung – in einen Augenblick der Liebe verwandelt werden, wenn wir sie in inniger Verbundenheit zu einem anderen Menschen erleben. Doch die Liebe nur als positive Emotion, die wir mit jemand anderem teilen, zu definieren, geht nicht weit genug.6 Während wir von sämtlichen positiven Emotionen profitieren – jede einzelne erweitert den Horizont und unsere inneren Potenziale und Fähigkeiten –, reichen die Vorteile, die wir aus der Liebe ziehen, viel tiefer, vielleicht sogar exponentiell tiefer. Die Liebe ist das höchste Gefühl, durch das wir uns vollkommen lebendig fühlen – vielleicht die wichtigste emotionale Erfahrung, die wir machen können.

Die Biologie der Liebe

Mein Ansatz kombiniert die Wissenschaft der Emotionen mit der Wissenschaft der Beziehungen.7 Ich habe mir beispielsweise den Standpunkt der Beziehungswissenschaft zu eigen gemacht, dass die Liebe uns aus unserem Kokon der Selbstbefangenheit befreit, damit wir uns auf andere einstimmen können. Liebe gestattet es uns, andere Menschen wirklich wahrzunehmen, ganzheitlich, mit Bedacht, Fürsorge und Mitgefühl. Durch jeden Augenblick liebevoller Verbundenheit entwickeln wir weiteres aufrichtiges Interesse am Wohlergehen des anderen, und zwar einfach um seinet- oder ihretwillen.8 Und dieses Gefühl beruht auf Gegenseitigkeit. Wir gelangen zu der Erkenntnis, dass diese andere Person in diesem liebenden Moment auch aufrichtig an unserem Wohlbefinden interessiert ist, dass wir ihm oder ihr wirklich am Herzen liegen. Beziehungswissenschaftler halten dieses Gefühl gegenseitiger Fürsorge für ein beständiges Kennzeichen intimer Beziehungen. Ich jedoch denke, dass dies ein vorübergehender Zustand ist, der im Einklang mit den jeweiligen Zusammenhängen und Gefühlen kommt und geht.

Dass ich irgendwann begann, die Liebe in einem ganz neuen Licht zu betrachten, ist eigentlich nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Vor etwa acht Jahren arbeitete ich als Wissenschaftlerin in der Emotionsforschung und überprüfte Hypothesen, die ich im Rahmen meiner Broaden-and-Build-Theorie aufgestellt hatte. Mein Hauptziel bestand damals darin, eine Möglichkeit zu finden, die langfristige Wirkung kumulierter positiver Emotionen zu erforschen. Trugen sie tatsächlich zu einer Erweiterung der eigenen Ressourcen und einer Verbesserung der Lebensqualität bei, wie ich es vermutete? Um definitive Behauptungen über Ursache und Wirkung zu beweisen, bedurfte es eines Experiments inklusive Randomisierung und präzisen Messmethoden. Ich musste eine Gruppe von Menschen, die ihre tägliche Dosis an positiven Emotionen erhöhte, mit einer anderen Gruppe vergleichen, die dies nicht tat. Die verzwickte Frage lautete lediglich: Wie? Wie können Menschen verlässlich und langfristig ihre tägliche Dosis an positiven Emotionen steigern? Die Methoden, die ich und andere Wissenschaftler im Labor bisher angewandt hatten, um die kurzfristige Wirkung positiver Emotionen zu testen – Musik, Videoclips, Comics oder unerwartete Geschenke in Form von Süßigkeiten –, würden hier nicht ausreichen, weil sie durch die Wiederholung an Belohnungscharakter verlieren; wir Menschen sind in dieser Hinsicht sehr anpassungsfähig. Selbst der mächtigste emotionale Stimulus verblasst bei wiederholter Anwendung wie ein altes Foto. Nach ein paar gescheiterten Versuchen, eine durchführbare Studie zu entwickeln, nahm ich an einem ein Jahr lang dauernden, interdisziplinären Seminar unserer Fakultät teil, in dem es um integrative Medizin ging.9 Im Rahmen dieses Seminars lernte ich zum ersten Mal die altehrwürdige Geistesübung kennen, die als Metta (Pali) oder Maîtri (Sanskrit) bezeichnet und zumeist mit Liebende Güte oder auch nur Güte übersetzt wird. Die buddhistische Lehre betrachtet die Liebende Güte als eine der vier edelsten Geisteshaltungen. Da ging mir ein Licht auf. Diese uralte Praxis, die über Jahrtausende hinweg verfeinert wurde, konnte mir dabei helfen, meine Theorie zu überprüfen. Vielleicht waren Liebende-Güte-Meditationen die Methode, nach der ich gesucht hatte.

Im Laufe des darauffolgenden Jahres entwickelten meine Studenten und ich ein präzises und randomisiertes Experiment. Wir wollten herausfinden, welche Wirkung es hatte, wenn Probanden lernten, positive Emotionen selbst hervorzurufen – und zwar durch die Liebende-Güte-Meditation. Meine Testpiloten waren durchschnittlich gesunde, berufstätige Erwachsene ohne besondere spirituelle Neigung. Die Ergebnisse waren mehr als eindeutig: Wenn Menschen, denen Meditation bislang vollkommen fremd war, lernten, Ihren Geist zu beruhigen und Ihre Fähigkeit zur Liebe und Güte zu erweitern, verwandelten sie sich grundlegend. Sie erlebten mehr Liebe, mehr Bindung, mehr Heiterkeit, mehr Freude, mehr Vergnügen – mehr von jeder einzelnen positiven Emotion, die wir maßen. Und obwohl sie üblicherweise allein meditierten, erhielten sie ihren größten Schub in der Interaktion mit anderen, also sozusagen im wirklichen Leben. Ihr Leben bewegte sich nun in einer Aufwärtsspirale. Die Herzensgüte, die sie während der Meditation zu entfachen lernten, steigerte ihre Verbundenheit mit anderen.10 Spätere Experimente bestätigten, dass es dieses Gefühl der Verbundenheit war, das ihren Körper am meisten positiv beeinflusste, das sie gesünder machte.11 Außerdem entdeckten wir, dass andere Methoden, um Verbundenheit zu fördern – solche, für die das Erlernen der Meditationspraxis nicht erforderlich waren –, Erfahrungen von Liebe ebenfalls steigern konnten und damit zu einer verbesserten Gesundheit führten. Diese Strategien zur Veränderung werde ich Ihnen im zweiten Teil dieses Buches vorstellen.

Derlei Entdeckungen brachten mich dazu, das Konzept der Liebe nochmals zu überdenken. Die Ergebnisse unserer Tests wiesen darauf hin, dass wir eine vollkommen neue Lebensdynamik entwickeln, wenn wir – durch Meditation oder andere Techniken – lernen, eine liebevolle Verbundenheit zu anderen zu schaffen. Plötzlich gewann das unscharfe Bild, das für die Diskussion um das Thema Liebe typisch ist, an Kontur. Die Geheimnisse, die seit langem schon ein Quell des Staunens und des Hochgefühls ebenso wie der Verwirrung und der Missverständnisse sind, wichen nun praktischen, auf wissenschaftlichen Beweisen basierenden Rezepten, wie wir ein gutes Leben führen können. Wir wissen nun, dass der regelmäßige Genuss von Liebe zu innerem Wachstum und Veränderung beiträgt und uns mit jedem Tag gesünder und resilienter macht.12 Und wir fangen an, genau zu verstehen, wie das funktioniert, indem wir die komplexe Kette biologischer Reaktionen in unserem Körper nachvollziehen, die unser Verhalten verändert und sich entsprechend auf unser soziales Umfeld auswirkt. Ich werde aufzeigen, inwiefern die Fähigkeit der Liebe, zu nähren, zu heilen und Gutes zu tun, eng mit unserer Biologie und mit unserer Art und Weise, Beziehungen zu unseren Mitmenschen aufzubauen, verwoben ist. Die schiere Komplexität der Biologie der Liebe ist Grund genug zum Staunen.

Indem Sie Ihre Sichtweise von Liebe erweitern, lernen Sie sie nur umso mehr zu schätzen. Sie werden erkennen, dass die Liebe eine höhere Priorität in Ihrem Leben einnehmen sollte. Meine Doktorandin Lahnna Catalino und ich untersuchten die Wirkung, die eine Priorisierung von Positivität auf die Probanden hat. Damit meinen wir die Bedeutung, die Sie Ihren eigenen positiven emotionalen Erfahrungen beimessen. Vertrauen Sie ihnen? Verlassen Sie sich darauf? Nutzen Sie sie beispielsweise als Orientierungshilfe, um Entscheidungen zu treffen? Oder schieben Sie gute Gefühle als trivial, albern oder belanglos beiseite? Wenn Sie lernen, Liebe und anderen positiven Emotionen Priorität einzuräumen, dann profitieren Sie unseren Erkenntnissen zufolge noch stärker davon. Sie befinden sich in einer Aufwärtsspirale, die Sie immer höher und weiter emporträgt.13 Mithilfe der Anleitung, die ich im zweiten Teil dieses Buches zusammengestellt habe, können Sie durchstarten.

Und deshalb habe ich dieses Buch geschrieben. Wenn Sie erkennen, wie Liebe funktioniert, kann dies einen deutlichen Unterschied in Ihrem Leben bewirken. Es kann Ihnen helfen, Augenblicken gemeinsamer Positivität höchste Priorität einzuräumen und Ihren Glauben an die Menschheit zu steigern oder ihn gar zurückzugewinnen. Durch eine bessere Kenntnis der inneren Mechanismen der Liebe, die dieses Buch Ihnen vermittelt, können Sie diesen transzendentalen Zustand mit all der ihm innewohnenden Güte besser einschätzen. Die Wissenschaft liefert Ihnen auf diese Weise eine farbenfrohe und mehrdimensionale Karte für eine erfülltere Lebensreise – ohne die Umwege falscher Hoffnungen, ohne falsche Propheten und falsche Behauptungen. Sie zeigt Ihnen den Weg hin zum Zentrum der Wahrheit.

Die weiteren Aussichten

Was ist Liebe denn nun genau? Was verbirgt sich unter ihrer Oberfläche? Wodurch entsteht sie? Wie kann man mehr Gelegenheiten für die Liebe schaffen? Die neue Wissenschaft der Liebe befasst sich mit all diesen Fragen und sorgt für eine neue Sichtweise. In Kapitel 2 beschreibe ich, wie Ihr Körper Liebe definiert und welche Vorbedingungen gegeben sein müssen, damit Liebe wachsen kann. In Kapitel 3 befasse ich mich mit den biologischen Gegebenheiten, die mit der Liebe einhergehen, damit Sie erkennen, welchen Einfluss dieses Gefühl auf Ihre Gesundheit hat. In Kapitel 4 gehe ich auf das weite Spektrum der Vorteile ein, die die Liebe für Sie hat.

In Teil II dieses Buches geht es darum, Veränderungen zu bewirken. Vielleicht bewundern Sie Menschen, die die Fähigkeit besitzen, echte, von Herzen kommende Verbindungen einzugehen. Sie kommen Ihnen ungeheuer einfühlsam und flexibel, resilient und großzügig vor. Früher gingen Sie vielleicht davon aus, dass Ihnen diese Gnade als »Erwachsener« automatisch zuteilwerden würde. Doch Alter ist keine Garantie für Reife oder Weisheit.14 In den Kapiteln 5 bis 9 möchte ich Ihnen daher zeigen, wie Sie Liebe häufiger und effektiver wecken können, die Liebe zu sich selbst und die Liebe zu anderen, durch dick und dünn, in Krankheit und Gesundheit. Und schließlich halten Sie die Gewissheit in den Händen, dass Liebe nicht unbedingt ein unberechenbarer und trügerischer Zustand sein muss. Mit ein bisschen Übung werden Sie herausfinden, dass Sie das Gefühl der Liebe jederzeit empfinden können, wenn Sie es wollen. Liebe wird zu einer erneuerbaren Quelle, aus der Sie schöpfen können, um Ihr eigenes Wohlbefinden und das Ihrer Mitmenschen zu fördern.

Liebe ist unser höchstes Gefühl. Ihre An- oder Abwesenheit in unserem Leben beeinflusst alles, was wir fühlen, denken, tun und werden. Dieser sich ständig wiederholende Zustand verbindet Ihren Körper und Ihren Geist mit dem sozialen Gewebe unserer Umgebung. Durch wahre Liebe, die das Herz, den Geist und die Seele erweitert, erkennen Sie die größere Komplexität des Lebens und sind in der Lage, den zwischenmenschlichen Verbindungen, die Ihnen wichtig sind, Leben einzuhauchen. Dieser Weg führt Sie zu mehr Gesundheit, Glück und Weisheit.

KAPITEL 2Was Liebe ist

Liebe ist kurz, aber immer wiederkehrend.15

François de La Rochefoucauld

Sie verlassen das Lebensmittelgeschäft und lachen mit der Kassiererin darüber, dass die ungewöhnlich knubbelige Tomate in Ihrem Einkaufskorb wie ein Gesicht aussieht, das zu Ihnen emporblickt.

Auf dem Weg zum Briefkasten treffen Sie zufällig auf einen Nachbarn, den Sie schon eine Weile nicht gesehen haben, und nehmen sich kurz Zeit, um ein Schwätzchen mit ihm zu halten. Innerhalb weniger Minuten ertappen Sie sich dabei, wie Sie miteinander plaudern und sich über Ihre Hobbys austauschen.

Am Arbeitsplatz feiern Sie ausgelassen einen geschäftlichen Erfolg mit Ihren Kollegen.

Während Ihrer morgendlichen Joggingtour lächeln und nicken Sie anderen Läufern zu und wünschen Ihnen im Stillen einen guten Tag.

Nach einer längeren Reise nehmen Sie einen Angehörigen lange und herzlich in den Arm.

Liebe ist allgegenwärtig

Zuallererst einmal ist Liebe ein Gefühl, ein vorübergehender Zustand, der Körper und Geist gleichermaßen erfüllt. Sie ist wie eine Wetterlage, eine subtile Kraft, die ständig in Bewegung ist. Wie bei allen positiven Emotionen ist das innere Gefühl, das die Liebe in Ihnen hervorruft, außerordentlich angenehm – es fühlt sich unglaublich gut an, erfrischend wie ein großes, kühles Glas Wasser an einem heißen Tag. Doch darüber hinaus vermag es der Mikromoment der Liebe – wie andere positive Emotionen auch –, Ihren Geist buchstäblich zu verwandeln. Er erweitert Ihr Bewusstsein für Ihre Umgebung und für sich selbst. Die Grenzen zwischen Ihnen und anderen sind plötzlich fließend und durchlässiger. Von Liebe erfüllt sehen Sie weniger Unterschiede zwischen sich und Ihren Mitmenschen. Sie kultivieren Ihre Fähigkeit, andere wahrzunehmen – sie wirklich zu sehen, mit ganzem Herzen. Sie fühlen sich plötzlich eins und verbunden mit Ihrer Umgebung. Liebe verhilft Ihnen zu gelebter Transzendenz, zu dem Empfinden, Teil von etwas Größerem zu sein als Sie selbst.

Wie jedes andere Gefühl – ob Wut, Freude oder Trauer – lässt auch die Liebe bald wieder nach. Egal wie wunderbar sie sind: Die Augenblicke der Liebe berühren Ihre Seele nur für kurze Zeit. Es gibt kein Gefühl, das von Dauer ist, auch nicht, wenn es gut für uns ist. Natürlich können Sie lernen, Ihre flüchtigen Mikromomente der Liebe zu überreden, etwas länger bei Ihnen zu verharren: Sie können sie durch das Gespräch mit anderen noch einmal zum Leben erwecken.16 Dennoch dauern sie lediglich Sekunden oder Minuten, nicht Monate oder Jahre. Liebe ist die kurzlebige und kostbare Offenheit Ihres Herzens, kein felsenfester Ring aus kostbarem Metall an Ihrem Finger.

»Wie geht’s?« bedeutet »Ich liebe dich.«

Liebe dieser Art ist alles andere als exklusiv. Sie ist nicht nur das einzigartige Gefühl, dass Sie für Ihren Partner reservieren. Sie geht sogar über die warmen Gefühle hinaus, die Sie Ihren Kindern, Eltern oder engen Freunden entgegenbringen. Die Liebe kann so viel weiter reichen, als wir es normalerweise zulassen. Tatsächlich kann niemand – ob jung oder alt, leidenschaftlich oder reserviert, alleinstehend oder verheiratet – davon ausgeschlossen werden. Auch jenes stillschweigende Energieband zwischen Ihnen und Ihrem zufälligen Nachbarn im Flugzeug, dem Sie offen und aufmerksam zugehört haben, den Sie einen Augenblick lang wirklich wahrgenommen haben, mit aufrichtigem Respekt und aufrichtiger Wertschätzung, ist Liebe. Ich erinnere mich an den Liedtext von »What a wonderful world«, den Louis Armstrong mit seiner rauen Stimme in den späten Sechzigerjahren so berühmt gemacht hat: »I see friends shaking hands, sayin’: ›How do you do?‹ They’re really sayin’: ›I love you.‹«

Vielleicht empfinden wir es intuitiv anders, aber Liebe ist erheblich allgegenwärtiger, als Sie je gedacht hätten, und zwar aufgrund der einfachen Tatsache, dass Liebe Verbundenheit bedeutet. Sie ist dieses ergreifende Gefühl, wenn Ihr Herz sich weitet, weil Sie zum ersten Mal in die Augen eines Neugeborenen blicken oder einen guten Freund zum Abschied in den Arm nehmen. Liebe ist auch die Sympathie und das Gefühl eines gemeinsamen Interesses, das Sie unerwartet mit einer Gruppe Fremder teilen, die sich versammelt haben, um ein Nest der Meeresschildkröten zu bewundern oder gemeinsam bei einem Fußballspiel zu jubeln.17 Genau das ist die aktualisierte Version von Liebe, die ich Ihnen in diesem Buch vorstellen will: Liebe erblüht buchstäblich jedes Mal, wenn zwei oder mehr Menschen – sogar Fremde – ein positives Gefühl, egal ob stark oder schwach, miteinander teilen und sich dadurch einander verbunden fühlen.

Kurz gesagt ist Liebe das vorübergehende Aufwallen von drei eng miteinander verwobenen Ereignissen:

Sie teilen eine oder mehr positive Emotionen mit einem anderen Menschen;

auf biologischer und Verhaltensebene existiert eine Synchronie zwischen Ihnen beiden;

Sie beide werden von gegenseitiger Fürsorge motiviert.

Mein Kürzel für dieses Trio lautet Positivitätsresonanz. In solchen Augenblicken zwischenmenschlicher Verbundenheit – die durch die immer lauter werdende Symphonie aus gemeinsam erlebten positiven Gefühlen, biologischer und verhaltensmäßiger Synchronie und wechselseitiger Fürsorge charakterisiert werden – hallt die lebensspendende Positivität zwischen den Menschen wider. Diese Resonanz positiver Energie geht hin und her, ist selbsterhaltend und kann sogar stärker werden, bis die vorübergehende Verbundenheit nachlässt – was natürlich unvermeidlich ist, denn so funktionieren Gefühle nun einmal.

Die Spiegelmetapher

Ich habe eine sichtbare Metapher für diese Positivitätsresonanz entwickelt, nämlich die des Spiegels. Ein Augenblick der Positivität erfordert per definitionem Spiegelungen auf drei verschiedenen Ebenen:

Sie und Ihr Gegenüber spiegeln den (positiven) emotionalen Zustand des jeweils anderen;

Sie spiegeln die Gesten des anderen ebenso wie seine Biochemie;

Sie spiegeln Ihren wechselseitigen Impuls, füreinander zu sorgen.

In einem Augenblick der Positivitätsresonanz verwandeln Sie sich also gewissermaßen in ein Spiegelbild und eine Erweiterung des anderen. Wenn Sie in einen konventionellen Spiegel schauen, sehen Sie nur in Ihre eigenen Augen. Stellen Sie sich nun vor, Sie stünden vor einem Spiegel und sähen diese andere Person. Vor diesem Augenblick der Positivitätsresonanz waren Sie beide voneinander getrennt und kümmerten sich um Ihre eigenen Belange – Sie hatten Ihre eigenen Gefühle, machten Ihre eigenen Bewegungen und folgten Ihren eigenen Neigungen. Aber in diesem speziellen Augenblick der Verbundenheit richten sich Ihre jeweiligen Gefühle, Handlungen und Impulse aneinander aus und synchronisieren sich mit denen des anderen. Einen Augenblick lang wachsen Sie buchstäblich über sich hinaus. Das ist kein normaler Augenblick. Im Rahmen dieser Spiegelung und Erweiterung Ihres eigenen Zustandes sehen Sie plötzlich viel mehr. Eine mächtige, hin und her schwingende Vereinigung der Energien entsteht zwischen Ihnen, wie elektrische Spannung.

Andere positive Emotionen hallen nicht auf diese Weise wider, sie werden nicht zu Ihnen zurückgespiegelt. Obwohl die Wärme jeglicher positiven Emotion Ihren Horizont erweitert und Ihr inneres Wachstum fördert, sodass Sie widerstandsfähiger werden und ungeahnte Energie erhalten, kann nur die Liebe eine solch tiefe zwischenmenschliche Resonanz hervorbringen. Innerhalb der Mikromomente der Liebe weckt Ihre eigene Wärme und Offenheit die Wärme und Offenheit des anderen – und umgekehrt. Die Biochemie beider Beteiligten führt ebenso zu einer Steigerung der Positivität wie die vermehrte Aufmerksamkeit, die Sie sich gegenseitig schenken – das Lächeln, das Entgegenkommen, der verbale und nonverbale Ausdruck von Sorge und Fürsorge füreinander. Diese Augenblicke sind wirkmächtig und energiespendend. Und davon lebt Ihr Körper. Ihre Fähigkeit, andere zu verstehen und sich in sie hineinzuversetzen, hängt in hohem Maße von einer stetigen Zufuhr von Positivitätsresonanz ab. Das Gleiche gilt für Ihr Potenzial an Weisheit, Spiritualität und Gesundheit.

Wenn Sie in einem westlich geprägten Kulturkreis aufgewachsen sind, dann sind Emotionen für Sie etwas eher Privates, das sich in den persönlichen Grenzen, definiert von Geist und Körper des Individuums, abspielt.18 Unser Sprachgebrauch – insbesondere im Hinblick auf die Possessivpronomen – macht diese Sichtweise deutlich: Wir sprechen von »meiner Angst«, »seinem Zorn« oder »ihrem Interesse«. Dieser Logik folgend würde die Liebe nur der Person gehören, die sie empfindet. Definieren wir die Liebe aber als Positivitätsresonanz, dann stellen wir diese Sichtweise infrage. Die Liebe entfaltet sich zwischen Menschen und hallt zwischen ihnen wider. Sie zeigt sich – wenn auch nur vorübergehend – in zwischenmenschlichen Transaktionen und ist mithin sämtlichen Beteiligten und dem metaphorischen Netz, das sie miteinander verbindet, zuzuordnen. Die Biologie der Liebe geht damit einher, wie Sie im dritten Kapitel sehen werden. Die Liebe verändert die unsichtbaren Aktivitäten in Ihrem Körper und Ihrem Gehirn auf eine Weise, die gleichzeitig parallel Veränderungen im Körper und im Gehirn Ihres Gegenübers bewirkt. Mehr als andere positiven Emotionen gehört die Liebe also nicht zu einem einzigen Menschen, sondern zu Paaren oder Gruppen.19 Sie wohnt in der Verbindung. Sie erstreckt sich über die persönlichen Interessen hinaus und charakterisiert die Schwingungen, die zwischen den Menschen pulsieren. Sie kann ganze soziale Netzwerke mit neuer Kraft erfüllen oder eine Gruppe von Menschen dazu bewegen, aufzustehen und zu tanzen.20

Liebe braucht Sicherheit

Positivitätsresonanz entsteht nicht zufällig. Sie ist auf bestimmte Umstände zurückzuführen, hat ihren Ursprung in bestimmten Denk- und Handlungsmustern. Die fundamentalen Voraussetzungen der Liebe sind Verbundenheit und Sicherheit. Wenn diese Vorbedingungen nicht gegeben sind, kann keine Liebe entstehen. Widmen wir uns zunächst der Sicherheit: Ihr Gehirn ist evolutionsbedingt darauf trainiert, auf Bedrohungen außerordentlich sensibel zu reagieren. Ihr angeborenes Erkennungssystem dafür operiert außerhalb ihrer bewussten Wahrnehmung.21 So können Sie in eine intensive Unterhaltung vertieft sein oder einen herrlich entspannenden Lauf in den Wäldern genießen – und dennoch reißt Ihr Gehirn Sie sofort aus Ihren Gedanken, wenn es eine Gefahr erkennt, beim Joggen also beispielsweise plötzlich eine Schlange ihren Weg kreuzt. Wahre Bedrohungen sind für uns heutzutage selten geworden, und die meisten von uns sind sich dessen auch bewusst. Doch nicht jeder kann der Welt auf diese Weise vertrauen. Menschen, die an Angstzuständen, Depressionen, Einsamkeit oder niedrigem Selbstwertgefühl leiden, fühlen sich viel häufiger bedroht, als es gerechtfertigt wäre. Bedauerlicherweise vereitelt diese Überempfindlichkeit Positivität und Positivitätsresonanz. Das Gefühl der Unsicherheit ist mithin das erste Hindernis auf dem Weg zur Liebe.

Liebe braucht wahre Verbundenheit

Die zweite Vorbedingung für die Liebe ist Verbundenheit, und zwar wirkliche sinnliche und diesseitige Verbundenheit mit einem anderen Lebewesen. Sie versuchen zweifellos, »in Verbindung zu bleiben«, wenn körperliche Distanz Sie und Ihre Angehörigen trennt. Sie nutzen das Telefon, Briefe, E-Mails und in zunehmendem Maße Facebook, und das ist auch wichtig. Doch Ihr Körper, der jahrtausendelang durch die natürliche Selektion geformt wurde, ist nicht für die Abstraktionen von Fernbeziehungen, für die XOXs und LOLs geschaffen. Ihr Körper hungert nach mehr. Er hungert nach Augenblicken des Einsseins.

Dieses Gefühl des Einsseins tritt auf, wenn zwei oder mehr Menschen im Gleichklang miteinander handeln und sich buchstäblich wie eine Person verhalten, sich identisch zu dem gleichen verborgenen Rhythmus bewegen. Sie können einen solchen Gleichklang mit einem Fremden ebenso empfinden wie mit einem alten Freund, den Sie schon Ihr Leben lang kennen. Wenn die Positivitätsresonanz zwischen Ihnen und einem anderen schwingt, dann beginnen Sie beide, die Bewegungen und Gesten des jeweils anderen zu spiegeln und sogar die Sätze Ihres Gegenübers zu beenden. Sie fühlen sich vereint, verbunden, aus einem Guss. Wenn Sie mit jemandem dergestalt harmonisieren, sind Sie beide – auch wenn Sie sich gerade erst getroffen haben – biologisch gesehen buchstäblich auf der gleichen Wellenlänge. Eine Synchronie entfaltet sich aber auch innerlich, denn Ihre physiologischen Reaktionen – sowohl im Körper als auch im Kopf – laufen ebenfalls spiegelbildlich ab.

Ein Blick sagt mehr als tausend Worte

Wahre Verbundenheit ist also eine fundamentale Vorbedingung für Liebe, und das ist einer der wichtigsten Gründe, warum Liebe nicht bedingungslos ist, sondern im Gegenteil eine bestimmte Haltung erfordert. Wahre Verbundenheit ist nicht abstrakt und mittelbar, sondern physisch und entfaltet sich in Echtzeit. Sie erfordert eine sinnliche und zeitliche Anwesenheit der beteiligten Körper. Die Wissenschaft ist sich darüber einig, dass sinnliche Verbundenheit hauptsächlich durch Augenkontakt hergestellt werden kann.22 Andere Formen sinnlichen Kontakts – durch Berührungen, die Stimme oder gespiegelte Körperhaltung und Gesten – verbinden die Menschen zwar ebenfalls miteinander und können den Augenkontakt zeitweise ersetzen, doch am wirksamsten lässt sich ein Gefühl der Verbundenheit und des Einsseins mutmaßlich dann herstellen, wenn man sich in die Augen sehen kann.23

Ein Lächeln vermag mehr als jeder andere emotionale Ausdruck die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu ziehen.24Das ist auch gut so, denn ein Lächeln kann unzählige verschiedene Bedeutungen haben. Warum lächelt Ihre neue Kollegin Sie beispielsweise gerade an? Meint sie es ehrlich oder herablassend? Ist sie Ihnen freundlich gesinnt oder von sich eingenommen? Fürsorglich oder nur höflich? Paul Ekman, der weltweit führende Wissenschaftler im Hinblick auf die Erforschung von Gesichtsausdrücken, schätzt, dass Menschen regelmäßig fünfzig verschiedene Arten des Lächelns unterscheiden.25 Vor diesem Hintergrund versteht man die Ambiguität eines jeglichen Lächelns eher. Außerdem können die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten des Lächelns sehr subtil sein: Ist ein Lächeln freundlich, genussvoll, überheblich oder gar gespielt? Während Wissenschaftler wie Ekman bewusste und formale Kriterien anlegen, um diese subtilen Unterschiede herauszuarbeiten – häufig mithilfe von Zeitlupenaufnahmen –, haben Sie selbst ohne spezielle Ausbildung nur Ihr Bauchgefühl, mit dessen Hilfe Sie herausfinden können, was das Lächeln Ihrer Kollegin nun wirklich bedeutet. Derlei Bauchgefühle können eine hervorragende Quelle der Intuition und Weisheit sein, wenn Sie wissen, wie Sie sie sich zugänglich machen können. Augenkontakt ist auch hier wieder von essenzieller Bedeutung. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse gehen davon aus, dass Sie eindeutig im Nachteil sind, wenn Sie keinen direkten Augenkontakt mit Ihrer Kollegin herstellen und nicht zuverlässig herausfinden können, was sie tatsächlich mit dem Lächeln aussagen will.26

Augenkontakt ist also der Schlüssel, der die Weisheit Ihrer Intuition öffnet, denn wenn Sie dem Blick ihrer lächelnden Kollegin begegnen, reagiert nicht nur Ihr Gehirn, sondern auch Ihr Körper: Sie können die Gefühle, die Ihre Kollegin gerade durchlebt, gewissermaßen simulieren.27 Durch diesen schnellen und unbewussten Vorgang wissen Sie mehr über die emotionalen Hintergründe des Lächelns. Der Zugang zu diesem Gestalt gewordenen Gefühl, dieser Information, die in Ihrem Inneren entsteht, macht Sie klüger. Sie können beispielsweise viel genauer einschätzen, was ihr unerwartetes Lächeln bedeutet.28 Sie sind besser auf sie eingestimmt und weniger leicht zu täuschen. Intuitiv erfassen Sie ihre Absichten. Sie war in der Tat keineswegs freundlich, sondern hämisch. Sie wollte keine Verbindung zu Ihnen herstellen, sondern war selbstgefällig. Sie müssen kein Zyniker sein, um zu erkennen, dass nicht jedes Lächeln eine aufrichtige Bitte um Verbundenheit darstellt. Manch ein Lächeln wird vielleicht nur ausgesandt, um Sie auszubooten oder zu kontrollieren. Mithilfe Ihrer Sinne können Sie ehrliche von unehrlichen Signalen unterscheiden, ganz so, wie Sie beispielsweise gute Lebensmittel von verdorbenen trennen können.

Sobald Sie Augenkontakt hergestellt haben, informieren Ihre Schlussfolgerungen über das Lächeln Ihrer Kollegin Sie – bewusst oder nicht –, wie Ihr nächster Schritt aussehen sollte. Ohne Augenkontakt hingegen kann es schnell zu Missverständnissen, gebrochenen Herzen und zwischenmenschlicher Ausbeutung kommen, denn Sie über- oder unterinterpretieren die Freundlichkeit im Lächeln Ihres Gegenübers. Außerdem verpassen Sie vielleicht die unzähligen Gelegenheiten, um lebensspendende Verbundenheit zu schaffen. Augenkontakt trägt dazu bei, dass Sie aufrichtige, affiliative Gesten in einem Meer von lediglich höflichen oder eindeutig manipulativen Lächeln erkennen. Liebe ist also alles andere als blind.

Liebe entsteht nicht parallel

Augenblicke von scheinbar geteilter Positivität gibt es in Hülle und Fülle. Sie selbst und die Menschen in Ihrer Umgebung können mit der einen oder anderen Form der Positivität in Berührung kommen, aber dennoch keine wahre Verbundenheit herstellen. Sie selbst und alle anderen Kinobesucher beispielsweise teilen die Positivität, die von der großen Leinwand vor Ihnen ausgeht; Sie und der Student neben Ihnen im Hörsaal sind fasziniert von den gleichen neuen Ideen; Sie und Ihre Familie schauen sich die gleiche Comedyshow im Fernsehen an. Doch wenn der Augenkontakt, die Berührung, Gelächter oder eine andere Form von Verhaltenssynchronie fehlen, dann gleichen derlei Augenblicke dem, was Entwicklungspsychologen als Parallelspiel bezeichnen. Sie fühlen sich zweifellos gut, und ihre Positivität bringt sowohl Ihnen als auch den anderen einen Broaden-and-Build-Nutzen. Solange es sich aber (noch) nicht um direkte oder interpersonell geteilte Erfahrungen handelt, haben Sie auch keinen Widerhall im jeweilig anderen. Also handelt es sich (noch) nicht um Augenblicke der Liebe. Der Schlüssel zur Liebe besteht in Formen der physischen Verbundenheit.

Um es deutlich zu machen: Die sinnlichen und zeitlich begrenzten Verbindungen, die Sie mit anderen durch Augenkontakt, Berührung, Unterhaltung oder andere Formen der Verhaltenssynchronisation schaffen, sind nicht an und für sich Liebe. Selbst Händchenhalten kann zur lieblosen Gewohnheit werden. Doch im richtigen Kontext sind derlei Gesten ein hervorragendes Sprungbrett für die Liebe. Der richtige Kontext ist der, der mit der emotionalen Präsenz der Positivität einhergeht.

Stellen Sie sich vor, dass ich allein an meinem heimischen Computer sitze und jetzt, im Juli 2011, nach den richtigen Worten suche, und Sie sitzen (habe ich Recht?) ein paar Jahre später wer weiß wo und lesen meine Worte. Stattdessen könnten wir uns auch in einem Café in Ihrer Nähe treffen und uns über diese Ideen unterhalten. Es stellt sich heraus, dass Sie jede Menge wertvoller Fragen haben. Es dauert nicht lange, da hat uns die gemeinsame Begeisterung für die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschliche Natur und das menschliche Potenzial so richtig gepackt. Obwohl ich sonst meist recht leise rede, ist die Unterhaltung mit Ihnen jetzt ziemlich lebhaft. Meine Gesten und mein Lächeln zeigen Ihnen, dass ich mich nicht nur für dieses Thema begeistern kann, sondern dass ich auch Ihre wohlüberlegten Fragen und Beispiele zu schätzen weiß. Ich bin auf Sie eingestimmt, stehe Ihrem Input wohlwollend gegenüber und reagiere auf sämtliche subtilen Signale, die zeigen, wie effektiv wir miteinander kommunizieren.

Aus meiner Perspektive existieren Ihr Lächeln, Ihr Nicken und andere Gesten Ihrer eigenen Positivität und Einstimmung auf mich nicht einfach nur in Ihnen