Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Die Magie der Tempelritter: 5 Romane von Alfred Bekker Dieser Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker: Die Hexe von Gilford Castle Patricia Vanhelsing und die Burg der Tempelritter Der Schlangentempel Der Orden der Maske Die Magie der Maske Mein Name ist Patricia Vanhelsing und - ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von "van Helsing" in "Vanhelsing" änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen? Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich. Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 595
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
von Alfred Bekker
Titelseite
Die Magie der Tempelritter: 5 Romane
Copyright
Die Hexe von Gilford Castle | von Alfred Bekker | Ein Patricia Vanhelsing Thriller
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
Patricia Vanhelsing und die Burg der Tempelritter | Von Alfred Bekker
Der Schlangentempel | Von Alfred Bekker
Der Orden der Maske | Von Alfred Bekker
Die Magie der Maske | Von Alfred Bekker
Sign up for Alfred Bekker's Mailing List
Further Reading: 2782 Seiten Fantasy Abenteuer - Die magische Bibliothek der Sucher
About the Author
About the Publisher
Dieser Band enthält folgende Romane
von Alfred Bekker:
––––––––
Die Hexe von Gilford Castle
Patricia Vanhelsing und die Burg der Tempelritter
Der Schlangentempel
Der Orden der Maske
Die Magie der Maske
––––––––
Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen? Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle.
In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.
Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen - zuletzt den Titel DER TEUFEL VON MÜNSTER, wo er einen Helden seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einer sehr realen Serie von Verbrechen macht.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author /COVER WERNER ÖCKL
© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Michael Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses Buchs entspricht 102 Taschenbuchseiten.
Lady Joannes Hass konnte nicht größer sein, und so geschah es, dass sie Sir Henry Gilford, den Meuchelmörder ihres Bräutigams Sir Wilfried von Mornsley Castle voller Inbrunst verfluchte. – Über sechshundert Jahre später kommt Patricia Vanhelsing, Reporterin der London Express News, nach Gilford Castle, um ein Interview mit dem ehemaligen Rockstar Robert Clayton zu führen, der inzwischen Besitzer von Gilford Castle ist. Neben der Erregung, die sie spürt, als sie ihrem Jugend-Idol gegenübersteht, fühlt sie aufgrund ihrer übersinnlichen Gabe auch, dass etwas Grauenerregendes in dem Schloss passieren wird ...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author /COVER STEVE MAYER
© dieser Ausgabe 2018 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Michael Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Eine kalte Herbstnacht im Jahre 1348.
Eine Nacht des Grauens und der Verfluchung ...
Die Flammen schlugen aus den hohen Fenstern von Mornsley Castle. Schreie gellten durch die Nacht, und Schwerter klirrten gegeneinander.
Es wurde kaum noch gekämpft.
In der Mitte des Burgplatzes, unweit des Brunnens aber waren zwei hochgerüstete Ritter in einem verbissenen Kampf verwickelt. Mit schweren Beidhänder-Schwertern drangen sie aufeinander ein. Ihr Keuchen war unter den heruntergelassenen Helmvisieren dumpf zu hören.
"Nein!", rief eine Frauenstimme.
Die junge Frau war blond und hatte einen violetten Umhang um die Schultern.Ihre Augen waren weit aufgerissen. In ihnen spiegelten sich Mondlicht und Entsetzen, während der kühle Wind ihr Haar durchwehte.
Einer der Ritter hielt inne.
"Joanne!", rief er. "Bring dich in Sicherheit!"
"Wilfried!", rief sie in höchster Not, denn jetzt kamen Reiter heran. Reiter, die das Wappen mit den drei gelben Rosen auf den Gewändern und Schilden trugen, was sie als Gefolgsleute von Sir Henry of Gilford auswies – jenes Mannes also, der für diesen nächtlichen Schrecken verantwortlich war und dessen Männer aus Mornsley Castle eine Ruine gemacht hatten.
Das Feuer knisterte und verschlang all das, was die Schergen Sir Henrys nicht schon fortgeschafft hatten. Die Grundmauern würden bleiben, verkohlt und wie ein finsterer Schatten der früheren Pracht ...
Die Reiter bildeten einen Halbkreis um Joanne.
Sie blickte sich um und kaltes Grausen erfasste sie.
Es ist verloren!, dachte sie. Alles ist verloren ... Und dann hörte sie wieder den grausamen Klang von aufeinanderprallendem Stahl. Ein hartes metallisches Geräusch, das den Tod verhieß und ihre Gedanken waren bei ihrem Liebsten.
Sir Wilfried of Mornsley.
Seine Männer, die Knappen, das Gesinde, die Mägde ... Sie alle, die auf Mornsley Castle gelebt hatten, waren bereits erschlagen oder in die Ungewissheit der Nacht geflohen in der Hoffnung, dass Sir Henrys Schergen ihnen nicht folgen würden.
Sir Wilfrieds Kampf glich einem verzweifelten Ringen gegen einen übermächtigen Gegner.
Und die Sorge um seine geliebte Joanne lähmte seine Arme und ließ ihn immer wieder seitwärts blicken. Einer der finsteren Reiter war vom Pferd gestiegen und näherte sich ihr. Mit einem Aufschrei wich sie zur Seite.
"Fahr zur Hölle, Wilfried!", rief Sir Henry keuchend und schob dabei das Helmvisier hoch. Seine Zähne blitzten auf, und in seinen Augen funkelte es teuflisch. Sein Gesicht war eine einzige Maske des Hasses.
Mit wuchtigen Schlägen seines Beidhänders drang er dann auf seinen Gegner ein. Die Klinge wirbelte durch die Luft und verursachte dabei ein sirrendes Geräusch.
Sir Wilfried wich nach hinten.
Um ein Haar verfehlte einer der furchtbaren Schläge, zu denen Sir Henry ausgeholt hatte, Sir Wilfrieds Kopf. Nur ein schnelles Ducken hatte dem Herrn von Mornsley Castle das Leben gerettet.
Kaum einen Atemzug lang blieb ihm Zeit, um sein Schwert zu heben und damit die erneut auf ihn niedersausende Klinge des Gegners abzuwehren. Hart und mit großer Wucht prallte das Metall aufeinander. Die Heftigkeit dieses Hiebs ließ Wilfried taumeln, ein weiterer Hieb schlug ihm das Schwert aus der Hand. Jetzt lag er da, ausgestreckt auf dem Boden. Und blitzschnell war Sir Henry über ihm.
"Nein!", gellte Joannes Schrei durch die Nacht.
Einer von Sir Henrys Leuten hatte versucht, sie am Arm festzuhalten, doch Joanne hatte sich in ihrer Verzweiflung losgerissen und lief nun auf ihren Geliebten zu ...
Tränen rannen ihr dabei über das Gesicht und sie presste die vollen Lippen fest aufeinander, um nicht laut loszuschluchzen.
Mit einem furchtbaren Schlag tötete Sir Henry seinen Gegner, und Joanne erstarrte.
"Wilfried ...", stammelte sie.
Henry of Gilford atmete tief durch. Der Kampf hatte auch ihn mitgenommen. Er stützte sich auf sein Schwert und es dauerte einige Augenblicke, bis er wieder zu Atem gekommen war. Dann nahm er den Helm vom Kopf herunter.
Joanne näherte sich indessen mit tränenblinden Augen ihrem toten Geliebten.
Mich hatte er als seine zukünftige Frau erwählt!, ging es ihr bitter durch den Kopf. Mich ... Und nun ... Eine Welt war in ihr zusammengebrochen. Wie ein Wirbelsturm aus heiterem Himmel war diese finstere Horde über ihr Glück hereingebrochen und hatte alles zerstört. Ein Kloß schien ihr im Hals zu stecken. Sie hatte das Gefühl, innerlich tot zu sein.
Langsam und fast wie in Trance sank sie zu Boden und strich dem toten Sir Wilfried über die Stirn. Tränen rannen ihr dabei über die Wangen. Tiefe Verzweiflung hatte dem Grauen Platz gemacht. Jetzt war ihr alles gleichgültig. Man hatte ihr alles genommen, was ihr wichtig gewesen war. Den Menschen, den sie über alles liebte, ihre Zukunft, ihr ganzes Leben ...
Wie durch Watte drang die schneidende Stimme Sir Henrys in ihr Bewusstsein.
"Vergesst diesen Hund!", meinte er. "Er ist es nicht wert, dass Ihr um ihn weint, Lady Joanne!"
Joannes zarte weiße Haut rötete sich jetzt und verfärbte sich zunehmend dunkel. Tränen des Zorns mischten sich langsam in jene der Trauer. Ein hasserfülltes Funkeln blitzte in ihren feuchten Augen, die jetzt zu schmalen Schlitzen wurden.
Auf Sir Henrys Gesicht hingegen erschien ein breites Grinsen.
"Ihr gehört jetzt mir, Lady Joanne! So war es wohl von Anfang an bestimmt, auch wenn Ihr das nicht erkannt habt!"
Er trat auf sie zu, wollte nach ihrer Hand fassen, um sie zu sich hinaufzuziehen, doch sie sprang auf und wich entsetzt vor ihm zurück.
"Niemals!", rief sie.
"Ihr werdet schon merken, was das Beste ist, Lady Joanne!"
"Wie konntet Ihr das nur tun!", stieß Joanne hervor und ihre Hand deutete dabei zunächst auf den toten Wilfried of Mornsley und dann auf die brennenden Gebäude.
Sir Henry sah sie etwas verständnislos an.
"Um Euretwillen! Ich konnte es nicht ertragen, Euch in den Armen dieses Mornsley zu wissen ... Aber damit ist es nun vorbei. Rechtzeitig, bevor Ihr ihm vor Gott Euer Versprechen geben konntet! Ein unheiliger Bund wäre das geworden!"
"Ach!"
"Nun kommt!"
"Niemals!"
"So ergreift sie!"
Joanne war keine zwei Schritte weit gelaufen, da wurde sie von grob zupackenden Händen gefasst. Sir Henrys Schergen waren es, die sie in ihre Mitte nahmen. Ihre Griffe waren so fest wie Schraubstöcke und so sehr Joanne auch versuchte, sich zu befreien – sie hatte nicht den Hauch einer Chance. Ihr Atem ging schnell, der Puls raste.
Und der Hass stieg in ihr auf.
Unsäglicher Hass auf jenen Mann, der ihr das angetan hatte.
"Ich verfluche Euch, Sir Henry! Ich verfluche Euch, auf dass Ihr niemals Ruhe finden werdet und der Schatten Eurer Tat Euch über den Abgrund des Todes hinweg verfolgen möge! Selbst das Gericht der Hölle wäre zu milde für Euch!"
Ihre Augen waren dabei weit hervorgetreten und die beinahe unheimliche Inbrunst, mit der sie gesprochen hatte, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.
Es herrschte Schweigen.
Nur das Knistern der Flammen und der schauerlich heulende Wind waren zu hören.
Und Sir Henrys Gesicht war bleich wie der Tod.
Der dünnlippige Mund verzog sich zu einer nach unten gebogenen Linie, bevor er dann hervorzischte: "Schafft sie weg, die Hexe!"
650 Jahre später ...
"Du weißt nicht mehr, wer Robert Clayton ist?", stieß ich erstaunt hervor und sah Tante Lizzy dabei mit großen Augen an.
Sie zuckte die Achseln.
"Ich kann mich nicht erinnern."
"Nicht an die Poster, die ich mit fünfzehn im Zimmer hängen hatte?"
Sie sah mich an und dann schien es ihr zu dämmern. "Oh mein Gott!", stieß sie hervor. "Dieser langhaarige Rocksänger!"
"Na ja, die Mode hat sich inzwischen geändert. Seine Haare sind kürzer geworden!"
Tante Lizzy atmete tief durch. "So, und über den sollst du eine Home Story für die Express News machen?"
"Ja. In den letzten Jahren hat Clayton keine neuen Platten mehr aufgenommen und ist auch nicht mehr aufgetreten. Er lebt zurückgezogen auf einem Schloss in der Grafschaft Kent, das er sich von seinen Plattenmillionen erworben hat. Gilford Castle heißt es." Ich seufzte und ein versonnenes Lächeln spielte um meine Lippen. "Weißt du, die Aussicht, einem Idol meiner Jugend in Kürze zu begegnen, ist schon etwas merkwürdig!"
"Du redest wie eine alte Frau, Patti!"
Ich zuckte die Achseln. "Fünfzehn oder sechsundzwanzig – das ist doch schon ein kleiner Unterschied, oder?"
"Sicher ..."
"Hättest du mir damals gestattet, auf Claytons Konzert zu gehen, wäre ich sicher auch kreischend in Ohnmacht gefallen!"
"Ich fand, dass du damals zu jung dafür warst!"
Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und erwiderte: "Die Mädchen, die heute in Konzerten von Caught in the Act vor lauter Hyperventilation beim Kreischen in Ohnmacht fallen, sind nicht mal dreizehn ..."
"... und ihre armen Eltern müssen sie wahrscheinlich begleiten und sich das Gedudel auch anhören. Vorausgesetzt, von dem Gesang ist vor lauter kreischenden Fans überhaupt noch etwas zu hören."
Wir lachten beide.
Meine Eltern waren früh verstorben und meine Großtante Elizabeth Vanhelsing – Tante Lizzy, wie ich sie nannte – hatte mich bei sich aufgenommen wie eine eigene Tochter. Ich lebte auch jetzt noch in ihrer verwinkelten viktorianischen Villa, in der ich das Obergeschoss für mich hatte. Der untere (und größere) Teil der Villa gehörte Tante Lizzy und sie hatte daraus im Laufe der Jahre eine Art Privatarchiv für Okkultismus und übersinnliche Phänomene gemacht, in dem sie alle möglichen Schriften, Presseartikel und Gegenstände aus diesem Bereich gesammelt hatte. Zusammen mit der Sammlung archäologischer Fundstücke, die ihr verschollener Mann Frederik ihr hinterlassen hatte, der von einer Forschungsreise nach Südamerika nicht zurückgekehrt war, ergab das ein ganz besonderes Panoptikum.
Aber wir teilten nicht nur diese Villa und eine Reihe ganz entscheidender Jahre meines Lebens miteinander, sondern auch das Interesse am Übersinnlichen. Oft genug hatte ich als Reporterin der London Express News über Ereignisse berichtet, die mit solchen Phänomenen in Zusammenhang standen.
Und häufig hatte Tante Lizzy mir dann bei Recherchen beigestanden. In ihrem Archiv schlummerte so manches Geheimnis.
Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen?
Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.
"Wann brichst du denn nach Gilford Castle auf?", fragte Tante Lizzy mich.
"Heute Abend. Jim und ich sind zu einer Art Party eingeladen. Ich bin schon richtig gespannt."
"Kann ich verstehen."
"Weißt du, es ist beinahe ein wenig so, als wäre die Zeit zurückgedreht worden ..."
"Ich weiß, was du meinst ..." Sie nahm meine Hand und auf ihrem Gesicht stand ein mildes Lächeln. "Ich hoffe nur ..."
Sie zögerte aus irgendeinem Grund.
Ich erwiderte ihren Blick.
"Was?"
"Dass du nicht zu enttäuscht zurückkehrst. Manchmal ist das so. Man hat etwas in der Erinnerung mit einer Art Heiligenschein ausgestattet und wenn man man dann der Wahrheit begegnet ..."
"Ich weiß", murmelte ich. "Aber ich verspreche dir zumindest, dass ich nicht kreischen werde ... Wenigstens nicht so doll, dass ich in Ohnmacht falle!"
Wir lachten beide.
Dann glitt mein Blick zur Uhr.
Tante Lizzy erriet meinen Gedanken – und das hatte wohl nichts mit übersinnlicher Wahrnehmung zu tun, sondern einfach nur damit, dass wir uns sehr gut kannten.
"Du musst los, nicht wahr?"
Ich nickte. "Ja."
"Kommst du hier noch vorbei, bevor du nach Kent fährst?"
"Auf jeden Fall!"
Das Verlagsgebäude, in dem die Redaktion der London Express News untergebracht war, lag in der Londoner Lupus Street.
Ich stellte den roten, etwas altertümlichen 190er Mercedes, den Tante Lizzy mir geschenkt hatte, auf dem großen Parkplatz ab und lief dann mit ziemlich schnellen Schritten in Richtung des Haupteingangs.
Es war ein feuchter, diesiger Tag und die Kühle drang durch meine etwas zu dünne Kleidung.
Ich war froh, als ich endlich drinnen war.
Lange Korridore ging ich entlang, dann mit dem Aufzug hinauf bis in die Büroetage, die der Express-News-Redaktion vorbehalten war. In einem weitläufigen Großraumbüro hatte ich auch irgendwo meinen Schreibtisch. Es herrschte ein ständiges hektisches Kommen und Gehen.
Ich hielt nach Jim Field Ausschau, einem ebenfalls bei den Express News angestellten Fotografen, mit dem ich häufig zusammengearbeitet hatte und der mich auch auf der Fahrt nach Kent begleiten würde.
Ich hatte im Hinblick auf die Robert-Clayton-Story noch einiges mit ihm zu besprechen.
Allerdings konnte ich ihn nirgends entdecken.
Ich seufzte.
Und dann stieß ich plötzlich mit jemandem zusammen. Meine Handtasche fiel zu Boden und da ich sie nicht richtig geschlossen hatte, fiel die Hälfte des Inhalts hinaus. Ein paar Hustenbonbons, die ich bei diesem Wetter vorbeugend nahm, ein Taschentuch mit meinen Initialen, mein Schlüsselbund, der Presseausweis und ein Tamagotchi, das ich unglücklicherweise von den Kollegen zum Geburtstag bekommen hatte. Und obwohl mein Verstand mir tausendmal sagte, dass der kleine Hund auf dem Display nicht wirklich lebte, brachte ich es doch nicht übers Herz, ihn sterben zu lassen.
Der Inhalt einer Handtasche ist etwas sehr Persönliches.
Etwas, das eigentlich niemanden etwas angeht.
Der Mann, mit dem ich zusammengestoßen war, war groß und dunkelhaarig. Der Blick seiner grüngrauen Augen war ruhig und erinnerte mich an das Meer.
"Tut mir leid", sagte er, bückte sich und half mir und schickte sich an, die Sachen wieder in die Tasche zu räumen, was mir beinahe etwas unangenehm war. Er gab mir die Tasche und lächelte dabei charmant.
"Ich hätte besser aufpassen sollen, Mister ..."
"Hamilton. Tom Hamilton."
"Patricia Vanhelsing!"
"Sie arbeiten auch hier, bei den Express News?"
"Ja ..." Ich sah ihn etwas überrascht an und fügte dann hinzu: "Was heißt hier auch? Ich habe Sie hier noch nie gesehen, Mr. Hamilton."
"Nennen Sie mich Tom."
"Meinetwegen."
Er zuckte die Achseln und ich versuchte sein Alter zu schätzen. Mitte dreißig!, dachte ich. Er sah gut aus. Äußerst attraktiv.
Aber man konnte auf den ersten Blick merken, dass er nicht zur Sorte der Sunnyboys gehörte, die auf jeder Party für kurzweiligen Smalltalk gut waren.
Und wenn auch ein charmantes Lächeln seine Lippen umspielte – so schien ihm doch auch etwas Düsteres, beinahe Geheimnisvolles anzuhaften.
Jemand, der viel erlebt hat!, dachte ich.Und jemand, der sich nicht gleich in die Karten schauen lässt!
"Das ist mein erster Tag hier bei den Express News", meinte er.
"Dann werden wir uns in Zukunft also öfter über den Weg laufen."
"Das nehme ich an."
Einen Augenblick lang begegneten sich unsere Blicke ...
Dann gellte ein Ruf durch das Großraumbüro.
"Mr. Hamilton! Ist da irgendwo Mr. Hamilton? Sie sollen dringend zum Chef kommen!"
"Sie sollten Mr. Swann nicht warten lassen!", sagte ich. "Das kann er nämlich nicht leiden!"
Er nickte.
"Habe ich inzwischen schon gemerkt!", erwiderte er, drehte sich herum und ging durch das Labyrinth der Schreibtische.
Ich sah ihm einen Moment lang nach und als ich dann nach wenigen Schritten meinen Schreibtisch erreichte, lehnte dort niemand anderes als Jim Field, der Fotograf.
Er war flachsblond und hätte dringend mal wieder einen Frisör aufsuchen müssen. Der Drei-Tage-Bart, die zerschlissene Jeans und das zerknitterte Jackett, dessen Revers von der Kameratasche völlig ruiniert war, gaben ihm ein unkonventionelles Äußeres.
"Hallo, Patti!", sagte er.
"Hallo!"
Sein Blick war ebenfalls auf Hamilton gerichtet, der nun gerade hinter der Tür zum Büro von Michael T. Swann verschwand, seines Zeichens Chefredakteur der London Express News.
"Ein komischer Kerl, dieser Neue", meinte er.
"Wieso?"
Jim zuckte die Achseln. Seine blauen Augen verengten sich etwas. "Ich weiß nicht ... Irgendetwas stimmt mit ihm nicht. Vielleicht mag ich ihn auch einfach nicht. Ich hoffe nur, dass Swann ihm den unangenehmsten Job gibt, der zurzeit zu vergeben ist. Vielleicht ein Freundschaftsspiel in der vierten Fußball-Division oder so etwas!"
"Jim!", sagte ich tadelnd. "Ich hätte nie gedacht, dass du so gehässig sein kannst!"
Er machte eine wegwerfende Geste.
"So ist das Leben", meinte er augenzwinkernd. "Es macht einen hart und verhärmt."
Ich legte die Handtasche ab, zog die Jacke aus und stemmte dann die Hände in die Hüften. "Ja, und ein erfolgreicher Starfotograf gehört auch wirklich zu den vom Schicksal Gebeutelten!"
"Na ja ...", meinte er und in seinen blauen Augen blitzte es schelmisch. "Wenn er in der traurigen Gewissheit leben muss, dass seine Lieblingskollegin ihn wohl niemals erhören wird!"
"Du Ärmster!", erwiderte ich und wir lachten beide.
Jim war insgeheim immer ein bisschen in mich verliebt gewesen, aber ich hatte das nie erwidert. Wir waren im selben Alter und seine jungenhafte, witzige Art machte ihn zu einem äußerst sympathischen Kollegen und guten Freund. Aber er war einfach nicht die Art Mann, von dem ich träumte. Und er wusste das auch. Trotzdem nahm er immer wieder mal die Gelegenheit wahr, es doch noch einmal zu versuchen.
"Ich weiß ein todsicheres Rezept gegen solchen Kummer!", erklärte ich.
"Ach! Und das wäre? Sag jetzt nicht kalt duschen. Das habe ich schon probiert und es funktioniert nicht!"
"Arbeit!", erklärte ich. "Wir haben mehr als genug davon, also stürzen wir uns hinein. Schließlich können wir nicht so ganz unvorbereitet bei Robert Clayton auftauchen ..."
Gilford Castle lag in der Nähe der Autobahn, die von London Richtung Dover führte. Sanfte Hügel, saftige Weiden und hin und wieder ein Waldstück umgaben den Herrensitz, der herrschaftlich auf einer Anhöhe lag.
Die Mauern waren hoch und wuchtig. Beinahe wirkten sie etwas einschüchternd und abweisend. Rankpflanzen hatten sich am Mauerwerk festgesetzt und manche Stücke völlig überwuchert. Anderswo waren die Steinquader so blank und nackt, als ob das Lebendige diese Bereiche zu meiden schien.
Ich fuhr den roten Mercedes 190 in den großen Burghof, in dem bereits mehrere andere Fahrzeuge unterschiedlichster Qualität abgestellt waren.
Wir stiegen aus.
Es war geplant, dass wir ein oder zwei Nächte hierblieben.
Gilford Castle hatte Räumlichkeiten genug dafür, um jede Menge Gäste zu beherbergen.
"Lassen wir unser Gepäck erstmal im Wagen!", meinte ich.
"Nichts dagegen!", erwiderte Jim, der bereits fleißig damit beschäftigt war, Fotos zu schießen. Immer wieder klickte sein Apparat. "Eine fantastische Kulisse", meinte er. Und dann fiel sein Blick auf eine eigenartige Statue.
Eigenartig war sie deshalb, weil sie einen Römer mit Speer, Helm und Tunika darstellte, der sich vom Stil her so gar nicht in das eher mittelalterliche Gepräge einfügen wollte.
"Wer hat den denn da hingestellt!", meinte Jim kopfschüttelnd. "Jedenfalls wohl nicht die normannischen Ritter, die hier einst Hof gehalten haben dürften!"
Ich zuckte die Schultern.
"Wer weiß, wer hier über all die Jahrhunderte hinweg residiert hat und seinen persönlichen Geschmack mit einzubringen versucht hat ..."
"Ich zum Beispiel!", rief eine Stimme von dem hohen Treppenportal herab, das zum Eingang des Haupthauses führte.
Wir drehten uns beide herum und erblickten einen hochgewachsenen, breitschultrigen Mann in dunklem Hemd und dunkler Hose. Sein Gesicht war fein geschnitten, die Wangenknochen hoch und auf seinen Lippen lag ein charmantes, gewinnendes Lächeln.
Ein Lächeln, das ich von meinen alten Postern her noch gut kannte.
Robert Clayton!
Ich dachte daran, wie sehr ich mir als junges Mädchen gewünscht hätte, ihm so nahe zu sein, wie es jetzt der Fall war, ihm sogar die Hand zu geben ...
Mein Gott!
Inzwischen stand ich natürlich über den Dingen. Zumindest hatte ich mir das eingeredet.
Als er zu uns herabgekommen war und uns die Hand gegeben hatte, musste Jim uns vorstellen. Mir saß einfach ein Kloß im Hals und ich war einige Augenblicke lang unfähig,etwas zu sagen.
Er hatte sich verändert.
Irgendwie schien er mir reifer geworden zu sein, als er auf den Postern gewirkt hatte. Die Haare waren kürzer und das Gesicht war markanter geworden. Nur die Augen und das Lächeln waren geblieben.
Wenn ich nicht gewusst hätte, dass ich ihm hier begegnen würde – vielleicht hätte ich ihn überhaupt nicht erkannt!, ging es mir durch den Kopf.
"Nennen Sie mich Robert", sagte er freundlich. "Das machen alle hier ..."
"Alle?", echote ich etwas verständnislos.
"Ja, es sind immer eine Menge Leute hier auf Gilford Castle."
Sein Lächeln bekam etwas Schelmisches. "Und was den Römer dort angeht, den habe ich anfertigen lassen ..."
"Oh ..."
"Sie halten mich jetzt für einen Banausen, was, Patricia?"
"Nun ..."
"Mein Respekt vor diesen alten Mauern hält sich in engen Grenzen. Es ist einfach ein Haus und viele derjenigen, die hier vor mir gelebt haben, haben das ähnlich gesehen ..." Er sah mich an. Der ruhige Blick seiner braunen Augen musterte mich einen Moment. Dann meinte er: "Haben Sie Gepäck?"
"Im Wagen."
"Charles, der Butler kann sich darum kümmern. Geben Sie ihm einfach den Schlüssel. Er wird Ihnen auch Ihre Zimmer zeigen ..."
"Haben Sie vielen Dank!", meinte Jim.
Und ich sagte: "So, einen Butler haben Sie auch?"
"Ich habe ihn vom Vorbesitzer übernommen und es nicht fertiggebracht, ihn zu entlassen."
"Ist schon erstaunlich ... Ein Rocker, der wie ein Landlord lebt ..."
Robert lachte auf.
"Ich habe seit fünf Jahren keine Gitarre mehr angefasst, geschweige denn einen Ton gesungen."
"Warum eigentlich nicht?", fragte ich.
Seine Stirn umwölkte sich leicht, und ich war mir nicht klar darüber, ob ich nicht vielleicht einen Fehler gemacht hatte, ihn das jetzt so unvermittelt zu fragen. Ich schien einen wunden Punkt berührt zu haben.
Sein Lächeln wirkte jetzt etwas gezwungen.
"Eine Frage, die ich mir auch oft gestellt habe!", sagte er dann und seufzte dabei, so als würde er eine schwere, wenngleich unsichtbare Last auf dem Rücken spüren.
"Haben Sie eine Antwort darauf gefunden?", hakte ich nach.
Ich musste es einfach wissen. Ich musste wissen, warum das Idol meiner Jugend es plötzlich vorgezogen hatte, ein ganz normaler Mann zu sein.
Er zuckte die Achseln.
"Wir waren alle sehr jung damals in der Band. Und der Erfolg war so überwältigend, dass er uns mehr oder weniger wohl zu Kopf gestiegen ist. Einige sind damit auch nicht klargekommen. Ich zwischenzeitlich auch nicht. Irgendwann lief dann das Fass über. Eine schöpferische Krise kam hinzu. Mir fielen einfach keine vernünftigen Songs mehr ein, und ich begann, meine Gitarre und das Studio zu hassen ... Ich brauchte einfach eine Pause zum Verschnaufen und um herauszufinden, wer ich wirklich war ..." Er sah mich an und wirkte jetzt beinahe etwas verlegen. "Vielleicht rede ich jetzt in Ihren Augen einfach nur Unsinn daher ..."
"Nein, das denke ich nicht."
"Jedenfalls kann ich inzwischen wieder durch die Straßen einer x-beliebigen Großstadt gehen, ohne dass mich jemand erkennt. Ich hatte ganz vergessen, wie schön das sein kann ..."
"Als junges Mädchen war ich ein Fan von Ihnen ..."
"Wirklich?", meinte er. "Der alte Robert Clayton ist tot", sagte er dann. "Der Mann, den Sie vor sich sehen, hat nichts mit dem zu tun, der auf den Postern in den Mädchenzeitschriften war!"
Wie schade!, dachte ich im ersten Moment. Aber nur im ersten. Dann fügte ich in Gedanken noch hinzu: Er ist nicht mehr der jungenhafte Robert Clayton, den ich anschwärmte – aber ich bin auch keine fünfzehn mehr ...
Und vielleicht gefiel mir der neue Robert Clayton, der jetzt und hier leibhaftig vor mir stand, sogar besser als jenes unnahbare Idol auf den Postern.
Charles, ein stocksteifer englischer Butler, wie er im Buche stand, zeigte uns unsere Zimmer. Sie waren sehr groß und hatten hohe Fenster.
Da die Zimmer im Obergeschoss lagen, hatte man einen hervorragenden Ausblick.
Ich stand da und blickte über das weite Land. In einiger Entfernung befand sich ein umwaldeter Hügel. Aus dem Meer der Bäume und Sträucher ragten graue Mauerstücke heraus.
Die Ruinen einer Burg ...
"Das sind die Ruinen von Mornsley Castle", sagte mir der Butler auf eine entsprechende Frage hin. "Ein verwunschener Ort, über den man sich allerlei unheimliche Geschichten in der Gegend erzählt ..."
"Wie lange sind Sie bereits hier auf Gilford Castle?"
"Oh, schon mehr als dreißig Jahre, Miss Vanhelsing. Ich diente zuletzt dem Earl of Calmount, der hier residierte, bevor er als letzter Spross seiner Familie dem Wahnsinn verfiel und in ein Sanatorium übersiedeln musste. Danach erwarb Mr. Clayton dieses Anwesen."
"Hat er wirklich in den letzten Jahren sein Instrument nicht angerührt?"
"Im Keller befindet sich ein voll ausgerüstetes Studio, das auf dem letzten Stand der Technik ist. Keiner der Apparate ist benutzt. Ich gehe hin und wieder hinunter, um dort Staub zu wischen, weil unsere Hausmädchen das nicht sorgfältig genug machen ..."
"Er hat über Jahre hinweg niemanden von der Presse empfangen. Haben Sie eine Ahnung, weswegen jetzt dieser Sinneswandel kam?"
Der Butler zuckte die Achseln.
"Meine Herrschaft pflegt nicht mit mir über solche Dinge zu reden", erklärte er dann.
Vor der Party am Abend konnte ich mich gerade noch ein bisschen frisch machen und angemessen anziehen. Ich entschied mich für ein lindgrünes Kleid, dessen schlichte Eleganz für den Anlass nicht übertrieben war, andererseits aber auch nicht gerade gewöhnliche Straßenkleidung darstellte. Eine Perlenkette, die Tante Lizzy mir zum vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte, kombinierte ich dazu.
Als ich Jim ansah, muss er mir den Schock über seinen Aufzug wohl angesehen haben.
Er trug das, was er schon den ganzen Tag am Leib gehabt hatte. Das Jackett war notdürftig geglättet und immerhin waren die Knöpfe geschlossen. Aber sonst ...
Er reagierte schlagfertig.
"Ich glaube, einer von uns ist ein bisschen overdressed!", lachte er.
Ich hob die Augenbrauen und nun war wohl ich es, die ein fassungsloses Gesicht machte.
"Was du nicht sagst!", meinte ich dann kopfschüttelnd.
Allerdings stellte sich heraus, das auch andere Gäste nicht unbedingt der gängigen Kleidernorm entsprachen. Insbesondere galt das für jene, die aus der Musikbranche kamen.
Besonders fiel mir in dieser Hinsicht Ted McRory auf, ein ehemaliges Band-Mitglied von Robert Clayton. Er war der Schlagzeuger und immer schon durch besondere Eskapaden aufgefallen. Seit einiger Zeit geisterten Meldungen durch die Klatschspalten, er sei in psychiatrischer Behandlung und dem Wahnsinn nahe.
Wieder andere Meldungen besagten, dass er sich okkultistischen Kreisen zugewandt oder sein Heil in fernöstlichen Entspannungstechniken gesucht habe.
Hier auf Gilford Castle tauchte er jedenfalls in einem pechschwarzen Anzug aus Seide auf. Seine eigentlich blonden Haare hatte er ebenfalls schwarz färben lassen. Das Gesicht war weiß gepudert und wirkte wie die Maske eines Toten.
Er trank zu viel und redete zu laut.
Und die Umstehenden hörte man darüber tuscheln, dass er seit seiner Zeit in Claytons Band nie wieder richtig Fuß gefasst hatte.
Die Party plätscherte so dahin.
Jim machte seine Bilder und dann sah ich ihn irgendwann mit einer sehr schrill wirkenden Rothaarigen, die die Angewohnheit hatte, außerordentlich laut zu lachen.
Jim brachte eine Engelsgeduld dabei auf, ihr zuzuhören und ich war froh darüber, dass sie sich auf ihn und nicht auf mich gestürzt hatte.
Ein blassgesichtiger, etwas dicklicher Mann von der Plattenfirma sprach unüberhörbar über ein neues Best-of-Album mit Robert Claytons größten Hits.
Später hörte ich, wie er mit Robert darüber redete, dass dies nun schon sein zweites Best-of-Album sei und es langsam schwierig würde, die Erinnerung der Fans an ihn wachzuhalten, wenn kein neues Material nachkäme.
"Ich weiß", sagte Robert und seine Stimme hatte in diesem Moment ihren sympathischen, sonoren Klang beinahe eingebüßt und klang metallisch und hart. "Ich weiß und es ist mir egal. Haben Sie gehört, Myers? Es ist mir egal!"
"Aber ..."
"So ist es nun mal."
"Robert, du hast ein Studio hier auf deiner Burg! Und wenn du willst, dann lassen wir auch etwas von anderen für dich produzieren. Du brauchst dann nur noch über die Bänder drüberzusingen. Eine Woche Arbeit, mehr nicht!"
"Nein", sagte Robert in einem Tonfall, der Myers so entmutigte, dass er keinen weiteren Versuch in dieser Richtung unternahm.
Wenig später lief Robert mir dann über den Weg.
Er lachte mich an und meinte anschließend: "Ich hoffe, Sie finden genug, worüber Sie anschließend schreiben können ..."
"Ich hoffe, Ihnen gefällt auch, was am Ende in der Zeitung steht."
"Oh, da mache ich mir bei Ihnen keine Sorgen, Patricia."
"Ach!"
"Ich kenne Hunderte von Journalisten. Die meisten sind wie die Geier. Nur auf die schnelle Story aus, alles andere ist ihnen egal. Wo diese Bande herumtrampelt, wächst kein Gras mehr. Aber Sie sind anders ..."
"Das wussten Sie aber nicht im Voraus."
"Nein", gab er zu.
"Sie haben jahrelang mit niemandem mehr von der Presse gesprochen. Warum jetzt mit den Express News?"
Er lächelte und dann holte er mir ein Sektglas, das eine der Bedienungen auf einem Tablett herumtrug.
Er reichte es mir und hob dabei sein eigenes.
"Worauf trinken wir?"
"Ich weiß nicht. Auf Ihr Comeback, Robert?"
"Wollen Sie mir die Laune verderben, Patricia?"
"Kein Gedanke!"
Wir sahen uns an und unsere Blicke verschmolzen miteinander. Dieser Mann faszinierte mich – und das hatte nichts mit dem zu tun, was ich früher für den Popstar gleichen Namens empfunden hatte. Der schien ein anderer Mensch aus einer anderen Welt zu sein. Einer Welt, die die Zeit hinter sich gelassen hatte.
Unsere Gläser berührten sich mit einem klirrenden Geräusch.
Ich nippte an dem meinen und fühlte den prickelnden Sekt die Kehle hinunterlaufen.
In meinem Bauch schien er sich in eine Schar wild gewordener Schmetterlinge zu verwandeln ...
Ein Chaos von unterschiedlichen Gefühlen tobte in mir und ich wusste noch nicht so recht, welches davon am Ende die Oberhand gewinnen würde.
Ich blickte auf.
"Sie haben mir auf meine Frage noch nicht geantwortet", stellte ich fest.
"Welche Frage?"
"Im Ablenken sind Sie gut! Sie machen das so charmant, dass man schon beinahe selbst nicht mehr weiß, was man gefragt hat!"
"Wundert Sie das?", erwiderte er. "Schließlich steht doch alles was ich sage, demnächst in den London Express News – oder zumindest jener Teil, den Sie und Ihre Leser für interessant halten."
Er lachte kurz auf. Der Klang seiner Stimme war warm und sympathisch und ich fühlte den eigenartigen Zauber, der von diesem Timbre ausging.
"Also Klartext", sagte er dann. "Sehen Sie, in den vergangen Jahren habe ich mich sozusagen in den Schmollwinkel zurückgezogen, aber es wurde trotzdem über mich geschrieben. Lügen natürlich. Erfundene Geschichten. Ich dachte, ich muss in der Sache mal in die Offensive gehen ..." Sein Lächeln war offen. "Außerdem ...", murmelte er und brach dann ab.
"Außerdem was?", hakte ich nach.
"Außerdem hätte ich Sie sonst niemals kennengelernt, Patricia. Und das wäre schade ..."
Als das Fest schon ziemlich vorangeschritten war, meldete sich auf einmal Ted McRory laut zu Wort. Sein Gang war etwas unsicher geworden, und er leerte sein Sektglas in einem Zug.
"Ein wunderbares Schloss ist das, in dem du lebst, Robert ... Ein richtiges Geisterschloss ..." Er kicherte sich hinein.
"Hört alle her!", rief er und tatsächlich verstummten jetzt auch die letzten Anwesenden.
Jim stand ganz in meiner Nähe. Er trat an mich heran und raunte mir zu: "Was hat der Kerl vor?"
"Keine Ahnung, Jim!"
"Ich hoffe, er kriegt sich wieder ein. Er hätte nicht so viel trinken sollen ..."
Aber McRory dachte noch lange nicht daran aufzuhören. Er hatte gerade erst begonnen.
"In all den Jahrhunderten haben Generationen von Menschen hier gelebt – und sind gestorben. Manche elendig an der Pest, andere durch Mord und Giftintrige ..." Wieder kicherte er auf eine Weise, die ihn irre erscheinen ließ. Seine Augen flackerten unruhig.
Er machte eine theatralische Geste.
"Es müssen Geister hier sein. Überall ... Die düsteren Mauern von Gilford Castle müssen geradezu wimmeln von den Seelen der Verschiedenen ... Und es gibt Methoden jahrhundertealte Methoden! – diese Seelen zum Sprechen zu bringen ..."
Eine bedeutungsschwangere Pause folgte.
Vielleicht konnte er inzwischen nicht mehr richtig Schlagzeug spielen, aber seinen Sinn für bühnenreife Auftritte schien er nicht verloren zu haben.
Der dunkel gekleidete Mann mit dem bleichen Gesicht atmete tief durch.
Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
"Eine Geisterbeschwörung! Was haltet ihr davon, Freunde! Zu Ehren unseres werten Freundes, Gastgebers und Schlossherrn!"
Zustimmendes Gemurmel entstand. Hier und da kam etwas Applaus auf.
"Toller Gag!", meinte einer und kippte dabei sein halbes Sektglas auf den Boden.
Robert war zunächst wenig begeistert.
Aber seine Gäste redeten so lange auf ihn ein, bis er sich schließlich bereit erklärte mitzumachen.
"Irgendwie haben wir den Zeitpunkt verpasst, an dem wir uns vornehm hätten zurückziehen sollen!", knurrt Jim.
Eine seltsame Unruhe erfasste mich.
Eine Ahnung machte sich in mir breit ...
Irgendetwas wird geschehen!, ging es mir durch den Kopf.
Etwas Entscheidendes ...
Ich merkte, das ich zitterte und sah zu, dass ich mein Glas irgendwo abstellte. Von meiner verstorbenen Mutter hatte ich eine leichte übersinnliche Begabung geerbt, die sich in seherischen Träumen, Visionen und Ahnungen manifestierte.
Ich schluckte.
Ich hatte auf einmal das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen. Aber ich wusste nicht, was.
Eine Gefahr!, dachte ich. Unsichtbar schien sie über all dem zu schweben, was hier in den hohen Räumen dieses uralten Schlosses geschah, diesen finsteren Mauern, die den Atem des Verfalls auströmten ... Für einen Moment glaubte ich, ihn förmlich spüren zu können.
"Patti, was ist los?"
Wie aus weiter Ferne hörte ich Jims Stimme.
Ich versuchte ein Lächeln.
"Nichts", sage ich. "Alles in Ordnung."
"Du siehst fast so bleich aus wie dieser Ex-Schlagzeuger, der wahrscheinlich so benebelt ist, dass er seine Trommel nicht mehr treffen würde! Selbst die große Bass-Drum!"
"Ich brauche die geistige Energie von euch allen!", rief McRory. "Konzentriert euch und denkt an die Toten ... Ruft sie mit euren Gedanken! Sie sind hier! Und dann sprecht mir nach ..."
Scheinbar sinnlose Worte kamen über McRorys Lippen und die Anwesenden, die das Ganze für eine Alberei hielten, versuchten, diese archaisch klingenden Silben nachzusprechen ... Ich schluckte.
Denn manche dieser Silben erkannte ich wieder.
Sie waren Bestandteil verschiedener magischer Rituale, die in einem Buch mit dem Titel 'Absonderliche Kulte' beschrieben wurden, das um die Jahrhundertwende von einem gewissen Hermann von Schlichten verfasst worden war. Tante Lizzy besaß eines der wenigen, raren Exemplare ... Und ich wusste aus eigener Erfahrung nur zu gut, das nicht alles, was dort zu finden war, nur als reiner Hokuspokus bezeichnet werden konnte ...
Mit offenem Mund sah ich dieser Szene zu, sah wie sich die fröhliche Partygesellschaft in eine eigenartige spiritistische Sitzung verwandelte ...
Immer wieder wurden dieselben geheimnisvollen Silben wiederholt, sodass sich beinahe eine hypnotische Wirkung einstellte.
Die Gäste hatten einen Riesenspaß.
In meinen Augen nahm das Ganze jetzt mehr und mehr Züge eines Alptraums an.
Es wird etwas geschehen!
Der Gedanke ließ mich nicht los. Ich fühlte, wie sich mein Puls beschleunigte.
McRory hob die Hände und die Gäste im Saal folgten seinem Beispiel. Der Singsang wurde schriller und krächzender.
Stimmen überschlugen sich und es entstand ein geradezu ohrenbetäubender Lärm.
Und dann entstand mitten im Raum, etwa einen Meter über den Köpfen der Anwesenden ein grelles Leuchten, das für einen Moment alle blendete.
Der Singsang verstummte, und ein Raunen ging durch die Schar der Gäste. Sie standen mit offenen Mündern und weit aufgerissenen Gesichtern da und staunten. Aber manche von ihnen hielten auch das noch für einen Gag. Irgendeine Art von Zaubertrick, der effektvoll in Szene gesetzt worden war.
Ich hörte verschiedentlich Gelächter.
Kaltes Grausen überkam mich und ich fühlte, wie eine Gänsehaut meine Unterarme überzog, die das lindgrüne Kleid freiließ.
Nein, dies war kein Trick.
Das spürte ich sofort.
Einen Augenblick lang glaubte ich sogar, die mentale Energie spüren zu können, die von dieser Erscheinung ausging.
"Was ist das, Patti?", wisperte Jim neben mir.
"Wenn ich das wüsste!", murmelte ich. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich das Entsetzen, dass in Ted McRorys totenbleichem Gesicht geschrieben stand. Ganz offensichtlich hatte er selbst keineswegs mit dem gerechnet, was hier vor seinen Augen geschah ...
Es sollte nur ein Witz sein ...
Ein Gag ...
Das Leuchten pulsierte und wurde dann schwächer.
Vor unseren Augen bildete sich dann die durchsichtige Gestalt einer Frau. Sie schwebte dort, wo zuvor die Lichterscheinung gewesen war, und veränderte auch nicht ihren Standort. Ihr Haar war strohblond, das Gesicht fein geschnitten und ihre hohen Wangenknochen gaben ihr einen vornehmen Ausdruck.
Aber ihre Augen ...
Ich musste unwillkürlich schlucken, als ich den abgrundtiefen Hass sah, der aus diesen Augen hervorzuspringen schien ...
Suchend schweifte ihr Blick über die schweigende Party-Schar.
Keiner lachte jetzt noch.
Und niemand kicherte, nicht einmal McRory, der bis zur Wand zurückgewichen war.
Der grausame Blick dieser jungen Frau glitt forschend von einem zum anderen. Alle, die sich an diesem Abend auf Gilford Castle befanden, schien sie einer eingehenden Musterung zu unterziehen. Und dann hatte sie Robert Clayton gefunden ...
Sie schwebte auf ihn zu.
Robert runzelte die Stirn.
Sein Gesicht drückte eher Unverständnis und Verwunderung als Furcht aus.
Die Frau streckte den Arm aus und deutete auf den Ex-Musiker. Ihr Gesicht verzog sich zu einer hasserfüllten Grimasse.
Und dann erscholl die Stimme.
Anders konnte man es nicht bezeichnen.
Die Frau bewegte nicht die Lippen. Ihr Gesicht blieb eine Maske. Und doch sprach sie in gewisser Weise. Ihre Worte waren in unseren Köpfen zu hören. Es war eine Gedankenstimme und überall drehten sich Gäste zueinander, sahen sich fragend an und stellten fest, dass sie alle diese fremden Gedanken hören konnten.
Spätestens jetzt musste jedem klar sein, dass dies mit einem Trick nicht mehr das Geringste zu tun haben konnte. Dies war eine Botschaft aus dem Reich des Übersinnlichen ...
"Erinnert Ihr Euch nicht an mich, Sir Henry of Gilford?", rief die Stimme auf eine Weise, die alle Anwesenden zutiefst erschauern ließ.
Vor allem natürlich Robert.
Ich sah, wie er schluckte und etwas hilflos dreinblickte.
Die Gedankenstimme fuhr indessen fort.
"Oder habt ihr mich vergessen? Mich – Joanne, deren Leben Ihr zerstört habt, die Euch verfluchte und die Ihr dafür als Hexe angeklagt und auf den Scheiterhaufen gebracht habt!"
Robert zuckte die Schultern.
Er drehte sich um, so als könnte jemand anderes gemeint sein. Aber diese geheimnisvolle Erscheinung, die sich Joanne nannte, hatte es zweifellos auf ihn abgesehen. Ein schauderhaftes Lachen ertönte oder besser gesagt: Es hallte in unseren Köpfen wider. Von unseren Ohren war es nicht wahrnehmbar.
Hass, Verzweiflung und ein Dutzend anderer düsterer Empfindungen schwangen in diesem schauderhaften Lachen mit und je länger es andauerte, desto schriller wurde es. Am Schluss klang es beinahe wie das Geräusch eines wilden Tieres ...
Joannes Blick, mit dem sie Robert jetzt fixierte, war eisig.
"Ich habe Euch verflucht, Sir Henry! Euch und Eure Seele über die Abgründe des Todes und der Jahrhunderte hinweg ... Ihr könnt mir nicht entkommen ... Meiner Rache entgeht Ihr nicht ... Ihr nicht, Sir Henry of Gilford, und auch all jene nicht, die dieses verfluchte Schloss betreten!"
Ein Schwall unausprechlicher Verwünschungen kam über das Gesicht der hübschen Frau, deren Erscheinung immer blasser und blasser wurde, ehe sie schließlich völlig verschwand und sich buchstäblich in nichts auflöste.
Schweigen herrschte dann einige Augenblicke lang.
Man hätte in diesem Moment eine Stecknadel im Saal fallen hören können. Niemand wagte es, den Mund aufzumachen oder auch nur heftig zu atmen.
Die Blicke waren auf Robert gerichtet.
Es war ihm anzusehen, dass er sich in seiner Haut nicht wohlfühlte und gleichzeitig nicht so recht zu wissen schien, wie er das so eben gesehene einzuordnen hatte.
Er schien unsicher zu sein.
Er griff zum Glas und meinte: "Eine gelungene Überraschung meines alten Band-Kollegen Ted McRory!"
Aber Ted McRory saß indessen wie ein Häufchen Elend in einer Ecke. Er war ein Schatten seiner selbst und zumindest für mich lag es auf der Hand, dass er nie im Leben damit gerechnet hatte, dass sein Ritual eine derartige Wirkung haben konnte ...
Nach diesem Ereignis kam irgendwie nicht mehr die alte Stimmung unter den Gästen auf.
Die meisten zogen sich auf ihre Zimmer zurück, andere debattierten in kleineren Gruppen über das Geschehene.
Jim hatte sich einer dieser Gruppen zugesellt und hörte aufmerksam zu.
"Ein Gag, der fast so gut war, dass man ihn für ein tatsächliches übersinnliches Phänomen halten könnte!", sagte einer der Gäste und das Schaudern war ihm noch anzumerken.
"Woher wollen Sie sicher sein, dass ...", wollte die schrille Rothaarige einwerfen, wurde aber sogleich unterbrochen.
"Geister! Meine Güte, so etwas gibt es in Märchen und Filmen, aber nicht im wirklichen Leben! Nicht einmal an einem so pittoresken Ort wie diesem!"
Ich hatte das Bedürfnis, frische Luft schnappen zu müssen und ging deshalb in Richtung zur Tür. Ich durchquerte die Einganghalle.
Die Tür stand offen und ein kühler Hauch wehte aus der Dunkelheit herein.
Ich trat hinaus auf das Portal und bemerkte eine Gestalt, die sich gegen das Geländer gelehnt hatte und hinaus in die Nacht blickte.
Es war Robert Clayton.
Und er wirkte äußerst nachdenklich.
Als er mich bemerkte, drehte er den Kopf herum. Der Mond stand wie eine runde, leuchtende Scheibe am Himmel.
Sein fahles Licht ließ Roberts Gesicht bleich erscheinen.
"Ich sehe, Sie haben auch einen gehörigen Schrecken bekommen", meinte er und lächelte verhalten dabei. Ich trat auf ihn zu und zuckte die Schultern. Da ich schon häufiger mit tatsächlichen übersinnlichen Phänomenen zu tun gehabt hatte, war mein Schrecken möglicherweise sogar deutlich kleiner als der seine. Denn ich wusste, dass es solche Dinge wirklich gab.
Es gab Bereiche der Existenz, die von der herkömmlichen Wissenschaft noch nicht zu erklären waren.
"Diese Erscheinung hat Sie direkt angesprochen, Robert ...", stellte ich fest.
Er nickte düster und sein Blick ging in die Ferne – zu jenem Hügel hin, auf dem selbst in der Nacht die Ruinen von Mornsley Castle als düsterer Schattenumriss zu sehen waren ...
"Ich weiß nicht, wie er es gemacht hat ..."
"Wer?", fragte ich.
"Ted McRory, unser ehemaliger Schlagzeuger ... Es sah wirklich so aus, als ob ..." Er schwieg.
Ich sagte: "Ich glaube, Ted McRory war selbst erschrocken über die Wirkung dieses Rituals. Und dann die Gedankenstimme ..."
Robert lachte kurz auf.
"Ein passendes Wort dafür!", fand er. Er sah mich erstaunt an. "Mein Manager hat mir gesagt, dass Ihr Spezialgebiet eigentlich nicht die Musikbranche ist, sondern das Übersinnliche ... Sie haben viele Artikel über solche Phänomene geschrieben."
"Das ist richtig", erwiderte ich.
"Und Sie glauben wirklich, dass das hier kein Trick gewesen ist?"
"Ja."
"Seltsam ...", murmelte er. Auf seiner Stirn erschienen Falten. Sein Blick war nach innen gekehrt.
"Was?", fragte ich.
"Vielleicht ist es ein glücklicher Umstand, dass Sie hier sind ... Auch deshalb, weil Sie mehr über diese Dinge zu wissen scheinen."
"Es ist lediglich so, dass ich mich nicht weigere, Tatsachen anzuerkennen, die ungewöhnlich sind ..."
Er lächelte.
Seine braunen Augen sah mich einen Moment lang an und sagte dann: "Ich habe bislang mit kaum einem Menschen darüber gesprochen, aber ... Wissen Sie, nach der wilden Zeit mit der Band geriet ich in eine Art Krise. Eine Sinnkrise. Ich habe mir über alles mögliche Gedanken gemacht und nach Antworten gesucht. Ich habe mich auch in eine sogenannte Reinkarnationstherapie begeben ... Ich nehme an, dass Sie wissen was das ist!"
Ich nickte.
"Ja. Man wird mittels Hypnose in frühere Lebensphasen versetzt. Der Prozess wird so weit getrieben, dass er über den Zeitpunkt der Geburt hinausgeht ..."
"Bis in frühere Leben!", vollendete Robert. "Es gibt Psychotherapeuten, die meinen, dass die Schwierigkeiten, die man in diesem Leben hat, aus ungelösten Problemen vorhergehender Leben resultieren ... Nun, in einem meiner früheren Leben trug ich den Namen Sir Henry of Gilford ..."
Ich sah ihn erstaunt an.
Sein Lächeln wirkte matt.
"Der Herr von Gilford Castle?"
"Ja. Ich residierte als Ritter auf diesem Schloss und ..."
Er schluckte. "Ich sah Szenen von Gewalt und Kampf, aber ich wusste nicht, wer gegen wen zu Felde zog. Und dann war das Gesicht jener Frau, die uns heute erschienen ist ..."
"Joanne."
Er nickte.
"Ja. Ich liebte sie, aber sie mich nicht." Er seufzte hörbar. "Sehen Sie, nachdem ich in diesen Hypnosesitzungen war und von meiner Existenz als Sir Henry erfuhr, konnte ich einfach nicht widerstehen, als Gilford Castle zum Verkauf angeboten wurde. Es war beinahe ein innerer Zwang, wenn Sie verstehen, was ich meine."
Er nahm meine Hand und ein prickelndes Gefühl lief mir den Arm hinauf.
"Patricia ...", sagte er dann. Der Blick seiner braunen Augen ging mir durch und durch. Ich musste unwillkürlich schlucken. "Ich bin froh, dass Sie mir zugehört haben ... Die meisten halten einen nur für verrückt."
"Nach diesem Erlebnis heute Abend wohl kaum ..."
Er zuckte die Schultern.
"Die meisten dieser Leute werden noch immer an irgendeinen Trick glauben ..."
Ich sah ihn ernst an.
"Es war eine unverhohlene Drohung, die diese Erscheinung ausgestoßen hat!", erklärte ich. "Wir sollten sie ernst nehmen ..."
"Meinen Sie wirklich?"
Seine Stimme hatte ein dunkles, tiefes Timbre.
Ein Klang, der sehr angenehm war.
Fast unmerklich waren wir etwas näher gerückt. Ich konnte sein Aftershave riechen.
Die Nähe dieses Mannes verwirrte mich etwas und versetzte mich in einen Zustand angespannter Erregung. Ich wusste nicht genau, was ich empfand. Irgendwie zog er mich an. Zwischen uns existiere eine prickelnde Spannung. Ich hatte das Gefühl, als könnte jeden Moment ein Funke von einem zum anderen überspringen ...
Unsere Blicke verschmolzen und ich fühlte mich in diesem Moment Robert Clayton sehr nahe.
Und das, obwohl ich ihn im Grunde kaum kannte. Und doch war da bereits ein Gefühl großer Vertrautheit. So als hätten wir uns früher gut gekannt und uns nun, nach langer Zeit, wiedergefunden. In gewisser Weise stimmte das ja auch.
"Ach hier bist du!", ließ mich dann eine bekannte Stimme herumwirbeln.
Es war niemand anderes als Jim Field.
Ich atmete tief durch.
Du weißt auch immer genau, wann du am meisten störst!, ging es mir durch den Kopf. Aber wirklich ärgerlich war ich nicht auf ihn.
Als wir auf unsere Zimmer gehen wollten, nahmen wir aus Versehen den falschen Treppenaufgang und gelangten in einen breiten, weitläufigen Flur, der große Ähnlichkeit mit jenem hatte, an dem unsere Quartiere lagen.
Charles, der Butler, kam uns entgegen und klärte uns über unseren Irrtum auf.
"Gilford Castle ist ein wahres Labyrinth", meinte ich.
Und der Butler zeigte Verständnis.
"Ich verstehe sehr gut, was Sie meinen. In den ersten Jahren hier habe ich mich auch des Öfteren vertan ... Kommen Sie, ich bringe Sie zu Ihren Quartieren ..."
Doch ich blieb stehen.
Mein Blick war geradezu gefesselt von einem der großen Gemälde aus Öl, die an der Wand hingen.
Bei den meisten handelte es sich um Portraits.
Besonders das Portrait eines Ritters hatte mich in seinen Bann geschlagen. Ich blickte in braune Augen und fein geschnittene Züge. Aber in den Augen leuchtete etwas, das mich erschauern ließ. Wilde Entschlossenheit bis hin zu Grausamkeit. Die Hand hielt dieser Ritter fest um den Knauf seines Schwertes.
Ich erschrak.
Das Gesicht ...
Es sah Robert Clayton auf eine Weise ähnlich, die geradezu unheimlich war ...
"Wer ist auf diesem Bild dargestellt?", fragte ich Charles.
"Sir Henry of Gilford, der um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts hier residierte ..."
"Er sieht Robert sehr ähnlich."
"Finden Sie?" Der Butler klang reserviert und kühl, wie stets.
"Von wann stammt das Bild?"
"Oh, ich glaube aus dem 18. Jahrhundert. Im Mittelalter hat man auf diese Weise noch nicht malen können. Soweit ich weiß, hat es der damalige Schlossherr nach einem alten Kupferstich anfertigen lassen, der Sir Henry darstellte ... Eigentlich hat es mal eine Ölgalerie aller Schlossherren bis 1798 gegeben, aber die meisten Bilder fielen einem Brand zum Opfer. Dies ist eines der wenigen, die gerettet werden konnten und bis heute erhalten sind ..."
Ich sah den Butler etwas erstaunt an.
"Sie scheinen sich ziemlich intensiv mit der Geschichte dieser Burg auseinandergesetzt zu haben ..."
"Madam – ich bin ein Teil davon, wenn auch ein sehr später!"
"Ich verstehe."
"An diesem Ort ist die Vergangenheit jederzeit spürbar. Es ist schon so ähnlich, wie Mister McRory heute Abend sagte. Auf gewisse Weise leben die Geister der Toten und an gewissen Orten glaubt man, ihnen näher zu sein ..."
"Und dies ist ein solcher Ort?"
"Zweifellos", erklärte er. "Zweifellos ..."
Wir ließen uns zu unseren Räumen bringen und als wir dort angelangt waren, fragte ich ihn noch: "Was wissen Sie über diesen Sir Henry ..."
"Wissen?", echote der Butler und zum ersten Mal erschien auf seinem Gesicht so etwas wie die blasse Ahnung eines Lächelns. In seinen Augen flackerte etwas auf, das ich nicht zu deuten wusste. "Ich weiß nicht, ob 'wissen' in diesem Zusammenhang das richtige Wort ist, Madam. Ich weiß nur, was über Sir Henry erzählt wird ... Sagen, die in dieser Gegend von Generation zu Generation weitergegeben werden und bei denen schwer abzuschätzen ist, wie groß der geschichtliche Kern wirklich ist ..."
"Erzählen Sie es mir trotzdem. Und sagen Sie mir auch, ob Sie etwas über diese Joanne wissen ..."
Er hob die Augenbrauen.
"Der Vorfall von heute Abend scheint sie sehr zu beschäftigen, Miss Vanhelsing."
"Sie nicht?"
Darauf bekam ich keine Antwort. Stattdessen berichtete mir der Butler von der Legende, die es über Sir Henry und Lady Joanne gab ...
"Sir Henry of Gilford liebte eine junge Lady namens Joanne. Seine Liebe war derart stark, dass sie schon beinahe an einen Wahn heranreichte. Tragischerweise erwiderte Joanne diese Liebe nicht. Sie fühlte sich vielmehr zu Sir Wilfried of Mornsley, den Nachbarn derer von Gilford, hingezogen und wollte ihn heiraten. Sir Henry konnte das nicht verwinden. Er kam mit einer Schar Gefolgsleute, legte Mornsley Castle in Schutt und Asche und tötete Sir Wilfried in einem erbitterten Kampf."
"Und Joanne?", hakte ich nach.
"Sie musste dies mit ansehen und verfluchte Henry über den Abgrund des Todes hinweg, wie es in einer alten Chronik heißt. Sir Wilfried ließ Joanne auf seine Burg führen und gefangen nehmen. Als wenige Monate später die Pest diesen Landstrich heimsuchte, erinnerte sich Sir Henry ihres Fluchs und bekam große Furcht. Er klagte Joanne der Hexerei an und ließ sie hinrichten ... Noch auf dem Scheiterhaufen soll sie ihren Racheschwur erneuert und bekräftigt haben ..." Der Butler atmete tief durch und fügte dann hinzu: "Es ist spät. Sie sollten jetzt zu Bett gehen. Aber wenn Sie Interesse haben und Mr. Clayton es erlaubt, dann werde ich sie gerne in das Archiv von Gilford führen. Es befindet sich unter dem Dachboden und wurde durch meinen vorhergehenden Herrn sehr gut in Ordnung gehalten. Ich habe ihm oft bei der Archivierung assistiert."
"Ich danke Ihnen", sagte ich.
Ich sah ihm noch einige Augenblicke lang nach, bevor er schließlich hinter der nächsten Ecke verschwand.
"Ich frage mich, was wir heute Abend gesehen haben", meinte Jim. "Hast du eine Ahnung?"
"Jedenfalls keinen Zaubertrick à la David Copperfield!"
"Bist du dir sicher?"
Ich seufzte.
Was sollte ich ihm sagen? Dass ich es gewissermaßen wusste? Dass ich die mentale Energie, die von dieser Erscheinung ausgegangen war, geradezu gespürt hatte? Meine seherische Gabe war ein Geheimnis zwischen mir und Tante Lizzy. Und auch wenn Jim und ich uns ziemlich nahestanden, wollte ich ihm doch kein Sterbenswörtchen darüber sagen ...
Niemand sollte davon erfahren, solange das irgendwie möglich war. Schon deswegen nicht, weil die meisten Menschen dann sofort an dem Verstand desjenigen zu zweifeln beginnen, der solche Dinge behauptet. Ich selbst hätte noch vor gar nicht allzu langer Zeit einen solchen Bericht nur mit großer Skepsis zur Kenntnis genommen. Schließlich handelte es sich bei den meisten, die solche Fähigkeiten zu haben vorgaben, in Wahrheit tatsächlich um Scharlatane oder Geldschneider.
Manchmal auch um Psychopathen, die keine andere Möglichkeit sahen, in die Medien zu kommen.
Es hatte eine ganze Weile gedauert, ehe ich diese Gabe hatte akzeptieren können. Tante Lizzy hatte mich immer wieder darauf gestoßen und mir gesagt, dass es keinerlei Sinn machte, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Ich musste lernen, mit meiner Gabe umzugehen und versuchte es, so gut ich konnte ...
"In einer Beziehung verstehe ich diesen Clayton nicht", sagte Jim dann.
"Wovon redest du?"
"Von diesen ganzen Schnorrern, die seine Burg bevölkern. Bei manchen mag es sich ja um echte Freunde handeln oder um Leute aus der Musikbranche, die er zu diesem Fest eingeladen hat. Aber ich habe mich ein bisschen umgehört. Andere scheinen hier mehr oder minder ihren zweiten Wohnsitz zu haben ..."
"Vielleicht fühlt er sich einsam."
"Robert Clayton?"
"Warum nicht?"
"Das wäre eine Erklärung ... Ich würde mich jedenfalls nicht so ausnutzen lassen ..."
"Ich glaube nicht, dass er das so empfindet, Jim!"
"Wie auch immer. Ich hatte übrigens vor diesem Ted McRory auf den Zahn fühlen, aber ..."
"Aber was?"
"Er war plötzlich verschwunden. Ich konnte ihn nirgendwo auftreiben ..."
Ich sah ihn an. Er hatte Ringe unter den strahlend blauen Augen und ich sah vermutlich nicht besser aus. Es war ein anstrengender Tag gewesen.
"Gute Nacht, Jim", sagte ich.
"Gute Nacht."
Ich schlief schlecht in jener Nacht.
Immer wieder wurde ich von einem furchtbaren Alptraum heimgesucht. Verbissen sah ich zwei Ritter im Kettenhemd, Harnisch und mit heruntergelassenen Visieren miteinander kämpfen. Die geradezu monströsen Beidhänder-Schwerter wurden mit voller Wucht gegeneinandergeschlagen, und die Kämpfer taumelten mehr als einmal beinahe zu Boden. Dumpf war das Keuchen unter ihren Helmen zu hören.
Flammen loderten und erhellten die Nacht.
Und dann sah ich das Gesicht Joannes.
Weit aufgerissen waren die Augen, und sie schrie.
"Nein!"
Ich erwachte und der Puls schlug mir bis zum Hals. Es dauerte etwas, ehe sich mein Atem wieder einigermaßen beruhigt hatte.
Ich schlug die Decke zur Seite und stand auf.
Draußen trieb ein kräftiger Wind die Wolken vor sich her.
Ab und zu kam der Mond als große runde Scheibe zum Vorschein, deren fahles Licht durch die hohen Fenster in mein Zimmer hineinleuchtete.
Barfuß und lautlos ging ich über den kalten Steinboden und erreichte schließlich eines der Fenster. Ich hatte Gefühl, unbedingt frische Luft zu brauchen und öffnete es. Ein kühler Hauch blies mir entgegen und fuhr mir durch das schulterlange Haar.
In der Ferne sah ich Mornsley Castle, jenen verwunschenen Ort, über den man sich in der Gegend Geschichten erzählte.
Der Traum kam mir wieder in Erinnerung.
Schlaglichtartig tauchten die Bilder wieder vor meinem inneren Auge auf. Ich hatte sofort gewusst, dass es einer jener Träume gewesen war, die mit meiner Gabe zusammenhingen.
Ich wusste ihn nur nicht zu deuten.
Alles war so verworren ...
Und dann sah ich im Licht des Mondes eine Gestalt im Burghof. Nur als schattenhafter Umriss war sie zu erkennen.
Wie in Trance ging sie daher und einen Augenblick später war sie verschwunden.
Verzweifelt versuchte ich, sie wiederzufinden.
Vielleicht spielen deine überreizten Nerven dir einen Streich!, ging es mir durch den Kopf. Aber ich glaubte nicht daran.
Als ich mich vom Fester abwandte, hatte ich plötzlich eine Vision.
Ich sah die etwas schrill gekleidete rothaarige Frau, mit der Jim sich lange unterhalten hatte vor meinem inneren Auge.
Das Gesicht war von blankem Entsetzen gezeichnet ...
Kaum den Bruchteil einer Sekunde sah ich dieses Gesicht vor mir, aber es hatte mich zutiefst erschrocken.
Es wird etwas geschehen ...
Ich hatte ein ähnlich beklemmendes Gefühl wie kurz vor jener Geistererscheinung, die McRory durch sein Beschwörungsritual herbeigeführt hatte.
Ich legte mich zurück ins Bett und lag noch lange wach, ehe ich endlich in einen traumlosen, wenngleich unruhigen Schlaf fiel.
Die Gestalt schwebte durch den Flur. Sie war transparent.
Joannes Gesicht war ebenmäßig und schön, aber in ihren blauen Augen leuchtete der Hass.
Zielstrebig ging es die langen Korridore entlang.
"Verflucht seien diese modrigen Mauern und alle die in ihnen wohnen!"
Ihr Mund bewegte sich nicht.
Ihre Hände waren geöffnet, die Arme ausgestreckt.
"Wehe Euch!"
Der Gedanke an Rache schüttelte sie und war gleichzeitig ihre Antriebsfeder. Rache ...
So lange hatte sie darauf warten müssen ...
So lange ...
Und nun!
Irgendetwas – eine Kraft, die sie nicht verstand – hatte sie dem Nebel der Zeit entrissen. Und jetzt war sie hier, in diesen verfluchten Mauern ...
Auf Gilford Castle, wo sie eine Gefangene gewesen war.
Dort, wo jener Mann residiert hatte, der alles zerstörte.
Alles, was ihr etwas bedeutet hatte. Tiefer Grimm leuchtete aus ihren Augen. Und der Wunsch, zu töten.
Sie erreichte eine Tür.
Sie bedeutete kein Hindernis für sie. Ihre transparente Gestalt, die sich in manchen Moment beinahe völlig aufzulösen schien, schwebte einfach durch das massive Ebenholz hindurch, aus der die Tür gefertigt war.
Und dann ...
Joanne nahm all ihre Kraft zusammen. Sie fühlte, wie sie tiefer sank und schließlich mit den Füßen den kalten Steinboden berührte.
Ja, sie konnte sie sogar fühlen, diese Kälte!
Joanne erschauerte kurz unter dieser Empfindung.
Sie blickte auf ihren Arm, sah, wie er mehr und mehr materialisierte. Schließlich war er nicht mehr transparent, sondern schien aus so realem Fleisch zu bestehen, wie es bei jedem gewöhnlichen Menschen der Fall gewesen wäre. Joanne brauchte all ihre Kraft dafür, um diesen Zustand aufrechtzuerhalten. Aber sie würde es schaffen ...
Sie wusste es.
Ihr hasserfüllter Blick glitt durch das Zimmer.
Dann sah sie das Bett, in dem eine junge Frau schlafend lag. Das Gesicht sah ihm fahlen Mondlicht so bleich wie das einer Toten aus ...
Joanne ging auf das Bett zu.
Ihre Schritte waren federleicht, aber immerhin waren es jetzt Schritte. Sie schwebte nicht mehr. Ihr kalter Blick ruhte auf dem Gesicht der Schlafenden. Das Lächeln um Joannes hübschen, volllippigen Mund war eisig wie der Tod selbst.