Die Meute - Gregg Hurwitz - E-Book

Die Meute E-Book

Gregg Hurwitz

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Beschreibung

Die schwangere Dray wird von dem Anführer einer brutalen Biker-Gang niedergeschossen. Voller Wut nimmt ihr Mann, US Marshal Tim Rackley, die Verfolgung auf. Bei seiner Suche stößt er auf terroristische Verbindungen der Gang und auf eine neue, hochwirksame Form flüssigen Heroins namens "Allahs Tränen"...

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Dies ist ein fiktives Werk. Alle in diesem Roman dargestellten Personen, Organisationen und Ereignisse sind entweder ein Produkt der Fantasie des Autors oder werden fiktiv verwendet.

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Die englische Originalausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Troubleshooter« bei William Morrow.

An Imprint of Harper Collins Publishers, New York.

Deutsche Ausgabe 2024

Copyright © 2005 by Gregg Hurwitz

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 Ronin Hörverlag: Ronin Hörverlag, Heusteg 47, 91056

Erlangen

Die Rechte an der Nutzung der deutschen Übersetzung von Wibke Kuhn liegen bei der Verlagsgruppe

Droemer Knaur GmbH & Co. KG Maria-Luiko-Str. 54, 80636 München

Umschlaggestaltung: by wayan-design unter Verwendung von Motiven von Shutterstock AI Generator

E-Book-Konvertierung: Open Publishing GmbH

ISBN: 978-3-98955-525-9 (E-Book)

Für Informationen wende dich an Ronin Hörverlag, Heusteg 47, 91056 Erlangen

www.ronin-hoerverlag.de

DIE MEUTE – IM SOG DER WUT

Gregg Hurwitz

Aus dem Amerikanischen von Wibke Kuhn

Für Jordan Peterson

Professor, Psychologe, Autor, Gelehrter, Geschäftsmann, Komponist, Kunstsammler, Mentor und manchmal Pastor.

Der den Geist eines Forschers besitzt, die Seele eines Dichters und – das ist wohl das Wichtigste – das Herz eines Outlaw-Bikers.

ÜBER DEN AUTOR

Gregg Hurwitz ist Anfang fünfzig und wuchs in der Nähe von San Francisco auf. Er studierte Englisch und Psychologie an der Harvard University sowie in Oxford/Großbritannien, wo er seine Magisterarbeit über Shakespeares Tragödien schrieb. Er hat Aufsätze in akademischen Zeitschriften publiziert, Drehbücher verfasst und bereits mehrere Spannungsromane veröffentlicht, die von der US-Kritik und Schriftstellerkollegen einhellig gelobt wurden. Mit Das Tribunal, dem ersten Band der Tim-Rackley-Reihe, gelang ihm in den USA der Durchbruch als Thrillerautor. Die Meute ist der dritte Roman dieser Serie. Gregg Hurwitz lebt in Los Angeles.

INHALT

Die Meute – Im Sog der Wut

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

53. Kapitel

54. Kapitel

55. Kapitel

56. Kapitel

57. Kapitel

58. Kapitel

59. Kapitel

60. Kapitel

61. Kapitel

62. Kapitel

63. Kapitel

64. Kapitel

65. Kapitel

66. Kapitel

67. Kapitel

68. Kapitel

Danksagung

Weitere Titel von Gregg Hurwitz

1. KAPITEL

Den Laurey zerrte an seinen Handschellen, so dass sich seine Schultern unter der Gefängniskleidung wölbten und die Muskeln unter seinem »FTW«-Tattoo spielten, das direkt über seinem Schlüsselbein lag. Er trug ein amüsiertes Lächeln zur Schau, bei dem er rechts und links jede Menge Zahnfleisch entblößte. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme hatte man in die Kette seiner Fußfessel einen Knoten gemacht, auf diese Weise war der Abstand zwischen seinen Knöcheln verringert. Kaner saß neben ihm auf der Rückbank des Transporters, leicht gebückt, um sich nicht den Kopf am Dach zu stoßen, wenn das Fahrzeug über eine Bodenwelle fuhr. Kaners Arme hatte man mit zwei ineinandergehakten Paar Handschellen fesseln müssen, da er zu breit gebaut war, um seine Handgelenke auf dem Rücken nebeneinanderlegen zu können. Als ehemaliger Sparringspartner von Tyson – während dessen Gefängnisaufenthalts – hatte er mehr als einmal seine Handschellen zerbrochen, darum hatte man ihm noch ein weiteres Paar um die Unterarme gelegt. Unter seinem wilden schwarzen Haarschopf sah eine eintätowierte Zweiundzwanzig hervor, die einen früheren Gefängnisaufenthalt verriet. Sein Gesicht war breit und derb, und seine fleischigen Ohrläppchen hatten kleine Fältchen dort, wo sie an seinem Schädel anlagen.

Den, Präsident der Nomads, eines frei umherziehenden Chapters der Laughing Sinners, und Kaner, der Enforcer der Biker-Gang, wurden unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen direkt nach ihrer Verurteilung ins Bezirksgefängnis San Bernardino gebracht, von wo sie mit Con Air in eine staatliche Strafanstalt überführt werden sollten. Sie waren für Folter und Ermordung von drei Mitgliedern der Cholos verurteilt worden, ein Racheakt für einen erschossenen Sinner. Den, der für seinen virtuosen Umgang mit dem Messer bekannt war, hatte die Köpfe der Opfer mit chirurgischer Präzision abgetrennt und sie ihnen in den Schoß gelegt. Vorsichtshalber hatte er noch ihre Herzen herausgenommen und sie auf der Schwelle des Cholo-Clubgebäudes deponiert. Diese Geste trieb den Streit zwischen Sinners und Cholos um einige Eskalationsstufen voran – ein Territorialstreit, in dem es um die Kontrolle über die Hauptverkehrswege des südkalifornischen Drogenhandels ging.

Deputy U. S. Marshal Hank Mancone, der unerschütterlich am Steuer des Transporters saß, war der Einzige in diesem Konvoi aus drei Autos, der weder Gefangener noch Mitglied einer Spezialeinheit war.

Frankie Palton auf dem Beifahrersitz, die vier Deputy Marshals im gepanzerten Suburban hinter ihnen und die beiden Männer in dem Fahrzeug, das fünf Meilen vor ihnen fuhr, gehörten alle zu der Spezialeinheit des Bezirks, die man einschaltete, wenn es um taktische Operationen oder Transporte auf höchster Sicherheitsstufe ging. Mancone war ebenfalls Deputy, aber da er schon fast das Rentenalter erreicht hatte und ganz zufrieden damit war, über seinen beschränkten Wirkungskreis zu meckern, zeigte er wenig Interesse an irgendwelchen Spezialeinheiten, es genügte ihm, sie hin und wieder zu chauffieren.

Palton drehte sich auf seinem Sitz um und fing durch die vergitterte Trennscheibe Dens selbstzufriedenes Grinsen auf.

»Hübsche Tattoos.«

»Unsere Klamotten könnt ihr uns wegnehmen, aber nicht unsere Farben.«

»Was heißt denn FTW?«

»Fuck the World.«

»O Gott, noch so ein paar rührende Sprüche, dann werden mir die Augen feucht.«

Das Funkgerät knatterte. Jim Denley, Paltons Partner, meldete sich aus dem Auto hinter dem Transporter. »Schau mal rechts raus. Da kommen noch ein paar Biker.«

Palton warf einen Blick in den Seitenspiegel. Zwei Biker fuhren auf ihren röhrenden Maschinen vorbei, auf dem Soziussitz ihre heißen Bräute, die sich an ihre Rückenlehnen schmiegten und den Deputys träge zuwinkten. Drei weitere Biker fuhren rechts vorbei. Auf dem Rücken ihrer Lederjacken prangten ihre Farben und die verschmutzten Clublogos.

Mancones Griff ums Steuer lockerte sich erst wieder, als sich das Heulen der Harleys langsam entfernte. »Warum sind denn so viele Biker unterwegs heute?«

»Jetzt mach dich mal locker, Mann des Gesetzes«, tönte Den von hinten. »Das liegt an der Jahreszeit. Da findet der Love Ride in Glendale statt, der Long Beach Swap, der San Dog Run, die Left Coast Rally in Truckee, der Big Bear Ride, der Mid-State Holiday Hog Run in Paso Robles, der Squaw Rock Run, das Desert Whirlybird Meet.« Sein Grinsen erschien im Rückspiegel. »Im Moment sind sämtliche Möchtegerns auf den Straßen.«

Unter Kaners zotteligen Strähnen tönte seine Drei-Schachteln-am-Tag-Stimme hervor: »Aber die sind immer noch besser als ihr anständigen Bürger – ihr könnt ja nur in euren Käfigen spazieren fahren.«

»Hast du das gehört, Mancone?«, fragte Palton. »Wir müssen uns überhaupt keine Sorgen machen. Alles nur Möchtegerns. Und ich dachte schon, es gäbe einen Grund, warum ich diese Waffe trage.«

»Wenn ihr euch über so ein paar Wochenendkrieger aufregen wollt, bitte sehr«, meinte Den.

Aus dem Auto hinter Palton hörte man: »Scheiße. Schmierlappenalarm Nummer zwei.«

Zwei Reihen von Bikern drehten die Motoren hoch und fuhren rechts und links vom Transporter vorbei. Die aufgenähten Lederstreifen über den Logos auf ihren Jacken wiesen sie als Cholos aus. Unten konnte man ihre Ortsgruppe ablesen: PALMDALE. Wenige Minuten später fuhr ein dicker Biker an ihnen vorbei und sah sich die Gefangenen genau an. Als er verlangsamte, um sie anzuglotzen und ihnen den Mittelfinger zu zeigen, hob Palton seine MP5 an, bis der Schaft sichtbar wurde. Der Cholo gab Gas, sein Pferdeschwanz flatterte im Wind, und dann sah man die Beschriftung unten auf seiner Jacke: NOMAD.

Den lachte und rieb sich die Wange an der Schulter. »Der gute alte Meat Marquez. Seit seine Nomad-Kumpels ihr frühzeitiges Ende gefunden haben, muss der arme kleine Latino ganz alleine durch die Gegend fahren.«

Sie bogen um eine Kurve, hinter der sie der Anblick von Hunderten von Bremslichtern begrüßte. Während Mancone fluchend auf Schritttempo verlangsamte, funkte Palton das vorausfahrende Auto an. »Was ist denn mit dem Verkehr los?«

»Was für Verkehr? Wir sind ganz glatt durchgekommen.«

»Gab’s da ’nen Unfall?«

»Wahrscheinlich, aber haltet die Augen offen. Wir fahren an die Seite und warten.«

Sobald der Verkehr ganz zum Stillstand gekommen war, hielt ein Biker in einem Staubmantel, der ein paar Längen vor ihnen gefahren war, plötzlich an, an einer Stelle, an der sich der Abstand zwischen den stehenden Autos verringerte. Obwohl er auffällig klein war, strahlte er ein massives Selbstbewusstsein aus. Er drehte sich um und blickte zurück, so dass sich der Transporter in seinem Visier spiegelte. Das auffällige Indian-Logo verriet den Hersteller des Rahmens, aber der Rest des schlanken Motorrads schien eine Sonderanfertigung zu sein. Auf der linken Seite hing eine lederne Satteltasche, das Gegenstück auf der rechten fehlte jedoch. Der Biker ließ den Motor aufheulen, so dass man seine zornigen tausendzweihundert Kubik hörte.

Wieder Jims Stimme aus dem Funkgerät, und Palton antwortete: »Ja, wir haben ihn. Sieht aus, als würde er zu keiner bestimmten Gruppe gehören – er trägt jedenfalls keine Farben.«

Eine Harley fuhr auf der weißen Linie zwischen den Autoschlangen entlang, bis sie rechts neben dem Suburban und dem Transporter angekommen war. Der helmtragende Fahrer hielt sich ein paar Meter hinter dem anderen Biker, der im Leerlauf wartete.

Palton fasste seine Waffe fester und warf einen Blick in den Seitenspiegel. Jim hatte den Schaft seiner MP5 schon an der Schulter abgestützt, so dass sie jeden Moment einsatzbereit war. Unter dem linken Vorderrad des Suburban lag irgendetwas auf dem Boden. Palton justierte den Rückspiegel, bis er das Objekt identifizieren konnte.

Eine lederne Satteltasche.

Palton blickte wieder hoch und sah die leere rechte Seite der Indian vor ihm. Er hob die Waffe und fuhr herum. Den und Kaner hatten sich auf den Boden geworfen, kauerten sich gegen die Sitze und hielten sich schützend die Arme über den Kopf. Palton griff nach dem Funkgerät: »Scheiße, schnell runter von der …«

In diesem Moment hob der Biker auf der Harley einen feuerzeuggroßen Zünder. Seine behandschuhte Hand drückte zu. Ein dumpfes Donnern. Der Suburban wurde von der Eruption des Feuerballs nach oben gehoben und fiel auf die Seite. Die Autos rundherum wurden durch die Druckwelle zur Seite gedrückt, die die Türen einbeulte und Fenster splittern ließ.

Der Transporter, dessen Heck von der Explosion des Fahrzeugs hinter ihm hochgeschleudert worden war, schlitterte auf den Vorderreifen vorwärts und schlug direkt neben der Harley wieder auf den Boden auf. Die Sicherheitsgurte schnürten sich Palton und Mancone abrupt in die Eingeweide, ihre Waffen knallten gegen das Armaturenbrett. Die Indian stand auf dem Ständer, der Biker saß umgekehrt auf dem Sitz und zielte mit einem AR-15 auf sie, das er unter seinem Mantel hervorgezogen hatte.

Die zwei Deputys blickten auf, als die erste Kugelsalve gegen das Fenster peitschte und sich in das Panzerglas fraß. Die innere Schicht splitterte zuerst, die Glasscherben flogen ihnen ins Gesicht. Als die Windschutzscheibe schließlich ganz nachgab, zuckten ihre Körper nur noch unkontrolliert wie Marionetten.

Der Mann war von seiner Harley gestiegen und schoss nun auf das Schloss der Schiebetür an der Seite des Transporters. Als sie schließlich aufglitt, warf er seine Waffe zu Boden und fing den Bolzenschneider auf, den sein Partner ihm zuwarf. Den rollte sich an den Rand und hielt ihm erst die Arme, dann die Beine hin, damit die Stahlkiefer des Werkzeugs kurzen Prozess mit den Ketten zwischen seinen Fesseln machen konnten. Dann sprang er aus dem Transporter und auf die führerlose Harley, wobei die Fesseln an seinen Handgelenken und Fußknöcheln mit ihren herabbaumelnden Ketten klirrten wie Schmuck. Als Kaner aus dem Transporter sprang, blieb er mit seiner Gefängniskleidung an einer scharfen Kante an der Tür hängen und zerriss den Overall dabei von oben bis unten. Kaner schwang sich hinter Den auf die Maschine, ihr Retter stieg hinten auf die Indian auf, und dann fuhren die beiden Motorräder in verschiedene Richtungen davon.

Die vier Deputys in dem umgestürzten Suburban rangen mit ihren Sicherheitsgurten, husteten Glas aus und bluteten aus den Ohren. Zwei Motorradreifen rasten an ihnen vorbei, allerdings in die falsche Richtung. Unzählige Alarmanlagen heulten, der gequälte Schrei eines Verletzten ging in ein Gurgeln über.

Der Wind erfasste die frei herabhängenden Ketten an Dens und Kaners Fesseln und zog sie in die Horizontale. Kaners Hemd wurde vom Fahrtwind aufgerissen und entblößte seinen Rücken, auf dem er sich in Orange und Schwarz das Clublogo hatte eintätowieren lassen. Sie jagten davon, und der flammende Totenschädel auf dem pfeilschnellen Motorrad brüllte den Toten und Verletzten ins Gesicht.

2. KAPITEL

Silber klapperte auf Porzellan, während die weiß behandschuhten Kellner die Überreste eines Fünfhundert-Dollar-pro-Teller-Mittagessens abräumten. Marshal Tannino stand plaudernd mit anderen politischen Koryphäen von Los Angeles zusammen und wirkte leicht deplatziert mit seinem wohlfrisierten, graumelierten Haar und seinem Anzug aus dem Kaufhaus. Er zupfte an seinen zu kurz geratenen Hemdsärmeln, damit man die goldenen Manschettenknöpfe mit dem Marshal-Stern sehen konnte, und blinzelte zu der Frau mit den chardonnayfarbenen Haaren empor, die mit einem Glas Weißwein in der Hand vor ihm stand.

»Wenn wir uns ernsthaft fragen, ob wir weitere Mittel einsetzen wollen …«

Im riesigen Ballsaal des Beverly Hills Hotels wurde plötzlich irgendjemand angepiepst – mit einer kitschigen Elektroversion von »Jingle Bells«.

»… wenn wir die Gerichte völlig sicher machen wollen, müssten wir …«

Der nächste Piepser stimmte mit seiner schiefen Melodie ein, und im nächsten Moment zirpte ein ganzes Heer los. Tannino warf einen Blick nach unten und sah mit gerunzelter Stirn seinen eigenen Piepser an. »Entschuldigen Sie mich, Euer Ehren.«

Abgeordnete wie Deputys liefen auf die Ausgänge des Ballsaals zu, wobei sie überprüften, ob ihre Handys hier Empfang hatten. Tannino war schon halb in der Lobby, da kam der städtische Staatsanwalt auf ihn zu und hielt ihm sein Nextel hin: »Es ist der Bürgermeister.«

Tannino hielt sich das Telefon ans Ohr, ohne stehen zu bleiben. »Ja, Sir. M-hm. M-hm.« Seine Gesichtszüge wurden auf einmal hart. Während er weiter zuhörte, angelte er sein Handy aus der Tasche, hielt es auf Hüfthöhe und drückte eine Kurzwahltaste. »Sofort, Sir.«

Dann gab er dem Staatsanwalt das Nextel zurück und hob sein eigenes Telefon ans Ohr: »Holen Sie mir Rackley an den Apparat.«

3. KAPITEL

Tim trabte durch den Flur des Bundesgerichts, zog im Laufen seinen Blazer aus und krempelte die Ärmel hoch. Tannino hatte ihm telefonisch die Neuigkeit mitgeteilt – ein Notfall von hinlänglichen Ausmaßen, um Tim aus seinem einschläfernden Dienst am Gericht zu reißen, wo er gerade drei Tage lang die Auswahl der Geschworenen in einem Fall von Steuerhinterziehung durchgestanden hatte. Als Belohnung für eine großartig durchgeführte Ermittlung, die er im Frühjahr im Fall einer kriminellen Sekte durchgeführt hatte, hatte man ihm einen Weg zurück in den Dienst angeboten – wenn auch noch nicht die komplette Rehabilitierung. Der Dienst im Gericht war eine Art Buße, die er aber gerne ableistete. An diesem Nachmittag verspürte er jedoch keine Glücksgefühle, als man ihm die lang ersehnte Rückberufung in den Außendienst mitteilte – zwei Deputys waren tot, vier verletzt, und Den Laurey und Lance Kaner kurvten irgendwo im Central District von Kalifornien über den Asphalt.

Der Assistent des Marshal blickte von den blinkenden Lichtern der Telefone auf, die vor ihm standen, und gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass er hineingehen sollte. Trotz seiner strengen Haltung nahm sich Tannino hinter diesem riesigen Eichenholztisch immer noch klein aus. Er musterte gerade das Loch, das in ein verbogenes Stück Metall geschossen worden war – vor wenigen Minuten war es noch ein Dienstabzeichen gewesen. Ein vornehm wirkender Mann mit dem Körperbau eines Linebackers, der nur durch sein fortgeschrittenes Alter etwas weicher geworden war, saß ihm gegenüber auf der Lehne eines Stuhls und hatte die Hände über einem Knie verschränkt. Ein rasiermesserscharfer Stoppelschnitt tat sein Übriges, um das Gesicht völlig viereckig aussehen zu lassen.

»Rackley, kennen Sie den Bürgermeister?«

»Natürlich. Wie geht es Ihnen, Euer Ehren?« Tim beobachtete den Gesichtsausdruck des Bürgermeisters genau. »Okay.« Sie gaben sich reihum die Hand, dann nahmen sie auf dem Sofa und den Stühlen Platz. Tims rechtes Knie knackste laut, als er sich setzte – von Zeit zu Zeit machte es ihm immer noch Probleme. Die Narbe auf seinem Kinn hatte sich mittlerweile jedoch ziemlich gut zurückgebildet. Souvenirs von einer acht Monate zurückliegenden Ermittlung. Er rückte seine altmodische Smith&Wesson in ihrem Hüfthalfter zurecht; diese Bewegung war ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Den Schritt zur automatischen Waffe hatte er nie getan und würde ihn wahrscheinlich auch niemals tun.

»Wie geht’s den Jungs?«

»Geht so. Wie es aussieht, ist Jim momentan auf einem Ohr taub, aber die Ärzte meinen, das dürfte sich wieder geben. Wir organisieren gerade die Beerdigung von Frankie für morgen. Und die von Hank.« Tannino zupfte an seinem Gesicht herum, das ganz grau geworden war, und seine Augen wanderten zu dem verbogenen Metallstern auf seinem Schreibtisch. »Ich hab gerade mit Janice telefoniert und sie überzeugt, dass wir die Särge geschlossen lassen. Diese Schweine haben die Leichen total durchlöchert.«

»Lassen Sie uns zur Sache kommen.« Bürgermeister Strauss war, ebenso wie Tim, ein ehemaliger Army Ranger. In seiner kurzen Amtszeit hatte er sich bereits den Ruf erworben, ein Mann von großer Effizienz und wenig Taktgefühl zu sein.

»Sie werden der Deputy, der in diesem Fall die Sonderkommission leitet.«

Bevor Tim seine Überraschung zeigen konnte, fuhr Tannino fort: »Wir haben Den und Kaner auf die Liste unserer fünfzehn meistgesuchten Verbrecher gesetzt. Eine Meldung ist schon an die Presse rausgegangen, und sämtliche Polizeieinheiten haben eine Suchmeldung bekommen.«

»Wir werden auch die Hilfe der örtlichen Polizeistationen brauchen«, sagte Tim. »Die Biker decken ein ganz schön großes Terrain ab.«

»Wir richten gerade eine Einsatzzentrale für Ihre Sonderkommission ein. Ich bin sicher, Sie wissen bereits, dass Jowalski jetzt mit Guerrera als Partner zusammenarbeitet. Können Sie und Guerrera miteinander?«

»Sehr gut sogar.«

»Dann arbeiten Sie jetzt zu dritt.«

»Wie sieht es mit einer Hotline aus, auf der wir Hinweise aus der Bevölkerung entgegennehmen?«

Tannino nickte. »Wir haben unsere Telefonzentrale ordentlich aufgestockt, um alle diesbezüglichen Anrufe annehmen zu können.«

»Ich werde die Nummer während der Pressekonferenz bekanntgeben, die ich für heute angesetzt habe.« Strauss warf einen Blick auf seine Uhr. »Sie beginnt in circa zweiundfünfzig Minuten. Dabei nutzen wir auch gleich die Gelegenheit, die Fotos aus der Verbrecherkartei zu zeigen. Verschafft uns einen kleinen Vorsprung vor den Morgenzeitungen.«

»Irgendwelche Spuren?«

»Momentan haben wir einen Scheißdreck«, erklärte Tannino. »Die Helikopter kamen von Piper Tech und brauchten siebzehn Minuten, bis sie vor Ort waren. Das Team, das die Befreiungsaktion durchgeführt hat, war ganz schön clever, die haben den Transporter zwischen zwei dicht aufeinanderfolgenden Ausfahrten angegriffen – auf diesem Abschnitt gibt es jede Menge Auf- und Abfahrten, ganz zu schweigen davon, dass es um diese Jahreszeit auf allen Straßen von Motorradfahrern nur so wimmelt.«

»In wessen Zuständigkeitsbereich fällt das Ganze denn?«

»In unseren. Aber es gibt da noch einige Dinge zu klären. Da die Aktion auf einem Highway stattgefunden hat, mussten wir erst mal die California Highway Patrol wieder loswerden. Der Sheriff wird sich um die Morde kümmern – Dienststelle Walnut/Diamond Bar, aber ich bin sicher, sie werden uns auch noch jemanden vom Morddezernat schicken. Oh – und wir haben auch noch das Vergnügen, einen Agent des FBI begrüßen zu dürfen, der in unserer Sonderkommission mitdackeln wird. Ich habe gerade noch verhindern können, dass wir die Ermittlungen gemeinsam mit dem FBI führen, aber ihr Agent bleibt drin. Order von höchster Stelle.«

»Man hat mir gesagt, dass Sie früher auch schon mit Biker-Gangs zu tun hatten«, wandte sich Strauss an Rackley.

»Ein paar. Nicht viele. Ich kenne die Sinners, aber die kennt im Prinzip jeder, der in L. A. eine Dienstmarke trägt.«

»Geben Sie mir eine kurze Einführung.«

»Das Mother-Chapter sitzt in Fillmore. Ich wohne ein kleines Stück südlich von dort, in Moorpark. Ab und zu fahren sie bei uns durch die Stadt und nerven die Leute bis aufs Blut. Das Einzige, was einem Sinner heilig ist, ist die Loyalität zu seinem Club. Erwarten Sie keinen Ehrenkodex unter Dieben – sie sind bekannt für ihre Betrügereien, Drogengeschäfte und Polizistenmorde. Seit Jahren sind sie ganz dick im Methamphetamin-Geschäft – nach letzten Informationen von V-Männern hieß es, dass sie an der Westküste zwanzig Millionen mit Drogen und Waffenschmuggel gemacht haben. Und sie expandieren weiter und funken den Cholos ins Geschäft, mit denen sie sich um die Vorherrschaft in und um L. A. streiten. Andere Gangs sind einfach in ihnen aufgegangen. Für viele im Land sind die Sinners so attraktiv, weil sie die Mexikaner hassen. Die Cholos haben zwar mehr Rauschgifte im Portfolio, aber die Sinners möchten ihnen das Methamphetamin ganz aus der Hand nehmen und sich das Monopol sichern. In Nevada, Arizona, New Mexico, West Texas, vielleicht auch Oregon haben sie das schon geschafft. Die One-Percenter kontrollieren bereits die ganze Küste und den Südwesten.«

»Die One-Percenter?«

An dieser Stelle mischte sich Tannino ein. »Die American Motorcycle Association hat nach dem Hollister-Vorfall – dieses eskalierte Biker-Treffen damals, das mit Brando verfilmt wurde, Sie wissen schon – öffentlich geäußert, dass neunundneunzig Prozent der Biker gesetzestreue Bürger sind. Die Outlaws bezeichnen sich seitdem gerne als das restliche eine Prozent – die One-Percenter.«

»Dieser Name ist also eine Art Auszeichnung.«

»Wären Sie lieber ein Versager oder ein Outlaw?«, wollte Tim wissen.

»Keins von beiden. Aber ich verstehe schon.« Der Bürgermeister seufzte. »In welchen Sachen haben sie sonst noch ihre Finger drin?«

»Sie sind gut im Geschäft mit Handfeuerwaffen und automatischen Waffen und Prostitution der untersten Kategorie. Das Business mit den Callgirls überlassen sie anderen, ebenso das Glücksspiel und den Diebstahl von Elektrogeräten. Auf eine Art beweisen sie damit durchaus Klugheit – sie beschränken sich auf ihr Gebiet, aber das beherrschen sie dann auch.«

»Ein richtiges Wirtschaftsunternehmen«, meinte Strauss.

»Eher ein Konglomerat.«

Tannino heftete seine dunkelbraunen Augen auf Tim. »Was sagt dein Gefühl?«

»Ohne die Beweislage zu kennen?«, fragte Tim.

Der Marshal winkte ungeduldig ab.

»Normalerweise schlucken die Biker brav die bittere Pille und sitzen ihre Zeit ab. Sie wollen vermeiden, dass die Organisation durch sie Ärger bekommt, also fügen sie sich einfach in ihre Strafe. Eine Entscheidung wie diese Befreiungsaktion musste von oben kommen. So ein Risiko wäre der Club nie eingegangen, wenn es nicht wichtig gewesen wäre. Und Kaner und Laurey haben eine Schlüsselrolle in diesem Spiel.«

»Und zwar?«

»Das müssen wir erst noch herausfinden. Aber was es auch sein mag, die Sinners brauchen dafür offensichtlich die Anführer ihrer Nomad-Chapter zurück.«

»Was glaubst du, wer die Befreiungsaktion durchgeführt hat?«

»Die anderen Nomads der Sinners stehen ganz oben auf der Liste der Verdächtigen. Sie sind die Auftragskiller, die Schlägertypen, die Männer mit dem nötigen Know-how und den Nerven, so eine Aktion durchzuziehen. Guerrera kennt diese Szene. Ich bin sicher, Bear und er sind in diesem Moment dabei, die Namen herauszufinden.«

»Wer sind die Nomads?«, wollte Strauss wissen.

»Das ist ein Chapter, das nicht ortsgebunden ist. Ständig in Bewegung. Kein festes Territorium. Wenn ein Clubmitglied vor dem Arm des Gesetzes fliehen muss, schicken sie es zu den Nomads – so kann es der Polizei leichter entkommen, und andere Chapters werden nicht mit in die Ermittlung hineingezogen. Die verschiedenen Chapters helfen den Nomaden jeweils, sich zu verstecken, während sie durchs Land ziehen.«

»Ein Untergrundnetzwerk für Arschlöcher also«, stellte Strauss fest.

»Richtig. Und im Gegenzug erledigen die Nomads landesweit die Drecksarbeit für den Club, denn gefahndet wird ja sowieso schon nach ihnen.« Tim wandte sich an Tannino. »Eines muss uns von vornherein klar sein: Typen wie diese kriegt man selten lebend.«

Tanninos Gesicht zeigte den müden Ausdruck, der früher ein ärgerlicher gewesen sein mochte. »Für mich geht das in Ordnung.«

»Es sind Weiße, oder?«, erkundigte sich Strauss. »Diese Laughing Sinners?«

»Ja.«

»Gut. Dann kann die Presse schon mal nicht die Nummer mit dem Rassismus bringen. Auf die Art kommen wir besser mit den Leichensäcken durch.« Strauss beobachtete Tim, und auf seinem Gesicht zeichnete sich eine Spur von Neugier ab.

»Wissen Sie, warum Sie in diesem Fall hinzugezogen wurden, Deputy Rackley?«

»Ich hab da so eine gewisse Vorstellung.«

»Dieser Freelance-Auftrag, den Sie da vor einer Weile durchgeführt haben. Als Sie diese Bürgerwehrtruppe infiltriert und auseinandergenommen haben.« Obwohl Strauss die Version der Geschichte wählte, die für die Öffentlichkeit bestimmt war, verriet ein Aufglänzen seiner Augen, dass er wusste, wie es sich in Wirklichkeit verhalten hatte. »Im Stadtrat haben Sie einen Spitznamen.« Strauss zog die Pause in die Länge, und sein Gesichtsausdruck zeigte eine seltsame Mischung aus Respekt und Verachtung, als er weitersprach. »Der Troubleshooter. Und in diesem Fall? Wie wir bei den Rangers immer sagen – Feuer frei.«

Tim fing Strauss’ Blick auf. »Wenn ich kann, werde ich sie Ihnen lebend bringen.«

»Und wenn Sie das nicht können?«

Tim musterte den Bürgermeister, danach die verbogene Dienstmarke von Frank Palton. »Dann nicht.«

4. KAPITEL

Die rechte Seite des zwei mal ein Meter großen Gesichts war eine einzige Masse aus knotigem Narbengewebe. Abgesehen von dem Verbrecherfoto, das der Beamer an die Wand warf, war es pechschwarz in der Kommandozentrale. Aus der rechten Augenhöhle des Nomads starrte ein flammender Totenschädel, der auf ein ansonsten völlig naturgetreues Glasauge graviert war.

Bear Jowalski stellte sich vor das Bild, so dass der Umriss seines gewaltigen Körpers einen schwarzen Schattenriss bildete. Sein nüchterner Ton traf die Stimmung im Raum. »Meine Herren, Sie sehen Goat Purdue. 2002 hatte er einen Motorradunfall, bei dem er die eine Hälfte seines Gesichts auf dem Asphalt von Malibu ließ.«

Normalerweise hätte der Anblick von Goats Gesicht eine Serie von unanständigen Kommentaren nach sich gezogen, aber heute gab es weder unterdrücktes Gelächter noch witzige Bemerkungen. Obwohl sie ihren Dienst versahen, waren die Deputys nach den grauenvollen Ereignissen noch immer wie benommen. Eine so grimmig entschlossene Stimmung hatte Tim nicht mehr erlebt, seit er als Ranger nach dem 11. September Dienst getan hatte. Auf Frank Paltons Platz neben Jim Denley saß ein Special Agent des FBI, Jeff Malane – ein schlanker Mann mit feinem Haar und traurigen, intelligenten Augen.

Bear beugte sich über den Laptop, und ein neues Foto erschien an der Wand. Das Bild stammte aus einer Überwachungskamera und war aus einiger Entfernung aufgenommen worden. Es zeigte einen Biker mit bleistiftdünn rasiertem Bärtchen. Er konnte kaum größer sein als eins zweiundsechzig. Sein fassartiger Oberkörper sah aus, als wäre ein großer Körper auf kleine Beine transplantiert worden.

»Sein Spitzname ist Chief«, erklärte Bear. »Den hat er daher, weil er statt einer Harley eine Indian fährt.«

Guerrera fuhr sich mit der Hand durchs gegelte Haar. »Chief ist sozusagen der Nachrichtendienst der Sinners. Er verwaltet die Akten über die rivalisierenden Clubs, über die Polizei, alles Mögliche.«

»Eine Indian«, meinte Tim. »Hört sich ganz nach dem Anführer bei unserem Überfall an, stimmt’s, Jim? Jim?«

Denley rutschte auf seinem Stuhl herum. »Ja?«

»Du hast doch gesagt, der kleine Typ fuhr eine Indian, oder?«

»Ja, genau. Eine Indian.«

»Ist das nicht auch der, der vor ein paar Jahren eine Clubmama erstochen hat?«, hörte man Thomas’ Stimme von ganz hinten aus dem Dunkel.

»Nein, das war unser guter alter Den Laurey«, widersprach Bear. »Er ist der Messerstecher. Man erzählt sich, dass er eine der Clubmamas von den Hüften bis zu den Knöcheln aufgeschlitzt hat, wie ein Paar Chaps.«

»Aber Kaner war doch der, der vor ein paar Jahren seine Alte an einen Baum gefesselt hat, oder?«

»So isses, mit Nägeln durch ihre Handflächen, draußen bei Devil’s Bowl.« Guerreras spanischer Akzent drang wieder einmal durch. »Als die Jungs von der California Highway Patrol sie anderthalb Tage später auffanden, lehnte das gute Mädchen jede Hilfe ab. Meinte nur, ihr Alter hätte ihr gesagt, sie solle dort warten, bis er zurückkommt.«

»Klasse Mädel.«

»Den und Kaner sind die übelsten von den Nomads«, stellte Guerrera fest. »Und das will wirklich was heißen.«

Ein Klick, und das nächste Bild erschien auf der Wand. Ein Verbrecherfoto, auf dem ein heimtückisches breites Gesicht unter einem Wischmopp aus gelbweißen Locken hervorspähte. Die Augenbrauen waren so hell, dass man sie kaum erkennen konnte.

»Tom Johannsson, auch Tom-Tom genannt. Sprengstoffspezialist. Und Nomad.«

Weit und breit kein Hals in Sicht: Tom-Toms Kopf saß direkt auf seinen Schultern.

»Ich hab gesehen, dass bei einem von den Harley-Typen weiße Haare unterm Helm rausgeguckt haben.« Jims Stimme mit dem kräftigen Brooklyn-Akzent war immer leicht heiser und angestrengt.

»Kennt der sich denn gut genug mit Sprengstoffen aus, um so eine Bombe zu basteln wie die, die unseren Suburban hochgejagt hat?«, wollte Tim wissen.

»Allerdings«, bestätigte Guerrera. »Es heißt, dass Tom-Tom sein Handwerk bei den Michigan Blood Patriots gelernt hat. Die Typen könnten so manchem Terroristen noch was beibringen, was selbst zusammengebastelte Sprengsätze angeht.«

Freed zog die Gardinen auf, so dass man die bescheidene Aussicht aus dem dritten Stock erblicken konnte, und alle blinzelten ins Licht.

»Kennen wir irgendwelche von den Nomads des Sinner-Clubs?«, fragte Haines.

»Nigger Steve, aber den haben sie vor drei Tagen von seinem Motorrad geschossen«, erklärte Guerrera.

»Ein Schwarzer?«, fragte Thomas überrascht.

»Nein«, gab Guerrera zurück. »Nur sonnengebräunt.«

»Und tot«, ergänzte Bear.

»Das ist der erste Nomad der Sinners, der von einem rivalisierenden Club getötet wurde«, fuhr Guerrera fort. »Die Cholos haben die Gelegenheit genutzt, dass Den und Kaner gerade hinter Gittern saßen, und legten ihn um.«

»Glaubt ihr, dass die Sinners die beiden deswegen befreit haben?«, fragte Thomas.

»Ich würde sagen, ja«, meinte Bear. »Schutz und – demnächst in Ihrem Kino – Vergeltungsmaßnahmen.«

»Ihr wisst doch, wie die Sinners sich rächen, wenn einer aus ihren Reihen umgelegt wurde, oder? Dafür bringen sie fünf von den anderen um die Ecke.« Tim legte seinen Stift aus der Hand und merkte erst jetzt, dass er die Kappe ganz flachgekaut hatte. »Wir werden auf jeden Fall noch mehr Blut sehen.«

»Genau.« Millers Gesichtsausdruck war angespannt. »Und zwar ihres.«

»Thomas und Freed, ihr seht zu, dass ihr euch irgendwie bei den Cholos reinschleust«, befahl Tim. »Seht zu, dass ihr mit dem Oberboss in Kontakt kommt, diesem Typen mit der Frisur – wie hieß er noch mal?«

»El Viejo«, sagte Guerrera.

»Wahrscheinlich ist es sowieso ein aussichtsloses Unterfangen, aber wenn Den und Kaner es darauf abgesehen haben, dann wäre es nachlässig von uns, wenn wir an der naheliegendsten Stelle nichts unternommen hätten und nicht versucht hätten, ein paar von unseren Männern rund ums Clubhaus aufzubauen.«

»Kommt gar nicht in Frage, Rack«, widersprach Guerrera. »Auf so was werden sie sich nie einlassen. Um Biker-Angelegenheiten kümmern sich die Biker selbst, sabes? Außerdem sind die Cholos überall – wir könnten sie gar nicht im Auge behalten, selbst wenn sie uns lassen würden.«

Freed zuckte die Achseln, und die Falten in seinem Versace-Anzug glätteten sich. Er war mit dem Geschäft seiner Familie groß geworden – dieses Geld kam noch zu seinem Gehaltsscheck hinzu – und hatte dabei gelernt, auch Details niemals zu vernachlässigen. »Wir klemmen uns einfach mal dahinter. Kann ja nicht schaden.«

Thomas zeigte auf die Wand, die jetzt wieder leer und weiß war. »Eurer Meinung nach müssen diese drei Schönheitsköniginnen also das Befreiungsteam gebildet haben?«

»Sieht ganz so aus«, meinte Bear. »Sie sind die letzten Nomads – sie müssen das einfach machen. Außerdem haben unsere Informanten es uns auch bestätigt.«

»Haben wir irgendwelche Angaben, wo unsere Nomads zuletzt gesichtet wurden?«, fragte Tim. »Die sind ja ständig woanders unterwegs.«

Jim zupfte mit glasigem Blick an seinem Ohrläppchen. »Cynthia ist gerade erst sechzehn geworden.« Er sprach zu laut. Jeder bemühte sich, seinem Blick auszuweichen.

»Alles klar, Jim?«, fragte Tim.

Jim starrte auf die Tischplatte. »Frankies Tochter.« Als Einziger von den vier verletzten Deputys war er schon wieder in den Dienst zurückgekehrt. Er hatte seine Entlassung aus dem Krankenhaus verlangt und war dann geradewegs an seinen Schreibtisch zurückgekommen. Seine Jacke hatte er weggeworfen, aber auf seinem Hemd waren immer noch Blutspuren zu erkennen – dünne Linien am Kragen, die an Tinte erinnerten. Palton war fast acht Jahre lang sein Partner gewesen. Jim, sonst die Stimmungskanone bei den Einsatzkommandos, zeigte jetzt keinen Funken mehr von seinem respektlosen Humor.

»Die kriegen wir schon«, versicherte Bear schwach. Er rang sich ein Lächeln ab und grinste Jim verlegen an, eine großzügige Geste, die Tim wieder bewusst machte, warum Bear der Erste war, den Dray und er anriefen, wenn es gute oder schlechte Neuigkeiten gab. Und in den letzten paar Jahren ihrer Ehe hatte es von beiden so einige gegeben.

Tim blätterte die vor ihm liegende Akte durch und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. »Irgendein Ansatzpunkt im Mother-Chapter?«

»Die Feebs – äh, ich meine natürlich: Das FBI hat versucht, Onkel Pete dranzukriegen, als Den und Kaner gefasst wurden«, erklärte Bear. »Sie haben es auf der Schiene versucht, dass er immer wieder für dieselben Verbrechen angezeigt wird, auf die Art wollten sie es deichseln, dass ihm mal eine härtere Strafe aufgebrummt wird. Erinnerst du dich noch an das Debakel mit den Kreditkartendaten?«

Tim und Dray hatten den Fall – wie fast jeder im Bundesstaat – mit großem Interesse verfolgt. Onkel Pete, der knuffige Hundertfünfzig-Kilo-Mann, Präsident der Sinners, hatte die Staatsanwälte auseinandergenommen, weil sie Kreditkarteninformationen ein wenig zu nonchalant zu ihren Gunsten interpretiert hatten. Beim Versuch, sein verwickeltes Drogenhandelsnetz und seine Geldwäscheoperationen zu entwirren, waren sie auch nicht viel erfolgreicher.

Malane hatte sich den ersten Teil der Information mit einem Gesichtsausdruck angehört, der auf reservierte Überlegenheit schließen ließ – wie Tim mittlerweile wusste, war dies eines der wichtigsten Attribute eines FBI-Agents. Nun räusperte sich der Agent und begann zu sprechen, wobei er seine Augen nicht von dem Kugelschreiber hob, mit dem er auf den leeren Block klopfte, der vor ihm lag. »Onkel Pete achtet genauestens darauf, dass das Mother-Chapter auf keinen Fall mit irgendeinem Verbrechen in Verbindung gebracht werden kann.«

»Und warum hattet ihr auch keinen Erfolg mit der Anklage wegen Drogenhandels?«, wollte Tim wissen.

»Aus demselben Grund, weswegen wir mit den Bikern immer diesen Ärger haben – ihr Netzwerk ist völlig unabhängig und unerschütterlich. Sie selbst bilden das Netzwerk der Dealer, was bedeutet, dass sie die ganze Szene kontrollieren, von ihren Verstecken über die Großhändler bis zum Dealer an der Straßenecke. Sie sitzen in den Spirituosengeschäften, in den Tante-Emma-Läden und den Tankstellen und dealen in kleinem Maßstab. Vertreiben aber letztendlich doch große Mengen. Sie haben viele Mitarbeiter, die kein Geld verlangen, und zwar ihre Frauen und ihre Prospects, also Biker, die in ihren Club aufgenommen werden wollen. Die Fäden dieser ganzen Operationen verlaufen im Verborgenen. Wenn wir einen Treffer landen, haben wir eben einen Treffer gelandet, aber mehr auch nicht. Ein Treffer. Minimale Warenmenge. Außerdem haben sie eine zuverlässige interne Pipeline, durch die sie die Drogen in andere Abteilungen und Städte transportieren – das machen sie auch wieder selbst. Vor allem in der Motorradsaison kann man es völlig vergessen. Da sind die Biker zu Hunderten auf der Straße unterwegs, und selbstverständlich würde man uns niemals genehmigen, Leibesvisitationen vorzunehmen, um ein paar Drogenkuriere genauer untersuchen zu können.« Malanes Gesicht zog sich zusammen, als hätte er in etwas Saures gebissen. Er war wütend, aber auch gedemütigt, denn das FBI war bei seinen Ermittlungen in dieser Sache öffentlich aufs gründlichste vorgeführt und abgestraft worden.

»Warum nehmen wir uns nicht trotzdem Onkel Pete vor und schauen ihn uns genauer an?«, schlug Tim vor.

»Er hat diese Promi-Anwältin«, gab Bear zu bedenken, »Dana Lake, bekannt aus Funk und Fernsehen.«

»Ich würde euch raten, in dieser Sache nur mit Samthandschuhen zu operieren«, meinte Malane.

Tim lehnte sich vor, rieb sich die Schläfen und grübelte über die wenigen Beweise nach, die sie hatten beschaffen können. Die Befreiungsaktion selbst zeigte, dass die Strecke, die das Transportteam am Montag genommen hatte – einen Tag nach dem Mord an Nigger Steve –, sehr sorgfältig überwacht worden war. Die Operation an sich war fehlerlos geplant und durchgeführt worden. Minuten nachdem der erste Wagen des Transportkonvois die Stelle passiert hatte, war der Fahrer eines gelben Volvo auf die Bremsen gestiegen, hatte zwei Fahrbahnen blockiert und außerdem eine Rauchbombe auf dem Rücksitz hinterlassen, während er selbst zu Fuß floh – er trug dabei einen Helm –, über die Leitplanken setzte, auf eine bereits wartende Harley sprang und davonraste. Das zurückgelassene Auto hatte bis jetzt noch keine weiteren Hinweise geliefert.

Das kriminaltechnische Labor des Sheriffs hatte mittlerweile bestimmen können, dass es sich bei dem Sprengsatz in den Satteltaschen um einen Ammoniumnitrat-Dieselöl-Mix gehandelt hatte, der von einem Detonator gezündet worden war. Solche Bomben setzen sich aus Bestandteilen zusammen, wie man sie in jedem Baumarkt bekommen kann, und jeder hat die Möglichkeit, sie leicht zu Hause zusammenzubasteln, ohne dabei Hinweise für die Forensiker zu hinterlassen oder kleinste Spuren von Taggants, also bei der Produktion beigefügte Mikropartikel, durch die man die Herkunft des Sprengstoffs zurückverfolgen könnte.

Der Befreiungstrupp hatte schweres Geschütz benutzt: AR-15 waren nicht weit weg von den Uzi-artigen MAC-10, Maschinengewehre, wie sie weniger raffinierte Straftäter gerne benutzten. Zivile Ausführungen von M16 und AR-15 waren zu vollautomatischen Waffen umgebaut worden. So etwas dauert ganze zwanzig Minuten, alles, was man dazu braucht, kann man sich in einem Versandhaus bestellen. Bei den polizeilichen Ermittlungen würde es sich am ehesten empfehlen, der Herkunft der Munition nachzugehen, aber heutzutage konnte man ja sogar auf Waffenausstellungen Munition kaufen, mit der man durch gepanzerten Stahl schießen konnte. Der Panzerstahl des Dodge-Vans war nur dafür konstruiert, den Insassen ein paar Sekunden Handlungsspielraum zu verschaffen. Obwohl Hank Mancone ein erfahrener Polizist war, hatte er den Transporter nicht rechtzeitig aus der Schusslinie bringen können, als der Kugelhagel auf das Auto niederging, und das hatte ihn und Palton das Leben gekostet.

Tim stand auf und ging ans Kopfende des Tisches, während die anderen ihn erwartungsvoll ansahen. »Tja, die haben uns ganz schön aufgescheucht. Mit Frankie waren hier alle befreundet. Hank kannte ich zwar nicht so gut, aber wenn es einen von uns erwischt, geht es uns allen nahe.«

Malane trug eine gelangweilte Miene zur Schau, und Tim hasste ihn dafür.

»Aber wir werden die Täter nicht erwischen, wenn wir jetzt zu emotional handeln. Der Sheriff befasst sich mit den Morden an Frankie und Hank, also können wir uns in aller Ruhe mit dem beschäftigen, was wir am besten können: entlaufene Gefangene finden. Auf diese Art erweisen wir den Toten Ehre. Bearbeitet eure Informanten. Ehemalige Zellengenossen, uns bekannte Kontakte, ihre bevorzugten Aufenthaltsorte – ihr wisst ja, wie es geht. Redet mit dem Personal an den Tankstellen, die an den klassischen Biker-Routen liegen, sagt ihnen, dass eine Belohnung ausgesetzt wird. Dasselbe in Spezialgeschäften für Motorradausrüstung, an Schrottplätzen, Tauschbörsen. Wir müssen ein besonderes Augenmerk auf Motorraddiebstähle haben, für den Fall, dass sie sich jetzt neue Fahrzeuge besorgen, um uns abzuschütteln.«

»Aber haltet euch nicht mit japanischen Reiskochern auf«, riet Guerrera. »Oder mit Fahrgestellnummern. Kriminelle von diesem Kaliber können so eine Nummer jederzeit abschleifen und eine neue eingravieren. Das ist das Problem mit diesen Motorrädern – man kann ihren Ursprung so gut wie nie zurückverfolgen. Jedes Einzelteil könnte von einem anderen Fahrzeug stammen.«

»Könntest du noch ein bisschen genauer werden, was die Motorräder angeht?«, bat Freed. »Wonach sollen wir konkret Ausschau halten, wenn wir draußen unterwegs sind?«

Guerrera runzelte nachdenklich die Stirn. Sein Gesicht wirkte wie das eines Teenagers, trotz der Bartstoppeln fehlte jede Härte darin. Seine langen Wimpern und vollen Lippen sahen eher italienisch aus, sie waren nicht das, was die Leute im Allgemeinen mit einem Kubaner verbanden. Trotzdem war er von Kopf bis Fuß Little Havanna. »Die Motorräder der Outlaw-Biker sind sehr leicht. Schlecht gefedert, wenn man auf so einem fährt, schüttelt es einem ganz gewaltig die Eingeweide durch. Ein normales Motorrad rollt mit dreihundertfünfzig Kilo vom Fließband, aber die Biker montieren so viel ab, bis nur noch zweihundert übrig sind – Cutaway nennt sich so was. Vielleicht stehlen sie ein nicht so hochwertiges Bike von einem Sonntagsfahrer. Wenn sie es nicht ausschlachten, nehmen sie die Satteltaschen ab, die Verkleidung, jedes Extra aus Chrom, die Federn an der Gabel, die hinteren Stoßdämpfer, die Schutzbleche. Dann verpassen sie dem Sitz eine neue Form, verkleinern die Scheinwerfer und montieren Doppelvergaser.

Die meisten Outlaw-Biker bauen auch die großen Tanks aus, denn die verstecken den Motor und die Pferdestärken. Doch die Sinners, vor allem die Nomads, lassen sie dran, für den Fall, dass sie bei Verfolgungsjagden mit der Polizei mehr Benzin brauchen. Aus demselben Grund haben sie auch nicht so gerne die breiten, geschwungenen Apehanger-Lenker, die man an den meisten Choppern sieht – denn mit denen lässt sich das Motorrad auf der Flucht schlechter lenken. Sie greifen wirklich in jede Trickkiste, um das Fahrzeug schneller zu machen – sie beschneiden die Schwungräder auf der linken Seite, um besser beschleunigen zu können, sie mögen Handschaltung und fette Ventile. Außerdem bohren sie den Motor auf, um mehr Hubraum zu bekommen. Nach diesen blödsinnig nach Chopper-Art ausgestellten Vorderrädern werdet ihr bei den Sinners vergeblich Ausschau halten. Was das angeht, sehen sie die Dinge einfach pragmatisch – bei ihnen geht Geschwindigkeit vor Ästhetik. Hauptsache, sie können die Bullen abhängen. Keiner hat Lust, sich schnappen zu lassen, nur weil das Vorderrad unbedingt anderthalb Meter ausgestellt sein muss. Das dürft ihr bei den Sinners nie vergessen – trotz allem sind sie in erster Linie Kriminelle, und erst in zweiter Linie Biker.«

»Wir müssen jeden möglichen Ansatzpunkt finden«, sagte Tim. »Ich will wissen, ob einer von diesen Idioten vielleicht schon mal geflohen ist, obwohl jemand mit einer Kaution für ihn gebürgt hatte. Ich möchte, dass ihr mit den Leuten im Gefängnis redet – sitzt ihr ehemaliger Sekretär nicht gerade im San Quentins seine zehn Jahre ab?«

»Ja, aber diese Typen packen grundsätzlich nicht aus«, wandte Guerrera ein. »Nicht mal im Knast.«

»Ach ja? Du meinst also, wir sollen ihn einfach weiter in Ruhe Gewichte heben und den Bachelor gucken lassen? Nein, ich will, dass er vernommen wird. Haines?«

»Alles klar.«

»Zimmer, du tust dich mit dem Morddezernat zusammen. Thomas – haben wir irgendwelche laufenden Ermittlungen gegen die Sinners?«

»Da weiß ich kaum, wo ich anfangen soll. Eine Frau in einem babyrosa Cadillac hat letztes Jahr auf dem Pacific Coast Highway einen Sinner angefahren und getötet. Zwei Tage später wurde sie in ihrem Haus in Pasadena ermordet. Im August hatten wir eine Anhalterin, die von den Sinners drei Monate lang gefangen gehalten und immer wieder vergewaltigt wurde. Sie will keine Anklage erheben. Wahrscheinlich haben die Sinners für solchen Scheiß Akten über Familienmitglieder, und auf die Art wissen sie ganz genau, in welche Grundschule deine kleine Nichte geht. Da überlegt man es sich zweimal, ob man reden will. Dann ist da noch eine Wasserleiche angespült worden …«

»Hol einfach sämtliche Akten wieder raus und schau sie dir noch mal gründlich durch. Wie sieht es mit Informationen über die Mitglieder des Mother-Chapters aus?«

»Überraschend schlecht«, antwortete Bear. »Das Clubhaus ist abgeschlossen, die Helmpflicht sorgt dafür, dass wir sie auf der Straße nicht auseinanderhalten können, und besondere Kennzeichen nützen auch nichts, wenn alle diese Kennzeichen haben. Ob ihr’s glaubt oder nicht, die Nomads sind leichter zu identifizieren, denn die sind alle zur Fahndung ausgeschrieben.«

»Der Sheriff von Fillmore ist am Clubhaus dran, seit kurz nach dem Überfall auf den Gefangenentransport. Jim – fahr du mal mit Maybeck da hoch …« Auf einmal bemerkte Tim, dass alle am Tisch Jim anstarrten. Im nächsten Moment fiel erneut ein Tropfen Blut aus Jims Ohr auf das Blatt Papier, das vor ihm lag. »Jim. Jim … du hast da …«

»Oh.« Jim hielt sich die hohle Hand unters Ohr und fing die Tropfen auf. Dann starrte er ausdruckslos auf das Blut in seiner Handfläche. »Tut mir leid, Leute.«

»Geh doch kurz runter zu den Krankenschwestern.«

»Okay. Ja, genau.«

Die Tür schloss sich hinter ihm. Tim brauchte einen Moment, bis er zu seinem Gedankengang zurückfand, und die Pause dehnte sich unangenehm. Thomas atmete tief aus und blies dabei die Wangen auf. Bear schob den Unterkiefer zur Seite, dass es knackte.

»Okay, Maybeck, setz dich mit den Deputys in Verbindung, die das Clubhaus bewachen. Sag ihnen, dass sie den Sinners wegen allem möglichen Kleinkram Schwierigkeiten machen sollen – wegen fehlender Schalldämpfer, zu hohen Lenkern und Verstößen gegen die Helmpflicht. Und dann stellt ihr ein paar Kilometer weiter auf derselben Straße noch eine Streife hin, die sie für dieselben Bagatellvergehen noch mal aufschreibt. Auf die Art kriegen wir die Gesichter zu den Namen und verschaffen uns einen Überblick, wer sich in und ums Clubhaus bewegt und auf welchen Maschinen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir einen V-Mann einschleusen können?«

»Geht gegen null«, wandte Malane schnell ein.

Guerrera, der nur ungern einer Meinung mit einem FBI-Agent sein wollte, nickte widerwillig.

»Das ist so gut wie unmöglich. Um in diese Kreise reinzukommen, muss man heutzutage jemanden umlegen, als Beweis quasi, dass man nicht bei der Polizei ist. Und dann muss man noch den Initiationsritus überstehen. Richtig böse Geschichten.«

»Okay, vergessen wir das. Aber wir richten unser Augenmerk auf die Spuren, die in die Nähe des Mother-Chapters führen – die Verstecke sind normalerweise nicht besonders weit entfernt.« Tim wandte sich wieder an Malane. »Wir werden die Akten brauchen, die Sie während des Prozesses benutzt haben, alles, von den Morden bis zu den Anklagen wegen wiederholter Vergehen.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann.«

»Versuchen Sie ein bisschen mehr als das, was Sie normalerweise für uns tun können.«

Malane faltete seine Hände über dem Bauch, eine Geste, die an einem robuster gebauten Mann selbstbewusst ausgesehen hätte. »Ich kann Ihnen schon jetzt sagen, dass alles auf die Namen ihrer Frauen eingetragen ist – Immobilien, Portfolios, der ganze Schamott. So arbeiten diese Typen. Da viele von ihnen verurteilte Verbrecher sind, lassen sie sogar die Waffen bei ihren Frauen.«

»Dann müssen wir uns eben diese Tatsache zunutze machen«, meinte Tim. »Vielleicht kommen wir ja über ihre Frauen an sie heran. Ich will wissen, wer sie sind und welche Frau mit wem zusammen ist. Guerrera, wie müssen wir uns das vorstellen?«

»Die Sinners benutzen andere Namen für ihre Frauen als die restlichen Biker-Gangs – das gehört zu ihrem Image als völlig neuartige Organisation. Die Frauen, die sonst ›Mamas‹ heißen, nennen sie ›Schlampen‹, deren ›Alte‹ sind bei ihnen ›Schnitten‹. Die Schlampen gehören der ganzen Gang, das sind die Nutten, die nebenher mitlaufen. Bei denen darf quasi jeder von den Jungs, wenn er mal Lust hat, man kann sie aber auch im Austausch gegen Ersatzteile an andere Clubs weitergeben, ganz nach Belieben. Ab und zu entführt der Club ein Mädchen oder ›rekrutiert‹ eines aus einem Frauenhaus. Aber eine Schnitte gehört nur einem Typen, und daran halten sich auch alle.«

»Eine Schnitte pro Biker?«, vergewisserte sich Tim.

»Außer bei Onkel Pete, der hält sich eine ganze Handvoll. Und er gibt sich nicht damit zufrieden, dass sie eine Jacke tragen, die jedem mitteilt, wem sie gehören – seine Frauen müssen jeweils einen kleinen Finger lassen. Das ist der Preis, den man zahlen muss, wenn man mit papi chulo auf seinem dicken Schlitten fahren will.«

»Okay«, sagte Tim. »Informationen sind die Grundlage für unsere Arbeit. Wir brauchen noch mehr Informationen. Und die holen wir uns jetzt.«

Einer der Sicherheitskräfte sah ins Zimmer. »In Piru ist gerade ein Cholo von seiner Maschine geschossen worden.«

Bear lehnte sich in seinem Stuhl zurück und fing Tims Blick auf. »Die Jagdsaison ist eröffnet.«

5. KAPITEL

Bear saß am Steuer seines heruntergekommenen Dodge Ram, Tim auf dem Beifahrersitz, und Guerrera war auf der durchgehenden Vorderbank zwischen den beiden eingeklemmt. Über die kurvenreiche Grimes Canyon Road fuhren sie von Moorpark nach Fillmore. Sie kamen an einer Abzweigung vorbei, von der eine unbefestigte Straße zu einer Scheune führte – hier hatte Tim zum ersten Mal Ginnys Mörder gegenübergestanden, und wie immer spürte er an dieser Stelle, wie sich ihm der Magen ein wenig zusammenzog. Mittlerweile reagierte er nicht mehr auf alles, was ihn an Ginny erinnerte – das Lachen kleiner Mädchen oder den Geruch von Jolly Rancher-Bonbons –, aber der Anblick dieser Straße setzte ihm immer noch zu. Guerrera, der durch einen Telefonanruf abgelenkt war, merkte nichts von Tims Missstimmung, aber Bear, der mit dieser geheimen Geschichte vertraut war, warf einen verstohlenen Blick zu Tim hinüber, um einzuschätzen, wie schlimm es ihn mitnahm.

Die Herbstfeuer hatten nicht viel zurückgelassen – versengte Hügel, mit Aschestreifen überzogene Flächen, Feigenkakteen, die eine blassgelbe Farbe angenommen und zu schlaffen Häufchen zusammengesackt waren. Die wenigen Bäume, die der Einäscherung wie durch Zauberei entgangen waren, ragten wie verkohlte Skelette aus der geschwärzten Erde. Die Spätnachmittagssonne stand tief am Horizont und ließ die öde Landschaft wie eine großartige Filmkulisse aussehen.

Tim hatte Haines und Zimmer abkommandiert, um die Schießerei in Piru zu untersuchen, damit er sich die – zugegeben ziemlich spärlichen – Informationen zu dem Fall ansehen und sich dann mit der Einrichtung seiner Einsatzzentrale befassen konnte.

Er war froh über diese bürokratischen Verpflichtungen, die mit seinem neuen Posten einhergingen. Seine Besprechung im Hauptquartier des L. A. County Sheriff in Monterey Park war so gut verlaufen, wie er erwartet hatte – die Sheriffs und Deputys arbeiteten traditionell schon immer eng zusammen, und beide maßen diesem Fall höchste Priorität bei. Man war übereingekommen, sich gegenseitig Hilfestellung zu leisten, und diese Absprache schloss auch den Sheriff von Ventura mit ein, für den Dray arbeitete. Die Forensiker hatten bereits eine gemeinsame Datenbank eingerichtet, um die Infos zusammenzustellen, die Tim über die beliebtesten Biker-Treffs angefordert hatte – diese Datenbank konnte von mehreren beteiligten Polizeistationen eingesehen und erweitert werden. Noch bevor Tim die Besprechung verlassen hatte, kamen schon die ersten Namen und Beschreibungen von Sinners aus dem Mother-Chapter herein. Die Deputys von Ventura waren bereits mit einzelnen Sinners vertraut, die in ihrem Zuständigkeitsbereich wegen Drogengeschäften festgenommen worden waren, und steuerten somit auch jetzt die meisten Informationen bei.

Guerrera klappte sein Handy zu. »Haines hat mir gerade bestätigt, dass es bei der Schießerei in Piru keine Zeugen gab. Der gute alte Chooch Millan wurde auf einer verschwiegenen Straße am äußersten Stadtrand erschossen. Sie haben seine Jacke mit den Clubabzeichen einkassiert und unseren muchacho dann im Unterhemd liegen lassen.«

»Warum haben sie die Jacke genommen?«, wollte Bear wissen.

»Die Clubjacke eines Outlaw-Bikers ist das ultimative Symbol seines Stolzes – die zählt sogar noch mehr als seine Maschine. Wenn er seine Jacke erst einmal bekommen hat, wäscht er sie nie wieder.«

»Nie?«

»Nicht mal nach dem Initiationsritus, bei dem die Jacken – mitsamt ihren stolzen neuen Besitzern – mit Öl, Pisse und Kacke getauft werden. Die ganz Harten legen ihre Jacken sogar über Nacht unter ihre Motorräder, damit sie das raustropfende Öl aus dem Kurbelgehäuse auffangen. Es gilt geradezu als Sakrileg, die Jacken zu waschen. Darauf kann sogar die Todesstrafe stehen.«

Tim, der Bears Faszination für solche sinistren Geschichten kannte und befürchtete, dass sie jetzt nur zu leicht vom Thema abkommen konnten, holte Guerrera wieder zurück zu den harten Fakten. »Hat Haines sonst noch was gefunden?«

»Sieht aus, als hätten sie ein AR-15 benutzt, dasselbe wie bei ihrer Befreiungsaktion. Der Sheriff hat sehr viele Einheiten für dieses Gebiet abgestellt, aber die Biker sind einfach zu schnell. Die waren schon über alle Berge, bevor überhaupt der Anruf beim Sheriff einging.«

Bear zeigte auf die Straße, die sich weiter unten durch die Hügel schlängelte. »Piru liegt weniger als fünfzehn Kilometer vom Clubhaus der Sinners entfernt.«

Der Dodge fuhr nahe an die aufragende Wand des Canyons heran, und Tim konnte die Graffiti sehen, die die Leute in den Fels geritzt hatten. SEAN + SUZIE. MICKEY P WEISS WAS VON HARLEYS. AB HIER SINNER-TERRITORIUM – PASST GUT AUF EURE FRAUEN AUF. »Chooch Millan«, sagte Tim. »War er ein Officer?«

»Haines meint nein.«

»Nomad?«

Guerrera schüttelte den Kopf. »Niemand Wichtiges. Ein ganz normaler Cholo. Warum fragst du?«

»Ich weiß nicht, irgendwie kommt mir das komisch vor. Die Sinners haben bei dieser Befreiungsaktion gewaltig was riskiert. Sollte Rache für Nigger Steve das Motiv gewesen sein – der erste Nomad der Sinners, der jemals ermordet wurde –, warum schnappen sie sich dann nicht einen ranghöheren Cholo? So einen Durchschnittsbiker auf einer verlassenen Straße abzuknallen – das ist doch bescheuert. Das passt alles nicht zusammen.«

»Vielleicht wollten sie damit einfach nur die Dinge ins Rollen bringen«, schlug Bear vor.

»Ich glaube eher, dass Tim recht hat«, erklärte Guerrera. »So denken diese Typen nicht. Die wollen immer noch eins draufsetzen, verstehst du? Ihre Egos schreien nach Eskalation.«

»Woher weißt du eigentlich so gut Bescheid über diesen ganzen Scheiß?«, erkundigte sich Bear.

Guerrera zuckte mit den Achseln. »Ich bin in einer hässlichen kleinen Vorstadt von Miami aufgewachsen. Meine Brüder und ich sind dort bei einer Jugendgang mitgefahren, den Vatos. Mehr konnte man dort gar nicht unternehmen. Schraub dir deinen Schlitten zurecht und folge dem Asphalt. Na ja, das haben wir dann halt gemacht. Die größten Arschlöcher stiegen später zu den Cholos auf.«

»Und du?«, wollte Tim wissen.

»Ich bin ausgestiegen und zu den Bullen gegangen.«

Ein halb verbrannter Baum konnte sich so gerade noch an den Rand einer Felsklippe klammern, und die drei bewunderten für einen Moment die Zähigkeit dieses Gewächses.

»Ich hasse diese Typen. Haben mein ganzes barrio kaputt gemacht. Und einige von mis hermanos in die Horizontale befördert.«

»Deine Brüder?«

»Nein. Die haben es auch alle rausgeschafft. Mamá war zu streng, um uns solchen Unsinn durchgehen zu lassen.«

Mittlerweile waren sie in den Ebenen von Fillmore angekommen und durchfuhren ein völlig heruntergekommenes Viertel.

Guerrera bemerkte eine Südstaatenflagge, die über einem Auto auf einem Rasenstück wehte. »Wir brauchen keine Verstärkung, oder?« Er gab sich Mühe, einen lässigen Ton anzuschlagen, aber es gelang ihm nicht so recht.

»Die Nomads sind nicht so blöd, sich hier herumzutreiben«, meinte Tim. »Wir müssen sie rauslocken. Und außerdem können wir sie besser beobachten, wenn sie uns auch beobachten wollen.«

»Oder uns umbringen wollen«, warf Bear ein.

»Das auch.«

Bear fuhr an den Bordstein und parkte hinter einer endlosen Reihe von Harleys. Hinter einem Holzzaun tauchte ein zerfallenes Haus auf. Irgendwann hatte es vielleicht mal wie eine Farm ausgesehen, aber mittlerweile waren so viele Anbauten dazugekommen und so viele Reparaturen vorgenommen worden, dass das letzte bisschen Einheitlichkeit verlorengegangen war. Motorradersatzteile lagen auf dem Vorhof verstreut; wo die Wiese begann, waren sie halb von Erde bedeckt. Die Sinners hatten genug Geld auf ihren diversen versteckten Konten, um das Ganze abzureißen und sich stattdessen ein Schloss zu errichten, aber dies hier schien passender. An den Wänden waren Sandsäcke gut einen Meter hoch aufgestapelt, und Maschendrahtzaun vor den Fenstern schützte vor Granatenwürfen.

Guerrera tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Er überprüfte das Magazin in seiner Glock und steckte sie wieder weg. Seine Hände zitterten leicht. »Wenn ihr wüsstet, was die mit hispanos schon angestellt haben.«

»Schon gut«, beruhigte ihn Tim. »Wir gehen voraus.«

»Ich hab keine Angst, ich wollte bloß sagen, dass ich diese Typen total hasse.«

Sie stiegen aus dem Wagen. Sofort gingen die Lichter vor dem Haus an, und zwei Schrottplatzköter mit kantigen Pitbull-Schädeln warfen sich knurrend gegen den Maschendrahtzaun. Eine Überwachungskamera drehte sich auf einem Pfosten hin und her, es sah aus, als würde ein Roboter den Kopf mitdrehen, um ihren Bewegungen zu folgen. Tim zog seine Dienstmarke heraus und hielt sie vor die Linse.

Einen Augenblick später trat ein hochgewachsener Mann mit einem Pik-Ass-Tattoo auf dem rasierten Schädel auf die Terrasse und pfiff die Hunde zurück. Tim konnte ihn sofort mit einer Beschreibung in der neuen Datenbank des Sheriffs ins Verbindung bringen – Diamond Dog Phillips.

»Haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«

»Wir sind nicht hier, um Ihnen Ärger zu machen«, gab Tim zurück. »Wir wollen uns nur mal mit Onkel Pete bekannt machen.«

»Natürlich können wir uns auch gern einen Durchsuchungsbefehl besorgen …«, schlug Bear hilfsbereit vor und machte Anstalten, seine massige Gestalt wieder zum Auto zurückzubewegen.

Diamond Dog zog ein finsteres Gesicht und bewegte sich ins Haus zurück. Sie warteten geduldig. Fünf Minuten später war er wieder da, kam den Weg entlang und öffnete ungefähr zehn Millionen Schlösser an der Pforte. Sie folgten ihm und betraten ein dunkles, höhlenartiges Wohnzimmer.

Ein paar Biker hingen mit den Schlampen ab, die mit weihnachtlich rotgrünen Spandex-Miniröcken und Mikroröcken ausstaffiert waren. Eine Reihe von Monitoren zeigte mehrere Außenansichten des Clubhauses. Im Hintergrund hörte man das nervige Leitmotiv eines Flipperautomaten und das Rauschen und Piepsen der Geräte, mit denen man den Polizeifunk verfolgte. Die Wände waren vom Boden bis zum unteren Rand der Fenster mit gepanzertem Stahl und Betonblöcken verkleidet. Rechts und links vom Eingang hatte man Schießscharten angebracht, die Tür selbst stammte von einem begehbaren Tresor von Mosler. In der feuchten Luft lag ein Hauch von Moder, vielleicht war es auch dreckiges Leder, das man hier roch. Trotzdem war das Haus auf eine gewisse Art ein Beispiel für die besseren Häuser in L. A. Nur dass man es eben nach Biker-Geschmack eingerichtet hatte.

»Ihr könnt euch auf die Couch setzen«, genehmigte Diamond Dog.

Eine Schlampe ging mit schwingenden Hüften an ihnen vorbei. Aus dem Bund ihrer Jeans wuchs ein Flammentattoo. Es sah aus, als hätte sie eine besonders heftige Geschlechtskrankheit. ICH BIN DIE SCHLAMPE, DIE VOM BIKE GEFALLEN IST verkündete ihr T-Shirt. Auf dem Arm trug sie ein Baby, auf dessen Hals eine Kette eintätowiert war. Bear und Guerrera setzten sich, Tim jedoch starrte das Kind so auffällig an, dass das Mädchen es bemerkte.

»Mach dich locker, Bulle, ist bloß Henna.«

»Für dich immer noch Bundesbulle.«

Diamond Dog baute sich mit verschränkten Armen vor ihnen auf, ein Stück hinter ihm stellten sich zwei weitere Clubmitglieder in Position. Ihre V-förmige Formation erweckte den Eindruck, als wollten sie für das Plakat eines Tarantino-Films posieren. Der eine trug trotz des Dämmerlichts eine Sonnenbrille, der andere eine offene Lederweste ohne Unterhemd, so dass man das Piercing in seiner Brustwarze sah, von dem ein Zettel herabbaumelte, wie man ihn sonst nur an den Zehen von Toten im Leichenschauhaus findet. Der Typ mit der Sonnenbrille drehte sich um und fing eine Dose Bier auf, die ihm entgegenflog. Auf der Rückseite seines T-Shirts stand: WENN DU DAS LESEN KANNST, IST DIE SCHLAMPE VOM BIKE GEFALLEN.

»Oh«, meinte Bear, »jetzt kapier ich den Gag auch.«

Ein Sarg vor dem Sofa diente als Wohnzimmertisch. Links stand ein Motorrad mit auffälliger Totenkopfbemalung, von dem das Öl auf den fadenscheinigen Teppich tropfte. Auf dem Lenker befand sich ein kleiner Spiegel, wie ihn Zahnärzte benutzen – ein Zugeständnis an die gesetzlichen Vorschriften. Guerrera wies auf die Maschine. »Tolle Bemalung.«

Diamond Dog kratzte sich zwischen den Beinen, was seinem betont toughen Gehabe einen gewissen Abbruch tat. »Das hat Zauberstab-Danny gemacht, hijo. Allein der Tank ist zwölfmal lackiert worden. Du verdienst es nicht mal, so was anzuschauen.«

»Zauberstab-Danny?«, hakte Bear nach. »Ist das so eine Art zweiter John Holmes, oder was?«

Diamond Dog brach in Gelächter aus, wobei er eine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen entblößte. »Ja, genau. Danny mit dem Riesenschwanz.«

Ein paar Sinners versammelten sich in der Tür, die zum Nebenraum führte. Prothesen, um den Kopf geschlungene Tücher, fehlende Ohrläppchen – sie sahen aus wie eine Versammlung wohlgenährter Jahrmarktsaushilfen. »Hey, Annie.«

Ein älterer Biker winkte sie mit dem Finger heran. Hinter dem Türpfosten konnte man das Ende einer Matratze erkennen.

Während Annie jemandem ihr Baby in die Hand drückte, bemerkte Tim glänzende Narben, die ihr wie Säume rund ums Bein liefen. Hatte Den an ihr herumgeschnitzt?

Sie ging ins Nebenzimmer. Diamond Dog, der Bears angewiderten Gesichtsausdruck bemerkt hatte, grinste anzüglich und machte eine Kopfbewegung in Annies Richtung. »Willst du auch mal?«

»Die würde ich nicht mal ficken wollen, wenn sie die letzte Frau auf ’ner einsamen Insel wäre.«

»Und ich würde nie im Leben einen Bullen ficken«, rief Annie über die Schulter nach hinten.

»Alles klar«, erwiderte Bear. »Ich würde dir auch nicht zumuten wollen, dass du so weit unter deinen Ansprüchen bleiben musst.«

Sie verschwand in der Gruppe der wartenden Männer. Der ältere Typ packte sie bei der Schulter, und sie machten einen Schritt rückwärts auf die Matratze zu, so dass sie aus dem Blickfeld verschwand. Die anderen warteten, hakten die Daumen in die Gürtelschlaufen und grinsten.

»Warum helft ihr nicht mit?«, fragte Bear und zeigte aufs Nebenzimmer. »Ich glaube, die könnten da drüben noch ein Schlusslicht brauchen.«

Einer von den Bikern lachte. »Da hat Dog sich ja schöne Filzläuse aus Mexiko mitgebracht.«

Guerreras Gesicht war angespannt, als er antwortete: »Auf der anderen Seite der Grenze sind sie also anders?«

»Ja.« Er imitierte den spanischen Akzent gar nicht mal so schlecht. »Da chaben sie keine Autoversickerung.«