Die Mitte des Lebens finden - Wolfgang Sauer - E-Book

Die Mitte des Lebens finden E-Book

Wolfgang Sauer

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Beschreibung

Wir beten in der Messe das Geheimnis des Glaubens. Doch was verbirgt sich hinter diesem Geheimnis? Was bedeut Eucharistie für den Alltag? Und wie findet zur Mitte des Glaubens und lebt aus ihr heraus? Monsignore Wolfgang Sauer ist seit fast fünf Jahrzehnten Priester und geistlicher Begleiter. Er erzählt authentisch und mit großer Offenheit von seinem Weg und versucht mitzunehmen hin zur Mitte des Glaubens – und des Lebens.

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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: wunderlichundweigand, Stefan Weigand

Umschlagmotiv: © Ziva_K/iStock

E-Book-Konvertierung: post scriptum, Vogtsburg-Burkheim

ISBN Print 978-3-451-38070-9

ISBN E-Book 978-3-451-81405-1

Inhalt

Vorwort

1. Unser tägliches Brot

Israels Erfahrung auf dem Wüstenweg ins Gelobte Land

Die Liebe lässt sich nicht horten

Eucharistie ist das geheimnisvolle Fest der leeren Hände

2. Brot, das wir teilen

Entdeckung einer neuen Identität

Das Brotbrechen schafft Einheit – »Herr, bleibe bei uns!«

Lieben, bis es wehtut

Teilen über den Tod hinaus

Wer teilt, achtet die Würde dessen, mit dem er teilt

In Gaben, die wir nicht für uns behalten, ist Erlösung

3. Herr, ich bin nicht würdig

Umgang mit den eigenen Grenzen

Eucharistie und Versöhnung

Versöhnte Dankbarkeit

Entdeckung der Demut

4. Wandlung – kein Spektakel

Der Leib Christ – Amen!

Tun zu seinem Gedächtnis

5. Wir sind für alle da

Das Geheimnis hüten

Offene Türen

6. Begreife, was du tust

Priester sein nach dem 2. Vatikanum

Versuchung des Klerikalismus

Berufung – kein Recht auf Weihe

Zölibat in der Diskussion

Geben, was man selbst nicht hat

7. Späte Erkenntnis

Mysterium des Dienens

Die Wunden berühren

8. Zu seinem Gedächtnis

Wo ist das Kreuz?

Ist Eucharistie politisch?

Vom Opfer zur Aussendung

9. Bis Du kommst in Herrlichkeit

Gastmahl der Sünder

Messe sur le monde – Die Messe über die ganze Welt

Epilog Aussetzung – Die Reichen und die Armen

Nachwort

Informationen zum Autor

Vorwort

Wer ein Buch über die geheimnisvoll verborgene Wirklichkeit und Kraft der Eucharistie schreibt, tut es mit zitternden Fingern. Gleichwohl spüre ich die Verantwortung, meine über die Jahre gewachsenen Gedanken mit meinen Schwestern und Brüdern zu teilen, zumal wir in einer Zeit leben, in der das eucharistische Mysterium immer mehr in Vergessenheit gerät oder nicht mehr verstanden wird. Keine der uns geschenkten geistlichen Einsichten gehört nur uns selbst: compartir para crecer lautet das Leitmotiv unseres Glaubens: teilen, um zu wachsen. Dies ist meine Motivation.

Mit Vollendung meines siebzigsten Lebensjahres bin ich aus dem aktiven kirchlichen Dienst ausgeschieden. Noch gut erinnere ich mich daran, wie ich Mitte der 1970er-Jahre am Textentwurf der »Rahmenordnung für die Priesterausbildung« mitgearbeitet habe. Ein dritter Abschnitt behandelte die Altersgeneration, der jetzt auch ich angehöre. Es sei das Vorrecht der älteren Mitbrüder, so hieß es dort, manche der anstehenden Fragen und Probleme liegen zu lassen und deren Lösung den Jüngeren zu überantworten. Damals habe ich über diese Formulierung geschmunzelt und gleichzeitig etwas Neid gegenüber den Pensionären empfunden. Nun aber bin ich tatsächlich zufrieden mit dem Los, nicht mehr unmittelbar in Konzeption und Praxis zeitgemäßer Pastoral eingebunden zu sein. Zugleich habe ich ein anderes Privileg entdeckt: das der besonnenen Rückschau und einer spirituellen Spurensuche nach dem, was mein berufliches Tun inspiriert und getragen hat. Deshalb erlaube ich mir am Anfang dieses Buches eine kurze Rückschau.

Als ich 1973 die Priesterweihe empfing, war Papst Paul VI. der amtierende Pontifex in Rom. Klarer als damals erkenne ich heute, wie sehr mich der große Konzilspapst inspiriert hat und es immer noch tut. In seinem Testament finden sich die Worte »sento il dovere di celebrare il dono, la fortuna, la bellezza, il destino di questa stessa fugace esistenza – ich spüre die Verpflichtung, das Geschenk, das Glück, die Schönheit und die Bestimmung dieser flüchtigen Existenz zu feiern«: Er dankt Gott für das Geschenk des Lebens und zögert nicht, seinen Eltern für seine Existenz zu danken. »Oh! Siano benedetti i miei degnissimi genitori – Gesegnet seien meine hochgeschätzten Eltern!« – diese von exemplarischer Bescheidenheit zeugenden Worte sind mir Vorbild.

Nie werde ich vergessen, wie in jenem Dreipäpstejahr 1978 sein einfacher Sarg inmitten des Petersplatzes die versammelten Größen dieser Welt daran erinnerte, dass die wahre Autorität eines menschlichen Lebens in Wahrhaftigkeit und Treue besteht, in Hingabe und Demut. In den Gesichtern der Anwesenden konnte man damals lesen, dass sie diese seine letzte Botschaft verstanden haben.

Ich bin überzeugt: Alles Streben nach Sinn und Vollendung findet sein Ziel in der Erkenntnis, dass wir dazu berufen sind, unser Leben in intellektueller und spiritueller Dankbarkeit zu entdecken. In all den Jahren meines nunmehr 45-jährigen priesterlichen Dienstes habe ich gelernt und erfahren: Christsein ist ein Synonym für eucharistische Existenz.

Diese meine persönliche Erkenntnis und Einsicht formuliere ich im zeitlichen Kontext einer pastoralen Situation, in welcher der Sinn für das eucharistische Tun der Kirche bei vielen Gläubigen schwindet. Ich habe das eingangs bereits angedeutet. In der anfänglichen Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils verlagerte eine vielleicht übersteigerte Sicht von »Gemeinde« den Schwerpunkt des sakramentalen Mysteriums auf die Versammlung des Volkes Gottes. Auch wenn diese Akzentverschiebung in Texten des Konzils vorgezeichnet und legitimiert ist, wird man nicht verkennen können, dass mit der Betonung von erfahrener Gemeinschaft die konstitutive Bedeutung jener anderen Wahrheit aus dem Blick gerät, dass nämlich Gott selbst es ist, der sein Volk zusammenruft und als ecclesia zum Werkzeug seines Heils für die ganze Menschheit bestimmt. Die missionarische Sendung der Kirche ist Wesensmerkmal und Impuls eines immer neuen Aufbruchs, der sich nicht in einer Komfortzone gemeindlicher Selbstgefälligkeit kompromittieren darf. Auf die unverzichtbare Bedeutung der Eucharistie hinzuweisen und dies im liturgischen Feiern sowie in der intellektuellen Reflexion zu bewähren, ist kein Rückfall in einen vorkonziliaren Klerikalismus, sondern das Achten und Hüten des Ursprungs. Ecclesia de eucharistia, so der Titel einer Enzyklika von Papst Benedikt XVI: Kirche geht aus dem Vermächtnis des Herrn hervor. Es geht um grundlegende theologische Abhängigkeiten, die nicht einer scheinbar aufgeklärten Emanzipation geopfert werden dürfen. »Gottes-Dienst« beschreibt das gnadenhafte Handeln Gottes an der Menschheit und nicht eine eventorientierte Versammlung der Gläubigen zu Ehren Gottes. »Du bedarfst nicht unseres Lobes! Es ist ein Geschenk Deiner Gnade, dass wir Dir danken dürfen«, lautet der inspirierende Text einer Werktagspräfation im Messbuch. Angesichts einer zunehmenden Kritik an institutioneller Kirchlichkeit ist das Herrenmahl, ist die Eucharistie ein starkes Zeichen der inneren Erneuerung. Nicht trotziger Widerstand oder verzweifelte Selbstbehauptung, sondern die Rückkehr zum sacramentum redemptionis – Sakrament unserer Erlösung – sind das Reformprogramm der Kirche.

Davon will ich in diesem Buch erzählen. Es soll kein Lehr-Buch über die Eucharistie sein, sondern ein Teilen-Buch. Es handelt von Impressionen im eigentlichen Sinn des Wortes, von Engrammen des Herzens, die im Licht eucharistischer Meditation ihre wesentliche Deutung erhalten. So gesehen habe ich mich an ein sehr persönliches, ja intimes Experiment gewagt. Ich vertraue darauf, dass sich Menschen finden, die sich durch meine Betrachtungen anregen lassen, die eucharistische Wirklichkeit ihres eigenen Lebens zu entdecken, und so in einer geschwisterlichen Kommunion der Gedanken ihr persönliches Amen dazulegen. Dabei bin ich mir der Begrenztheit und Subjektivität meiner Überlegungen sehr wohl bewusst und will nicht verschweigen, dass mir viele Einsichten nicht gekommen und Erkenntnisse aufgegangen wären, wenn ich nicht immer wieder die Gelegenheit gehabt hätte, die vielfältigen Geschehnisse aus der unmittelbaren Erfahrung des priesterlichen Dienstes zu deuten. So ist am Ende vielleicht vor allem eine versammelte Erinnerung des am Altar erfahrenen Trostes daraus geworden.

Was in diesem Buch aufgeschrieben ist, verdanke ich zahllosen Begegnungen, die ich vor allem in meinem beruflichen Dienst erfahren durfte: als Kaplan in Mannheim, Studienpräfekt und Spiritual im Freiburger Theologenkonvikt Collegium Borromaeum, Studentenpfarrer in Mannheim, Mitarbeiter in der Freiburger Diözesankurie und schließlich Geistlicher Direktor der Münchener katholischen Journalistenschule (ifp). Die genannten Stationen sind der Rahmen, innerhalb dessen ich auf vielfältige Weise den Auftrag der Priesterweihe einlösen durfte: »Begreife, was du tust. Ahme nach, was du vollziehst. Stelle dein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes.« Was mit diesen Worten dem Weihekandidaten zugemutet wird, ist freilich keine exklusive klerikale Mission. Jedes christliche Leben steht unter diesem Dreiklang von Einsicht, Auftrag und Verheißung, auf je eigene Weise. Mir wurde das Los zuteil, die Dimensionen des Christseins unter den Bedingungen meiner priesterlichen Sendung entdecken zu dürfen. Die Albe, die ich unter dem Messgewand trage, ist das Taufkleid aller Christen. Der wirkliche Vorsteher der Eucharistie ist Christus selbst. Das »Herr, ich bin nicht würdig« ist allen Mitfeiernden in den Mund gelegt, auch und gerade dem, der dazu bestellt ist, die eucharistische Gegenwart des Herrn sakramental zu verkünden und dienend zu repräsentieren.

Da ich in meinem Berufsleben fast ausnahmslos in der kategorialen Seelsorge tätig war, durfte ich die Zelebration der Eucharistie unter vielfältigen Umständen und auch außergewöhnlichen Situationen erleben. Bei Exerzitien mit französischen Ordensfrauen, in Bordgottesdiensten mit philippinischen Crewmitgliedern eines Kreuzfahrtschiffes, in Jugendherbergen bei Besinnungswochenenden mit Auszubildenden unserer Journalistenschule, in abgelegenen Berghütten und in zahllosen Gottesdiensten im Ausland, im Kontext meiner Verantwortung für die weltkirchlichen Verbindungen meines Heimatbistums.

Aus all den mir geschenkten Erfahrungen meines Dienstauftrags heraus empfinde ich es als geistliches Abenteuer, eine eucharistische Spurensuche auch außerhalb der liturgischen Versammlung anzustellen. Das zutiefst menschliche Geschehen des Dankens darf nicht auf gestaltete Riten reduziert werden – so sehr wir darauf angewiesen sind, unseren Empfindungen auch durch Zeichen und Symbole Ausdruck zu verleihen. Die eucharistische Existenz der Christen beschränkt sich jedoch nicht nur auf jenes heilige Geschehen, von dem das 2. Vatikanische Konzil als culmen et fons – Gipfel und Quelle – gesprochen hat. Letztlich ist es eine Ausfolgerung der Menschwerdung Gottes in Christus, dass alles Menschliche hineingenommen ist in das Geheimnis der Berufung und der Barmherzigkeit. Nichts Menschliches ist als vermeintliches »weltlich Ding« ausgeschlossen aus dem Stromkreislauf der Liebe Gottes. Und deswegen führen alle Geschehnisse unseres Lebens – verborgen oder manifest – hinein in das Geheimnis vom gebrochenen Brot und vom geteilten Becher.

Wer über ein Leben in den Spuren Jesu nachdenkt, wird also früher oder später in Berührung kommen mit dem Vermächtnis im Abendmahlssaal: »Das bin ich für Euch.« Dies, so mein Vorsatz, ist der rote Faden der im Folgenden angebotenen Überlegungen.

Bei aller gebotenen intellektuellen Redlichkeit und dem gedanklichen Durchdringen verschiedener Erfahrungen wird der emotionale Anteil eine besondere Rolle spielen. Cor ad cor loquitur: Ein Herz spricht zum anderen. Zumeist sind es nicht zuerst mitreißende theologische Vorträge und Publikationen, sondern scheinbar nebensächliche Entdeckungen im alltäglichen Miteinander, die uns – wie den Jüngern von Emmaus – die Augen öffnen für die Wahrheiten aus dem Herzen Gottes.

Deshalb möchte ich vor das erste Kapitel dieses Buches eine solche prägende Erfahrung stellen, die mir vor nunmehr fast zwanzig Jahren zum unvergesslichen Geschenk wurde. Ich war damals im Rahmen einer Exposure-Reise in Peru und entschied mich für einen mehrtägigen Aufenthalt in einem Gefängnis in der Nähe der Stadt Arequipa im andinen Hochland. Im Frauentrakt von Socabaya lebte ich vom frühen Morgen bis in die späteren Abendstunden in unmittelbarer Begegnung mit den inhaftierten Frauen. Der unerwartete Besuch eines Priesters aus Deutschland veranlasste nicht wenige von ihnen, mit einem »Padre, quiero confesarme – ich würde gerne beichten« ihr Herz zu erleichtern. Das Beichtgeheimnis verbietet, hier ins Detail zu gehen, aber dass die erschütternden Bekenntnisse auch mit Inhalten wie Drogenhandel, Gattenmord, Abtreibung, Prostitution und Hexerei zu tun hatten, wird in dem geschilderten Kontext nicht verwundern.

Am letzten Tag meines Aufenthaltes werde ich von der Gefängnisleitung gebeten, mit einer Gruppe von Gottesdienstwilligen die Messe zu feiern. Die Frauen sind in ihren mit Häftlingsnummern versehenen Trainingsanzügen in einem kahlen, fensterlosen Raum versammelt, und die Eucharistiefeier findet unter der doppelten Bewachung durch zwei Vigilantes statt, die – mit Maschinenpistolen bewaffnet – am Ausgang des Raumes darüber wachen, dass auch wirklich »nur« die Messe gefeiert und die Zusammenkunft nicht etwa noch für andere Absichten ausgenutzt wird. Als der Augenblick des Friedensgrußes gekommen ist und ich vom wackeligen, schmucklosen Altartisch zu einer Geste der Versöhnung einlade: »Daos fraternalmente la paz – gebt Euch ein geschwisterliches Zeichen des Friedens«, lässt plötzlich eine der Mitfeiernden in der letzten Stuhlreihe sich nicht davon abhalten, das Zeichen des Friedens und der Versöhnung auch den beiden uniformierten Wärterinnen weiterzugeben. Was dann folgt, gehört zu jenen unvergesslichen Erfahrungen, die ich unmöglich für mich alleine behalten kann. Die beiden Aufseherinnen legen ihre Waffen auf den Boden und lassen die buchstäblich entwaffnende Umarmung an sich geschehen. Und nicht nur das: Sie reihen sich ein in die Gruppe derer, die zum Altar treten und die Kommunion empfangen. Vergessen sind die Waffen, vergessen ihre Pflicht der sorgsamen Überwachung des Geschehens – aufgelöst in einen Augenblick des Friedens und der geschwisterlichen Solidarität.

Dass die Gefängnisleitung von dieser heiligen Befehlsverweigerung nichts erfahren durfte, war unter allen Beteiligten eine ausgemachte Sache. Ich weiß nicht mehr genau, wie ich die Zelebration in diesem »Paradies hinter Gittern« zu Ende gebracht habe. Den salzigen Geschmack der Tränen, der sich mit meiner unsagbaren Dankbarkeit verband, meine ich noch heute auf meinen Lippen zu spüren. Das beeindruckende Verhalten der inhaftierten Frauen wurde mir zu einer Eucharistiekatechese der besonderen Art. Es hat mir einmal mehr gezeigt, dass die Liebe den Hass überwindet und die Sehnsucht nach vorbehaltloser Menschlichkeit stärker ist als die Rollen, die das Leben uns zudenkt. Solche und vergleichbare intensive Entdeckungen verdienen es, nicht in Vergessenheit zu geraten – auch das ist ein Leitmotiv dieses Buches.

Manchen, die mich aus anderen Kontexten und Begegnungen kennen und in den folgenden Kapiteln lesen, wird der eine oder andere Gedanke bekannt vorkommen. Auch für mich selbst ist es eine Relecture