Die Perlenschnur oder: Sweeney Todd, der teuflische Barbier aus der Fleet Street - James Malcolm Rymer - E-Book

Die Perlenschnur oder: Sweeney Todd, der teuflische Barbier aus der Fleet Street E-Book

James Malcolm Rymer

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Beschreibung

Ein viktorianischer Klassiker - erfolgreich verfilmt mit Johnny Depp in der Hauptrolle. In seinem Londoner Geschäft in der Fleet Street empfängt der Barbier Sweeney Todd bevorzugt reiche Kunden. Als einer seiner Besucher, der eine wertvolle Perlenschnur mit sich führt, spurlos verschwindet, beginnen einige Leute zu argwöhnen, ob nicht vielleicht Todd damit zu tun haben könnte. Unabhängig voneinander beginnen Freunde des zuletzt Verschwundenen, die junge Johanna, für welche die Perlen bestimmt waren, und Tobias, der Lehrling Sweeney Todds, Nachforschungen anzustellen. Dennoch ist dem Barbier lange nichts nachzuweisen - er scheint entweder unschuldig, oder aber teuflisch raffiniert zu sein. Und kann es möglich sein, daß auch Mrs. Lovett, die Inhaberin des beliebten Pastetenladens in der Nähe, in die Sache verstrickt ist? Allmählich beginnt sich die Schlinge um den Hals des Barbiers enger zu ziehen, und die Suchenden kommen der Lösung des Geheimnisses näher ...

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Seitenzahl: 548

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VON

JAMES MALCOLM RYMER

&

THOMAS PECKETT PREST.

Illustrierte Ausgabe.

Nach dem Text der englischen Erstausgabe: „THE STRING OF PEARLS: A ROMANCE. London, 1846-47.” Übersetzt von Maria Weber.

Inhalt.

Kapitel. – Sweeney Todds seltsamer Kunde.

Kapitel. – Die Tochter des Brillenmachers.

Kapitel. – Der Hund und der Hut.

Kapitel. – Der Pastetenladen im Bell Yard.

Kapitel. – Das Treffen in Temple.

Kapitel. – Das Treffen u. d. schreckliche Erzählung i. d. Temple Garden.

Kapitel. – Der Barbier und der Edelsteinhändler.

Kapitel. – Das Haus der Diebe.

Kapitel. – Johanna zu Hause und der Beschluß.

Kapitel. – Der Colonel und sein Freund.

Kapitel. – Der Fremde in Lovetts Pastetenladen.

Kapitel. – Johanna Oakley faßt einen Entschluß.

Kapitel. – Johannas Gespräch mit Arabella Wilmot und der Ratschlag.

Kapitel. – Tobiasʼ Drohung und ihre Folgen.

Kapitel. – Das zweite Gespräch zwischen Johanna und dem Colonel in den Temple Gardens.

Kapitel. – Der Barbier unternimmt einen weiteren Versuch, die Perlenschnur zu verkaufen.

Kapitel. – Die große Veränderung in den Aussichten Sweeney Todds.

Kapitel. – Tobiasʼ Abenteuer während Sweeney Todds Abwesenheit.

Kapitel. – Der seltsame Gestank in der alten St.-Dunstan-Kirche.

Kapitel. – Was nach Tobiasʼ Weggang bei Sweeney Todd geschah.

Kapitel. – Tobiasʼ Mißgeschick. Das Irrenhaus in Peckham Rye.

Kapitel. – Die Irrenhauszelle.

Kapitel. – Mrs. Lovetts neuer Koch wird seiner Stellung überdrüssig.

Kapitel. – Die Nacht im Irrenhaus.

Kapitel. – Mr. Foggs Geschichte i. Irrenhaus gegenüber Sweeney Todd.

Kapitel. – Colonel Jeffery unternimmt eine weitere Anstrengung, um Sweeney Todds Geheimnis zu lüften.

Kapitel. – Tobias unternimmt einen Fluchtversuch aus dem Irrenhaus.

Kapitel. – Der Irrenhaus-Hof und Tobiasʼ neue Freundin.

Kapitel. – Colonel Jeffery konsultiert den Richter.

Kapitel. – Tobiasʼ Flucht aus Mr. Foggs Einrichtung.

Kapitel. – Tobiasʼ schnelle Reise nach London.

Kapitel. – Die Ausschreibung in Sweeney Todds Fenster. Johanna Oakleys Abenteuer.

Kapitel. – Die Entdeckung in den Gewölben der St.-Dunstan-Kirche.

Kapitel. – Johanna allein. Das Geheimnis. Mr. Todds Argwohn. Der geheimnisvolle Brief.

Kapitel. – Sweeney Todd beginnt, den Weg z. s. Ruhestand zu ebnen.

Kapitel. – Die letzte Ladung der köstlichen Pasteten.

Kapitel. – Der Fluchtplan des Gefangenen.

Kapitel. – Sweeney Todd rasiert einen guten Kunden. Die Verhaftung.

Kapitel. – Schluß. .

1. Kapitel.

Sweeney Todds seltsamer Kunde.

EHE die Fleet Street ihre heutige Bedeutung erlangt hatte, und als George III. noch jung und die beiden Gestalten, die früher in der alten St.-Dunstan-Kirche die Glockenspiele schlugen, prächtig anzusehen waren – was ein großes Hindernis für die Laufburschen auf ihren Besorgungen, und eine Sache der Schaulust für die Leute vom Land war – stand in der Nähe des Sakralbaus ein kleiner Barbierladen, der von einem Mann namens Sweeney Todd geführt wurde.

Wie es dazu kam, daß er den Namen Sweeney trug, können wir uns nicht erklären, aber dies war sein Name, wie es in äußerst dicken gelben Buchstaben über seinem Schaufenster für jeden, der sich entschied, dort danach zu suchen, zu sehen war.

Die Barbiere in der Fleet Street waren zu dieser Zeit noch nicht in Mode gekommen und träumten ebensowenig davon, sich Künstler zu nennen, als den Tower im Sturm zu erobern; außerdem schlachteten sie nicht wie jetzt ständig fette Bären1, und doch hatten die Leute irgendwie Haare auf den Köpfen, genauso wie jetzt, ganz ohne jenes üble Hilfsmittel. Darüber hinaus hielt Sweeney Todd, ebenso wie seine Kollegen in jenen wirklich primitiven Zeiten, es überhaupt nicht für notwendig, irgendwelche dem Menschen nachempfundenen Wachsfiguren in seinem Fenster auszustellen. Es gab keine schmachtende junge Dame, die ihr Haar über die linke Schulter warf, damit sich eine Fülle von kastanienbraunen Locken ihre lilienweißen Nacken bedeckte, und große Eroberer und ebensolche Staatsmänner wurden damals, anders als heute, nicht mit rot geschminkten Wangen, einem Quentchen Schießpulver, um einen Bart vorzutäuschen, und ein paar aufgeklebten Borsten anstelle von Augenbrauen öffentlich der Lächerlichkeit preisgegeben.

Nein. Sweeney Todd war ein Barbier der alten Schule, und er dachte nie daran, sich wegen irgendwelcher unerheblichen Umstände zu verherrlichen. Wenn er im Palast Heinrichs VIII. gelebt hätte, wäre ihm dies ebenso recht gewesen, als hätte er im Hundezwinger Heinrichs VII. gelebt, und er hätte kaum glauben mögen, daß die menschliche Natur so unerfahren sein sollte, daß irgend jemand dafür, an einem bestimmten Ort rasiert und geschoren zu werden, einen Extra-Pence bezahlen würde.

Ein langer, weiß gestrichener Pfahl, um den sich spiralförmig ein roter Streifen wand, ragte von seiner Ladenschwelle auf die Straße, und auf einer der Glasscheiben in seinem Fenster stand folgender Reim geschrieben:

Immer nur hereinspaziert, Für einen Penny werden Sie hier rasiert.

Wir stellen diese Zeilen nicht als ein Beispiel für die Poesie jener Zeit auf; sie könnten der Hand eines jeden jungen Templers2 entstammen; aber wenn es ihnen auch etwas an poetischem Feuer mangelte, so machte doch die klare und genaue Art und Weise, in der sie darlegten, was sie aussagen wollten, es reichlich wett.

Der Barbier selbst war ein hochgewachsener, langgliedriger, schlecht zusammengesetzter Kerl mit einem riesigen Mund und so großen Händen und Füßen, daß er auf seine Weise eine ziemliche Kuriosität war; und, was noch wunderbarer war, wenn man sein Handwerk berücksichtigt: der prächtige Haarschopf Sweeney Todds suchte Seinesgleichen. Wir wissen nicht, womit wir ihn vergleichen sollen: Wahrscheinlich kam er dem Aussehen einer dichten Hecke am nächsten, in welcher sich eine gewisse Menge an Draht verfangen hatte. Tatsächlich war es ein grandioser Haarschopf; und da Sweeney Todd alle seine Kämme darin aufbewahrte – einige sagten dies auch über seine Scheren –, hätte er, wenn er seinen Kopf aus der Ladentür steckte, um zu sehen, wie das Wetter war, mit seinem bemerkenswerten Haarschmuck für einen indianischen Krieger gehalten werden können.

Er hatte ein kurzes, freudloses, unangenehmes Lachen, das er stets zu Unzeiten ausstieß, wenn sonst niemand etwas zum Lachen sah, und das die Leute zuweilen zusammenfahren ließ, insbesondere wenn sie gerade rasiert wurden und Sweeney Todd kurz in dieser Handlung innehielt, um einem dieser Anflüge unpassenden lauten Lachens zu frönen. Es war offensichtlich, daß ihn gelegentlich die Erinnerung an einen sehr merkwürdigen und abwegigen Witz durchfahren mußte, worauf er sein hyänenartiges Lachen von sich gab, aber es war so kurz, so plötzlich, daß es nur für einen Moment auf das Ohr traf und im nächsten verhallt war, so daß es sich begab, daß Leute zur Decke und auf den Boden und um sich herum blickten, um herauszufinden, woher es gekommen war, und es kaum für möglich hielten, daß es von den Lippen eines Menschen stammen konnte.

Außerdem schielte Mr. Todd ein wenig; und so denken wir, daß der Leser zu diesem Zeitpunkt vor seinem geistigen Auge das Individuum sehen kann, das wir ihm präsentieren möchten. Einige hielten ihn für einen ganz und gar harmlosen Kerl, der etwas unterbemittelt war, und manchmal hielten sie ihn fast für ein wenig verrückt; aber es gab wieder andere, die ihre Köpfe schüttelten, wenn sie von ihm sprachen; und obwohl sie nichts zu seinem Nachteil sagen konnten, außer daß sie ihn gewiß für merkwürdig hielten, worauf sie begannen, darüber zu sinnieren, was für ein großes Verbrechen und Vergehen es wirklich in dieser Welt ist, merkwürdig zu sein, werden wir uns über den schlechten Ruf, in dem Sweeney Todd stand, nicht wundern.

Trotz alledem war er ein äußerst erfolgreicher Geschäftsmann und wurde von seinen Nachbarn als ein sehr wohlhabender und, in der Phraseologie der Stadt, durchaus „tüchtiger“ Mann angesehen.

Es war ungemein praktisch für die jungen Studenten in Temple, bei Sweeney Todd vorbeizuschauen, um sich die Kinne rasieren zu lassen: So machte er von morgens bis abends ein gutes Geschäft und war offensichtlich ein erfolgreicher Mann.

Es gab nur eine Sache, die in irgendeiner Weise gegen die große Klugheit von Sweeney Todds Charakter zu sprechen schien, und diese war, daß er der Mieter eines großen Hauses war, von dem er nichts als das Geschäft und das Hinterzimmer besetzte und dessen oberen Teil er völlig ungenutzt ließ, und sich zudem hartnäckig weigerte, es zu irgendwelchen Bedingungen zu vermieten.

Dies war der Stand der Dinge im Jahre 1785 n. Chr., was Sweeney Todd anbelangte.

Der Tag neigt sich dem Ende zu, und es fällt ein leichter Nieselregen, so daß nicht viele Passanten auf den Straßen sind. Sweeney Todd sitzt in seinem Laden und blickt einem Jungen scharf ins Gesicht, der in einer Haltung zitternder Unterwerfung vor ihm steht.

„Du erinnerst dich sicher“, sagte Sweeney Todd, und er verzog sein Gesicht zu einer schrecklichen Grimasse, als er sprach. „Du erinnerst dich sicher, Tobias Ragg, daß du jetzt mein Lehrling bist, daß du von mir Unterkunft, Verpflegung und die Besorgung der Wäsche erhältst mit der Ausnahme, daß du hier nicht schläfst, daß du deine Mahlzeiten zu Hause einnimmst und daß deine Mutter, Mrs. Ragg, deine Wäsche wäscht, was sie sehr gut tun kann, da sie eine Wäscherin in Temple ist und Geld zuhauf damit verdient: Was die Unterkunft anbelangt, so logierst du hier den ganzen Tag sehr bequem im Geschäft. Hast du Hund nicht ein wahnsinniges Glück?“

„Ja, Sir“, sagte der Junge schüchtern.

„Du wirst einen erstklassigen Beruf erlernen, der ebensogut ist wie die Jurisprudenz, zu der deine Mutter, wie sie mir erzählte, dich gezwungen haben würde, wenn nicht eine kleine Schwäche in deinem Oberstübchen dich disqualifiziert hätte. Und jetzt, Tobias, hör mir zu und merke dir jedes Wort, das ich sage.“

„Ja, Sir.“

„Ich schlitze dir die Kehle von einem Ohr zum andern auf, wenn du ein Wort von dem sagst, was in diesem Laden passiert, oder es wagst, eine Vermutung anzustellen oder aus irgend etwas Schlüsse zu ziehen, was du sehen oder hören wirst oder zu sehen oder zu hören glaubst. Jetzt verstehst du mich – ich schlitze dir die Kehle von einem Ohr zum andern auf – ist das klar?“

„Ja, Sir, ich werde nichts sagen. Ich denke, Sir, ich sollte bei Lovett im Bell Yard zu Kalbspastete verarbeitet werden, wenn ich nur ein Wort sagen würde.“

Sweeney Todd erhob sich von seinem Platz und sah den Jungen, indem er seinen riesigen Mund öffnete, für ein oder zwei Minuten schweigend an, als erwöge er, ihn vollständig zu verschlucken, hätte sich aber noch nicht ganz entschieden, wo er anfangen sollte.

„Nun gut“, sagte er schließlich, „das soll mir recht sein; und vergiß nicht – du hast dich außer im Laden nirgends aufzuhalten.“

„Ja, Sir.“

„Und wenn dir ein Kunde einen Penny gibt, kannst du ihn behalten, damit du ein reicher Mann wirst, wenn du genug davon bekommst; allerdings werde ich sie für dich verwahren, und wenn ich denke, daß du sie willst, werde ich sie dir geben. Lauf hinaus und sieh bei der St.-Dunstan-Kirche nach, wieviel Uhr es ist.“

Eine kleine Menschenmenge hatte sich gegenüber der Kirche versammelt, denn die Figuren standen kurz davor, viertel vor sieben zu schlagen; und in dieser Menge befand sich ein Mann, der genauso gespannt wie alle anderen auf die Vorführung war.

„Jetzt geht es los!“, sagte er; „jetzt fangen sie an; ach, das ist genial. Sieh sich einer an, wie der Kerl seinen Knüppel hochhebt und auf die alte Glocke schlägt.“

Die drei Viertel wurden von den Figuren geschlagen; und dann gingen die Leute davon, die verweilt hatten, um diesen Vorgang zu sehen, und von denen viele Tag für Tag über Jahre hinweg dieselbe Vorführung besucht hatten, mit Ausnahme des Mannes, der so gebannt schien.

Er blieb stehen, und zu seinen Füßen kauerte ein edel aussehender Hund, der ebenfalls zu den Figuren aufblickte; und der, da er die Aufmerksamkeit seines Herrn bemerkte, der so starr zu ihnen hinsah, sich bemühte, einen so großen Anschein von Interesse zu erwecken, wie er nur konnte.

„Was hältst du davon, Hector?“, sagte der Mann.

Der Hund stieß ein leises Winseln aus, und dann fuhr sein Herr fort: „Gegenüber gibt es einen Barbierladen, den ich aufsuchen will, bevor ich weiter gehe, um bei den Damen vorzusprechen; obwohl ich einen sehr trübseligen Auftrag habe, denn ich habe ihnen zu sagen, daß der arme Mark Ingestrie nicht mehr unter uns weilt, und der Himmel weiß, was die arme Johanna sagen wird – ich denke, ich sollte sie anhand seiner Beschreibung erkennen. Der arme Kerl. Es betrübt mich, jetzt darüber nachzudenken, wie er in den langen Nachtwachen von ihr gesprochen hat, wenn alles still war und kein Luftzug eine Locke auf seiner Wange bewegte. Ich konnte mir zuweilen beinahe vorstellen, sie vor mir zu sehen, wenn er mir von ihren sanft strahlenden Augen, ihrem kleinen Schmollmund und den Grübchen erzählte, die um ihre Lippen spielten. Doch es nützt nichts zu trauern. Er ist tot und dahin, der arme Kerl, und das Salzwasser umspült eines der wackersten Herzen, die es je gab. Sein Liebchen Johanna soll dennoch die Perlenschnur haben; und wenn sie nicht in dieser Welt Mark Ingestries Weib sein kann, wird sie wenigstens reich und glücklich sein, während sie lebt, das arme junge Ding, oder zumindest so glücklich, wie sie es zu sein vermag; und sie muß sich einfach nur darauf freuen, ihm dort

oben wieder zu begegnen, wo es keine Stürme oder Unwetter gibt. Und deswegen werde ich mich jetzt gleich rasieren lassen.“

Er überquerte die Straße in Richtung des Ladens von Sweeney Todd, betrat ihn durch die niedrige Tür und stand dem merkwürdig aussehenden Barbier gegenüber.

Der Hund knurrte leise und schnüffelte in der Luft.

„Nun, Hector“, sagte sein Herr, „was ist los? Platz, mein Guter, platz!“

„Ich habe Todesangst vor Hunden“, sagte Sweeney Todd. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, Sir, wenn er draußen vor der Tür sitzen und auf Sie warten würde? Sehen Sie ihn sich nur an, er wird mich anfallen!“

„Dann wären Sie die erste Person, die er jemals ohne Provokation berührt hätte“, sagte der Mann. „Aber ich nehme an, er mag Ihr Aussehen nicht, und ich muß zugeben, daß ich darüber nicht sonderlich überrascht bin. Ich habe in meinem Leben schon ein paar absonderlich aussehende Gestalten gesehen, aber der Teufel soll mich holen, wenn ich jemals so eine Marke wie Sie gesehen habe. Was zum Teufel war das?“

„Das war nur ich“, sagte Sweeney Todd; „Ich habe gelacht.“

„Gelacht! Nennen Sie das ein Lachen? Ich nehme an, Sie haben es sich von jemandem eingefangen, der daran gestorben ist. Wenn das Ihre Art zu lachen ist, bitte ich Sie darum, es nicht mehr zu tun.“

„Halten Sie den Hund auf! Halten Sie ihn auf! Ich will keine Hunde in meinem Salon haben.“

„Na komm, Hector, hierher!“, rief sein Herr; „Hinaus mit dir!“

Der Hund verließ überaus unwillig den Laden und kauerte sich neben der Tür hin, die der Barbier sorgfältig schloß, während er etwas von einem Luftzug murmelte, der hereinkäme, sich dann an den Lehrling wandte, der sich in eine Ecke verzogen hatte, und sagte: „Tobias, mein Junge, geh in die Leadenhall Street und bringe mir einen kleinen Beutel mit den dicken Keksen von Mr. Peterson mit. Sag, sie sind für mich. Nun, Sir, ich nehme an, Sie möchten sich rasieren lassen, und es ist gut, daß Sie hierher gekommen sind, denn es gibt keinen Barbierladen in ganz London, der jemals daran denkt, jemanden so gründlich zu erledigen, wie ich es tue.“

„Ich sage Ihnen was, Sie Meisterbarbier: wenn Sie noch einmal so lachen, stehe ich auf und gehe. Ich mag es nicht und fertig.“

„Sehr wohl“, sagte Sweeney Todd, während er den Rasierschaum mischte. „Wer sind Sie? Woher kommen Sie und wo gehen Sie hin?“

„So ist’s recht, so ist’s recht. Verdammt! Warum zur Hölle stecken sie mir den Pinsel in den Mund? Oh nein, lachen Sie nicht; und da Sie so gern Fragen stellen, beantworten Sie einmal mir eine Frage.“

„Aber gewiß. Was möchten Sie wissen, Sir?“

„Kennen Sie einen Mr. Oakley, der irgendwo in London lebt und ein Brillenmacher ist?“

„Ja gewiß – John Oakley, der Brillenmacher in der Fore Street, und er hat eine Tochter namens Johanna, die die jungen Kerle die Blume der Fore Street nennen.“

„Ach, das arme Ding! Das tun sie? Zum Teufel mit Ihnen! Worüber lachen Sie nun schon wieder? Was soll das?“

„Sagten Sie nicht, ‚Ach, das arme Ding?‘ Drehen Sie einfach Ihren Kopf ein wenig zur Seite; ja, das genügt. Sie waren auf See, Sir?“

„Ja, das war ich und bin erst kürzlich von einer Reise nach Indien zurückgekehrt und den Fluß hinaufgekommen.“

„Tatsächlich! Wo ist denn nur mein Abziehleder? Ich hatte es vor einer Minute noch; ich muß es irgendwo hingelegt haben. Wie seltsam, daß ich es nicht sehen kann! Es ist sehr außergewöhnlich; was kann nur daraus geworden sein? Oh, ich erinnere mich, ich nahm es mit ins Hinterzimmer. Bleiben Sie still sitzen, Sir. Ich werde nur eine Sekunde weg sein; bleiben Sie bitte still sitzen, Sir. In der Zwischenzeit können Sie sich gern mit dem Courier die Zeit vertreiben, Sir.“

Sweeney Todd ging ins Hinterzimmer und schloß die Tür. Plötzlich ertönte ein seltsamer Ton, der von einem schleifenden Geräusch und einem heftigen Schlag begleitet wurde. Sweeney Todd tauchte sofort danach aus seinem Hinterzimmer auf und blickte mit verschränkten Arme auf den leeren Stuhl, auf dem sein Kunde gesessen hatte, aber der Kunde war fort, und hatte nicht die geringste Spur seiner Anwesenheit zurückgelassen, außer seinem Hut, und diesen griff sich Sweeney Todd sofort und warf ihn in einen Schrank, der sich in einer Ecke des Ladens befand.

„Was ist das?“, sagte er: „Was ist das? Ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört.“

Die Tür wurde langsam geöffnet, und Tobias erschien und sagte: „Bitte, Sir, ich habe das Geld vergessen und bin den ganzen Weg vom Kirchhof der St. Paulskirche zurückgelaufen.“

Mit zwei Schritten erreichte Todd ihn, packte ihn am Arm und zog ihn in den hintersten Winkel des Ladens, wo er sich vor ihm aufbaute und ihn

mit einem so teuflischen Gesichtsausdruck anfunkelte, daß der Junge fürchterlich erschrak.

„Sprich!“, schrie Todd, „sprich! Und sag die Wahrheit, oder dein letztes Stündlein hat geschlagen! Wie lange hast du durch die Tür gespäht, ehe du hereinkamst?“

„Gespäht, Sir?“

„Ja, gespäht. Wiederhole meine Worte nicht, sondern antworte mir sofort, das wird dir besser bekommen.“

„Ich habe überhaupt nicht gespäht, Sir.“

Sweeney Todd holte tief Luft und sagte dann auf eine seltsame, quietschende Art, die er zweifellos für scherzhaft hielt: „Tja dann, nun gut; es ist nichts dabei, wenn du gespäht hast. Es ist unwichtig; ich wollte es nur wissen, das ist alles; es war ein ziemlich guter Witz, nicht wahr – ziemlich lustig, wenn auch ziemlich seltsam, was? Warum lachst du nicht, du Hund? Na komm, es ist kein Schaden angerichtet worden. Sag mir sofort, was du darüber gedacht hast, und wir werden darüber lachen – viel lachen.“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir“, sagte der Junge, der über Mr. Todds Heiterkeit ebenso beunruhigt war wie über seinen Zorn. „Ich weiß nicht, was Sie meinen, Sir. Ich bin gerade erst zurückgekommen, weil ich kein Geld hatte, um die Kekse bei Peterson zu bezahlen.“

„Ich meine gar nichts“, sagte Todd und drehte sich plötzlich auf dem Absatz um. „Was kratzt da an der Tür?“

Tobias öffnete die Ladentür, und dort stand der Hund, der sich sehnsüchtig umsah und dann ein Jaulen ausstieß, das den Barbier ernstlich beunruhigte.

„Es ist der Hund des Gentlemans, Sir“, sagte Tobias, „es ist der Hund des Gentlemans, Sir, der auf die Uhr der alten St.-Dunstan-Kirche schaute und hierher kam, um sich rasieren zu lassen. Es ist komisch, nicht wahr, Sir, daß der Hund nicht mit seinem Herrn weggegangen ist?“

„Warum lachst du nicht, wenn es komisch ist? Jag den Hund fort, Tobias, wir werden hier keine Hunde dulden. Ich hasse ihren Anblick. Jag ihn fort – jag ihn fort.“

„Das würde ich gern tun, Sir, aber ich fürchte, er würde mich nicht lassen. Sehen Sie nur, Sir – sehen Sie nur, was er da tut! Haben Sie je einen so rabiaten Kerl gesehen, Sir? Warum will er die Schranktür öffnen?“

„Halte ihn auf – halte ihn auf! Der Teufel steckt in diesem Tier! Halte ihn auf, sage ich!“

Der Hund öffnete gerade die Tür, als Sweeney Todd nach vorne stürmte, um ihn aufzuhalten; aber er wurde bald auf die Gefahr seines Tuns hingewiesen, denn der Hund biß ihn ins Bein, was ihn ein solches Heulen ausstoßen ließ, daß er sich eilig zurückzog, und das Tier bei seinem Vorhaben gewähren ließ. Dies bestand darin, die Schranktür zu öffnen, den Hut, den Sweeney Todd hineingeschoben hatte, zu schnappen und triumphierend damit aus dem Laden zu stürmen.

„Der Teufel steckt in diesem Tier“, murmelte Todd, „fort ist es. Tobias, du sagtest, du hättest den Mann gesehen, dem der Teufel von Hund gehörte, wie er sich die St.-Dunstan-Kirche ansah.“

„Ja, Sir, ich habe ihn dort gesehen. Wie Sie sich erinnern, schickten Sie mich hinaus, um nach der Uhrzeit zu sehen, und die Figuren standen gerade davor, viertel vor sieben zu schlagen; und ehe ich wegkam, hörte ich ihn sagen, daß Mark Ingestrie tot wäre und Johanna die Perlenschnur haben sollte. Dann bin ich hereingekommen, und wie Sie sich erinnern, Sir, kam er danach rein, und das Merkwürdige ist, daß er seinen Hund nicht mitgenommen hat, weil – verstehen Sie, Sir?“

„Weil was?“, schrie Todd.

„Weil die Leute im allgemeinen ihre Hunde mitnehmen, wissen Sie, Sir; und ich soll zu einer von Lovetts Pasteten verarbeitet werden, wenn ich das nicht weiß.“

„Still! Es kommt jemand, es ist der alte Mr. Grant aus Temple. Wie geht es Ihnen, Mr. Grant? Schön, Sie so erfrischt zu sehen, Sir. Es tut dem Herzen wohl, einen Gentleman Ihres Alters so frisch und munter zu sehen. Setzen Sie sich, Sir; bitte drehen Sie sich ein bißchen in diese Richtung. Eine Rasur, nehme ich an?“

„Ja, Todd, ja. Irgendwelche Neuigkeiten?'

„Nein, Sir, nichts rührt sich. Alles sehr ruhig, Sir, bis auf den starken Wind. Es heißt, er hat dem König gestern den Hut vom Kopf geblasen, Sir, und er mußte sich den von Lord North leihen. Das Geschäft läuft auch schleppend, Sir. Ich nehme an, die Leute wollen nicht herauskommen, damit sie nicht vom Regen gewaschen werden. Wir haben seit anderthalb Stunden niemanden im Laden gehabt.“

„Aber Sir!“, sagte Tobias, „Sie haben den zur See fahrenden Gentleman mit dem Hund vergessen, wissen Sie nicht mehr, Sir?“

„Ach! Natürlich“, sagte Todd. „Er ist weggegangen, und ich habe gesehen, wie er an der Ecke des Marktes in einen Streit geraten ist, glaube ich.“

„Ich frage mich, warum ich ihm nicht begegnet bin, Sir“, sagte Tobias; „und es ist so seltsam, daß er seinen Hund zurückließ.“

„Ja, sehr“, sagte Todd. „Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick, Mr. Grant. Tobias, mein Junge, ich möchte, daß du mir im Hinterzimmer zur Hand gehst.“

Tobias folgte Todd nichtsahnend ins Hinterzimmer; als sie aber dort ankamen und die Tür geschlossen war, sprang der Barbier ihn an wie ein wütender Tiger, und stieß, indem er ihn an der Kehle packte, seinen Kopf in einem solch rasenden Takt gegen die Vertäfelung, daß Mr. Grant gedacht haben mußte, daß ein Zimmermann bei der Arbeit wäre. Dann riß er ihm eine Handvoll Haare aus, drehte ihn herum und versetzte ihm einen solchen Tritt, daß er in eine Ecke des Raumes geworfen wurde. Darauf ging der Barbier wortlos wieder zu seinem Kunden, und er verriegelte die Tür des Hinterzimmers von außen, so daß Tobias die Lektion, die ihm sein Betragen eingebracht hatte, so gut wie möglich verdauen konnte.

Als er zu Mr. Grant zurückkam, entschuldigte er sich dafür, ihn warten gelassen zu haben und sagte:

„Es wurde notwendig, Sir, meinem neuen Burschen eine kleine Lektion über sein Geschäft zu erteilen. Ich habe ihn jetzt sich selbst überlassen, damit er sie sich einprägt. Es gibt nichts Schöneres, als junge Leute unverzüglich zu unterrichten.“

„Ach!“, sagte Mr. Grant mit einem Seufzer: „Ich weiß, was es heißt, wenn junge Leute aufmüpfig werden; denn obwohl ich weder ein Weib noch ein eigenes Kind habe, mußte ich mich um den Sohn einer Schwester kümmern – einen gutaussehenden, wilden, leichtsinnigen Kerl, so wie ich, er gleicht mir wie ein Ei dem andern. Ich habe versucht, einen Anwalt aus ihm zu machen, aber daraus wurde nichts, und dann, es ist jetzt mehr als zwei Jahre her, hat er mich ganz verlassen; und doch hatte Mark einige gute Eigenschaften.“

„Mark, Sir! Sagten Sie Mark?“

„Ja, so lautet sein Name, Mark Ingestrie. Gott weiß, was aus ihm geworden ist.“

„Oh!“, sagte Sweeney Todd; und er fuhr fort, Mr. Grants Kinn einzuschäumen.

1 Angeblich kräftigte Bärenfett die Haare und förderte den Haarwuchs.

2 Bewohner des Londoner Stadtteils Temple, dem historischen Gerichtsbezirk in London.

2. Kapitel.

Die Tochter des Brillenmachers.

JOHANNA, Johanna, meine Liebe, weißt du, wie spät es ist? Johanna, sage ich, Liebes, steh auf! Deine Mutter ist zu Hochwürden Lupin gefahren, und du weißt, daß ich als Erstes zum Stadtrat Judd nach Cripplegate gehen muß, und ich habe noch kein bißchen gefrühstückt. Johanna, meine Liebe, hörst du?“

Diese Bemerkungen wurden von Mr. Oakley, dem Brillenmacher, am Morgen nach den Ereignissen, die wir gerade bei Sweeney Todd aufgezeichnet haben, vor der Tür von Johannas Zimmer geäußert; und alsbald antwortete ihm eine sanfte, süße Stimme:

„Ich komme, Vater, ich komme. Ich bin in einem Moment unten, Vater.“

„Eile dich nicht, mein Schatz, ich kann warten.“

Der kleine alte Brillenmacher stieg die Treppe wieder hinunter und setzte sich in den Salon im hinteren Teil des Ladens, wo sich nach wenigen Augenblicken Johanna, seine einzige und sehr geliebte Tochter, zu ihm gesellte.

Sie war in der Tat ein anmutiges und schönes Wesen, wie man es selten findet. Sie war achtzehn Jahre alt, aber sie sah etwas jünger aus, und in ihrem Gesicht spiegelte sich jene Lieblichkeit und Intelligenz des Ausdrucks wieder, die dem Lauf der Zeit fast widerspricht. Ihr Haar war glänzend schwarz, und, was in Verbindung mit einem solchen Merkmal selten war, ihre Augen waren von einem tiefen und himmlischen Blau. Ihre Schönheit wies keine Strenge oder Schärfe auf, der Ausdruck ihres Gesichts war vielmehr voller Anmut und sanfter Lieblichkeit. Es war eines jener Gesichter, die man an einem langen Sommertag betrachten konnte, wie die Seiten eines äußerst interessanten Buches, welches die üppigste Nahrung für eine angenehme und genußvolle Besinnung liefert.

Es lag ein Anflug von Trauer in ihrer Stimme, welcher aber nur dazu diente, sie womöglich noch melodischer, wenn auch etwas kummervoll, klingen zu lassen, und der darauf hinzudeuten schien, daß im Grunde ihres Herzens eine Trauer lag, über die noch nicht gesprochen worden ist – eine gehegte Sehnsucht ihrer reinen Seele, die in Bezug auf ihre Erfüllung hoffnungslos schien – eine Erinnerung an eine frühere Freude, die sich in Bitternis und Trauer verwandelt hatte: Es war die Wolke am sonnigen Himmel – der Schatten, durch den noch immer hell und schön die Sonne schimmerte, der aber dennoch auf seiner Anwesenheit beharrte.

„Ich habe dich warten lassen, Vater“, sagte sie, als sie ihre Arme um den Hals des alten Mannes warf.

„Das macht nichts, Liebes. Es ist nur so, daß deine Mutter so begeistert von Mr. Lupin ist, daß sie, da heute Mittwoch ist, gleich in der Frühe zu seiner Gebetsversammlung aufgebrochen ist, und deshalb habe ich nicht gefrühstückt; und ich glaube wirklich, ich muß Sam entlassen.“

„Tatsächlich, Vater! Was hat er getan?“

„Überhaupt nichts, und genau das ist der Grund. Ich mußte heute morgen selbst die Fensterläden öffnen, und stell dir vor: Er hatte die Kühnheit, mir mitzuteilen, daß er heute morgen weder die Fensterläden öffnen noch den Laden auskehren könnte, weil seine Tante Zahnschmerzen hätte.“

„Eine schlechte Ausrede, Vater“, sagte Johanna, als sie umhereilte und das Frühstück bereitete. „Eine sehr schlechte Ausrede!“

„In der Tat! Aber sein Monat ist heute um und ich muß ihn mir vom Hals schaffen. Aber ich schätze, ich werde deswegen Ärger mit deiner Mutter bekommen, denn seine Tante gehört der Gemeinde von Mr. Lupin an; aber so sicher wie dies der 20. August ist –“

„Es ist der 20. August“, sagte Johanna, als sie auf einen Stuhl sank und in Tränen ausbrach. „Es ist der 20. August! Ich dachte, ich könnte es ertragen, aber ich kann es nicht, Vater, ich kann es nicht. Deswegen habe ich mich verspätet. Ich wußte, daß Mutter nicht da war; ich wußte, daß ich niedergeschlagen sein würde und mich um dich kümmern sollte, und ich betete zum Himmel um Stärke, denn dies ist der 20. August.“

Johanna stieß diese Worte abgehackt und schluchzend aus, und als sie geendet hatte, barg sie ihr liebreizendes Gesicht in ihren Händen und weinte wie ein Kind.

Das Erstaunen des alten Brillenmachers, in das sich Bestürzung mischte, zeigte sich lebhaft auf seinem Gesicht, und einige Minuten lang saß er vollkommen fassungslos mit auf den Knien ruhenden Hände da und sah seinem schönen Kind ins Gesicht – das heißt, so viel er zwischen ihren Fingern hindurch sehen konnte –, als ob er gerade aus einem Traum erwacht wäre.

„Guter Gott, Johanna!“, sagte er langsam, „Was betrübt dich? Mein liebes Kind, was ist geschehen? Sag es mir, Liebes, wenn du mich nicht vor Kummer sterben lassen willst.“

„Du sollst es erfahren, Vater“, sagte sie. „Ich wollte eigentlich kein Wort darüber sagen, weil ich dachte, ich hätte genug Kraft, um meine Sorgen in meiner eigenen Brust zu verschließen, aber die Anstrengung war zu viel für mich und ich war gezwungen, nachzugeben. Wenn du mich nicht so freundlich angesehen hättest – wenn ich nicht wüßte, daß du mich so sehr liebst, hätte ich mein Geheimnis leicht für mich behalten können, aber da ich es weiß, kann ich es nicht.“

„Mein Liebling“, sagte der Alte, „damit hast du recht, ich liebe dich sehr. Was wäre die Welt für mich heute ohne dich? Es gab eine Zeit vor zwanzig Jahren, in der deine Mutter einen großen Teil meines Glücks ausmachte, aber in letzter Zeit, in der sie mit Mr. Lupin, dem Psalmensingen und dem Teetrinken beschäftigt ist, sehe ich sehr wenig von ihr und das wenige, das ich sehe, ist nicht sehr zufriedenstellend. Sag mir, mein Schatz, was dich bekümmert, und ich werde es bald wieder in Ordnung bringen. Ich gehöre nicht umsonst zur städtischen Bürgerwehr.“

„Vater, ich weiß, daß du in deiner Zuneigung alles Erdenkliche für mich tun würdest, aber du kannst die Toten nicht ins Leben zurückrufen; und wenn dieser Tag vorübergeht und ich ihn nicht sehe oder nicht von ihm höre, weiß ich, daß er in dem Bemühen, ein Zuhause für mich, die er liebte, zu finden, ein Grab für sich selbst gefunden hat. Er hat es versprochen, er hat es versprochen.“

Hier rang sie die Hände und weinte erneut und mit einem solch bitteren Kummer, daß der alte Brillenmacher am Ende seiner Weisheit war und nicht wußte, was um alles in der Welt er tun oder sagen sollte.

„Liebes, Liebes!“, rief er, „wer ist er? Ich hoffe, du meinst nicht –“

„Still, Vater, still! Ich kenne den Namen, der auf deinen Lippen schwebt, aber etwas scheint mir selbst jetzt zuzuflüstern, daß er nicht mehr ist, und wenn dem so ist, Vater, sprich bitte nur Gutes von ihm.“

„Du meinst Mark Ingestrie.“

„Jawohl, und wenn er auch tausend Fehler hatte, hat er mich doch geliebt. Er hat mich aufrichtig und von ganzem Herzen geliebt.“

„Liebes“, sagte der alte Brillenmacher, „du weißt, daß ich nicht um alles in der Welt etwas sagen würde, das dich bekümmert, und ich werde es auch jetzt nicht tun. Aber sag mir doch, was macht diesen Tag für dich so düster wie keinen anderen?“

„Das werde ich, Vater; du sollst es hören. Es war an diesem Tag vor zwei Jahren, als wir uns das letzte Mal trafen; es war in den Temple Gardens3, und er kam gerade von einem heftigen Wortwechsel mit seinem Onkel, Mr. Grant, und du wirst verstehen, Vater, daß Mark Ingestrie nicht schuld war, weil –“

„Nun, Liebes, dazu brauchst du nichts weiter zu sagen. Mädchen gestehen sich sehr selten ein, daß ihre Liebsten an etwas schuld sind, aber es gibt immer zwei Seiten einer Medaille, Johanna.“

„Ja. Aber, Vater, warum sollte Mr. Grant versuchen, ihn zum Studium eines Berufs zu zwingen, den er nicht mochte?“

„Liebes, man hätte denken mögen, daß Mark Ingestrie, wenn er dich wirklich liebte und erwogen hatte, dich zu seiner Frau zu machen, eine ehrenhafte Existenz für dich und ihn selbst hätte aufbauen wollen – es scheint mir sehr bemerkenswert, daß er es nicht tat. Weißt du, Liebes, er hätte dich genug mögen sollen, um etwas zu tun, das er nicht mochte.“

„Ja, aber Vater, du weißt doch, wie schwierig es für einen jungen Geist ist, ganz nachzugeben, wenn es einmal zu Meinungsverschiedenheiten kommt; und so gab bei den Auseinandersetzungen mit seinem Onkel und dem armen Mark ein Wort das andere, wo vielleicht ein Hauch von Güte oder Versöhnlichkeit durch Mr. Grant ihn ganz nachgiebig gegenüber seinen Plänen gemacht hätte.“

„Ja, so ist das“, sagte Mr. Oakley. „Die Entschuldigungen wollen kein Ende nehmen: aber fahre nur fort, Liebes, fahre fort und erzähle mir genau, wie es jetzt um diese Angelegenheit steht.“

„Gut, Vater. Es war an diesem Tag vor zwei Jahren, daß wir uns trafen, und er mir erzählte, daß er und sein Onkel sich schwer gestritten und dadurch entzweit hätten. Wir hatten ein langes Gespräch.“

„Ah! Daran besteht kein Zweifel.“

„Und schließlich sagte er mir, er müsse gehen und sein Glück woanders suchen – und das erhoffte Vermögen wollte er mit mir teilen. Er sagte, er hätte die Gelegenheit, eine Reise nach Indien zu unternehmen, und wenn er dort Erfolg haben würde, hätte er genügend Zeit, um nach London zurückzukehren und dort ein Unternehmen zu beginnen, das seiner Denkart und seinen Gewohnheiten besser entspräche als die Jurisprudenz.“

„Aha! Und dann?“

„Dann sagte er, daß er mich liebt.“

„Und das hast du ihm geglaubt?“

„Vater, du hättest ihm auch geglaubt, wenn du ihn sprechen gehört hättest. Seine Worte waren so aufrichtig, wie kein Schauspieler, der jemals ein Publikum in seiner Rolle bezauberte, sie hätte vorspielen können. Es gibt Zeiten und Episoden, in denen wir wissen, daß wir die erhabene Stimme der Wahrheit hören, und es gibt Worte, die sofort den Weg in unser Herz finden und eine Überzeugung ihrer Aufrichtigkeit mit sich bringen, die weder Zeit noch Umstände ändern können; und derart waren die Worte, die Mark Ingestrie zu mir sprach.“

„Und darum nimmst du also an, Johanna, daß es für einen jungen Mann, der weder geduldig noch energisch genug ist, sich zu Hause respektabel zu benehmen, ein Leichtes wäre, ins Ausland zu gehen und dort ein Vermögen zu verdienen. Ist Nichtstun in anderen Ländern so gefragt, daß man einen reichen Lohn dafür erhält, Liebes?“

„Du urteilst hart über ihn, Vater; du kennst ihn nicht.“

„Der Himmel verhüte, daß ich irgend jemanden zu hart beurteile! Und ich werde freimütig zugeben, daß du mehr von seinem wahren Charakter wissen magst, als ich es kann, der natürlich nur seine Oberfläche gesehen hat; aber sprich weiter, Liebes, und erzähl mir alles.“

„Wir haben vereinbart, Vater, daß er an genau diesem Tag zwei Jahre später zu mir kommen oder mir Nachrichten über seinen Verbleib schicken sollte. Wenn ich nichts von ihm hören würde, sollte ich daraus schließen, daß er nicht mehr am Leben sei, und ich kann nicht anders, als jetzt diesen Schluß zu ziehen.“

„Aber der Tag ist noch nicht vorüber.“

„Ich weiß, und dennoch hege ich nurmehr eine geringe Hoffnung, Vater. Glaubst du, daß Träume jemals bevorstehende Ereignisse ankündigen?“

„Ich kann es nicht sagen, mein Kind. Ich bin nicht geneigt, irgendeiner vermeintlichen Tatsache Glauben zu schenken, weil ich sie geträumt habe, aber ich gebe zu, von einigen merkwürdigen Fällen gehört zu haben, in denen diese Visionen der Nacht tatsächlich wahr geworden sind.“

„Der Himmel allein weiß es, aber dies könnte eine von ihnen sein! Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Mir war, als säße ich am Ufer des Meeres und vor mir läge nichts als eine unendliche wäßrige Ebene. Ich hörte deutlich das Tosen und das Rauschen der Wellen, und mit jedem Moment wurde der Wind heftiger und wütender, und ich sah in der Ferne ein Schiff – es kämpfte mit den Wellen, die es in einem Moment turmhoch hinaufhoben und im nächsten weit in einen solchen Abgrund hinabstürzten, daß nicht ein Überbleibsel davon zu sehen war, als die obersten Spieren der hohen Masten. Und immer noch nahm der Sturm mit jedem Moment in seiner Wut zu, und immer wieder trieb ein seltsamer, düsterer Ton über das Wasser, und ich sah einen Feuerball aufblitzen und wußte, daß die Menschen auf dem unglücklichen Schiff auf diese Weise versuchten, sich bemerkbar zu machen und sich Hilfe in der Not erhofften. Vater, vom ersten bis zum letzten Augenblick wußte ich, daß Mark Ingestrie dort war – mein Herz sagte es mir: Ich war mir sicher, daß er dort war, und ich war hilflos – ganz und gar hilflos, ganz und gar nicht in der Lage, auch nur die geringste Hilfe zu leisten. Ich konnte nur als stille und verängstigte Zuschauerin der Szene einen Blick auf das werfen, was sich vor mir abspielte. Und endlich hörte ich ein Brüllen über die endlose Weite ertönen – ein seltsames, lautes, klagendes Brüllen – das mir das Schicksal des Schiffes verkündete. Ich sah seine Masten für einen Moment in der geschwärzten Luft erzittern und dann war alles für ein paar Momente still, bis ein seltsamer, wilder Schrei aufstieg, von dem ich wußte, daß er der verzweifelte Schrei derer war, die mit dem Schiff herabsanken, um sich nie wieder zu erheben. Oh! Es war ein schrecklicher Ton – es war ein Ton, der in den Ohren dröhnte und dessen Nachhall mich in meinem Schlaf verfolgte – es war ein Ton, den man nie vergißt, wenn man ihn einmal gehört hat, einer, an den man sich mit Grausen und Schrecken immer wieder erinnert.“

„Und all dies geschah in deinem Traum?“

„Das tat es, Vater.“

„Und du warst hilflos?“

„Ich war – ganz und gar hilflos.“

„Es war gewiß sehr traurig.“

„Das war es, wie du hören sollst. Das Schiff ging unter, und dieser Schrei, den ich gehört hatte, war der letzte verzweifelte, der von denjenigen ausging, die sich an das Wrack klammerten, ohne Hoffnung zwar, aber sie taten es, weil es ihre einzige Zuflucht war; wo sonst sollten sie nach dem geringsten Trost suchen? Wo sonst, außer in den wogenden Gewässern, sollten sie Sicherheit finden? Nirgends! Alles war verloren! Alles war Verzweiflung! Ich versuchte zu schreien – ich versuchte, laut in den Himmel zu schreien, daß er sich jener tapferen Seelen erbarmen solle, die ihren liebsten Besitz – das Leben selbst – der Gnade der Tiefe anvertraut hatten; und während ich es ohne den geringsten Erfolg versuchte, sah ich einen kleinen Fleck im Meer, und meine angestrengten Augen bemerkten, daß es sich um einen Mann handelte, der sich an einem Stück des Wracks festklammerte, und ich wußte, daß es Mark Ingestrie war.“

„Aber, Liebes, du hast dich doch gewiß nicht über einen Traum beunruhigt?“

„Es hat mich traurig gemacht; ich streckte meine Arme aus, um ihn zu retten – ich hörte ihn meinen Namen aussprechen und mich um Hilfe anflehen. Es war alles umsonst; er kämpfte mit den Wellen, solange die menschliche Natur mit ihnen kämpfen konnte. Mehr konnte er nicht tun, und ich sah ihn vor meinen angsterfüllten Blicken verschwinden.“

„Sag nicht, daß du ihn gesehen hast, Liebes, sag, daß du glaubst, ihn gesehen zu haben.“

„Es war eine solche Phantasie, daß ich gewiß für viele Tage von der Erinnerung daran verfolgt werde.“

„Nun, Liebes, es ist doch nur ein Traum; und es scheint mir, ohne daß ich dir in irgendeiner Weise Kummer in Bezug auf Mark Ingestrie bereiten wollte, daß du sehr töricht darin handelst, indem du nur die Schwierigkeiten vor Augen hast, die sich ihm und seiner Treue zu dir in den Weg stellen könnten. Du weißt, daß mir dein Glück so sehr am Herzen liegt, daß ich, wenn Mark ein würdiger und fleißiger Mann gewesen wäre, mich eurer Verbindung nicht hätte widersetzen sollen; aber glaube mir, meine liebe Johanna, daß ein junger Mann mit so großartigen Möglichkeiten, Geld auszugeben, und den geringsten, welches zu verdienen, ungefähr der schlechteste Ehemann ist, den du nur wählen könntest, und ein solcher Mann war Mark Ingestrie. Und nun komm, wir wollen deiner Mutter nichts davon sagen; laß das Geheimnis, wenn wir es so nennen dürfen, bei mir ruhen; und wenn du mir mitteilen kannst, auf welchem Wege und auf welchem Schiff er England verlassen hat, werde ich meine Vorurteile gegen ihn ruhen lassen und nicht zögern, jede Auskunft nach seinem Schicksal einzuziehen, die ich bekommen kann.“

„Ich weiß nichts weiter, Vater; wir trennten uns und trafen uns nie wieder.“

„Nun gut! Trockne deine Augen, Johanna, und während ich zu Stadtrat Judd gehe, werde ich über die Sache nachdenken, die vielleicht doch nicht gar so schlimm ist, wie du denkst. Der Junge ist ein gutaussehender Kerl und hat, glaube ich, gute Grundlagen, wenn er sie denn für einen nützlichen Zweck einsetzen würde; aber wenn er auf rastlose Weise um die Welt jagt, ist es gut, daß du ihn los bist, und was seinen Tod angeht, darfst du nicht diesen Schluß ziehen, denn diese Burschen kommen wie ein Hecketaler stets auf irgendeine Art und Weise wieder zurück.“

Es lag mehr Trost in dem freundlichen Ton des Brillenmachers, als in den Worten, die er gebrauchte; aber im großen und ganzen war Johanna durchaus erfreut, daß sie ihrem Vater das Geheimnis preisgegeben hatte, denn nun hatte sie zumindest jemanden, dem gegenüber sie den Namen Mark Ingestrie nennen konnte, ohne daß sie die Empfindungen verbergen mußte, die sie dabei verspürte; und als ihr Vater gegangen war, hatte sie das Gefühl, daß allein durch ihre Offenheit ihm gegenüber einige der Schrekken ihres Traumes verschwunden waren.

Sie blieb einige Zeit in einer angenehmen Träumerei versunken sitzen, bis sie von Sam, dem Ladengehilfen, unterbrochen wurde, der in den Salon kam und sagte: „Bitte, Miss Johanna, wie wäre es, wenn ich zum Hafen gehe und versuche, für Sie etwas über Mr. Mark Ingestrie herauszufinden. Ich meine, ich sollte das wohl tun. Ich habe alles gehört, und wenn ich ihn finde, werde ich ein Hühnchen mit ihm rupfen.“

„Was meinen Sie?“

„Ich meine, daß ich es nicht mehr aushalte. Habe ich Ihnen nicht vor mehr als drei Wochen gesagt, daß Sie der Gegenstand meiner Träume sind? Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich nach dem Tod meiner Tante ins Seifen- und Kerzengeschäft einsteigen und Sie zu meiner Frau machen will?“

Die einzige Antwort, die Johanna darauf gab, war, sich zu erheben und den Raum zu verlassen, denn ihr Herz war zu sehr von Kummer und traurigen Spekulationen angefüllt, als daß sie jetzt tun konnte, was sie oft getan hatte – nämlich über Sams Liebesbekundungen zu lachen; und so wurde er mit seinen süßen und bitteren Phantasien sich selbst überlassen.

„Verflucht noch eins!“, sagte er, als er den Laden betrat: „Ich hatte immer den Verdacht, daß es einen anderen gibt, und jetzt, wo ich es weiß, könnte ich mir in den Allerwertesten treten, weil ich mich jemals darauf eingelassen habe, hierher zu kommen. Hol ihn doch der Teufel! Ich hoffe, er wird auf dem Meeresgrund von den Fischen gefressen. Oh! Ich möchte alles zertrümmern. Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde ich einfach in die „Gesellschaft“ gehen, wie sie es nennen, und sie wissen lassen, wie sich ein, zwei, drei Schläge aufs Auge anfühlen.“

In seiner Wut stieß Mr. Sam eine Schachtel voller Brillen um, die mit einem gewaltigen Krachen herunterfiel, was, wenn es auch noch so gut die Art und Weise nachahmte, mit der die Gesellschaft insgesamt niedergeschlagen werden sollte, wahrscheinlich überhaupt nicht erfreulich für Mr. Oakley sein würde.

„Das habe ich jetzt getan“, sagte er; „aber das macht nichts. Ich werde versuchen, es dem Alten unterzuschieben, wenn ich etwas kaputt mache; will heißen, ich stelle die Schachtel dem alten Oakley in den Weg und schwöre, er hätte es getan. Ich habe noch nie so einen alten Narren gekannt. Man kann ihm alles einreden; allein der Gedanke, daß er heute morgen alle Fensterläden öffnete, weil ich ihm sagte, meine Tante hätte Zahnschmerzen; das war gewiß ein Triumph. Aber ich werde mich an dem Kerl rächen, der mir, wie ich annehme, Johanna weggenommen hat; ich werde ihn wissen lassen, wozu ein verletztes Herz fähig ist. Er wird nicht lange genug leben, um eine Brille zu brauchen, das schwöre ich, so wahr mein Name Sam Bolt lautet.“

3 Ein Park im Londoner Stadtteil Temple.

3. Kapitel.

Der Hund und der Hut.

DAS erste Morgenlicht schimmerte auf den Masten, dem Tauwerk und den Segeln einer Flotte von Schiffen, die bei Sheerness vor Anker lagen.

Die Besatzungen erwachten aus ihrer nächtlichen Ruhe und traten auf den Decks der Schiffe an, von denen die Nachtwache gerade abgelöst worden war.

Ein Kriegsschiff, das die Handelsflotte durch den Kanal begleitet hatte, feuerte eine Kanone ab, als der erste Strahl der Morgensonne auf ihre sich verjüngenden Masten fiel. Dann ertönte von einem Geschütz in der Nachbarschaft ein weiterer dröhnender Schuß, und dieser wurde von einem anderen in weiterer Ferne beantwortet, und dann von einem weiteren, bis die gesamte Kette von Geschützen, die die Küste umgaben, da es eine Zeit des Krieges war, das Andämmern eines neuen Tages verkündet hatte.

In der Stille des frühen Morgens ergab diese Abfolge von Schüssen eine sehr schöne Wirkung; und während sie in der Ferne wie ein Donner nachhallten, wurde an Bord des Kriegsschiffes ein Befehl erteilt, und im nächsten Moment schienen die Masten und das Tauwerk zum Leben erwacht zu sein, während sich die Menschen in verschiedene Richtungen an ihnen fortbewegten. Dann flatterten wie von Zauberhand oder als ob das Schiff selbst ein Lebewesen gewesen wäre und Flügel besessen hätte, die auf bloßen Wunsch weit ausgebreitet werden konnten, solche großen Segel darauf, daß es eine helle Freude war, sie anzusehen; und als sie das Morgenlicht einfingen und das Schiff sich von der leichten Brise angetrieben, die vom Ufer aufstieg, bewegte, sah es tatsächlich so aus, als ob es

Über’s Wasser ginge wie ein lebend’ Ding.4

Die verschiedenen Besatzungen der Kaufleute standen auf den Decks ihrer jeweiligen Handelsschiffe und sahen dem Kriegsschiff nach, als es sich auf eine weitere Mission aufmachte, die jener glich, die sie gerade zum Schutz des Handels des Landes durchgeführt hatte.

Als es an einem Schiff vorbeikam, das tatsächlich vor dem Feind gerettet worden war, jubelte die Besatzung, die vor der Gefangenschaft in einem fremden Gefängnis bewahrt worden war, aus vollem Halse.

Es brauchte nur einen solchen Impuls, und dann stimmte jedes Handelsschiff, an dem das Kriegsschiff vorbeikam, in den freudigen Schrei ein, und die Besatzung des riesigen Schiffes zögerte nicht mit ihrer Antwort in Form dreier ohrenbetäubender Kanonendonner – wie sie häufig die Herzen der Feinde Englands in Schrecken versetzt hatten – und so manches Echo von der Küste bewirkten.

Es war ein stolzer und entzückender Anblick – ein Anblick, über den nur ein Engländer sich wahrhaft freuen kann –, dieses Schiff zu sehen, wie es so stolz das Wasser durchpflügte. Wenn wir sagen, niemand außer einem Engländer könne sich daran erfreuen, meinen wir damit, daß keine andere Nation jemals versucht hat, eine große Seemacht zu werden, ohne vernichtend geschlagen zu werden, was uns zu den unbestrittenen Herren der Meere macht.

Diese Vorgänge reichten aus, um die Besatzungen aller Schiffe auf die Beine zu bringen, und über die Heckreling eines besonders großen Schoners, der Handel auf dem Indischen Ozean getrieben hatte, lehnten sich zwei Männer. Einer von ihnen war der Kapitän des Schiffes und der andere ein Passagier, der beabsichtigte, an diesem Morgen an Land zu gehen. Sie waren in eine ernsthafte Unterhaltung vertieft, und der Kapitän, der seine Augen mit der Hand beschattete und über die Weite des Flusses blickte, antwortete auf eine Bemerkung seines Begleiters: „Ich werde gleich mein Boot bestellen, sobald Lieutenant Thornhill an Bord kommt; ich nenne ihn Lieutenant, obwohl ich kein Recht dazu habe, weil er diesen Rang im Dienst des Königs innehatte, aber als ein recht junger Mann wegen eines Duells mit seinem Vorgesetzten unehrenhaft entlassen wurde.“

„Die Armee hat einen guten Offizier verloren“, sagte der andere.

„Das hat sie in der Tat; einen mutigeren Mann gab es nie, und auch keinen besseren Offizier; aber wissen Sie, sie haben bestimmte Regeln im Dienst und es wird alles dafür getan, um sie aufrechtzuerhalten. Ich kann mir nicht vorstellen, was ihn aufhält; er ging letzte Nacht und sagte, er würde nach Temple fahren, weil er dort jemandem eine Nachricht überbringen wollte, und danach wollte er in die Innenstadt gehen, um eigene Geschäfte zu tätigen, und das hätte ihn näher hierher gebracht, wissen Sie; und es fahren viele Boote den Fluß hinunter.“

„Er wird schon kommen“, rief der andere. „Seien Sie nicht ungeduldig, Sie werden ihn in ein paar Minuten sehen.“

„Was führt Sie zu diesem Gedanken?“

„Weil ich seinen Hund sehe – Sehen Sie nicht, wie er im Wasser schwimmt und direkt auf das Schiff zukommt?“

„Ich kann mir nicht vorstellen – ich kann den Hund sehen, gewiß; aber ich kann Thornhill nicht sehen, und da ist auch kein Boot weit und breit. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Wissen Sie, daß mein Verstand mir sagt, daß etwas nicht in Ordnung ist? Der Hund scheint erschöpft zu sein. Heda, ein paar von euch sollen herkommen und dem Hund von Mr. Thornhill helfen. Wie? Ist das ein Hut, den er da im Maul hat?“

Der Hund schwamm auf das Schiff zu; aber ohne die Hilfe der Seeleute – bei denen er insgesamt sehr beliebt war – hätte er das Schiff sicherlich nicht erklimmen können; und als er das Deck erreicht hatte, ließ er sich erschöpft darauf nieder, den Hut immer noch im Maul.

Als das Tier keuchend an Deck lag, sahen sich die Seeleute erstaunt an, und sie waren einhellig einer Meinung, und zwar jener, daß Mr. Thornhill zweifellos etwas sehr Ernstes zugestoßen war.

„Ich fürchte“, sagte der Kapitän, „die Erklärung für dieses Ereignis. Was um alles in der Welt kann es bedeuten? Das ist Thornhills Hut, und hier ist Hector. Gebt dem Hund sofort etwas zu trinken und Fleisch – er scheint völlig erschöpft zu sein.“

Der Hund aß ein wenig von dem Futter, das ihm vorgesetzt wurde; und dann, den Hut wieder in seinem Maul ergreifend, stand er auf dem Schiff und jaulte mitleidserregend; dann setzte er den Hut für einen Moment ab, ging auf den Kapitän zu und zog ihn am Saum seines Mantels.

„Es ist ganz eindeutig,“ sagte der Kapitän zu dem Passagier; „Thornhill ist etwas zugestoßen, soviel ist gewiß; und wie Sie sehen, ist es das Ziel des Hundes, mich dazu zu bringen, ihm zu folgen, um zu sehen, was geschehen ist.“

„Meinen Sie? Wenn es überhaupt etwas zu bedeuten hat, so ist es eine Warnung, die ich nicht geneigt bin, zu ignorieren; und wenn Sie dem Hund folgen, werde ich Sie begleiten. Es mag mehr hinter all dem stecken, als wir denken, und wir sollten Mr. Thornhill keinerlei Hilfe vorenthalten, die wir ihm leisten können, wenn wir bedenken, welche große Hilfe er uns geleistet hat. Sehen Sie nur, wie verängstigt das arme Tier ist.“

Der Kapitän befahl, sofort ein Boot zu Wasser zu lassen, und es mit vier starken Ruderern zu besetzen. Dann sprang er hinein, gefolgt von dem Passagier, der ein gewisser Colonel Jeffery der Indien-Armee war, und dem Hund, der ihnen sofort folgte, und der durch sein Verhalten große Freude über die Expedition bezeugte, die sie unternahmen. Er empfand offensichtlich eine ungeheure Abneigung, sich von dem Hut zu trennen und trug ihn daher mit sich.

Der Kapitän befahl, das Boot den Fluß hinauf zur Landungstreppe in Temple zu lenken, wohin Hectors Herr, wie er sagte, aufgebrochen war, und als das treue Tier die Richtung sah, in die sie fuhren, legte es sich zufrieden in den Bootsrumpf und gab sich jener Ruhe hin, derer es offenbar so sehr bedurfte.

Man kann nicht behaupten, daß Colonel Jeffery vermutete, daß etwas sehr Ernstes geschehen wäre; tatsächlich lag ihre hauptsächliche Erwartung, als sie dazu kamen, darüber zu sprechen, in der Wahrscheinlichkeit, daß Thornhill, der, wie sie wohl wußten, über ein ungestümes Wesen verfügte, auf der Straße in einen Streit und darauf in eine Schlägerei geraten sei, was dazu geführt haben könnte, daß er verhaftet worden war.

„Natürlich“, sagte der Kapitän, „würde unser Hector das für eine sehr ernste Angelegenheit halten und, als er feststellte, daß ihm der Zugang zu seinem Herrn verweigert wurde, zusehen, daß er sich zu uns aufmachte, was gewiß das Umsichtigste war, was er tun konnte; und ich wäre nicht im geringsten überrascht, wenn er uns zur Tür einer Gefängniswache bringt, wo wir unseren Freund gemütlich untergebracht finden werden.“

Die Flut setzte ein, und daß Thornhill die Ebbe nicht genutzt hatte, indem er sich früher in Richtung des Schiffes aufgemacht hatte, war eines der Dinge, die den Kapitän überraschten. Sie kamen jedoch rasch voran, und da zu dieser Stunde nicht viel Verkehr auf dem Fluß war, der ihr Vorwärtskommen hätte behindern können, und die Themse zu dieser Zeit noch keine Durchgangsstraße für kleine übelriechende Dampfschiffe war, erreichten sie bald die alte Anlegestelle in Temple.

Der Hund, der bis dahin geschlafen zu haben schien, sprang plötzlich auf, packte den Hut wieder mit seinen Zähnen und eilte an Land, wobei ihm der Kapitän und der Colonel dicht auf den Fersen waren.

Er führte sie mit großer Geschwindigkeit durch Temple und verfolgte mit bewundernswerter Zielstrebigkeit den exakten Weg, den sein Herr am äußeren Rand von Temple in die Fleet Street gegenüber der Chancery Lane genommen hatte. Dann flitzte er über die Straße und hielt mit einem leisen Knurren vor Sweeney Todds Laden an – ein Vorgehen, das diejenigen, die ihm folgten, sehr überraschte und sie dazu veranlaßte, eine Pause einzulegen, um sich darüber zu beratschlagen, wie sie weiter vorgehen sollten. Während dies vor sich ging, öffnete Todd plötzlich die Tür und schlug mit einer Eisenstange nach dem Hund, doch dieser wich dem Schlag geschickt aus; und wäre die Tür nicht plötzlich wieder geschlossen worden, hätte er Sweeney Todd gewiß dazu veranlaßt, seinen Angriff zu bereuen .

„Wir müssen das untersuchen“, sagte der Kapitän. „Es scheint eine gegenseitige Feindschaft zwischen diesem Mann und dem Hund vorzuliegen.“

Sie versuchten beide, den Barbierladen zu betreten, aber er war von innen verriegelt; und nach mehrmaligem Klopfen rief Todd von innen: „Ich werde die Tür nicht öffnen, solange der Hund da ist. Er ist bösartig oder hat irgendein Vorurteil gegen mich gefaßt – ich weiß es nicht und es kümmert mich auch nicht – aber es ist eine Tatsache, soviel steht fest.“

„Ich verbürge mich dafür“, sagte der Kapitän, „daß der Hund Ihnen keinen Schaden zufügen wird; aber öffnen Sie die Tür, denn wir müssen und werden hineinkommen.“

„Ich nehme Sie beim Wort“, sagte Sweeney Todd. „Aber denken Sie daran, daß Sie ihr Wort halten, sonst werde ich mich selbst schützen und das Tier töten. Wenn Sie es also schätzen, sollten Sie es besser gut festhalten.“

Der Kapitän beruhigte Hector, so gut er konnte, und band außerdem ein Ende eines seidenen Taschentuchs um den Hals des Tieres und hielt das andere Ende fest in der Hand. Darauf öffnete Todd die Tür, durch die er offenbar sehen konnte, was außen vor sich ging, und ließ seine Besucher ein.

„Nun, meine Herren, rasieren, schneiden oder frisieren, ich stehe zu Ihren Diensten; mit wem soll ich beginnen?“

Der Hund ließ Todd nicht aus den Augen und behielt vom ersten Moment seines Eintretens an ein leises Knurren bei.

„Es ist ein ziemlich merkwürdiger Umstand“, sagte der Kapitän, „aber das ist ein sehr kluger Hund, sehen Sie, und er gehört einem Freund von uns, der auf unerklärliche Weise verschwunden ist.“

„Ist dem so?“, sagte Todd. „Tobias! Tobias!“

„Ja, Sir.“

„Geh zu Mr. Philip in der Cateaton Street und hole mir Feigen für sechs Penny, und sag diesmal nicht, daß ich dir kein Geld gebe, wenn du auf einen Botendienst ausgehst. Ich glaube, ich gab es dir bereits, aber du hast es verschluckt. Und wenn du zurückkommst, erinnere dich bitte einfach an den Einblick in das Geschäft, den ich dir gestern zuteil werden ließ.“

„Ja“, sagte der Junge mit einem Schauder, denn er hatte große Angst vor Sweeney Todd, was er wohl auch konnte, nachdem er eine so strenge Disziplinierung aus seinen Händen erfahren hatte, und fort war er.

„Nun, meine Herren“, sagte Todd, „was möchten Sie von mir?“

„Wir wollen wissen, ob jemand, der das Aussehen eines Offiziers der Marine hat, zu Ihnen gekommen ist?“

„Ja – ein ziemlich gut aussehender Mann, wettergegerbt, mit strahlend blauen Augen und ziemlich hellem Haar.“

„Ja, ja, eben jener!“

„Oh! Freilich kam er her, und ich rasierte ihn und erledigte ihn gründlich.“

„Was soll das heißen?“

„Ich habe ihn etwas abgebürstet und ihn nett hergerichtet. Er sagte, er hätte etwas in der Stadt zu tun und fragte mich nach der Adresse eines gewissen Mr. Oakley, eines Brillenmachers. Ich gab sie ihm, und dann ging er fort; aber als ich ungefähr fünf Minuten später vor meiner Tür stand, schien es mir, als könnte ich in der Ferne sehen, daß er in der Nähe des Marktes in einen Streit geriet.“

„Hatte er diesen Hund bei sich?“

„Einen Hund hatte er bei sich, aber ob es dieser Hund war oder nicht, kann ich nicht sagen.“

„Und das ist alles, was Sie über ihn wissen?“

„Sie haben niemals in Ihrem Leben ein wahreres Wort gesprochen“, sagte Sweeney Todd, der stetig mit einem Rasiermesser über seine große, schwielige Hand fuhr.

Dies schien eine komplette Sackgasse zu sein; und der Kapitän sah Colonel Jeffery und der Colonel den Kapitän für einige Momente in völliger Stille an. Schließlich sagte letzterer:

„Es ist ein sehr außergewöhnlicher Vorfall, daß der Hund hierher kommen sollte, wenn er seinen Herrn woanders verloren hat. Ich habe noch nie von einer solchen Sache gehört.“

„Ich ebensowenig“, sagte Todd. „Es ist außergewöhnlich; so außergewöhnlich, daß ich es nicht geglaubt hätte, wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehen würde. Ich wage zu sagen, daß Sie ihn in der nächsten Gefängniswache finden werden.“

Der Hund hatte während dieses kurzen Dialogs die Gesichter aller Beteiligten beobachtet, und hatte ihn zweimal oder dreimal durch ein seltsam klagendes Jaulen unterbrochen.

„Ich werde Ihnen sagen, wie die Dinge stehen“, sagte der Barbier; „Wenn diese Bestie hier bleibt, wird es ihr Todesurteil sein. Ich hasse Hunde – ich verabscheue sie; und ich sage Ihnen, wie ich es Ihnen bereits zuvor sagte, wenn Ihnen etwas an dem Tier liegt, halten Sie es von mir fern.“

„Sie sagen, Sie haben der Person, die Sie uns beschrieben, gesagt, wo ein Brillenmacher namens Oakley zu finden ist. Wir wissen zufällig, daß er auf der Suche nach einer solchen Person war, und da er einen wertvollen Gegenstand bei sich hatte, werden wir dorthin gehen und überprüfen, ob er sein Ziel erreicht hat.“

„Es ist in der Fore Street – ein kleines Geschäft mit zwei Fenstern; Sie können es nicht verfehlen.“

Der Hund wirkte aufgebracht, als er sah, daß sie gehen wollten; und es gelang ihnen nur mit größter Mühe, ihn mit aller Kraft aus dem Laden zu schaffen und ein Stück mit sich zu ziehen, aber dann glückte es ihm, sich von dem Taschentuch zu befreien, das ihn hielt, und er schoß zurück, setzte sich vor die Tür Sweeney Todds und jaulte erbärmlich.

Sie hatten keine andere Wahl, als ihn zurückzulassen, und beabsichtigten, sich um ihn zu kümmern, wenn sie von Mr. Oakley zurückkämen; und als sie hinter sich schauten, sahen sie, daß Hector eine Menschenmenge um die Tür des Barbiers sammelte, und es war höchst bemerkenswert, eine Reihe von Personen zu sehen, die den Hund umgaben, während er anscheinend tatsächlich Anstrengungen unternahm, der Versammlung etwas zu erklären. Sie gingen weiter, bis sie den Brillenmacher erreichten, und legten dort eine Pause ein, denn sie erinnerten sich plötzlich daran, daß die Mission, die Mr. Thornhill dort hatte ausführen müssen, von sehr heikler Natur war und keineswegs leichtfertig ausgeführt werden oder gar vor Mr. Oakley persönlich erwähnt werden durfte.

„Wir dürfen nicht so voreilig sein“, sagte der Colonel.

„Aber was soll ich tun? Ich lege heute abend ab; zumindest muß ich mit meinem Schiff bis nach Liverpool fahren.“