Die Rache des Engelmachers - Alexander Schaub - E-Book

Die Rache des Engelmachers E-Book

Alexander Schaub

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Beschreibung

"Die Rache des Engelmachers" ist der dritte und letzte Band der Engelmacher-Trilogie um den Frankfurter Serienmörder, der blonde Frauen tötet und wie Engel aufbahrt (Band 1: "Der Engelmacher aus Frankfurt". Band 2 "Der Schatten des Engelmachers") Die Entscheidung steht kurz bevor… Rückblickend weiß ich nicht mehr wie es soweit kommen konnte. Der Engelmacher, der Dämon, der mich seit knapp drei Jahren heimsuchte, holte zum letzten tödlichen Schlag aus. Er wollte mein Leben, meine Liebe, meine Freunde, einfach alles zerstören. Viele Menschen könnten noch leben, wäre ich ihm nie begegnet. Aber war ich dafür verantwortlich? War es meine Schuld? Ich wusste nur eines: Es musste enden! Zu viele Menschen waren gestorben und sollten noch sterben. Erneut zog der Engelmacher eine blutige Spur durch Frankfurt und sein erster Weg führte ihn in meine Wohnung ... Die Zeit der Abrechnung war gekommen und der Teufel heizte die Hölle bereits ein...

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Das Buch

Martinis Albtraum erfährt seinen Höhepunkt.

Der Detektiv erwacht morgens neben einer weiblichen Leiche. In seiner Wohnung. In seinem Bett. Blutverschmiert, von oben bis unten.

Wo kommt die Frau her, die mit fünfundzwanzig Messerstichen ermordet wurde? Hat er sie getötet?

Filmriss!

Die Polizei glaubt nicht an seine Unschuld. Martini flüchtet.

Kurz darauf kommt es zu einem Amoklauf in einem Kaufhaus in der Frankfurter Innenstadt. Eine Zeugin beschreibt den Täter, der Martini wie aus dem Gesicht geschnitten ist.

Hat der Ex-Polizist all die Taten begangen, die ihm zur Last gelegt werden? Und wenn nicht, wer steckt dahinter? Wie war es möglich, alle Indizien auf Martini hindeuten zu lassen?

Der Detektiv greift nach jedem Strohhalm, um seine Unschuld zu beweisen. Menschen, die er so gut wie nicht kennt, muss er um Hilfe bitten, mit ihnen zusammenarbeiten, sie um Verzeihung bitten und ihnen vergeben…

Der Autor:

Der gebürtige Frankfurter Alexander Schaub erblickte 1969 das Licht der Welt. Bis 2014 lebte er in der Mainmetropole. Im April ´14 zog er mit seiner Traumfrau Corinna nach Hattersheim. Über zwanzig Jahre arbeitete Schaub in der IT und war für Netzwerke im Microsoft-Umfeld verantwortlich. Seit 2007 arbeitet er im technischen Support eines 3D Drucker Herstellers.

Über sein Schreiben sagt er: „Ich liebe Serien mit einem roten Faden und so soll es auch mit meinen Büchern werden. Die Charakterentwicklung meiner Protagonisten ist mir enorm wichtig.“ Mehr Informationen über den Autor sowie anstehende Lesungen finden Sie unter: www.alexander-schaub.de

Alexander Schaub

Die Rache des Engelmachers

Krimi

eISBN 978-3-947612-15-4

Copyright © 2018 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd Fischer

Covergestaltung: Olaf Tischer

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher: www.mainbook.de

Für den mutigsten und besten Papa der Welt1938 - 2018

No words, I can say, can describeHow I hate your fucking face

W.A.S.P. - U

Inhalt

Prolog

07. August 2010, 23:95

Kapitel 1

Samstag, 13. April 2013, 07:55

13. April 2013, 08:03

13. April 2013, 08:43

13. April 2013, 09:51

13. April 2013, 10:10

13. April 2013, 10:28

13. April 2013, 10:48

13. April 2013, 12:55

Kapitel 2

13. April 2013, 13:05

13. April 2013, 13:07, Polizeirevier Heidelberg

13. April 2013, 13:29

13. April 2013, 13:41, Heidelberg

13. April 2013, 13:51

13. April 2013, 14:23, Heidelberg

13. April 2013, 15:29

13. April 2013, 16:11, Polizeipräsidium Adickesallee

13. April 2013, 16:41

Kapitel 3

13. April 2013, 17:01

13. April 2013, 17:02

13. April 2013, 17:14

13. April 2013, 17:18

13. April 2013, 17:31

Kapitel 4

13. April 2013, 17:31, Berlin

13. April 2013, 17:36

13. April 2013, 17:36

13. April 2013, 18:34

13. April 2013, 18:41

13. April 2013, 22:13

13. April 2013, 22:15, Polizeipräsidium Adickesallee

Kapitel 5

13. April 2013, 22:30

13. April 2013, 22:34

13. April 2013, 23:35

Sonntag, 14. April 2013, 00:45

14. April 2013, 00:51

14. April 2013, 00:52

14. April 2013, 00:59

14. April 2013, 01:55

Kapitel 6

14. April 2013, 15:00

14. April 2013, 15:11, Polizeipräsidium Adickesallee

14. April 2013, 15:59

14. April 2013, 17:14, Haarlem / Niederlande

14. April 2013, 17:57, Polizeipräsidium Adickesallee

14. April 2013, 18:09, Haarlem / Niederlande

14. April 2013, 18:21, Polizeipräsidium Adickesallee

14. April 2013, 18:51, A61 kurz vor Venlo

14. April 2013, 19:14, Haarlem / Niederlande

Kapitel 7

14. April 2013, 21:07

14. April 2013, 21:34, Haarlem / Niederlande

Montag, 15. April 2013, 07:33, Polizeipräsidium Adickesallee

15. April 2013, 07:42, Haarlem / Niederlande

15. April 2013, 08:00, Polizeipräsidium Adickesallee

15. April 2013, 08:31, Haarlem / Niederlande

15. April 2013, 09:27

15. April 2013, 09:34, Haarlem / Niederlande

15. April 2013, 13:55, Autobahn A3, Raststätte Fernthal

Kapitel 8

15. April 2013, 14:13, Polizeipräsidium Adickesallee

15. April 2013, 14:34, Polizeipräsidium Adickesallee

15. April 2013, 14:38, Autobahnauffahrt Neustadt-Wied

15. April 2013, 21:22, Bad Homburg

15. April 2013, 23:03

15. April 2013, 23:44, Bad Homburg

15. April 2013, 23:59

Dienstag, 16. April 2013, 00:22, Bad Homburg

15. April 2013, eine Stunde zuvor

16. April 2013, 00:33, Kamillus Klinik Asbach

16. April 2013, 00:44, Bad Homburg

16. April 2013, 00:55

Kapitel 9

16. April 2013, 01:31, Bad Homburg

16. April 2013, 02:06

16. April 2013, 02:39, Bad Homburg

16. April 2013, 07:01, zwischen Okriftel und Hattersheim

16. April 2013, 07:02, Polizeipräsidium Adickesallee

16. April 2013, 08:02, zwischen Okriftel und Hattersheim

Kapitel 10

16. April 2013, 08:03

16. April 2013, 09:32, zwischen Okriftel und Hattersheim

16. April 2013, 10:42, Polizeipräsidium Adickesallee

16. April 2013, 11:31

16. April 2013, 12:30

16. April 2013, eineinhalb Stunden zuvor

16. April 2013, 12:31

16. April 2013, 12:59

Kapitel 11

16. April 2013, 13:05

16. April 2013, 13:07

16. April 2013, 13:11

16. April 2013, 13:12

16. April 2013, 13:13

16. April 2013, 13:13

16. April 2013, 13:13

16. April 2013, kurz zuvor

16. April 2013, 13:13

16. April 2013, 13:25

16. April 2013, 14:14

16. April 2013, 15:15, Polizeipräsidium Adickesallee

16. April 2013, 17:15, Polizeipräsidium Adickesallee

16. April 2013, 18:49

16. April 2013, 20:14

Epilog

Mitte April bis Ende August 2013

Samstag, 07. September 2013, Okriftel

Danksagung

Prolog

Rückblickend weiß ich nicht mehr, wie es soweit kommen konnte. Man sagt, jeder erschafft seine eigenen Dämonen, aber dieser Dämon – mein Dämon – hatte mich erwählt. Vor knapp drei Jahren setzte seine Metamorphose ein, seine Verwandlung zu einem Serienkiller. Das Monster hatte die Maske fallen lassen, um mich Nacht für Nacht im Schlaf heimzusuchen. Doch das reichte ihm nicht. Er wollte auch mein Leben, meine Liebe, meine Freunde, einfach alles zerstören. Viele Menschen könnten noch leben, wäre ich ihm nie begegnet.

Aber war ich dafür verantwortlich?

War es meine Schuld?

Ich wusste nur eins: Es musste enden!

Zu viele Menschen waren gestorben. Wie viele sollten noch sterben? Erneut zog der Engelmacher eine blutige Spur durch Frankfurt, aber nicht nur durch die Mainmetropole. Würde es mir diesmal gelingen den Dämon auszutreiben?

Die Zeit war reif für eine Entscheidung, entweder er oder ich…

07. August 2010, 23:59

„… Ja, ich glaube den Täter zu kennen.“

„Wer ist es? Und warum haben Sie die Polizei nicht informiert?“

„Ich will den Mörder meiner Tochter selbst stellen, da die Polizei sich völlig stümperhaft anstellt. Leider habe ich im Moment keine Beweise, nur Vermutungen, was den Täter angeht. Als ich anfing, in dem Fall zu ermitteln, führten mich die ersten Spuren nicht nach Frankfurt, sondern … Nein, das dauert jetzt zu lange und Sie haben keine Zeit. Wir müssen uns treffen. Packen Sie ein paar Klamotten und verschwinden Sie!“

„Und warum soll ich Klamotten zusammenpacken?“

„Weil die Polizei auf dem Weg zu Ihnen ist, um Sie festzunehmen. Ich dachte, Sie seien mal Polizist gewesen?“

„Wir können doch zur Polizei gehen.“

„Nein, wir lassen sie vorerst in dem Glauben, den Richtigen zu jagen.“

„Ich finde das nicht zielführend.“

„Aber notwendig. Los jetzt, verschwinden Sie! In einer dreiviertel Stunde am Goetheturm in Sachenhausen.“

„Okay.“

„Mehr Zeit haben Sie nicht, andernfalls finden Sie sich in Handschellen auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens wieder.“

Karl Mertens beendete die Verbindung und schaltete die Freisprecheinrichtung seines Wagens aus. Er befand sich auf dem Weg zum Goetheturm, dem Treffpunkt mit Thomas Martini.

Er hatte den Detektiv gewarnt. Alle Spuren im Fall des Engelmachers führten direkt zu Martini. Mertens war der Einzige, der wusste, dass Martini unschuldig war.

Fünf Minuten später erreichte er den menschenleeren Parkplatz am Rande des Stadtwalds. Er stellte sein Auto im Wendelsweg ab und lief zurück zum Goetheturm.

Mertens setzte sich auf die Stufen des Podests, auf dem der Turm ruhte. Es war zehn Minuten nach Mitternacht. Martini würde bestimmt noch eine halbe Stunde auf sich warten lassen.

Die Nacht war sternenklar und warm. Mertens fröstelte trotz der Temperatur von etwa zwanzig Grad. Er schloss für ein paar Sekunden die Augen. Müde und abgespannt war er. Die Jagd nach dem Killer seiner Tochter hatte ihn ausgelaugt.

Das Knacken eines Asts ließ in aufhorchen. War das bereits Martini? Er blickte auf die Uhr, zwölf Minuten nach Mitternacht. Zu früh für den Detektiv. Mertens blickte sich um. Niemand zu sehen. Er setzte sich wieder.

Schloss die Augen. Kurze Pause. Vierundzwanzig Stunden schlafen, das wünschte er sich. Sein Kopf sank leicht nach vorn, seine Atmung wurde langsamer. Schlafen.

Er schreckte hoch. Die Luft wurde ihm knapp. Ein Arm hatte sich um seinen Hals gelegt und drückte zu. Er wandte sich hin und her. Keine Chance! Der Arm glich einer Stahlklammer. Ein Messer blitzte vor seinen Augen auf.

„Ganz ruhig“, zischte eine Stimme in Mertens Ohr.

„Wer sind Sie?“, krächzte Mertens.

„Sie sind Detektiv. Kombinieren Sie!“

„Larusso!“

„Gut!“ Larusso verstärkte den Druck auf Mertens‘ Hals, achtete aber genau darauf, ihm nur das Blut abzustellen, nicht den Kehlkopf zu verletzen. Er sollte nur bewusstlos werden. Ein paar Sekunden später sackte Mertens zusammen. Larusso ließ ihn zu Boden fallen.

Er ging zu seinem Auto und holte mehrere Seile aus dem Kofferraum. Je eins band er um die Arme des Bewusstlosen und eins um dessen Beine. Danach zog er alle Seile am Turm empor, nur so weit, dass Mertens noch auf dem Boden lag, sich aber nicht mehr bewegen konnte. Larusso nahm Riechsalz, um ihn aufzuwecken.

Mertens schlug sofort die Augen auf. Er versucht aufzustehen. Die Stricke, mit denen er gefesselt worden war, ließen ihm ein bis zwei Zentimeter Bewegungsfreiheit, nicht mehr. Er konnte weder aufstehen noch die Arme heben oder senken, lag auf dem Rücken wie der sprichwörtliche Maikäfer.

Larusso trat in sein Sichtfeld. „Hallo Herr Mertens. Eigentlich würde ich erst einmal Höflichkeiten mit Ihnen austauschen, aber dazu bleibt mir leider keine Zeit“, seine Stimme troff vor Sarkasmus. „Kommen wir gleich zur Sache“, er zog ein Skalpell hinter seinem Rücken hervor. „Woher kennen Sie meinen Namen und wie sind Sie auf meine Spur gekommen?“

Mertens schwieg.

„Ihr Schweigen wird Ihnen nicht helfen.“ Larusso bückte sich zu ihm hinunter und schnitt Mertens Hemd auf. Dann setzte er das Skalpell auf die rechte Brust, drückte es ein wenig in die Haut und zog es sehr langsam hinüber zur linken Brust. Mertens Gesicht verkrampfte sich vor Schmerzen. „Schlimm?“

„Sie Sadist!“, keuchte der am Boden Liegende.

„Das war erst der Anfang“, grinste Larusso diabolisch. Er setzte das kühle Metall wieder auf die rechte Brust und zog es in einem leichten Winkel hinunter zur linken Brust. Er drückte etwas fester. Mertens schrie. „Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Nachforschungen“, stieß Mertens hervor.

„Welche Nachforschungen?“ Larusso ritzte weiter, immer darauf achtend, seinem Opfer nicht zu viel Schmerz zuzufügen, damit dieser nicht bewusstlos wurde. „Welche Nachforschungen?“, wiederholte er seine Frage, nachdem er die beiden ersten blutigen Linien mit einer dritten verbunden hatte.

„Internet!“, rief Mertens schmerzerfüllt aus.

Larusso hielt inne und hob das Skalpell von der Brust des Mannes. „Wir wären schneller fertig, wenn Sie nicht nur Ein-Wort-Sätze hervor brächten. Was für Nachforschungen im Internet?“

„Darknet“, war die Antwort.

„Ich verliere langsam die Geduld. Und seien Sie sich gewiss, das wollen Sie nicht erleben!“ Larusso ritzte einen vierten blutigen Strich in Mertens Brust. „Was haben Sie im Darknet gefunden? Das Forum?“ Am Rippenbogen angekommen, drückte er das Skalpell in den Körper seines Opfers, glitt dabei an einer Rippe ab. Die scharfe Klinge hinterließ eine zehn Zentimeter lange Furche. Mertens schrie wieder und wandte sich unter Schmerzen. „Antworten Sie!“, presste Larusso mit unterdrückter Ungeduld zwischen den Zähnen hervor.

„Ja, haben wir…“ In der selben Sekunde, in der die Worte seinen Mund verlassen hatten, wusste Mertens, dass er einen Fehler begangen hatte.

„Wer ist wir?“, ein martialisches Lächeln umspielte Larussos Lippen.

„Ich meinte, ja, ich habe es gefunden“, doch die Lüge war schlecht und Mertens war sich dessen bewusst.

„Wer ist wir?“ Das Skalpell zeichnete erneut Spuren auf Mertens Brust und Bauch. „WER IST WIR?“, brüllte ihn Larusso an. Er ritzte jetzt ohne Unterlass. „WER IST WIR?“

Mertens sprach nicht mehr, er schrie vor Schmerz.

Larusso hielt ihm das Skalpell vor die Augen. „Sie wollten es nicht anders.“ Die Klinge näherte sich dem linken Auge. Mertens versuchte seinen Kopf wegzudrehen, aber sein Peiniger hielt ihn mit der freien Hand fest umklammert.

„Nein! … Nicht!…“, schrie Mertens.

„Dann reden Sie!“

„Ich kann nicht!“

„Dann soll es so sein.“ Der chirurgische Stahl tauchte unter den linken Augapfel. Mertens schrie in Agonie, als die Schneide den Sehnerv durchtrennte und das blind gewordene Auge heraus hebelte. Ein Blutstrom ergoss sich aus der Augenhöhle auf den Waldboden, der das Lebenselixier gierig aufsog. „Wer ist wir?“

Mertens war verstummt. Larusso dachte für eine Sekunde, sein Opfer sei tot, aber er konnte einen schnellen Puls am Hals spüren. Er zog ein zweites Riechsalz-Fläschchen aus der Tasche, brach es auf und hielt es unter Mertens Nase. Der Gepeinigte schlug wieder die Augen auf. Er stöhnte.

„Wer ist wir?“, wiederholte Larusso seine Frage erneut und hielt die Klinge über das verbliebene Auge. „Ich beende Ihr Leiden, schnell und schmerzlos, wenn Sie mir den Namen sagen.“

„Oh Gott… ich kann nicht…“, jammerte Mertens, das nahe Ende vor Augen. „Sie…“ Seine Stimme brach.

Larusso riss der Geduldsfaden. Er ritzte, wie in wilder Raserei, in den Bauch seines Opfers. „WER IST SIE?“, schrie er immer wieder.

Mertens wurde erneut ohnmächtig. Larusso weckte ihn wieder mit Riechsalz auf. „WER?“, brüllte Larusso außer sich vor Zorn, beugte sich über den am Boden liegenden Mann und führte das Skalpell ganz langsam unter das rechte Auge.

Mertens war nicht mehr in der Lage, sich zu beherrschen. Der Schmerz brachte ihn um den Verstand. Und um endlich erlöst zu werden, Ruhe zu finden, keine Schmerzen mehr zu erleiden, stieß er mit letzter Kraft einen Namen hervor…

Surely, tonight the Heavens are hung in black

Abraham Lincoln

Kapitel 1

Samstag, 13. April 2013, 07:55

Die Wolken waren dunkelgrau, hingen tief und flogen wie gehetzte Schafe am Himmel dahin. Von den Wiesen stiegen vereinzelte Nebelschwaden auf. Der Frühling verdrängte langsam den Winter und die Temperaturen näherten sich dem zweistelligen positiven Bereich an. Windböen bogen die Äste der Büsche und Bäume am Schwanheimer Ufer und zogen die Dunstschleier mit sich hinfort. Kein Vogel zwitscherte, um den neuen Tag zu begrüßen, nur gelegentlich war das Krächzen eines einsamen Raben zu hören, der sich an den Ästen eines schwankenden Baums festkrallte.

Jay hatte sich bei mir untergehakt. Wir liefen gemütlich dem Wind trotzend das Schwanheimer Ufer Richtung Staustufe entlang. Außer uns waren keine Spaziergänger unterwegs, nur ein einzelner Jogger hatte uns vor ein paar Minuten sehr kurzatmig passiert. Wir unterhielten uns über unsere Zukunft. In ein paar Monaten, nach dem Abschluss ihres Studiums, wollte Jay zu mir nach Frankfurt ziehen. Im Moment wohnte und studierte sie in Heidelberg. Wir waren sehr verliebt und wollten so schnell als möglich zusammen ziehen.

Wir überlegten uns gerade, wie es mit uns weitergehen könnte, da sahen wir den Jogger auf dem Boden liegen. „Der hat sich ein bissel viel zugemutet“, kommentierte Jay die Situation.

„So seh ich das auch“, antwortete ich. „Guck mal“, ich deutete auf ihn. „Ich glaube er atmet nicht mehr.“ Der Jogger lag reglos auf der Wiese. Sein Brustkorb hob und senkte sich nicht mehr.

Jay kniete nieder und begann sofort mit Mund-zu-Mund-Beatmung. Zwischendurch massierte sie immer wieder das Herz des Mannes. Nach zwei, drei Minuten hob sie den Kopf. „Ich glaub der ist hin.“

Ein Toter am frühen Morgen, das konnte ich gebrauchen wie ein Loch im Kopf. Ich zog mein Handy aus der Tasche, um die Polizei und einen Krankenwagen zu rufen. Jay blickte mich zerknirscht an, sie schien das Gleiche zu denken wie ich.

„Notruf Zentrale“, meldete sich eine Stimme aus meinem Telefon. Ich holte Luft, um meinen Namen zu nennen und die Situation zu schildern, da geschah es.

Der Jogger richtete sich auf. Aus blutunterlaufenen Augen grinste er mich an wie der Leibhaftige. Mit ausgestreckten Händen näherte er sich meiner Freundin. Jay hatte bisher nichts mitbekommen, sie blickte noch in meine Richtung. Jetzt registrierte sie meine überrascht geweiteten Augen und drehte sich zu dem Jogger. Der Mann ergriff ihren Kopf und zog sie zu sich heran, dabei ließ er sich wieder zurück auf die Wiese fallen. Er presste seine Lippen auf Jays. Sie begann sofort, sich zu wehren, aber der Mann war zu stark für sie. Ich kniete mich neben das ringende Paar auf den Boden, ergriff die Arme des Mannes und zog so fest ich konnte. Ohne Erfolg. Er war auch für mich zu stark. Ich ballte meine Rechte zur Faust und schlug ihm aus Verzweiflung in die Weichteile.

Keine Reaktion!

Jetzt nahm ich wahr, dass sich die Wangen von Jay und dem Mann aufblähten. Zwischen den Lippen der beiden floss Blut heraus. Panik ergriff mich. Was passierte da?

Ich wich einen Schritt zurück, als das Blut zwischen den beiden heraus spritzte. Ganz unvermittelt ließ der Mann die Hände sinken. Jay war wieder frei. Sie erhob sich langsam, den Rücken mir zugewandt.

„Jay!“, ich packte sie an der Schulter. „Was ist da passiert?“ Sie wandte sich mir zu, ich zog meine Hand zurück. Ihre Augen waren rot unterlaufen, ihr Gesicht blutverschmiert. „Jay, was ist?“

Der Jogger erhob sich vom Boden, aber er hatte sich verändert. Das war nicht möglich. Ich wich zurück, weit zurück. Vor mir stand jetzt ein fast zwei Meter großer Schwarzer mit Glatze. Seine linke Wange war von Narben übersät.

Ich war wie versteinert. Josef Larusso und meine Freundin Jay kamen auf mich zu. Unisono fragten sie: „Was hast du getan?“ Ihre Hände ergriffen meinen Körper und schüttelten mich.

Ich versuchte sie abzuwehren, aber ihre Finger krallten sich in den Stoff meiner Jacke. Sie schüttelten mich weiter. „Tom, Tom, Tom“, riefen sie nun meinen Namen.

Die Stimmen verschmolzen zu einer einzelnen. „Tom, wach endlich auf!“ Stefan Carstens ließ meinen Arm los, als ich endlich die Augen öffnete.

Ich lag in meinem Bett. „Was… machst… du hier?“ Denken und Reden fiel mir außerordentlich schwer.

Stefan blickte auf mich herab. „Tom, was hast du getan?“

„Was… was, meinst du?“ Mein Hirn war wie Brei.

„Wo bleibt denn die Spusi? Ist bestimmt schon zwanzig Minuten her, das ich angerufen habe“, hörte ich Till Ressmanns Stimme.

„Du auch?“ Was machten meine beiden Freunde an einem Samstagmorgen in meinem Schlafzimmer?

„Ist er endlich wach?“, fragte Till an Stefan gewandt.

„Ich bin im Raum, du kannst mich direkt fragen…“

„Du solltest uns das hier erst einmal erklären!“, forderte Till mich auf.

„Was denn?“ Ich erinnerte mich wieder an den Traum. „Oh Mann, ich muss euch von meinem Albtraum erzählen“, begann ich mit immer noch schwer zu kontrollierender Zunge zu erzählen.

Stefan unterbrach mich: „Der Alptraum scheint noch nicht zu Ende zu sein…“ Er blickte mich ernst an. Seine Augen wanderten zu der zweiten Matratze des Doppelbetts. Ich folgte seinem Blick.

Neben mir lag eine nackte Frau, mit aufgerissenen toten Augen. Blutverschmiert. Ich blickte an mir herunter zu meinen Händen. Mein Körper war rot gefärbt, als hätte ich in ihrem Blut gebadet.

13. April 2013, 08:03

„Was hast du getan, Tom?“ Stefan blickte mich aus seinen blauen Augen fassungslos an.

„Ich weiß es nicht!“, rief ich und mein Magen hob sich. „Ich kann mich… an nix erinnern! Ehrlich! Oh Gott!“ Ich musste tief durchatmen. Das Gefühl, keine Luft zu bekommen, breitete sich in meiner Brust aus. Was war passiert? Wo kam die Frau her? Wer war die Tote? Hatte ich sie ermordet? War es ein Unfall? All diese Fragen schossen durch meinen Kopf. Ich stand auf und blickte wieder an mir herab. Alles voller Blut.

„Ich versuch schon eine ganze Weile, dich wach zu bekommen“, eröffnete mir Stefan.

„Wie bitte?“ Ich hatte zugehört, aber es kam mir so vor, als ob ein Rauschen in meinen Ohren alles übertönte.

Jetzt betrachtete ich zum ersten Mal bewusst die Tote. Ihre matten Augen starrten in meine Richtung. Wieder krampfte sich mein Magen zusammen wie nach einem Fausthieb. Sie war jung, blond, schlank und gut gebaut, soweit ich das unter all dem Blut sehen konnte. Ihr Körper war von unzähligen Messerstichen übersät. Der Täter… ich? … musste in blinder Wut auf sie eingestochen haben.

„Stefan, ich…“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Stefan, ich…“, setzte ich ein zweites Mal an. Aber egal in welchem Teil meines Hirns ich nach einer Erklärung suchte, ich fand nur Leere vor. Nichts! Ein schwarzes Loch. Wie sollte ich meinem Freund, der Kriminalhauptkommissar bei der Mordkommission war, die Anwesenheit einer toten nackten Frau in meinem Bett erklären, deren Blut meinen Körper bedeckte?

„Wer ist das?“, drang Tills Stimme wieder an mein Ohr.

Ich drehte den Kopf zur Schlafzimmertür. Till stand hoch aufgerichtet im Türrahmen und blickte mich aus seinen fast schwarzen, dämonisch wirkenden Augen an. „Kennst du sie?“

Ich schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung… wie sie… in mein Bett…“, ich zuckte die Schultern. Tills Blick strotzte vor Skepsis. „Ihr müsst mir glauben. Ich… Ich weiß es nicht. Filmriss!“, beteuerte ich, während ich meinen Blick zwischen Till und Stefan hin und her wandern ließ. Beide wirkten nicht überzeugt. „Wir sind Freunde! Ich war das nicht.“ Ich deutete wild fuchtelnd mit den Armen auf die Leiche. „Traut ihr mir das wirklich zu?“ Keiner der beiden bejahte meine Frage, aber sie dementierten auch nicht.

Stefan trat neben mich. „Als dein Freund glaube ich dir“, es folgte eine Pause, er wirkte verlegen. „Aber was würdest du an meiner Stelle denken?“

Till kam auch ein Stück näher, vergrub seine Hände in den Taschen seiner schwarzen Jeans und senkte den Kopf. Er wich meinem Blick aus, als er sagte: „Du weißt, was jetzt kommt. Wir müssen dich mit aufs Revier nehmen.“

„Wollt ihr mich verarschen?“ Ich sah Stefan hilfesuchend an, aber auch er war nicht mehr in der Lage, mir in die Augen zu sehen. „Das ist nicht euer Ernst!“

Stefan ergriff das Wort: „Was bleibt uns übrig?“

„Ich würde jedem von euch glauben. Ohne Wenn und Aber“, erwiderte ich angriffslustig.

Stefan hob den Kopf wieder und blickte mich fest an: „Wie gesagt, ich glaube dir und ich werde alles tun, um deine Unschuld zu beweisen, genauso wie Till, aber bis dahin muss ich dich festnehmen. Pack bitte ein paar Sachen zusammen. Ich bring dich ins Präsidium.“

„Wie bitte?!“, rief ich aus.

Till mischte sich ein. „Verdammt Tom! Was sollen wir denken? Deine Wohnungstür war abgeschlossen.“ Und als ich etwas erwidern wollte, ergänzte er: „Von innen!“ Mir klappte der Mund auf. „Der Schlüssel hat noch gesteckt, als Stefan mit seinem Zweitschlüssel die Tür geöffnet hat.“

„Aber das ist kein Beweis…“

Till fiel mir ins Wort: „Vielleicht ist es nur ein Indiz, aber wir haben hier zu viele Verdachtsmomente gegen dich.“ Er senkte die Stimme. „Wie Stefan schon gesagt hat, als Freunde glauben wir dir, aber als Bullen müssen wir den offiziellen Weg einhalten. Sorry!“

„Darf ich zumindest frische Klamotten anziehen?“

„Hast du einen großen Plastiksack?“, lautete Tills Gegenfrage. Ich nickte. „Dann zieh dich bitte komplett aus und pack alles in den Sack, für die Spurensicherung. Du kennst das Prozedere. Eigentlich müsste dich erst Reiner unter die Lupe nehmen. Aber das können wir auch später im Präsidium machen.“

Ja, ich kannte die Vorgehensweise in solchen Fällen. Ich ging ins Bad, holte einen 120 Liter-Beutel, zog mich bis auf die Haut aus und stopfte alles hinein. Die verpackte, blutgetränkte Kleidung reichte ich Till, wobei ich ihm den Sack wütend gegen die Brust knallte. Ich war enttäuscht. Und vor allem gekränkt. Meine beiden Freunde dachten anscheinend wirklich, dass ich die Frau ermordet hatte. Ja, zugegeben, sie mussten den Dienstweg einhalten und ja, objektiv betrachtet sah es wirklich nicht gut für mich aus, aber wir hatten so viel zusammen durchgestanden, da konnte ich doch ein wenig Vertrauen erwarten.

Ich zog frische Unterwäsche, eine Jeans, ein T-Shirt und ein Kapuzenshirt an. Meine Hände waren immer noch rot vom Blut der Frau. „Mach mal ein paar Fotos von meinen Händen, Till.“

„Warum?“

„Ich kann das Gefühl des getrockneten Bluts nicht mehr ertragen. Bitte!“, flehte ich ihn an.

Till schüttelte den Kopf. „Überleg mal, das könnte dich entlasten.“ Er gab mir zwei Sekunden zum Nachdenken. Dann fuhr er fort: „Sollten keine Hautpartikel unter deinen Nägeln zu finden sein, beweist es, dass du sie nicht gekratzt hast oder dergleichen.“ Ich nickte niedergeschlagen. „Ich will dir nur helfen“, erklärte er mir seine Entscheidung.

Till hatte recht, trotzdem hätte ich mir am liebsten die Haut von den Händen gezogen. „Na gut.“

„Nimm am besten ein paar neue Plastikbeutel und zieh sie über deine Hände.“ Als ich etwas einwenden wollte, sagte Stefan: „Nur bis ins Präsidium.“

„Darf ich vorher noch mal aufs Klo?“, fragte ich Till.

Er nickte und ging in die Küche. Als er zurückkam, reichte er mir zwei Gefrierbeutel. „Überziehen und nicht die Hände waschen!“

Auf dem Weg ins Bad stoppte ich kurz an der Küchentür, sah mich schnell um, griff um die Ecke und steckte mein Handy ein. Ich zog die oberste Schublade der Küchenzeile auf und nahm einen kleinen Schlüssel heraus. Ich schob die Schublade lautlos zu und ging weiter ins Bad. Ich wartete einige Minuten, dann betätigte ich die Spülung. Verdammt! Wie war das möglich? Ich stützte mich auf den Waschbeckenrand und blickte mir im Spiegel in die rot unterlaufenen Augen. Bestand die Möglichkeit, dass ich die Frau ermordet hatte, aber mich nicht erinnern konnte? Jay hätte mir die Frage beantworten können. Als Psychologin kannte sie bestimmt solche Fälle und wusste, wie man mit den betroffenen Personen umgehen musste oder ihnen helfen konnte. Ich senkte den Kopf und spürte heiße Tränen aus meinen Augen rinnen.

Es klopfte. „Bist du soweit? Wir müssen los“, rief Stefan durch die geschlossene Tür.

„Ich komme“, antwortete ich. Mein Blick fiel auf das Badfenster. Flucht? Aus dem zweiten Stock? Keine Chance! Trotzdem hielt ich bereits den Fenstergriff in der Hand. Mein Echsenhirn hatte unabhängig von Logik und Verstand gehandelt. Ich zog die Hand zurück und ging hinaus zu Stefan und Till.

„Ich bring dich ins Präsidium. Till bleibt hier und wartet auf Reiner und Joe.“ Ich nickte resignierend. Nie hätte ich mir das träumen lassen: Pathologe Johann Berger und der Chef der Spurensicherung Reiner Meister dienstlich in meiner Wohnung. Unglaublich.

Stefan lotste mich zur Wohnungstür hinaus. Vor der Tür fragte er: „Muss ich dir Handschellen anlegen?“

Ich schüttelte den Kopf. „Ich werde schon nicht flüchten“ und mit leicht sarkastischem Unterton, setzte ich hinzu: „Vorausgesetzt, dass du mir das wenigstens glaubst.“

„Fuck, Tom. Ich glaub dir. Aber wie oft muss ich dir erklären, dass wir den Dienstweg einhalten müssen? Vor allem, um dich ordnungsgemäß zu entlasten, das ist wichtig.“

„Ist ja gut!“ Ich lief die zwei Treppen langsam, fast andächtig hinunter. Ganz so, als könne ich einen Erinnerungsfetzen auf einem der Treppenabsätze finden. Mein Freund, der hinter mir lief, drängte mich nicht. Er überließ mir das Tempo.

Im ersten Stock kamen uns Reiner und Joe entgegen.

„Till ist oben. Er erwartet euch“, begrüßte sie Stefan. Reiner ging an mir vorbei und nickte mir zu. Joe blieb kurz stehen, legte eine Hand auf meinen Unterarm: „Till hat mir alles am Telefon erzählt. Ich glaube nicht, dass du es warst. Ich werde alles tun, um deine Unschuld zu beweisen.“

Mir steckte ein Kloß im Hals: „Danke, Joe“, sagte ich mit belegter Stimme. Der Pathologe war der Erste an diesem Morgen, der mir glaubte, ohne die Fakten zu kennen. Er klopfte mir auf die Schulter und setzte dann seinen Weg fort.

13. April 2013, 08:43

Ressmann sah den beiden nach, dann schloss er die Wohnungstür. Nachdem sie die Wohnung heute Morgen betreten und die Überraschung im Schlafzimmer entdeckt hatten, dachte er über die möglichen Beweggründe – das Motiv – seines Freundes nach. 2010 war Martini schon einmal unter Tatverdacht geraten. Jetzt, knappe drei Jahre später, befand er sich in der gleichen Situation. Jedoch sah es diesmal wesentlich schlechter für ihn aus.

Ressmanns Überlegungen wurden von der Türglocke unterbrochen. Er öffnete die Wohnungstür. Joe Berger und Reiner Meister standen im Hausflur.

„Kommt rein“, begrüßte er die beiden Männer, die er vorhin verständigt hatte. „Reiner, könntest du dir als erstes das Türschloss ansehen? Ich will wissen, ob sich jemand dran zu schaffen gemacht hat.“

„Glaubst du, jemand ist eingebrochen?“

Ressmann rieb sich sein Kinn. „Ich weiß es nicht. Es deutet nichts auf die Anwesenheit einer dritten Person oder Partei hin.“

„Sagst du“, mischte sich Berger ein.

„Wie meinst du das?“, gab Ressmann zurück.

Berger runzelte die Stirn und faltete die Hände über seinem leichten Bauchansatz. „Wie ich das meine?“, echote er. „Verdammt, Martini war einer von uns und ist unser Freund. Glaubst du wirklich, dass er zu einem Mord imstande ist?“

Ressmann blickte zu Boden, wich dem Blick des drei Jahre älteren Pathologen aus. „Alles spricht gegen ihn“, nuschelte er unverständlich vor sich hin. „Und außerdem hast du die Leiche noch nicht gesehen.“

„Du hast sie mir am Telefon beschrieben. Und trotzdem glaube ich an Toms Unschuld.“

„Aber…“, setzte der Kommissar an, wurde jedoch von Berger unterbrochen.

„Lass mich meine Arbeit machen, dann sehen wir weiter.“ Berger wandte sich ab und verschwand im Schlafzimmer.

Die Balkontür stand offen. Ressmann blickte die Hänggasse hinunter. Der Motor des Dienst-Passats wurde angelassen. Dann schoss der Wagen aus der Parklücke und fuhr viel zu schnell die Martinskirchstraße entlang. Hatte Stefan es so eilig, Tom im Präsidium abzuliefern? Egal.

Meister hatte das Schlafzimmer foto- und videografiert. Jetzt war Berger dort am Werkeln, während Meister die Eingangstür untersuchte.

„Hast du schon was gefunden?“, fragte der Kommissar.

Meister hob nicht den Blick, inspizierte jede Einzelheit des Schließzylinders und Beschlags. „Wunder brauchen etwas länger. Ich habe gerade erst begonnen. Das Einzige, was ich mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist: Es wurde nicht eingebrochen. Das Schloss und alle darin enthaltenen Schließungen sind vollkommen intakt. Um sicher zu gehen, muss ich allerdings den kompletten Zylinder zerlegen und überprüfen.“

„Das hieße, niemand ist unrechtmäßig hier eingedrungen?“, setzte Ressmann nach.

„Anscheinend nicht.“ Jetzt blickte der Forensiker auf. „Warum seid ihr zwei eigentlich hergekommen?“

„Wegen Toms Nachbarin.“ Ressmann knetete sein Kinn. „Frau Weber hat Schreie aus Toms Wohnung gehört. Auf ihr Klopfen und Klingeln hat er nicht reagiert. Da hat sie Stefan angerufen. Direkt nachdem der Engelmacher aus dem Verkehr gezogen worden war, hatte Stefan Angst, Tom könnte eine Dummheit machen… du weißt schon, wegen Daniela. Deshalb hat er ihr damals seine Privatnummer gegeben.“

Meister nickte verstehend. „Komisch. Martini hat nicht geöffnet… hmmmm.“ Meister stand auf und sah den Flur auf und ab. Auf der linken Seite befanden sich Bad und Küche, rechts Arbeits- und Wohnzimmer, geradeaus das Schlafzimmer. „Das Opfer muss sehr laut geschrien haben, weil das Schlafzimmer am weitesten vom Hausflur entfernt liegt. Nehmen wir an, Martini hat sie wirklich getötet. Hätte er nicht versucht, alle verräterischen Geräusche im Keim zu ersticken?“

Ressmanns Kinn hatte sich bereits rot verfärbt, denn der Kommissar knetete es immer noch, als wolle er einen Kuchenteig zubereiten. „Glaubst du auch an Toms Unschuld?“

„Ich gehe nur alle Möglichkeiten durch. Die Schuld oder Unschuldsfrage ist dein Ressort“, Meister bückte sich wieder zu dem Schloss hinunter.

Ressmann wandte sich ab und lief langsam durch die einzelnen Räume der Wohnung. In der Küche wurde er stutzig. Normalerweise lag Toms Handy über Nacht auf der Arbeitsplatte zum Laden. Der Detektiv wollte es nicht die ganze Nacht neben dem Kopf liegen haben, angeblich sollte das ungesund sein. Der Kommissar suchte die gesamte Wohnung ein zweites Mal ab. Nichts. Kein Handy.

„Joe, hast du Toms Handy gesehen?“, fragte er den Pathologen, der gerade die Lebertemperatur der Leiche maß. Berger schüttelte stumm den Kopf. Auch Meister verneinte. Das Handy schien verschwunden. Dieser Schlurie, dachte Ressmann. Er zog sein Telefon aus der Tasche und wählte die Nummer von Stefan Carstens. Es dauerte ungewöhnlich lange bis sein Kollege den Anruf entgegen nahm. „Stefan! Du musst Tom durch…“

Carstens unterbrach ihn: „Er ist weg… geflüchtet!“

13. April 2013, 09:51

Ressmann stürmte das Treppenhaus hinunter. Fast wäre er im ersten Stock auf dem Treppenabsatz aus Marmor ausgerutscht, fing sich aber gerade noch. Unten angelangt brach er zum Leidwesen seines Kollegen in Gelächter aus.

Carstens lag auf dem Rücken. Seine Handschellen hingen durch das Metallgeländer. Eine schlang sich um sein linkes Fußgelenk, die andere um sein rechtes Handgelenk. „Mach mich los, du Idiot!“, blaffte er Ressmann an. „Die Stellung ist nicht gemütlich!“

Ressmann suchte nach seinen Handschellenschlüsseln und befreite Carstens aus seiner Misere. „Wie konnte das denn passieren?“

„Er hat mich überrumpelt… zack“, Carstens klatsche in die Hände. Sein rechtes Handgelenk war wundgescheuert. Der Kommissar rieb es vorsichtig. „Dieser Sack, hat mir das Handy aus der Tasche genommen und so platziert, dass ich es nicht erreichen konnte. Erst nachdem ich mir den Arm fast ausgekugelt hatte, konnte ich es greifen und da hast du angerufen.“

Ressmann musste immer noch grinsen, die Position seines Kollegen vor seinem geistigen Auge. „Warum hast du nicht gerufen?“

Carstens suchte nach seinen Zigaretten, steckte sich eine in den Mund, vergaß aber sie anzuzünden. „Hab ich. Die Firmen im ersten Stock arbeiten samstags nicht. Und im zweiten Stock bin ich nicht gehört worden. Oder hast du mich ignoriert?“

Ressmann schüttelte energisch den Kopf. „Natürlich nicht. Aber lass uns als erstes eine Fahndung nach Tom rausgeben.“ Er zückte sein Handy. „Wie hat Tom dich eigentlich überrumpelt?“

Carstens verschränkte die Arme vor der Brust. „Er hat mich ausgetrickst, wie einen Anfänger“, er senkte den Kopf und besah sich seine Schuhspitzen. „Er hat gesagt, er müsse sich den Schuh binden. Beim Aufstehen hat er mich angerempelt, gegen die Wand gedrückt und mir die Dienstwaffe aus dem Schulterholster gezogen. Er zwang mich, meine Handschellen anzulegen.“

„Er hat dich mit der Waffe bedroht? Tom?!“, fragte Ressmann fassungslos.

Sein Kollege nickte. „Hat er!“

„Ist der völlig durchgedreht?“ Ressmann wählte die Nummer ihres Chefs Alfred Köster, Leiter des K11. Er berichtete in kurzen Worten was vorgefallen war.

„Ich fahre sofort ins Präsidium und leite alles Nötige in die Wege. Wir müssen Martini finden, bevor er die Situation unnötig verkompliziert. Wie lange ist er schon flüchtig?“

Ressmann blickte Carstens an, der mitgehört hatte. „Vierzig bis sechzig Minuten.“

Köster atmete schwer aus. „Das ist sehr lang. Er könnte schon halb in Düsseldorf sein. Und zusätzlich ist er auch noch bewaffnet.“

„Glauben Sie, er fährt wieder zu Dorian Singer?“, fragte Ressmann.

„Nein!“, wehrte Köster ab. „Das war ein Beispiel. Ich werde eine landesweite Fahndung herausgeben. Wir sehen uns später in meinem Büro.“ Köster beendete die Verbindung.

„Ich glaube, der ist nicht glücklich“, sinnierte Ressmann.

„Wäre mir nicht aufgefallen“, gab Carstens zurück. Er machte sich große Vorwürfe. Martini stand unter Mordverdacht, war flüchtig und bewaffnet. Hoffentlich ging das gut aus…

13. April 2013, 10:10

Die Sonne lachte von einem fast wolkenlosen, blauen Himmel. Dieter Schulz lief Hand in Hand mit seiner Freundin Karolin Nestler die Zeil hinauf. Der Samstag stand ganz im Zeichen des Einkaufsbummels. MyZeil, das im Oktober 2009 eröffnete Einkaufzentrum, lag hinter ihnen. Karolin steuerte zielstrebig auf den Horten zu.

„Hasiiiii“, zog sie den Kosename ihres Freundes in die Länge, „ich hab bei Horten ein tolles Kleid gesehen. Glaubst du, das ist noch im Budget?“

Der fünfundzwanzigjährige Dieter, der seiner ebenso jungen Freundin fast keinen Wunsch abschlagen konnte, grinste zu ihr hinab. Karolin war nur eins dreiundfünfzig und wirkte neben ihm mit seinen eins achtzig wie ein Zwerg. „Kommt darauf an was es kostet?“

„Ist ganz billig“, lächelte sie und klimperte mit den Wimpern.

Schwupps, da war es um Dieter geschehen. Er musste an ein Lied von Seeed denken: Deine Augen machen bling bling, und alles ist vergessen. Ja, das passte genau zu seiner Freundin. Karolin lächelte, ihre Augen machten bling bling und er konnte nur noch ja sagen. „Wir schauen mal“, was eine andere Umschreibung war für: ist gebongt.

Sie betraten den Horten und liefen in Richtung der Rolltreppen. Die beiden hielten sich eng aneinander geschmiegt, Arm in Arm. Karolin wippte in heller Vorfreude beim Gehen auf und ab.

Da fiel der erste Schuss. Für eine Sekunde herrschte eine Stille, als habe ein höheres Wesen die Zeit angehalten. Hunderte von Augenpaaren blickten umher, suchten nach der Quelle des Geräuschs. Bis der zweite Schuss die Stille zerriss, gefolgt von einem Mark erschütternden Schrei. Von einem Moment auf den anderen brach das Chaos aus. Menschen schrien und liefen durcheinander. Karolin und Dieter wurden angerempelt, gegen einen Kleiderständer gedrückt, bis sie mit ihm zusammen zu Boden stürzten.

Die junge Frau schrie in Panik: „Was ist das? Dieter!“

„Ich weiß nicht!“, brüllte dieser zurück, um die lärmende und tobende Menschenmasse zu übertönen. Die Schüsse kamen näher. „Wir müssen hier weg!“ Dieter versuchte Karolin auf die Beine zu helfen, wurde aber immer wieder umgestoßen. Jeder versuchte, sich selbst zu retten. Keiner der verstörten Menschen nahm Rücksicht auf die anderen.

Als Dieter es fast geschafft hatte, wurde er erneut geschubst. Ein Mann, etwa so groß und schwer wie er selbst, fiel wie ein Sack auf ihn und begrub Dieter unter sich. „Hey! Runter!“, brüllte er den Mann an. Keine Regung. Dieter spürte etwas Nasses, Klebriges. Als er seine Hand ansah, wurde er der roten zähen Flüssigkeit gewahr. Blut! Dieter geriet in Panik. Schlug um sich, schrie nach Karolin. Mit vereinten Kräften schafften sie es, den Toten von Dieter herunter zu wuchten.

„Scheiße, der ist tot“, sagte Karolin. Tränen liefen ihr die Wangen herunter. „Tot!“

Beide saßen immer noch auf dem Granitboden des Hauptgangs. Dieter startete den nächsten Versuch. Aufstehen und weg hier. Als er den Oberkörper aufgerichtet hatte, die Knie noch auf dem Boden, blickte er in die Mündung einer Pistole. Ihm blieb keine Zeit zum Reagieren. Die Kugel drang über seiner Nasenwurzel in den Schädel ein, grub ein Loch quer durch fast alle Gehirnregionen und trat auf der Rückseite von Dieters Kopf wieder aus. Sein lebloser Körper kippte zur Seite.

Karolin blickte in die blauen Augen eines schwarzhaarigen Mannes, der fast zwei Meter maß. Sie erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange. Ihr Leben zog an ihr vorbei.

Da ließ der Mann die Waffe sinken und rief Karolin etwas zu. Dann drehte er sich zum Ausgang und rannte zusammen mit den anderen angsterfüllten Passanten davon.

13. April 2013, 10:28

Ressmanns Handy klingelte, Köster. „Hallo Chef“, meldete er sich. „Wir sind fast auf dem Weg…“

„Wo sind sie genau?“, unterbrach ihn der K11-Leiter.

„Wir warten auf die Kollegen von der Streife, weil Tom unseren Passat geklaut hat.“

„Sie sind noch in Schwanheim“, resümierte Köster. „Wenn die Kollegen kommen, fahren Sie mit ihnen in die Innenstadt. Es gab einen Amoklauf im Horten.“ Ressmann wurde um eine Nuance blasser. Ein Amoklauf, oh mein Gott, dachte der Kommissar, wie schrecklich. Er stellte sein Telefon auf Lautsprecher, damit Carstens mithören konnte. „Anscheinend ist der Schütze geflüchtet. Aber mir fehlen die Details. Lassen Sie Martini Martini sein. Das hat Priorität.“

„Geht klar, machen wir“, antwortete Ressmann und beendete die Verbindung.

Carstens blickte ihn fragend an. „Schütze?“

„Ein Amokschütze im Horten.“

„Fuck!“ Mehr sagte sein Kollege nicht. Er wirkte plötzlich sehr angespannt.

In diesem Moment klingelte es, die Kollegen vom 10. Revier waren da. „Hallo zusammen, ihr braucht ein Taxi haben wir gehört“, begrüßte sie Polizeiobermeister Ernst Mielke, der nur Elmie genannt wurde. „Was ist denn hier los? Ist das eine Beerdigung?“

„Köster hat angerufen, unser Ziel hat sich geändert. Wir müssen zum Horten“, antwortete Ressmann.

„Zum Einkaufsbummel?“, erwiderte Mielke spöttisch.

Ressmann blieb ernst. „Nein, Amoklauf.“

Mielkes Grinsen verschwand. „Ernsthaft?“ Als weder Ressmann noch Carstens lachten, sagte er: „Dann los. Vielleicht ist noch was zu retten.“

13. April 2013, 10:48

Karolin Nestler lag neben der Leiche ihres Freundes und weinte still vor sich hin. Ein älterer Mann hatte versucht, sie mit sich nach draußen zu nehmen, aber sie wehrte sich. „Lassen Sie mich“, war ihre tränenerstickte Antwort gewesen. Nach dem dritten Versuch hatte der Mann von ihr gelassen.

Die große Haupthalle war so gut wie leer. Nur vereinzelt liefen noch geschockte Menschen wie Zombies umher. Karolin war das alles egal. Sie würde das Gesicht des Mannes nie vergessen, der ihren Dieter erschossen hatte und dann davon gelaufen war.

Ein hochgewachsener Mann, ganz in schwarz erschien in ihrem Blickfeld. Er kniete sich zu ihr auf den Boden und hielt ihr etwas hin, was sie mit ihren verweinten Augen nicht erkennen konnte. „Ich bin Kriminalhauptkommissar Ressmann. Kommen Sie bitte hoch, Frau…?“ Er steckte das grüne Stück Papier weg, dafür streckte er ihr seine rechte Hand entgegen. „Ich möchte Ihnen helfen.“

„H… h… helfen Sie Dieter!“, antwortete sie am ganzen Leib zitternd.

„Ein Arzt ist unterwegs, er wird sich um Dieter kümmern“, antwortete der Kommissar mit warmer, einfühlsamer Stimme.

„W… w… wirklich?“, fragte Karolin.

„Ja, ganz sicher“, beteuerte ihr Gegenüber.

Langsam löste sich die verwirrte Frau von ihrem Freund. Sie ergriff die Hand des Polizisten und ließ sich auf die Beine helfen, knickte jedoch sofort wieder ein. Ressmann griff mit beiden Armen zu und bewahrte sie davor, auf den Boden zu fallen.

„Oh Gott, Dieter“, jammerte sie leise. Der Kommissar drückte ihr Gesicht vorsichtig gegen seine Brust. Karolin begann leise zu schluchzen und weinte. „Er ist tot! Oder?“

Ressmann nickte sehr langsam, als könne er so den Schock mildern, die Nachricht sachter übermitteln. Jetzt hielt nichts mehr ihre Tränen zurück. Die junge Frau weinte hemmungslos. Sie schlang ihre Arme um die Hüfte des Kommissars, während Weinkrämpfe ihren Körper schüttelten.

Ein anderer Mann, der wie ein Arzt gekleidet war, zog sie von Ressmann fort. „Kommen Sie. Ich bringe Sie hier raus“, sagte er. Erst wollte sie sich nicht aus der Obhut des Kommissars lösen, aber dann überkam sie das Gefühl, diesen Ort verlassen zu müssen. Der weiß gekleidete Mann legte einen Arm um ihre Schulter und führte sie langsam nach draußen.

Als sie bereits fünf, sechs Schritte gegangen waren, drehte sie sich noch einmal um. „Sie sagten, dass Sie Polizist sind?“ Ressmann nickte. „Der Mann, der Dieter getötet hat, hat etwas zu mir gesagt, bevor er weg gerannt ist.“

Der Kommissar kam eilig heran. „Was?“

Als Karolin den Satz des Killers wiederholte, hatte sie das Gefühl, so etwas wie Angst über das Gesicht des Kommissars huschen zu sehen: „Er sagte: Ich habe die Frau nicht getötet.“

13. April 2013, 12:55

„Fuck“, rief Carstens aus, nachdem Ressmann ihm von der Aussage der jungen Frau erzählt hatte. „Das ist bestimmt Zufall, das muss Zufall sein!“

Die Kommissare standen auf der Zeil, vor dem Haupteingang des Horten. Carstens schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Als er sie anzündete, bemerkte Ressmann, dass die Hand, die das Feuerzeug hielt, leicht zitterte. Nach einem tiefen Lungenzug legte er den Kopf in den Nacken und blies den Rauch aus. Die hellgraue Wolke stieg hinauf in einen Himmel, der sich verdunkelt hatte. Schwarze Wolken verdeckten die Sonne, als wollten sie ihr Antlitz verhüllen, das Leid auf der Erde sich selbst überlassen.

„Möglich“, sagte Ressmann und knetete sein Kinn, ein Zeichen, das er angestrengt nachdachte. „Wäre aber ein sehr großer Zufall.“ Er drehte sich einmal um die eigene Achse und begutachtete den Menschenauflauf. Der Platz vor dem Horten war großräumig abgesperrt, von der Bäckerei an der Ecke Schäfergasse bis zum Eingang des Primark. Vor den Geschäften auf der gegenüberliegenden Seite hatten sich Menschentrauben gebildet. Alle wollten sehen, was geschehen war. Diese verdammten Gaffer, dachte Ressmann, am Unglück anderer weiden. Laut fuhr er fort: „Ich kann das nicht glauben. Erst tötet Tom eine Frau in seiner Wohnung und dann läuft er mit deiner Waffe durch den Horten und ballert wahllos Menschen ab!“ Bei der Erwähnung der Waffe zuckte Carstens zusammen. „Entschuldige“, sagte Ressmann und legte seinem Kollegen die Hand auf die Schulter. „Es war bestimmt nicht Tom und auch nicht deine Pistole. Ich bin mir sicher.“ Doch der Ausdruck auf seinem Gesicht widersprach seinen Worten.

„Ich ruf Tom an. Du hast doch gesagt, dass sein Handy weg ist.“ Ressmann nickte. „Also…“ Carstens zog sein Smartphone aus der Tasche und wählte die Nummer. Nach dem fünften Freizeichen meldete sich die Mailbox. „Nichts! Ich hab eine bessere Idee.“ Er wählte eine andere Nummer. „Rudolf? Sind Sie es? Könnten Sie bitte ein Handy orten? Oder besser, wo es sich vor einer Stunde befunden hat. Geht das?… super!“ Carstens gab Rudolf, dem jüngsten IT-Mann bei der Frankfurter Polizei, Martinis Telefonnummer. „Es ist eilig!“, setzte er nach.

Rudolf versprach, sich sofort darum zu kümmern.

„Was machen wir, wenn es wirklich Tom war?“, fragte Ressmann.

„Keine Ahnung. Aber was mach ich, wenn er mit meiner Waffe gemordet hat?“ Er nahm den nächsten tiefen Zug.

„Das ist nicht deine Schuld. Du hast nicht geschossen!“, argumentierte Ressmann resolut.

„Aber er hat mich überrumpelt!“ Er hielt sich krampfhaft an seiner Zigarette fest, als könne sie ihm Halt geben oder helfen, das Geschehene ungeschehen zu machen.

„So schnell sieht man sich wieder. Leider!“, sagte Reiner Meister und gesellte sich zu den beiden Kommissaren. Jetzt standen sie wie die Orgelpfeifen nebeneinander. Meister mit eins fünfundsiebzig, Carstens etwa zehn Zentimeter größer und zuletzt Ressmann mit fast zwei Metern. Sie starrten auf die Tür des Kaufhauses, aus der mittlerweile der fünfte Zinksarg herausgetragen wurde. Acht Tote und drei Schwerverletzte hatte das Massaker gefordert. „Wer macht so etwas?“ Der Chef der Spurensicherung, der mit seinen siebenundfünfzig Jahren schon einiges gesehen hatte, wirkte schockiert.

Ressmann erzählte ihm von dem letzten Satz des Attentäters. „Das glaub ich nicht. Was für ein Zufall!“

„Wir glauben auch an einen solchen, aber…“, Ressmann sprach nicht weiter. Alles deutete auf ihren Freund Thomas Martini hin. Hinzu kam, dass Karolin Nestler, nachdem sie medizinisch versorgt worden war, eine Beschreibung des Manns abgegeben hatte, welche den Verdacht gegen Martini erhärtete.

Ressmanns Handy klingelte. Auf dem Display erschien der Name Andi. „Hallo Schatz“, begrüßte er seine Freundin Andrea Lamprecht.

„Ich habe von dem Amoklauf gehört. Wie schlimm ist es?“, fragte Lamprecht ohne Begrüßung.

Ressmann erzählte ihr die Ereignisse in groben Zügen, bis hin zu dem Verdacht gegen Martini und dessen Flucht. „Nein! Das war nicht Tom. Weder das eine noch das andere“, erwiderte sie im Brustton der Überzeugung.

„Aber alles spricht dafür… alles!“ Ressmann klang verzweifelt.

„Ich nehme mir frei und komm nach Frankfurt, um euch zu helfen.“

„Nein, Andi. Wir bekommen das hin.“ Er dachte einen Moment nach. „Vielleicht meldet sich Tom bei dir, weil du weit ab vom Schuss bist. So könnten wir an ihn rankommen.“

„Du meinst eine Falle?“ Lamprecht klang entrüstet. „Nur weil Tom früher mein Partner war, heißt das noch lange nicht, dass er sich mir nichts, dir nichts bei mir meldet.“ Ihre Stimme wurde lauter. „Und zu allem Überfluss soll ich den Köder spielen?“

„Nicht den Köder, den Lockvogel.“

„Wo ist da der Unterschied?“, entgegnete Lamprecht gereizt.

„Also ich…“, Ressmann war aus dem Konzept gekommen. Mit einer solch heftigen Reaktion seiner Freundin hatte er nicht gerechnet. „Na ja,…“

„Du weißt es nicht. In Ordnung! Darüber reden wir, wenn alles vorbei ist. Tom ist unser Freund. Denk mal drüber nach!“ Sie unterbrach die Verbindung.

Der verdatterte Ressmann hielt das Handy immer noch am Ohr.

Im Polizeipräsidium in Heidelberg legte Lamprecht den Hörer zurück auf das Telefon. Warum war ihr Versetzungsantrag nach Frankfurt noch nicht durch? Warum musste sie in diesem Nest festsitzen? Sie hoffte inständig, dass Martini sich bei ihr melden würde. Sie mochte nicht darüber nachdenken, was passieren würde, sollte einer der übereifrigen Frankfurter Kollegen ihn zwischen die Finger bekommen.

Tomorrow is another dayAnd you won’t have to hide awayYou’ll be a man, boy!But for now it’s time to run, it’s time to run!

Run Boy Run – Woodkid

Kapitel 2

13. April 2013, 13:05

Ich hatte das Gefühl, durch die halbe Stadt gefahren zu sein, ohne meine Umgebung bewusst wahrzunehmen. Ich fühlte mich wie betäubt. Das klare Denken hatte ausgesetzt. Mein Kopf fühlte sich an wie eine breiige Masse. Mir war immer noch brutal schwindelig. Einmal überfuhr ich fast eine rote Ampel. Zum Glück war keine Polizei in der Nähe.

Ich hatte das Bedürfnis mit Jay zu sprechen, aber ich durfte sie nicht von meinem Handy aus anrufen. Das hatte ich ausgeschaltet und die SIM-Karte herausgezogen, damit ich nicht angepeilt werden konnte. Also hielt ich an einer der spärlich gesäten Telefonzellen und versuchte sie zu erreichen, aber sie hob nicht ab, was mir schwer zu schaffen machte.

Meine besten Freunde vertrauten mir nicht. Ich konnte es nicht glauben. Stefan hatte mich verhaftet, um mich in Untersuchungshaft zu stecken. Tills Blick konnte ich nicht vergessen. Seine Augen spiegelten Traurigkeit und Misstrauen wider. Beide schienen überzeugt von meiner Schuld. Und ich…? Ich konnte mich an nichts erinnern, Filmriss! Was war letzte Nacht geschehen? Ich musste es dringend herausfinden! Beziehungsweise, wer mich in diese Situation gebracht hatte. Ich war verwirrt, wusste nicht was ich tun sollte.