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Entscheidungen über Entscheidungen - mit fortschreitendem Alter steigt die Anzahl der zu treffenden Entscheidungen exponentiell an und wächst einem auch schon mal über den Kopf. Wie können wir uns bei all den äußeren Einflüssen sicher sein, dass wir den richtigen Weg einschlagen? Auf meiner bisherigen Lebensreise nahm ich verschiedene Rollen ein: Schüler, Zivildienstleistender, Student, Personalreferent, Weltreisender, Rückkehrer. In all diesen Lebenskapiteln habe ich gelernt wie wichtig es ist bei der Entscheidungsfindung Selbstwert, Selbstverantwortung und Veränderungsbereitschaft einzubringen. Begleite mich auf diesem Stück meines Lebens und erfahre welche Antworten ich für meinen Reiseführers gefunden habe.
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Seitenzahl: 172
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Für dich
Vorwort
Die Entwicklung meines Selbstwertes
Erste prägende Stationen
Start ins Berufsleben
Wachstum & das Streben nach mehr
An Grenzen stoßen
Bestimmung finden
Die Gedanken reisen
Selbstwert vertreten
Selbstwert-Herzsprechstunde
Wie Reisen die Selbstverantwortung stärken kann
Auftakt in Neuseeland und Australien
Auf nach Südostasien
Nächste Station: Sri Lanka
Nepal? Warum nicht?!
Der Endspurt: Iran, Kirgistan und Jordanien
Selbstverantwortung-Herzsprechstunde
Veränderungsbereitschaft
Die Rückkehr nach Europa
Der Wandel meines Umfelds & meiner Werte
Stetiges Wachstum durch…
… das Ausschöpfen meiner Möglichkeiten und das Erkennen von Chancen
… die effektive Gestaltung meiner Zeit
… den bewussten Umgang mit Geld
… Disziplin
… die Investition ins Glücklichsein
Veränderungsbereitschaft-Herzsprechstunde
Schlusswort
Literaturverzeichnis
Danksagung
In diesem Buch erzähle ich dir von der Reise meines Lebens. Bisher war es eine Reise mit Höhen und Tiefen, die mich vor allem gelehrt hat, wie wichtig Selbstwert, Selbstverantwortung und Veränderungsbereitschaft für ein erfülltes Leben sind.
Wir alle möchten in unserem Leben in die richtige Richtung steuern, ohne ständig navigieren zu müssen oder den Kurs immer wieder zu ändern. Wir wollen leben. Doch wie soll das ohne einen geregelten Rahmen und das ständige Aufreißen neuer Baustellen vonstattengehen? Wie können wir diesen Rahmen finden, wenn wir uns nicht im Klaren darüber sind, was uns ausmacht und wer wir sein wollen? Um die eigene Lebensreise selbst in positiver Weise zu gestalten, ist es hilfreich, sich ganz bewusst mit den Themen Selbstwert, Selbstverantwortung und Veränderungsbereitschaft auseinanderzusetzen.
Hier möchte ich dir zeigen, was mich die verschiedensten Situationen, seien es berufliche oder private, in Bezug auf diese drei Faktoren gelehrt haben. Ich verrate dir, welche Ereignisse mir dabei geholfen haben, bewusster durch mein Leben zu gehen, erzähle aber auch von solchen, deren Bedeutung ich nicht gleich erkannt habe. Vor allem möchte ich dir vermitteln, dass es im Leben nicht darum geht, die Ellenbogen auszufahren, um zu bekommen, was du willst, denn vertrau mir: Es gibt ganz andere Wege. Du kannst viel vom Leben zurückbekommen, wenn du ein wenig in Vorleistung trittst und in dich selbst investierst. Um es ein wenig vorwegzunehmen: Über den Tellerrand hinauszublicken, ist das Beste, was ich je getan habe.
Ich habe viele Situationen durchlebt, in denen ich mit den Faktoren Selbstwert, Selbstverantwortung und Veränderungsbereitschaft konfrontiert war. Ihre Ausprägung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und zu manchen Zeiten hat ein Aspekt mehr Gewicht als der andere. Das kann ich dir von meinem ganz persönlichen Standpunkt aus und aus meiner Perspektive als jemand, der seit über zehn Jahren im Personalbereich arbeitet, bestätigen. Sich mit individuellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen und dabei menschlich agieren zu können, ist etwas, das ich an meinem Berufsfeld liebe. Die Kehrseite der Medaille ist es, beobachten zu müssen, wie wenig Platz Empathie zum Teil im Berufsleben hat.
Meine Weiterentwicklung hat sich jedoch nicht nur im Beruf abgespielt, sondern ebenso auf Reisen. Einige Kapitel sollen dir näherbringen, wie das Reisen mich verändert hat und wie man Begegnungen mit großartigen Menschen fast schon magisch anzieht, wenn man sich seiner selbst bewusst ist.
Sicher wirst du nicht alles in diesem Buch für dich anwenden und in deinen Alltag integrieren können, aber vielleicht kannst du aus meinen Geschichten etwas mitnehmen, das dir in deinem Leben nützlich ist.
Gerne gebe ich einen kurzen Überblick zu dem Wort, das dich in diesem ersten Kapitel immerzu begleiten wird: Selbstwert.
Was bedeutet Selbstwert überhaupt? Wörter, die mit ihm gleichgesetzt werden können, sind Eigenwert, Selbstachtung, Stolz, Selbstvertrauen, etc.1
Es gibt verschiedene Annahmen, aber keine klare Meinung darüber, wie sich beispielsweise der Selbstwert einer jeden Person berechnet – ist auch ein schwieriges Unterfangen mit den ganzen individuellen Faktoren, die in Betracht gezogen werden müssten.2
Ich stellte mir die Frage, was Selbstwert für mich darstellt. Die Betrachtung meines Selbstwertes ist wie ein Blick in den Spiegel: Ich sehe mein Eigenbild. Ich nehme mich wahr, stelle fest, dass ich eine gesunde Körperspannung besitze oder eher eine lasche Haltung eingenommen habe. Es ist das Bild meines Selbst, das ich nicht leugnen kann.
Im Allgemeinen zeichnet sich der Selbstwert dadurch aus, dass wir eine Einschätzung über uns selbst treffen. Diese Einschätzung kann sowohl positiver als auch negativer Natur sein. Er ist zudem wandelbar und kann sich verändern.3
Es zeichnet sich ab, ob ich glücklich oder bedrückt bin. Ob ich bereit bin, Herausforderungen anzunehmen, oder heute Chancen nicht ergreifen werde. Ob ich heute konsequent die schwierigste Aufgabe des Tages sofort angehen werde oder ob ich sie wieder aufschieben werde. Ob ich mir meiner Makel und Fehlschritte bewusst bin, diese akzeptiere und aus ihnen lernen werde. Ob ich bereit bin, dem Glück die Möglichkeit zu geben, zu mir durchzudringen. All das verrät mir der Blick in den Spiegel.
„Selbstwert [gilt] als wichtige Größe […] für das Verständnis der Persönlichkeit und von sozialen Interaktionen, mit einem großen Einfluss auf […] Emotionen, Motivationen und […] Handeln.“4
Den Selbstwert kann ich nach außen erkennen. Doch es gibt auch die innere Selbstwert-Ebene. Ich trage meinen Selbstwert unbewusst mit mir herum und er kommt oftmals zum Einsatz, ohne dass ich davon Kenntnis nehme. Welchen Wert lege ich auf mich selbst? Auf welche Art und Weise vertraue ich mir selbst und erzeuge Selbstbewusstsein. Bin ich mir meiner selbst bewusst?
In diesem ersten Kapitel habe ich mir darüber Gedanken gemacht, wo meine Lebensreise so richtig begonnen und wie sie meinen Selbstwert beeinflusst hat.
1 „Selbstwert“, bereitgestellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https://www.dwds.de/wb/Selbstwert>, abgerufen am 30.04.2022.
2 Vgl. Poetreck-Rose, F. (2016): Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von selbstwertgefühl, S. 16.
3 Vgl. Frey, D. (2016) Psychologie der Werte: Von Achtsamkeit bis Zivilcourage – Basiswissen aus Psychologie und Philosophie, S. 17.
4 Poetreck-Rose (2016): Selbstzuwendung, Selbstakzeptanz, Selbstvertrauen. Psychotherapeutische Interventionen zum Aufbau von Selbstwertgefühl, S. 16.
Ich möchte in meiner Schulzeit beginnen. Zugegeben war ich nicht der Musterschüler, der einfach mal eine Klasse überspringt oder bei dessen Namen man an die Vergabe eines Stipendiums denkt. Es gab von der achten bis zur zehnten Klasse Wichtigeres als sich mit dem Schulstoff zu beschäftigen. Da war einiges dabei wie einfache Flausen im Kopf bis hin zur ersten ernsthaften Beziehung – Wichtigeres als Schule eben.
Auf der Fachoberschule, die ich danach besuchte, wurde es auch nicht wirklich besser. Ich wählte die Fachrichtung Wirtschaftsinformatik – rückblickend eine weise Entscheidung, denn ich lernte, dass ich nichts mit Informatik zu tun haben wollte. Somit war es kein Fehler, sondern eine Erfahrung, aus der ich lernte, dass ich mich mit diesem Fachbereich nicht identifizieren konnte. Auch diesen Abschluss absolvierte ich eher durchschnittlich.
Auf die Praktikumserfahrung während meines ersten Jahres auf der Fachoberschule hätte ich rückblickend gerne verzichtet. Ich war richtig aufmüpfig zu dieser Zeit, wusste nicht, was ich wollte und war zwischenzeitlich unausstehlich. Dieser Zustand in Kombination mit der fehlenden Unterstützung in meinem Pflichtpraktikum in der IT-Abteilung einer Bank war eine Mischung, die nicht funktionierte.
Auch in der zwölften Klasse verspürte ich gefühlt alles außer Motivation, meinen Abschluss zu schaffen. Alles trieb so vor sich hin und ich dachte, dass sich schon etwas ergeben würde. Ich war in dieser Phase meines Lebens mehr damit beschäftigt, Coolness aufzubauen und so mein Selbstbewusstsein zu steigern.
Ich denke, dass gerade in der Pubertät das Empfinden von Selbstwert sehr stark schwankt. An einem Tag fühlt man sich wie der König der Welt, am anderen möchte man gefühlt niemanden sehen und hören. Der Hormonhaushalt schwappte bei mir unaufhörlich über und auch dies machte mir meines Erachtens die Orientierung so schwer.
Nach meiner Schulzeit stand das an, was in meinem Jahrgang noch gang und gäbe war, nämlich die Wahl zwischen Wehr- oder Zivildienst.
Bei der Musterung in einer saarländischen Kaserne betrat ich den Wartesaal und blickte in ebenso unmotivierte Gesichter wie das meine. Als ich in die Runde fragte: „Na, wer von euch wird auch Zivildienst absolvieren?“, gingen alle Hände hoch und wir alle konnten uns ein Schmunzeln nicht verkneifen. Im Anschluss wurde ich in einem nahegelegenen Krankenhaus für die Dauer von neun Monaten des Zivildienstes angestellt.
Mit diesen neun Monaten brach eine neue Zeitrechnung an, da ich mich zum ersten Mal Aufgaben stellen musste, die mich wirklich erfüllten. Diese Zeit hat mir auf menschlicher Ebene so viel Positives beigebracht. Ich denke sehr dankbar an diese Erfahrungen zurück, an Kathrin, Josef und das gesamte Team der dort ansässigen Physiotherapie-Abteilung, das seinen Beruf wirklich bis ins kleinste Detail liebt und dessen Mitarbeitende jeden Tag ihrer Lebensaufgabe nachkommen: Menschen zu helfen, die es tatsächlich brauchen.
Ich erinnere mich besonders an eine Patientin, Frau Schönborn, die mir bewies, dass es die kleinen Dinge sind, wie jemandem Aufmerksamkeit zu schenken, die einen ganz besonderen Rahmen definieren können.
Im Rahmen meines Zivildienstes war ich in der sogenannten Bäderabteilung für das Einlassen von therapeutischen Bädern sowie die Fangoanwendungen zuständig. Fango ist Schlamm, der sehr viele Mineralien enthält, da er von Vulkanen stammt. Meine Aufgabe war es, den Schlamm auf ein großes Blech zu gießen und ihn dann im Ofen aushärten zu lassen. Im Anschluss legt sich die Person auf die warme erhärtete Masse und entspannt eingemummelt in einem Bettlaken für zwanzig Minuten.
Ich führte immer kurz nach Beginn der Behandlung einen Kontrollgang durch und versicherte mich, dass alles in Ordnung war. Der Name von Frau Schönborn stand an diesem Tag als letzter und einziger Name zur Fangoanwendung auf dem vollgeschriebenen Terminkalender. Also ein entspannter Ausklang, dachte ich.
Ich wickelte Frau Schönborn ein und verließ die Kabine. Als ich kurze Zeit später meinen Kontrollgang durchführte, vernahm ich weinende Geräusche. Ich öffnete den Vorhang und schaute Frau Schönborn an. „Ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, fragte ich.
„Ja, mir fehlt nichts. Es ist nur …, ach, ich weiß gar nicht, warum ich jetzt so sentimental bin. Und dann auch noch vor Ihnen. Es beschäftigt mich zu sehr und ich weiß nicht, wie ich das bewerkstelligen soll.“
„Würde es Ihnen helfen, wenn Sie mir erzählen, worum es geht?“ Tränen liefen ihre Wangen herunter und ich merkte, wie aufgewühlt sie innerlich war.
„Sie haben doch sicher Besseres zu tun, als einer Frau zuzuhören, die Probleme hat …?“
In dem Moment hatte ich bereits einen Stuhl herbeigezogen, hatte mich neben die Liege gesetzt und ließ Frau Schönborn durch Augenkontakt wissen, dass ich bereit war, ihr zuzuhören. Dann sprudelte sie wie ein Wasserfall.
„Es geht um meinen Sohn, meinen einzigen Sohn. Wissen Sie, er hat bereits eine eigene Familie und da hat man ja nicht mehr so viel Zeit. Unser Kontakt war in der letzten Zeit nicht der intensivste. Das muss ich auch mir ankreiden. Ich hätte auch mehr in unsere Beziehung investieren können. Ich vermisse ihn so sehr und auch meine Enkel. Gerade hier im Krankenhaus ist zwar jeder nett zu mir, doch der richtige familiäre Bezug fehlt mir. Ich würde ihn gerne sehen und hätte gerne, dass er mich besucht. Das würde mir wahnsinnig viel bedeuten.“
„Wieso rufen Sie ihn nicht einfach an?“
Sie schaute mich mit großen Augen an. „Und was soll ich dann sagen?“
„Sie haben sich die Frage doch schon selbst beantwortet. Erzählen Sie ihm, dass Sie ihn vermissen. Stehen Sie zu Ihren Empfindungen und lassen Sie ihn wissen, wie Sie fühlen.“
„Ich weiß nicht …, das kommt bestimmt falsch an.“
„Wie kann es falsch ankommen, wenn eine Mutter ihren Sohn sehen möchte?“
„Sie denken, dass das funktioniert?“
„Es wird ganz sicher funktionieren.“
Dann erzählte mir Frau Schönborn noch die restliche Zeit der Fangoanwendung von ihrem Sohn. Sie erwähnte, wie stolz sie auf ihn sei und dass sie dem Anruf jetzt wahnsinnig entgegenfiebere.
Am nächsten Tag kam sie wegen einer weiteren Behandlung in die Bäderabteilung. Von Weitem konnte ich bereits erkennen, wie gut gelaunt Frau Schönborn war. Sie erzählte mir voller Freude, dass ihr Sohn sie in ein paar Tagen besuchen würde und dass er am Wochenende auch noch mit seiner ganzen Familie käme. Dann würden sie gemeinsam Eis essen gehen.
Frau Schönborn bedankte sich mit einer festen Umarmung bei mir und ich weiß nicht genau, ob sie merkte, dass diese Zeit für mich genauso wertvolle Erkenntnisse bereithielt wie für sie.
Diese Zeit führte mir das erste Mal vor Augen, was ich heute als meine Bestimmung und meinen Existenzzweck definiere: Vorbild sein – Menschen dazu inspirieren, ihren eigenen Weg zu gehen und ihre Träume zu verwirklichen.
Wenn ich im Nachhinein an den Zivildienst denke, dann weiß ich, dass dies der erste Schritt in mein jetziges Bewusstsein war. Doch ich war noch zu jung, um das alles zu verstehen und grundlegend einordnen zu können. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade neunzehn und hatte nicht die geringste Ahnung, wohin mein Weg führen sollte.
Von Vorstellungsgesprächen und Einstellungstests
Dass es irgendwie weiter gehen musste, war klar. Ich wollte keine klassische Ausbildung absolvieren und wusste gleichzeitig nicht, ob mir ein reines Studium wirklich liegen würde. Die Alternative hieß duales Studium. Hier sollten Theorie und Praxis vereint werden und man sagte dieser Form des Studierens nach, dass man sich nach dem Abschluss die Stellen würde aussuchen können, da man so begehrt wäre.
Hört sich nicht schlecht an, dachte ich und begann mich wie wild bei den eingetragenen Unternehmen der nahegelegenen Berufsakademie zu bewerben. Es war ein aufregender Prozess, in welchem ich die ein oder andere Lehrstunde erhalten sollte.
Mein erstes Vorstellungsgespräch hatte ich bei einem holzverarbeitenden Betrieb in der Nähe von Trier. Das Gespräch fand in einem offenen Raum statt, der einem Großraumbüro ähnelte, was eine ungewöhnliche Atmosphäre erzeugte. Ich musste Personaler-Standardfragen wie, „Nennen Sie mir drei Ihrer Stärken und drei Ihrer Schwächen“, oder auch die Frage, „Was war Ihr Traumberuf als Kind?“, beantworten. Im Hinblick auf die letzte Frage musste ich mir etwas einfallen lassen. Ich erinnerte mich an die ganzen Poster von Fußballstars in meinem Kinderzimmer und gab preis, dass ich gerne professioneller Fußballspieler geworden wäre, worauf mir der Personaler nur entgegnete: „Hat wohl nicht geklappt.“ Diese kurz angebundene Antwort vermittelte mir nicht gerade das Gefühl, mit meinem Gesprächspartner auf einer Augenhöhe sprechen zu können.
Dann folgte die nächste Möglichkeit, mich bei einem Unternehmen vorzustellen. Diesmal bei einer Supermarktkette im Saarland. Ich war überpünktlich zum Gespräch erschienen und die Empfangsdame bat mich, noch ein wenig zu warten. Ultranervös ging ich im Kopf noch einmal die auswendig gelernte Unternehmensgeschichte durch, bevor ich in den Raum gebeten wurde, in welchem der Personalleiter Herr Lutz und eine HR-Praktikantin auf mich warteten. Die erste Empfehlung des Personalleiters war, dass ich mein Sakko aufknöpfen sollte, da das mir vielleicht ein wenig die Nervosität nehmen und besser aussehen würde. Das änderte aber nichts an der merklichen Kälte, die mir von Herrn Lutz entgegenstrahlte. Er erwähnte beiläufig, dass die Praktikantin nur dabei sei, damit sie mal einen Einblick davon erhielt, wie so ein Vorstellungsgespräch abzulaufen habe. Das war für mich völlig in Ordnung. Doch hätte ich gewusst, wie sich dieses Gespräch entwickeln würde, wäre es mir deutlich lieber gewesen, wenn dies niemand Außenstehendes mitbekommen hätte. Herr Lutz hielt mir nicht nur den Spiegel vor, dass ich noch nicht wusste, was ich in meinem Leben machen möchte, er nutzte außerdem jede noch so kleine Unsicherheit in meinen Aussagen als Grundlage, sie in der Luft zu zerreißen und mir seine Erfahrenheit und Position zu demonstrieren. Möglich, dass er dachte, diese Machtdemonstration vor der Praktikantin vollführen zu müssen. Ich hatte mich noch nie im Rahmen eines solchen Gespräches so unwohl gefühlt. Ich schwankte innerlich von „Wieso habe ich mich so schlecht vorbereitet?“ bis hin zu „Ist das ein Vollidiot!“ Im Nachhinein tat mir die Praktikantin jedoch am meisten leid, da Herr Lutz ihr in der Nachbereitung des Gespräches sicher erzählt hat, dass der Ablauf genau richtig war. Dass man den Kandidaten so auf den Zahn fühlen muss, wenn man wissen will, ob sie zu dem Unternehmen passen. Ich reflektierte dieses Gespräch noch einige Male und mir wurde bewusst, dass ich es besser machen wollte als Herr Lutz. Ich möchte Menschen das Gefühl geben, willkommen und vor allem gleichberechtigt zu sein. Wer bin ich, wenn ich denke, dass ich etwas Besseres bin?
Es folgten noch weitere Vorstellungsgespräche, die positiv verliefen, jedoch nicht so positiv, dass ich den Zuschlag für die zu vergebenden Stellen erhielt. Ich durchlief noch zwei Einstellungstests, bei welchen ich merkte, dass sich meine Durchhänger in den letzten Schuljahren insbesondere in fehlenden Mathematikkenntnissen niederschlugen. Die meisten Bewerber kamen frisch von der Abiturprüfung und ich hatte nicht den Hauch einer Chance. Dass es nicht gut lief, wirkte sich auch auf meinen Selbstwert aus. Natürlich macht man sich Gedanken, wieso es nicht klappt und woran es liegt. So langsam gingen mir die Optionen aus und ich informierte mich bereits über den Ablauf der Einschreibung in ein reines Studium. Doch eine Möglichkeit konnte ich noch ausloten.
Mein Vater hatte sehr gute Beziehungen und so wurde ich bei einem mittelständischen Familienunternehmen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der zu belegende duale Studiengang wurde als „Betriebswirtschaft – Schwerpunkt Industrie“ betitelt. Ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre, wie ich meinen schwarzen Nadelstreifenanzug anzog, den ich sonst nur bei Beerdigungen trug und der sich, wenn ich ehrlich bin, nicht gerade wie eine zweite Haut für mich war. Ich fühlte mich nicht wie ich selbst, wusste aber, dass mir durch den zeitlichen Druck und die bisherigen Absagen keine andere Wahl blieb. Auch wenn es keine Liebe auf den ersten Blick war, war ich sehr froh, als ich den Zuschlag für die Stelle erhielt und diese Chance wahrnehmen konnte.
Ich schloss mit mir selbst einen Pakt: Dieses neue Lebenskapitel sollte mit Elan und Ehrgeiz ausgestaltet werden. Ich nahm mir vor, mich wesentlich mehr anzustrengen, damit ich mir durch einen guten Studienabschluss mehr Freiheiten in Bezug auf meine spätere Berufswahl würde erlauben können. Die letzten Jahre waren gerade in der Schule alles andere als optimal gelaufen. Ich konnte mit den abgelegten Leistungen nicht zufrieden sein, doch war ich noch in einer Lebensphase, in der ich meine mangelhaften Leistungen nicht mit einhergehenden Konsequenzen verknüpfen konnte. Darüber hinaus befand ich mich damals in meiner ersten richtig ernsten Beziehung und so blieben einige Lebensentscheidungen einfach auf der Strecke oder wurden aufgeschoben. Damit sollte nun Schluss sein.
Ein Studium war in der Zeit um 2008 gefühlt zu einem gesellschaftlichen Muss geworden. Bis heute hat sich in meinen Augen daran nichts verändert. Früher musstest du einen Bachelor-Abschluss dein Eigen nennen, um weiterzukommen und jetzt am besten einen Master-Abschluss mit weiteren Scrum-Master-Zertifikaten, um in der Bewerberflut nicht komplett unterzugehen. Ich setzte mich mit dem Studium einem gewissen Erwartungsdruck aus, ohne wirklich zu bedenken, was ich eigentlich wollte.
Das duale Studium wurde als sehr praxisnah beschrieben – ein großer Vorteil gegenüber einem klassischen Studium. Gleich in der Eröffnungsveranstaltung der Akademie fragte uns ein Dozent Folgendes: „Was denken Sie, wie viel Sie von dem hier Gelernten in der Praxis anwenden werden?“ Mehrere zweistellige Prozentzahlen flogen durch den Raum und ich dachte: Ja, so ähnlich würde ich das auch einschätzen. Der Dozent erwiderte auf die scheinbar absurden Zahlen: „Knapp fünf Prozent des hier erworbenen Wissens werden Sie in Ihrem Leben anwenden.“
Im ersten Moment dachte ich: Na toll. Von dem Stoff aus dem allgemeinen Schulsystem nutze ich schon nicht viel und jetzt soll es hier so weitergehen? Dieser Dozent wusste, wie man motiviert.
Glücklicherweise lernte ich kurz darauf Mike kennen. Ich weiß nicht mehr genau, wer sich neben wen setzte und wer den ersten Schritt in ein Gespräch wagte, aber wir saßen fortan in fast jeder Vorlesung nebeneinander und motivierten uns gegenseitig. Gemeinsam gingen wir durch drei harte Jahre voller Momente, über die wir heute noch herzlich lachen müssen, und Augenblicken, bei denen wir uns bis heute fragen, wie wir sie überstanden haben. Aus meiner Sicht hat sich die tiefe Verbundenheit zwischen uns so stark entwickelt, weil der eine wusste, dass er sich auf den anderen verlassen kann und man sich alles offen und ehrlich sagen konnte. Kennst du das Gefühl von Misstrauen, wenn dich jemand nach deinen Hausaufgaben oder einer von dir geschriebenen Zusammenfassung fragt? Dieses Gefühl hatte ich nie bei Mike. Ich wusste immer: Egal was ich ihm gebe, ich würde es in dem gleichen Maße wieder zurückbekommen. Ein gesundes Verhältnis von Geben zu Nehmen eben. Wir haben uns gegenseitig den Rücken gestärkt und sind uns beide sicher, dass wir es ohne den anderen nicht geschafft hätten. Mike erklärte mir schwierige Sachverhalte, bis ich sie endlich verstand, und ich half ihm beim Überwinden seiner Präsentationsangst.