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Die Gefahren der Gentechnik im Gewand des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Forscher Bensington und Redwoods wollen die drohenden Ernährungsproblem der Welt bekämpfen. Ihr Idee: Ein Wachstumsmittel soll die Nahrung überproportional vergrößern. Zunächst stellt sich auch der gewünschte Erfolg ein. Doch dann fressen Tiere von den manipulierten Pflanzen beginnen auch zu wachsen. Ratten und Wespen werden so zu gefährlichen Ungeheuern. Und schließlich wagen sich die Forscher an das absolute Tabu: Sie wollen das Mittel auch am Menschen ausprobieren. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 370
H. G. Wells
Die Riesen kommen!
H. G. Wells
Die Riesen kommen!
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Felix Paul Greve 1. Auflage, ISBN 978-3-954189-25-0
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Inhaltsverzeichnis
Erstes Buch – Das Aufkommen des Nährstoffs
Kapitel I – Die Entdeckung des Nährstoffs
Kapitel II – Die Experimentalfarm
Kapitel III – Die Riesenratten
Kapitel IV – Die Riesenkinder
Kapitel V – Die Erniedrigung Mr. Bensingtons
Zweites Buch – Der Nährstoff im Dorf
Kapitel I – Der Nährstoff kommt auf
Kapitel II – Der Riesenbalg
Drittes Buch – Die Ernte des Nährstoffs
Kapitel I – Die veränderte Welt
Kapitel II – Das Riesenliebespaar
Kapitel III – Der junge Caddles in London
Kapitel IV – Redwoods zwei Tage
Kapitel V – Das Riesenlager
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Ihr Jürgen Schulze, Verleger, js@null-papier.de
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In den mittleren Jahren des neunzehnten Jahrhunderts trat in dieser unserer wunderlichen Welt zum ersten Male eine Klasse von Menschen wuchernd auf, von Menschen, die zum größten Teil dazu neigten, ältlich zu werden, Menschen, die man, und zwar sehr richtig, trotz ihrer lebhaften Abneigung gegen diesen Titel »Naturwissenschafter« nennt. Sie haben eine solche Abneigung gegen dieses Wort, daß es aus den Spalten der »Natur« – und sie war von Anfang an ihr besonderes und charakteristisches Blatt – ebenso sorgfältig verbannt wird, als wäre es – jenes andere Wort, das in England die Basis jeder wirklich schlechten Sprache ist. Aber das große Publikum und seine Presse weiß es besser, und »Naturwissenschafter« sind sie, und wenn sie zu irgendwelcher Berühmtheit auftauchen, werden sie zu »bedeutenden Naturwissenschaftern«, und die äußersten Titel, die wir ihnen geben, sind »hervorragende Naturwissenschafter« und »in weiten Kreisen bekannte Naturwissenschafter«.
Sicherlich verdienten sowohl Mr. Bensington wie Professor Redwood all diese Titel längst, ehe sie jene wunderbare Entdeckung machten, von der dieser Bericht erzählt. Mr. Bensington gehörte der Royal Society an und war Vorsitzender des Chemikerverbandes gewesen; und Professor Redwood war Professor, Professor der Physiologie im Bond Street College der Londoner Universität, und er war von den Antivivisektionisten ein über das andere Mal angegriffen worden. Und beide hatten von frühester Jugend auf ein Leben akademischer Auszeichnung gelebt.
Natürlich waren es Leute, die nach gar nichts aussahen; das tun alle wahren Wissenschafter. Ein Schauspieler von dem allermildesten Benehmen hat mehr persönliche Distinktion als die ganze königliche Akademie zusammen. Mr. Bensington war kurz und sehr, sehr kahl, und er ging leicht gebeugt; er trug eine goldene Brille und Tuchstiefel, die wegen seiner zahlreichen Hühneraugen an vielen Stellen aufgeschnitten waren, und Professor Redwood war in seiner Erscheinung ganz gewöhnlich. Bis sie auf die Nahrung der Götter trafen (denn so muß ich sie nennen), führten sie ein Leben von so hervorragender und eifriger Obskurität, daß es schwer ist, auch nur irgend etwas zu finden, was man dem Leser von ihnen erzählen könnte.
Mr. Bensington gewann sich die Sporen (wenn man von einem Herrn in geschlitzten Tuchstiefeln einen solchen Ausdruck gebrauchen kann) durch seine glänzenden Forschungen über die Giftigeren Alkaloide, und Professor Redwood erhob sich zur Bedeutung – ich entsinne mich nicht genau, wie er sich zur Bedeutung erhob! Ich weiß, er war sehr bedeutend, und das ist alles. Solche Dinge wachsen allmählich. Ich glaube, ein umfängliches Werk über Reaktionszeiten mit zahlreichen Platten sphygmographischer Zeichnungen (jede Berichtigung ist willkommen) und mit einer bewunderungswürdigen neuen Terminologie machte die Sache für ihn.
Das allgemeine Publikum sah von diesen beiden Herren wenig oder nichts. Bisweilen sah es an Orten wie der Royal Institution oder Kunstvereinigung Mr. Bensington gewissermaßen, wenigstens seine errötende Kahlheit und ein wenig von seinem Kragen und Rock, und es hörte Fragmente eines Vortrags oder Aufsatzes, von dem er sich einbildete, er lese ihn hörbar; und einmal entsinne ich mich – eines Mittags in der entschwundenen Vergangenheit – als die British Association zu Dover tagte, da traf ich auf die Sektion C. oder D. oder einen ähnlichen Buchstaben, die in einem Wirtshaus Quartier genommen hatte, und ich folgte zwei ernsthaft aussehenden Damen mit Papierpaketen aus bloßer Neugier durch eine Tür, die die Aufschrift »Billard« trug, in eine skandalöse Dunkelheit, die nur durch einen Laterna magica-Kreis mit Redwoodschen Zeichnungen unterbrochen wurde.
Ich beobachtete, wie die Laternenplatten kamen und gingen, und lauschte einer Stimme (was sie sagte, habe ich vergessen), und ich glaube, es war Professor Redwoods Stimme. Von der Laterne her kam ein Summen, und ich hörte noch einen anderen Ton, was mich, immer noch in bloßer Neugier, dort hielt, bis das Licht unerwartet aufgedreht wurde. Und da merkte ich, daß dieser Ton das Kauen der »Buns« und Butterbröte und so weiter war, die unter dem Schutz der Dunkelheit bei der Laterna magica zu essen die Herren von der British Association dorthin gekommen waren.
Und Redwood, entsinne ich mich, redete immer weiter, während das Licht schon wieder aufgedreht war, und schlug auf die Stelle, wo seine Zeichnung auf dem Schirm hätte sichtbar sein sollen – und sie war auch wieder sichtbar, sobald die Dunkelheit wieder hergestellt war. Ich entsinne mich seiner von damals als eines ganz gewöhnlichen, leicht nervös aussehenden, dunklen Mannes, der den Anschein erweckte, als sei er mit etwas anderem beschäftigt und tue, was er eben da tat, unter der unerklärlichen Empfindung einer Pflicht.
Einmal – in den alten Tagen – habe ich auf einer Erziehungskonferenz in Bloomsbury auch Bensington gehört. Wie die meisten hervorragenden Chemiker und Botaniker redete Mr. Bensington sehr apodiktisch über Lehrmethoden – freilich bin ich überzeugt, eine durchschnittliche Schulklasse hätte ihn in einer halben Stunde zum Wahnsinn getrieben – und so weit ich mich noch entsinne, setzte er eine Verbesserung von Professor Armstrongs heuristischer Methode auseinander, mit deren Hilfe ein Durchschnittskind von einer besonderen Art starrer Gründlichkeit um den Preis von sechs bis achttausend Mark für Apparate, einer vollständigen Vernachlässigung aller anderen Studien und der ungeteilten Aufmerksamkeit eines Lehrers von ungewöhnlicher Begabung im Laufe von zehn bis zwölf Jahren fast ebensoviel Chemie sollte lernen können, wie man sich aus einem jener anfechtbaren Handbücher zu einer Mark holen konnte, die damals so verbreitet waren …
Ganz gewöhnliche Leute, wie man sieht, außerhalb ihrer Wissenschaft. Oder, wenn schon irgend etwas, so auf der unpraktischen Seite des Gewöhnlichen. Und das, wird man finden, ist über die ganze Welt hin mit den »Naturwissenschaftern« als einer Klasse der Fall. Was groß an ihnen ist, ist ihren Mitwissenschaftern ein Ärgernis und dem großen Publikum ein Geheimnis. Was nicht groß an ihnen ist, liegt auf der Hand.
Was nicht groß an ihnen ist, darüber existiert kein Zweifel, kein Menschengeschlecht zeigt so augenfällige Kleinheit. Sie leben, soweit menschlicher Verkehr in Betracht kommt, in einer engen Welt, ihre Forschungen fordern unendliche Aufmerksamkeit und fast mönchische Abschließung; und was übrig bleibt, ist nicht sehr viel. Wenn man irgendeinen wunderlichen, scheuen, mißgestalteten, grauköpfigen, selbstgefälligen, kleinen Entdecker großer Entdeckungen sieht, der lächerlich mit dem weiten Band eines Ritterschaftsordens geschmückt ist und einen Empfang von Genossen abhält, oder wenn man den Notschrei der »Natur« über die »Vernachlässigung der Naturwissenschaft« liest, sobald der Engel der Geburtstagsehrungen an der Royal Society vorübergeht, oder wenn man einem unermüdlichen Flechtenforscher lauscht, der über das Werk eines andern unermüdlichen Flechtenforschers redet, so zwingen einen solche Dinge zu der Erkenntnis von der unentwegten Kleinheit des Menschen.
Und trotz allem ist das Riff der Wissenschaft, das diese kleinen »Wissenschafter« erbaut haben und noch bauen, so wundervoll, so ungeheuerlich, so voll von halbgeformten Versprechungen für die gewaltige Zukunft des Menschen! Sie scheinen nicht zu wissen, was sie tun! Ohne Zweifel hatte vor langer Zeit, als er seinen Beruf wählte, als er sein Leben den Alkaloiden und verwandten Verbindungen widmete, selbst Mr. Bensington eine dunkle Ahnung von der Vision, – mehr als eine dunkle Ahnung. Welcher junge Mann würde sein Leben ohne eine solche Inspiration nur um solcher Ehren und solcher Stellung willen, wie sie ein »Wissenschafter« erwarten kann, solcher Arbeit hingeben, wie es junge Leute tun? Nein, sie müssen das Glorreiche gesehen haben, sie müssen die Vision gehabt haben, aber so nah, daß sie sie geblendet hat. Der Glanz hat sie geblendet, erbarmungsvoll, so daß sie die Fackeln des Wissens für den Rest ihres Lebens in Ruhe tragen können – damit wir sehen!
Und vielleicht erklärt es Redwoods Anflug von Zerstreutheit, daß er – jetzt kann daran kein Zweifel mehr bestehen – unter seinen Kollegen anders war, er war anders insofern, als etwas von der Vision noch in seinen Augen schimmerte.
Die Nahrung der Götter nenne ich ihn, diesen Stoff, den Mr. Bensington und Professor Redwood zusammen herstellten; und wenn man bedenkt, was er bereits vollbracht hat und was alles er sicherlich noch vollbringen wird, so liegt in dem Namen gewiß keine Übertreibung. Ich werde den Stoff also meine ganze Erzählung hindurch weiter so nennen. Aber Mr. Bensington hätte ihn kalten Blutes so wenig so benannt, wie er seine Wohnung auf Sloane Street mit königlichem Scharlach und Lorbeerkranz bekleidet verlassen hätte. Die Phrase war von seiner Seite nichts als ein erster Schrei des Erstaunens. Er nannte den Stoff nur in seiner ersten Begeisterung und im ganzen höchstens eine Stunde oder so die Nahrung der Götter. Nachher entschied er, er sei absurd. Als er zum erstenmal an die Sache dachte, sah er gleichsam einen Durchblick ungeheurer Möglichkeiten – buchstäblich ungeheurer Möglichkeiten, aber bei dieser blendenden Vision schloß er nach einem Starren der Verblüffung die Augen, wie es ein gewissenhafter »Naturwissenschafter« eben soll. Später klang die Nahrung der Götter beinahe unanständig schrill. Er war erstaunt, daß er den Ausdruck gebraucht hatte. Aber trotz allem blieb etwas von jenem klaräugigen Moment an ihm hängen und brach immer von Zeit zu Zeit wieder heraus …
»Wahrhaftig, wissen Sie«, sagte er, rieb sich die Hände aneinander und lachte nervös, »das hat mehr als theoretisches Interesse.«
»Zum Beispiel« – er sprach vertraulich, brachte das Gesicht dem des Professors ganz nahe und senkte die Stimme zum Flüstern – »es würde sich, wenn man es richtig anfaßt, verkaufen lassen« …
»Gewiß«, sagte er, indem er forttrat, »als Nahrungsmittel. Oder wenigstens als Nahrungszusatz.«
»Angenommen natürlich, daß es schmackhaft ist. Das können wir nicht wissen, ehe wir es nicht präpariert haben.«
Er machte auf dem Kaminteppich kehrt und studierte die sorgfältig gezeichneten Schlitze auf seinen Tuchschuhen.
»Name?«, sagte er, indem er auf eine Frage die Augen hob. »Ich für meinen Teil neige zur guten alten klassischen Anspielung. Sie – sie macht die Naturwissenschaft so ehr–. Gibt ihr einen Anflug altmodischer Würde. Ich habe gedacht … Ich weiß nicht, ob Sie es absurd von mir finden … Ein wenig Phantasie ist doch gelegentlich erlaubt … Herakleophorbia. Eh? Die Nahrung eines möglichen Herakles? Sie wissen, es könnte …«
»Natürlich, wenn Sie meinen, lieber nicht –«
Redwood sann nach, die Augen ins Feuer gerichtet, und erhob keinen Einwand.
»Sie meinen, es ginge?«
Redwood bewegte ernst den Kopf.
»Es könnte auch Titanophorbia heißen, wissen Sie. Nahrung der Titanen … Sie ziehen das erste vor?«
»Sie sind ganz sicher, Sie finden es nicht ein wenig zu – –«
»Nein.«
»Ah! das freut mich.«
Und so nannten sie den Stoff während ihrer ganzen Untersuchungen Herakleophorbia, und in ihrem Bericht – dem Bericht, der nie veröffentlicht wurde, weil die unerwarteten Entwickelungen all ihre Arrangements umstießen, wird er unabänderlich so benannt. Drei verwandte Substanzen wurden präpariert, ehe sie auf die eine stießen, die ihre Spekulation vorausgesagt hatte, und von ihnen sprachen sie unter den Namen Herakleophorbia I, Herakleophorbia II, Herakleophorbia III. Herakleophorbia IV nenne ich hier – und da bestehe ich auf Bensingtons ursprünglichem Namen – die Nahrung der Götter.
Die Idee gehörte Mr. Bensington. Da sie aber bei ihm durch einen von Professor Redwoods Beiträgen zu den philosophischen Abhandlungen angeregt worden war, so zog er ganz richtigerweise diesen Herrn zu Rate, ehe er sie weiter verfolgte. Außerdem war es als Untersuchung ebensosehr eine physiologische wie eine chemische Frage.
Professor Redwood gehörte zu jenen Wissenschaftern, die auf Zeichnungen und Kurven schwören. Man kennt – wenn man irgendwie die Art von Leser ist, die ich gern habe – die Art des wissenschaftlichen Aufsatzes, die ich meine. Es ist ein Aufsatz, der weder Hand noch Fuß hat, und am Schluß kommen fünf oder sechs gefaltete Zeichnungen, die man öffnen kann, und die eigentümliche Zickzacklinien zeigen, übertriebene Blitze oder gewundene, unerklärliche Dinge, die man »gestreckte Kurven« nennt, auf Ordinaten gestellt und in Abszissen wurzelnd – und dergleichen mehr. Man zerbricht sich lange den Kopf darüber und endigt mit dem Argwohn, daß man sie nicht nur selber nicht versteht, sondern daß auch der Autor sie nicht versteht. Aber wirklich, man muß wissen, viele von diesen Wissenschaftern verstehen ganz gut, was ihre Aufsätze sagen wollen; was das Hindernis zwischen uns errichtet, ist nur ein Mangel des Ausdrucks.
Ich neige zu dem Glauben, daß Redwood in Zeichnungen und Kurven dachte. Und nach seinem monumentalen Werk über Reaktionszeiten (der unwissenschaftliche Leser wird ermahnt, noch ein klein wenig länger auszuhalten, und alles wird klar sein wie das Tageslicht) begann Redwood gestreckte Kurven und Sphygmographien auf das Wachstum anzuwenden, und einer seiner Aufsätze über das Wachstum gab auch Mr. Bensington seine Idee ein.
Redwood, muß man wissen, hatte wachsende Dinge jeder Art gemessen, Katzen, junge Hunde, Sonnenblumen, Pilze, Bohnenpflanzen und (bis seine Frau dem ein Ende machte) sein Baby, und er bewies, daß das Wachstum nicht mit gleichmäßiger Geschwindigkeit vor sich ging, oder, wie er es darstellte, so:
sondern sprungweise und intermittierend; etwa so:
und daß offenbar nichts gleichmäßig und stetig wuchs; und soweit er herausbringen konnte, konnte nichts gleichmäßig und stetig wachsen; es war, als müßte jedes lebende Wesen erst Kraft zum Wachstum anhäufen, es wuchs nur eine Zeitlang kräftig und mußte dann eine Weile warten, ehe es wieder weiter wachsen konnte. Und in der verhüllten und hochtechnischen Sprache des wirklich gründlichen »Naturwissenschafters« vermutete Redwood, der Prozeß des Wachstums verlange wahrscheinlich die Anwesenheit einer beträchtlichen Menge einer notwendigen Substanz im Blut, die nur sehr langsam gebildet wurde, und wenn diese Substanz vom Wachstum aufgezehrt sei, werde sie nur sehr langsam ersetzt, und inzwischen habe der Organismus zu warten. Er verglich seine unbekannte Substanz mit dem Öl bei Maschinen. Ein wachsendes Tier war, vermutete er, wie eine Lokomotive, die eine Strecke laufen kann und dann geölt werden muß, ehe sie weiterlaufen kann. (»Aber warum sollte man die Lokomotive nicht von draußen ölen?«, sagte Mr. Bensington, als er den Aufsatz las.) Und all dies, sagte Redwood mit der köstlichen Sprunghaftigkeit seiner Klasse, könnte sehr wahrscheinlich ein Licht auf das Geheimnis gewisser der röhrenlosen Drüsen werfen. Als ob sie überhaupt etwas damit zu tun hätten!
In einer späteren Mitteilung ging Redwood weiter. Er gab ein wahres Lexikon von Zeichnungen – genau wie Raketenbahnen sahen sie aus und der Angelpunkt davon – soweit es einen Angelpunkt hatte – war, daß sich das Blut von jungen Hunden und Katzen und der Saft von Sonnenblumen und Pilzen in der Phase, die er die »Wachstumsphase« nannte, im Verhältnis gewisser Elemente von ihrem Blut und Saft an den Tagen unterschied, wo sie nicht besonders wuchsen.
Und als Mr. Bensington, der die Zeichnungen seitlich und umgekehrt betrachtet hatte, klar zu werden begann, worin dieser Unterschied bestand, überkam ihn ein großes Erstaunen. Denn man sieht, der Unterschied konnte wahrscheinlich an der Gegenwart gerade der Substanz liegen, die er kürzlich in seinen Untersuchungen über solche Alkaloide zu isolieren gesucht hatte, wie sie das Nervensystem am meisten stimulieren. Er legte Redwoods Aufsatz auf das Patentlesepult, das unbequem von seinem Lehnsessel fortschwang, nahm seine goldene Brille ab, hauchte darauf und putzte sie sehr sorgfältig.
»Bei Gott!«, sagte Mr. Bensington.
Dann setzte er die Brille wieder auf und wandte sich von neuem dem Patentlesepult zu, das sofort, als er mit dem Ellbogen gegen seinen Arm stieß, ein kokettes Kreischen ausstieß und den Aufsatz mit all seinen Zeichnungen zerstreut und verknittert auf den Boden abwarf. »Bei Gott!«, sagte Mr. Bensington, als er mit geduldiger Nichtachtung der Gewohnheiten dieses Möbels seinen Magen über die Lehne des Sessels spannte, und da er die Broschüre noch immer außer Griffweite fand, so ließ er sich zur Verfolgung auf alle Viere nieder. Auf dem Boden kam ihm der Gedanke, den Stoff die Nahrung der Götter zu nennen …
Denn man sieht, wenn er recht hatte, und wenn Redwood recht hatte, so konnte er durch Injektion oder durch Zugabe dieser seiner neuen Substanz zur Nahrung die »Ruhephase« beseitigen, und statt, daß das Wachstum so fortschritt:
mußte es (wenn man mich versteht) so laufen:
Die Nacht nach seiner Unterredung mit Redwood konnte Mr. Bensington kaum einen Augenblick schlafen. Einmal freilich schien es, als ob er in eine Art Halbschlaf verfiel, aber es war nur einen Moment, und da träumte er, er habe ein tiefes Loch in die Erde gegraben und gösse Tonnen um Tonnen von der Nahrung der Götter hinein, und die Erde schwölle und schwölle, und alle Grenzen der Länder barsten, und die Königliche Geographische Gesellschaft war wie eine große Schneidergilde insgesamt an der Arbeit und machte den Äquator weiter …
Das war natürlich ein lächerlicher Traum, aber er zeugt besser für den Zustand geistiger Erregung, in den Mr. Bensington geriet, und für den wirklichen Wert, den er auf seine Idee legte, als irgend etwas von dem, was er sagte oder tat, wenn er wach und auf seiner Hut war. Sonst hätte ich ihn nicht erwähnt, denn im allgemeinen glaube ich, ist es durchaus nicht interessant, wenn sich die Leute von ihren Träumen erzählen.
Durch ein merkwürdiges Zusammentreffen hatte auch Redwood in dieser Nacht einen Traum, und dies war sein Traum:
Es war eine in Feuer ausgeführte Zeichnung auf einer langen Rolle des Abgrunds. Und er, Redwood, stand auf einem Planeten vor einer Art schwarzer Tribüne und hielt einen Vortrag über die neue Art des Wachstums, die nun möglich war, und zwar vor der »Mehr als Königlichen Institution ursprünglicher Kräfte« – ursprünglicher Kräfte, die bislang stets, selbst im Wachstum von Rassen, Reichen, Planetensystemen und Welten, so gelaufen waren: –
Und in einigen Fällen sogar so: –
Und er setzte ihnen ganz klar und überzeugend auseinander, daß diese langsamen, diese selbst retrogressiven Methoden durch seine Entdeckung sehr bald ganz außer Mode kommen würden.
Lächerlich, natürlich! Aber auch das zeigt –
Daß einer dieser Träume als irgendwie über das hinaus, was ich kategorisch gesagt habe, bedeutungsvoll oder prophetisch anzusehen wäre, behauptete ich keinen Moment.
Mr. Bensington wollte diesen Stoff ursprünglich, sobald er nur einmal wirklich imstande war, ihn zu präparieren, an Kaulquappen versuchen. Man stellt solche Versuche zunächst immer an Kaulquappen an; dazu sind Kaulquappen da. Und sie kamen überein, daß er die Experimente leiten sollte, und nicht Redwood, denn Redwoods Laboratorium war voll von dem ballistischen Apparat und von Tieren, die zu einer Untersuchung über die »Tägliche Variation in der Stoßlust des jungen Bullenkalbs« nötig waren, einer Untersuchung, die Kurven von abnormer und ganz verblüffender Art ergab – und die Anwesenheit von Glashäfen mit Kaulquappen war durchaus nicht erwünscht, so lange diese Untersuchung fortging.
Als aber Mr. Bensington seiner Cousine Jane einen Teil dessen mitteilte, was ihm auf der Seele lag, legte sie ein promptes Veto gegen die Einführung irgendwelcher beträchtlichen Anzahl von Kaulquappen oder ähnlichen experimentalen Geschöpfen in ihre Wohnung ein. Sie hatte nichts dagegen, wenn er eins der Zimmer in der Wohnung für die Zwecke einer nichtexplosiven Chemie benutzte, bei der, soweit sie in Frage stand, nichts herauskam; sie duldete, daß er einen Gasofen und einen Ausguß hatte, und auch einen staubdichten Schrank der Zuflucht vor dem wöchentlichen Gewitter der Reinigung, dessen sie sich nicht begeben wollte. Und da sie Leute gekannt hatte, die dem Trunk ergeben waren, so sah sie seine Begier nach Auszeichnung in gelehrten Gesellschaften als einen ausgezeichneten Ersatz für die gröbere Form der Verderbtheit an. Aber irgendwelche Art von Lebewesen – »krabbelig«, wie sie sein mußten, wenn sie am Leben waren, und »stinkig«, wenn tot – die konnte und wollte sie nicht dulden. Sie sagte, so etwas sei sicherlich ungesund, und Bensington sei ein notorisch schwächlicher Mann – es sei Unsinn, wenn er das leugne. Und als Bensington versuchte, die ungeheure Bedeutung dieser möglichen Entdeckung klarzumachen, sagte sie, das sei alles recht schön, aber wenn sie zugäbe, daß er alles im Hause scheußlich und ungesund machte (und darauf liefe alles hinaus), dann sei sie überzeugt, werde er sich zu allererst beklagen.
Und Mr. Bensington ging ohne Rücksicht auf seine Hühneraugen im Zimmer auf und ab und redete ohne den geringsten Erfolg fest und zornig auf sie ein. Er sagte, nichts sollte dem Fortschritt der Wissenschaft im Wege stehen, und sie sagte, der Fortschritt der Wissenschaft sei eins, aber in einer Etagenwohnung einen Haufen Kaulquappen haben, sei ein anderes; er sagte, in Deutschland sei es feststehende Tatsache, daß einem Manne mit einer solchen Idee sofort ein gehörig eingerichtetes Laboratorium von zwanzigtausend Kubikfuß zur Verfügung gestellt würde, und sie sagte, sie sei froh und sei immer froh gewesen, daß sie keine Deutsche sei; er sagte, es würde ihn unsterblich machen, und sie sagte, es sei viel wahrscheinlicher, daß es ihn krank machen würde, wenn er in einer Wohnung wie ihrer, einen Haufen Kaulquappen hielt; er sagte, er sei Herr in seinem Hause, und sie sagte, lieber als einen Haufen Kaulquappen besorgen, wolle sie als Anstandsdame in eine Schule gehen; und dann bat er, sie solle vernünftig sein, und dann bat sie, er solle vernünftig sein und all das mit den Kaulquappen aufgeben; und er sagte, sie könnte seine Ideen respektieren, und sie sagte, wenn sie stinkig wären, wollte sie nicht, und dann ließ er sich hinreißen und sagte – Huxleys klassischen Bemerkungen über den Gegenstand zum Trotz – ein schlimmes Wort. Das Wort war gar nicht sehr schlimm, aber schlimm genug war es schon.
Und darauf war sie schwer beleidigt, und er mußte um Verzeihung bitten, und die Aussicht, daß er die Nahrung der Götter je in ihrer Wohnung an Kaulquappen würde versuchen können, schwand in dieser Bitte um Verzeihung völlig dahin.
Also mußte Bensington einen anderen Weg in Erwägung ziehen, wie er diese Experimente mit der Ernährung ins Werk setzen konnte, wie sie nötig waren, um seine Entdeckung zu demonstrieren, sobald er seine Substanz isoliert und präpariert hatte. Ein paar Tage lang grübelte er über die Möglichkeit, seine Kaulquappen bei einer vertrauenswürdigen Person in Pension zu geben, und dann brachte der zufällige Anblick der Phrase in einer Zeitung seine Gedanken auf eine Experimentalfarm.
Und Kücken! Sowie ihm der Gedanke kam, war es der Gedanke an eine Geflügelfarm. Plötzlich befiel ihn eine Vision von wild wachsenden Kücken. Er sah ein Bild von Hühnerkäfigen und Gehegen, äußeren und noch äußeren Gehegen, und fortschreitend größer werdenden Hühnerkäfigen. Kücken sind so zugänglich, so leicht zu füttern und zu beobachten, so viel trockener zu handhaben und zu messen, daß ihm Kaulquappen jetzt im Vergleich mit ihnen zu seinem Zweck als ganz wilde und unzähmbare Bestien erschienen. Er konnte gar nicht begreifen, warum er nicht von Anfang an statt an Kaulquappen an Kücken gedacht hatte. Unter anderem hätte ihm das all den Ärger mit seiner Cousine Jane erspart. Und als er Redwood das vorschlug, war Redwood ganz seiner Meinung.
Redwood sagte, er sei überzeugt, damit, daß die experimentierenden Physiologen soviel an unnötig kleinen Tieren arbeiteten, begingen sie einen großen Fehler. Es sei genau, wie wenn man in der Chemie mit ungenügenden Materialmengen arbeitete; Irrtümer in der Beobachtung und Handhabung würden unverhältnismäßig groß. Es sei gerade jetzt von elementarer Wichtigkeit, daß die Wissenschafter ihr Recht auf großes Material verträten. Deshalb nehme er seine gegenwärtige Reihe von Experimenten im Bond Street College an Bullenkälbern vor, obgleich ihr gelegentlicher Übermut in den Gängen den Studenten und Professoren anderer Gegenstände bis zu einem gewissen Grade unbequem werde. Aber die Kurven, die er erhielt, seien ganz ausnahmsweise interessant und würden seine Wahl bei der Veröffentlichung vollauf rechtfertigen. Er für sein Teil würde, wenn es nicht um die unangemessene Dotierung der Wissenschaft in England wäre, nie an kleineren Tieren als Walfischen arbeiten. Aber ein öffentliches Vivarium auf genügend großem Fuße, um dies möglich zu machen, sei, fürchte er, vorläufig, wenigstens in England, ein utopistisches Verlangen. In Deutschland – usw.
Da Redwoods Bullenkälber seine tägliche Aufmerksamkeit verlangten, so fiel die Auswahl und Ausrüstung der Experimentalfarm zum großen Teil Bensington zu. Auch die ganzen Kosten, so war es ausgemacht, sollte Bensington bestreiten, wenigstens bis man durchsetzen konnte, daß eine Summe dafür bewilligt wurde. Also wechselte er seine Arbeit im Laboratorium seiner Wohnung damit ab, daß er die Straßen, die südlich aus London herausführten, nach Farmen auf und ab jagte, und seine spähende Brille, seine einfältige Kahlheit und seine zerfetzten Zeugschuhe erfüllten die Besitzer zahlreicher unerwünschter Anwesen mit eitlen Hoffnungen. Und er annoncierte in mehreren Tageszeitungen und der »Natur« um ein verantwortliches (verheiratetes) Paar zu finden, pünktlich, fleißig und an Geflügel gewöhnt, das eine Experimentalfarm von drei Äckern ganz in seine Obhut nehmen sollte.
Er fand das Anwesen, das er nötig zu haben meinte, in Hickleybrow bei Urshot in Kent. Es war ein wunderlicher, kleiner, isolierter Hof in einem Tal, umgeben von alten Fichtenwäldern, die nachts schwarz und unheimlich waren. Eine bucklige Dünenschulter schnitt sie vom Sonnenuntergang ab, und ein hagerer Brunnen mit einem baufälligen Wetterdach engte den Wohnsitz ein. Das kleine Haus war unbewachsen, mehrere Fenster waren zerbrochen und der Wagenschuppen zeigte um Mittag einen schwarzen Schatten. Es lag anderthalb Meilen vom letzten Hause des Dorfes entfernt, und seine Einsamkeit wurde zweifelhaft von einer zweideutigen Familie von Echos unterbrochen.
Das Anwesen machte Bensington den Eindruck, als passe es hervorragend gut für die Erfordernisse wissenschaftlicher Untersuchung. Er ging über das Grundstück und entwarf mit geschwungenem Arm Gehege und Käfige, und er fand, daß die Küche eine Reihe von Brutapparaten und Pflegemüttern beherbergen konnte, wenn man sie nur ein ganz klein wenig veränderte. Er nahm das Anwesen sofort; auf dem Rückweg nach London machte er in Dunton Green Halt und schloß mit einem passenden Paar ab, das auf seine Annoncen geantwortet hatte, und noch am selben Abend gelang es ihm, eine Menge von Herakleophorbia I zu isolieren, die genügte, um diese Abschlüsse mehr als zu rechtfertigen.
Das passende Paar, das bestimmt war, unter Mr. Bensington die ersten Verwalter der Nahrung der Götter auf Erden abzugeben, war nicht nur sehr merklich bejahrt, sondern auch außerordentlich schmutzig. Diesen letzteren Punkt sah Mr. Bensington nicht, weil nichts die Kräfte allgemeiner Beobachtung so sehr vernichtet wie ein Leben experimentierender Wissenschaft. Sie hießen Skinner, Mr. und Mrs. Skinner, und Mr. Bensington sprach sie in einem kleinen Zimmer mit hermetisch versiegelten Fenstern, einem fleckigen Kaminspiegel und ein paar verkümmerten Calceolarien.
Mrs. Skinner war eine sehr kleine alte Frau, ohne Haube, mit schmutzig weißem Haar, das vom Gesicht straff zurückgestrichen war. Das Gesicht bestand anfangs hauptsächlich und jetzt, nach dem Verlust von Zähnen und Kinn, fast ausschließlich nur noch aus – Nase. Sie war in Schieferfarbe gekleidet (soweit ihr Kleid überhaupt eine Farbe hatte), die an einer Stelle von rotem Flanell durchbrochen war. Sie öffnete ihm und sprach behutsam mit ihm und spähte ihn um und über ihre Nase her an, während sie behauptete, Mr. Skinner nehme eine Änderung an seiner Toilette vor. Sie hatte einen Zahn, der ihre Aussprache behinderte, und sie hielt ihre beiden langen, verschrumpften Hände nervös gegeneinander. Sie sagte Mr. Bensington, sie habe Jahre lang Geflügel besorgt und wisse mit Brutapparaten genau Bescheid; ja, sie selber hätten einmal eine Geflügelfarm aufgetan, und sie seien schließlich nur am Mangel von Lehrlingen gescheitert. »Die Lehrlinge, die zahlen’s«, sagte Mrs. Skinner.
Mr. Skinner, der schließlich erschien, war ein breitgesichtiger Mann, der lispelte und schielte, daß er einem über den Kopf wegsah. Er trug aufgeschlitzte Pantoffeln, die an Mr. Bensingtons Sympathien appellierten, und litt offenbar an Knopfmangel. Er hielt Rock und Hemd mit einer Hand zusammen und zeichnete mit dem Zeigefinger der anderen Muster auf das schwarzgoldene Tischtuch, während sein freies Auge Mr. Bensingtons Damoklesschwert, wenn ich so sagen darf, mit einem Ausdruck trauriger Losgelöstheit beobachtete. »Se wollen die Farm nich ums Geschäff auftun. Nei, Härr. Ganz egal, Herr. Eggsperimente! Ganß rech.«
Er sagte, sie könnten sofort auf die Farm gehn. Abgesehn von ein bißchen Schneiderei tue er nichts in Dunton Green. »Es is hier nich so elengant, wie ich mir gedach hab, und was ich krieg, is kaum der Mühe wert«, sagte er, »un wenn es Ihnen also paß, daß wir kommen tun …«
Und eine Woche darauf waren Mr. und Mrs. Skinner auf der Farm installiert, und der Akkordzimmermann aus Hickleybrow variierte die Aufgabe, Gehege und Hühnerhäuser zu errichten durch eine systematische Erörterung über Mr. Bensington.
»Ich hab noch nich viel von ’m gesehn«, sagte Mr. Skinner. »Aberst soweit ich aus ’m kluch wer’, scheint er ’n Schafskopp zu sein.«
»Ich meint, er schien ’n bißchen dösig«, sagte der Zimmermann aus Hickleybrow.
»Er verbeiß sich aufs Geflügel«, sagte Mr. Skinner. »O du meine Güte! Man könnt meinen, nieman’ versteht was vons Geflügel als er.«
»Aussehn tut er wie ne Henne«, sagte der Zimmermann aus Hickleybrow, »mit seine Brille!«
Mr. Skinner trat näher an den Zimmermann aus Hickleybrow heran und sprach vertraulich, und das eine traurige Auge betrachtete das ferne Dorf, und das andere glänzte hell und boshaft. »Soll jeden Tag gemessen wer’n – jede Henne, sag er. Daß er auch sieht, daß se orrentlich wachsen. Was, o … eh? Jede Henne – jeden Tag.«
Und Mr. Skinner hob die Hand, um hinter ihr auf kultivierte und ansteckende Art zu lachen, und er buckelte die Schultern stark – und nur seinem einen Auge gelang es nicht, mitzulachen. Dann kam ihm ein Zweifel, ob der Zimmermann die Pointe auch ganz erfaßt habe, und er wiederholte mit durchdringendem Flüstern: »Gemessen!«
»Er ’s schlimmer als unser alter Pächter; laß mich hängen, wenn’s nich wahr is«, sagte der Zimmermann aus Hickleybrow.
Experimentierende Arbeit ist das Langweiligste von der Welt (es seien denn die Berichte darüber in den Philosophischen Abhandlungen), und es schien Mr. Bensington endlos lange zu dauern, ehe sein erster Traum von ungeheuren Möglichkeiten durch einen Brocken der Verwirklichung ersetzt wurde. Er hatte die Farm im Oktober genommen, und es wurde Mai, ehe die ersten Spuren des Erfolgs begannen. Herakleophorbia I und II und III mußten versucht werden und blieben erfolglos; es gab Ärger über die Ratten der Experimentalfarm, und es gab Ärger mit den Skinners. Die einzige Art, wie man Skinner dazu bringen konnte, daß er etwas tat, was man ihm sagte, war, daß man ihn entließ. Dann rieb er sein unrasiertes Kinn – er war immer ganz wunderbar unrasiert und trug doch niemals einen Bart – mit flacher Hand und sah Mr. Bensington mit einem Auge an und mit dem andern über ihn weg und sagte: »Ooh, natürlich, Härr – wenn’s Ihn’n Ernß is …!«
Aber zuletzt dämmerte der Erfolg auf. Und sein Herold war ein Brief in der langen, schlanken Handschrift Mr. Skinners.
»Die neue Brut is raus«, schrieb Mr. Skinner, »und gefällt mich nich ganz, wie se aussieht. Wächs sehr üppig – ganz anners als das gleiche Volk, eh Ihre letzen Anweisungen kamen. Das letze war, eh die Katz se holte, n’ hübsches fesses Kücken, aber diese wachsen wie die Disseln. Hab ich noch nie gesehn. Se picken so feste, immer übern Stiebel, daß ich de genauen Maße, wie befohlen, nich geben kann. Es sin richtige Riesen und fressen auch so. Wir brauchen bald neu Futter, denn so’n Fressen hat man bei Kücken noch nich erlebt. Größer als Bantams. Wenn’s so weiter geht, müßten sie was für’n Jahrmarkt wer’n, so üppig sin se. Kriegt’n Schreck letze Nacht, dacht, die Katz wär dran, un als ich aus’n Fenster kuck, hätt ich schwör’n können, ich seh se unterm Draht reinkriechen. Die Kücken war’n wach und pickten hungrig herum, als ich rauskam, aber konnte nichs von die Katz sehn. Da gab ich ihn’n ne Handvoll Korn und machte feß zu. Möchte gern wissen, ob ich so weiter füttern soll wie befohlen. Das Futter, das Sie gemischt haben, is fast alle, un ich misch nich gern selber neues, von wegen den Mallhör mit den Pudding. Mit den besten Wünschen von uns beiden und der Bitte, die geehrte Gunst weiter zu bewahren
ganz ergebens Ihr Alfred Newton Skinner.«
Die Andeutung gegen Schluß bezog sich auf einen Milchpudding, in den ein wenig Herakleophorbia II hineingeraten war, was für die Skinners schmerzliche und fast verhängnisvolle Folgen hatte.
Aber Mr. Bensington, der zwischen den Zeilen las, sah in diesem wuchernden Wachstum sein lange gesuchtes Ziel erreicht. Am Morgen darauf stieg er auf dem Bahnhof Urshot aus, und in der Reisetasche in seiner Hand trug er, versiegelt in drei Zinndosen, einen Vorrat von der Nahrung der Götter, der für alle Kücken in Kent genügt hätte.
Es war ein heller und schöner Morgen spät im Mai, und seine Hühneraugen waren soviel besser, daß er beschloß, zu Fuß durch Hickleybrow auf seine Farm zu gehen. Es waren zusammen drei und eine halbe Meile durch Park und Dorf und dann an den grünen Lichtungen der Gehege von Hickleybrow hin. Die Bäume waren ganz übersät mit den grünen Flecken des Spätfrühlings, die Hecken standen voller Kamillen und Himmelsröschen und das Holz voll blauer Hyazinthen und purpurner Orchideen. Und überall herrschte großer Vogellärm, Gezwitscher von Drosseln, Amseln, Rotkehlchen, Finken und vielen anderen, und in einem warmen Winkel des Parks entrollte sich ein Farrenstrich, und dort huschte und sprang falbes Rotwild.
Diese Dinge brachten Mr. Bensington seine frühe und vergessene Lust am Leben zurück; die Aussichten seiner Entdeckung wurden vor seinem Auge leuchtend und freudig, und ihm war, er müsse wirklich zum glücklichsten Tage in seinem Leben gekommen sein. Und als er in dem sonnenhellen Gehege an der Sandbank unterm Schatten der Fichten die Kücken sah, die das Futter gefressen hatten, das er für sie gemischt hatte, riesenhaft und tölpisch, größer schon als manche Henne, die verheiratet und eingerichtet ist, und immer noch wachsend, immer noch in ihren ersten, weichen, gelben Federn (am Rücken hin ganz schwach mit Braun durchzogen), da wußte er wirklich, daß sein glücklichster Tag gekommen war.
Auf Mr. Skinners Drängen ging er in das Gehege hinein, als er aber ein- oder zweimal durch die Risse in seinen Schuhen gepickt war, lief er wieder hinaus und sah sich die Ungeheuer durch die Drahtnetze an. Er legte die Augen eng ans Netz und folgte ihren Bewegungen, als habe er noch nie im Leben ein Kücken gesehen.
»Wie se sein wer’n, wenn se ausgewachsen sin, kann man sich nich vorstell’n«, sagte Mr. Skinner.
»So groß wie ein Pferd«, sagte Mr. Bensington.
»Beinah«, sagte Mr. Skinner.
»An einem Flügel könnten sich mehrere satt essen!«, sagte Mr. Bensington. »Dann kann man sie wie Ochsen in Braten schneiden.«
»Aberst se werd’n nich so weiter wachsen«, sagte Mr. Skinner.
»Nicht?«, sagte Mr. Bensington.
»Nein«, sagte Mr. Skinner. »Ich kenn’ das. Sie fangen üppig an, aberst das hört mal auf, verlassen Sie sich dadrauf! Ja.«
Es entstand eine Pause.
»Das is de Behannlung«, sagte Mr. Skinner bescheiden.
Mr. Bensington richtete plötzlich die Brille auf ihn.
»Auf den annern Hof haben wir se faß ebensogroß gekrieg«, sagte Mr. Skinner, und er hob das bessere Auge fromm empor und ließ sich ein wenig fortreißen, »ich un meine Frau.«
Mr. Bensington nahm seine gewohnte allgemeine Inspektion der Grundstücke vor, aber er kehrte bald zu dem neuen Gehege zurück. Es war auch, muß man wissen, so viel mehr als er je zu erwarten gewagt hatte. Der Gang der Wissenschaft ist so gewunden und langsam; nach den klaren Versprechungen und ehe die praktische Verwirklichung eintritt, kommen fast immer Jahre und Jahre komplizierter Arbeit, und hier – hier war die Nahrung der Götter nach weniger als einem Jahr des Probierens! Es schien zu viel – zu viel. Jene aufgeschobene Hoffnung, die die tägliche Nahrung der wissenschaftlichen Phantasie ist, sollte nicht mehr sein Teil sein! So schien es ihm wenigstens damals. Er kehrte ein übers andere Mal um und starrte diese seine verblüffenden Kücken an.
»Lassen Sie sehen«, sagte er. »Sie sind zehn Tage alt. Und neben einem gewöhnlichen Kücken sollt ich denken – etwa sechs bis siebenmal so groß …«
»’s wir’ Sseit sein, daß wir mehr verlangen«, sagte Mr. Skinner zu seiner Frau. »Er ’s so ßufrieden damit, wie wir die Kücken ins hintere Gehege zu Gange gebracht haben – so ßufrieden is er.«
Er neigte sich vertraulich zu ihr. »Meint, es is das alte Futter«, sagte er hinter seiner Hand und ließ ein Geräusch unterdrückten Lachens in seinem Kehlkopf hören …
Mr. Bensington war an diesem Tage wirklich ein glücklicher Mann. Er war nicht in der Stimmung, Einzelheiten im Betrieb zu tadeln. Der strahlende Tag hob die immer wachsende Nachlässigkeit des Skinnerpaares lebhafter hervor, als er sie je gesehen hatte. Aber seine Bemerkungen waren allermildester Art. Die Zäunung vieler Gehege war in Unordnung, aber er schien es für ganz befriedigend zu halten, als Mr. Skinner auseinandersetzte, das täte »ein Fuchß oder ’n Hund oder so was«. Er machte darauf aufmerksam, daß der Inkubator nicht gereinigt war.
»Das is er nich, Herr«, sagte Mrs. Skinner mit gekreuzten Armen, indem sie blöde hinter ihrer Nase lachte. »Scheint, wir haben noch keine Zeit gehabt, ihn zu reinigen, noch nich, so lange wir hier sind …«
Er ging nach oben, um sich ein paar Rattenlöcher anzusehen, die, wie Skinner behauptete, eine Falle rechtfertigen würden – sie waren freilich enorm – und er entdeckte, daß das Zimmer, in welchem die Nahrung der Götter mit Mehl und Kleie gemischt wurde, in ganz schmählicher Unordnung war. Die Skinners gehörten zu den Leuten, die für gerissene Schüsseln und alte Kannen und Einmachbüchsen und Mostertdosen Verwendung haben, und damit war der Raum besät. In einem Winkel faulte ein großer Haufen Äpfel, die Skinner erübrigt hatte, und an einem Nagel im schrägen Teil der Decke hingen mehrere Kaninchenfelle, an denen er seine Begabung als Kürschner zu probieren beabsichtigte: (»Bei die Fellen und Dinger weiß ich so ziemlich mit allens Bescheid«, sagte Skinner.)
Mr. Bensington rümpfte über diese Unordnung freilich kritisch die Nase, aber er machte keinen unnötigen Lärm, und sogar, als er fand, wie sich eine Wespe in einem Topf halb voll Herakleophorbia IV gütlich tat, bemerkte er nur milde, diesen Stoff verschließe man besser gegen die Feuchtigkeit, als daß man ihn so der Luft aussetze.
Und er wandte sich von diesen Dingen sofort wieder ab, um zu bemerken – was ihm seit einiger Zeit im Kopf gelegen hatte: – »Ich glaube, Skinner – wissen Sie, ich werde eins von diesen Kücken töten – als Probe. Ich glaube, wir werden es heute nachmittag töten, und ich werde es mit nach London nehmen.«
Er tat, als blicke er in noch einen Hafen, und nahm dann die Brille ab, um sie zu putzen.
»Ich hätte gern«, sagte er, »ich hätte sehr gern eine Reliquie – ein Memento – von dieser besonderen Brut an diesem besonderen Tage.«
»Nebenbei«, sagte er, »Sie geben diesen kleinen Kücken doch kein Fleisch?«
»O! nein, Härr«, sagte Skinner, »ich kann Sie versichern, Härr, wir verstehn viel zu viel von die Behandlung vons Vogelvieh jeder Art, um sowas zu tun.«
»Ganz sicher, daß Sie nicht Ihren Mittagsabfall – – mir war, ich hätte die Knochen eines Kaninchens in der hinteren Ecke des Geleges herumliegen sehen – –«
Aber als sie hingingen und sie sich ansahen, fanden sie, daß es die größeren Knochen einer Katze waren; sie waren sehr sauber und trocken abgepickt.
»Das ist kein Kücken«, sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane.
»Na, ich sollte meinen, ich kenn’ ein Kücken, wenn ich’s sehe«, sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane hitzig.
»Erstens ist es für ein Kücken zu groß, und außerdem kann man ganz genau sehen, daß es kein Kücken ist.«
»Es sieht eher aus wie eine Trappgans, als wie ein Kücken.«
»Für meinen Teil«, sagte Redwood, der sich widerstrebend von Bensington in die Erörterung hineinziehen ließ, »muß ich gestehen, in Anbetracht all des Beweismaterials – –«
»O! wenn Sie so kommen«, sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane, »statt wie ein vernünftiger Mensch Ihre Augen aufzumachen – –«
»Ja, aber wirklich, Miß Bensington, –!«
»O! nur weiter!«, sagte Cousine Jane. »Sie Männer sind alle gleich.«
»In Anbetracht all des Beweismaterials fällt es sicherlich unter die Definition – ohne Zweifel ist es abnorm und hypertrophisch – zumal es aus dem Ei einer normalen Henne ausgebrütet ist – ja, ich glaube, Miß Bensington, ich muß zugeben – soweit man ihm irgendeinen Namen geben kann, muß man es ein Kücken nennen.«
»Sie meinen, es ist ein Kücken?«, sagte Cousine Jane.
»Ich glaube, es ist ein Kücken«, sagte Redwood.
»Was für ein Unsinn!«, sagte Mr. Bensingtons Cousine Jane, und: »O!«, gegen Redwoods Kopf gerichtet, »ich hab’ keine Geduld mehr mit Ihnen«, und dann machte sie plötzlich kehrt und ging zum Zimmer hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
»Und mir fällt ein Stein vom Herzen, daß ich es auch sehe, Bensington«, sagte Redwood, als der Widerhall des Türzuschlagens erstorben war. »Obgleich es so groß ist.«
Ohne das geringste Drängen von seiten Mr. Bensingtons setzte er sich in den niedrigen Sessel am Kamin und bekannte sich zu Taten, die selbst bei einem unwissenschaftlichen Mann gewagt gewesen wären. »Ich weiß, Sie werden es voreilig von mir finden, Bensington«, sagte er, »aber die Sache ist die, ich habe vor beinahe einer Woche ein wenig davon – nicht viel – aber etwas – in Babys Flasche getan.«
»Aber wenn nun – –!«, rief Mr. Bensington aus.
»Ich weiß«, sagte Redwood und blickte das Riesenkücken in der Schüssel auf dem Tische an.
»Es ist alles gut geworden, dem Himmel sei Dank«, und er fühlte in seiner Tasche nach seinen Zigaretten.
Er gab fragmentarische Details. »Arme kleine Kerl wurde schwerer … furchtbare Angst. – Winkles, ein scheußlicher Schafskopf … früherer Schüler von mir … nützte nichts … Mrs. Redwood – unbedingtes Vertrauen zu Winkles … Sie wissen ja, Mann mit ’nem Wesen wie eine Klippe – türmend … Kein Vertrauen zu mir, natürlich … Hab’ Winkles unterrichtet … kaum geduldet in der Kinderstube … Irgendwas mußte geschehen … Schlüpfte hinein, als die Amme frühstückte … holte die Flasche.«
»Aber er wird wachsen«, sagte Mr. Bensington.
»Er wächst. Anderthalb Pfund, letzte Woche. Sie sollten Winkles hören. Es ist die Behandlung, sagte er.«
»Himmel! Das sagt Skinner auch!«
Redwood sah das Kücken von neuem an. »Die Schwierigkeit ist, die Sache aufrecht zu erhalten«, sagte er. »Sie lassen mich nicht allein in die Kinderstube, weil ich einmal versucht habe, eine Wachstumskurve von Georgina Phyllis zu bekommen. – Sie wissen ja – und wie ich ihm eine zweite Dosis geben soll –«
»Müssen Sie?«
»Er hat zwei Tage lang geschrien – kann jedenfalls mit seiner gewöhnlichen Nahrung nicht mehr auskommen. Er braucht jetzt mehr.«
»Sagen Sie’s Winkles.«
»Zum Henker mit Winkles!«, sagte Redwood.
»Sie können sich an Winkles machen und ihm Pulver fürs Kind geben – –.«
»Das werde ich schon noch tun müssen«, sagte Redwood und stützte das Kinn auf die Faust und starrte ins Feuer.
Bensington stand eine Weile da und streichelte die Federn auf der Brust des Riesenkückens. »Das werden kolossale Vögel«, sagte er.
»Das werden sie«, sagte Redwood, die Augen noch immer auf die Glut gerichtet.
»So groß wie Pferde«, sagte Bensington.
»Größer«, sagte Redwood. »Das ist es gerade!«
Bensington wandte sich von dem Probekücken ab. »Redwood«, sagte er, »diese Vögel werden Sensation erregen.«
Redwood nickte mit dem Kopfe gegen das Feuer.
»Und bei Gott!«, sagte Bensington, indem er sich plötzlich mit einem Blitz in der Brille umdrehte, »Ihr kleiner Junge auch.«
»Daran denke ich gerade«, sagte Redwood.
Er lehnte sich zurück, seufzte, warf seine halb aufgerauchte Zigarette ins Feuer und schob die Hände tief in die Hosentaschen. »Daran denk ich gerade. Diese Herakleophorbia wird im Gebrauch ein wunderliches Zeug werden. Wie das Kücken gewachsen sein muß – –!«
»Ein kleiner Junge, der so wächst«, sagte Mr. Bensington langsam und starrte bei diesen Worten das Kücken an.
»Ich sage nur!«, sagte Bensington. »Groß wird er.«
»Ich werde ihm immer kleinere Dosen geben«, sagte Redwood. »Oder auf jeden Fall wird Winkles es tun.«
»Es ist beinahe ein zu gewagtes Experiment.«
»Sehr gewagt.«
»Und doch, wissen Sie, ich muß gestehen. – Irgendein Baby wird es früher oder später versuchen müssen.«
»O, wir werden es an irgendeinem Baby versuchen – sicher!«
»Gewiß«, sagte Bensington und kam und trat auf den Kaminteppich und nahm die Brille ab, um sie zu putzen.
»Ehe ich diese Kücken gesehen hatte, Redwood, glaube ich, hatte ich noch nicht einmal angefangen – das geringste von den Möglichkeiten dessen, was wir machen, einzusehen. Es fängt erst an, mir aufzudämmern … die möglichen Folgen …«
Und noch immer war Mr. Bensington, wie man sich denken kann, weit davon entfernt, sich vorzustellen, welche Mine diese kleine Lunte sprengen würde.