Die Römer in Ostfriesland - Norbert Fiks - E-Book

Die Römer in Ostfriesland E-Book

Norbert Fiks

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Beschreibung

Als das Imperium Romanum um die Zeitenwende versuchte, das rechtsrheinische Germanien unter seine Kontrolle zu bringen, gehörte das heutige Ostfriesland zum Operationsgebiet römischer Legionen. Die Ems diente ihnen nach der Varusschlacht als Einfallstor zu den Brennpunkten des Konflikts mit den Germanen im Binnenland zwischen Lippe und mittlerer Weser. Der Fluss war für die römischen Flotten, die am Rhein stationiert waren, auf dem Seeweg leicht zu erreichen. Die Küstenregion der südlichen Nordsee spielte allerdings nur als Durchmarschgebiet eine Rolle. Auf ostfriesischem Boden wurden keine Schlachten geschlagen oder Entscheidungen von historischer Tragweite gefällt.

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Inhaltsverzeichnis

Die Römer in Ostfriesland

I. Einleitung

II. Die antiken Quellen

III. Land und Leute zur Zeitenwende

IV. Erste Nachrichten

V. Abriss der römischen Germanien-Politik

VI. Drusus in Ostfriesland

VII. Tiberius in der Nordsee

VIII. Die Feldzüge des Germanicus

IX. Der letzte Vorstoß

X. Der Nordwesten bei Ptolemaeus

XI. Römische Münzen

XII. Die Landung

XIII. Burchana, Borkum und Bant

XIV. Ausblick

Literatur

Zeittafel

Abbildungsnachweis

Biografische Notiz

Impressum

Die Römer in Ostfriesland

Literarische und archäologische Spuren aus der Zeit der Varusschlacht

Von Norbert Fiks

2., durchgesehene Fasssung

Ein MaYa-Ebook

Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Holzschnitts nach dem Gemälde „Erste Landung der Römer in der Marsch“ von Otto Knille aus der Illustrierten Zeitung, Leipzig, vom 23. November 1867

Man soll öfters dasjenige untersuchen, was von den Menschen meist vergessen wird, wo sie nicht hinsehen, und was so sehr als bekannt angenommen wird, dass es keiner Untersuchung mehr wert geachtet wird.

Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher KA 291

I. Einleitung

Die Schlacht am Teutoburger Wald wirft über einen Zeitraum von 2000 Jahren einen Schatten bis in die Gegenwart. Im Herbst 9 n. Chr. waren drei römische Legionen unter der Führung ihres Oberbefehlshabers Publius Quinctilius Varus vom Germanen-Führer Arminius in einen Hinterhalt gelockt und vernichtet worden. Die clades Variana war eine der schwersten Niederlagen, die das Imperium Romanum hinnehmen musste. Sie führte letztlich dazu, dass die Pläne, das freie Germanien bis zur Elbe unter die Kontrolle Roms zu bringen, aufgegeben wurden.

Seitdem die Schlacht haud procul Teutoburgiensis saltu im späten 15. Jahrhundert durch die Wiederentdeckung der entsprechenden Textpassage bei TACITUS (Ann. I 60) bekannt wurde, gehört sie zu den Stiftungsmythen der deutschen Identität, wurde Arminius als Hermann zum Nationalhelden. Gleichzeitig begann die Suche nach dem Ort der Schlacht. Wegen der Tacitus-typischen Ungenauigkeit - was ist und wo liegt der Teutoburger Wald und was genau heißt „nicht weit entfernt“ davon? - gab und gibt es eine Flut von Vermutungen und Vorschlägen.

Durch 1987 begonnene Ausgrabungen am Kalkrieser Berg bei Bramsche (Landkreis Osnabrück), die zweifellos einen bedeutenden römisch-germanischen Kampfplatz belegen, scheint nun aber der Ort der Varusschlacht oder ein wesentlicher Schauplatz davon gefunden zu sein (SCHLÜTER 1993; WIEGELS 2007), eine Überzeugung, die 2002 durch die Eröffnung des Varusschlacht-Museums mit dem angrenzenden Archäologischen Park Kalkriese augenfällig dokumentiert wurde.

Abb. 1: Das Varusschlacht-Museum in Kalkriese (Landkreis Osnabrück).

Als die Römer um die Zeitenwende versuchten, das rechtsrheinische Germanien unter ihre Kontrolle zu bringen, gehörte das heutige Ostfriesland zu ihrem Operationsgebiet. Die Ems diente ihnen nach der Varusschlacht als Einfallstor zu den Brennpunkten des Konflikts mit den Germanen im Binnenland zwischen Lippe und mittlerer Weser. Der Fluss war für die römischen Flotten, die im Rhein stationiert waren, auf dem Seeweg leicht zu erreichen.

Die Küstenregion der südlichen Nordsee spielte allerdings für die Römer nur als Durchmarschgebiet eine Rolle. Auf ostfriesischem Boden wurden keine Schlachten geschlagen oder Entscheidungen von historischer Tragweite gefällt. Entsprechend gering ist der Niederschlag in der antiken Literatur; das wenige, was antike Autoren darüber geschrieben haben, ist mehrfach im Gesamtzusammenhang römisch-germanischer Beziehungen zugänglich gemacht worden (CAPELLE 1937; HERMANN 1991; GOETZ/WELWEI 1995). Nicht einmal für die Region selbst waren die römischen Einfälle von irgendeiner erkennbaren Bedeutung. Das mag der Grund dafür sein, dass es bisher an einer zusammenfassenden Darstellung dieses Ausschnittes der ostfriesischen Geschichte fehlt.

Die Archäologie könnte das nur skizzenhafte Bild der Überlieferung mit handfesten Befunden untermauern und präzisieren, es sozusagen aus den Buchstaben der Quellen in die Landschaft übertragen. Angesichts der in 2000 Jahren erfolgten einschneidenden natürlichen und durch Menschen bewirkten Veränderungen an der Küste durften die Erwartungen in dieser Hinsicht nicht niedrig genug ausfallen. Es ist deshalb ein Glücksfall für die Wissenschaft, dass durch Grabungen Anfang der 1970er Jahre, die durch Funde in den 1920er Jahren angestoßen wurden, in Bentumersiel (Gemeinde Jemgum) am linken Emsufer die Anwesenheit römischer Soldaten nachgewiesen werden konnte, die sich zeitlich mit der durch die Schriftquellen überlieferten deckt (BRANDT 1977; ULBERT 1977). Zweimal, so berichtete nämlich TACITUS (Ann. I 60; II 8), seien römische Legionen in den Jahren 15 und 16 mit Schiffen in die Ems gebracht worden, um von dort aus ins Binnenland zu ziehen.

Dies ist nun eine Zusammenfassung dessen, was von den antiken Autoren über Ostfriesland überliefert worden ist; dabei wird auf die größeren historischen Zusammenhänge nur so weit eingegangen, wie es für das Verständnis erforderlich ist. Daneben werden die für diese Zeit wichtigen archäologischen Befunde vorgestellt. Die Hoffnung ist, dass diese Gegenüberstellung auf bisher unbeachtete Fragestellungen aufmerksam macht und im günstigsten Fall weitere Forschungen anregt.

II. Die antiken Quellen

Hinweise auf den nordwestdeutschen Küstenraum sowie auf römische Feldzüge und Flottenexpeditionen in diese Gegend finden sich verstreut in mehreren antiken Quellen, zusammenhängende Darstellungen sind aber selten. Das Gebiet „lag meist herausgerückt aus dem Blickfeld der römischen Politik; wir werden unsere Erwartungen auf gründliche Unterrichtung durch antike Schriftsteller daher nicht allzu hoch spannen dürfen“ (LAMMERS 1957, 34). Nur einige römische Historiker haben den germanischen Ereignissen mit dem Einfall der Kimbern und der Teutonen 130 v. Chr. als dem einen und den Feldzügen des Germanicus von 14 bis 16 n. Chr. als dem anderen Eckpunkt größere Aufmerksamkeit geschenkt. Bedauerlicherweise sind ausgerechnet die umfassenden Werke des Titus Livius (Ab Urbe Condita) und des Gaius Plinius Secundus (Bellorum Germaniae) über die germanischen Kriege teilweise oder ganz verlorengegangen.

Lediglich für die Germanicus-Feldzüge gibt es in den Annalen des Publius Cornelius Tacitus eine teilweise recht ausführliche Quelle, die jedoch „wie wenige vergleichbare andere im einzelnen und ganzen voller Schwierigkeiten und Probleme“ steckt (TIMPE 1968, 1). Seine Texte sind, wohl mehr noch als die anderer Autoren, nicht einfach zur Mitteilung eines Sachverhalts verfasst worden, sondern sind literarisch gestaltet und mit politischer Bewertung versehen, „so dass jeder vermeintlich direkte Zugriff auf die geschichtliche Wirklichkeit ein naiver Irrtum ist“ (TIMPE 1968, 4). Das ist jedoch in erster Linie auf die Interpretation der Ereignisse sowie auf die Darstellung der handelnden Personen und der innerrömischen Hintergründe gemünzt, weniger auf die Ereignisse selbst.

Abgesehen von dieser Einschränkung gibt es weitere Gründe, die es verbieten, das in antiken Quellen Dargelegte vorbehaltlos und quasi im Maßstab 1:1 zu übernehmen, vor allem wenn es um geografische Details geht, sofern diese überhaupt vorhanden sind. Die meisten Autoren, von Ausnahmen abgesehen wie Gaius Plinius Secundus und Gaius Velleius Paterculus, die als hohe Offiziere bei den „germanischen“ Legionen dienten, waren nie in Germanien und hatten nur eine vage, aus Berichten und Erzählungen sowie den verständlicherweise wenig objektiven Akten des römischen Senats gebildete Vorstellung von den Verhältnissen und Ereignissen. Zudem lassen sich die Angaben häufig nicht prüfen, weil Parallelquellen fehlen. Schließlich muss immer damit gerechnet werden, dass die Kopisten der antiken Texte, die allesamt nicht als Originale erhalten sind, beim Abschreiben für weitere Ungenauigkeiten und Fehler gesorgt haben.

Die hier - zumeist in deutscher Übersetzung - verwendeten Hauptquellen sind:

Caius Iulius CAESAR (100 - 44 v. Chr.): Commentarii de bello Gallico

Cassius DIO Cocceianus (geb. 162/163 n. Chr., Todesjahr unbekannt, nach 235 n. Chr.): Römische Geschichte

Publius Annius FLORUS (2. Jhdt. n. Chr., Geburts- und Todesjahr unbekannt): Epitome de T. Livio

Pomponius MELA (1. Jhdt. n. Chr.): De chorographia

Gaius PLINIUS Secundus (23/24 - 79 n. Chr.): Naturalis historia

Publius Cornelius TACITUS (55 - 120 n. Chr.): Annales ab excessu divi Augusti; Germania (De origine et situ Germanorum liber)

STRABO (63 v. - 20 n. Chr.): Geographika

C. SUETONIUS Tranquillus (70 - 150 n. Chr.): De vita Caesarum

Gaius VELLEIUS Paterculus (geb. ca. 20 v. Chr., Todesjahr unbekannt): Historiae Romanae

Die Quellenangaben für die Primärtexte der antiken Autoren folgen der in der Literatur üblichen Schreibweise, die unabhängig von der jeweiligen Textausgabe ist: So steht TACITUS Ann. II für das zweite Buch der Annalen des Tacitus' usw. Eckige Klammern verweisen auf die Übersetzungen, und zwar, wenn nichts anderes angegeben ist, auf die Seitenzahl bei CAPELLE (1937).

III. Land und Leute zur Zeitenwende

Trotz des an geologischen Maßstäben gemessenen kurzen Zeitraums von 2000 Jahren zeigt die Landschaft in Ostfriesland heute ein augenfällig anderes Bild als um die Zeitenwende. Zwar ist die naturräumliche Gliederung im Ganzen unverändert geblieben, die durch den von See- und Flussmarschen umgebenen Geestrücken geprägt wird, sie hat jedoch durch Naturgewalten, vor allem aber durch den Eingriff des Menschen in den letzten tausend Jahren eine besondere Ausformung erhalten. Hier sind in erster Linie die Stabilisierung der Küstenlinie durch die im 11. Jahrhundert begonnene Eindeichung (BEHRE 1995, 25) und die noch später erfolgte Binnenkolonisierung durch die Trockenlegung der Moore zu nennen.

Heute dürfte es kaum möglich sein, sich den Anblick zu vergegenwärtigen, der sich den Römern bot, als sie das erste Mal nach Ostfriesland kamen. Von See müssen die Ankommenden einen weiten Blick über die grünen Wiesen der Marsch gehabt haben, aus der nur vereinzelt Baumgruppen und flache Anhöhen herausragten. Auch umgekehrt bot sich dem Auge ein nahtloser Übergang vom Land über die See zum Himmel, während heute Land und Himmel durch das Band der Deiche scharf von einander abgegrenzt sind und das Meer nicht mehr zu sehen ist.

Abb. 2: Vor 2000 Jahren sah die Küste anders aus als heute.

Marsch und Watt sind Ablagerungen des Meeres in der ab etwa 8300 v. Chr. einsetzenden Nacheiszeit, als das Gebiet der südlichen Nordsee noch zum Festland gehörte. In mehreren Phasen ist seither der Meeresspiegel angestiegen. Dieser Vorstoß auf das Land verlief nicht gleichmäßig, sondern war durch Zeiten eines gleichbleibenden oder fallenden Meeresspiegels unterbrochen. Eine solche „ausgeprägte Regression mit einer deutlichen Senkung des Mittelhochwasser- und Sturmflutspiegels“ setzte um 200 v. Chr. ein; sie dauerte bis in das erste nachchristliche Jahrhundert (BEHRE 1995, 16: Abb. 9). Das vorher abgelagerte Wattsediment bildete sich zur Marsch um. Die Marsch reichte weit in das gegenwärtige Wattengebiet hinein, welches wiederum sehr viel ausgedehnter war und erst nördlich der heutigen Ostfriesischen Inseln das offenen Meer erreichte. Dessen Grenze bildete möglicherweise ein sandiger Strandwall, der „als Ursprung der heutigen ostfriesischen Schwemmlandinseln angesehen werden“ könnte (SINDOWSKI 1969, 33). Diese Inseln sind keine Festlandsreste, sondern „relativ junge eigenständige Bildungen", von denen „unwahrscheinlich ist, dass sie älter als 2000 Jahre sind“ (BEHRE 1995, 28).

Das ausgedehnte Marschengebiet war, weil es den Kräften des anstürmenden Meeres ungeschützt ausgesetzt war, „von einigen meerwärts entwässernden Baljen zerschnitten“ (SINDOWSKI 1969, 33). Einige Gebiete waren möglicherweise völlig vom Festland abgetrennt und bildeten Halligen, wie die der nördlichen Krummhörn vorgelagerte, im 18. Jahrhundert untergegangene Insel Bant. Das Gebiet der Emsmündung, durch die römische Flotten Ostfriesland erreichten, hatte vor 2000 Jahren eine völlig andere Gestalt als heute: Der Mündungstrichter war deutlich schwächer ausgeprägt, und der Dollart, der in seiner gegenwärtigen Form ohnehin das Ergebnis jahrhundertelanger Bemühungen um Landrückgewinnung ist, existierte noch nicht. Beide sind als Folge einer Reihe von katastrophalen Überflutungen im 12. bis 14. Jahrhundert entstanden.