Die Rose und der Schwan - Sophie Oliver - E-Book

Die Rose und der Schwan E-Book

Sophie Oliver

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Beschreibung

England im fünfzehnten Jahrhundert: In einer Zeit, in der Frauen nur schmückendes Beiwerk und Männer starke Ritter sind, hat Alice Cranley es nicht leicht. Sie sieht zwar aus wie eine Lady, ist in ihrem Herzen aber ein störrischer Wildfang. Henry Sheldrake, Earl of Blackford, will sich in den Unruhen der Rosenkriege diplomatisch verhalten, verliebt sich aber Hals über Kopf Alice – obwohl sie ihn zur Weißglut treibt. Nun muss er sich nicht nur zwischen Leidenschaft und Verpflichtungen entscheiden, sondern Alice auch noch beweisen, dass er mehr ist, als ein vernunftgetriebener Burgherr. Wird es ihm gelingen, Alice Stolz zu durchbrechen und die widerspenstige Lady zu zähmen?

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Kurzbeschreibung:

England im fünfzehnten Jahrhundert: In einer Zeit, in der Frauen nur schmückendes Beiwerk und Männer starke Ritter sind, hat Alice Cranley es nicht leicht. Sie sieht zwar aus wie eine Lady, ist in ihrem Herzen aber ein störrischer Wildfang. Henry Sheldrake, Earl of Blackford, will sich in den Unruhen der Rosenkriege diplomatisch verhalten, verliebt sich aber Hals über Kopf Alice – obwohl sie ihn zur Weißglut treibt. Nun muss er sich nicht nur zwischen Leidenschaft und Verpflichtungen entscheiden, sondern Alice auch noch beweisen, dass er mehr ist, als ein vernunftgetriebener Burgherr. Wird es ihm gelingen, Alices Stolz zu durchbrechen und die widerspenstige Lady zu zähmen?

Über die Autorin:

Geboren und aufgewachsen in Bayern, verließ Sophie Oliver nach dem Abitur ihre Heimat, um zu studieren und die Welt zu erkunden.Mittlerweile ist sie zu ihren Wurzeln zurückgekehrt und lebt mit Familie und Hund auf dem Land.Sophie liebt die bunte Vielfalt, Schräges genauso wie Schönes sowie »all things British«.Ihre Lebensneugierde drückt sie in ihren Romanen und Kurzgeschichten aus, wobei sie sich darüber freut, in verschiedenen Genres schreiben zu dürfen. 

Weitere Titel der Autorin bei Edel Elements:

Inner-Circle-Trilogie

Inner Circle - Wie Feuer im Regen (1)Inner Circle - Wie Wasser in deiner Hand (2)Inner Circle - Wie Eis und Asche (3)

Sophie Oliver

Die Rose und der Schwan

Historischer Liebesroman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Sophie Oliver

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Lektorat: Philipp Bobrowski 

Korrektorat: Cathérine Fischer

Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-193-5

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

England, 1485

1.

Ungeachtet seiner glänzend polierten Lederstiefel stapfte er durch den Schlamm des Dorfplatzes auf sein Gegenüber zu und schlug dem Mann mit der Faust so hart ins Gesicht, dass dieser schreiend zu Boden ging. »Ich habe dich gewarnt!«, brüllte er dabei. »Aber du konntest es nicht lassen!«

Der beschimpfte und deutlich kleinere Mann rappelte sich mühsam wieder hoch und wollte zu einer Erklärung ansetzen, was seinen Angreifer nur noch wütender machte.

Genau in diesem Moment griff Alice ein. Wenn ein großer, gut gekleideter Edelmann auf einen zerlumpten Bauern eindrosch, dann war das eine inakzeptable Ungerechtigkeit. »Sofort aufhören!« Entschlossen sprang sie von ihrem Pferd und stürzte zwischen die beiden Streithähne.

Die umstehende Menschenmenge, die sich trotz Nieselregens innerhalb kürzester Zeit versammelt hatte, um sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen, hielt den Atem an. Ein derartiges Verhalten, noch dazu von einer Frau, das schockierte weit mehr als die Schlägerei an sich. Sicher würde hier noch einiges geboten werden!

Dann ging alles ziemlich schnell. Der kleinere Mann wollte das von Alice verursachte Überraschungsmoment nutzen. Seine gestreckte Faust schoss nach vorne, traf jedoch nicht seinen Gegner, sondern versehentlich Alices Wange, woraufhin sie zusammensackte und bewusstlos liegen blieb. Ihr grünes Kleid, das inmitten des Drecks wie ein Fleckchen sauberes Gras wirkte, war bis über die Knie hochgerutscht. Ein unerhörter Anblick.

Nach einem Moment der Stille brach Tumult los. Rasch machte sich der kleine Mann im Chaos aus dem Staub, während der große auf die Knie sank und Alice überraschend behutsam in seine Arme hob. Dabei ruinierte er sich nach den Stiefeln nun auch sein Wams. Er trug sie an den Rand des Dorfplatzes und legte sie auf einen Strohhaufen, der durch das überstehende Dach einer Hütte vor dem Regen geschützt war. Wütend befahl er den Leuten, zu verschwinden. Lediglich sein Begleiter blieb, der nun an seine Seite trat, ebenso wie Alices Entourage, bestehend aus ihrer Zofe und dem Pferdeknecht.

Noch bevor sie richtig zu sich kam, schmeckte Alice Blut. Anscheinend hatte sie sich beim Fallen auf die Zunge gebissen. Das hätte sie von vorneherein machen sollen, dann hätte der Schmerz sie bestimmt davon abgehalten, etwas so völlig Schwachsinniges zu tun, wie sich zwischen zwei kämpfende Männer zu werfen.

Schließlich öffnete sie ihre Augen einen Spaltbreit. Das Gesicht des Mannes war so dicht über dem ihren, dass eine Strähne seines schwarzen Haares sie fast berührte. Schwarz wie eine mondlose Nacht war das Erste, was Alice dachte. Schwärzer noch als schwarz.

Aus seinem Gesicht war jeglicher Zorn gewichen, er blickte auf sie hinunter, ernst und besorgt mit zusammengepressten Lippen. Vorsichtig berührte er mit einem Finger eine Stelle auf Alices Wange.

»Au!«

Ihr Aufschrei ließ ihn zurückzucken, als hätte er sich verbrannt.

»Reicht es nicht, harmlose Männer zu verprügeln, die Euch körperlich unterlegen sind? Müsst Ihr auch noch einer verletzten Dame zusätzlichen Schmerz zufügen?«, schimpfte sie, während sie ihn mit beiden Händen wegschob und sich aufsetzte. Die höllischen Kopfschmerzen ignorierte sie.

Ein Ausdruck des Erkennens machte sich auf dem Gesicht des Mannes breit, wischte die Besorgnis weg und ersetzte sie durch Überraschung.

»Alice?«, fragte er. »Alice Cranley?«

»Lady Alice Cranley«, unterbrach die Stimme der Zofe von der Seite.

Nun fand es wohl auch der Begleiter für nötig, sich einzumischen. »Und Ihr redet mit dem Earl of Blackford, also etwas mehr Respekt, Frau!« Der Earl schüttelte ungläubig den Kopf. »Alice, natürlich! So grüne Augen gibt es kein zweites Mal. Und wie ich feststellen kann, bist du noch genauso störrisch wie früher.«

Um wenigstens ungefähr auf Augenhöhe mit dem Earl zu gelangen, stand Alice auf und schüttelte ihr hellblondes Haar so würdevoll nach hinten, wie es der darin klebende Matsch erlaubte.

»Henry Sheldrake! Rüpelhaft wie eh und je!« Falls er erwartet hatte, sie würde sich von seinem neuen Titel beeindrucken lassen, täuschte er sich. Er war als Kind schon eine Plage gewesen, und nur, weil er offensichtlich die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, machte ihn das in Alices Augen noch lange nicht zu einem Edelmann. Er war noch immer der verwöhnte Sohn, der alle anderen schikanierte. Allerdings hatte sich der schlaksige Junge zu einem muskulösen Mann von beeindruckender Größe entwickelt. Henry musterte Alice mit durchdringendem Blick von oben bis unten.

»Wenn man nicht weiß, worum es geht, sollte man sich nicht einmischen«, sagte er nun dunkel. »Vor allem nicht als Frau. Hat man dir das nicht beigebracht, wo immer du die letzten Jahre warst?«

Der zweite Satz ärgerte Alice noch mehr als der erste. Ihre Antwort fiel entsprechend schnippisch aus. »Ich war in Frankreich, falls es dich interessiert. Und ich mische mich immer ein, wenn ein Unrecht geschieht!«

»Ein Unrecht?« Henry wirkte, als würde er nicht verstehen, was sie meinte.

Waren die Sitten hier in England tatsächlich mittlerweile so verroht, dass Anstand und Ehre abhandengekommen waren und es akzeptabel war, sich an Schwächeren zu vergreifen?

Gerade wollte Alice zu einer weiteren Erwiderung ansetzen, da ritt ihr Vater auf den Dorfplatz, durchnässt und besorgt dreinblickend. »Alice!«, er sprang vom Pferd und drückte sie an sich. »Gottlob, dir ist nichts passiert! Ich machte mir Sorgen. Was hat dich so lange aufgehalten? Wie siehst du aus, mein Kind? Und was ist das in deinem Gesicht? Du hast dich doch nicht geprügelt? In deinem Alter …« Erst jetzt bemerkte er den Earl. Hastig deutete er eine Verbeugung an. »Mylord, Ihr auch hier – und ebenso voller Schlamm? Was ist geschehen?«

Henry warf Alice einen finsteren Blick zu, bevor er ihrem Vater antwortete. »Eure Tochter und ich hatten ein überraschend stürmisches Wiedersehen …«

»Gibt es etwas, für das ich mich im Namen von Alice entschuldigen muss?«

Ein erneuter intensiver Blick traf sie. »Nein, Sir Oswin, ganz und gar nicht. Alice und ich sind in der Lage, die Dinge zwischen uns allein zu klären. Wie wir es auch als Kinder schon taten. Aber Ihr solltet lieber rasch nach Hause reiten. Der Regen wird immer stärker, und es wäre bedauerlich, wenn sich Eure Tochter erkältet, zart, wie sie ist. Gestattet mir, zu helfen.« Er fasste Alice mit beiden Händen um die Taille und hob sie mühelos auf ihr Pferd. Dabei flüsterte er in ihr Ohr, sodass nur sie es hören konnte: »Du solltest dich schämen, deinen Vater so zu grämen. Werde endlich erwachsen.«

Mit knallrotem Kopf riss Alice ihr Pferd herum und ritt davon, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie hätte schreien können vor Wut. Oder weinen. Am besten beides. Dieser arrogante Kerl hatte sich nicht einen Deut geändert, seitdem sie vor zehn Jahren England verlassen hatte. Er mochte jetzt ein Mann sein, aber sie konnte ihn noch genauso wenig leiden wie als Jungen.

2.

»Ich wünschte wirklich, du würdest etwas besonnener werden.« Oswin seufzte, als er abends mit Alice vor dem Feuer in der Halle saß. Die Cranleys waren zwar nur Gentry, niederer Landadel, weit unter dem Stand eines Earls of Blackford, dennoch verfügten sie über weitläufige Ländereien, großes Vermögen und einen herrschaftlichen Landsitz. In der näheren Umgebung wurde Halcyon Hall lediglich von Morannis Castle, der Burg der Sheldrakes, in den Schatten gestellt.

Sein üppiger Wohlstand hatte es Sir Oswin erlaubt, Alice nach dem frühen Tod ihrer Mutter nach Frankreich zu schicken, wo man durch höfische Erziehung aus dem Wildfang eine vornehme junge Dame machen sollte. Erst seit Kurzem war sie wieder zu Hause, erwachsen zwar, aber noch immer ungestüm und stolz. Es würde schwierig werden, sie zu verheiraten. Niemand mochte eine Frau mit eigenem Willen. Das war viel zu anstrengend.

Sir Oswin ließ seinen Blick über die zierliche Gestalt seiner Tochter gleiten, die eingehüllt in eine Decke auf einem Hirschfell saß und trotzig in die Flammen starrte. Das sanfte Licht ließ ihr Haar golden schimmern. Alices feine Gesichtszüge, die wassergrünen Augen, das alles wollte überhaupt nicht zu dem Bluterguss passen, der wütend-rot auf ihrer Wange prangte und verriet, dass sie bei Weitem nicht so damenhaft war, wie sie aussah.

»Du wirst mich morgen auf jeden Fall begleiten«, bestimmte er. »Er hat extra einen Boten geschickt mit einer zusätzlichen Einladung für dich.«

»Muss das sein? Wäre ich ihm im Dorf nicht begegnet, wüsste er nicht einmal, dass ich hier bin.«

»Begegnet? Du hast ihn brüskiert! Vor den Leuten! Glaub nur nicht, ich wüsste nicht, was geschehen ist. Von allen Seiten wurde mir zugetragen, wie du dich benommen hast. Du kannst von Glück sagen, dass er es dir nicht übel zu nehmen scheint. Wenn er dir schon die Hand reicht und dich einlädt, dann wirst du dich bemühen, die Wogen zu glätten. Ist das klar, Alice? Wir brauchen die Sheldrakes. Enttäusche mich nicht.«

»Wozu sollten wir jemanden wie Henry brauchen?«

»Er hat Einfluss und Macht. Und das ist in Zeiten wie diesen die beste Lebensversicherung.«

Sie stand auf und ließ ihre Decke zu Boden sinken. »Ich bin müde. Ich werde mich zurückziehen.«

»Hast du mich verstanden, Kind?«

»Ja, Papa. Ich werde dir keine Schande machen. Gute Nacht.«

»Und gib irgendetwas auf diese Beule in deinem Gesicht, damit sich die Leute nicht noch mehr das Maul zerreißen!«, rief er ihr hinterher. Aber er war nicht sicher, ob sie ihn gehört hatte.

3.

Die Zinnen von Morannis Castle glühten im Abendrot weithin sichtbar. Der seit Tagen andauernde Regen hatte vor Stunden endlich aufgehört und einem prächtigen Sonnenuntergang Platz gemacht. Eine ganz besondere Stimmung ergriff Alice, wann immer sie den Burgberg hinaufritt und in den Schatten der trutzigen Anlage eintauchte. Das war schon in Kindertagen so gewesen.

Morannis Castle war ein mittelalterliches Meisterwerk. Die sechseckige Hauptburg mit ihren imposanten Türmen wurde zu drei Vierteln von einer Vorburg umschlossen, lediglich die Rückseite blieb unverstärkt, denn die fiel senkrecht in eine Steilwand aus Granitfelsen ab, uneinnehmbar für Feinde, außer es würde sich dabei um Eidechsen handeln. Innenhöfe und Wehrgänge unterteilten die Vorburg in gut zu verteidigende Abschnitte, und eine schwere Zugbrücke schützte die Bewohner vor ungebetenen Gästen. Dieses Haupttor war nur über eine künstlich angelegte schmale Rampe im Gelände zu erreichen, die an ihrem Ende die Auflage für die Zugbrücke bildete. Der Burggraben war mit Wasser geflutet und wurde aus dem nahen Fluss Severn gespeist. An sonnigen Tagen gleißten die Mauern aus hellem Sandstein im Licht, und Morannis Castle schien regelrecht zu leuchten.

Verständlich, dass Henry stolz auf seine Ahnen ist, dachte Alice. Ich wäre es jedenfalls, wenn meine Familie so etwas geschaffen hätte.

Zusammen mit ihrem Vater und einem Bediensteten passierte sie die Zugbrücke und gelangte in den ersten Innenhof. Sie hatte darauf bestanden, die Kutsche zu Hause zu lassen und stattdessen zu reiten. Weil Alice ohnehin nicht vorhatte, besonders lange zu bleiben, war es ihr egal, ob das Wetter später erneut umschlagen würde oder nicht. Außerdem zog sie das Gefühl, frei auf einem Pferd zu sitzen, immer der Enge einer Kutsche vor.

In der Dämmerung hatte man Fackeln entzündet, die den ankommenden Gästen den Weg wiesen. Sie mussten ihnen einfach nur folgen. Es sah alles noch so aus wie in Alices Erinnerung. Nicht dass sie als Kind besonders oft hier gewesen wäre. Kleine Mädchen hatten in einer großen Ritterburg nichts zu suchen. Außer sie wurden hier hineingeboren, dann beschränkte sich ihr Lebensraum allerdings auf die Kemenate sowie den Kräutergarten, und bei speziellen Anlässen gab es Zugang zur großen Halle.

In diese traten Alice und ihr Vater nun ein. Wandteppiche schmückten die roh behauenen Steinwände. Man hatte einen neuen Holzboden verlegt und zusätzliche Feuerstellen eingebaut, fiel ihr auf. Rings herum stand eine stattliche Anzahl an Kerzenleuchtern, die warmes Licht spendeten. Irgendjemand hatte sich anscheinend darum bemüht, den riesigen Raum wohnlicher zu gestalten.

Sicher nicht Henrys Mutter, dachte Alice, die ist bestimmt sauertöpfisch wie eh und je.

Tatsächlich saß am Kopf der Tafel eine ältere Dame mit versteinerter Miene. Jahrzehntelanger Missmut hatte ihre Mundwinkel unumkehrbar nach unten gezwungen und ließ sie älter aussehen, als sie eigentlich war. Früher einmal eine bekannte Schönheit, wirkte sie jetzt nur noch verhärmt. Henry neben ihr sah dagegen freundlich aus. Er redete gerade mit einem anderen Mann. Während Alice und Sir Oswin näherkamen, brach die Unterhaltung aber sofort ab.

»Es freut mich zu sehen, dass du meine kurzfristige Einladung angenommen hast«, sagte er zur Begrüßung. Im Schein der Kerzen leuchteten seine Augen in einem dunklen Braunton, der einen interessanten Kontrast zu seiner hellen Haut bildete. Weil sie nicht verhindern konnte, ihn einen Moment länger anzusehen, als es sich für eine Dame gehörte, ärgerte sich Alice über sich selbst. »Vielen Dank«, sagte sie, »aber es wäre wirklich nicht nötig gewesen …«

Henrys Mutter schnitt Alice das Wort ab. »Ich bin mir sicher, mein Sohn hat die Einladung nur ausgesprochen, um den guten Ton zu wahren.«

Sir Oswin bemerkte offenbar das ärgerliche Einatmen seiner Tochter und mischte sich schnell ins Gespräch ein, als stünde zu befürchten, dass Alice die Burgherrin sonst brüskieren könnte. Das schien auch Henry aufgefallen zu sein, denn ein kleines amüsiertes Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

Nach einem kurzen, belanglosen Wortwechsel durften sich die Cranleys auf ihre Plätze an der langen Tafel zurückziehen, und das Essen wurde aufgetragen.

»Sie führt ein strenges Regime hier auf der Burg«, sagte Alices Tischherr, der die Szene ebenfalls beobachtet hatte, mit einem Kopfnicken hinüber zu Mildred Sheldrake.

Erst jetzt fiel Alice auf, dass sie neben Henrys Begleiter saß, demjenigen, der ihr Einmischen in die Rauferei miterlebt hatte. Mit seinem flachsfarbenen Blondschopf und dem kantigen Kinn war er leicht wiederzuerkennen. Kurz hoffte sie noch, er möge die Diskretion besitzen, die gestrige Angelegenheit zu übergehen, da brachte er auch schon das Gespräch darauf. Wenigstens tat er das so leise, dass niemand sonst es hörte. »Den Bluterguss auf Eurer Wange habt Ihr sehr geschickt abgedeckt. Wenn man es nicht weiß, bemerkt man ihn kaum. Allerdings bezweifle ich, dass es irgendjemanden in diesem Raum gibt, der nicht von Eurem beherzten Eingreifen gehört hat. Lady Sheldrake hat sich lautstark darüber echauffiert, man hörte sie durch die Frauengemächer bis hinunter in die Waffenkammer brüllen. Und Neuigkeiten verbreiten sich schnell, wie Ihr wisst …«

Alice spürte, wie sie rot wurde, und hielt den Blick gesenkt.

Der Mann fuhr ungerührt fort: »Ich für meinen Teil fand die Sache äußerst amüsant. Endlich passiert mal etwas hier auf dem Land.«

»Amüsant?« Mit einem Anflug von Gereiztheit sah Alice ihn an. Dabei bemerkte sie ein schelmisches Zucken um seine Mundwinkel.

Sie mussten beide lachen – was ihnen einen eisigen Blick von Lady Mildred einbrachte.

»Verzeiht«, sagte er schließlich, »ich fürchte, ich habe Eure Lage bei Henrys Mutter nicht gerade verbessert. Zumal sie auch mir nicht besonders gewogen ist. Mein Name ist Edward Styles.« Er deutete im Sitzen eine Verbeugung an, die ihm ziemlich misslang und Alice wiederum zum Lachen brachte.

»Styles?«, fragte sie ihn. »Seid Ihr verwandt mit Guy Styles, dem Baron Henshawe?«

»Erwischt. Der ist mein Vater. Und ich bin sein vierter, jüngster und spät geborener Sohn, was meine Position zu Hause nicht gerade stärkt.«

Alice nickte verstehend. »Daher haltet Ihr Euch lieber auf Morannis Castle auf.«

»Henry ist mein bester Freund. Nur so ist es zu erklären, dass er meine dauernde Anwesenheit in seinem Haus toleriert.« Er beugte sich ein wenig näher zu Alice und flüsterte verschwörerisch. »Einer meiner Vorteile ist, ich kenne alle, die hier sind. Wenn Ihr also Fragen habt …«

»Die habe ich in der Tat. Wer ist zum Beispiel diese hübsche junge Dame dort vorn?« Möglichst unauffällig wies Alice auf eine blasse Schönheit mit prächtigem, zu einer kunstvollen Frisur gestecktem, rotem Haar. Sie trug ein Geschmeide um den Hals, das einer Königin würdig war, und ihr Kleid schimmerte in sattem Dunkelgrün.

»Ein Schuss, ein Treffer, Mylady. Da habt Ihr Euch zielsicher die reichste Person im Raum ausgesucht – wenn man von ihrem Vater absieht, der neben ihr sitzt. Das ist Lady Catherine Wexcombe.«

»Und ihr Vater ist Alexander Wexcombe, der Earl of Claimond?«

»Korrekt. Ich sehe Ihr kennt Euch aus im englischen Hochadel.«

»Deswegen sitzt der Earl neben Lady Mildred«, sagte sie.

Aber Edward stimmte ihr nur teilweise zu. »Weil es standesgemäß ist – und weil seine Tochter Lady Mildreds bevorzugte Kandidatin für Henry ist. Man munkelt, wenn sie ihren Willen bekommt – und das tut sie immer – und man sich bezüglich der Mitgift einig wird, könnte die Hochzeit vor Jahresende stattfinden.«

»Hat Henry ihr denn bereits einen Antrag gemacht?«

Edward warf Alice einen neugierigen Blick von der Seite zu. »Nein, das noch nicht. Warum? Wollt Ihr Lady Catherine etwa den Bräutigam streitig machen?«

»Sir Edward, auf diese absurde Frage erwartet Ihr wohl kaum eine Antwort.«

»Dann ist Euer Herz noch frei?« Mit einer selbstverständlichen Dreistigkeit, die Alice überrumpelte, legte er seine Hand auf die ihre und sah ihr tief in die Augen. In Edward Styles’ Blick lag zwar ein wenig Belustigung, aber Alice glaubte, auch Nervosität zu erkennen. So souverän, wie er tat, war er nicht. Daher antwortete sie nicht gleich, sondern musterte ihn ihrerseits prüfend.

Die blauen Augen unter seinen blonden Brauen lagen ein wenig tief, er hatte eine zierliche, gerade Nase und einen Mund, der seinem Gesicht etwas Besonderes verlieh. Edwards Lippen waren eher breit als voll, mit einer markant geschwungenen Oberlippe, die charmant aussah, wenn er lächelte. Alice war sich jedoch sicher, dass sie auch hart wirken könnte, falls er wütend wurde.

»Nein«, antwortete sie ihm, »mein Herz ist nicht frei. Es gehört mir allein, und ich gedenke nicht, es in naher Zukunft zu verschenken.«

Nun hob sich einer von Edwards Mundwinkeln. Er lächelte schief, sagte aber nichts dazu, sondern nickte nur galant.

Sodann wandten sich die beiden dem eben aufgetragenen Essen zu. Es gab Hase mit Lauch, und Alice benahm sich so vorbildlich, wie sie es in Frankreich gelernt hatte.

Edward war freundlich, unterhaltsam sogar – wahrscheinlich hatte Henry ihm angetragen, sich um die unberechenbare Lady Alice zu kümmern. Bestimmt hegte er kein wirkliches Interesse an ihr.

Nachdem der dritte Gang, Fasan mit glasierten Zwiebeln, abserviert worden war, und sie keine weiteren Katastrophen verursacht hatte, entspannte sich Alice etwas. Sie riskierte sogar den ein oder anderen Blick hinüber zu Henry.

Der trank wenig, bemühte sich um Konversation mit seiner Mutter und beobachtete die an der Tafel versammelte Runde. Alice war erneut fasziniert von seinem nachtschwarzen Haar, das beinahe bis auf seine Schultern reichte. Er trug es aus dem Gesicht gekämmt, was seinen ernsten Ausdruck betonte. Wenn es ihm wild in die Stirn fiel, so wie gestern, gefiel es ihr besser. Zusammen mit den geraden Augenbrauen und dem nachdenklichen Zug um die Lippen wirkte er sehr erwachsen. Von dem Jungen, den Alice einst zu kennen glaubte, war nichts mehr übrig.

Wann immer sie zu ihm hinsah, trafen sich ihre Blicke und hielten einander fest. Alice war machtlos dagegen. Diese aufkeimende Faszination ärgerte sie. Um nichts auf der Welt wollte sie Henry Sheldrake anziehend finden.

Deshalb täuschte sie nach dem Essen Kopfschmerzen vor und teilte ihrem Vater mit, sie würde nach Hause reiten. Der Bedienstete, der sie hierherbegleitet hatte, wartete ohnehin am Haupttor und könnte sie eskortieren, so Alices Argumentation. Sir Oswin müsse sich um ihre Sicherheit keine Sorgen machen.

Um ein zweites Aufeinandertreffen mit Mildred zu vermeiden, zog Alice es vor, sich nicht bei den Sheldrakes zu verabschieden, und verschwand hoffentlich unbemerkt aus dem Saal.

Sie hatte es schon bis in den Brunnenhof geschafft – nur ein Tor noch und sie wäre an der Zugbrücke –, als sie eine Stimme hinter sich hörte.

»Einfach so abhauen? Das gehört sich aber nicht!« Henry schritt die Treppe an einer Seitentür hinunter und kam auf sie zu. Schlendernd beinahe. Der Schein der Fackeln warf ein Spiel aus Licht und Schatten auf sein Gesicht und verlieh ihm die Ausstrahlung eines geheimnisvollen Nachtgeschöpfes.

Alice war verwirrt, ein Gefühl, das sie nicht schätzte. Doch er hatte natürlich vollkommen recht. Wo blieben ihre Manieren? »Das tut mir sehr leid«, sagte sie, nachdem er unmittelbar vor ihr stehen geblieben war. »Ich hätte mich bedanken und verabschieden müssen. Es war nicht richtig von mir, einfach zu gehen.« Sie neigte leicht den Kopf, eine angedeutete Verbeugung, eine elegante Geste der Höflichkeit.

Ein Lächeln stahl sich in Henrys Gesicht. Dabei sah er vollkommen verwandelt aus, weil es nicht nur um seinen Mund spielte, sondern auch seine Augen erreichte und so ansteckend und äußerst anziehend war. Für einen Moment vergaß Alice alles um sich herum und verlor sich in Henrys Anblick. Sie waren allein, niemand sonst hielt sich im Burghof auf.

Später konnte sie nicht mehr sagen, ob sie ihr Gesicht zu ihm emporgehoben hatte, oder ob er sich zu ihr heruntergebeugt hatte. Sie erinnerte sich nur daran, dass zum zweiten Mal nach dem Vorfall im Dorf eine seiner Haarsträhnen ihr Gesicht fast berührte und dass sie ihn erneut von sich stieß. Weil sie plötzlich unsicher wurde und er das nicht bemerken sollte.

Im selben Augenblick, in dem Henrys Lächeln von seinem Gesicht verschwand, öffnete sich die Tür am oberen Ende der Treppe, ein Lichtschein erhellte den Hof und Edward trat heraus. »Henry!«, rief er. »Deine Mutter verlangt nach dir.«

Ohne auf Henrys Reaktion zu warten, lief Alice durch das Tor in die Vorburg und zu den Stallungen, wo ihr Diener mit dem Pferd wartete. Sie ließ sich in den Sattel helfen und ritt so undamenhaft schnell nach Hause, dass der arme Kerl seine Mühe hatte, Schritt zu halten. Sowohl er als auch sein Pferd waren nämlich etwas in die Jahre gekommen.

In Halcyon Hall drückte sie dem Stallburschen die Zügel in die Hand und zog sich sofort in ihre Gemächer zurück. Sie schloss die Vorhänge, verriegelte die Tür und warf sich auf ihr Bett. Schlaf konnte sie bis zum Morgengrauen nicht finden, so sehr spukte Henry Sheldrake in ihrem Kopf herum und beherrschte ihr Denken. Alice wünschte, sie hätte einmal in ihrem Leben wie eine besonnene Lady gehandelt und wäre einfach an der Rauferei vorbeigeritten. Dann wäre alles wie immer. Sie wäre noch die alte Alice, hätte unbeschwerte Gedanken – und nun war alles anders. Der Entschluss, der ihr letztendlich Schlaf brachte, war der, dass sich Henry zwar in ihren Kopf geschlichen hatte, sie ihn aber auf keinen Fall in ihr Herz lassen würde.

4.

»Anscheinend hat man es in Frankreich nicht geschafft, Sir Oswins Tochter Manieren beizubringen. Sie ist eine ganz und gar undamenhafte Person.« Dieses Urteil bekräftigte Lady Mildred mit einem gezielten Stich ihrer langen, zweizinkigen Gabel in die Reste des gestrigen Bratens, die sie sich zum Morgenmahl schmecken ließ. Dazu aß sie Brot und trank einen Becher Dünnbier.

Henry, der neben ihr am Tisch saß, schob seinen Teller von sich. Er hatte keinen Appetit.

»Ich fand sie eigentlich ganz anregend«, widersprach ihr Edward. Der wiederum hatte wohl ordentlich Hunger, denn er ließ sich von den geschmorten Äpfeln nachlegen und tauchte sein Brot in die Honigsoße.

»Das kann ich mir gut vorstellen, Sir Edward. Ihr hattet schon immer einen ordinären Geschmack«, bemerkte Lady Mildred mit eisiger Stimme.

»Es reicht, Mutter!«, unterbrach Henry. »Du beleidigst in einem Satz Edward und Alice. Muss das sein? Ein wenig mehr Güte stünde dir gut zu Gesicht.«

Gekränkt warf Lady Mildred ihre Gabel auf den Tisch und erhob sich. »Wenn auf meine Meinung kein Wert gelegt wird, werde ich mich zurückziehen«, verkündete sie.

»Bitte, tu das.«

Sobald sie gegangen war, zog sich Edward die Platte mit den Bratenresten heran und setzte sein Mahl fort. »Lass sie«, meinte er beschwichtigend zwischen zwei Bissen. »Wahrscheinlich hat es ihr nur nicht gefallen, dass du Lady Catherine links liegen gelassen hast. Nachdem du hinter Alice hergelaufen warst, hatte deine Mutter ihre liebe Mühe, ihre Wut zu überspielen.«

»Aber dann hat sie dich ja gottlob hinterhergeschickt.«

Mit einem Grinsen nickte Edward. »Fürwahr. Und ich kam gerade noch rechtzeitig, um zu verhindern, dass Lady Alice dir eine Ohrfeige verpasste.«

»Wovon sprichst du bitte?«

»Na ja. Sie schubste dich weg. Ich hatte den Eindruck, als wolltest du dich ihr nähern und sie hatte was dagegen.«

»Dein Eindruck täuscht. Sie war es, die an mich herantrat und dann wieder zurückwich. Anscheinend weiß die Gute selbst nicht, was sie will.«

Edward seufzte in gespielter Verzweiflung. »Ach, die Frauen. Wenn die immer wüssten, was sie wollten, und wenn wir wenigstens gelegentlich davon Kenntnis hätten, wäre das Leben viel einfacher.«

»Weise gesprochen.« Henry lachte. Wie gut, dass Edward es immer schaffte, ihn aufzuheitern.

»Wann kommt der Baron?« Edward wechselte abrupt das Thema.

Henrys Lachen erstarb. »Bald«, antwortete er vage. »Mutter steht mit ihm in Kontakt, das weißt du doch. Ich für meinen Teil möchte mich nicht allzu sehr vereinnahmen lassen.«

»Es wird dir nicht gelingen, dich aus der Sache rauszuhalten. Eines Tages wirst du Farbe bekennen müssen, im wahrsten Sinn des Wortes.« Augenscheinlich war Edward endlich satt, denn er stand auf und deutete eine Verbeugung vor Henry an. Auf ironische Weise verstand er es stets, seinem Gastgeber dessen höheren sozialen Status vor Augen zu führen, obwohl Henry ihm mehrfach versichert hatte, darauf keinen Wert zu legen.

Edward litt ganz offensichtlich darunter, auf das Wohlwollen der Sheldrakes angewiesen zu sein. Nichts verletzte seinen Stolz mehr als die Gewissheit, ein Schmarotzerdasein auf Morannis Castle zu fristen, und wie um sich selbst zu demütigen, tat er ab und an ein wenig unterwürfig, um diesen Umstand nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Nicht dass Lady Mildred ihm nicht sowieso gern bei jeder Gelegenheit vor Augen führte, wie großzügig Henry und wie unbedeutsam Edward war.

Jedenfalls reichte es nicht, dass Henry wieder und wieder betonte, wie sehr er Edwards Loyalität schätzte, sein Freund wurde langsam bitter, und es würde sich wohl über kurz oder lang ein Ende ihrer gemeinsamen Zeit abzeichnen. Edward wollte eigene Wege beschreiten. Aber dazu musste er diese erst einmal finden.

Nachdenklich blickte Henry ihm hinterher, als er aus dem Raum schlenderte. Wahrscheinlich würde er ausreiten, auf die Jagd gehen oder die Dorfwirtschaft mit einem Besuch beehren. Fast beneidete ihn Henry um diesen Müßiggang. Denn schon nahm er den Schatten seiner Mutter hinter dem Wandteppich wahr, der einen kleinen Zugang zu den Privatgemächern verbarg.

»Ist es wirklich so eilig, Mutter? Ich weiß, dass der Baron bereits angekommen ist, aber er wird doch sicherlich warten können, bis ich mein Morgenmahl beendet habe.«

Mildred trat neben ihn. »Natürlich. Ich hatte vorhin nur nicht den Eindruck, als wärst du besonders hungrig. Lass dir ruhig Zeit. Wenn du so weit bist, erwarten wir dich in meinen Räumen.« Sie verschwand ebenso leise, wie sie gekommen war.

Für ein paar Minuten spielte Henry mit dem Messer, anstatt sich etwas vom Braten abzuschneiden. Er hatte wirklich keinen Appetit. Aber schon um die Machtverhältnisse klarzustellen, würde er sie warten lassen, statt seiner Mutter wie ein Hündchen zu folgen. Seufzend warf er das Messer auf seinen Zinnteller, winkte dem Diener, damit dieser ihm Dünnbier eingoss, und trank das unerfreuliche Gebräu mit wenig Begeisterung.