Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Anne Catherine Marsden hat sich entschieden – für den Mann, den sie liebt und das Leben, das sie führen möchte. Doch dann taucht überraschend ihr Ex-Freund wieder auf sowie ein reicher Investor, der den Inner Circle haben will. Als dann noch eine Leiche hinzukommt, steht die sichere Zukunft, die Anne sich er-träumt, erneut auf dem Spiel. Sie muss auf ihren Scharfsinn und ihren Instinkt vertrau-en, um Freund von Feind zu unterscheiden und keinen Fehler zu machen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 194
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kurzbeschreibung:
Anne Catherine Marsden hat sich entschieden – für den Mann, den sie liebt und das Leben, das sie führen möchte.Doch dann taucht überraschend ihr Ex-Freund wieder auf sowie ein reicher Investor, der den Inner Circle haben will.Als dann noch eine Leiche hinzukommt, steht die sichere Zukunft, die Anne sich er-träumt, erneut auf dem Spiel. Sie muss auf ihren Scharfsinn und ihren Instinkt vertrau-en, um Freund von Feind zu unterscheiden und keinen Fehler zu machen.
Weitere Titel der Autorin bei Edel Elements
Inner Circle - Wie Feuer im RegenInner Circle - Wie Eis und Asche
Sophie Oliver
Inner Circle - Wie Wasser in deiner Hand
Roman
Edel Elements
Edel Elements
Ein Verlag der Edel Germany GmbH
© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg
www.edel.com
Copyright © 2018 by Sophie Oliver
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur.
Covergestaltung: Marie Wölk, Wolkenart.
Lektorat: S. Lasthaus
Korrektorat: Susann Harring
Konvertierung: Datagrafix
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.
ISBN: 978-3-96215-220-8
www.facebook.com/EdelElements/
www.edelelements.de/
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Epilog
Österreich, 2016
Wien im Winter. Kalt, zugig, ungemütlich. So hatte Anne es in Erinnerung, und sie wurde nicht enttäuscht. Bereits bei der Ankunft am Flughafen Schwechat begrüßte sie trübes Wetter, und als sie vor dem Hotel aus dem Taxi stieg, pfiff ihr ein eisiger Wind entgegen, der ihr honigblondes Haar durcheinanderwirbelte und sie schaudern ließ.
»Es ist definitiv kälter als zu Hause«, meinte Jamie mit einem Blick auf den schmutzigen Schneehaufen, den ein Räumfahrzeug um einen Laternenpfahl aufgetürmt hatte.
Er war noch nie in Wien gewesen, deshalb hatte Anne ein Zimmer im Hotel Sacher reserviert, um ihm den Klassiker zu bieten. Wenn es nach ihr ging, würde dies ein einmaliger Abstecher in die Donaumetropole bleiben. Aus dem Fenster ihrer Suite blickten sie direkt auf das Opernhaus. Das Badezimmer war komplett mit Marmor vertäfelt, das Bett geradezu gigantisch und die Stuckverzierungen an der Decke perfekt auf die verspielten Kristalllüster abgestimmt. Jamie nahm einen Apfel aus dem Obstkorb und ließ sich in einen Sessel fallen.
»Das ist wirklich sehr angenehm.« Er seufzte. »Was für eine tolle Idee, mein Schatz! Wirst du mir jetzt verraten, was du für dieses Wochenende geplant hast?«
Anne stand noch immer am Fenster und sah zu, wie ein Fiaker um die Ecke bog. Die Fahrgäste trugen Pelzmäntel, waren in dicke Decken gehüllt. Damals, als sie noch hier gelebt hatte, wäre es undenkbar gewesen, sich eine Fahrt in der Kutsche leisten zu können.
Überhaupt war sie früher nur selten in den ersten Bezirk gekommen. Wozu? Um zu sehen, wie die Reichen in ihren protzigen Autos und teuren Kleidern Geld in den Luxusboutiquen ausgaben? Wie sie in Abendroben, die mehr kosteten als die Miete für ein ganzes Jahr, in die Staatsoper strömten? Sich wunderschöne Musik in wunderschöner Umgebung anhörten, nicht weil sie das zu schätzen wussten, sondern weil sie das nötige Kleingeld dafür hatten?
Gedankenverloren drehte sie sich um und ließ die exklusiven Möbel der Suite auf sich wirken.
Niemals hätte sie es als Jugendliche gewagt, auch nur einen Fuß in das Sacher zu setzen. Es gehörte in einen anderen Kosmos, der nichts mit dem ihren zu tun hatte. Und heute konnte sie es sich, ohne nachzudenken, erlauben, hier abzusteigen. Wie viel hatte sich doch verändert. Und wie viel war gleich geblieben?
Anne hatte nicht vergessen, wie sich das kleine Mädchen aus der schimmeligen Altbauwohnung fühlte, das große Träume hatte, aber keinerlei Chance, sie zu verwirklichen.
Dieses Kind existierte noch immer in einem abgeschiedenen Winkel in ihr. Wenn sie nicht aufpasste, kam es manchmal hervor. Dann konnte sie die Armut wieder schmecken, wie einen bitteren Geschmack auf der Zunge. Und sie musste sich anstrengen, um Frustration und Unsicherheit zurückzudrängen. Meistens mit einem Musikstück, das sie im Geiste spielte, auf das sie sich konzentrierte, bis die Erinnerung an ihr früheres Leben wieder weggesperrt war.
Heute bemühte sie sich jedoch nicht, ihre Gefühle zu kontrollieren. Sie ließ sie einfach zu. Deshalb war sie schließlich hierhergekommen. Es würde ein Ende haben. Keine Lügen mehr.
»Ich werde dir jetzt etwas zeigen, Jamie. Und dir eine Geschichte dazu erzählen. Dann kannst du dir noch einmal überlegen, ob du das Versprechen, das du mir geben willst, wirklich halten möchtest.«
Der Zentralfriedhof war riesig. Anne hatte vorab ein Online-Formular ausgefüllt, um die Lage von Tante Marthas Grab herauszufinden. Gruppe 85, Reihe 9, Nummer 45.
Obwohl ihr ausgedruckter Lageplan ziemlich präzise war, dauerte es eine Weile, bis sie es fand. Wie um den eisigen Temperaturen zu trotzen, stand ein Strauß gelber Teerosen vor dem schlichten Stein. Sobald Anne von Tante Marthas Tod erfahren hatte, hatte sie die Kosten für die Grabpflege übernommen und verfügt, dass dort immer, egal, zu welcher Jahreszeit, ein frischer Strauß ihrer Lieblingsblumen an sie erinnern sollte. Es schnürte ihr die Kehle zu, den Namen ihrer Ziehmutter zu lesen, die Endgültigkeit des Sterbedatums.
Jamie schien ihre Traurigkeit zu spüren. Ohne Fragen zu stellen, nahm er ihre Hand. Dankbar erwiderte sie den Druck seiner Finger.
»Das ist das Grab meiner Mutter«, sagte sie. »Nicht das meiner biologischen Mutter – Gott weiß, in welchem Armengrab sie verscharrt wurde –, sondern das der Frau, die mich liebte, die mir zu essen gab und die mir die Chance auf ein besseres Leben schenkte. Ich habe sie zum letzten Mal mit fünfzehn Jahren gesehen. Damals verließ ich Wien und kam nicht wieder zurück.«
Jamie stieß die Luft aus. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
»Bisher hast du auf alle meine Fragen nach deiner Familie ausweichend geantwortet. Und jetzt ohne Vorwarnung diese Eröffnung, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Außer dass ich schockiert bin.«
»Weil ich aus armen Verhältnissen stamme?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, wofür hältst du mich? Es schockiert mich, dass deine Mutter dich im Stich gelassen hat und du schon mit fünfzehn allein in der Welt zurechtkommen musstest.«
Anne schluckte. »Aber ich hatte diese wundervolle Frau, die für mich da war und mir Liebe schenkte.«
»Es tut mir leid, dass ich sie nicht mehr kennenlernen durfte.«
»Ihr hättet euch gemocht, da bin ich mir sicher.«
»Was ist mit deiner biologischen Mutter passiert?«
Anne zuckte die Schultern. »Wahrscheinlich hat der Alkohol sie umgebracht. Ich war in England im Internat, als sie starb.«
Sie standen eine Weile am Grab, jeder in Gedanken versunken, und Anne spürte, wie aufgewühlt Jamie war.
»Das ist nicht alles«, sagte sie leise. »Komm, ich muss dir noch etwas zeigen.«
Als Nächstes fuhren sie in Annes altes Viertel.
Das Mietshaus sah noch heruntergekommener aus als früher. Im Durchgang zum Hinterhaus roch es nach Kohlsuppe und Urin, und irgendwo brüllte ein Baby.
Niemand hatte den Innenhof geräumt. Der Schnee lag knöcheltief, mit unzähligen Fußspuren darin, die einen Trampelpfad zwischen Vorderhaus und Hinterhaus bildeten.
Zu beiden Seiten des improvisierten Weges befanden sich gelbe Flecken im Schnee, von Hunden, die nicht Gassi geführt, sondern einfach nur kurz nach draußen gelassen wurden.
In der Mitte des Hofes blieb Anne stehen und deutete auf ein paar schmutzige Scheiben weit oben.
»Das war unsere Wohnung. Von innen sah sie genauso schäbig aus wie von außen. Im Winter war es bitterkalt, im Sommer kam man darin um vor Hitze. Meine biologische Mutter hat das nicht gestört. Sie war ohnehin nie da. Wahrscheinlich hielt sie es deswegen auch nicht für nötig, die Gasrechnung zu bezahlen. Oder Essen einzukaufen. Eigentlich lebte sie in der Eckkneipe am Ende der Straße. Das Geld, das sie vom Amt für meine Versorgung erhielt, legte sie dort in Alkohol an.«
Sie ging ein paar Schritte weiter und wies auf einen Balkon im dritten Stock des Hinterhauses.
»Dort wohnte Martha Sedlek. Sie kümmerte sich um mich, wie keine Mutter es besser gekonnt hätte. In ihrer Wohnung war es sauber und warm. Es duftete nach Kernseife, Kaffee und Marmelade. Und im Winter nach Tannenzweigen. Ihr verdanke ich alles. Sie war es auch, die mich das Klavierspielen lehrte. Und nur mit ihrer Hilfe konnte ich Wien verlassen. Lass uns ins Hotel zurückfahren, damit ich dir den Rest meiner Geschichte erzählen kann. Danach reisen wir ab. Solange ich lebe, werde ich nie wieder nach Wien kommen.«
Nachdem sie ins Sacher zurückgekehrt waren, bestellte Anne Tee auf ihr Zimmer. Und etwas Rum, damit der Tee besser wärmte, denn sie waren beide völlig durchgefroren. Der asoziale Häuserblock hatte Jamie schockiert, das hatte Anne ihm deutlich angemerkt. Er hatte mehrfach sein Bedauern darüber ausgedrückt, dass sie dort aufwachsen musste. Für Anne war es wichtig, ihm nicht nur zu zeigen, wo sie gelebt hatte, sie wollte ihm erklären, wer sie gewesen war, bevor sie in England eine zweite Chance erhalten hatte. Nur so würde es für ihn vielleicht möglich sein, sie ein wenig besser zu verstehen, wenn sie ihm den Rest ihres Werdegangs offenbarte. Oder das Gegenteil könnte der Fall sein, doch das musste sie riskieren.
»Wahrscheinlich ist Anne nicht dein richtiger Name, stimmt’s?«, fragte er leise.
»Nein. Ich wurde als Chantal Nowotny geboren. Anne Catherine Marsden ist der Name, den Tante Martha für mich kaufte. Ein Name, mit dem ein sozialer Aufstieg viel leichter möglich war als mit meinem Geburtsnamen. Außerdem war ich ziemlich froh, nicht mehr so heißen zu müssen wie meine Mutter. Nach England bin ich gekommen, weil ich einen Musikwettbewerb gewonnen habe – und damit ein Jahr an einer vornehmen Privatschule, die jemanden wie mich unter normalen Umständen wohl nie aufgenommen hätte. Außer vielleicht, um die Gänge zu schrubben. Es war klar, dass ich mir nach Beendigung des Jahres keinen einzigen weiteren Tag dort würde leisten können. Eine lange Zeit habe ich gedacht, ich müsste zurück in die Hölle fahren. Zu meiner gewalttätigen Alkoholikermutter. Zum Schimmel in unserem Wohnzimmer und zu einer chancenlosen Zukunft.«
Sie nahm einen Schluck von ihrem Tee. Als sie die Tasse zurückstellte, zitterten ihre Finger so sehr, dass sie auf dem Unterteller klirrte.
Jamie wartete, bis Anne sich wieder etwas unter Kontrolle hatte, dann nahm er ihre Hand und hielt sie fest.
»Möchtest du eine Pause machen?«, fragte er liebevoll. »Ich weiß, wie wichtig das hier für dich ist, aber ich sehe auch, wie dich die Sache mitnimmt.«
Anne schüttelte den Kopf. Schließlich fuhr sie fort.
»Lieber wäre ich gestorben, als nach Wien zurückzukehren. Und irgendwie bin ich das wohl, glaube ich.«
Sie blickte ihn an. Das Blau seiner Augen war die schönste Farbe, die sie je gesehen hatte. Keine existierende Schattierung traf den Ton genau. Es sah aus, als würde die Mittagssonne senkrecht auf das Meer scheinen, mit dem Dunkelblau einer großen Tiefe am äußeren Rand und dem Azur einer Lagune in der Mitte. Seine Augen bildeten den perfekten Kontrast zum rabenschwarzen Haar. Einen Moment lang hielt sie seinen Blick, der sich nun sicher verdunkeln würde.
»Im Fördergremium unserer Schule saß ein reicher alter Mann. Er bot mir an, die Semestergebühren für mich zu bezahlen und meine Ausbildung zu finanzieren. Dafür musste ich ihm sexuell zu Willen sein. Bis zu meinem Schulabschluss.«
Eigentlich war dies der Moment, in dem sie Jamie sagen wollte, dass der reiche alte Mann sein Vater gewesen war, der Earl von Breckon. Der Mann, dessen Ableben sie zusammen mit Jamies Mutter auf dem Sterbebett beschleunigt hatte. Aber das war gar nicht nötig. Sie musste keine vollständige Beichte ablegen, um Absolution zu erhalten. Obwohl sie im letzten Moment kniff und keinen Namen nannte, fiel ihr das Durchatmen schlagartig leichter, als hätte man ein schweres Gewicht von ihrem Brustkorb entfernt. Jamie wusste nun, wer sie wirklich war. War es nicht das, worauf es ankam? Wieso sollte sie ihn mit dem Wissen belasten, dass seine Braut und seine Mutter Sterbehilfe geleistet hatten? Wenn Jane Harkdale gut mit ihrer Schuld leben konnte, würde Anne Catherine Marsden das auch schaffen.
Außerdem – niemand gab all seine Geheimnisse preis …
Jamie stand auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. Eine Geste, die sie an ihm liebte. Dann öffnete er die Minibar, nahm ein Fläschchen Whisky heraus und leerte es in einem Zug. Er ging zurück zur Couch und sackte darauf zusammen. Ebenso wie er vorher Anne geduldig zugehört hatte, ohne Fragen zu stellen, schwieg sie nun und wartete ab.
In ihrem Inneren wich die Erleichterung über ihr Geständnis dumpfem Schmerz. Sie musste damit rechnen, dass sie alles verspielt hatte. Jegliche Chance auf eine gemeinsame Zukunft. Aber er hatte die Wahrheit verdient, zumindest ein großes Stück davon, auch wenn sie das Ende für sie beide bedeutete.
»Es tut mir leid«, sagte er nach einer langen Weile.
»Nein, mir tut es leid, Jamie. Ich bereue, was ich getan habe.«
Er hob abwehrend die Hand. »Warte. Es tut mir leid, was dir angetan wurde. Du warst ein Kind und wurdest missbraucht, ausgenutzt, auf widerlichste Art und Weise. Dass du überhaupt Vertrauen zu einem Mann fassen konntest und dich auf eine Beziehung mit mir eingelassen hast, zeugt von großer Stärke. Ich danke dir für deine Offenheit, und du sollst wissen, dass dein Geständnis nichts an meinen Gefühlen für dich geändert hat. Ich möchte dich noch immer heiraten.«
Sie stürzte in seine Arme, und er hielt sie fest, während sie weinte. Lange Zeit unterdrückte Tränen eines kleinen Mädchens, das jetzt nicht mehr mit eingebildeten Musikstücken zurückgedrängt werden musste, sondern endlich verschwinden durfte.
»Allerdings werde ich eine Weile brauchen, bis ich das alles verarbeitet habe«, sagte er leise.
Anne blickte auf. »Natürlich, das verstehe ich.« Sie schmiegte sich erneut an ihn, und er streichelte ihren Rücken.
»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll, Anne. Als du diese Reise gebucht hast, dachte ich, es wird ein netter Ausflug nach Wien. Du zeigst mir, wo du herkommst, wir machen ein wenig Sightseeing, trinken Melange und essen Kuchen. Stattdessen tut sich vor mir ein Abgrund auf.«
Er gab sich sichtlich Mühe, die Fassung nicht zu verlieren, aber sie fühlte, wie rasch sein Herz pochte und wie aufgewühlt er sein musste.
»Wenn du allein sein möchtest …«, begann sie.
»Nein, das will ich nicht.«
»Oder falls du Fragen hast.«
Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht und küsste ihre Stirn. »Die werde ich sicher haben. Mach dir um mich keine Sorgen, ich wurde zwar gerade ein wenig aus der Bahn geworfen, aber ich kann mir vorstellen, dass der heutige Tag für dich wesentlich schwerer war als für mich. Immerhin musstest du alles noch mal durchleben.«
Sie ging ins Bad und zupfte ein Kosmetiktuch aus dem Spender dort. Nachdem sie sich die Nase geputzt und ihre verlaufene Wimperntusche wieder in Ordnung gebracht hatte, kam sie ins Zimmer zurück. Jamie stand am Fenster und sah hinaus.
»Hast du Hunger? Möchtest du etwas essen gehen?«, fragte sie ihn.
Er drehte sich zu ihr um und sah sie an. Seine Augen schimmerten feucht. »Nein«, sagte er und blinzelte kurz. »Momentan bringe ich keinen Bissen hinunter. Aber ein Drink unten an der Hotelbar würde uns beiden bestimmt guttun, was meinst du?«
London
Nicht zum ersten Mal bereute Marc Harper es, alle Möbel aus seinem Stadthaus in Mayfair entfernt zu haben. Wie angenehm wäre es, nach dem langen Flug von Sydney im eigenen Bett schlafen zu können. Stattdessen befand er sich in einer Suite des Metropolitan Hotels am Londoner Berkeley Square, die seine Sekretärin kurzfristig für ihn gebucht hatte. Dort war es durchaus komfortabel, aber er mochte eben keine Hotels.
Er nahm sich vor, das Haus wenigstens wieder so weit einzurichten, dass er es bei seinen Besuchen in der Stadt nutzen konnte. Denn er gedachte, in Zukunft öfter dort abzusteigen.
Es war beinahe schon lächerlich, wie schnell sich Pläne und Meinungen änderten …
Wegen der zahlreichen Drinks in der First Class hatte er hämmernde Kopfschmerzen. Sollte er sich etwas hinlegen oder einfach weiter trinken? Unentschlossen blickte er auf seine Uhr und entschied sich für Zweiteres. Bequemerweise lag die bei den Reichen und Wichtigen gleichermaßen beliebte Met Bar direkt im Erdgeschoss des Hotels, weshalb also in die Ferne schweifen?
Drei Longdrinks später hatte der Alkoholpegel in seinem Blut die Kopfschmerzen verdrängt. Zum ersten Mal seit seiner Ankunft überlegte er, was er eigentlich konkret in London vorhatte.
Anne Catherine Marsden, die Liebe seines Lebens, würde Jamie Harkdale heiraten – einen englischen Adelsspross, dem alles in den Schoß fiel und der Anne sicher eher früher als später mit irgendwelchen Szene-Mäuschen betrügen würde. Leute wie Jamie kannten keine Wertschätzung – nicht für Menschen, nicht für Freundschaften, nicht für Loyalität. Sie nahmen nur und gaben nichts.
Marc verfluchte den Tag, an dem er Anne mitgeteilt hatte, dass er London verlassen und in seine Heimat Australien zurückkehren würde, ohne sie sofort darum zu bitten, ihn zu begleiten.
Sie war seine Freundin gewesen, er hätte sie heiraten sollen, nicht Harkdale! Stattdessen hatte er alles verdorben. Eingeschüchtert von seinem Vater, der sehr bestimmt von ihm verlangt hatte, sich bei der Leitung des familieneigenen Konzerns von nichts und niemandem ablenken zu lassen.
Darüber hinaus waren Marc Jamies Avancen gegenüber Anne übel aufgestoßen – dieser arrogante Mistkerl hatte nicht mal versucht, seine Absichten zu verbergen. Aber darin lag anscheinend das Geheimnis seines Erfolges. Anne hatte Marc nicht einmal mehr die Chance gegeben, seinen Fehler wieder gutzumachen. Im Gegenteil, sie war sofort zu Harkdale übergelaufen.
Was für ein Fiasko!
Wahrscheinlich war sein Vorhaben aussichtslos, aber er musste es wenigstens versuchen. In ihrer gemeinsamen Zeit hatten sie so viele perfekte Augenblicke erlebt und waren so glücklich gewesen, dass er bestimmt noch immer einen Platz in Annes Herz hatte. So wie sie in seinem. Er würde nie wieder eine Frau so lieben wie Anne Marsden. Deshalb musste er sie von einer Ehe mit Jamie abbringen.
Um nicht völlig in der Frustration seiner Eifersucht zu versinken, gab er im Laufe des Abends den Annäherungsversuchen der jungen Dame am Nebentisch nach.
Sie hatte halblanges dunkles Haar, das nach einem unangenehm süßlichen Shampoo roch, und falsche Fingernägel. An ihren Namen konnte er sich später nicht erinnern – hatte er sie danach gefragt? Ihrem Akzent nach stammte sie irgendwo aus Essex, aber das war ihm egal. Überhaupt war sie ihm völlig gleichgültig, er brauchte nur etwas Selbstbestätigung, damit er sich wieder als Mann fühlen konnte.
Wenn Marc zu viel getrunken hatte, fühlte er sich wie ein verlassenes Häufchen Elend. Den Trennungsschmerz spürte er dann besonders hart, ein beängstigendes Gefühl, das schwer zu kontrollieren war.
Da die junge Dame ihn bedrängte, er sie aber nicht mit auf sein Zimmer nehmen wollte, zogen sie sich kurz auf die Damentoilette zurück. In den paar Minuten, die es dauerte, stellte er sich vor, sie wäre Anne. Trotzdem fühlte er sich danach nicht befriedigt, sondern noch miserabler als vorher. Er verabschiedete sich knapp und ging auf seine Suite.
Auch gute Männer wie Marc Harper konnten sich benehmen wie Mistkerle, wenn es ihnen richtig schlecht ging. Nach einigen Kopfschmerztabletten gelang es ihm schließlich einzuschlafen.
Im exklusiven VIP-Bereich des Stamford Bridge Fußballstadions in Fulham dachte Anne an den Hummelflug von Rimskij-Korsakov. Sie wiederholte die ersten dreißig Sekunden in einer geistigen Endlosschleife. Wieder und wieder stellte sie sich vor, wie ihre Hände über die Tastatur des Klaviers flogen. Nur so ertrug sie das Gesicht von Warren Daly, das sich erneut ihrem Ohr näherte. Zweifellos wollte er schon wieder etwas absolut Dämliches von sich geben, und falls sie erneut Interesse heucheln wollte, musste sie sich mit dem Hummelflug ablenken.
Dalys Manager, ein übergewichtiger Endfünfziger namens Shawn Webster, blickte sie entschuldigend an und versuchte vergeblich, seinen Schützling davon abzuhalten, seine Hand auf Annes Po zu legen. Anscheinend war Englands neues Fußball-Wunderkind der Überzeugung, es wäre sein gutes Recht, sie anzufassen.
Sie befanden sich auf einer Charity Party, zu der viele Größen der britischen Fußballwelt geladen waren. So stellte der Verband sicher, während der Winterpause genügend Presse zu bekommen.
»Sag doch einfach deinem Boss, dass ich den Vertrag mit euch unterschreibe, wenn du gleich noch mit auf mein Zimmer kommst«, raunte Daly Anne zu.
Shawn Webster zuckte peinlich berührt zusammen, und in Annes Kopf verstummte der Hummelflug schlagartig. Einerseits fand sie es ekelerregend, von einem kaum der Pubertät entwachsenen Jungen, dessen Ego sicher das Größte an ihm war, derartig angemacht zu werden. Andererseits verwunderte es sie nicht. Das passierte eben, wenn man ungebildeten Wichtigtuern, die wahrscheinlich nicht einmal ihren eigenen Namen buchstabieren konnten, Millionen und Abermillionen dafür bezahlte, einen Ball über eine Wiese zu schubsen. Natürlich hielt er sich für unwiderstehlich, wenn er von leicht bekleideten Mädchen auf Schritt und Tritt verfolgt wurde und Boulevardzeitungen jedes erzielte Tor feierten wie das Erreichen des Weltfriedens. Und nun dachte er, sie wäre irgendeine Sekretärin, die man zu seiner freien Verfügung abgestellt hatte.
In Warren Dalys Universum gab es so etwas wie selbstständige Karrierefrauen anscheinend nicht. Wie sollte er begreifen, dass sie hier war, um mit ihm die Konditionen für seinen Vertrag mit Janus PR auszuhandeln? Und dass sie die Inhaberin von Janus PR war, keine gratis Escortdame?
Seit ihrer Rückkehr aus Wien hatte Anne zahlreiche Meetings absolviert. So viele, dass gemeinsame Zeit mit Jamie knapp geworden war. Annes Unternehmen lief ausgezeichnet. Zu gut beinahe, denn ein Termin jagte mittlerweile den nächsten.
Mit einem milden Lächeln flüsterte sie Warren zu: »Bevor ich mit dir in einem Hotelzimmer verschwinde, würde ich lieber Glassplitter essen. Und wenn du nicht augenblicklich die Hand von meinem Hintern nimmst, werde ich dir derartig zwischen die Beine treten, dass du ab sofort in der Damenmannschaft spielen kannst. Ist das klar?«
Daly zuckte zurück, als ob er sich verbrannt hätte.
»Mr Webster, unser Treffen ist zu Ende. Janus PR steht für Mr Daly nicht zur Verfügung. Wenn ich Ihnen jedoch kostenfrei einen Rat geben darf – bringen Sie dem Jungen wenigstens die grundlegenden Umgangsformen bei. Sollte die Presse erfahren, dass er den Sexualtrieb eines Zuchtkaninchens hat und auch dessen IQ, wird sie ihn schlachten, bevor er ein richtiger Star ist. Für eventuelle Werbeverträge macht es sich gar nicht gut, wenn das große Vorbild der Jugend seine Hose nicht anbehalten kann. Guten Tag.«
Damit drehte sie sich um und ging. Statt zurück in ihr Büro fuhr sie nach Hause, wo sie mit zitternden Fingern die Tür aufschloss und direkt ins Badezimmer lief. Nachdem sie ausgiebig geduscht und ihren ganzen Körper mit einer Sisalbürste abgeschrubbt hatte, bis ihre Haut rot und wund war, fühlte sie Dalys Hand endlich nicht mehr.
Anne wusste, dass dieses Verhalten übertrieben und zwanghaft war, und sie wusste auch, weshalb.
Nichts auf der Welt hasste sie mehr, als wie ein Stück Fleisch behandelt zu werden. Die Narben, die Poffy auf ihrer Seele hinterlassen hatte, würden niemals ganz verschwinden. Aber wenigstens hatte sie sich in der Öffentlichkeit stets unter Kontrolle.
Wie ärgerlich, dass Warren Daly sie derartig aus der Fassung bringen konnte. Janus PR würde keine Sportler mehr vertreten, beschloss sie. Zumindest keine männlichen. Rasch zog sie sich an und machte sich auf den Weg nach Thornhill Hall.
Sie hätte Jamies großzügigen Vorschlag nicht so einfach abtun sollen, dachte sie unterwegs. Was wäre schon dabei, ihr Büro zu schließen und nur noch für den Inner Circle