Die Saat der Ewigkeit - Hanns Kneifel - E-Book

Die Saat der Ewigkeit E-Book

Hanns Kneifel

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Beschreibung

Zwei Romane in einem Band. Die Saat der Ewigkeit Frederick Carrad, Leiter von Terra Historischer Forschung, bekommt mittelalterliche Dokumente zugespielt, die schier Unglaubliches enthüllen: die Menschheit ist nicht auf der Erde entstanden, sondern wurde wie drei andere Völker auf anderen Planeten von einer fremden Spezies vor Jahrtausenden angesiedelt, um für ihre Erschaffer in einem galaxisweiten Krieg zu kämpfen. Carrad leitet ein Team, das im Auftrag der Menschheit nach diesen drei Völkern sucht. Zusammen wollen sie ihre Erschaffer zur Rede stellen und erfahren, wer ihr unbekannter Gegner ist. Dieser Roman erschien 1965 als Terra 392. - Der schwarze Planet Arley Venini ist erfolgreicher Werbefachmann – und Abenteurer mit einem Durst nach neuen Herausforderungen. Durch seine einnehmende Art gelingt es ihm, einem seiner Kunden eine schnelle Raumjacht abzukaufen, um mit ihr eine Reise zu den Sternen zu unternehmen. Begleitet wird er von Dorceen – einer Androidin. Die vollkommene Partnerin und Assistentin, stets an seiner Seite. Sein Ausflug zu den Sternen führt ihn direkt zum schwarzen Planeten, einem künstlichen Himmelskörper, der als Transmitterstation eines galaxisumspannenden Netzwerks dient – und konfrontiert ihn mit dem Überlebenskampf des einzigen Besatzungsmitglieds, das in einer unheilvollen Symbiose lebt … Dieser Roman erschien 1966 als Terra 469.

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HANNS KNEIFEL

Die Saat der Ewigkeit

 

HOPF Autorenkollektion

 

Inhalt

Impressum

Vorwort

Die Saat der Ewigkeit

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Epilog

Der schwarze Planet

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

 

Impressum

 

Originalausgabe Mai 2021

Text © Hanns Kneifel

Copyright © 2021 der E-Book-Ausgabe by Verlag Peter Hopf, Minden

 

Covergestaltung: etage eins, Jörg Jaroschewitz

Covermotiv © SergeyNivens / de.depositphotos.com

Korrektorat: Thomas Knip

 

ISBN ePub 978-3-86305-376-5

 

www.verlag-peter-hopf.com

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.

Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.

 

Der Nachdruck, auch auszugsweise, die Verarbeitung und die Verbreitung des Werkes in jedweder Form, insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf fotomechanischem, digitalem oder sonstigem Weg, sowie die Nutzung im Internet dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages erfolgen.

 

 

Vorwort

 

Raumschiffe. Androiden. Mädchen. Ereignisse von galaktischem Ausmaß – und das eingeleitet durch das ominöse Gespräch zwischen zwei Männern, die bei einem Glas hochprozentigem Alkohol und einer Zigarette zusammensitzen.

 

Es sind die Themen und Szenarien, die uns bereits im dritten Band der HOPF Autorenkollektion begleitet haben, und wir begegnen ihnen auch in diesem Band wieder. Auch er sammelt zwei Romane von Hanns Kneifel aus den frühen 1960er Jahren. Und man merkt, dass die Science-Fiction dieser Zeit eine ganz andere war als ein oder zwei Jahrzehnte später. Wie auch Hanns Kneifel in diesen frühen Jahren noch seinen eigenen Stil erst herausarbeitet.

Allerdings sind auch hier schon die großen Abenteuer zu erkennen, die Raum und Zeit umspannen. Die exotischen Welten und Kulturen, die später zu seinem Markenzeichen werden sollen.

 

Neben diesem wortwörtlichen Makrokosmos der galaktischen Ereignisse steht aber immer auch der Mikrokosmos der persönlichen Beziehung der Protagonisten untereinander im Mittelpunkt der Handlung.

Hanns Kneifel nimmt sich immer wieder die Zeit, die Menschen reflektieren zu lassen. Sich zu fragen, wo sie mit ihrem eigenen Leben und ihren Wünschen eigentlich stehen in dieser futuristischen Welt, der technisch oftmals keine Grenzen gesetzt sind. Und bricht damit auch große, komplexe Themen herunter auf die einfache Frage – die, was uns Menschen eigentlich bewegt. Und was uns definiert.

 

›Die Saat der Ewigkeit‹ von 1965 ist dabei so groß angelegt, dass für diese Fragen oftmals nur zwischen den Zeilen Platz bleibt. Es ist ein Heftroman, wie man ihn heute wohl nicht mehr schreiben würde. Er ist fast schon … zu groß, zu kosmisch, so widerspruchsvoll das für die Science-Fiction auch klingen mag.

›Der schwarze Planet‹ von 1966 hingegen verdichtet sich auf das Wechselspiel der beiden Protagonisten Arley und Dorceen, einem Mann und einer Androidin, in einer ungewöhnlichen Mission.

Wie auch immer … mit beiden Romanen können Sie eindringen in die unergründliche Vielfältigkeit unserer Galaxis – und in die Phantasie von Hanns Kneifel!

 

 

Thomas Knip

Berlin, Terra, anno Domini MMXXI

 

 

HANNS KNEIFEL

Die Saat der Ewigkeit

 

1.

 

Finger tasteten suchend über die Tischplatte. Obwohl es noch nicht Abend war, herrschte Dunkelheit in dem stillen Raum. Die Hand hatte das Kästchen erreicht, klappte den Deckel auf und nahm eine Zigarette heraus. Der Lichtkreis der Feuerzeugflamme beleuchtete einen Ausschnitt oberhalb des Schreibtisches: die Handflächen, die sich schützend um die Flamme gelegt hatten, den Stapel Computerausdrucke auf der Tischplatte und das bronzene Gesicht des Mannes. Ein tiefer Atemzug war zu hören.

Für den Bruchteil einer Sekunde schien draußen das Firmament zerreißen zu wollen. Lautlos spaltete ein Blitz die Dunkelheit der Gewitterwolken; kurz darauf krachte der Donner und erstarb grollend als Echo zwischen Strand und Bergen.

Frederick Carrad zog den Rauch tief in die Lungen und sah aus dem Fenster, das stützenlos um die Wände des Raumes lief. Wieder blitzte es, und ganz kurz schälten sich die vertrauten Bilder aus der Finsternis. Der geschwungene Strand von Saburi Beach, die Wellen des aufgewühlten Meeres und die sturmzerzausten Palmen. Frederick lächelte spöttisch. Noch hatte der Mensch nicht die Kontrolle über die Natur und deren Willkür übernommen, noch stürmte und gewitterte es.

Vor zwanzig Minuten war der Besucher gegangen. Pieter Don Vessac, Carrads ältester und bester Freund, Raketenpilot und Raumschiffer, Flugzeugkonstrukteur … Er hatte sich in rund einem Dutzend verschiedener Berufe versucht. Jetzt flog er die Kuriermaschine von Terra Historischer Forschung. Was hatte er gesagt?

»Das ist nun alles, was du in einundvierzig Jahren deines Lebens erreicht hast, Frederick Carrad. Leiter von Terra Historischer Forschung und Besitzer eines Sportgleiters mit Kunststoffkarosserie. Ist das wirklich alles?«

Und Carrad hatte antworten müssen: »Das ist alles, Pieter. Ich bin offensichtlich nicht dazu geboren worden, ein unruhiges Leben zu führen. Träume ‒ ja. Aber keine Taten. Ich fülle ruhig meinen Posten aus und versuche, zusammen mit SIGMACOM, die Geschichte Terras zu entschleiern und Ergebnisse zu ordnen.«

Don Vessac saß da, die Beine bequem übereinandergeschlagen, eine Zigarette in den Fingern, balancierte ein Whiskyglas auf dem Knie und grinste. Er sah verwegen aus in seiner weißen Kleidung aus synthetischem Leder, den Stiefeln und dem flachen Strahler am Gürtel. Er grinste ausgesprochen impertinent.

»Dein hässliches Grinsen geht mir auf die Nerven, Pieter«, sagte Carrad. »Wenn du schon deinen Whisky nicht ohne Kommentar trinken kannst, versuche wenigstens konstruktive Kritik.«

Pieter Vessac lachte. »Das, mein Freund, wird sich als nicht nötig herausgestellt haben, sobald du dies hier durchgearbeitet hast. Ich bin deswegen vor fünf Minuten auf eurem Miniaturraumhafen gelandet. Ich komme aus Europa, der Wiege der Kultur und manch anderer Dinge.«

Fredericks Gesicht blieb unbewegt wie immer.

»Deine bodenlose Überheblichkeit wird nur noch von der Gabe übertroffen, in Rätseln zu sprechen. Worum geht es hier?«

»Lies selbst«, sagte Vessac. »Ich habe den leisen Verdacht, dass du die längste Zeit einen ruhigen Posten in Saburi Beach innegehabt hast.« Er trank sein Glas leer und schnippte elegant die Zigarettenasche in den Becher.

»Entweder du redest jetzt vernünftig oder zu fliegst raus«, sagte Frederick.

Pieter wurde ernst und beugte sich vor. »Das, was ich dir in groben Umrissen erzähle«, sagte Pieter Don Vessac akzentuiert, »ist geheim. Es ist so geheim, dass meine Kurierrakete von zwei Robot-Jägern begleitet wurde, vom Start bis zur Landung. Sie hatten den Befehl, jede Maschine, die sich bis auf einen halben Kilometer nähert, anzugreifen. Ist das genug?«

Frederick blickte interessiert auf. »Du findest augenblicklich keinen aufmerksameren Zuhörer«, sagte er. »Bitte weiter.«

»Wenn das auf deinem Schreibtisch den Vermutungen entspricht, die man allerorts hegt, dann leitet es nichts weniger als eine neue Phase der menschlichen Entwicklung ein.«

»Der menschlichen Entwicklung?«, fragte Frederick. Er verlor etwas von seiner Selbstbeherrschung.

»Ja.«

Beide Männer schwiegen etwa eine Minute, dann sprach Vessac weiter.

»Die Menschheit wird erfahren, dass sie weder durch einen göttlichen Schöpfungsakt noch durch gewisse Gesetzmäßigkeiten der Natur entstanden ist.«

»Sondern?«, fragte Frederick gedehnt.

»Durch Aussaat!«, sagte Pieter Don Vessac hart.

Die Möglichkeit, dass diese These richtig sein könnte, warf ein sechstausend Jahre altes Weltbild um, das durch zahllose Fakten bewiesen zu sein schien.

»Die Vorgeschichte!«, verlangte Frederick zu wissen.

Bedächtig drückte Vessac seine Zigarette aus und blickte aus dem Fenster. Der Himmel wurde immer dunkler.

»Als ich heute Nachmittag startete, um hierherzufliegen, hatte dies ziemlich symbolische Bedeutung. Einer unserer Agenten war anwesend, als man in Europa ein verschollen geglaubtes Klosterarchiv öffnete.«

»Du sagtest: Klosterarchiv?«, fragte Frederick.

»Richtig gehört. Eine Riesensammlung alter Folianten in lateinischer Sprache. Teilweise werden die Blätter, wenn du erst einmal die Originale hier hast, durch Spezialverfahren leserlich gemacht werden müssen. Teilweise wirst du sie noch entziffern können. Ich habe alles kopiert und hierhergeflogen. Alles liegt vor dir auf dem Schreibtisch.«

Pieters Zeigefinger wies auf den Haufen von Kopien, die vor Frederick lagen; ein Stoß von rund fünfzehn Zentimetern Höhe.

»Es sind eine Menge Abrechnungen über die wirtschaftliche Leitung des Klosters, einige liturgische Werke, abgeschriebene und kommentierte Klassiker und die Klosterchronik. Die Chronik selbst ist am besten erhalten. Du wirst es gleich selbst sehen«, fuhr Don Vessac fort. »Wir kopierten jedes Blatt. Es wird für euch Historiker und für SIGMACOM eine helle Freude sein, in den Aufzeichnungen zu lesen. Die damaligen Schreiber arbeiteten mit geradezu wissenschaftlicher Akribie.«

Ruhig beobachtete Frederick Carrad die Veränderung, die mit Pieter vor sich ging. Die Freunde kannten sich seit fünfzehn Jahren. Jedes Mal staunte Frederick wieder, wie sehr sich Pieter für eine Sache einsetzen konnte. Aus dem eleganten, lässigen Piloten wurde ein Fanatiker der Sache, der mit knappen Gesten seine Ausführungen unterstrich und jede Ironie fallen gelassen hatte.

»In der Chronik stand zu lesen, dass ein ketzerischer Mitbruder von einem plötzlichen Kugelblitz erschlagen worden ist. Einer der Mönche, der mit wissenschaftlicher Arbeit beschäftigt war, wurde mitten im Refektorium getötet.«

»Das ist alles noch ziemlich dunkel«, sagte Frederick, und kein Muskel rührte sich in seinem Gesicht. »Vermutlich wird meine Geschichtsabteilung Arbeit bekommen.«

»Kaum«, sagte Pieter knapp, »das wirst du ganz allein bearbeiten, zusammen mit SIGMACOM ‒ und einem Kode, den außer dir niemand kennt. Wir sind einer Sache auf der Spur, die wie eine Bombe einschlagen würde. Nichts darf aus diesen Mauern herausgetragen werden.«

»Gut«, sagte Frederick. »Ich werde sehen.«

»Zunächst werdet ihr die Übersetzung aus dem Kirchenlatein machen müssen«, sagte Pieter weiter. Er sprach jetzt schneller, eindringlicher. »Dieser Klosterschreiber war seiner Zeit um viertausend Jahre voraus. Er und seine Ideen hätten heute leben können. Er stellte eine Theorie auf, die alles in den Schatten stellt, was du oder ich je über Schöpfungsgeschichte gehört haben.«

Frederick schob das Kästchen mit den Zigaretten über den Tisch und Pieter bediente sich.

»Dieser Mönch wäre mit Schimpf aus der Bruderschaft verstoßen worden, wenn das, was er schrieb, vor seinem gewaltsamen Tod bekannt geworden wäre. Der Abt hätte ihn exkommuniziert und verdammt. Der Chronist aber hat gewissenhaft berichtet, welche Gedanken schriftlich niedergelegt wurden. Hier folgt ein Auszug aus der ketzerischen Schrift. Darin erklärte der bewusste Bruder Folgendes: Er habe erfahren, dass die Rasse der Menschen nicht göttlichen Ursprungs sei. Ein anderes Volk sei in großen Booten auf der Erde gelandet und habe die Menschheit ausgesät. Der einzige Zweck war aber, Sklaven zu züchten.«

»Bis jetzt sind die Gedanken nicht neu«, warf Frederick ein.

»Nein«, erwiderte Pieter Don Vessac, »aber nun kommt das Wesentliche. Die andere Rasse sei viel älter als alles, was man sich vorstellen könne, schrieb der getötete Mönch. Sie sei nicht nur auf der Erde gelandet, sondern auch auf drei anderen Welten. Der Mönch wusste sogar, welche Sternbilder dafür infrage kämen. Er zeichnete einige Konstellationen auf, und der Chronist zeichnete sie exakt ab, wie er ausdrücklich selbst dazu bemerkte.«

»Das klingt allerdings unglaublich«, meinte Frederick nachdenklich. »Und das alles stammt aus dem europäischen Mittelalter?«

»Die letzte Jahreszahl ist mit Anno Domini elfhunderteinundfünfzig angegeben.«

»Also das Jahr«, warf Frederick ein, »in dem Hildegard von Bingen Liber Scivias schrieb!«

»Was ist das?«

»Eine Mischung aus apokalyptischen Visionen, Bußpredigten und prophetischen Geschichten«, führte Frederick aus. »Seltsam!«

Schweigend nickte Pieter. »Der Chronist fährt fort«, sagte er. »Nachdem sein Bruder die Plätze genannt hatte, nannte er auch drei Namen ‒ diejenigen der anderen Welten: Kelaher, Dodoyna, Norcai. Die vier Planetenvölker sollten aufwachsen, sich gegen Umwelt und Naturgewalten durchsetzen und sich eines Tages treffen. Das sei die Zeit der Reife und der Ernte. Dann werden sie entdecken, dass ein Gebiet der ›himmlischen Sphären‹ von Fremden besetzt ist. Diese Fremden sollen vertrieben werden, wie es der Wille jener uralten Säer sei. Dann haben die vier Völker ihren Daseinszweck erfüllt und werden belohnt. Das und nichts anderes steht in den Blättern der Chronik, die mir auffielen.«

Frederick schwieg und blickte seinem Freund ins Gesicht.

»Und was sagst du als normaler Sterblicher dazu?«

»Noch nichts. Ich werde die Analysen abwarten müssen. Ich gehöre zum Kreis der Eingeweihten, der sieben Personen umfasst. Mehr dürfen es nicht werden. Es kann reine Fantasie sein, aber es kann auch hundertprozentig stimmen. Mich würden, wie vermutlich jeden von uns, die Quellen interessieren, aus denen der Mönch sein Wissen bezog.«

»Mich auch«, sagte Frederick. »Ich werde in den nächsten Tagen diese Quellen entdecken. Und es wird sich herausstellen, ob dieser Mann fantasiert oder die Wahrheit gesagt hat. Sollte es die Wahrheit sein …«

»Woran ich persönlich stark glaube«, warf Pieter ein und stand auf.

»… dann wird SIGMACOM eine Analyse machen. Diese Analyse ist entscheidend. Wenn das alles stimmen sollte, dann hat Terra seine gesamte extraplanetare Kolonisation mitten im Lager der Feinde betrieben. Das ist Sprengstoff für unsere Welt.«

Pieter lachte grimmig. »Besonders für die Welt im Stadium der augenblicklichen Desinteressiertheit. Und du stehst an der Spitze einer Gruppe, die dieses Wissen mit sich herumtragen wird. Es scheint, wie ich bereits erwähnte, mit deinem ruhigen Forscherleben zu Ende zu gehen.«

»Es scheint«, sagte Frederick gelassen. »Noch ist nichts entschieden. Du willst gehen?«

»Ich muss«, sagte Pieter und zog sich den linken Handschuh an. Der weiße Pilotenhelm saß bereits auf dem fast kahlen Kopf des Kuriers. »Ich muss, weil ich sonst mitten in das Gewitter hinein starte. Und das ist nicht sehr angenehm.«

»Gut«, sagte Frederick. »Du meldest dich wieder?«

»Davon kannst du überzeugt sein«, sagte Pieter, drückte Frederick die Hand und verließ den Raum. »Bis bald«, rief er von der Tür her.

Drei Minuten später brüllten die Triebwerke der Kurierrakete los. Don Vessac startete und befand sich Sekunden später über der schwarzen Gewitterwolke.

Seit diesem Zeitpunkt saß Frederick Carrad lautlos an seinem Schreibtisch und wartete darauf, dass der Blitz eine der schwankenden Palmen spalten würde. Jetzt tobte das Gewitter direkt über Terra Historischer Forschung am Strand von Saburi.

Blitze zuckten um die Glaskuppel, unter der sich niemand außer dem Wachrobot aufhielt. Der Donner krachte, der Regen schlug fast waagrecht gegen die Scheiben, riss den sorgfältig gefegten Sand auf, tränkte die Erde und verwandelte den Dschungel, der zweihundert Meter hinter den Forschungsgebäuden begann, in eine triefende Wildnis.

Frederick Carrad überlegte schweigend. Die Zigarette verglühte am Rand des Aschenbechers. Der Raum war immer noch dunkel. Unmerklich langsam wanderte die Gewitterwolke ostwärts. Der Regen ergoss sich über die Berghänge; die aufgeregten Wogen glätteten sich wieder. Kanus waren von der Brandung weit den Strand hinaufgeworfen worden und lagen jetzt da wie halbe Kokosnüsse. Zwischen der Kimm und der Wolke bildete sich ein strahlender Streifen. Die Sonne kam wieder hervor. Gleichzeitig entstand im Osten ein Regenbogen. Er leuchtete in den Spektralfarben und schien dem Gestirn die letzte Kraft zu rauben. Wie eine riesige Orange senkte sich die Sonnenscheibe hinter den Horizont.

Natürlich hatte Pieter Don Vessac recht gehabt ‒ wie fast immer. Das Problem, mit dem sich Carrad herumschlug, war rund zwanzig Jahre alt. Frederick hatte bisher ein Leben gelebt, das erfolgreich war, aber ohne Abwechslung. Er war Leiter von Terra Historischer Forschung. Er hatte viele Dinge dieses Lebens kennengelernt, aber nur kurz. Und er hatte jedes Mal festgestellt, dass andere Männer für dieses Gebiet besser geeignet waren.

Frederick war kein Abenteurer, aber er besaß die Fantasie eines solchen. Es schien, als habe sich eine gewaltige Aufgabe versteckt und wartete darauf, dass er sie in die Hände nahm.

Die Sterne? Seit zwanzig Jahren träumte Frederick davon. Die Historiker, die Anthropologen und die Ethnologen, sie waren Abenteurer. Und so war Frederick die Leiter des sozialen Erfolges hinaufgestiegen bis zu dieser Stellung. Jetzt saß er hier und dachte nach. Und sah zu, wie sich der Himmel wieder klärte.

Ein Knopfdruck. Zuerst gingen die Fenster auf und ließen die kühle Luft des afrikanischen Strandes in das Büro. Dann verwandelte sich die Scheibe des Pultmonitors in einen Spiegel. Frederick sah mit unbewegtem Gesicht hinein. Ein Mann von einundvierzig Jahren blickte zurück; ein schmales, bronzenes Gesicht mit kurzem, weißem Haar. Dunkle Augen blickten kühl und abwägend drein. Eine Narbe verlief vom Ohr bis zum Kinn.

Frederick begann zu lachen. Es war ein offenes Lachen, das etwas von der Ausgeglichenheit seiner Persönlichkeit zeigte. Die Finger bewegten sich und drückten einen anderen Knopf. Das Gesicht eines Roboters bildete sich auf dem Schirm aus. Die grünen Augen der Maschine sahen Frederick an.

»Ich brauche eine Kanne Kaffee, eine Schachtel Zigaretten und Ruhe. Heute und morgen bin ich für niemanden zu sprechen ‒ ausgenommen Kerstin Randel. Verstanden?«

»Selbstverständlich. Einen Moment bitte!«, erwiderte die Maschine.

Es dauerte vier Minuten, bis das Gewünschte auf der Tischplatte stand. Frederick nickte und sagte: »Die nächsten beiden Tage ist SIGMACOM für jeden anderen Auftrag gesperrt. Ich brauche die Maschine für mich allein.«

»Entsprechende Direktiven werden morgen früh ergehen«, antwortete der Robot.

»Gut«, sagte Frederick, »du kannst gehen.«

Das Büro war gleichzeitig Labor und Endstück von SIGMACOM. Hier standen die Bildtische, auf denen die Maschine lesen konnte, Kartensprecher, Korrespondenzlautsprecher und Mikrofone, Schreibapparaturen und die farbigen Schnellkopiergeräte. Die Maschine konnte hier empfangen und senden ‒ und das auf umfangreiche und komplizierte Art. Es gab nur acht andere Typen dieser Größe; eine Maschine stand in der Raumüberwachung, eine weitere befehligte das Kommunikationsnetz des Schiffsfunks und die anderen standen auf fremden Planeten.

Frederick goss eine Tasse voll, rührte Zucker und Milch hinein und zündete eine Zigarette an. Dann schaltete er die Lampen ein; eine über dem Schreibtisch und eine andere vor der Maschine. Er legte die Füße auf den Tisch und nahm sich die Klosterchronik auf den Schoß. Dann begann er zu lesen.

 

2.

 

Halb elf Uhr nachts. Frederick Carrad saß zwischen den Aufnahmetischen von SIGMACOM und schwitzte. Zuerst hatte er der Maschine befohlen, diejenigen Speicher zu aktivieren, die europäisches Mittelalter gespeichert hatten. Dann wurde die Übersetzungsabteilung eingeschaltet. Frederick hatte seit zwei Stunden nichts anderes getan, als Blatt für Blatt die Kopien der handgeschriebenen Klosterchronik vorzulegen.

SIGMACOM nahm den Inhalt der Blätter auf, übersetzte den Text, der vor viereinhalbtausend Jahren geschrieben worden war, und druckte ihn auf Bögen, die sich an einer anderen Stelle stapelten. Dann begann Frederick die Unterhaltung mit dem Computer.

»Du hast den Inhalt der Klosterchronik aufgenommen und übersetzt. Ist die Analysemechanik eingeblendet?«

»Sie läuft bereits«, sagte SIGMACOM lebhaft. Seine Stimme besaß große Modulationsfähigkeiten.

»Vergleichend mit den vorangegangenen Analysen ‒ ist dieser Text gefälscht oder zu der angegebenen Zeit geschrieben worden?«

»Der Text der Chronik ist authentisch. Er wurde im Jahre elfhundertfünfzig geschrieben. Die Handschrift ist die des Schreibers, der dieses Amt zehn Jahre lang innehatte.«

Frederick wartete, dann fragte er: »Es ist die Rede von einem Kugelblitz, der einen Mönch tötete. Was ist davon zu halten?«

»Mit hoher Wahrscheinlichkeit«, sagte die Maschine, machte eine kurze Pause und fuhr dann fort, »ist es kein Blitz gewesen. Die Wahrscheinlichkeit beträgt achtundneunzig Prozent für einen Schuss aus einer damals unbekannten Waffe. Etwa ein Strahler oder ein Detonator!«

»Wie fandest du diesen Fakt heraus?«, fragte Frederick atemlos.

»Durch Analyse. Die fehlende Erwähnung eines Gewitters und die Unmöglichkeit, durch die Gewölbe durchzudringen. Ein Blitz hätte, wenn er explodiert wäre, Schäden angerichtet. Der Schuss zertrümmerte jedoch nur eine der winzigen Scheiben ‒ das wurde erwähnt.«

»Analyse!«, verlangte Frederick Carrad.

»Die Chronik ist echt. Papieranalyse unmöglich, da nur Kopien zur Verfügung stehen. Sicher ist, dass der Mönch von einer unbekannten Macht oder deren Vertreter beseitigt worden ist, weil seine Vermutungen richtig waren. Wahrscheinlichkeit für diesen gesamten Komplex ist achtundneunzigkommafünf.«

»Verstanden«, sagte Frederick. »Nun weiter. Die Konstellationen sind bekannt. Berechne unter Berücksichtigung der verflossenen Zeitabstände die heutige Stellung der Sternbilder. Gib, soweit bekannt, die Daten der betreffenden Sonnen an. Versuche, die Möglichkeit herauszufinden, ob diese Sonnen Planeten haben, wenn ja, wie viele. Rechne!«

Eine Viertelstunde lang war nichts anderes zu hören als wispernde Geräusche. SIGMACOM arbeitete auf Hochtouren. Frederick trank eine weitere Tasse Kaffee, lockerte sein Halstuch und sah zu, wie die Kontrollen des Pultes aufleuchteten und erloschen. Dann hörte das Wispern auf.

»Fertig?«, fragte der Mann.

»Jawohl«, gab die Maschine zur Antwort. »Nördlicher Sternhimmel. Sternbilder sind: Dreieck oder Triangulum, Perseus und Draco, der Drache. Die eingezeichneten Sonnen sind innerhalb der Galaxis, der auch unsere Sonne angehört. Der erste Stern ist die Sonne Heintz VII Trianguli. Der zweite ist Perseus Tuson II und der dritte Colemans Sonne im Drachen. Noch keine dieser Sonnen ist von terranischen Kolonisatoren angeflogen worden. Von Heintz und Tuson kennt man je drei Planeten. Die Daten des dritten Systems sind unbekannt. Die Koordinaten aller drei Sonnen befinden sich in den Handbüchern der Raumfahrt. Soll ich eine Internverbindung mit SIGMACOM II Space Control herstellen und die Daten erfragen?«

»Nicht nötig. Die Namen der Planeten …«, flüsterte Frederick aufgeregt. Auf seiner Stirn standen Schweißtropfen, seine Finger zitterten leicht. Ungeheure Perspektiven taten sich durch diese Auskünfte auf. Unabsehbare Konsequenzen erwuchsen.

Der Computer führte aus: »Kelaher. Mit rund achtzigprozentiger Sicherheit stammt dieses Wort aus dem Sprachschatz der Völker, die in der Richtung des Triangels entdeckt worden sind. Ebensolche Sicherheit ist vorhanden bei Norcai. Dieses Wort dürfte den Stamm Nor haben, Norday, Norbay und Norcay, das sind Begriffe aus der Mythologie der Perseiden. Dodoyna ‒ kenne ich nicht. Ich bin für vergangene Geschichte programmiert worden, nicht für extraterrestrische. Vermutlich ist dies ein Begriff aus einer Welt, die in der Richtung des Drachen liegt, vorausgesetzt eine gewisse Ausbreitung der betreffenden Rassen.«

»Das heißt also …«, begann Frederick. »Nein ‒ fasse zusammen!«

Wieder fing der riesige Computer an, zu wispern und zu arbeiten. Milliarden einzelner Chips korrespondierten miteinander, verglichen ihre Informationen, stimmten die winzigen Steinchen eines gigantischen Mosaiks aufeinander ab und kamen dann zu einem Entschluss. Das Mosaik war fertig.

»Schreibe die Ergebnisse auf. Nicht länger als eine Seite Normbogen!«, verlangte Frederick Carrad. Er schob seinen Stuhl dort hinüber, wo die Lichtschreibanlage zu ticken begann.

Die einzelnen Buchstabenblocks, bereits zu Wörtern zusammengestellt, pressten sich auf den Spezialkunststoff. Die Maschine benötigte hundertfünfzig Sekunden, um ein Blatt vollzuschreiben. Die Kontrollfarben erloschen.

»Fertig!«, verkündete die Stimme SIGMACOMS.

Frederick Carrad nahm das Blatt aus der Halterung und begann zu lesen:

›Vorbehaltlich einer bestätigenden Analyse bei Verwendung des authentischen Originalmaterials kann SIGMACOM folgende Behauptungen beweisen:

Die Handschrift ist echt. Personen und Daten von Chronist und Konfrater sind richtig und nachweisbar. Diktion und Verwendung der entsprechenden Vokabeln, Wendungen und Charakteristika der lateinischen Sprache im Kulturkreis des europäischen Mittelalters sind richtig und nachweisbar. Zur Sache:

Der Mönch hatte keine Visionen, sondern bezog seine Vermutungen aus aufgefundenen Resten eines Raumschiffs, aus Fragmenten oder der persönlichen Begegnung mit einer Kontrollperson dieser fremden Rasse.

Seine eigenen Motivationen sind dürftig, aber die Kühnheit der Gedanken ‒ gemessen am Weltbild der damaligen Zeit ‒ lässt den Schluss zu, dass er anhand von authentischem Material arbeitete. Ich vermute schriftliche Aufzeichnungen oder Bilder, die überdauert haben ‒ oder zu früh aufgefunden worden sind.

Der Mönch wurde beseitigt, weil die Zeit für dieses Wissen noch nicht reif war. Heute ist sie gegeben, da mindestens die Erde das Prinzip des Sternenfluges kennt. Kugelblitz oder natürliche Einwirkungen scheiden aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass suchende Raumschiffe auf nachstehend aufgeführten Planeten Leben finden, ist sechsundachtzig zu vierzehn.‹

Hier folgten Daten der drei Planeten und ihrer Sonnen.

›Alle Koordinaten sind in den entsprechenden Handbüchern festgelegt. Kelaher, Dodoyna und Norcai sind Idiome aus Sprachen, die teilweise aufgenommen und analysiert wurden. Vermutlich trafen die Schiffe auf Planeten, die Raumfahrt nicht mehr beherrschten. Über die Folgen für den irdischen Kulturkreis ergehen gesonderte Prognosen.‹

»Das befürchte ich«, sagte Frederick. Es war zwei Uhr nachts. Die Augen des Mannes tränten. Er wandte sich zum Mikrofon.

»Über das geführte Gespräch ergeht Kode Rot Eins. Niemand außer mir darf sich mit dir über alle diese Fakten unterhalten, Auskünfte verlangen, Analysen machen oder Fakten verlangen. Sollte ich verunglücken, darfst du dein Wissen weitergeben, aber nur dann, wenn der Kurier Don Vessac anwesend ist. Auch über seine Identifikation wird Kode Rot Eins verhängt. Verstanden?«

»Vollständig!«, antwortete der SIGMACOM-Terminal.

»Wiederhole«, sagte Frederick. Das Gehirn tat es und schwieg dann.

»Ich werde morgen ziemlich spät wiederkommen. Du bleibst eingeschaltet und wartest darauf, dass der Kurier das Originalmaterial bringt. Dann wird die zweite Analyse erfolgen.«

»Jawohl!«, sagte die Maschine, löschte ein Drittel ihrer Kontrolllichter und zog sich von den Terminals zurück, indem sie die entsprechenden Verbindungen löste.

Frederick schaltete die Lampe über dem Pult aus und fuhr seinen Sessel zur Seite. Dann nahm er alles Material mit Ausnahme des Bogens mit der schriftlichen Analyse und legte es in ein Fach des Panzerschranks.

Die Kennziffern wurden eingestellt, ein Elektromotor schwang die Stahltür zurück und verriegelte sie, bis Frederick die Öffnungsformel tippen würde.

Dann verließ Frederick Carrad das Büro und trat auf den Korridor. Breite Lichtbänder sprangen klickend an und tauchten Korridor und Glaskuppel in helles Licht. Frederick strich über den Kontakt und wartete, bis sich die Stahltür geschlossen hatte. Drei Quadratmeter Stahl, mit dunklem Holz furniert, schoben sich geräuschlos in die Lager zurück.

Müde bewegte sich Carrad durch die Glaskuppel. Drei Uhr nachts. Die Augen des Wachroboters glühten grün; sie erkannten Frederick Carrad. Im Mittelfinger der rechten Hand war eine Sonde einoperiert worden. Sie öffnete diamagnetische Säume und Strahlensperren, Wohnungstüren, Schränke oder Koffer. Jeder Einwohner der Erde hatte sein individuelles Muster.

»Sie können passieren, Frederick Carrad«, sagte der Robot höflich und ließ das Strahlengitter zusammenfallen. Carrad durchschritt die tödliche Sperre und gelangte ins Freie.

Bleiches Mondlicht beleuchtete Saburi Beach. Eine unberührte Landschaft an der Westküste des großen Kontinents. Zwischen dem Bogen des Strandes aus weißem Sand und dem Dschungel, der sich an den Hängen des Bergmassivs ausbreitete, war Terra Historischer Forschung gebaut worden. Von der halbkugeligen Glaskuppel gingen in rechten Winkeln die Bungalows weg, die Büros, Labors und Werkstätten enthielten. Dahinter erhob sich der monolithische Block des Schwarzen Felsens.

Carrad strebte dem Parkplatz zu, der nur zweihundert Meter von dem kombinierten Raum- und Flughafen entfernt war. Nur sein weißer Sportwagen stand darauf. Die anderen Angestellten benutzten keine Automobile mehr, es war ein Sport für Individualisten geworden, seitdem es Transportbänder und Flashkabinen gab.

Der Motor brummte auf. Hundert Pferdestärken zogen den Wagen in die geschwungene Kurve, die auf die Uferstraße hinausführte. Frederick bog ein, schaltete den nächsthöheren Gang ein und raste los. Fast jeden Tag versuchte er, seinen eigenen Rekord einzustellen. Eine Uhr tickte am Armaturenbrett. Vier Scheinwerferstrahlen fraßen sich in das Dunkel oberhalb des hellen Bandes der Straße. Die Räder kreischten in den Kurven.

Zwanzig Minuten benötigte Carrad, bis er vor dem Hochhaus stand. Der Wagen wurde geparkt, und Frederick fuhr hinauf in seine Wohnung im fünfundachtzigsten Stock. Minuten später schlief er.

 

*

Fünf Tage später zerbrach lautlos ein Weltbild, denn nur sieben Menschen wussten, worum es ging. Aber es zerbrach nachhaltig.

Vier Tage lang arbeitete SIGMACOM auf Hochtouren.

Das Gehirn sondierte pausenlos Material, das Vessac herangeflogen hatte. Die verstaubten und stockfleckigen Folianten des Klosters wurden Seite für Seite präpariert und dem Gehirn zur Lektüre vorgelegt. Inzwischen war die Gegend des Klosters abgesperrt worden. Dreihundert Archäologierobots siebten jeden Kubikzentimeter des Bodens. Und der erstaunliche, unerwartete Zufall trat ein.

Man fand es.

›Es‹ war vermodert und halb verrostet. Aber der Qualitätsstahl, der das Innere geschützt hatte, war mit Kunststoff verstärkt. Dieser Kunststoff hatte Feuchtigkeit, Nässe, Bodenbakterien und Tiere abgehalten. Die Robots stellten ihre Arbeit ein, die Restauratoren gingen an die Arbeit. Die unerschöpflichen Geldmittel, die Terra für Forschung und Wissenschaft ausgab, ließen den Bau des romanischen Klosters wieder auferstehen.

Die Rekonstruktion gelang völlig. Vergleichende Synthesen aus noch vorhandenen Relikten ‒ Wandmalereien, Deckenzierrat, Schmuck und Bautechnik ‒ mit der Beschreibung der Klosterchronik ließen das Kloster wieder im Urzustand entstehen. Nach zwanzig Monaten Bauzeit würden die Besucher staunend vor dem Meisterwerk stehen und nicht ahnen, dass hier die Geburtsstunde einer neuen Idee geschlagen hatte.

Einer Idee, die einige Kilometer wissenschaftlicher Literatur und tausend Jahre der Forschung als vergebliche Mühe auswies. Die Menschheit hatte sich nicht entwickelt, sondern sie war durch Aussaat entstanden. Das stand fest.

›Es‹ war nichts anderes als ein Auftrag, den ein Raumschiff vor einigen tausend mal tausend Jahren erhalten hatte. Niemand konnte mehr feststellen, wie dieser Auftrag in die Hände des Mönches gelangt war und wer ihn verloren hatte ‒ wo und wann.

»Mich friert, wenn ich daran denke, was hier geschrieben steht. Und ich zittere, wenn ich an die Konsequenzen denke«, sagte Frederick zu der Chefsemantikerin von Terra Historischer Forschung. Kerstin Randel saß neben ihm und Pieter Don Vessac.

»Ich kann mir nur denken, dass der Pilot des Raumschiffs, das vor einer Million Jahre auf Terra landete, dieses Dokument verlor. Vermutlich hat er es nicht vermisst ‒ das bedeutet, dass der Auftrag erledigt war. Die Erde war der letzte Planet, der mit Saatgut versehen worden ist. Ich kenne das aus eigener Erfahrung. Ich pflegte nach durchgeführtem Auftrag die Schiffsführung meinem Ersten Offizier anzuvertrauen und mich in stille Betrachtung zu versenken«, sagte Pieter und musterte Kerstin eingehend. Das Mädchen war achtundzwanzig Jahre alt und trug ganz kurz geschnittenes Haar. Sie war blond und schlank. »Sadoveana«, sagte Frederick. »Norcai ‒ Kelaher ‒ Dodoyna«, murmelte Pieter. »Was nun?«

»Schweigen oder alles hinausschreien?«, fragte Kerstin leise.

»Erst einmal überlegen«, sagte Frederick fest und bot Zigaretten an. Auf ihren Schultern lag bis jetzt die Last dieser Erkenntnis. In dem Moment, da die Öffentlichkeit davon erfuhr, waren sie zwar der Verantwortung ledig, aber wahrscheinlich bekam die Raumgarde die Sache in die Hände. Und Militär war hier besser nicht einzuschalten.

»Wir erpressen El Safi Ali Ismail!«, schlug Pieter trocken vor. Frederick sah auf und begegnete dem keineswegs spöttischen Blick des Kuriers. Frederick lächelte knapp.

»Stellen wir uns Folgendes vor!«, begann Carrad. »Diese Raumfahrer von Sadoveana haben also die Bevölkerung von drei Planeten und der Erde geschaffen oder mitgeschaffen. Terra, Norcai, Kelaher und Dodoyna. Diese vier rassischen Typen gleichen sich bis auf unbedeutende Einzelheiten. Nach der Planung, deine Abteilung hat zusammen mit SIGMACOMs Semantikblöcken hervorragende Dechiffrierarbeit geleistet, sollen sie auch untereinander fortpflanzungsfähig sein!«

Kerstin nickte, und Pieter grinste wieder.

»Das eröffnet, sobald es bekannt ist, der Fremdenverkehrsindustrie ungeahnte Perspektiven.«

Frederick winkte ab. »Du hast recht, aber das ist nicht wesentlich«, sagte er.

»Das meinst du«, erwiderte Pieter nüchtern.

»Wenn sich diese vier Typen treffen, und das setzt voraus, dass mindestens eine davon den Finalantrieb beherrscht, werden sie feststellen, dass die Galaxis von Fremden besiedelt wird. Von Fremden, die viertausend Jahre Zeit hatten, ihre Planeten und Kolonien zu befestigen. Diese Fremden sollen vertrieben werden, wobei sich heute die Frage erhebt: Sollen sie tatsächlich vertrieben werden?«

»Das werden wir an Ort und Stelle feststellen«, sagte Pieter grimmig. »Ich sehe mich bereits als Raumadmiral der Vereinigten Truppen. Imposant!«

»Dir fehlt jeder wissenschaftliche Ernst«, sagte Frederick und lachte, während er sich Pieter als Raumadmiral vorstellte.

»Sinnlos, über diese Dinge zu debattieren«, meinte Kerstin unwillig. »Unterhalten wir uns lieber darüber, wie wir die anderen drei Rassen treffen.«

»Ich schlage ein Raumschiff vor«, sagte Pieter lakonisch.

»Sie sind sehr originell«, meinte Kerstin lächelnd zu dem Kurier.