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»Ghentilhom Morgaden!« Hawkcarn feuerte eine Handbreit vor Shardas Stiefelspitzen in den aufglühenden Sand. Sharda zuckte nicht einmal zusammen; er schwankte. »Ich hab das Geheimnis des Planeten herausgefunden. Alles klar erkannt, Partner. Alles!« Sharda war wie erstarrt. Kein Tänzer kümmerte sich um das Geschehen abseits der Lichtung. Hinter Hawkcarn stand seine sorgfältig gepackte Ausrüstung. Er sagte laut: »Ich hab schneller und gründlicher nachgedacht als du, Sharda. Wir gehen weg, weit weg. Nach Sirr Kepalomi. Wir nehmen das Boot. Ihr werdet mich suchen, aber nicht finden …« Damit beginnt eine rasante Jagd durch die Urwälder eines exotischen Planeten, eine der Spezialitäten von Perry Rhodan- und Atlan-Autor Hans Kneifel. Der in sich geschlossene Roman schließt an die Erlebnisse in „Galaktische Odyssee" an. Hinweis: Der Roman basiert auf dem vom Autor 1967 verfassten 'Perry Rhodan-Planetenroman „Das Erbe der Jahrtausende".
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Seitenzahl: 483
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TOR
DER TAUSEND
© Copyright Erben Hanns Kneifel
© Copyright 2016 der eBook-Ausgabe bei Verlag Peter Hopf, Petershagen
www.verlag-peter-hopf.de
Cover: © Alexandr Mitiuc – Fotolia.com
ISBN ePub 978-3-86305-221-8
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Alle Rechte vorbehalten
Die in diesem Roman geschilderten Ereignisse sind rein fiktiv.
Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Begebenheiten, mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig und unbeabsichtigt.
In der letzten Nacht seines langen Lebens betrachtete Toured IX Elgomaisa in erschöpftem Schweigen die Sterne.
Er wusste, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hatte. Das schattenlose Licht des Nachmittags würde er nicht mehr sehen: Er schaute reglos zu, als sich der dunkelgraue Mond Clangan dem Rand des planetaren Nebels näherte, jener mondgleich großen Scheibe leuchtenden Staubs um den Stern, der in einigen Jahrtausenden zu einer weißen Zwergsonne geschrumpft sein würde, genau im Zenit über Ayruqabt, dem Ort der Verzweiflung.
Toured wartete über das Verdämmern des Sternenhimmels hinweg und das seidenweiche Licht der Morgendämmerung bewundernd, bis zu den Stunden, in denen Sonnenlicht die Farben der riesigen Felsen aufglühen ließ. Zwischen dem Ende der Dunkelheit und den ersten seine Felskanzel treffenden Sonnenstrahlen verwandelte sich sein Körper langsam und schmerzhaft in die non-anthropoide Form zurück.
Vom Fluss und aus den Klüften stieg zugleich mit dem hallenden Vogelgeschrei der Geruch des Brackwassers auf. In der heißen Luft, hoch über Toured Elgomaisas weißer Terrasse, kreisten Raubvögel; schwarze, doppelsichelförmige Silhouetten, die seine brennenden Augen nur undeutlich wahrnahmen.
Sie werden nicht mehr lange in der Thermik kreisen müssen, dachte der Greis. Seine Rückverwandlung ging unaufhaltsam weiter.
Toured IX saß hoch über den phantastischen Klippen der erodierten und geformten Felsen und lauschte dem murmelnden Strom seiner Gedanken, die zu den ersten Tagen seines Volkes auf dieser Welt zurückkehrten. Wenn sie die Gegenwart wieder erreichten, würde er sterben – er wusste es mit der ruhigen Gewissheit von Jahrhunderten. Sein ausgezehrter Körper warf einen winzigen Schatten.
Ein letzter Funke Lebensenergie hielt Toured aufrecht, bis er in Stille und Einsamkeit zusammenbrechen würde. Seine kalten Finger zitterten auf der rotbraun-pergamentenen Gesichtshaut. Große, mit milchig-silbernem Schimmer überzogene Augen lagen unter scharf gezogenen ergrauten Brauen in tiefen Höhlen. Der haarlose Schädel schien über dem togaähnlichen Gewand aus schwarzweiß-silbernem Stoff zu schweben. Der knochige Körper, Ergebnis langer Askese und der Auszehrung durch die Verwandlung, war der eines Todgeweihten. Nur die schmalen Hände mit den sechs langen Fingern zeigten, dass er noch lebte.
Am linken Handgelenk schaukelte ein breiter Reif aus Platin, Gold und Wolframtitankarbid-Intarsien; wie gezeichnete Weltenformeln exotischer Kosmogonien. Toured lehnte am Stein, der sich erwärmte; er fröstelte und sehnte sich nach dem Tod.
Über einem Felssturz löste sich eine Platte, sackte herab und zerbrach in viele blauschwarze Würfel. Sie rollten über den Hang, wirbelten über dessen Kante und trafen auf Geröll. Eine kleine Steinlawine polterte in die Schlucht, ins Wasser und auf den Erosionssand. Echos zitterten in der Schlucht, der Wind summte und gurgelte zwischen den Schründen, jenen Symbolen unaufhaltsamen Alterns, des Zerbröselns aller Dinge, der Zivilisation und Kultur, der Würde und der verpflichtenden Konsequenzen – mit ihm, Toured, endete dies alles unwiderruflich.
Die Raubvögel würden nicht viel zu fressen bekommen. Nur Haut, Knochen und Gehirn; der erschöpfte Sitz des Verstandes, der fast zwei Jahrhunderte lang geglänzt und gefunkelt hatte, bis sich die letzte Energie verzehrte. Toured IX konnte nicht einmal mehr sarkastisch grinsen; die Muskeln waren zu schwach.
Damals, nachdem die überfüllten Beiboote und das Wrack des Raumschiffs in der Vulkancaldera notgelandet waren, hatten sie erstmals versucht, das Weltall auf den Planeten zu holen, denn bald mussten die Überlebenden erkennen, dass ihr Schiff nie wieder würde starten können. Sie waren dreißigtausend Lichtjahre von der Heimat entfernt, nach einem Kurs, der sich radial zu den Dunkelwolken des galaktischen Zentrums spannte. Neunhundert Frauen und Männer hatten sich auf das Leben und Überleben auf Ayruqabt eingerichtet, unter dem Licht Malgoratas, unter fremden Sternbildern und den Monden Syrni und Clangan, im nächtlichen Leuchten des sanft pulsierenden planetaren Nebels, der die Polachse Ayruqabs markierte.
Die Beiboote waren ausgeschwärmt und hatten kleine Kolonien intelligenter Planetarier gefunden, meist an den Rändern des Riesenkontinents oder auf Halbinseln und Inseln. Die erste bittere Erkenntnis für Kommandant Elgomaysa war, dass sich schon während der Bauarbeiten der Stadt seine Leute – in geänderter Gestalt – mit den Eingeborenen vermischten und ihre dominanten und rezessiven Gene und DNS-Strukturen an die bronzezeitlichen Planetarier weitergaben.
Zunächst sägten und schnitten sie die Stadt aus den Felsen des erloschenen Vulkans und der Granitmassen des Eruptivgesteins. Von den Jagden, die viele Teams nachts in das Land am Fuß des niedrigen Bergs führten, kamen manche Leute nicht zurück. Sie paarten sich mit Eingeborenen. Nicht alle glaubten an die Verpflichtung, das Erbe zu wahren. Andere verschwanden in den leeren Wäldern und führten dort ihr zweigeteiltes Leben. Toured IX und andere versuchten in heldenhafter Anstrengung, das zu tun, wozu sie während des furchtbaren und aussichtslosen Krieges keine Zeit gehabt hatten.
Mühsam drehte Toured den Kopf und senkte den Blick. Er betrachtete die große Kugel aus rauchigem Glas, die zwischen den scheinbar ewigen Felsen stand und keine Schatten warf. Sie schien auch das Licht zu schlucken; angewandte, höchstwertige Mathematik, in sich gekrümmter Raum, dargestellt und ausgeführt mit Hilfe von Millionen Tonnen neuartiger Glasmischung, angefüllt mit den Ergebnissen der Stellarphysik, Hyperraummechanik, Dimensionsebenen-Mathematik und allen Erkenntnissen, die sich in den Speichern des Wracks und den Gehirnen der Wissenschaftler fanden, mit den Resten des Metalls des Wracks und der Beiboote.
Sein Werk. Alle anderen Helfer waren nach einem Jahrhundert verschwunden, gestorben, vergessen. Während viele Individuen der bronzezeitlichen Horden des Planeten starke Entwicklungsschübe verkraften mussten, leerte sich die Felsenstadt, wurden die Eingänge versiegelt.
Toured, einst der unbarmherzige Kommandant, hatte sich jahrzehntelang gegen das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft gewehrt und durch die Optiken der Spähersonden gesehen, dass sich an den Küsten und Flussmündungen die Siedlungen vergrößerten und das edle Erbgut in den Kindern zeigte. Er entsann sich Ashdars schmalen Gesichts; eine Phase perfekter seniler Reproduktionsfähigkeit zeigte ihm noch einmal seine Gefährtin, und ihm fiel ein, wie sie ihn in ihren Armen zu trösten versucht hatte.
»Du wirst nicht verhindern können, mein Liebster, dass in einem Jahrtausend alles vergessen sein wird. Sie wollten nicht mehr zu den Sternen zurück. Vielleicht ein paar von ihnen. Oder erst wieder die Kindeskinder. Tu, was du für richtig hältst; beende dein Werk, lächle zu den Widrigkeiten und stirb wie alle von der ersten Mannschaft. Vielleicht findet ein anderer Raumfahrer unser Geheimnis, vielleicht landet ein Schiff, vielleicht ... wir haben nur noch ein Ziel.«
»Welches Ziel, Liebste?«
»Warten. Auf den Tod.«
Ashdar war längst zu Staub geworden. Ihre Schönheit und kluge Warmherzigkeit trieben, symbolhaft betrachtet, als Partikelschleier um den Planeten.
Toured verzog die kalten blutleeren Lippen zu einem Lächeln, zu einer grausigen Grimasse. Er nahm einen Schatten wahr, der von schräg rechts kam, einen Halbkreis beschrieb und sich mit krachenden Flügelschlägen wieder entfernte. Die Aasvögel waren hungrig. »Geduld, nur Geduld, meine Freunde«, murmelte er. »Ihr werdet weder froh werden noch satt.«
Er hatte Funktionen und Wirkung all dessen erlebt, was er in weniger als zwei Jahrhunderten auf dem Planeten an fünf Dutzend Stellen aufgebaut hatte. Er hatte gelernt, geliebt, war geliebt worden, hatte Leben gezeugt und getötet, bewahrt und gefördert, hatte in den Nächten die wahre Natur des Planeten erfühlt und erlebt, als letzte und schwerste Arbeit nach der Errichtung der Inselzonen die Stadt und die Kugel geschaffen, das Ergebnis seiner Berechnungen und der Brennpunkt aller Erfahrungen seines Sternenvolkes. Nicht ein einziges Individuum war über die unsichtbaren Pfade nach Ayruqabt gekommen. Über ihm schrien rau und misstönend die Vögel.
»Geduld! Bald ...«
Die Jäger und Fischer in den Randzonen des Kontinents waren ferne Verwandte der Raumfahrer. In der Gesamtheit hatten die Schiffbrüchigen überlebt und ihre Erbmasse weitergegeben, aber nicht ihre überlegenen Kenntnisse. Der Weltraum war ihnen verschlossen geblieben.
Es schien dunkler zu werden; nicht die Sonne sank, sondern die Augen begannen zu versagen. Das Leben verlosch wie ein lautloses Flämmchen. Toured starb, ohne es zu fühlen, rutschte langsam am heißen Stein hinunter, knickte in den Knien und der Hüfte und streckte sich aus. Der erste Vogel fiel wie ein Meteorit aus dem Himmel, landete auf dem Sims, schrie und faltete die Schwingen ein.
Ein Windstoß riss die weißen Knochen auseinander. Ein zahnloser Schädel schien den Fingern und dem Wolframtitankarbid-Reif hinterherzugrinsen. Die Knochen zerfielen zu Staub, der planetare Nebel wuchs, breitete sich aus und veränderte seine Farbe: Die Weiße Stadt und die Große Kugel blieben unversehrt. Langes Bambusgras, das nicht von Ayruqabt stammte, wucherte in Spalten und Fugen und im angewehten Staub, der die Höhlung des Rings ausfüllte. Im Vogelkot wuchs ein Samenkorn, ein Bäumchen entstand, an dessen Ast der Reif im heißen Wind des Mittags schaukelte. Bambus und Bäumchen verdorrten, neue Triebe sprossen, Schnee und Regen fielen. Das Licht des großen gelben Mondes, die Sterne und die leuchtende Gasscheibe des planetaren Nebels spiegelten sich matt im Glanz von Gold und Platin.
»... gelang es der expandierenden Menschheit in der Mitte des XXVI. Jahrhunderts, eine größere Anzahl erdähnlicher Welten zu entdecken. Von der Erde aus in gerader Linie über die Sonnen Arabella VI, Devils Flares und BD +76° 318NEX springt das Raumschiff an den Rand einer ovalen Linsenstruktur voller Sonnen und Planeten (die letzte, dieser Ausgabe zugrunde liegende Durchmusterung ergab 457 Sonnen und 248 bewohn- und kolonisierbare Welten) im sog. Perseus-Arm, vor der majestätischen Kulisse der galaktischen Dunkelnebel. Die wenigsten Welten innerhalb dieser Zone (das holografische Konstrukt ähnelt tatsächlich verblüffend einem i mit übergroßem Punkt!) sind vom Homo sapiens oder seinen galaktischen Enkeln besiedelt, und auf fast jedem Planeten finden sich ein Raumhafen oder mehrere Landeplätze mit der nötigen Infrastruktur. Selbstverständlich dienen einige der Welten als Lieferanten exotischer Hölzer, Gewürze, Metalle etc. oder Tiere für Terras zoologische Gärten. Der Druck der Überbevölkerung, das GRIND, das Große Internet-Desaster und die Probleme der Beseitigung jener 2115-Klimakatastrophe wurden für Terra indes drastisch geringer, seit größere Bevölkerungsgruppen auswandern wollen und dies auch tun.
Wenige Jahre, nachdem NASA und ESA und andere staatliche Raumfahrtbehörden unfinanzierbar wurden (s. ›Das Vermögenssteuer-Massaker von Neu-Bombay und Beijing/Peking 2121‹, Seiten 1256 ff.), übernahmen internationale Firmen und Konzerne deren technische und wissenschaftliche Konkursmasse. Nachdem die ersten fremden Sonnensysteme und bewohnbare Welten entdeckt waren, nannten sie sich IOKs;InterstellarOperierendeKonzerne.
Heute findet man ihre Labels auch auf Ayllongan, Behemoth Beta, Craymund, und wie jene Welten alle heißen mögen. (Vollständiges Verzeichnis mit Kurzcharakteristik im Anhang.) Nicht Terra, sondern Absolute Helligkeit, Kühne Interferenz, Euklidischer Raum, Neuer Gegenschein, Offener Sternencluster oder Kosmischer Horizont teilen sich heute die Risiken und Einkünfte der Raumfahrt; mit unzähligen Sternenschiffen, von Ghentilfam- oder Ghentilhom-Kommandanten geflogen, besorgen sie den Verkehr und die Exploration. Gerade IOK Euklidischer Raum ist in der Suche, Entdeckung und Erschließung neuer Planeten anerkannt führend tätig.«
Sharda Morghaden blinzelte und starrte auf die gehobelten und weiß geschlämmten Bretter zwischen den Deckenbohlen, gähnte und hob den linken Arm. Er schob die Uhr, die an ihrer federnden Spange am Unterarm hoch gerutscht war, zum Handgelenk. Sechs Uhr, am siebenundzwanzigstündigen Tag des Planeten Furious Last Stop. Sharda richtete sich auf, schwang seine Füße herum und wurde sich erneut seiner Unbeweglichkeit und seines Übergewichts bewusst. Durch den Fenstervorhang drang kühle, feuchte Morgenluft; sie roch nach Wasser, Moos und Gräsern. Tauperlen glänzten am dünnen Stoff, die Sonnenstrahlen, kaum gefiltert, blendeten Sharda.
»Ist man erst einmal aufgewacht, ist der ganze Tag nichts mehr wert«, murmelte er, zog die Decke zurück und betrachtete Erissar, die zusammengekrümmt schlief, das Kissen in den Armen. Sharda schlüpfte in Hose und Stiefel und blickte gähnend um sich. Auf der Schreibtischecke stand ein Tonkrug, den Erissar in ein nasses Tuch geschlagen hatte. Sharda packte den Krug und trank das gekühlte Gemisch aus Fruchtsaft und Wasser in tiefen Zügen.
»Der Alkohol bringt mich noch um.« Er keuchte. »Und das verdammte Nichtstun.«
Er schlug den Vorhang zur Seite und tappte auf die hölzerne Plattform, die rund um die Hütte lief und auf Betongusssteinen stand. Sharda atmete einige Male tief ein und aus und ging die Stufen zum Wasser hinunter. Der Nebenfluss des Boburrah zog eine Schleife und war durch Felsen und eingerammte Stämme gestaut. Der kleine See trieb eine Turbine an, und der Überlauf erfüllte Tage und Nächte mit eintönigem Rauschen. Neben dem Bootsrumpf aus Plastan blieb Sharda stehen, zog die Hose aus und kniete sich am Ende des Stegs auf die taufeuchten Planken.
Einige Atemzüge lang betrachtete er sein Spiegelbild, spuckte in dessen Auge und hechtete ins Wasser. Drei-, viermal schwamm er zwischen den Ufern hin und her, kletterte auf den Steg und schleuderte Wassertropfen von den Händen. Er suchte in den Hosentaschen und brachte eine Packung schwarzer Koffeinzigarren zum Vorschein sowie ein zerbeultes Feuerzeug. Seine Bewegungen waren schlaff und langsam wie immer. Während er rauchte und das Badetuch auf der sonnenbeschienenen Seite der Planken ausfaltete, betrachtete er seinen Körper.
Es war längst nicht mehr der Körper eines siebenundvierzigjährigen Elitekapitäns, sondern das augenscheinliche Ergebnis von vierhundert Tagen Ruhe, zu wenig Anstrengung und zu viel Alkohol. Sharda hasste seinen Körper: Hundertneunzig Zentimeter groß und verfettet. Die Muskeln der Schenkel und Schultern konnten das Fett unter der sonnengebräunten Haut nicht mehr verstecken. Ein nutzloser, aufgeschwemmter Leib, der Herausforderungen nicht mehr begegnen konnte und gerade noch dazu taugte, Erissar jede vierte Nacht zu befriedigen. Neugier und Ehrgeiz, einst wesentliche Antriebe seines Lebens, waren verschwunden. Er war fast ganz unten und wusste es. Aber es regte ihn nicht mehr auf.
Dunst hing dicht über dem Wasser. Die Sonne BD +76° 318NEX schien als rotgelber Ball über dem Steilhang des Flüsschens zu schweben und verflüchtigte den Nebel. Ein Seeadler kreiste fauchend über den Baumkronen. Fische standen ohne sichtbare Bewegung in der Strömung und, als würden Shardas Gedanken sie erschrecken, schlugen sie mit den Schwänzen gegen die Uferströmung und schossen plötzlich flussaufwärts davon.
Alles ist unwesentlich, dachte Sharda und streckte sich im Sonnenlicht aus. Unwesentlich und bedeutungslos. Tiefe Gleichgültigkeit hatte ihn gepackt, hockte wie ein Alb auf ihm und füllte seinen Kreislauf aus; nichts und niemand wartete auf ihn. Nur das lausige Ende nach einem Leben als leistungsunfähiger, gedankenloser, fauler Paria. Er zog die Uhr vom Handgelenk und legte sie ins Sonnenlicht. Und doch: Erissar wartete auf ihn.
Hinter der Glaslinse im Zifferblatt blinkte das Datum: 12.06. Fast im selben Augenblick, als sich seine trägen Gedanken auf das erwartete Versorgungsschiff richteten, hörte er den fernen Donner eines Schallknalls. Er wartete, bis die Sonnenhitze überall auf seinem Körper glühte, zog sich an und ging ins Haus. Erissar deckte den Tisch unter dem großen Vordach.
Sharda trat die Zigarre mit dem Stiefelansatz aus, schlug nach einem Insekt und setzte sich in den Rohrgeflechtstuhl. Er betrachtete die junge Frau. Ihre Jugend und Schönheit erregten ihn nicht mehr, waren selbstverständlich geworden wie der Sonnenuntergang. Sie ging zwischen der kleinen Küche und dem Tisch hin und her und bereitete das Frühstück zu. Es roch nach starkem Terratroi-Kaffee. Unvermittelt drehte Erissar den Kopf und starrte ihn an.
»Erissar? Ich muss nachher nach Moribundus Beach. Reitest du mit?«
Sie zögerte sekundenlang und sagte: »Du machen lang Palaver mit Mister Oshamani?«
»Kein langes Palaver, Erissar.« Sharda lächelte müde. »Ich hol Sachen ab, die das Schiff bringt. Oder auch nicht. Kommst du mit?«
»Ney«, sagte sie. Ihre Stimme, ein voller Alt, stand im Gegensatz zu den lärmenden Eingeborenen ihres Stammes. Sie setzte sich Sharda gegenüber und goss Kaffee in seine Tasse. Schweigend sah Sharda in ihre Augen. Obwohl auch Erissar unwesentlicher Teil seines unwichtigen Lebens war, liebte er sie. Liebte er sie wirklich? Er zwang sich, nicht darüber nachzudenken. Sie war hier und würde nicht davonlaufen. Er schüttete drei Löffel Zucker ins Gebräu und rührte langsam um.
»Dann reite ich allein hinüber«, brummte er. »Wie immer.«
»Ich geh 'n bisschen an Fluss. Schwimmen und Fischen. Savvy?«
»Savvy«, antwortete er mit vollem Mund und langte nach dem Bord unter dem Fenster. Er schaltete den kleinen, solarbetriebenen Empfänger ein. Über die Antennen von Moribundus Beach hörte er die übliche seichte Unterhaltungsmusik, die Werbespots und die Nachrichten ignorierte er.
»Moozack gutt, Sharda.«
»Die Musik ist gut«, sagte er leise und grinste. Die Szene erinnerte ihn an ein lang verheiratetes, halb analphabetisches Ehepaar, das sich am sonnigen Morgen spracharm und ironiefern gegenübersaß. Sein Grinsen wurde breiter, als er tropfende Sahne in die zweite Tasse hineinrührte. Erissar sagte langsam: »Die Muuusick ist gut.«
»Richtig. Fast«, murmelte er und streichelte die Wange der jungen Frau. Erissar lehnte ihr Gesicht in die Handfläche, und er zog die Hand langsam wieder zurück. Die Häuptlingstochter aus dem Delta des namenlosen Amarooga-Flusses, etwa zweiundzwanzig Terra-Jahre alt, war wie alle Eingeborenen des verdammten Planeten groß und schlank. Die Haut von der Farbe heller Bronze, die Erissar mit Blüten- und Nussölen pflegte, war ebenso seidenweich wie das schwarze, golden gesträhnte Haar. Aus dem schmalen Gesicht blickten auffallend große, fast schwarze Augen mit silbergesprenkelter Iris auf Sharda, der sich zwang, den Löffel aus der klirrenden Tasse zu nehmen.
Seit vierhundert Tagen, seit Gardoon Hawkcarn verschwunden war, lebte Sharda mit der Eingeborenen. Erissar zählte zu den Gründen, die Shardas persönlichen und gesellschaftlichen Niedergang eingeleitet hatten. Er war klug genug gewesen, Euklidischer Raum zu verlassen, ehe Hywalmer, Visalon Nas' Sohn, ihn unehrenhaft feuerte. Er stemmte sich aus dem knarrenden Sessel.
»Als Köchin bist du eine kleine Sensation, Mädchen«, sagte er. Seine Stimme schmeichelte, aber in seinen Augen stand Gleichgültigkeit. Erissar schien zu spüren, wie ihre Beziehung lautlos mehr und mehr zerbröselte. Er nickte halbwegs zufrieden. Innerhalb des 400-Tage-Jahres hatte er die »Wahre Sprache« und Erissar Unicosmo ausreichend gelernt – voneinander, obwohl sie sich oft in planetarem Pidgin unterhielten. Aber für eine Häuptlingstochter schien es keine unbesiegbaren Schwierigkeiten zu geben.
»Erissar kocht gut?«, fragte sie. Er schloss die diamagnetischen Knöpfe des Wildlederhemds, steckte Zigarren und Feuerzeug in die Brusttasche und fädelte den Dorn der Gürtelschnalle im letzten Loch ein. Die Waffe zog den Gürtel nach links.
»Sehr gut.« Er setzte die Sonnenbrille auf und trat ins grelle Licht. »Ich bin um Mittag herum zurück. Hör genau zu, sprich die Worte nach oder lies im Lesegerät.«
»Savvy, Sharda.«
Sie begann den Tisch abzuräumen. Sharda ging auf den Steinplatten hinüber zum Stall. Der Schatten der mächtigen Schreckföhre fiel auf das Gebäude aus Lehmziegeln, Bohlen und Schilfgeflecht, das Sharda für die mühsam zugerittenen Tharcani gebaut hatte. Hornissen schwirrten mit mörderischem Sirren unter den wurmstichigen Balken zum Nest. Drei Reittiere drehten den Kopf und starrten Sharda an.
Er blieb stehen; ein wichtiger Gedanke zuckte durch seinen Verstand. Woran hatte er gedacht? Er vergaß den Einfall augenblicklich. Nichts konnte den dicken Vorhang der Gleichgültigkeit aufreißen.
Sharda hob die Schultern, nahm eine Satteldecke vom Haken, warf sie über Droys Rücken, wuchtete den Sattel darauf und zurrte den Bauchgurt fest. Als er die Steigbügel aus den Halterungen löste, war er sich bewusst, dass er buchstäblich jeden Griff, jede Bewegung ohne nachzudenken ausführte.
Jeder Versuch, sich mit seiner Lage oder seiner Umwelt auseinanderzusetzen, scheiterte im Morast der Gleichgültigkeit. Er wusste es und verharrte, unfähig, daran etwas zu ändern. Der Klang seiner dunklen, leicht heiseren Stimme beruhigte den schweren Hengst.
»Gut so, Droy«, sagte Sharda und zwängte die Kandare ins harte Maul des Tiers. Er warf die Zügel über den Hals, klatschte die Handfläche gegen die Adern und Muskelstränge unter dem scheckigen Fell und zog Droy aus dem Stall. Ächzend hievte sich Sharda in den Sattel, rammte die Absätze in die Weichen des Tharcans und sprengte schräg den Hang hinauf. Der ausgetretene Pfad, ohne Moos und Gras, verwandelte sich nach jedem Regen in einen Sturzbach.
Zweitausend Galoppsprünge waren es bis Moribundus Beach; Sharda ritt schnell und ohne Zügelhilfen. Das Tier kannte den Weg und war ausgeruht. Von der Oberkante des Prallhangs sah Sharda die Spiegelung treibender Wolken im aufgestauten Fluss und seine Blockhütte, aus deren Kamin sich ein Rauchfaden erhob, bis er an der Kante des Einschnitts vom Westwind zerfasert wurde. Tiere flüchteten vor dem Trommeln der Hufe. Rechts, hinter den Hügeln und Felsabstürzen, rauschte die Brandung. Kühle Luft, die nach Salz und Wasser roch, mischte sich mit dem dünnen Rauch. Sharda galoppierte auf die Zyklopenmauer zu, deren Erbauer niemand kannte. Als er auf die Sandstraße kam, sah er hinter den Wohn- und Verwaltungscontainern die silberglänzenden Antennen, die transparente Polkuppel und die obere Rundung der wuchtigen Triebwerkssäule. Das Versorgungsschiff war also gelandet, ohne dass Erissar und er darauf geachtet hatten.
Er erkannte seinen Irrtum, als er die Beschriftung und die Systemnummern des Schiffes las. Purpurne, weiße und gelbe Ornamente verliefen entlang des Schiffsäquators und funkelten im Sonnenlicht. Das Schiff schwebte einen Meter über dem Boden, hatte die Wassertanks geleert, wurde entladen und durch dicke Schläuche mit Frischwasser betankt.
Moribundus Beach, mit fünfzig Personen bemannt, lag auf einem Felsplateau zwischen Flussdelta, Meeresküste und einem Streifen Savanne und Wüste, deren Dünen in einen riesigen Strand übergingen. Sharda zog die Zügel und ritt langsamer auf das Tor zu. Uralte gemeißelte Steinfratzen grinsten ihn hämisch an. Er beschattete die Augen mit der linken Hand und las: Ferner Pulsar. Darunter: Euklidischer Raum. Unit 3309.
Sharda hielt das Tier an. Der Tharcan knurrte dumpf in der Kehle.
»Das bedeutet ... Ärger. Was will Ghentilfam Racinah in dieser vernunftverlassenen Ecke der Galaxis?«
Er glaubte einige Zusammenhänge zu erahnen, stieß Droy die Stiefelabsätze in die Seiten und gab den Zügel frei. Nach einem kurzen Galopp stemmte das Tier vor den flachen Stufen des Eingangs die Vorderhufe in den Boden und kam schlitternd zum Stehen. Sharda ließ sich aus dem Sattel gleiten und knotete die Zügelenden an den Griff einer orangefarbenen Fracht-Transportkiste.
Seine Aufmerksamkeit, die beim Anblick des 75-Meter-Kugelschiffs kurz aufgeflammt war, erlosch und machte dumpfem Staunen Platz. Er stieß die Thermoglastür mit der Schulter auf. Als er den Stationsleiter erkannte, sagte er schroff: »Guten Morgen, Ghentilhom Valc Osmahani.«
»Morgen. Seltsames Betragen«, sagte Osmahani, blickte ein Hologramm an der Wand an und hob die Hand. »Ist Ihre Privatsache, Ghentilhom. Ich fürchte, Sie erweisen sich gegenwärtig einen schlechten Dienst damit. Sie haben Besuch.«
»Ich? Zu viel der Ehre. Wer?«
Ein Mann, der so viel verloren hatte wie er, sagte sich Sharda, brauchte sich um Höflichkeit und andere Konventionen nicht einmal mikroskopisch kleine Sorgen zu machen. Eine Tür glitt auf. Ghentilfam Gortammen kam herein und streckte die Hand aus. Sharda ignorierte grinsend die Geste.
Osmahani wurde bleich und fuhr sich über den kahlrasierten Schädel.
»Du würdest mich vermutlich gern erwürgen oder erdrosseln, Sharda?«, sagte die silberblonde Kommandantin.
Osmahani richtete den Blick zur Decke und strich mit den Spitzen von Daumen und Zeigefinger über seine Hakennase. Er hatte etwas von einem schnellen, scharfsichtigen Sperber an sich und war der ungekrönte Herrscher dieses Randplaneten. Von der Mitte der Stirn bis zum Kinn zog sich eine dünne Narbe; es sah aus, als sei der Kopf gespalten und nicht ganz genau zusammengesetzt worden. Sharda registrierte flüchtig, dass sein Verstand gegen seine Emotionen kämpfte, ließ sich in einen Sessel fallen und schlug die Beine übereinander. »Oder bist du inzwischen zur Einsicht gekommen, Commander?«
»Es wäre vermessen von dir, Freude und Dankbarkeit zu erwarten, Racinah«, knurrte Sharda. Die Ghentilfam blieb ernst und lehnte sich an Osmahanis Schreibtisch.
»Ich kann dich verstehen, auch wenn's vielleicht überraschend klingt.«
»Wundervoll.« Sharda fischte nach dem Zigarrenpäckchen. »Ich hab tatsächlich das zweifelhafte Vergnügen deines Besuchs?«
»Zweifelhaft – trifft zu«, sagte Racinah Gortammen. »Könntest du dich für ein paar Minuten zusammenreißen und nicht wie ein verrückter Amarooga-Eingeborener benehmen?«
Sharda legte das Feuerzug und die Zigarren auf seinen Oberschenkel, gähnte und verlor sein Grinsen.
»Hört zu, ihr untadeligen Raumfahrer: Ich hab mich vor einem Jahr unqualifiziert und unentschuldbar verhalten, habe alles zugegeben und meine Konsequenzen gezogen. Niemand hat bisher herauszufinden versucht, warum Gardoon Hawkcarn ausgerastet ist und ich mich so und nicht anders verhalten hab. Und jetzt kommst ausgerechnet du, schönste Racinah. Fragst mich, ob ich deinen klugen Reden in freudvoller Zurückhaltung lauschen will. Was, glaubt ihr, werd' ich tun?«
»Sharda!« Osmahani stand auf. Dass er Sharda duzte, verriet seine Erregung. »Du solltest wirklich zuhören.«
»Ich denk nicht daran. Ich hol mein Zeug aus dem Magazin und reite zurück zu Erissar.«
»Das war's«, sagte der Stationsleiter und nickte der Kommandantin zu. »Er will uns beleidigen und sich noch mehr schaden. Kosmischer Masochismus. Ein Artist des Selbstmitleids. Ich kenne ein unfaires Mittel, das ihn aufmerksam machen wird. Glaubst du, Ghentilfam, dass wir ...«
Racinah Gortammen nickte.
Sharda blickte in steigender Beunruhigung in ihre Gesichter. Etwas warnte ihn. Er sah die kühle Besonnenheit in Racinahs Augen. Über ihr Gesicht schob sich Erregung wie eine hitzige Schablone. Er sah den starren Hochmut des Stationskommandanten und dahinter die Verwunderung darüber, dass er, Sharda, nach einem Jahr noch immer nicht auf die Pfade tätiger Reue und Rehabilitierung zurück gekrochen war.
Ehe Racinah zu sprechen anfing, nickte er und sagte: »Schon gut. Werdet euren Sermon los.« Er zündete die schwarze Zigarre an. »Erspart mir, dass man mich noch mehr demütigt. Und lasst gefälligst Erissar aus dem Spiel, klar?«
»Bleib sitzen und hör zu, älterer Partner«, sagte Racinah. So hatte sie ihn während der jahrelangen Zusammenarbeit genannt. Shardas rechte Hand, in der er die Zigarre hielt, fing an zu zittern. Er verfluchte seinen Körper, biss auf die Tabakrolle und steckte die Hand in die Tasche.
Die Kommandantin sagte ohne irritierende Betonung: »Fangen wir dort an, wo es für dich wichtig wird, Sharda. Gibt's hier ein Glas mit kaltem Saft oder so was, Valc?«
»Keinen Alkohol, bitte«, sagte Sharda.
Osmahani verteilte Gläser mit dunkelrotem Saft, in dem sich Eiswürfel drehten.
»Danke.«
»Ist dir an einer vollständigen Rehabilitierung gelegen, Sharda?«, sagte Racinah.
Die Eiswürfel schlugen gegen Shardas Zähne, als er zusammenzuckte. Er richtete sich auf. »Vermutlich. Würde es etwas ändern?«
Ghentilhom Osmahani stellte das Glas ab, stemmte die Fäuste in die Seiten und brummte: »Du könntest ihn ebenso fragen, ob er sich freut, wenn man ihm die Eier abschneidet.«
»In diesem Fall würde ich es für einen persönlichen Affront halten, Ghentilhom Osmahani«, sagte Sharda und wedelte mit seinem Stumpen. »Ist nicht ganz einfach, mich aus der Lethargie herauszukriegen. Valc weiß es besser, Racinah.«
Der Vorhang der Gleichgültigkeit flatterte, ein farbiger Blitz zuckte durch Shardas Verstand. Er blickte in Racinah graugrüne Vulpeculiden-Augen und sah den Barockschnörkel der Implantate, der als Braue begann und sich zur Schläfe krümmte; winzige Kristalle, von der Körperelektrizität zum Glühen und Funkeln gebracht.
Racinah sagte: »Du warst der beste Spezialist von ›Euklidischer Raum‹ für so genannte undurchführbare Aufträge. Bis vor vierhundertelf Tagen. Ein Schiffsführer, wie es nur wenige gibt, bei allen Multiplanetaren Gesellschaften. Abgesehen davon, dass ich's vermutlich am besten weiß, wurden alle deine Crewmitglieder befragt. Du warst das absolute Ass. Willst du das alles wieder zurück?«
Sharda hob den Kopf, starrte Racina mit grünen Augen an, strich sein kurzes Haar in die Stirn und wischte Schweiß von den Schläfen. »Ja. Warum kommst du erst heute?«
»Wie lange sind wir zusammen geflogen?«
»Sieben Jahre.« Sharda schluckte. Ihm war, als würde sein Inneres von sadistischen Medizinern und Psychologen unter Hochleistungsdetektoren gezerrt.
»Wie lange haben wir uns gegenseitig die interessantesten Ziele weggeschnappt?«
»Vier Jahre lang.« Er fühlte sich ausgeliefert und von seinen Empfindungen geschunden. Schweiß lief an seinem dicken Hals in den Hemdkragen.
»Haben wir uns in den langen Jahren jemals angelogen oder betrogen?«
»Nein.«
»Ich lüge auch jetzt nicht. Greyne Uzman, dein Navigator, hat mir vor etwa zwei Monaten die ganze schaurige Geschichte erzählt.« Ghentilfam Gortammen schob mit beiden Händen ihre gefärbte Haarflut in den Nacken und blickte über Shardas Schulter hinweg auf die Baukastenstruktur des Stützpunktes im Windschatten der Zyklopenmauer. »Ich habe mich, nachdem mich Hywalmer Nas damit beauftragte, durch die wenigen Aufzeichnungen dieses Falls gewühlt, mit deiner Crew gesprochen und mir halbwegs ein eigenes Urteil gebildet. Hoffentlich komme ich nicht zu spät. Glaubst du wenigstens mir?«
»Natürlich, Racinah.«
»Gut. Euklidischer Raum macht dir folgenden Vorschlag: Du leitest einen Spezialkurs. Überleben und Suchen. Du verfolgst Gardoon Hawkcarn und findest die Aufzeichnungen. Etwa zwanzig junge Frauen und Männer; selbstverständlich hier auf Amarooga. Einverstanden?«
»Hawkcarn hat sich noch immer nicht gemeldet – oder hat er irgendjemanden erpresst?«
Sie schüttelte den Kopf.
Osmahani und die Kommandantin verschwammen vor Shardas Augen. Der Raum begann sich zu drehen. Sharda spürte, dass er zu vereisen schien. Durch das Schweigen hörte er seinen hämmernden Herzschlag. Rauch kam in seine Lunge. Er hustete und kämpfte zugleich mit einem Schweißausbruch.
»Auf Amarooga. Ein Ausbildungsvorhaben. Wie lange?«
»Vierhundert Tage etwa, also ein Amarooga-Jahr«, sagte Racina leise. »Kannst du noch alles? Ein Jahr Überleben und Suchen, vielleicht ein Kampf gegen Hawkcarn? Danach kletterst du auf die Brücke der Sternenwind oder der Zodiakallicht.«
»Wann?« Sharda leerte blinzelnd das eiskalte Glas. »Wer hilft mir?«
»Niemand. Wir starten morgen mit einer Herde Tharcani nach Cape Nebula's End. Dort wird die Absolute Helligkeit mit den Leuten warten. Und mit der gesamten Ausrüstung.« Racinah beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie und starrte in Shardas kalkweißes, schweißübergossenes Gesicht. »Du weißt es besser als ich, älterer Partner: Es ist die absolut einzige, allerletzte Chance deines Lebens. Ich und Valc haben für dich gebürgt. Euklidischer Raum braucht Hawkcarns Aufzeichnungen, und zwar schnell.«
»Ihr beide. Gebürgt? Ich kann noch ... alles«, murmelte Sharda. Der Vorhang vor seinem Verstand glitt auseinander. Schmerzhafte Helligkeit blendete ihn; seine Nerven und Empfindungen kreischten. Er hob den Kopf und krächzte: »Einverstanden. Es wird mich umbringen. Und die armen Kerle dazu. Was können die Jungen?«
»Wenig. Sie haben ihr Studium und die Grundausbildung hinter sich. Dazu ein Jahr Weltraumerfahrung. Beste Beurteilungen. Du weißt: Euklidischer Raum nimmt nur die Besten.«
»Also haben sie keine Ahnung.« Sharda hörte, wie Osmahani einige Worte in ein HoloVidCom murmelte. »Warum habt ihr das ... gemacht, ihr beide?«
»Mir war langweilig«, sagte Valc mürrisch. »Und Ghentilfam Gortammen verspricht sich davon einen Karrieresprung. Außerdem hat mir Erissar leid getan. Tage und Nächte mit einem Versager am Abgrund leben – eine Horrorvision, Sharda.«
Racinah nickte. »Euklidischer Raum, auch Sicherheitschef Alamarc Siard vom Hexakanat, sind sicher, dass es auf Amarooga gewisse Geheimnisse zu entdecken gibt, die irgendwann auszubeuten sind.« Sie deutete durch das Panoramafenster auf ihr Schiff. Raumcontainer stapelten sich auf dem feuchten Savannenboden. »Hawkcarn, falls er überhaupt noch lebt, muss etwas gewusst haben. Sonst hätte er die Daten nicht gestohlen.«
»Und wenn ich ihn nicht finde?«
»Dann werdet ihr diese Daten selbst neu erarbeitet haben, wahrscheinlich die meisten. Oder wenigstens viele.«
»Leuchtet ein«, sagte Sharda. Mühsam gehorchte ihm seine Stimme. »Er hat vierhundert Tage Vorsprung, wo er auch sein mag. Und was wird mit Erissar?«
»Das klären wir heute Abend. Großes Essen für uns bei euch am See, ja? Trinkbares und deine Bestellung bringen wir im Gleiter mit. Klar, Valc?«
Ein nachlässig angezogener Vorarbeiter kam herein. Er erstarrte unter dem eisigen Blick seines Vorgesetzten. Osmahani zeigte sein gefürchtetes Lächeln und schnarrte:
»Horatio-Astur. Ich kann mich nicht entsinnen, Anordnungen über Bekleidungsvorschriften gelockert zu haben. Sollten Sie Ihr einstiges textiles Niveau wieder erreicht haben, können Sie bitte Folgendes arrangieren ...«
Er schnurrte mit methodischer Exaktheit eine Reihe Anordnungen herunter, lächelte verbindlich und warf Astur den Rekorder zu. »Das Ganze ist morgen früh fertig. Ich werde mir gestatten, alles einzeln zu überprüfen. Schaffen Sie's?«
»Da bin ich ganz sicher, Ghentilhom Osmahani.«
»Ausgezeichnet.« Valc wartete, bis Horatio-Astur den Raum verlassen hatte und wandte sich wieder an Sharda. »Überrascht, Partner?«
»Ich glaube, es ist schwierig, mich zu überraschen. Ihr habt mir eine teuflische Mission eingebrockt.« Sharda hatte das Gefühl, in einem wüsten Traum den richtigen Text aufsagen zu müssen, damit der Traum aufhörte. »Ich schätze ... ich muss mich bedanken. Und entschuldigen.«
»Entschuldigen? Wofür?« Die Kommandantin zog die Brauen in die Höhe. Die farbigen Implantate funkelten.
»Dafür, dass ich euch für ahnungslos, unkameradschaftlich und so weiter, kurzum: für die üblichen Euklidischen Idioten gehalten habe.«
»Warte, bis du meine gesammelten Instruktionen gelesen hast«, sagte Racinah. »Um sieben bei dir und Errissar?«
»Warte, bis du auf Amarooga, auf Cape Nebula's End gelandet bist.« Valc grinste schadenfroh. »Wir werden deine Flüche bis hierher hören.«
Sharda stand auf und schüttelte sich. Von seinem Magen breiteten sich würgende Schmerzen in alle Richtungen aus. Er ging zur Kommandantin, packte sie an den Oberarmen und küsste sie auf die Wangen. Valc schüttelte Shardas Hand und sagte, zum ersten Mal seit etwa 350 Tagen mit der korrekten Anrede: »Reite zu Erissar, Ghentilhom Morghaden. Sage ihr, dass wir sie auf durchaus vernünftige Weise in unsere aufwendigen Überlegungen einbezogen haben.«
Sharda drückte den Zigarrenrest aus, hob unsicher die Hand und schob sich aus dem Raum. Durch kochende Mittagshitze stolperte er zum Reittier, führte es zum Brunnen und steckte seinen Kopf in das kalte Quellwasser. Triefend stieg er in den Sattel und ritt zurück zum Blockhaus; eine brodelnde Mischung aus Angst, Hoffnung, Abwehr, Dankbarkeit und anderen Gefühlen stieg aus der Tiefe seines Herzens auf.
Auch heute zeigte die Mondsichel einen bläulichen Schimmer. Erissar blieb neben dem Tisch stehen und musterte, die Stirn gerunzelt, das Arrangement zwischen den sechs brennenden Edelgaskerzen. Sie zupfte an der Unterlippe und sagte: »Ist gut so, Sharda?«
»Ausgezeichnet, Erissar.« Er zog sie an sich und dachte an die drohende Stunde, in der er ihren Körper zum letzten Mal spüren würde. »Das Essen ist das Unwichtigste. Es geht um mich. Also geht's um uns, um dich und mich. Und um deine Welt, um Amarooga.«
»Sonne sie gehen unter. Mann und Frau kommen wir warten, savvy?«
»Savvy.« Behutsam verbesserte Sharda ihre Sätze und spürte, dass sie von einer ähnlich nervösen Spannung erfüllt war wie er. Seit Mittag sprachen sie über nichts anderes. Erissar trug eine dünne Wildlederhose, die kurz über den Knien in bunter Metalldrahtstickerei endete und eins der ihm längst nicht mehr passenden weißen Hemden, das sie mit traditionellen Amarooga-Mustern verziert hatte. Ein schwarzes Lederband mit silbernen Sternchen bändigte ihr Haar. Jedes Kleidungsstück, das Sharda trug, war zu eng und spannte über Schultern, Bauch und Hüften.
»Sie kommen.«
Scheinwerferstrahlen zerteilten die Mückenschwärme über dem künstlichen See. Ein Schwarm pfeifender Dämmerungssperber jagte im letzten Licht über dem Steilufer. Die weiße Halbschale des Stationsgleiters senkte sich durch das Schilf auf den Steg; Valc landete und stieg aus. Racinah folgte, eine dicke Mappe unter dem Arm. Sie lächelte überrascht, als sie Erissar sah, und wartete, bis die Häuptlingstochter schweigend vor ihr den Kopf senkte. Langsam und fehlerfrei sagte sie: »Sharda und ich haben Sie erwartet. Willkommen, Ghentilfam Gortammen.«
Sharda drehte sich langsam herum, starrte Erissar an und sagte auf Terranisch: »Von mir gelernt.« In Unicosmo fuhr er fort: »Sprecht bitte Unicosmo. Erissar kennt nicht viele Worte auf Terranisch.«
»Wenn ich's nicht schon wüsste, Sharda: Deine Freundin ist ebenso gebildet wie schön«, meinte Racinah.
»Wenn du erlebst, was sie gekocht und gebraten hat«, sagte Sharda, »wirst du in schrille Lobpreisungen ausbrechen.«
Die Kommandantin setzte sich und wollte die Mappe aufschlagen. Erissar blickte die hochgewachsene fremde Vulpeculidin fast bewundernd an.
Valc gab Erissar einige Flaschen und etliche Pakete und brummte: »Hier, für uns, Schönste. Erst das Essen. Dann die Informationen. Es hat Zeit, Racinah.«
Erissar servierte vier Gänge eines exotisch gewürzten, liebevoll zubereiteten Essens: Fisch, Fleisch und Gemüse. Selbst Sharda war überrascht. Der Obstsalat auf importiertem Speiseeis war mit wenigen Tropfen Alkohol verfeinert.
Sharda lehnte sich zurück; die Szene hatte trotz der nächtlichen Stille eine seltsame Bedeutsamkeit, die seine Nerven folterte. Vor den Gitterenergie-Schirmen tanzten Mückenschwärme. Fledermauswesen zuckten über den Wasserspiegel, auf dem die Mondsichel zitternd schwamm.
Sharda zündete die Zigarre an. Racinah öffnete die Mappe, zog zwei Pseudokerzen näher und sagte, während sie Erissar lange und herzlich anlächelte: »Ich, beziehungsweise die Direktion von Euklidischer Raum, kennen nahezu die Aussagen aller Beteiligten. Nur deine und Hawkcarns nicht. Ich erwarte eine kleine, spannende Geschichte. Du weißt, worauf es ankommt – scheinbare Nebensächlichkeiten und damals unbewusste Beobachtungen. Kannst du alles erzählen, Sharda?«
»Muss das unbedingt sein?« Er forschte in Valcs und Racinahs Gesichtern. Die Kommandantin nickte.
»Wahrscheinlich befreist du dich dadurch vom aufgestauten Groll der vierhundert Tage. Katharsis! Es fing mit Hawkcarn an, nicht wahr?«
Sharda schüttelte den Kopf und stützte den Unterarm auf die Tischplatte. Er schob das Geschirr von sich weg und sagte: »Nein. Es fing viel früher an.«
Er spürte, wie sich in ihm Spannung aufbaute und auf die anderen übergriff. Auch Erissar schien intuitiv die Bedeutung zu begreifen; sie erwartete Antworten auf die vielen Fragen, die mit Shardas Veränderung seit jener Nacht auf Amarooga zusammenhingen, mit dem letzten Ritt nach Moribundus Beach und den beiden Gästen, von deren Besuch so viel abhing. Sie hob die Hand und sagte leise: »Mister Osmahani. Du weißt besser als ich, wie Sharda vor einem Jahr war.« Sie sprach jetzt fast einwandfreies Unicosmo. »Ein starker Mann, der mit jedem Tag und jedem Glas, das er trank, gleichgültiger wurde. Die Gleichgültigkeit kam nicht aus seinem Herzen. Sie kam wie fliegender Unkrautsamen. Ich hab ihn geliebt, als er mich am Lagerfeuer traf. Wenn er alle Kraft verloren hat, verlass ich ihn. In drei, vier Mondwechseln, nehme ich an.«
Sharda erstarrte. Sein Blut schien zu vereisen. Erissar blickte von den Flammen, die sich in den Augen der Zuhörer spiegelten, zum schwarzen Spiegel des Wassers. »Seit Mittag, so scheint's, wächst seine Kraft wieder. Du musst wissen, Ghentilfam: Er hat mich viel gelehrt. Deswegen liebe ich ihn noch.«
Sharda glaubte, wieder in seinem Traum gegen graue Schemen zu kämpfen. Er saß bewegungslos da und lauschte auf den Nachhall der Bedeutung in seinem Verstand. Erissar hatte recht: Das Dunkel war noch nicht gewichen. Er musste, um sich selbst heilen zu können, die Stelle aufspüren, an der er infiziert worden war. Die Erkenntnis wirbelte erstaunliche Bilder vor sein geistiges Auge.
»Erissar.« Er zwang sich, jedes Wort bewusst zu wählen. »Ich hab dich vierhundert Tage lang überhaupt nicht gekannt. Ich konnte nicht ahnen, dass du mehr über mich weißt als ich.«
Racinahs Finger zeichnete fast unsichtbare Muster in das Leinen auf der Tischplatte. Valc füllte sein Glas bedächtig zum zweiten Mal. Sharda legte seine Hand auf Erissars Arm, begann zögernd zu reden, schwieg und holte tief Atem. In einer Mischung aus Wahrer Sprache, Unicosmo und Terranisch, gespickt mit Fachausdrücken der Schiffswissenschaftler, erzählte er vom Anflug der Sternenstaub auf die Sonne Devils Flares. Die Expedition nach Amarooga war vor 600 Tagen gestartet. Die Zeit blieb stehen, verharrte und schwang zurück.
»Wir landeten schließlich, und eine Landschaft, ähnlich einem terranischen Miozän-Savannen-Dschungel empfing uns. Einen Tag später korrigierten wir diese These. Wir waren im Endstadium des planetaren Pliozäns, Millionen Jahre vor der Zeit, in der auf unserem Planeten der Homo sapiens auftauchte. Amarooga schien eine friedliche Welt zu sein ...«
Während die Crew der Unit 03 mit Hilfe der Robots ihre Iglus aufstellte, mit komprimierter Luft aufblies und stabilisierte, die Aggregate anschloss und die Schläuche befestigte, zog das Raumschiff weiter seinen Orbit um den Planeten der zwei Monde. Die Eiskappen der Pole, tausend Inseln und die Randzonen des Riesenkontinents wurden von Kameras, Tiefenradar, Ortungssendern, Analysatoren sämtlicher Wellenbereiche und Vergrößerungsgeräten abgetastet, und in den Speichern sammelten sich Myriaden Informationen, aus denen ein nahezu perfektes Kartensystem mit klassischer Einteilung in Längen- und Breitengrade hergestellt werden konnte. Später würden Satelliten eines Globalen Positions-Systems ausgesetzt werden. Zwischen der Sternenwind und dem Basislager arbeitete jegliche Art der Kommunikation und Signalübermittlung mit vorbildlicher Perfektion.
Ghentilhom Sharda Morghaden nahm die Sonnenbrille ab und hob die Hand, als Hawkcarn gebückt aus dem Iglu kam. Gardoon warf Sharda eine Bierdose zu. Aus einer Entfernung von dreißig Schritten hätte man ihn für Shardas Bruder halten können.
»Wie viel Zeit ist veranschlagt, Shard? Und wie schnell schaffen wir's?«, rief er.
Der Kommandant hob die Schultern. »Hundertfünfzig bis zweihundert Tage. Nicht weniger.«
Unter sturmsicheren Sonnensegeln standen die Expeditionsgleiter und flachbödige Boote mit schweren Außenbordern. Das Team und die Robots schleppten Proviantkisten in die Iglus. Sharda öffnete die Dose, trank und versuchte, die Umgebung des Lagers richtig zu verstehen. Sie schienen sich in einer Welt der Gräser zu befinden.
»Zweihundert Tage zu dreiundzwanzig Terra-Stunden«, sagte Hawkcarn und verfolgte mit seinen Blicken eine unterarmlange Eidechse. »Ich spür's, Shard! Jeder Atemzug ein Geheimnis! Sensation in jedem Luftzug, Tod in jedem Spatenstich. Wir werden herrliche Tage erleben.«
Das Lager im Schatten riesiger Bäume mit doldenförmigen Kronen, etwa dreißig Kilometer vom Meer entfernt, lag auf einem grasbewachsenen Moränenhügel, an dessen Fuß ein Bach über weiße, schwarze und rotgeäderte Riesenkiesel plätscherte. Vor einer Sumpfzone wogte ein weitläufiges Bambusdickicht im Mittagswind. Die Savanne erstreckte sich in alle Richtungen bis zum Horizont; Buschwerk und Bäume unbekannter Gattungen bildeten dunkelgrüne Inseln. Der Himmel war strahlend blau, und in kühler Luft mit einem höheren Sauerstoffanteil zogen endlose Wolkenketten von Nordwest nach Südost. Sharda warf die Dose in den Abfallbehälter und duckte sich, als eine handgroße Libelle über seinen Kopf summte.
»Du solltest weniger mythische Aspekte in unsere wissenschaftliche Untersuchung bringen, Gardoon. Warum die Sache gleich am Anfang mit unbewiesener Bedeutung überfrachten?«
»Glaub's mir, Ghentilhom Kommandant! Das ist die Welt der tausend Überraschungen.«
»Vorläufig ist es der Planet von Euklidischer Raum.«
Ein leerer Planet, dachte Sharda und half, einen Gleiter auszurüsten. Sein Team arbeitete schweigend und schnell. Im größten Iglu wurde eine Tafel aufgestellt. Das Beiboot landete und brachte die holografische Karte des Großkontinents und eine Ausschnittsvergrößerung des Gebiets rund ums Expeditionslager. Eine Stunde später waren nicht nur beide Karten an der Tafel ausgespannt, sondern die Informationen in die Handgeräte und die Gleiternavigationsgeräte eingespeist.
Dashiel Quagfas, Zweiter Pilot, salutierte nachlässig und sagte: »Ghentilhom Morghaden–wir haben einen Kommunikationssatelliten in planetosynchrone Position gebracht. Moribundus Beach auf Furious Last Stop ist ab jetzt auch mit den kleinen Geräten zu erreichen.« Er deutete senkrecht in den Himmel und grinste. »Und unsere Chefs können mit uns sprechen. Die Zivilisation hält Einzug auf Amarooga.«
»Herrlich! Was ordnet Euklidischer Raum sonst noch an?«
»Einen Anflugpunkt für Schiffe. Sozusagen einen Stapelplatz. Wir richten ihn ...« Er ging zur Karte und legte die Hand auf die östliche, weit vorspringende Halbinsel, »hier ein. Cape Nebula's End. Wasser, felsiger Untergrund, tolle Strände, notfalls leicht zu verteidigen.«
»Einverstanden.« Sharda stimmte zu. »Ich sehe mich später mit dem Gleiter um. Hawkcarn glaubt, ein Zentrum galaktischer Rätsel und Geheimnisse betreten zu haben.«
Sie zogen die Schultern hoch und warfen sich ratlose Blicke zu. Dröhnend schlossen sich die Laderaumluken des Beibootes.
Dashiel tippte mit zwei Fingern verabschiedend an seine Stirn und sagte: »Das war alles für heute, Ghentilhom. Wenn Sie keine anderen Anordnungen geben, gehen wir morgen ein paar Kilometer tiefer und holografieren den Kontinent in besserem Maßstab.«
»Sehr gut.« Sharda nickte. »Wenn sich Euklidischer Raum meldet: Wir brauchen ein Schiff voller Ausrüstung, wenn wir Cape Nebula's End ausbauen wollen. Sie sollen, wenn möglich, Ghentilfam Gortammen schicken. Racinahs Leute sind gute Stapelplatzbauer.«
»Verstanden, Chef. Wird beim nächsten Kontakt erledigt.«
Das Beiboot startete fauchend und dröhnend. Sharda setzte sich ans Kopfende des zweiten Tisches und zählte schweigend die Anwesenden. Fünfzehn Mann: Das Team war vollzählig.
»Fünf von uns fangen in Lagernähe mit gewohnter wissenschaftlicher Arbeit an. Katalogisierung der Spezimen. Wir schützen uns durch einen Energiezaun, wie immer. Vielleicht finde ich schon beim ersten Rundflug eine Aufgabe für die Pioniere.« Auf einem großen Klapptisch standen Funkgeräte, Holomonitoren und Kästen voller Multifunktionsarmbänder. »In zweihundert Tagen werden wir mit einiger Wahrscheinlichkeit herausfinden, ob Hawkcarns Großes Geheimnis wirklich existiert. Ohne unsinnige Hast – an die Arbeit, meine Herren!«
Er grinste und ging zum Gleiter. Sorgfältig kontrollierte er die Ausrüstung: Kameras, topografische Instrumente, planetologische Sonden, Robotgeräte für Luft-, Wasser- und Bodenanalysen, Bestimmungshilfen für Pflanzen und Tiere, Harpunen und Netze, schwere Explosiv- und Strahlenwaffen, Ballons, Schleppseile, Nahrungsmittelvorräte, Wasser und Getränke, Notrationen, zwei Medokits. Sämtliche Staufächer und Ladeflächen waren gefüllt. Er schob das Armbandgerät aufs linke Handgelenk, testete es durch und ging hinüber zu Hawkcarn, der auf einem Grashalm kaute.
»Ich versuch's«, sagte er leise. »Kümmerst du dich um den Schutzzaun?«
»Bis du zurückkommst, arbeitet die Anlage.«
Sharda startete die Triebwerke und regelte die Zerograv-Elemente in fünf Metern Höhe ein. Er kontrollierte Sonnenstand, Schatten und Magnetkompass und schwebte nach Westen, in Richtung Küste. Er sah metallisch schillernde Fliegen, Libellen, surrende Riesenkäfer und winzige Echsen; in den Narben der Landestützen, in frisch aufgerissenem Erdreich, entdeckte er Würmer und Asseln. Während Sharda bewusst langsam flog, hielt er Ausschau nach größeren Tieren. Gegenwärtig überdeckte zielstrebige Betriebsamkeit noch die Aufregung, die sich der Männer bemächtigte, wenn die ersten wichtigen Funde analysiert wurden. Shardas Blicke suchten die Umgebung ab, und er dachte an die Mission und an die Männer, mit denen er während der nächsten Mondwechsel zusammenarbeiten würde.
Eigentlich bestand die gesamte Sternenwind-Crew aus spezialisierten Abenteurern, deren hochqualifizierte Ausbildung sie zu Allround-Wissenschaftlern gemacht hatte. Diese, begeisterte Raumfahrer und beheimatet auf Terra und einem halben Dutzend Auswandererplaneten, flogen durchs All und suchten das Unbekannte. Sie katalogisierten Sonnen, vermaßen Planeten und rechneten Mondbahnen aus, fanden uralte Zeichen vergangener Kulturen und die Spuren der Menschheit, die sich von der Erde aus ins All gewagt hatte; aufstrebende Kulturen, Reste von Kriegen, Zeugen von Katastrophen und Fluchten aus archaischer Zeit – von Homo sapiens, Felinoiden, Vulpeculiden und Kadasgh-Echsenwesen.
Sie sprachen Terranisch, Unicosmo und etliche planetare Dialekte und beherrschten die Überlebenstechniken. Männer und Frauen voller dunkler, ehrgeiziger Ideen; sie versetzten die Grenzsteine der Menschheit weiter hinaus zu den Sternen, verdienten Spitzenlöhne und konnten mit ihrer Einsamkeit mindestens so gut umgehen wie mit Mikroskopen, Beibooten und Raumschiffen. Sie schliefen im Dschungel mit entsicherter Waffe in der Hand, kamen braungebrannt und narbenbedeckt zurück und lieferten gefüllte Datenträger ab.
Sharda hielt den Gleiter an und beugte sich über die Bordkante. Alles war neu auf dem Planeten, den sie Amarooga getauft hatten. Eine Herde großer Urpferde stob, hundert Meter entfernt, durch den Rand der Bambuszone. Die Kameras, deren Zielsuchvorrichtung sich summend bewegten, klickten und zischelten. Sekundenlang tauchte eine Raubtiersilhouette auf; ein schlankes, etwa leopardengroßes Tier mit langen Läufen. Sharda ließ den Gleiter steigen, wich nach rechts aus und erreichte ein Flussufer. Der Wasserlauf mündete nach einigen großen Schleifen, ein halbes Dutzend Seen bildend, im Südosten ins Meer. Vogelschwärme kreisten über den Ufern. Eine gute Stunde später blinkte das Funkgerät. Gardoon Hawkcarns Stimme kam klar und deutlich durch.
»Hier Biwak; Hawkcarn. Der Zaun steht. Quartiere eingerichtet, Küche und Sanitärzellen ebenfalls. Aufregende Vorkommnisse, Chef?«
»Negativ!«, antwortete Sharda. »Ich fliege über der Flussmitte flussabwärts. Keinerlei Überraschungen bisher. Ende.«
Hawkcarn, Shardas Vertreter. Ein hochtalentierter Mann von ausgesuchter, mitunter erstaunlicher Leistungsfähigkeit, drei Jahre jünger als Sharda. Als ein Wolkenschatten über den Gleiter hinwegzog, blinzelte Sharda und erinnerte sich an einen charakteristischen Dialog: Eine junge Frau, von Gardoon bezaubert, später hingerissen, danach verlassen worden, hatte ihn angesprochen.
»Hawkcarn?« Sie starrte wild in Shardas Augen. »Jetzt kenne ich ihn. Wie er innerlich aussieht, weiß nicht mal er selbst. Ein schneller Mann: Hart, charmant, unwiderstehlich. Zweifellos hat er einen genialischen Funken. Aber der dumpfe Mystizismus löscht ihn aus. In allem, wovon er nichts versteht, vermutet er Deus absconditus. Den versteckten Gott. In Wirklichkeit ist er bemitleidenswert schwach. Wissen Sie das, Ghentilhom Morghaden?«
Sharda hatte geschwiegen und genickt. Er entsann sich.
»In ihm gärt es! Irgendwann entlädt sich etwas, dann dreht er durch. Galaktischer Amok. Entweder endet's in einer Katastrophe, oder er verglüht grell wie ein Meteorit. Wo ist er jetzt?«
»Ich weiß es nicht.« Sharda hatte gelogen, damals. Sie war selbst eine der schnellen Frauen. Man fand sie in den Bars exzellenter Hotels, in den Passagierräumen schneller Yachten und überall dort, wo reiche Menschen teure Vergnügungen fanden. »Er wurde vor einer Stunde abgeholt. Von einer schwarzhaarigen Millionenerbin, in einem sündteuren Arcturus. Kennen Sie die Dame?«
»Vermutlich nicht. Ich bevorzuge die Metro.«
Bevor sie vom Barhocker rutschte und Sharda die Bezahlung ihres Drinks überließ, hatte sie zornig und mit flacher Stimme gesagt: »Er ist gewissenlos. Das ist es. Und hohl. Hüten Sie sich vor ihm, Ghentilhom Morghaden.«
Sharda grinste in sich hinein und steuerte ans rechte Ufer des Flusses. Hawkcarn war sein Erster Offizier, nicht sein Geliebter.
Das Gewässer weitete sich zu einem langgestreckten See. Voraus, zwischen Dschungelbäumen, deren Blätter fast abstoßend grün leuchteten, stieg der Rauch eines Waldbrandes oder eines kleinen Vulkans schräg in die heiße Nachmittagsluft. Am schlammigen Ufer konnte Sharda nur Spuren großer und kleiner Tiere entdecken. Stelzvögel und lange Ketten kleinerer Vögel oder Bindegliedern zu den Flugsauriern, deren Gefieder in starken Farben leuchtete, flogen auf. Der Schatten des Gleiters und der Reflex der Frontscheibe huschten über dunkelgrünes Wasser.
An Bord verhielt sich Gardoon Hawkcarn gänzlich anders. Für jeden Kadetten – es gab stets einige auf jedem Flug – war er, wie Sharda, ein wandelndes 24-Stunden-Vorbild. In den Basislagern verhielt er sich, als habe er die wissenschaftliche und menschliche Disziplin auf Forschungsflügen für die IOK-Gesellschaften persönlich erfunden.
Sharda grinste abermals und bewegte die Steuerung. Der Gleiter beschleunigte und legte sich in eine Linkskurve, dicht vor dem Rand des Dschungels, der sich laut Karte zwischen der Savanne und den Stränden nach Nord und Süd erstreckte.
Sharda überflog den Zaun und setzte den Gleiter im Schatten ab. Sämtliche Gewächse zwischen den Iglus waren gerodet worden; trockener Staub umgab die Bauten und Container. Ein Holzstapel war nahe einer Fertigteil-Feuerstelle aufgeschichtet. Ultraschallvorhänge hielten Insekten fern, zwei lange Tische und viele Klappsessel, verschiedene Scheinwerfer und Beleuchtungskörper, geöffnete Konserven, Lightbierdosen und ein Teil der wissenschaftlichen Instrumente standen bereit. Sharda setzte sich, öffnete das Hemd bis zum Gürtel, streckte die Beine aus und verschränkte die Arme im Nacken.
»Erteile Sonderlob, Freunde«, sagte er. »Wenn ich jetzt noch ein Bier bekäme, wäre ich glücklich.«
Cy Maistegui brachte ihm ein ›richtiges‹ Bier. Die Wissenschaftler hatten die Bordoveralls ausgezogen und gingen in angemessener Bekleidung hin und her. Aus Lautsprechern kam Musik von Musicubys. Als nach dem Abendessen satte, zufriedene Ruhe eintrat, hörten sie das Geräusch zum ersten Mal deutlich: ein fortwährendes Rasseln, Klappern, Aneinanderschaben, Zirpen und Knarren, hin und wieder unterbrochen von peitschendem Knacken.
»Was ist das?«, fragte Vale Lascurain.
»Pflanzengeräusche«, sagte Sharda. »Bambus – oder wie wir das Zeug nennen werden – reibt sich aneinander. Und harte Gräser, vielleicht auch trockene Äste.«
Die Geräusche begleiteten sie in den Schlaf hinein.
Zwanzig Tage lang arbeiteten sie konzentriert und schnell. Die Sternenwind landete, brachte bessere Karten und holte sich neue Instruktionen. Fünfzehn Tage danach landete Ghentilfam Gortammens Schiff, die Weißes Loch, auf Cape Nebula's End.
Männer und Roboter bauten auf der Halbinsel einen Stützpunkt und installierten die wichtigsten Einrichtungen der Infrastruktur. Sharda flog mit Gardoon hinüber und begrüßte die Kommandantin und ihr Team, das gerade schwere Baumaschinen verlud.
Racinah, hochelegant gekleidet in eine robotmaßgeschneiderte Uniform des archaischen »White Hunters«, samt Hut mit synthetischem Leopardenfellband und mit einem ersten Satz gefüllter Amarooga-Datenspeicher ausgestattet, startete und ließ vier Männer, drei Container und entsprechende Maschinen zurück. Sharda würde sie nach beendeter Mission abholen.
Winzige Einweg-Funkbälle wurden ausgeworfen. Das Schiff verfolgte ihre Dauersignale und begann die wichtigsten Meeresströmungen zu messen. Entlang der Küsten wurde das Schelfprofil mit Zehntausenden automatischer Echolotungen erarbeitet. Die Männer sezierten Vögel und Fische, die sie betäubt und waidmännisch fachgerecht erlegt hatten. Man fand in einer planetologischen Verschiebung einen Saurierschädel und präparierte ihn. Schrittweise bereiteten sich Shardas Männer auf den Moment vor, an dem sie einen klaren Blick auf die wahre Natur Amaroogas haben würden.
Die Erlebnisbereitschaft aller Beteiligten war so hoch wie selten zuvor. Am neunzigsten Tag näherten sich Theys Salogoen, Sharda und Hawkcarn, nachdem sie fast hundert Kilometer entlang der auslaufenden und gischtenden Brandung nach Süden geflogen waren, einer Gruppe dünner Rauchsäulen.
Sharda steuerte den Gleiter weit aufs Meer hinaus, bremste, wendete und flog nach Westen zurück, auf ein Mündungsdelta zu.
Hawkcarn legte die Hand auf den Griff der Waffe und richtete seinen Zeigefinger nach vorn. »Jäger!«, sagte er. »Fischer. Nackte junge Frauen tanzen um grauenhaft alte Heiligtümer. Sie werden uns mit Blüten, Nektar und eindeutigen Gesten überschütten.«
»Vielleicht grauenhafte Jäger und Fischer.« Sharda grinste Salogoen an. »Deine Nackten kannst du vergessen. Wahrscheinlich haben sie bündelweise Tentakel.«
Der Gleiter näherte sich in Höhe der Baumwipfel einem trichterförmigen Ausschnitt des Uferwalds. Am obersten Rand eines breiten Uferstreifens lagen etwa ein Dutzend schmale Boote. Am linken Ende der großen Bucht mündete ein hundert Schritt breiter Bach, von Schilfgewächsen gesäumt, ins Meer.
»Tatsächlich«, sagte Sharda leise. »Eine Siedlung.«
Er ließ den Gleiter durchsacken und schaltete den Schutzschirm ein. Zwischen den Bäumen, fünfhundert Meter tief im Wald, tauchten Hütten mit spitzkegeligen Dächern aus geflochtenen Schilfgräsern auf. Die Rauchfahnen stiegen aus Feuern auf, die in hohen Steinkreisen brannten.
Hawkcarn stieß Sharda an und rief unterdrückt: »Sie sind humanoid! Und so groß wie wir.«
»Unglaublich!« Alles, was wir von Amarooga wissen, taugt nichts mehr«, murmelte Theys. »Es dürfte auf dieser Welt keine Intelligenzwesen geben! Erst recht keine humanoiden! Deine Meinung, Sharda?«
»Indifferent. Warten wir auf die Begrüßungstänze. Oder auf scharfe Pfeile und Speere.«
Die ersten Eingeborenen sahen den Gleiter, bevor er in die langen Schatten eintauchte. Schweigend erblickten die Raumfahrer Menschen mit hellbronzener Haut und langen Gliedmaßen, schwarzhaarig, in allen Altersstufen; zweifellos Jäger, Sammler und Fischer, und absolut menschlich.
Da hast du Hawkcarns Großes Geheimnis, sagte sich Sharda und blickte auf Waldfrüchte in Körben, trocknenden Fisch und auf Waffen und Werkzeuge, die in einer solchen Siedlung zu erwarten waren. Er unterdrückte seine tiefe Verblüffung und sah in allen Gesichtern erwartungsvolles Staunen.
Hawkcarn knurrte: »Keine Speere. Sie sind genauso neugierig wie wir. Zweihundert bis dreihundert.«
Sharda schickte seine Blicke in die dunklen Zonen zwischen knorrige Wurzeln und Stämme. Aus den Zweigen hingen an langen Fäden unterschiedlich lange Bambusabschnitte verschiedener Durchmesser. Summend näherte sich die Maschine dem Platz zwischen zwei Feuerkreisen. Der breite Kiel schrammte über sandigen Boden.
Hawkcarn stand auf, hob die Hände bis in Schulterhöhe und musterte lächelnd die jungen Frauen. Als der Gleiter hielt, kamen die Eingeborenen zögernd von allen Seiten heran, und Theys meinte unbehaglich: »Wir dürfen wohl nicht erwarten, dass sie Unicosmo verstehen. Wird dein Job, Sharda.«
Sharda kippte einen Schalter und schwang sich über den Rand des Gleiters. Langsam ging er auf einen breitschultrigen Mann zu, der einen Wildlederschurz mit Gürtel, einen breiten Stirnreif und hohe Stiefel aus dicht geflochtenen Lederschnüren trug. Shardas Handflächen wurden feucht, als er vor dem Schwarzhaarigen stehen blieb und ruhig, langsam und auf Unicosmo zu reden begann. Dabei führte er bedächtige Gesten aus, eher zu schwungvoll als zu knapp. Die Umstehenden murmelten. Die Kinder kreischten und kicherten, und die Eingeborenen starrten die Fremden ebenso neugierig, fasziniert und erstaunt an wie Hawkcarn die barbrüstigen Frauen.
Sharda drehte sich halb herum und rief über die Schulter: »Wir werden das Sprachprogramm für sie modifizieren.«
Es schien ihm zu gelingen, den Eingeborenen zu schildern, dass sie mit einem großen Schiff von den Sternen gekommen waren und nach Freunden auf dieser Welt gesucht hatten. Der Häuptling antwortete halbwegs überzeugend gestenreich und in einer vokalreichen Sprache, dass sein Stamm und andere Stämme am Meer und an den Flussmündungen wohnten und dass sich nur wenige Jäger ins Innere des Landes wagten. Jeder zweite Satz endete mit »Savvy?« Unaufhörlich betätigte Theys Salogoen die Kameras. Schließlich sprang Hawkcarn aus dem Gleiter, teilte den gesamten Vorrat an Getränkedosen an die männlichen Erwachsenen aus und zeigte ihnen, wie die Dosen geöffnet wurden.
Die Schatten wurden länger und schwärzer. Sharda bedeutete den Eingeborenen, dass sie in ihr Lager zurückfliegen mussten und am Tag darauf mit vielen Geschenken zurückkommen würden. Die Jäger trugen Dolche und Messer aus Metall; aus Stahl und Bronze schienen auch Harpunenspitzen, einige Kochgefäße und ein Teil des Schmucks der Frauen zu bestehen.
»Morgen kommen wir früher. Wenn die Sonne aufgeht.« Sharda deutete auf das Gestirn und aufs Meer. »Dann werden wir besser reden. Mehr Worte. Du und ich, savvy?«
Er verbeugte sich und packte den Unterarm des Häuptlings, der die Geste verstand.
Sharda kletterte hinter die Steuerung, wartete auf Hawkcarn und ließ den Gleiter hochsteigen. Er schwebte auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Als sie mit Höchstgeschwindigkeit zur Basis rasten, rief Hawkcarn kopfschüttelnd: »Ich weiß, was wir gesehen haben!« Seine Hände zeichneten sanduhrartige Umrisse in die Luft. »Trotzdem! Es dürfte auf Amarooga keine humanoiden Wesen geben. Schon gar nicht diese sensationell gewachsenen Jägerinnen!«
»Fischerinnen. Wir haben innerhalb von vier Stunden einen planetengeschichtlichen Sprung durchgeführt«, sagte Sharda laut. »Vom Pliozän ins Nach-Pleistozän. Was werden wir noch finden? Reste älterer Kulturen? Megalithbauten?«
»Schwindelerregende Perspektiven. Hab ich's nicht gesagt?« Hawkcarn lachte schrill. »Planet der Geheimnisse. Rund um den Kontinent leben Jäger und Fischer. Und wo sind die Ackerbauern und die Pyramiden?«
»Vielleicht finden wir sie vom Schiff aus«, meinte Theys. »Sternmann Hawkcarn ganz wild auf jung Weiber, savvy?«
»Darauf kannst du wetten. Savvy.«
Als sie das hell beleuchtete Lager erreichten, gingen die Monde auf; der gelbe Mond, den die Eingeborenen Sareni nannten, und die kaum sichtbare Sichel Calangas. Senkrecht über den Iglus hing zwischen den Sternen die glühende Scheibe des Planetaren Emissionsnebels, so groß und gelb wie Sareni.
Erissar vom Stamm der Drys-Iferuane drehte das Glas in den schlanken Fingern und nippte am Blütenwein. Ghentilfam Racinah blickte in schweigender Nachdenklichkeit in Shardas Gesicht. Die winzigen Kristalle über ihrem Auge blinkten; das Ornament, das den Staubgefäßen einer exotischen Blüte glich, verriet ihre Erregung.
Valc Osmahani sagte leise: »Inzwischen kennst du die Bedeutung der beiden Planeten; unserer Welt und Amaroogas.«
Sharda, aus der Tiefe seiner Erinnerungen aufgetaucht, wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Er hob das Metahologramm aus Racinahs Unterlagen hoch. Ein Ausschnitt der Milchstraße war zu sehen, und darin ein Gebiet, das annähernd einer ovalen optischen Linse glich. Etwa 250 hellrote Punkte. Sie markierten erschlossene, erdähnliche Planeten und solche Welten, deren Terraformung fortgeschritten war. Zwischen Terra, einem eisblauen Pünktchen, und dem Rand der Linse stand ein gelber Punkt: Furious Last Stop. Amarooga war durch einen gelbroten Punkt gekennzeichnet, der sich in Fortsetzung einer Geraden zwischen anderen Randplaneten der Linse befand. Es war evident, dass beide Planeten sozusagen Brückenpfeilerfunktion hatten. Oasen für Raumschiffe zwischen der Heimat der Menschheit und vielen Kolonien von Euklidischer Raum und den fünf anderen multiplanetarer Gesellschaften.