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»Ein isländischer Schriftsteller kann nicht leben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken.« Halldór Laxness Der Stellenwert, den die Isländersagas im kulturellen Gedächtnis der Isländer einnehmen, ist enorm. Bis heute haben die fesselnden Geschichten rund um die Besiedelung der nordischen Insel nicht an Leuchtkraft verloren: Die Prosatexte aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind eine Sternstunde der Geistesgeschichte Europas – und können hier in einer breiten Auswahl bewundert werden. Mit der vorliegenden Neuedition öffnet sich dem Leser ein Tor in eine Welt, die beseelt ist von wütenden Außenseitern, starken Frauen und Rechtskundigen, von Rache, Totschlag und Buße, aber auch von Schadenszauber und Wiedergängern und nicht zuletzt abenteuerlichen Reisen in ferne Länder. Die Isländersagas sind Weltliteratur. Die ›Isländersagas‹ - vorgelegt von den besten literarischen Übersetzern und angereichert mit wissenschaftlichen Zusatzinformationen - räumen einer der bedeutendsten Literaturen den Platz ein, der ihr gebührt. Mit einem Vorwort der Herausgeber Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften Mit Karten der Handlungsorte der Sagas Mit einem Glossar
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Seitenzahl: 123
Die Saga von Ljót aus Vellir
Isländersagas
Herausgegeben von Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack
Aus dem Altisländischen von Laura Wamhoff
Fischer e-books
Mit einer Einleitung von Laura Wamhoff
Mit einem Vorwort der Herausgeber
Mit einer Faksimile der mittelalterlichen Handschrift
Mit einer Karten der Handlungsorte der Saga
Mit einem Glossar
Die Isländersagas (Íslendingasögur) sind umfangreiche Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, entstanden im 13. und 14. Jahrhundert. Sie gelten als der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und sind in viele Sprachen übersetzt worden, mehrfach auch ins Deutsche. Die vorliegende Ausgabe präsentiert eine breite Auswahl dieser Sagas in neuen deutschen Übertragungen, ergänzt durch eine Reihe thematisch und stilistisch verwandter Erzählungen (þættir) aus derselben Epoche. In ihrer novellenhaften Kürze und Pointiertheit legen sie zusammen mit den Isländersagas in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab von der im Mittelalter einzigartigen Erzählkunst Islands.
Viele Übersetzer haben zum Entstehen der neuen Ausgabe beigetragen. Wenn die Übertragungen dadurch einen je individuellen Ton bekommen haben, dann ist dies durchaus beabsichtigt. Denn die Originaltexte haben bei allen Gemeinsamkeiten doch immer eine deutlich eigene Prägung, die auch in der Übersetzung noch durchscheint. Damit die Sagas als literarische Kunstwerke für sich wirken können, sollten sie von allen erläuternden Zusätzen möglichst frei bleiben. Für das Verständnis unverzichtbare Anmerkungen der Übersetzer sowie Karten zur geographischen Orientierung finden sich in einem Anhang. Den größeren kultur- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang erschließt der Begleitband.
April 2011
Die Herausgeber
Valla-Ljóts saga
Aus dem Altisländischen und mit einer Einleitung von Laura Wamhoff
Die Saga von Ljót aus Vellir ist in dieser Handschrift aus dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts mit »Saga von den Auseinandersetzungen Guðmunds des Mächtigen und der Leute aus dem Svarfaðardal« überschrieben; auf dem rechten Rand ist in der Hand des Handschriftensammlers Árni Magnússon der heute gebräuchliche isländische Titel »Vallnaliotz Saga« (Valla-Ljóts saga) eingetragen.
Die Saga von Ljót aus Vellir, die wahrscheinlich zwischen 1220 und 1240 entstand, berichtet von Ereignissen aus dem Eyjafjord und dem Svarfaðardal im Norden Islands. Trotz seiner Kürze enthält dieser Text die für die Isländersagas typische Fehdestruktur, aber kaum Beschreibungen von übernatürlichen Phänomenen, die sonst häufig in den Isländersagas eine Rolle spielen. Stattdessen konzentriert sich die Handlung gänzlich auf den Konflikt zwischen den Sigurðssöhnen von Gnúpufell und den Bewohnern aus dem Svarfaðardal, zu denen vor allem Valla-Ljót zählt, nach dem die Saga benannt wurde. Schon zu Beginn der Erzählung wird deutlich, dass die Sigurðssöhne keine allzu friedlichen Menschen sind. Insbesondere Hallis Gewaltbereitschaft übertrifft ständig die seiner Brüder Böðvar und Hrólf. Nachdem ihre verwitwete Mutter sich trotz Hallis Einwänden mit dem Nachbarn Torfi verlobt hat, entbrennt der erste Konflikt: Als Halli im Auftrag seiner Mutter ein Ferkel von Torfi holen soll, der ihn dann in den verdreckten Schweinepferch schickt, hackt er aus Rache der Sau den Rüssel ab und lauert Torfi später auf, um ihn zu erschlagen und so das Problem der Heirat endgültig aus dem Weg zu räumen. Er flieht zu seinem Großvater Ingjald nach Gnúpufell, und dieser schafft es, mit Eyjólf von Möðruvellir, der für die Anklage verantwortlich ist, für Halli einen Vergleich auszuhandeln. Halli kommt also noch einmal davon und verpflichtet sich dann als Handlanger bei Eyjólfs Sohn Guðmund dem Mächtigen. Begreiflicherweise bringt Halli diese Tätigkeit in der Gegend nicht viel Ruhm ein, und er beschließt, in die Heimat seiner Vorfahren umzuziehen: in das Svarfaðardal. Dadurch kommt er jedoch in eine Gegend, die von Valla-Ljót beherrscht wird, von dem Halli sich natürlich nichts sagen lassen will. Vor allem mit dem einflussreichen Guðmund dem Mächtigen als Unterstützer provoziert Halli Valla-Ljót und beginnt einen Streit. Kurze Zeit später geraten die beiden wieder aneinander, und Ljót bringt Halli um. Diesen Totschlag rächt Hrólf, Hallis Bruder, mit einem üblen Hinterhalt: Er lässt Þorvarð, Valla-Ljóts Neffen, auf dem Markt im Eyjafjord hinterrücks ermorden. Die Fehde erreicht ihren Höhepunkt, als Þorvarðs Bruder Björn und sein Cousin Sigmund Þorvarð rächen wollen und sie Böðvar, Hrólfs Bruder, überfallen und umbringen. Diese Ereignisse führen dazu, dass auch die beiden einflussreichen Männer Guðmund und Valla-Ljót miteinander in Konflikt geraten. Besonders an dieser Saga ist, dass eine überschaubare Anzahl an Personen auftritt und Nebenfiguren kaum eine Rolle spielen. Die Erzählung konzentriert sich auf den Konflikt zwischen den Sigurðssöhnen und Valla-Ljót, der sich dann später zur Fehde zwischen Guðmund dem Mächtigen und Valla-Ljót entwickelt. Ein wichtiges Leitmotiv ist dabei das Thema Ehre, das die Handlung in Gang setzt und stets weitertreibt. Bis zum Ende bleibt der Leser im Ungewissen darüber, welcher der Protagonisten tatsächlich unterliegt.
Sigurð hieß ein Mann; er war der Sohn von Karl Rauði, Karl dem Roten. Er hatte die Tochter von Ingjald auf Gnúpufell zur Frau. Er hatte drei Söhne, von denen der älteste Hrólf hieß, der zweite Halli und der dritte Böðvar. Sie waren große und starke Männer. Hrólf war anmaßend und geldgierig. Halli war ein geselliger und gesetzeskundiger Mann, aber auch aufbrausend. Böðvar war freiliebend und wurde ein Kaufmann.
Torfi hieß ein Mann, der auf Torfufell wohnte; er war reich, stammte aber nicht aus vornehmer Familie. Damals wohnte Eyjólf zusammen mit seinem Sohn Guðmund auf Möðruvellir.
Sigurð wurde krank und ließ seine Söhne zu sich nach Hause kommen und bat sie, zusammenzuhalten. Jeder habe seinen eigenen Charakter, das sehe er, »aber werdet nicht selbstsüchtig und achtet alle auf eure Ehre«.
Dann starb er. Damals war Hrólf achtzehn, Halli vierzehn und Böðvar zwölf Jahre alt.
Auch Torfis Frau starb. Torfi mochte die Söhne von Sigurð. Einmal kam er zu ihnen und bat sie um eine Unterredung.
Torfi sagte: »Wir kennen uns nun schon lange, und ich möchte die Beziehung vertiefen. Nun werde ich mit eurer Mutter sprechen und um sie werben. Es könnte für beide Seiten von Vorteil sein. Und obwohl zwischen uns ein Unterschied hinsichtlich unserer Stellung bestehen mag, kann dies mit Besitz und klugem Wirtschaften ausgeglichen werden.«
Hrólf bat ihn, über diese Angelegenheit mit seiner Mutter zu sprechen. Das tat er.
Sie gab folgende Antwort: »Diese Entscheidung will ich meinen Söhnen überlassen und nicht alleine darüber entscheiden. Wenn sie zustimmen, wäre ich jedoch einverstanden.«
Torfi fragte: »Was meinst du, Halli?«
Er antwortet: »Diese Entscheidung kommt eher Hrólf und Böðvar zu. Sie sind älter als ich und tragen die Verantwortung.«
Torfi trug Halli und den beiden anderen sein Anliegen vor. Hrólf und Böðvar meinten, dass die Werbung Aussicht auf Erfolg hätte, und sie sagten, dass sie nichts gegen diese Ehe hätten.
Da sagte Halli: »Ich wollte eure Meinung abwarten und hatte mir das schon gedacht. Ich sehe nicht, warum wir dem zustimmen sollten, und wir verlieren sehr wahrscheinlich an Ansehen dadurch. So jemand ist nicht ebenbürtig. Ich kann nicht zulassen, dass sich meine Mutter nach einer ehrenvollen Ehe nun mit einem Freigelassenen verheiratet.«
Hrólf war jedoch anderer Meinung, und die Mutter sagte, dass sie Torfi nicht abweisen wolle, »und ich willige in diese Heirat ein«.
Hrólf war der Ansicht, dass er die Entscheidung zu treffen habe. Halli erwiderte, dass es so zu geschehen habe, wie sie es wollte. Die Hochzeit wurde für den Winteranfang festgelegt.
Nun vergeht eine Weile und es wird berichtet, dass Halli an einem Tag zu den Frauen ins Frauenhaus kam.
Seine Mutter sagte: »Ich muss heute unseren Mägden den Lohn auszahlen und ich möchte, dass du nach Torfufell gehst und Torfi ausrichtest, er möge mir ein Ferkel schicken. Sieh zu, dass du nicht die Beherrschung verlierst, das Ferkel wird widerspenstig sein. Torfi wird es dir überlassen, wenn er meine Botschaft hört.«
»Ich werde es tun, denn du hast ja einen guten Freund dort.«
Als er bei Torfi ankam, war er gerade bei der Arbeit und er sah ihn gar nicht an.
Halli sprach da zu Torfi: »Meine Mutter schickt mich zu dir und bittet dich um ein Ferkel. Sie braucht es für ein Essen mit ihren Mägden.«
Torfi sagte, ohne ihn anzusehen: »Das kann ich tun. Such dir eins aus und schnapp es dir.«
Halli erwiderte: »Es gehört sich nicht für einen Mann, der nicht vom Hof ist, in den Schweinestall zu einer alten Sau zu gehen.«
Torfi fragte: »Was meinst du, übermütiger Kerl?«
»Dass ich es nicht darauf ankommen lassen werde. Schick dorthin, wen du willst.«
Torfi sprach: »Mir kommt es so vor, als hieltest du dich für genauso feige wie die Sau.«
Halli antwortet: »Das hättest du besser nicht gesagt. Ich vergleiche nicht meine Tüchtigkeit mit der der Sau. Das kann man eine Beleidigung nennen!«
Er lief zur Tür, rannte in den Stall und hieb der Sau den Rüssel ab. Dann griff er das Ferkel und lief wieder hinaus.
Torfi sprach: »Nun hast du das Ferkel; bring es ihr.«
Halli erwiderte nichts und reitet heimwärts. Die Gegend war bewaldet. Halli stieg dort vom Rücken seines Pferdes und wartet so lange im Wald, bis er einen Mann im blauen Gewand über den Fluss reiten sah und erkannte, dass es Torfi war. Halli springt auf, läuft auf ihn zu und schlägt ihn tot. Er hatte sowohl einen Speer als auch ein Schwert. Halli warf ihn einen Abhang hinab, bedeckte seine Leiche mit Erde und nahm sein Pferd mit. Er kam nach Hause und stieß auf seine Mutter. Sie fragte nach dem Ausgang seiner Unternehmung, und er erzählt, wie die Sache ausgegangen war, und erklärte, dass Torfi weder in ihr Bett kommen noch ihr ein Ferkel senden werde, »so wie ich mich von ihm trennte. Ich habe diese Heirat verhindert, obwohl ihr das nicht geglaubt habt.« Sie antwortet: »Das denke ich, dass du oft deine Hand zum Schlechten reichst. Und das wird der Beginn deines Unglücks sein, du wirst entweder geächtet oder getötet werden, weil hier Männer wie Eyjólf die Totschlagsklagen führen.« Halli antwortet: »Du brauchst mir nicht so große Vorwürfe wegen dieser Tat zu machen, weil Torfis Tod nur ein geringer Verlust ist, auch wenn du ihn für einen guten Mann hieltest.« Sie sagte, dass das richtig sein wird, »doch es wäre für dich besser, die Tat wäre nicht geschehen«. Daraufhin ging er zu Ingjald, seinem Großvater, nach Gnúpufell und berichtete ihm von den Ereignissen. Der erwidert: »Triff dich mit den Leuten aus dem Svarfaðardal, deinen Freunden und Verwandten. Was hattest du ihm denn vorzuwerfen?«, fragte Ingjald. Halli antwortet: »Seine unpassenden Worte mir gegenüber, weil ich ihm nicht meine Mutter verheiraten und so unsere Familie entehren wollte. Nun weiß ich nicht, ob ich in Gefahr bin wegen der Totschlagsklage oder ob ich unbesorgt dorthin reisen kann, obwohl er mich feige wie die Sau nannte.« Da antwortet Ingjald: »Das war übel gesprochen. Bleib nun bei uns, bis dein Prozess beendet ist.«
Damals wirtschaftete Víga-Glúm auf Þverá, und die Verwandten, Víga-Glúm und Ingjald, trafen sich. Sie gingen zu Eyjólf und bieten ihm einen Vergleich für seinen Thingmann Torfi an. »Wir wollen dir Respekt erweisen und dir einhundert Mark Silber als Buße zahlen, aber dafür soll die Gegenklage gegen Torfi für die Beleidigung Hallis fallengelassen werden. Es ist auch ungewiss, ob wir mehr von unseren Verwandten bekommen können. Es soll hieraus keine Feindschaft entstehen.« Eyjólf antwortet: »So soll es auch sein. Halli ist mit uns verwandt und kommt aus einer angesehenen Familie.« Sie schlossen damit einen Vergleich. Damals war Halli siebzehn Jahre alt, als der Besitz der Brüder geteilt wurde.
Böðvar brach auf zu einer Handelsreise, aber Hrólf mit dem Beinamen Gíp, Schlund, war zu Hause auf dem Hof, den er geerbt hatte. Böðvar war lange Zeit unterwegs, und er war der tüchtigste Kauffahrer und beliebt. Er blieb zwölf Jahre lang auf Reisen. Halli gründete einen Haushalt und nahm Signý Bersadóttir, eine Verwandte von den Möðruvellir-Leuten, zur Frau. Eyjólf und Halli verstanden sich gut, und Halli meinte, dass es für ihre Freundschaft am besten gewesen sei, dass sie verschwägert waren. Eyjólf sagte, dass er das richtig sähe. Halli beschäftigte sich viel mit Rechtsangelegenheiten. Wenig später ertrank Eyjólf im Fluss Gnúpufellsá und wurde zu Hause auf Möðruvellir bei der Hofwiese begraben. Er erhielt zuvor noch die Primsegnung. Daraufhin übernahm sein Sohn Guðmund der Mächtige die Position seines Vaters und kam gut mit Halli zurecht. Er unterstützte Halli mit einer gut gerüsteten Mannschaft, denn Halli erledigte für ihn die undankbare Arbeit. Er wurde deshalb Hreðu-Halli, der Unfrieden-Halli, genannt und bekam dafür die größte Wertschätzung von Guðmund.
Halli ging damals auf die vierzig Jahre zu, als die Ereignisse der Geschichte an diesen Punkt gekommen waren, und er war nicht leicht anzugreifen wegen der Macht Guðmunds und seiner eigenen Entschlossenheit. Bersi heißt Hallis Sohn, und er war ein vielversprechender Mann. Hrólf war ein reicher Mann und heimtückisch.