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»Ein isländischer Schriftsteller kann nicht leben, ohne beständig über die alten Bücher nachzudenken.« Halldór Laxness Der Stellenwert, den die Isländersagas im kulturellen Gedächtnis der Isländer einnehmen, ist enorm. Bis heute haben die fesselnden Geschichten rund um die Besiedelung der nordischen Insel nicht an Leuchtkraft verloren: Die Prosatexte aus dem 13. und 14. Jahrhundert sind eine Sternstunde der Geistesgeschichte Europas – und können hier in einer breiten Auswahl bewundert werden. Mit der vorliegenden Neuedition öffnet sich dem Leser ein Tor in eine Welt, die beseelt ist von wütenden Außenseitern, starken Frauen und Rechtskundigen, von Rache, Totschlag und Buße, aber auch von Schadenszauber und Wiedergängern und nicht zuletzt abenteuerlichen Reisen in ferne Länder. Die Isländersagas sind Weltliteratur. Die ›Isländersagas‹ - vorgelegt von den besten literarischen Übersetzern und angereichert mit wissenschaftlichen Zusatzinformationen - räumen einer der bedeutendsten Literaturen den Platz ein, der ihr gebührt. Mit einem Vorwort der Herausgeber Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften Mit Karten der Handlungsorte der Sagas Mit einem Glossar
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Seitenzahl: 216
Die Saga von Víga-Glúm
Isländersagas
Herausgegeben von Klaus Böldl, Andreas Vollmer und Julia Zernack
Aus dem Altisländischen von Mathias Kruse
Fischer e-books
Mit einer Einleitung von Mathias Kruse
Mit einem Vorwort der Herausgeber
Mit Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften
Mit einer Karte der Handlungsorte der Saga
Mit einem Glossar
Die Isländersagas (Íslendingasögur) sind umfangreiche Prosaerzählungen in altisländischer Sprache, entstanden im 13. und 14. Jahrhundert. Sie gelten als der wichtigste Beitrag Islands zur Weltliteratur und sind in viele Sprachen übersetzt worden, mehrfach auch ins Deutsche. Die vorliegende Ausgabe präsentiert eine breite Auswahl dieser Sagas in neuen deutschen Übertragungen, ergänzt durch eine Reihe thematisch und stilistisch verwandter Erzählungen (þættir) aus derselben Epoche. In ihrer novellenhaften Kürze und Pointiertheit legen sie zusammen mit den Isländersagas in eindrucksvoller Weise Zeugnis ab von der im Mittelalter einzigartigen Erzählkunst Islands.
Viele Übersetzer haben zum Entstehen der neuen Ausgabe beigetragen. Wenn die Übertragungen dadurch einen je individuellen Ton bekommen haben, dann ist dies durchaus beabsichtigt. Denn die Originaltexte haben bei allen Gemeinsamkeiten doch immer eine deutlich eigene Prägung, die auch in der Übersetzung noch durchscheint. Damit die Sagas als literarische Kunstwerke für sich wirken können, sollten sie von allen erläuternden Zusätzen möglichst frei bleiben. Für das Verständnis unverzichtbare Anmerkungen der Übersetzer sowie Karten zur geographischen Orientierung finden sich in einem Anhang. Den größeren kultur- und literaturgeschichtlichen Zusammenhang erschließt der Begleitband.
April 2011
Die Herausgeber
Víga-Glúms saga
Aus dem Altisländischen und mit einer Einleitung von Mathias Kruse
Ein Fragment der Saga von Víga-Glúm in einer Pergamenthandschrift vom Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich um eine Abschrift des Vatnshyrna-Kodex, der beim Brand von Kopenhagen 1728 bis auf wenige Reste vernichtet wurde. Eine jüngere Hand hat auf dem oberen Rand vermerkt »aus der Vatnshyrna«.
Entstanden um die Mitte des 13. Jahrhunderts, erzählt die Saga von Víga-Glúm die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Glúm Eyjólfsson, genannt Víga-Glúm, »Totschlag-Glúm«. In der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts scheint er einer der mächtigsten Goden im Norden Islands gewesen zu sein. Zentrum seiner Macht war der am Eyjafjord gelegene Hof Þverá (das heutige Munkaþverá). Die Saga beschreibt ihn als sehr wortkargen Menschen, großgewachsen und hager. »Glattes, weißblondes Haar« soll er gehabt haben, leicht »finstere Augenbrauen«, und er soll, was die Arbeit auf dem Hof anging, ein »eher träger Kerl« gewesen sein (s. Kap. 5). Seine Taten, allen voran die namengebenden Totschläge, zeugen dabei von einer guten Portion Gerissenheit und Skrupellosigkeit. Fünfzehn Jahre soll er alt gewesen sein, als er während eines Aufenthaltes in Norwegen seinen ersten Gegner erschlug. Zurück in Island, sichert er sich im Streit mit den eigenen Verwandten das reiche Erbe seines Vaters. Feinde macht er sich dabei vor allem unter den Leuten des benachbarten Hofes Espihóll, mit denen er sich in eine blutige Fehde verstrickt. Der Konflikt mit ihnen und ihren Verbündeten zieht sich als roter Faden durch die gesamte Saga. Pointiert gestaltete Dialoge vermitteln dabei eindringlich die Charakterzüge der handelnden Personen, vom Sturkopf Ingjald, Glúms »ausländerfeindlichem« Großvater, über Glúm selbst, der zwar verbissen, machtbewusst und skrupellos seinen Weg geht, dessen Motivation jedoch stets nachvollziehbar bleibt, über Glúms Söhne, den besonnenen Már und den Hitzkopf Vigfús, bis zu Glúms eher zögerlichem Gegner Þórarinn, dem der Konflikt immer wieder über den Kopf zu wachsen scheint und der bisweilen am liebsten alles auf sich beruhen ließe, und dem alten Unruhestifter Þorvarð, dem es gefällt, die beiden Parteien immer wieder gegeneinander aufzuhetzen.
Besonders was ihren Aufbau und was die Figur des Glúm anbelangt, wurde die Saga oft mit der Saga von Egill Skalla-Grímsson verglichen, die in manchem als Vorbild gedient haben mag: Wie Egill findet Glúm keinen tragischen Tod im Kampf, sondern stirbt erst im hohen Alter, erblindet und als er den Zenit seiner Macht schon lange überschritten hat, und wie Egill betätigt auch Glúm sich als Skalde. Ein knappes Dutzend Strophen von ihm sind in seiner Saga erhalten geblieben, die für gewöhnlich als authentisch angesehen werden. Dass der Kern der geschilderten Ereignisse durchaus auf historischen Tatsachen beruhen könnte, legen auch isländische Annalen nahe, in denen etwa der Totschlag an Sigmund, Glúms erste »Großtat« in jungen Jahren (Kap. 8), erwähnt und auf das Jahr 944 datiert wird, während der Kampf am Hrísateig gegen die Leute aus Espihóll (Kap. 12 – 13) den Annalen zufolge im Jahr 983 stattgefunden haben soll.
Von besonderem Interesse ist die Saga auch bezüglich der zahlreichen Hinweise auf den Kult des Gottes Frey, der, so jedenfalls suggeriert es die Saga, in der Umgebung von Þverá eine große Rolle gespielt zu haben scheint. So ist es etwa ein besonders fruchtbares heiliges Feld mit Namen Vitazgjafi, das für den Verlauf der Handlung eine wichtige Rolle spielt, verübt Glúm doch auf diesem heiligen Boden seinen ersten Totschlag, der zwar den Grundstein legt für seinen Weg an die Macht, zugleich aber auch sein Schicksal besiegelt, indem sich Frey daraufhin von ihm abzuwenden beginnt. Nur noch die glückbringenden Geschenke seines norwegischen Verwandten – ein Mantel, ein Speer und ein Schwert – sind es schließlich, die das Verhängnis noch eine Zeitlang von ihm abhalten können. Als er sie jedoch aus den Händen gibt, ist sein Glück dahin.
Vollständig überliefert wurde die Saga von Víga-Glúm nur in der sogenannten Möðruvallabók, jener großen Sammelhandschrift der Isländersagas, niedergeschrieben gegen Mitte des 14. Jahrhunderts, in der die Saga Seite an Seite steht mit berühmten Isländersagas wie der Saga von Brennu-Njáll, der Saga von Egill Skalla-Grímsson, der Saga von den Leuten aus dem Laxárdal und der Saga von Kormák Ögmundarson.
Ingjald hieß ein Mann, ein Sohn von Helgi dem Mageren. Er wohnte auf Þverá im Eyjafjord. Er war einer der alteingesessenen Goden dort und ein mächtiger, einflussreicher Mann, und als diese Geschichte sich zutrug, war er schon sehr in die Jahre gekommen. Er war verheiratet und hatte zwei Söhne, Steinólf und Eyjólf. Sie waren zu tüchtigen Männern herangewachsen und waren beide hübsche Kerle. Ingjald war eigensinnig und verschlossen, er war stur, und man kam nur schwer mit ihm aus. Er konnte Kaufleute nicht leiden und fand deren Überheblichkeit unerträglich. Wenn er von einem Händler etwas haben wollte, dann schickte er andere Männer zu ihnen, aber er ging niemals selbst.
Eines Sommers kam wieder einmal ein Schiff in den Eyjafjord. Der Bootsführer hieß Hreiðar und war von vornehmer Herkunft. Er besaß einen Hof in Voss in Norwegen und war ein äußerst tüchtiger und beliebter Mann. Eyjólf Ingjaldsson war den Sommer über oft beim Schiff, und zwischen Hreiðar und ihm entwickelte sich eine herzliche Freundschaft. Hreiðar erzählte ihm, dass er den Winter hier verbringen wolle, und zwar, nach dem, was er von den Leuten über ihn gehört habe, am liebsten bei Ingjald. Eyjólf meint, dies entspreche nicht gerade der Gewohnheit seines Vaters, doch gibt er sein Wort, sich dennoch dafür einzusetzen. Und als er wieder zu Hause ist, kommt er mit seinem Vater darauf zu sprechen, dass er den Bootsführer bei sich aufnehmen solle, und sagt, er halte ihn für einen tüchtigen Kerl und für sehr angesehen, und er lässt seinem Vater gegenüber nur Gutes über ihn verlauten.
Ingjald antwortet: »Wenn du ihn schon eingeladen hast, was soll ich dann noch groß dazu sagen? Dann werde ich wohl die Kosten tragen müssen, aber du wirst die Mühe damit haben.« Und er sagt, er habe noch nie einen Ausländer bei sich gehabt und verspüre auch jetzt kein Verlangen danach.
Da sagt Eyjólf: »Noch ist er ja nicht bei uns, ohne dass du auch dein Einverständnis dazu gegeben hättest. Es ist doch so, dass ich mich aus den Entscheidungen bisher weitgehend herausgehalten habe, und wenn es nach dir geht, soll das wohl auch so bleiben, wenn jemand, den ich zu uns eingeladen habe, hier nicht aufgenommen werden soll.«
Ingjald erwidert: »Dann sollst du nun deinen Willen haben, und der Bootsführer soll mit einem Mann Begleitung hierherkommen. Aber nur um deinetwillen will ich mich nicht mit ihm anlegen, und du wirst dich die ganze Zeit um die beiden kümmern müssen. Ich werde nur für die Kosten aufkommen.«
Er antwortet: »Das hört sich doch gut an.«
Am Tag darauf bricht er auf und trifft sich mit Hreiðar und berichtet ihm vom Stand der Dinge. Dieser zeigt sich froh darüber. Er kam nun mit seiner Ware bei ihnen unter. Und als sie noch nicht lange dort waren, da bekam Hreiðar mit, dass dort zur Julzeit ein gut besuchtes Gastmahl stattfinden sollte. Ingjald verhielt sich ihm gegenüber kühl, aber doch anständig.
Eines Tages bittet Hreiðar Ingjald in das Vorratshaus, in dem sich seine Ware befand, und Ingjald kam dem nach. Da wandte Hreiðar das Wort an ihn und forderte ihn auf, sich von den Waren auszusuchen, was immer er wolle. Ingjald meinte, dass er von seinen Gütern nicht ein Stück haben wolle, aber dass er das sehr anständig von ihm finde. Hreiðar antwortete: »Ich habe allerdings ein wenig darüber nachgedacht, was du von uns bekommen sollst. Ich bin schon auf so manchen Hof hier im Eyjafjord gekommen, auch auf die vornehmsten, und doch kenne ich nirgendwo eine solche Herberge wie diese. Nur ein prächtiger Wandbehang, wie man ihn auf keinem anderen Hof finden wird, fehlt dir noch.«
Aus seinen Truhen holte er einen prächtigen Wandteppich, wie noch nie zuvor einer hierher nach Island gekommen war, und überreichte ihn Ingjald. Ingjald dankte ihm sehr dafür, und zwischen ihnen bestand nun die allerbeste Freundschaft.
Später im Winter äußerte Eyjólf, dass er im Frühling mit Hreiðar fortsegeln wolle. Doch dieser zögerte mit seiner Antwort.
Eyjólf sagte: »Warum möchtest du mich nicht mitnehmen? Verstehst du dich nicht gut mit mir?«
»Ganz ausgezeichnet«, sagte er, »doch würde dein Vater seine Gastfreundschaft übel belohnt finden – und ich will ihm gegenüber nicht undankbar sein –, wenn ich ihm den Sohn entführe, der ihm alle Ehre macht. Doch falls dein Vater es erlaubt, nehme ich dich gerne mit, und ich wäre sehr dankbar, wenn du mitkämst.«
Nun bereiteten die Kaufleute ihren Aufbruch vor, und als sie fertig waren, hatte Eyjólf noch immer im Sinn, Hreiðar zu begleiten. Dieser erklärte, er wolle ihn nicht gegen den Willen seines Vaters mit auf die Reise nehmen. Danach erzählte er seinem Vater von seiner Reiselust und davon, wie es zwischen Hreiðar und ihm besprochen worden war. Ingjald sagte, dass es nur wenige Männer wie Hreiðar gäbe, »und so wie du dich verhältst, und da ich weiß, dass er ein anständiger Kerl ist, erlaube ich dir die Fahrt, und mir ist es lieber, wenn du mit ihm fährst als mit jemand anderem«.
Danach segelten sie von Island fort und kamen nach Norwegen. Hreiðar machte Eyjólf viele Vorschläge, wo man überall um Aufnahme bitten könnte, doch wollte Eyjólf auf keinen seiner Vorschläge eingehen.
Hreiðar sprach: »Wie sehen denn deine Pläne aus?«
Er antwortet: »Ich weiß nicht.«
Da sagt Hreiðar: »Hast du gar kein Verlangen danach, einen König oder einen anderen Mann von Rang aufzusuchen? Unsere Unterstützung ist dir gewiss.« Damals war Hákon Aðalsteinsfóstri König. »Solch vornehmen Leuten die Aufwartung zu machen, das scheint mir nicht schlecht – wo ihr doch selbst mächtige Männer seid und ebenso sicher auch gute Gefolgsleute abgebt.«
Er erwidert: »Ich sehe mich nicht in der Lage, einem König Gefolgschaft zu leisten, auch wenn ich damit vielleicht nicht unzufrieden wäre; mir steht trotzdem nicht der Sinn danach.«
Eyjólf fragt: »Was willst du denn dann?«
»Warum verzichtest du eigentlich darauf, mich zu dir einzuladen? Denn das ist es, was ich gerne möchte.«
»Ich halte nicht viel davon«, sagt Hreiðar.
Eyjólf fragt: »Wieso das?«
»Ich will dir nichts anbieten, was du nicht gut annehmen kannst, denn ich meine, dass du nur Gutes von mir verdienst.«
»Jetzt bin ich doch neugierig, was da dahintersteckt.«
»Das sollst du nun erfahren. Allerdings werde ich keinen guten Eindruck auf dich machen, wenn ich davon erzähle. Ich habe einen Bruder, der Ívar heißt. Uns gehört gemeinsam ein Hof, und wir teilen uns den ganzen Besitz, und wir haben uns sehr gern, doch sind wir uns in einer Hinsicht nicht sehr ähnlich: Er kann Isländer nicht ausstehen, so dass es für sie dort unerträglich ist. Er ist jeden Sommer auf Wikingerfahrt unterwegs. Und wenn er nach Hause zurückkehrt, dann kommen sie zu zehnt oder zwölft zu mir, und jeder dort hat ihnen zu Diensten zu sein, und sie würden dich alle so schlecht behandeln, dass es für dich dort auf keinen Fall zu ertragen wäre.«
Er sagt: »Ich bin doch neugierig, wie sie sich so aufführen, und dich trifft auch keine Schuld, wenn du mich dort unterkommen lässt.«
Hreiðar entgegnet: »Ich bin an meinen Bruder gewöhnt, der mir stets die besten Geschenke macht und mir auch so weit entgegenkommen wird, dass wir uns deinetwegen nicht entzweien werden. Mich aber wird es hart ankommen, wenn sie dich verspotten und sich über dich lustig machen.«
»Du willst mir aber gehörig ausreden«, sagt Eyjólf, »dass ich zu dir komme. Aber wie wird er auf mich reagieren, er wird sich doch nicht mit mir prügeln?«
Hreiðar antwortet: »Schlimmer. Er hat viele üble Kerle an seiner Seite. Alles, was du auch sagst oder tust, werden sie dir zum Schlechten auslegen.«
Eyjólf sagt: »Das ist kein Grund zum Ärger, wenn man vorher davon weiß. Dann wäre es Dummheit, so etwas nicht hinzunehmen, und das soll der Sache nicht im Weg stehen.«
Hreiðar antwortet: »Dann sind mir beide Hände gebunden: Du bist mein Freund, doch er ist mein Bruder, und ich liebe ihn sehr.«
So kam es, dass er mit Hreiðar nach Hause fuhr, um in Voss unterzukommen. Und als Ívar zu Hause erwartet wurde, da nahm Eyjólf einen Mantel aus grobem Stoff und trug ihn jeden Tag. Er war ein großgewachsener Mann und saß stets an Hreiðars Seite.
Nun kam Ívar nach Hause, und man empfing ihn in allen Ehren, und er wurde freudig willkommen geheißen. Ein jeder erkundigte sich beim anderen nach Neuigkeiten, wobei man auch darauf zu sprechen kam, wo Hreiðar den Winter über gewesen sei. Dieser sagte, er sei auf Island gewesen. Da wollte Ívar nichts weiter davon wissen.
»Aber was ist das da«, sagte er, »neben dir für ein Mann, oder besser Wesen? Das ist kein kleiner Brocken.«
Eyjólf antwortete: »Ich komme aus Island, heiße Eyjólf und habe vor, den Winter hier zu verbringen.«
»So viel kann ich versprechen«, meinte Ívar, »dass es hier auf dem Hof nicht ohne ein Unglück zugehen wird, wenn ein Kerl aus Island sich hier aufhalten soll.«
Hreiðar antwortete: »Wenn du ihn schlecht behandelst, so dass ihm sein Aufenthalt hier verleidet wird, dann wird das für unser Verhältnis nicht von Vorteil sein.«
»Deine Reise nach Island ist nicht unbedingt segensreich verlaufen, wenn wir wegen dieser Fahrt jetzt Männern aus Island aufwarten, oder aber uns von unserem Bruder und Freund abwenden sollen. Und ich verstehe nicht, wie es dir in den Sinn kommt, zu diesem schlimmsten aller Völker zu fahren. Du hast mir jetzt genug erzählt.«
»Das Gegenteil ist der Fall«, sprach Hreiðar. »Dort gibt es ziemlich viele wackere Kerle.«
Ívar sagte: »So besonders ansehnlich ist dieser Lumpenhaufen auf dem Platz des Ehrengastes aber nicht.«
Doch als Ívar sah, dass dieser Mann seinem Bruder viel bedeutete, da machte er weniger Aufhebens um den Isländer als zuvor, »doch was läge mir näher, als ihn ›Brocken‹ zu nennen?«
Eyjólf aber meinte, mit diesem Namen sei er wohl zufrieden. Doch alles, was er tat oder sprach, legten sie ihm zum Schlechten aus.
Vigfús hieß ein Mann. Er war Herse und herrschte in Voss. Er war ein Sohn von Sigurð, dem Sohn von Wikinger-Kári. Er hatte eine Tochter, die Ástríð hieß. Zwischen den Brüdern und Vigfús bestand große Freundschaft, und sie veranstalteten im Winter immer abwechselnd das Julfest zusammen, und nun waren die Brüder an der Reihe, das Fest bei sich abzuhalten. Hreiðar hatte schon alles vorbereitet, und er wollte daraufhin die Leute einladen gehen und bat Eyjólf, mit ihm zu kommen, »denn ich bin nicht begierig darauf, zu erfahren, was sie indessen mit dir anstellen würden«.
»Ich fühle mich nicht so gut«, sagte Eyjólf, »und daher werde ich nicht mitkommen.«
Als er dann von zu Hause fortgegangen war, nahmen Ívars Begleiter auf den Bänken Platz und sprachen: »Jetzt ist der ›Brocken‹ zu Hause, und Hreiðar nicht. Jetzt werden wir nach Lust und Laune unseren Spaß haben.«
»Wir sollten nun«, sagte Ívar, »an das denken, was sich gehört. Hier sind wir zwei Brüder und besitzen unser Hab und Gut gemeinsam, und er kümmert sich um alles, ich dagegen um nichts; und dann gibt es da einen Mann, den er bewirten will, und wir verhalten uns so, dass der es kaum hier aushält, dabei hat er uns nichts getan, und es soll ihm keiner etwas zuleide tun, während Hreiðar nicht zu Hause ist.«
Sie meinten, dass es eine gute Gelegenheit sei, etwas Spaß zu haben.
Da sprach Ívar: »Euer Geschwätz zeugt von wenig Ehrenhaftigkeit. Alle hier dienen uns, und wir können an allem Möglichen unseren Spaß haben, wohingegen andere die Arbeit und die Sorge haben. Und selbst wenn dieser Mann meinen Bruder getötet hätte, wäre ich um Hreiðars Willen dazu verpflichtet, ihm kein Haar zu krümmen, und keiner soll es wagen, ihn zu verspotten, und er soll jetzt auch nicht länger ›Brocken‹ heißen.«
Und am Morgen sprach Ívar zu Eyjólf: »Willst du mit uns in den Wald gehen und dir etwas die Zeit vertreiben?« Er bejahte dies und begleitete sie, und sie fällten Bäume und schafften sie nach Hause. Eyjólf hatte ein Schwert dabei und eine Handaxt.
Ívar sprach: »Das rate ich dir, Isländer, falls wir uns aus den Augen verlieren sollten, dass du dich vor Einbruch der Dunkelheit auf den Heimweg machst.«
Anschließend trennten sie sich im Wald, und Eyjólf zog alleine los. Da streifte er den groben Wollmantel ab und legte sein Schwert darauf, welches er in der Hand gehabt hatte. Er aber ging in den Wald und vertrieb sich die Zeit, und er hatte die Axt bei sich und fällte die Bäume, die ihm geeignet erschienen. Im Verlauf des Tages aber setzte Schneetreiben ein, und da wollte er nach Hause und kehrte dorthin zurück, wo der grobe Wollmantel gelegen hatte. Doch dieser war fort, und nur das Schwert war noch da. Er entdeckte eine Schleifspur im Schnee, und es sah so aus, als ob der Mantel fortgeschleppt worden wäre.
Es war aber ein Braunbär gekommen und hatte den Mantel mit sich geschleift. Der Bär war kaum kräftig genug, ihn hochzuheben, da er noch jung war. Er war gerade erst aus seiner Höhle gekrochen und war noch keinem Menschen zum Verhängnis geworden.
Eyjólf ging dann weiter und sah den Bären vor sich sitzen. Er zog das Schwert und hieb von oben an den Augen des Tieres dessen Schnauze ab, hob sie auf und nahm sie mit sich nach Hause.
Ívar aber war bereits vor ihm nach Hause gekommen und vermisste Eyjólf und sprach: »Wir haben uns schändlich verhalten und uns dummerweise von unserem Gefährten getrennt. Er kennt sich im Wald nicht aus, und dort ist mit vielen wilden Tieren zu rechnen; es wird sich herumsprechen, wenn er nicht nach Hause kommt, wo wir doch vorher bei ihm waren, und ich rate, dass wir uns auf die Suche machen, bis wir ihn gefunden haben.«
Doch als sie vor die Tür traten, kam Eyjólf ihnen gerade entgegen, und Ívar begrüßte ihn freudig und fragte, warum er voller Blut sei. Da zeigte er ihnen, was er in der Hand hielt.
Da sprach Ívar: »Ich fürchte, du bist verwundet.«
»Mach dir keine Sorgen, ich bin unverletzt.«
Dann sagte Ívar: »Es war unklug, einen Mann zu verspotten, den man nicht kennt. Er hat in dieser Sache Tüchtigkeit bewiesen; und ich weiß nicht, wie es einem von uns dabei ergangen wäre.«
Am Abend darauf kam Hreiðar nach Hause.
Ívar sprach: »Warum bist du so still, Bruder? Machst du dir Sorgen um den ›Haufen‹? Was meinst du wohl, wie ich ihn behandelt habe?«
Hreiðar antwortete: »Was uns beide angeht, wird das durchaus von Bedeutung sein, wie du dich verhalten hast.«
Er sagte: »Was wärst du bereit zu geben, wenn ich wie du zu ihm stünde?«
Er antwortete: »Ich würde dir den Goldring geben, den wir zusammen besitzen, und der dir schon lange gefällt.«
Er sagte: »Deinen Teil des Vatererbes werde ich mir nicht unter den Nagel reißen – den Isländer aber werde ich von jetzt an so hoch achten wie dich selbst, und er soll von nun an an meiner Seite sitzen, nicht mehr an deiner.«
Von da an brachten sie Eyjólf beide höchste Achtung entgegen und sorgten dafür, dass es um ihn immer gut bestellt war. So verging nun eine Weile.
Nun kommen die Leute zu den Brüdern, um das Julfest zu feiern. Und als nach dem Brauch die Bänke für Gruppen von jeweils zwölf Mann zum Trinken vorbereitet wurden und darum gelost wurde, wer neben Ástríð sitzen sollte, der Tochter des Hersen Vigfús, da bestimmte das Los Eyjólf, an ihrer Seite zu sitzen. Niemand aber sah die beiden mehr miteinander plaudern als andere Leute. Und doch schien es vielen so, dass er hier eine Frau finden würde.
Ihr Fest ging zu Ende, und es war prächtig gefeiert worden, und die Leute wurden mit Geschenken verabschiedet. Eyjólf war nun vier Sommer lang auf Wikingerfahrt und erschien als der tapferste Kerl, der immer an vorderster Front zu finden war. Er erwarb sich einen großartigen Ruf und ein enormes Vermögen.
Eines Winters geschah es, dass ein Mann nach Voss kam, der Þorsteinn hieß und ein Verwandter der beiden Brüder war und einen Hof in Opplönd besaß. Er erzählte von der schlimmen Lage, in der er sei, dass nämlich ein Berserker, welcher Ásgaut hieß, ihn zum Holmgang gefordert habe, aus dem Grund, dass er ihm seine Schwester verweigert habe. Er bat sie, mit großer Mannschaft zum Holm zu ziehen, damit dieser Wikinger sich nicht an seinem Besitz vergreife, erzählte jedoch auch, dass dieser schon viele seiner Männer getötet habe, und meinte, dass er seine Schwester hergeben müsse, wenn sie ihn nicht unterstützen wollten: »Ich bin nicht stark im Holmgang, es sei denn, euer Glück würde ein wenig auf mich abfärben.« Sie hatten nicht das Herz, ihm diese Fahrt zu verweigern.
Sie begleiteten ihn nun nach Opplönd und hatten dreißig Mann dabei und kamen zu dem Ort, an dem sie sich zum Kampf einfinden sollten. Da fragten sie unter ihren Männern herum, wer von ihnen sich eine Frau gewinnen wolle, indem er gegen Ásgaut zum Holmgang antrat. Und obwohl die Frau verlockend wirkte, war doch niemand dazu bereit, dies für sie zu tun.
Da baten die Brüder darum, dass Eyjólf ihm zumindest den Schild halten solle.
Darauf antwortete Eyjólf, er habe das noch für niemanden getan, nicht einmal für sich selbst, »und mir würde es nicht sehr gut gefallen, wenn er in meinen Armen getötet wird. Das würde meinen Ruhm nicht gerade mehren. Und falls dieser Junge in unseren Armen getötet wird, sollen wir dann so verrichteter Dinge nach Hause zurückkehren, oder soll es dann noch einen Zweiten und einen Dritten treffen? Auf die Weise wächst unsere Schmach mit jedem, der auf unserer Seite fällt, und wenig Ansehen werden wir durch unsere Fahrt gewonnen haben, wenn wir so nach Hause kommen, und der, der vor unserer Nase den Tod fand, bliebe ungerächt. Bittet mich lieber darum, dass ich gegen den Berserker im Holmgang antrete. Das ist dem Freund eine Hilfe, fürs Schildhalten aber will ich mich nicht hergeben.«
Sie dankten ihm sehr dafür, doch schien er ihnen nun in großer Gefahr.
Er sagte: »Jedenfalls glaube ich, dass sich keiner von uns nachher noch sehen lassen könnte, wenn der Junge nicht gerächt würde, und danach fände ich es noch schlimmer, mit dem Berserker zu kämpfen, wenn euer Verwandter zuvor erschlagen wurde.«
Danach trat er vor. Ívar aber erbot sich, den Schild für ihn zu halten. Eyjólf erwiderte: »Das ist ein gutgemeintes Angebot, aber es wird jetzt doch zum größten Teil auf mich ankommen, und das alte Sprichwort ist wahr, dass einem die eigene Hand am zuverlässigsten ist.« Danach ging er auf den Holm.
Der Berserker sprach: »Dieser Brocken da will mit mir kämpfen?«
Eyjólf sprach: »Ist es nicht so, dass du bange bist, dich mit mir zu schlagen? Mag wohl sein, dass es dir nicht gut ergeht, der du vor einem großen Mann zurückschreckst, vor den Kleinen aber großtust.«
»Das hat noch keiner zu mir gesagt!«, sprach der Berserker. »Aber ich werde dir die Regeln für den Holmgang erklären: mit drei Mark soll ich mich vom Holm freikaufen können, falls ich verwundet werde.«
Eyjólf antwortete: »Ich möchte mich nicht verpflichten, dir gegenüber die Regeln zu achten, wenn du selber bestimmst, was du wert bist, denn in unserem Land würde so etwas dem Bußgeld für einen Sklaven entsprechen, was du da für dich selbst festlegst.«
Eyjólf stand es zu, als Erster zuzuschlagen, und so traf sein erster Hieb, dass das Schwert die unterste Spitze des Schildes erwischte und die Schildspitze und das Bein des Berserkers abgetrennt wurden.
Durch diese Tat erlangte Eyjólf großen Ruhm und so kehrte er mit den Brüdern nach Hause zurück. Ihm wurde jetzt viel Geld zum Geschenk angeboten, doch er meinte, dass er dies weder des Geldes noch einer Frau wegen getan habe, sondern vielmehr aus Freundschaft zu den beiden Brüdern. Ásgaut kaufte sich vom Holm frei und lebte fortan mit der Verstümmelung.
Danach warb Eyjólf um Ástríð Vigfúsdóttir. Nun war es an Ívar und Hreiðar, die Sache vorzubringen, und sie führten an, dass er ein Mann aus vornehmem Geschlecht sei, auf Island eine angesehene Stellung innehabe und großen Rückhalt bei seinen Verwandten besäße, und sie hielten es für wahrscheinlich, dass er eine große Zukunft habe.
Dann sprach Eyjólf: »Es mag sein, dass Ástríðs Verwandte diesen Antrag für sehr hochmütig halten, doch wissen viele auf Island, dass wir angesehene Vorfahren haben und ausreichend Besitz.«
Vigfús sagte: »Das Schicksal wird es so für sie vorgesehen haben, auch wenn man sich für jemanden aus unserem Geschlecht vielleicht etwas mehr erhofft hätte.«
Sie wurde ihm zur Frau gegeben und ging mit ihm nach Island.