Die Schloßkinder auf Rabenburg - Josephine Siebe - E-Book
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Josephine Siebe

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Beschreibung

Dieses eBook: "Die Schloßkinder auf Rabenburg" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aus dem Buch: "Irgendwo im deutschen Land, lieblich von den Wellen eines Flusses umspült, liegt eine kleine Insel, die Rabeninsel genannt. Sie trägt ihren Namen nach den vielen, vielen Rabenkrähen, die auf ihren Bäumen horsten. So viele sind es, daß Baum an Baum mit Nestern besetzt ist und wenn die Vögel abends heimkehren, ist es, als zögen dunkle Wetterwolken daher. Die Luft is4 dann erfüllt von einem lauten Geschrei, die Menschen, die in der Nähe wohnen, beklagen sich wohl und meinen, es wären der Vögel zu viele auf der Insel. Sie wissen nichts davon, wie sehr den Krähen ihre Insel gefällt, denen ist sie ihr Königreich und den Ruhm dieser kleinen, grünen Insel verkünden die Vögel im Süden und Norden, in Ost und West. Voll Sehnsucht erzählen sie sich von dem schönen Eiland und preisen jene glücklich, denen die Insel Heimat ist. – Es war an einem Sommermorgen zu der Stunde, da Tag und Nacht sich scheiden. Im Osten schimmerte erst ein schwaches Rot am Himmel, denn die Sonne ruhte noch. Aber die Vögel waren schon wach. Da und dort grüßte ein helles Zwitschern den anbrechenden Tag, im nahen Dorf krähten zwei Hähne um die Wette und am Flußufer schwätzten lustig ein paar Wasservögel. Dazwischen lauschten die Vögel aber immer wieder hinüber nach der Rabeninsel und einer rief es dem andern wieder und wieder zu: "Heute ziehen sie, heute ziehen sie!" Josephine Siebe (1870 - 1941) war eine deutsche Redakteurin und Kinderbuchautorin. Sie verfasste zwischen 1900 und 1940 fast 70 Bücher für Kinder und heranwachsende Mädchen, daneben eine Vielzahl von Beiträgen in Jahres- und Sammelbänden.

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Josephine Siebe

Die Schloßkinder auf Rabenburg

e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-5296-4

Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel. Der Abschied von der glücklichen Insel
2. Kapitel. In der neuen Heimat
3. Kapitel. Das stille Tal der Flüchtlinge
4. Kapitel. Was Bragi, der Weise, erzählt
5. Kapitel. Herr Christian hütet die Schafe
6. Kapitel. In Untersberg
7. Kapitel. Ein heiterer Regentag
8. Kapitel. Krachkrachs unfreiwillige Reise
9. Kapitel. Purzel bleibt Purzel
10. Kapitel. Wie die Rabenburg zu ihrem Namen kam
11. Kapitel. Die vielgetreue Schwester
12. Kapitel. Jahreswende
13. Kapitel. Frühlingssturm und Feuersnot
14. Kapitel. Pfingstfreude
15. Kapitel. Der große Rabenflug
16. Kapitel. Bragis Tod

1. Kapitel. Der Abschied von der glücklichen Insel.

Inhaltsverzeichnis

Irgendwo im deutschen Land, lieblich von den Wellen eines Flusses umspült, liegt eine kleine Insel, die Rabeninsel genannt. Sie trägt ihren Namen nach den vielen, vielen Rabenkrähen, die auf ihren Bäumen horsten. So viele sind es, daß Baum an Baum mit Nestern besetzt ist und wenn die Vögel abends heimkehren, ist es, als zögen dunkle Wetterwolken daher. Die Luft is4 dann erfüllt von einem lauten Geschrei, die Menschen, die in der Nähe wohnen, beklagen sich wohl und meinen, es wären der Vögel zu viele auf der Insel. Sie wissen nichts davon, wie sehr den Krähen ihre Insel gefällt, denen ist sie ihr Königreich und den Ruhm dieser kleinen, grünen Insel verkünden die Vögel im Süden und Norden, in Ost und West. Voll Sehnsucht erzählen sie sich von dem schönen Eiland und preisen jene glücklich, denen die Insel Heimat ist. –

Es war an einem Sommermorgen zu der Stunde, da Tag und Nacht sich scheiden. Im Osten schimmerte erst ein schwaches Rot am Himmel, denn die Sonne ruhte noch. Aber die Vögel waren schon wach. Da und dort grüßte ein helles Zwitschern den anbrechenden Tag, im nahen Dorf krähten zwei Hähne um die Wette und am Flußufer schwätzten lustig ein paar Wasservögel. Dazwischen lauschten die Vögel aber immer wieder hinüber nach der Rabeninsel und einer rief es dem andern wieder und wieder zu: »Heute ziehen sie, heute ziehen sie!«

Auf der Insel herrschte ein ungewöhnliches Leben. Von Ast zu Ast, von Baum zu Baum flatterten die schwarzen Vögel. Keiner blieb in seinem Nest. Aber das sonst so gelle Gekrächze klang nicht froh der Sonne entgegen, nur dumpfe, dunkle Schreie wurden laut und selbst der jüngste Nestling wagte kein Jauchzen. Im Osten war das Rot tiefer geworden, da ertönte plötzlich vom höchsten Baum der Insel herab ein durchdringender Ruf: »Die Sonne geht auf, die Zeit ist da!« Die Königin Rikra war es, die ihre Getreuen zusammenrief.

Die Vögel der Insel flogen herbei. Selbst die Jungen, die erst ein paar Flatterstunden hinter sich hatten, nahmen alle ihre Kraft zusammen, um eine der fünf hohen Ulmen zu erreichen, die den höchsten Baum der Insel, Wächtern gleich, umstanden. Auf die Ulmen ließen sich alle nieder und die Bäume wurden schwarz von den vielen Vögeln, die darauf saßen.

Rikra sprach. Sie verkündete, daß uraltes Gesetz gebot, von Zeit zu Zeit müsse ein Teil der Vögel die Insel verlassen und sich eine neue Heimat suchen.

»Warum?« krächzte eine junge Rabenkrähe erschrocken, »warum ist das so?«

»Kinder müssen nicht immer warum fragen,« murmelte die Urgroßmutter der Kleinen, doch sie gab ihr Antwort. »Unser Volk darf nicht zu groß werden, weil uns die neidischen Menschen sonst nicht ungestört hier hausen ließen, darum müssen immer welche von uns in die Fremde ziehen. Nun sei still, jetzt sammeln sich die Auswanderer.«

Von den fünf Bäumen empor schwang sich eine Anzahl Vögel in die Luft! mit einem lauten, schrillen Weheruf taten sie es und laut tönten ihnen die Klagen nach. Von jedem Baum der Insel mußten ein oder zwei Familien die Heimat verlassen, durch das Los waren sie bestimmt worden und sie klagten nun traurig! »O du schöne Ulme, wir müssen dich verlassen, du liebliche Buche, die du uns Heimat warst, wir sehen dich nicht wieder.«

»Klagt nicht, fliegt!« krächzte Rikra, die Königin, streng. Sie tat hart, weil ihr das Herz fast brach vor Leid um ihre lieben Landeskinder, »Fliegt auf, fliegt auf!« rief sie.

Da breiteten alle Vögel, die scheiden mußten, ihre Flügel aus und stiegen über der Insel empor, als schwarze Wolke standen sie eine Weile über ihrem Heimatland. »Lebt wohl, lebt wohl!« riefen die Zurückbleibenden, »vergeßt uns nicht in der Fremde.«

»Und ihr uns auch nicht, ihr uns auch nicht,« baten die Auswanderer. Sie schwebten still über der lieblichen Insel, die sie nun für immer verlassen sollten. Die lag unter ihnen wie ein Garten, sie sahen in ihre nun leeren Nester hinein, in denen es so warm, so wohlig gewesen war und etliche riefen schmerzlich: »Wir ertragen es nicht!« Sie schlugen mit den Flügeln und wollten wieder zurückfliegen, doch da mahnte Rikra streng: »Fliegt, es ist Zeit, die Sonne geht auf!«

Im Osten schimmerte und glitzerte es und von den Ufern herüber ertönte es jubelnd: »Die Sonne geht auf!« In den Lüften und in dem nahen Dorf hallte der Ruf nach: »Die Sonne geht auf!«

»Fliegt, fliegt!« mahnten die auf der Insel klagend. Da teilten sich die Auswanderer in vier Züge und mit einem letzten, schrillen Abschiedsschrei flogen sie davon, jeder Schwarm in einer anderen Himmelsrichtung, denn so wollte es das alte Gesetz. –

Unter den Rabenkrähen, die nach Westen flogen, waren drei Schwestern. Sie waren vornehmen Stammes und der Königin verwandt. Weil die Jüngste der Königin Rikra besonderer Liebling war, wurde sie das Rikralein genannt, die beiden anderen Schwestern hießen Rara und Kara. Diese drei Schwestern waren nicht durch das Los zur Auswanderung bestimmt worden, aber auf dem Baume, der ihr Nest trug, wohnte eine Familie, die das Los traf. Nun war da die Krähenmutter krank, und außerdem war der jüngste Sohn flügellahm. Groß war darum der Schmerz des Krähenvaters gewesen, der nicht wußte, wie er mit dem flügellahmen Sohn und der kranken Frau eine weite Reise unternehmen sollte. Doch Gesetz war Gesetz und sie alle wußten, keine Bitte würde helfen. Der Jammer ihrer lieben Nachbarn rührte die drei schönen Schwestern, Rara, Kara und das Rikralein. Weil sie elternlos waren und nicht sehr viele Verwandte besaßen, beschlossen sie, für ihre Nachbarn auszuwandern. Sie trugen der Königin, ihrer Muhme, die Sache vor und die Bitte der drei erregte das höchste Erstaunen. Denn alle Vögel, die auf der Rabeninsel wohnten, liebten die Heimat über alles und noch nie hatte jemand freiwillig die Insel verlassen.

»Habt ihr es euch auch recht überlegt?« hatte die Königin gefragt. »Wißt ihr auch, daß ihr nie wiederkehren dürft, wenn ihr jetzt die Heimat verlaßt.«

»Wir tragen die Heimat immer im Herzen,« hatte Rara, die Älteste, erwidert. »Wir haben unsere Freunde so lieb, daß wir das Opfer gern bringen,« gab Kara zur Antwort.

Das Rikralein aber hatte seine Flügel ausgebreitet und gerufen:

»Wo meine Schwestern sind, soll meine Heimat sein!«

Da hatte die Königin Rikra mit schwerem Herzen ihre Einwilligung gegeben. Sie liebte ihre jungen Muhmen, die so gut wie schön waren und ließ sie ungern scheiden, aber sie wollte die Guttat der drei nicht hindern.

Die drei Schwestern flogen dem Zuge voran, der nach Westen eilte. Sie hielten sich immer zusammen und wie sie so durch die schimmernde Luft schwebten, waren sie von solcher Schönheit, daß fremde Vögel, die dem Zuge begegneten, erstaunt zueinander sagten: »Seht die drei, saht ihr je so schöne Krähen?«

Das Gefieder der Schwestern war blauschwarz, so wie manchmal der Himmel der Winternächte ist und ihre Flügel waren breiter, als die ihrer Genossinnen. Das Rikralein trug am linken Fuß einen goldenen Ring, den hatte der Krähenvater den drei Schwestern zum Andenken gegeben. Er selbst hatte ihn von einem Urahnen ererbt und hatte das Kleinod immer behütet, denn die Raben und Krähen lieben goldene und silberne Dinge.

Die Auswanderer flogen still in den hellen Sommertag hinein. Sie flogen über Wiesen, Felder und Wälder, über Städte und Dörfer hinweg immerzu und rasteten nicht bis zum Abend. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mußten sie fliegen, ehe sie sich nach einer Heimat umschauen durften, so lautete das Gebot der Königin. Es dunkelte schon als sie über einen großen Wald dahinflogen, da rief Rara: »Hier laßt uns ruhen für diese Nacht.«

Die anderen waren damit zufrieden und alle mitsammen ließen sich auf einer großen Tanne nieder. Sie saßen alle dicht nebeneinander, denn viele von ihnen fürchteten sich in der Fremde. Nur die drei Schwestern saßen hoch auf der höchsten Spitze der Tanne wie auf einem Wachtturm.

Die Bewohner des Waldes hatten die fremden Gäste wohl kommen hören, jene, die geschlafen hatten, waren munter geworden, sie fürchteten einen Überfall und ihre Stimmen klangen hart und böse den müden Auswanderern entgegen! »Was wollt ihr hier? Woher kommt ihr?«

Rara gab Antwort und Kara fügte hinzu: »Wir tun euch nichts.«

»Nein, bestimmt nicht, wir lieben den Frieden!« rief das Rikralein.

»Waren das Krähen, die da sprachen?« fragte eine Stimme von einem anderen Baume her und die Augen einer großen Eule glühten geheimnisvoll durch das Dunkel.

»Freilich, Krähen waren es,« schnarrte ein Eichelhäher. Er musterte hochmütig und verächtlich die fremden Gäste. »Was wollen die hier?« schalt er, »die müssen hinaus, sie gehören nicht in unseren Wald, hinaus, hinaus mit ihnen!«

»Laßt sie in Frieden, das sind vornehme Gäste,« rief die Eule. »Ich höre es an den Stimmen, die klingen dunkel und tief, so reden die vom edlen Geschlecht der Kolkraben.«

Rara, Kara und das Rikralein neigten demütig die glänzenden, schwarzen Köpfe, sie schwiegen still. Aber ihre Gefährten redeten. Weil die Eule der Schwestern vornehmes Geschlecht erkannt hatte, wurden sie mutig, ihr Stolz erwachte, nun kamen sie sich nicht mehr als Bettler und Eindringlinge vor. Sie erzählten von der Insel und der drei Schwestern Guttat. Während sie sprachen, verstummten allmählich die harten, bösen Rufe im Walde, alle Stimmen schwiegen zuletzt, nur manchmal flatterte und huschte es, immer mehr Tiere kamen herbei, um den Erzählungen der Rabenkrähen zu lauschen. Schauernd fühlten sie alle, wie traurig es war, heimatlos zu sein und sie bewunderten den Opfermut der Schwestern. Als die Fremden verstummt waren, kamen von da und dort aus dem Dunkel Rufe: »Wir müssen ihnen helfen!«

»Schnickschnack,« schnarrte die Eule, »eure Hilfe ist einen Grashalm wert. Geht zu Bett, es ist Zeit, laßt unseren Gästen Ruhe. Die sind müde und wollen schlafen.«

Obgleich sie alle die Eule etwas grob fanden, taten sie doch nach ihren Worten und allmählich wurde es ganz still im Walde. Nur die drei Schwestern schliefen nicht. Sie saßen dicht aneinandergeschmiegt und erzählten sich flüsternd von ihrer schönen Heimat. Und als sie so redeten, rauschte es auf einmal neben ihnen, die Eule war es, die zu ihnen kam. Die glühte sie mit ihren großen Augen unheimlich an, aber die Schwestern merkten bald, die Eule meinte es gut mit ihnen. Die schnarrte: »So, nun rückt zu mir heran, jetzt wollen wir mal vernünftig reden, da das dumme Gesindel schläft. Ich weiß mancherlei, viel mehr als in einen solchen Habichts- oder Nußhäherkopf hineingeht, und mehr als ihr wißt. Ziellos in die Welt hineinfliegen hat keinen Zweck, ich will euch einen guten Rat geben, wohin ihr euren Flug richten sollt.«

Da neigten sich die drei Schwestern dankbar, denn sie hatten es gelernt, den Worten alter, erfahrener Leute ehrfurchtsvoll zu lauschen. Die Eule nickte, so gefiel es ihr. Sie setzte sich breit und aufgeplustert vor die Schwestern hin und sagte ihnen: »Wenn ihr morgen früh diesen Wald überfliegt, werdet ihr eine große Stadt liegen sehen, über die müßt ihr hinwegeilen, immer dem Westen zu. Ihr seht dann unten glänzende, schmale schimmernde Wege, die Menschen nennen sie Bahnschienen. An ihnen müßt ihr immer entlang fliegen über Berge und Wälder hinweg, bis ihr an einen kleinen Ort kommt, durch den drei Bäche fließen. Jeder Bach treibt etliche Mühlen in drei langen, schmalen Tälern. Durch das Tal, das nordwärts führt, fliegt ihr und dort werdet ihr ein altes Schloß auf einem Berge liegen sehen. Vielleicht findet ihr dort eine Heimat. Man hat es mir gesagt, daß es dort wenige eures Geschlechts gäbe. Einst hauste in den Wäldern ein schlimmer Förster, der alle Krähen erschossen hat, darum war die Gegend lange verrufen. Doch die Menschen, die jetzt dort wohnen, stellen den Krähen nicht mehr nach und ihr findet darum wohl leichter Wohnung und Nahrung und niemand vertreibt euch.«

Die Schwestern dankten sehr für den guten Rat und die Eule rollte und kollerte vergnügt ihre glühenden Augen, klappte den Schnabel auf und zu und sah so verschmitzt und listig aus, daß Rara, Kara und das Rikralein dachten: »Was hat sie nur, sie verbirgt uns etwas?« Sie waren aber alle drei nun sehr müde geworden, die Augen fielen ihnen fast zu und die Eule sagte: »Schlaft jetzt und morgen mit Sonnenaufgang zieht ihr in eure neue Heimat, ich will jetzt noch auf die Mäusejagd fliegen.«

Die Eule nahm Abschied und die Schwestern schliefen wirklich ein und sie träumten von der schönen, verlassenen Heimat. Sie meinten wirklich, sie wären noch auf der Insel und sie mußten sich am anderen Morgen erst besinnen, daß sie ja in der Fremde waren. Doch der Tag stieg sonnig empor, er lockte zum Flug im blauen Luftmeer und über der Lust des Fliegens vergaßen die Auswanderer etwas ihren Kummer. Sie flogen wie die drei Schwestern sie nach der Eule Rat führten, über den Wald hinweg, über Felder und flaches Land und dann sahen sie unter sich eine Stadt liegen. Türmereich und wohlhäbig breitete sie sich in einer weiten, fruchtbaren Ebene aus. Im Westen zog sich auch der Wald bis dicht an die Stadt heran. Nun jauchzten die Krähen, das war der rechte Weg. Sie flogen und flogen immerzu, rastlos. Sie überflogen die Stadt, die groß war und deren Straßen weit in das Land hinauszeigten. Und wenn die Krähen dachten, nun hat's ein Ende, dann kamen noch einmal Häuser und Gärten und wieder Häuser, aber endlich kam doch der Wald. Schmale, schimmernde Wege liefen dort hindurch, die Schienenstränge der Bahn waren es, so wie es die Eule erzählt hatte.

Tief herab flogen die Auswanderer, sie mußten sich die Bahn doch näher anschauen und gerade, als sie dicht über dem Bahndamm schwebten, sauste und brauste ein Zug heran. Gellend schrien die Vögel auf, sie stiegen hoch, der dicke Rauch der Lokomotive hüllte sie ganz ein und sie kreischten laut vor Schreck und Angst. Aber dann, als der Zug vorbei war, ärgerten sie sich, sie schämten sich auch ein wenig und Rara rief: »Auf, auf, wir wollen ihm nachfliegen!«

»So ist's recht, so ist's recht,« jubelten die anderen und wie eine schwarze Wetterwolke zogen die Krähen dem Zuge nach. Aus dem Walde rannte der hinaus, lief über ein Stück Wiesenland, dann pustete er an einem Flusse dahin, aber, vielleicht weil ihm der Fluß mit seinem eintönigen Rauschen langweilig war, drehte er sich geschwind um und eilte ächzend einen Berg hinauf. Puff, puff, ruch, ruch, war das schwer! Der lange Zug keuchte und die Krähen über ihm lachten. »Warum fliegst du denn nicht? Heioh, heioh, wie dumm!«

»Fliegen, das können nur wir,« jauchzte das Rikralein. Es begann in der Luft zu tanzen, es stieg kreisend hoch, ließ sich herabfallen drehte sich lachend im Kreise und die anderen wirbelten um es herum.

Die Schwestern mahnten: »Wir müssen weiter.« Dann flogen sie ein Stück weiter und sie vergaßen darüber völlig, daß sie heimatlos waren und nicht wußten, wo sie am Abend schlafen würden.

Und dann kam jäh etwas Furchtbares. Die Krähen hatten jetzt wieder den Zug ein Stück überholt und kreischten spöttisch hinab: »Fliege doch, fliege doch!« als sich auf einmal über ihnen ein schreckliches Getöse erhob. Zugleich sahen sie, wie andere Vögel in wilder Eile flohen, sich im Walde versteckten und angstvoll hin- und herflatterten. Sie sahen, wie selbst ein paar Habichte die Flucht ergriffen und als sie zitternd in die Höhe blickten, sahen sie über sich einen ungeheuren, hellen Vogel schweben, ein riesiges Tier. Es hatte eine dröhnende Stimme, mit der brüllte es immerzu, es brüllte so laut, daß unten die Menschen, die im Zuge fuhren, emporsahen. Die schrien auch laut, aber sie schienen gar nicht ängstlich zu sein, denn sie lachten und nickten, sie schwenkten weiße Tücher und riefen: »Hurra, ein Luftschiff!«

Und wunderlich, aus dem brüllenden Riesenvogel heraus sahen auch Menschen, die lachten und nickten auch, sie schwenkten auch weiße Tücher und jubelten: »Wir fliegen, wir fliegen!«

Die Krähen wären wohl so wild und angstvoll entflohen wie die anderen Vögel, wenn Rara und Kara, die beiden älteren Schwestern, nicht zur Ruhe ermahnt hätten. »Wir kennen den Vogel,« mahnten sie, »wir sahen ihn schon einmal, er tut uns nichts, haltet euch nur alle an unserer Seite.«

Die anderen gehorchten. Stumm senkten sie sich alle zur Erde nieder auf einen Baum, den Rara mit scharfen Augen als leer von Nestern erspäht hatte. Es wohnten auch keine Vögel darauf, nur ein paar Eichhörnchen, die scheltend und fauchend auf die fremden Gäste losfuhren. Aber als die Schwestern baten: »Ach, laßt uns hier nur kurze Rast halten,« gaben sie sich zufrieden.

»Ausruhen dürft ihr,« sagten die Eichhörnchen, »nur Nester bauen, das ist verboten!«

Das ungeheure Tier rauschte vorüber, aber noch lange, lange hörten die Vögel seine dröhnende Stimme und wagten deshalb nicht, aufzufliegen um ihre Reise fortzusetzen. Endlich taten sie es doch. Die Eichhörnchen brummten: »Es ist auch Zeit, das war ein langer Besuch« und die Krähen sagten zueinander: »Gut, daß wir hier nicht zu wohnen brauchen, ach in der Heimat war es freundlicher, da kannten uns alle und niemand schalt uns ungebetene Gäste.«

Sie stiegen nun wieder hoch empor, spähten nach dem schmalen, schimmernden Schienenweg aus und flogen dann der glänzenden Spur nach, der neuen, unbekannten Heimat entgegen. Ihre Herzen waren ihnen schwer und selbst die drei Schwestern klagten: »Wie ist es traurig, in der Fremde zu sein!«

2. Kapitel. In der neuen Heimat.

Inhaltsverzeichnis

Zwei Kinder, Bruder und Schwester, saßen unter vielen fremden Menschen in dem Zuge, den die Krähen überflogen. Das Mädel hatte silberblondes Haar, und sein Gesicht sah blaß und zart aus; es glich einer weißen, feinen Gartenblume. Der Knabe war kräftiger, blühender, er hatte dunklere Haare, doch seine Augen waren gerade so blau und strahlend wie die der Schwester. Die Kinder saßen still nebeneinander und blickten zum Fenster hinaus, manchmal sah die blasse Schwester den Bruder an, dann nickte der und sagte: »Hab' keine Angst, Gundel, ich bin ja bei dir!«

Darauf lächelte die Kleine zuversichtlich und schmiegte sich noch ein wenig fester an den Bruder an. Dann und wann versuchte jemand von den Mitreisenden mit den Kindern ein Gespräch anzufangen. Woher sie kämen, wohin sie wollten, warum sie so allein reisten? Doch die beiden gaben nicht viel Antwort und die Fremden gaben das Fragen immer bald wieder auf. Bei jeder Station sah der Knabe emsig in sein Taschenbüchlein und die Schwester fragte: »Sind wir bald da?«

»Noch nicht, noch nicht,« erwiderte der Bruder, bis er endlich rief: »Auf der nächsten Station steigen wir aus!« Ganz eilfertig holte der Knabe ein bescheidenes Handköfferlein aus dem Gepäcknetz, suchte Mäntel und Schirme zusammen und sagte immer wieder: »Gleich sind wir da!«

»Na, so schnell geht's noch nicht,« brummte ein dicker Herr, der den beiden gegenüber saß, »der Zug hält erst in P., bis dahin fahren wir noch gut eine halbe Stunde.«

»Wir steigen in Friedebach aus,« sagte der Knabe sehr höflich und bescheiden.

»Dort hält der Zug nicht.«

»Doch, hier steht's,« rief der Knabe nun eifrig und hielt sein Taschenbüchlein dem dicken Herrn hin. Der sah hinein, schüttelte mit dem Kopf und sagte trocken: »Da steht's schon, aber es stimmt nicht. Ich fahre oft hier, der Zug hält in Friedebach nicht, es ist ein Schnellzug.«

Die Kinder sahen sich erschrocken an, Gundel wurde noch blässer vor Schreck, aber der Bruder meinte rasch: »Er wird schon halten der Herr Rat hat es doch gesagt.«

»Er hält nicht,« rief der dicke Herr nun ärgerlich und bat den Schaffner herbei, der eben durch den Wagen ging. Der kam, betrachtete die Fahrkarten der Kinder und sagte: »Ja, ihr hättet in L. umsteigen müssen, der Zug geht weiter, er hält wirklich nicht in Friedebach.«

Gundel brach in Tränen aus, aber der Bruder hielt sich tapfer und fragte wie ein alter erfahrener Reisender, wie er wohl nach Friedebach käme? »Mit dem nächsten Zug, nach drei Stunden geht einer von P. zurück,« gab der Schaffner Auskunft. »Aber freilich nachzahlen müßt ihr in P., was das Billet mehr kostet, auch ein neues nach Friedebach lösen.«

In die schmalen seinen Gesichter stieg dunkle Glut. Die beiden sahen sich verlegen an und endlich sagte der Knabe leise, beschämt: »Wir haben kein Geld.«

»Ja, das ist sehr schlimm,« meinte der Schaffner. Und dann redeten alle im Wagen hin und her, die Kinder wurden darüber immer verlegener, bis schließlich der dicke Herr sagte: »Ich steige auch in P. aus, ich will schon sehen, wie es wird.« Dann wandte er sich an die Geschwister mit der Frage: »Wohin wollt ihr denn? Ich kenne die Gegend gut.«

»Nach der Rabenburg,« erwiderte der Knabe und seine Stimme klang nun ganz hell vor Freude.

»So, so,« brummte der Frager, »kenne ich. Da könntet ihr aber gut von P. aus gehen und euer Gepäck könnte der Botenkarl tragen. Zwei Stunden, weiter ist's nicht, freilich dem Mädel mag's zuviel sein. Wollt ihr zum Herrn von Tracht?«

Die Kinder nickten beide und das Mädel rief froh: »Zwei Stunden geh' ich schon, Dieter.« Sie sah hinaus, sah draußen den Wald an den Schienen entlang stehen und flüsterte halb sehnsüchtig halb bang: »Geht der Weg wohl durch den Wald?«

»Ein Stücklein schon, aber seht einmal rasch hinaus, da drüben, das ist die Rabenburg,« rief der dicke Herr.

Ein schmales Tal tat sich auf, von Wald und Hügel umschlossen. Ein Dörfchen lag im Grunde und ferne stand über dem Wald auf einem runden Berg ein Schlößchen. Es war nur wenige Minuten sichtbar, dann lief der Zug mit viel Getöse durch einen langen schwarzen Tunnel. »Er fürchtet sich, darum brüllt er so,« dachte Gundula von dem Zug, aber der war schnell wieder draußen im Licht, und es gab ein anderes Bild. Doch den Kindern lag das Schloß auf dem Berge im Sinn und sie redeten leise davon, sie hofften dort eine Heimat zu finden.

»Nun müßt ihr aussteigen, jetzt kommt P.,« sagte in ihr Flüstern hinein ihr dicker Nachbar. Er sagte das zwar brummig, aber seine hellen guten Augen schauten die Kinder dabei so freundlich an, daß die ihm ohne Zureden folgten. Hinaus auf den Bahnsteig, durch die Sperre hindurch, es ging ganz leicht, alle Beamten schienen den Beschützer der Kinder zu kennen. Sie nickten als er ihnen etwas sagte. Und zu Gundels großer Erleichterung hielt niemand sie fest, es verlangte auch niemand Geld von ihnen. Vor dem Bahnhof stand ein Kutschwägelchen. »Steigt mit ein,« sagte der dicke Herr. »Ein Stück könnt ihr mit mir fahren, dann zeige ich euch den Weg!« »Hoppla!« da saß er drinnen im Wagen, er füllte beinahe den ganzen Vordersitz aus und es war gut, daß die Kinder so schlank und schmal waren, da hatten sie bequem auf dem Rücksitz Platz, auch das Köfferlein konnte untergestellt werden.

»Werdet ihr den nachher auch tragen können?«

»O ja,« rief Dieter auf diese Frage des Fremden. »Er ist ja nicht schwer, das andere Gepäck wird uns nachgeschickt.«

»Aber der Weg ist lang und heiß ist's auch, gar so kräftig seht ihr mir nicht aus. Wollt wohl zu den Ferien auf die Rabenburg?«

»Nein – – für immer.« Halb scheu sagte es Dieter und halb stolz.

»Für immer?« Der dicke Herr musterte die beiden aufmerksam. »Heißt ihr auch von Tracht?«

Dieter sagte »ja« und Gundel nickte ernsthaft.

»Schau, schau. Vor langen Jahren, ich war damals noch ein junger Bursch, hatte ich einen lieben kleinen Kameraden, Hans Dieter von Tracht. Ein lustiger Kerl, ist nachher Marineoffizier geworden und soll irgendwo auf fernen Meeren untergegangen sein. War das euer Vater?«

Die Augen der Kinder leuchteten, sie nickten stolz. »Ja, unser Vater. Mutter sagte, er hat sechs Menschen gerettet, dabei ist er ums Leben gekommen.«

»Sieht ihm ähnlich. Ja, so was glaub' ich von ihm.« Der Fremde fuhr sich über die Augen und sagte dann weiter: »Und eure Mutter?«

Da schluchzte Gundel auf und Dieter senkte den Kopf. »Mutter ist auch tot.«

»Also Waisen, arme Kinder,« dachte der dicke Herr und dann fragte er herzlich und gut nach allerlei, daß der beiden Vertrauen noch wuchs, sie erzählten dies und das, erzählten, daß sie eine Zeitlang bei einer Freundin der Mutter gewesen wären, dann in Erziehungsanstalten, zuletzt bei ihrem Vormund; das sagten sie bedrückt, und ihr Beschützer merkte rasch, dort war es nicht gut gewesen. Er fragte aber nicht und die Kinder erzählten ihm auch nicht, wie einsam sie sich in dem reichen Hause gefühlt hatten, in dem die Hausfrau nur ihr Vergnügen, ihre Gesellschaften, ihre Kleider und dergleichen im Sinn hatte und der Mann nur darauf bedacht war, viel Geld, immer, immer mehr Geld zu erwerben.

Aber Dieter berichtete und seine Stimme klang wieder hell und froh: »Auf einmal hat der Großonkel geschrieben, wir sollten zu ihm kommen und dort bleiben.«

Der Fremde nickte. »Mag's euch auf der Rabenburg so gut gefallen wie einst eurem Vater. Aber, holla! hier müßt ihr aussteigen!«

Am Waldrand hielt der Wagen und der Weg verlor sich in den Wald in eine grüne, geheimnisvolle Dämmerung hinein. Bunte Blumen standen da, so wie Pagen um eines Königs Thron stehen.

»Hier müßt ihr durchgehen, fürchtet ihr euch?«

»Nein,« riefen beide, denn der Weg schien ihnen lockend und lieblich.

»Ist auch nichts zu fürchten, bei uns hier nicht, geht nur immer gerade aus, dann links, da kommt ein Wegweiser nach Untersberg, den Weg müßt ihr gehen.«

Gundel hatte kaum auf des freundlichen Herren Rat gehört. Sie schaute in den Wald hinein. Auf dem Weg lagen goldene Lichtflecke und ein feines Summen und Sausen war hörbar, das vereinte sich mit dem Rauschen der Bäume und klang wie ein Lied. »Dieter,« flüsterte die Kleine tief atmend: »Der Wald ist aber arg schön.«

»Ja,« sagte Dieter froh und sein Blick lief bewundernd die hohen Bäume entlang, »so einen schönen Wald hab' ich noch nie gesehen.«

»Hohohoho!« lachte da aus einmal der dicke Herr, »das ist kurios, sehr kurios. Ihr seid mir ein paar echte Trachts. Na, grüßt mir euren Großoheim und Gott befohlen! Hohoho, kurios, sehr kurios!«

Das Wäglein rollte davon, sein Insasse nickte und winkte noch und verdutzt schauten ihm die Kinder nach. Was kurios an ihrer Waldfreude war, begriffen sie nicht, aber schwer fiel es ihnen aufs Herz, daß sie sich nicht bedankt hatten und eilig rannte Dieter dem Wagen nach und schrie höflich: »Schönen Dank!«

Über das gute breite Gesicht des Herrn ging ein Lachen, er nickte und winkte, rief auf Wiedersehen und dann bog der Wagen um eine Waldecke und die Kinder waren allein, sie hörten nur noch das ferner und ferner klingende Rollen. Noch nie waren sie in ihrem Leben so allein im Walde gewesen und unwillkürlich faßte Gundel des Bruders Hand. »Du, es ist so arg still,« flüsterte sie.

Der nickte und schaute sich um, »aber schön ist's.« Sein Blick fiel auf ein paar große blaue Glockenblumen und rasch bückte er sich, pflückte sie ab und hielt sie der Schwester hin. Die lächelte froh und vergaß ihre Angst vor der Stille, denn nun erst sah sie alle die Blumen, die noch am Wege standen, immer da, wo die Sonne hineinsah.

Und wie sie beide so durch den Wald gingen, Dieter mit dem Köfferlein, Gundel Blume um Blume pflückend, hörten sie auf einmal über sich ein Rauschen und Schreien. Eine große Schar schwarzer Vögel flog über den Wald, drei zogen voran, sie stießen von Zeit zu Zeit einen hellen Schrei aus, dann flogen die anderen ihnen schneller nach, es war als ob sie alle müde wären. Die Kinder konnten sehr gut folgen und diese dunkle Schar in der Luft ließ ihnen den Weg im Walde nicht so einsam vorkommen. Freilich ihr Beschützer hatte vorher recht gehabt, heiß war es und Dieter fühlte wohl die Last des kleinen Koffers. Einmal schlug Gundula vor: »Wir wollen uns ausruhen.« Sie setzten sich beide an einen Grabenrand und wunderlich war es, rauschend ließen sich die schwarzen Vögel auf den Bäumen nieder, es war beinahe, als flögen die zu ihrer Begleitung mit.

Die Kinder wußten nicht, daß die Krähen, die über ihnen flogen auch so heimatlose Wanderer waren wie sie selbst, und die Vögel wußten das nicht von den beiden Kindern. Das Rikralein hatte gesagt: »Wir wollen den Kindern nachfliegen. Ich habe einmal geträumt, in der Nacht, da unser Auszug beschlossen wurde, zwei Kinder würden uns den rechten Weg zeigen. Wir wollen darum diesen folgen.«