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Hochzeitsplanerin Lucinda ist verzweifelt: Damit die Firma ihres verstorbenen Vaters nicht ihrer intriganten Stiefmutter in die Hände fällt, braucht sie dringend Geld. Aber dazu muss sie Einsiedler-Milliardär Thirio Skartos überzeugen, sein Schloss als Eventlocation für ihre Kunden zur Verfügung zu stellen. Doch selbst wenn er sein einsames Anwesen für sie öffnet, sein Herz ist nach einer schrecklichen Tragödie für immer verschlossen. Oder kann ausgerechnet Lucinda den Liebesfluch brechen, der auf ihm lastet?
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Seitenzahl: 205
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2022 by Clare Connelly Originaltitel: „Cinderella in the Billionaire’s Castle“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London in der Reihe: MODERN ROMANCE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 2572 11/2022 Übersetzung: Rita Koppers
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 11/2022 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751510103
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Liebe Leserin, lieber Leser,
als Kind habe ich Märchen geliebt. Eine meiner frühesten Erinnerungen besteht darin, dass ich ein Buch von Hans Christian Andersen durchgeblättert habe. Ich liebte die Magie und die Atmosphäre, die Bedeutung von Richtig und Falsch, Gut gegen Böse, und ich habe mir immer ein glückliches Ende gewünscht. Meine Liebe zu diesen Märchen hat mich zu einer treuen Leserin romantischer Literatur gemacht. Schließlich haben gute Liebesromane sehr viel gemeinsam mit den meisten überlieferten Märchen.
Es hat Spaß gemacht, meine beiden Lieblingsthemen in dieser Story zusammenzubringen. Ich wollte Aschenputtel ins einundzwanzigste Jahrhundert führen, und Lucinda ist die perfekte Heldin von heute. Unglücklicherweise kann sie ihr größtes Ziel im Leben jedoch nur auf einem Weg erreichen: durch Thirio – den Unmenschen. Nach einem langen zurückliegenden Trauma hat er sich entschieden, einsam und ohne jedes Glück zu leben. Doch Lucinda ist entschlossen, den Kampf gegen Thirios Einsamkeit aufzunehmen …
Die letzten beiden Jahre haben von uns allen ihren Tribut gefordert. Deshalb brauchen wir mehr denn je Geschichten mit einem Happy End. Deshalb hoffe ich, dass Sie Lucinda und Thirio genauso wie ich lieben werden.
Mit Dank an Sie alle
Clare Connelly
Sechs Jahre früher
„Du willst doch wohl nicht ausgehen, Thirio?“
Seine dunklen Augen in dem fast schon zu attraktiven Gesicht leuchteten amüsiert, und er grinste. Es war ein Grinsen, das man überall kannte, vor allem aus den Boulevardblättern. „Warum sollte ich nicht?“
Missbilligend verzog Constantina den Mund. Doch es steckte noch mehr dahinter. Sorge. Sie betrat das prunkvolle Schlafzimmer ihres Sohns. „Nun, zum einen, weil dein Vater morgen Geburtstag hat. Es kommen Hunderte von Gästen, und er erwartet …“ Sie runzelte die Stirn. „Wir erwarten, dass du an den Feierlichkeiten teilnimmst.“
„Ich habe nicht vor, sie zu verpassen, Mutter. Entspann dich.“
Constantina musterte mit ihren grünen Augen ihren gut aussehenden Sohn, der inzwischen ein Mann war. „Musst du jeden Abend ausgehen?“
Gereizt schnitt Thirio ein Gesicht. „Spielt das eine Rolle?“
„Du vergeudest dein Leben.“
„Was soll ich deiner Meinung nach denn sonst tun? Den ganzen Tag am Pool liegen? Golf spielen? Mit einer Yacht über das Mittelmeer segeln?“
„Du könntest mit uns zusammenarbeiten“, erklärte Constantina, denn sie und ihr Mann hatten für ihn bei der Skartos AG eine Stelle geschaffen, die seit Thirios achtzehntem Geburtstag nie besetzt worden war. Thirio Skartos, Spross einer der ältesten und reichsten Familien Europas, musste nicht arbeiten. In dem Treuhandfonds, zu dem er Zugang hatte, wurde Geld in Milliarden verwaltet, und er hatte vor, alles davon auszugeben. Hedonismus fühlte sich gut an.
„Ich bin doch hier, Mutter. Ich bin wegen seiner Party zurückgekommen. Treib es nicht zu weit.“
Constantina seufzte schwer. Ihr Sohn hatte so viel von ihrem Ehemann. Wenn sie Thirio ansah, entdeckte sie darin Züge von Andreas. All seine Stärke, seinen Stolz und die Entschlossenheit und die Sturheit. Sie straffte sich, ohne den Anflug von Reue zu bemerken, der sich kurz auf Thirios Gesicht zeigte.
„Ich bin nicht gekommen, um zu streiten.“
„Wir streiten nicht“, erwiderte er mit einem strahlenden Lächeln.
„Oh doch, Thirio. Wie kannst du nur so ein Leben führen? Frauen, Alkohol, Partys. So haben wir dich nicht erzogen.“
„Ach nein?“
Constantina zuckte zusammen, denn der Vorwurf traf sie mitten ins Herz. Sie dachte an all die Abende, an denen sie und Andreas ausgegangen waren oder Gäste empfangen hatten, während ihre Kinder von Kindermädchen erzogen worden waren und in den Ferien von einer vernarrten yiayia.
„Du könntest sehr viel mehr aus dir machen.“
„Wie ich mein Leben führe, sollte nicht deine Sorge sein.“
Constantina verzog die Lippen. „Du irrst dich, Liebling. Ich bin tatsächlich besorgt.“ Sie ging auf die Tür zu, und jeder ihrer Schritte verriet eine natürliche Eleganz. „Steck deine Schwester bitte nicht mit dieser Einstellung an. Sie ist siebzehn, scheint Gott sei Dank mehr von ihrem Leben zu wollen und hat daran nicht so geringe Erwartungen wie du.“
Thirio verdrehte die Augen. „Meines Erachtens sollte sie sich ein bisschen mehr Spaß im Leben gönnen …“
„Ich bin da anderer Meinung“, wehrte seine Mutter ab. „Führe sie nicht auf Abwege, Thirio.“
„Ich bin wegen Vaters Party hier und werde mich mit den Gästen unterhalten, für die Fotografen lächeln und dann verschwinden. Zufrieden?“
Constantina war weit davon entfernt, zufrieden zu sein. Sie hatte Thirio immer angebetet. Als er ein kleiner Junge gewesen war, hatte man ihn einfach lieben müssen, mit seinen Pausbacken, dem Lächeln und seinem entzückend herrischen Wesen, das er selbst als Kleinkind schon besessen hatte. Doch irgendwann hatte er sich verändert. Sicher, er wurde immer noch umschwärmt, sogar gefeiert. Sein gutes Aussehen und seine Intelligenz machten ihn in der Gesellschaft beliebt. Doch sein glückliches Händchen, quasi alles zu Gold machen zu können, hatte ihn auch arrogant und übertrieben selbstbewusst gemacht.
„Er wird dem schon entwachsen“, hatte Andreas immer beteuert und dabei gelächelt. Constantina hatte längst begriffen, dass ihr Ehemann die Vergehen ihres Sohns mit weit milderen Augen betrachtete.
„Du bist mein Kind, und ich liebe dich, Thirio. Das werde ich immer. Doch manchmal wünschte ich, dir eine gesunde Portion Realität verpassen zu können. Siehst du denn nicht, was für ein privilegiertes Leben du führst? Würdest du nicht gern etwas aus dir machen?“ Traurig schüttelte sie den Kopf. „Du hast alle Möglichkeiten und bist klüger als irgendein Mensch, den ich kenne. Du könntest die Welt verändern, wenn du es nur wolltest.“
Thirio kniff die Augen zusammen. „Es ist mein Leben, und ich werde es so führen, wie ich es will.“
Constantina verspürte einen Anflug von Wut. Thirios verschwendetes Potenzial war eine ständige Quelle des Schmerzes für die liebende Mutter. „Dann lass uns beide hoffen, dass du bald damit anfängst, ein besseres Leben zu führen.“
Dann verließ sie lieber das Zimmer, bevor sie noch etwas Schlimmeres sagen konnte. Beide konnten nicht wissen, dass es die letzten Worte waren, die sie zu ihrem Sohn sagte, und dass Constantina nicht mehr die Chance bekam zu erleben, wie sich das Leben ihres Sohns entwickelte. Ihr Tod, eine Tragödie, für die Thirio verantwortlich war, würde ihn die nächsten Jahre wie ein Fluch immer wieder heimsuchen.
Immer wenn Thirio Castile di Neve unbedingt verlassen musste, was in den nächsten Jahren nicht oft vorkam, kehrte er stets schlecht gelaunt zurück. Es gab nur wenig, was ihm draußen in der Welt gefiel, und daran teilnehmen zu müssen, lastete schwer auf seinen Schultern. Bis er endlich in seinen Helikopter steigen und davonfliegen konnte. Dann konnte er die Zivilisation wieder hinter sich lassen, über die Wälder und Berge fliegen und zurück zu seinem abgelegenen Schloss, das er seit sechs Jahren sein Zuhause nannte. Es ragte über der Klippenwand auf wie ein verwunschener Geist. An bewölkten Nachmittagen schienen die Türme beinahe über den Schluchten zu schweben, die sich bis Norditalien erstreckten.
Als Thirio jetzt zum Sinkflug ansetzte und das Schloss umrundete, um hinten auf dem Landeplatz herunterzugehen, entdeckte er etwas, was ihm beinahe einen derben Fluch entlockt hätte: einen Wagen.
Er war klein und schwarz und war direkt neben der Eingangstür geparkt worden.
Eines der Dinge, die Thirio am meisten an dem Schloss gefielen, war seine Unzugänglichkeit. Sicher, es gab eine Straße, aber sie war schmal und gewunden. Und da das Schloss den Endpunkt der Straße bildete, fuhren nie Touristen daran vorbei. Hier draußen war er völlig allein, und genauso wollte er es auch.
Er war schlecht gelaunt aufgewacht – wie immer, wenn er verreisen musste –, und seine Stimmung hatte sich im Lauf des Tages noch verschlechtert. Deshalb hatte er nur noch nach Hause gewollt, um zu duschen und die Erinnerung an andere Menschen, an seine Vergangenheit, seine Geschichte und seine Schuld abzuwaschen.
Er stellte den Motor ab, blieb aber im Helikopter, um seine Wut unter Kontrolle zu bringen. Langsam atmete er durch, ehe er die Seitentür öffnete. Es war frisch hier oben, obwohl sich der Frühling in der nördlichen Hemisphäre schon zeigte, mit Blumen und Sonnenschein. In den Bergen waren die Wolken jedoch grau und die Bäume schwer vom Schnee. Er stieg aus, schlug die Tür zu und ging auf die Stufen zu, die zur rückwärtigen Tür seines Schlosses führten.
Er wusste nicht, wer es gewagt hatte, unbefugt in seinen Zufluchtsort einzudringen, aber er würde diesen Leuten in aller Deutlichkeit sagen, dass sie verschwinden sollten. Thirio Skartos war nicht in der Stimmung für Nettigkeiten.
Zu behaupten, Lucinda Villeneuve sei nervös, wäre eine Untertreibung. Nicht nur, weil sie mit ihrem ausgearbeiteten Konzept in der Hand ungeladen zu dem Schloss des berühmten Milliardärs gekommen war, der hier wie ein Einsiedler lebte, sondern wegen der Bedeutung, die ihr Konzept hatte. Falls er zustimmte, sie als Veranstaltungskoordinatorin für die Hochzeit seiner Schwester zu engagieren, würde das Lucindas Leben wirklich verändern. Allein das Honorar würde schon reichen, um einen Bankkredit abzusichern, damit sie endlich ihre schreckliche Stiefmutter auszahlen und wieder die Kontrolle über das Unternehmen ihres verstorbenen Vaters zurückgewinnen könnte. Mehr noch, es würde ihren Zweiflern zeigen, wozu sie fähig war.
Sie musste diesen Mann überzeugen, dass sie die richtige Frau für den Job war.
Im Internet gab es nicht viele Informationen über Thirio Skartos. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt gab es Unmengen an Fotos von einem jungen, gut aussehenden und unverheirateten Partylöwen, der von einer Veranstaltung zur nächsten flatterte – sie kannte diesen Typ Mann. Doch als die Tragödie passierte und seine Eltern bei einem Hausbrand umkamen, verschwand er aus der Öffentlichkeit. Die letzten sechs Jahre hatte er sich beinahe unsichtbar gemacht. Deshalb hatte Lucinda ziemlich viel recherchieren müssen, um an die Adresse seines Verstecks in den Alpen heranzukommen.
Bei seiner jüngeren Schwester Evie war es einfacher gewesen, Nachforschungen anzustellen. Während sie sich sonst unauffällig verhielt, hatte sie sich kürzlich mit dem vierten Sohn des herrschenden Monarchen von Nalvania verlobt. Daher hatte es eine Flut von Interviews gegeben. Lucinda hatte Wochen damit verbracht, sie zu analysieren, um so viel wie möglich über die baldige Prinzessin zu erfahren und in ihr Konzept einzuarbeiten. Sie wusste, dass es gut war. Sogar ausgesprochen gut. Jetzt musste sie nur Thirio Skartos davon überzeugen.
Falls er je auftauchte.
Da sie schon vor ein paar Stunden am Schloss angekommen war, hatte sie zunächst eine Weile im Auto gewartet, bevor sie ins Foyer gegangen war. Schließlich hatte sie sich nach all dem Tee, den sie während der Fahrt getrunken hatte, auf die Suche nach einer Toilette gemacht. Dabei hatte sie eine wirklich atemberaubende Bibliothek entdeckt, mit einer Decke in dreifacher Stockwerkhöhe und Wänden voller alter Bücher, und sich entschieden, dort auf ihn zu warten. Sie hatte es sich in einem Sessel mit einer sehr alten Ausgabe von Krieg und Frieden gemütlich gemacht, als Thirio sie entdeckte.
Lucinda wusste nicht genau, was sie erwartet hatte. Dass er gut aussah, war bekannt. Sie hatte im Internet Fotos von ihm gesehen, die vor Jahren aufgenommen worden waren. Seine Haut und Augen waren dunkel. Er hatte eine markante Nase und ein ausgeprägtes Kinn. Doch der Mann, der jetzt die Bibliothek betrat und so aussah, als wollte er jemanden erwürgen, wirkte völlig anders. Sicher, seine Gesichtszüge zeigten noch Spuren dieses attraktiven jungen Mannes, aber er sah so wütend aus, dass sie ihn unmöglich mit dem lächelnden, sorglosen Junggesellen von damals in Verbindung bringen konnte. Ja, er war ein Prachtexemplar von einem Mann – groß und muskulös. Etwas Finsteres ging von ihm aus. Schuldbewusst legte Lucinda das Buch auf den Sessel, nachdem sie aufgestanden war. Thirios unverhohlene Männlichkeit ließ sie all ihre Professionalität vergessen.
„Wer zum Teufel sind Sie?“ Seine Stimme mit dem unverkennbaren Akzent klang kalt. Sein Vater war Grieche, seine Mutter stammte aus der Schweiz, und er war in London und Wien zur Schule gegangen. Mit seiner Aussprache hätte er ein Mitglied der britischen Königsfamilie sein können. Allerdings hörte sich seine Stimme rauer an, als würde er nicht oft sprechen.
Lucinda schluckte vor Nervosität.
„Thirio Skartos?“
„Sie befinden sich in meinem Haus“, sagte er scharf. „Wieso nehmen Sie sich das Recht heraus, mir Fragen zu stellen?“
Mit so viel Feindseligkeit hatte sie nicht gerechnet. „Ich habe versucht, telefonisch mit Ihnen Kontakt aufzunehmen“, entgegnete sie hochmütig und vergaß für einen Moment, wie sehr sie diesen Auftrag brauchte. „Sie haben meine Anrufe jedoch nicht beantwortet.“
„Die meisten Menschen würden das als einen Hinweis betrachten.“
„Ich bin aber nicht wie die meisten.“
Seine Nasenflügel bebten, als er die Arme vor der Brust verschränkte. Wortlos blickte er sie starr an, sodass Lucindas Puls schneller schlug. Sie biss sich auf die Lippe, unterließ es aber sofort, als sein Blick auf ihren Mund fiel.
„Sie sind hier nicht willkommen.“
„Ich brauche nur einen Moment Ihrer Zeit.“
Skeptisch sah er sie an. „Verstehen Sie kein Englisch?“
Lucinda zuckte zusammen. Er war nicht der Erste, der ihre Intelligenz infrage stellte. Seit dem Tod ihres Vaters hatten ihre Stiefmutter und die – schwestern sie mit Beleidigungen überhäuft, sie ständig kleingemacht und verspottet.
Dieser Mann wusste jedoch nicht, dass Lucinda gelernt hatte, in solchen Situationen stark zu sein, auch wenn es sie sehr viel Mühe kostete.
„Ich habe durchaus verstanden, was Sie gesagt haben“, räumte sie nach einer kurzen Pause ein. „Aber ich habe nicht vor, zu gehen, bis wir miteinander gesprochen haben. Wenn Sie also wirklich allein sein wollen, würde ich vorschlagen, dass Sie mir zuhören. Je eher Sie mich angehört haben, desto schneller kann ich wieder verschwinden.“
Sie hatte ihn überrascht. „Für wen halten Sie sich eigentlich, einfach in mein Haus einzudringen und mir ein Ultimatum zu stellen? Ich könnte Sie verhaften lassen.“
„Das könnten Sie in der Tat“, bestätigte sie, wobei sie innerlich zitterte. „Aber das würde länger dauern und mehr Menschen auf den Plan rufen. Ich habe durchaus nicht vor, noch einen Moment länger zu bleiben, als dieses Gespräch es erforderlich macht.“
Es war offensichtlich, dass Thirio Skartos es nicht gewohnt war, herausgefordert zu werden. Würde Lucindas Zukunft und ihr Lebensunterhalt nicht davon abhängen, dass er ihr Konzept akzeptierte, hätte es sie amüsiert, wie er ruhig zu bleiben versuchte. Es machte Spaß, ihn zu ärgern. Doch die Sache war zu wichtig – sie durfte nicht zu weit gehen.
„Ich werde Ihre Zeit wirklich nicht zu sehr in Anspruch nehmen“, meinte sie versöhnlich. „Es wird bald dunkel, und ich möchte die Straße den Berg hinunter nur ungern abends fahren.“
„Ein ausgezeichnetes Argument“, murmelte er und warf einen Blick zum Fenster. „Außerdem zieht ein Sturm auf. Wenn ich Sie wäre, Miss …“
„Lucinda Villeneuve.“
Er nickte kurz. „An Ihrer Stelle würde ich verschwinden, solange Sie es noch können. Ich gehe jetzt jedenfalls duschen.“
Lucinda war fassungslos. Das war wohl gründlich ins Auge gegangen. Sie hatte nur sehr wenige Informationen über diesen Mann, aber eine Sache war ihr bei ihren Nachforschungen besonders aufgefallen. Seine Schwester sprach in überschwänglichen Tönen über ihn. Vermutlich standen sie sich sehr nahe.
„Also ist es Ihnen egal, warum ich hierhergekommen bin?“
„Ist das nicht offensichtlich?“
„Obwohl Ihre Schwester damit zu tun hat?“
Thirio erstarrte. „Was ist mit ihr?“ Jedes Wort klang scharf wie ein Pistolenschuss.
Lucinda trat einen Schritt näher, wünschte aber sofort, sie hätte es unterlassen, als ihr ein Hauch seines Aftershaves in die Nase stieg. Er roch nach Zitrone, aber sie bemerkte auch einen dezenten Moschusduft. Und diesmal war ihre Reaktion unmissverständlich. Sie verspürte Verlangen.
„Ihre Schwester wird heiraten, und Sie sind verantwortlich für die Organisation ihrer Hochzeit.“
Einen Moment schien er widersprechen zu wollen, ehe er sagte: „Sind Sie hergekommen, um mir etwas längst Bekanntes mitzuteilen?“
„Ich glaube, ich kann Ihrer Schwester zu ihrer Traumhochzeit verhelfen.“
„Sie und jeder andere Veranstaltungskoordinator zwischen hier und Sydney“, entgegnete er und verzog den Mund, was Lucinda jedoch noch entschlossener machte.
„Der Unterschied ist allerdings der, dass mein Konzept das richtige ist.“
Dann wandte sie sich ab und ging zu einem wunderschön geschnitzten Tisch unter einem großen Fenster, von dem aus man den dichten Wald sehen konnte. „Ich weiß, dass Sie einverstanden sein werden, wenn Sie sich zehn Minuten Zeit nehmen, um mit mir mein Konzept durchzugehen.“
„Entwürfe für die Hochzeit sollten per E-Mail geschickt werden.“
„Das weiß ich.“
„Und warum sind Sie dann hier?“
Weil ich diesen Job dringend brauche. „Mein Entwurf ist zu umfassend für eine E-Mail.“
„Dann hätten Sie es auf das Wesentliche reduzieren und einreichen sollen, wenn Sie damit fertig sind. Ich habe nicht die Zeit, dreißig Seiten Unsinn zu lesen, nur weil Sie Probleme haben, sich kurz zu fassen.“
Sie schnappte nach Luft. „Sie sind wirklich …“
„Ja?“ Er hielt ihren Blick fest, und ihr Herz hämmerte.
„Warum wollen Sie mich eigentlich nicht anhören?“, fragte sie wütend.
„Weil ich vielleicht allein sein will?“
Ihre Neugier war geweckt und seltsamerweise ein Anflug von Mitgefühl. Aber die Sache war zu wichtig für sie, um sich abspeisen zu lassen.
„Also gut.“ Beschwichtigend hob sie die Hände. „Ich verspreche, dass ich verschwinden werde. Doch lassen Sie mich ganz schnell beschreiben, was für eine Traumhochzeit ich für Ihre Schwester geplant habe.“
„Es ist nur eine Hochzeit“, stieß er unwillig hervor. „Sie wird ein schönes, weißes Kleid tragen, er einen Smoking. Es wird eine Band, Essen, Alkohol geben, und am Ende werden sie verheiratet sein.“
„Warum, zum Teufel, hat Ihre Schwester Ihnen eigentlich die Verantwortung dafür übertragen, wenn Sie so abfällig darüber denken?“
Er wollte etwas entgegnen, unterließ es dann aber. „Das geht Sie nichts an“, meinte er schließlich, drehte sich um und ging zur Tür. „Ich nehme an, Sie finden allein hinaus.“
Entgeistert blickte Lucinda ihn an. „Versprechen Sie wenigstens, das Konzept durchzugehen?“ Sie hielt die Mappe mit ihrem Vorschlag hoch.
„Nein.“ Das Wort schien von den Schlosswänden widerzuhallen, als er sich zum Gehen umwandte und verschwand und sich damit all ihre Hoffnungen und Ideen in Luft auflösten. Vor allem aber die Freiheit, die ihr dieser Job garantiert hätte.
Dankbar zog Thirio seine Sachen aus, als würde jedes Stück ihn von der Arbeit dieses Tages befreien, den Meetings, dem respektvollen Mitgefühl, der Neugier und Wachsamkeit, die er während dieser Treffen hatte ertragen müssen. Glaubten die Leute etwa, er würde sie nicht über ihn flüstern hören und wüsste nicht, was das bedeutete?
Als er nackt im Bad stand, betrachtete er seinen Körper in dem raumhohen Spiegel. Zu Anfang hatte er die Narben gehasst, die sich über seine linke Seite bis unter den Arm und auch über den Rücken bis zum Nacken und seinen Hals zogen. Er hatte sie gehasst, weil sie eine ständige Erinnerung waren. Doch jetzt begrüßte er sie aus genau diesem Grund. Sein Körper trug die Zeichen seiner Schuld, und er war froh darüber.
Die Narben sorgten dafür, dass er das Ganze nie vergessen würde. Nicht, dass die Gefahr überhaupt bestand, denn die Schreie seiner Mutter hatten sich bei ihm eingebrannt. Die Narben stellten sicher, dass er oft an diese Nacht dachte und die Schuld, die er an dieser Tragödie trug, weil er ein dummer, betrunkener Idiot gewesen war.
Er ließ die Finger über die verheilten Wunden gleiten und stellte sich aus heiterem Himmel ihre Finger vor. Die Finger der Frau, die es gewagt hatte, in sein Haus einzudringen, und die sich so verhielt, als wäre er ihr etwas schuldig. Als sie diese verdammte Mappe hochgehalten hatte, war ihm aufgefallen, dass sie schlanke Hände hatte und eine zarte Haut, hell wie Porzellan. Während er mit den Fingern über die vernarbte Haut fuhr, stellte er sich vor, dass sie ihn so berührte und mit den bernsteinfarbenen Augen dem Weg der Verletzung folgte, mit ihren Lippen … Er stöhnte, denn ihre Lippen hatte er unmöglich ignorieren können. Es waren perfekt geformte Lippen, die schnell zu einem Lächeln bereit waren, selbst wenn er sie wütend angefunkelt hatte. Er hatte mit seinem Daumen darüberfahren und spüren wollen, wie sie sich unter seiner Berührung teilten und ihn mit ihrem warmen Atem umfingen …
Doch dieses Vergnügen verdiente er nicht mehr. Er hatte sich geschworen, dem nie wieder nachzugeben. Gemessen an seinem Verbrechen war das Zölibat eine geringe Strafe. Er hatte seinen Eltern die Möglichkeit genommen, ihr Leben zu leben, deshalb hatte er nicht das Recht, seins zu genießen.
Seit sechs Jahren lebte er in einem selbst auferlegten Fegefeuer. Sein altes Leben und den damit einhergehenden Luxus hatte er nicht vermisst. Die Partys, den Alkohol, die Frauen, das Lachen. Nichts von alldem hatte er vermisst, außer seine Eltern und das Leben, das er in seiner Dummheit so lange als selbstverständlich betrachtet hatte.
Wenn er daran dachte, wie verwöhnt er gewesen war, wünschte Thirio sich, wieder ein Junge zu sein, der, wenn er weinte, auf den Schoß seiner Mutter klettern konnte, die ihm sagte, dass alles gut werden würde. Doch Thirio war kein Kind mehr und wusste, dass nichts wieder gut werden würde. Es ging nur darum, Evie zuliebe zu existieren und niemals zu vergessen, warum er dem Vergnügen und dem Leben den Rücken gekehrt hatte.
Trotzdem war er immer noch ein Mensch.
Ein Mann.
Und er war noch in der Lage, etwas zu empfinden und in Versuchung geführt zu werden. Unbewusst ließ er den Blick zum Fenster schweifen und schaute hinaus.
Er stand nicht unbedingt auf einen bestimmten Typ Frau. Vor der Tragödie hatte er nur gewusst, dass er Frauen sehr mochte. Ob sie groß, klein, schlank, mit weiblichen Rundungen an den richtigen Stellen, blond oder brünett waren, war ihm ziemlich egal. Doch instinktiv wusste er, dass diese Frau nicht sein Fall war. Sicher, sie war sehr schön, mit diesen dunkelblonden Haaren, die ihr in großen Locken über die Schultern fielen, den Augen, die die Farbe von sonnenwarmem Honig hatten, der hellen Haut und der schlanken, straffen Figur, die er unmöglich hatte übersehen können, in dem figurbetonten Rollkragenpulli und der engen schwarzen Hose. Ja, sie war schön, aber auch jung, süß und ein wenig zerbrechlich, sodass er den seltsamen Wunsch verspürt hatte, sie zu beschützen, selbst als er sie angefahren und aufgefordert hatte, aus seinem Haus zu verschwinden.
Lächerlich.
Er wollte niemanden retten.
Während er sie weiter beobachtete, drehte sie sich um und betrachtete verwundert das Schloss und die Türme. Die Spätnachmittagssonne schien ihr ins Gesicht. Sie schien beinahe zu leuchten und wirkte wie eine Prinzessin aus einem Märchen. Nur dass es Märchen nicht gab.
Thirio rührte sich nicht, sondern stand reglos da. In diesem Moment fiel ihr Blick auf sein Fenster, als würde sie sich davon angezogen fühlen. Wie viel sie sehen konnte, vermochte er nicht zu sagen. Schließlich waren die Fenster alt, und die Sonne würde sie blenden. Trotzdem sah sie weiter zu ihm hin. Still blieb er stehen, als wollte er sie herausfordern, seinen vernarbten Körper anzusehen.
Christos, wie schön sie war.
Einen Moment später zuckte ein Blitz über dem Wald auf und zerschnitt den dunklen Himmel wie eine Klinge.
Der Sturm kam schneller als vorhergesagt.
Leise fluchend wandte Thirio sich vom Fenster ab und griff mit grimmig verkniffenem Mund nach seinen Jeans. Bei diesem Wetter konnte sie nicht den Berg hinunterfahren. Die Straße würde für jeden gefährlich sein, besonders aber für jemanden, der mit der Umgebung nicht vertraut war. Ein Unfall wäre kaum vermeidbar, doch Thirio hatte in seinem Leben genug von Unfällen und Tod.
Der Motor sprang erfreulicherweise sofort an, sodass Lucinda ein kurzes Dankgebet ausstieß. Ihre Wangen waren gerötet, weil sie sich gedemütigt fühlte. Hierherzukommen war ein großer Fehler gewesen. Es war schon schlimm genug, in sein Haus einzudringen, aber seinen halb nackten Körper anzustarren war unverzeihlich.
Sie legte den ersten Gang ein, denn sie wollte nur noch schnell weg von hier. Als sie kurz in den Rückspiegel sah, bemerkte sie … Thirio.
Sofort fiel ihr Blick auf seinen gebräunten, muskulösen Oberkörper, der auf einer Seite vernarbt war. Dabei hämmerte ihr Herz so sehr, dass sie kaum atmen konnte.