Die schwedischen Gummistiefel - Henning Mankell - E-Book

Die schwedischen Gummistiefel E-Book

Henning Mankell

4,3

Beschreibung

Seit Fredrik Welin als Chirurg ein Kunstfehler unterlief, lebt er allein auf einer einsamen Insel in Schweden. Ihm ist nach dem Brand seines Hauses so gut wie nichts geblieben. Nur wenige Menschen, die ihm nahestehen: Jansson, der pensionierte Postbote, die Journalistin Lisa Modin, in die er sich verliebt, und seine Tochter Louise, die schwanger ist und in Paris lebt. Als sie wegen eines Diebstahls in Untersuchungshaft gerät, ruft sie ihn zu Hilfe. Während er in Paris über ihre Freilassung verhandelt, erfährt er, dass auf den Schären schon wieder ein Haus in Flammen steht. Mankells letzter Roman, der Nachfolger des Bestsellers „Die italienischen Schuhe“, ist ein sehr persönliches Buch und beschwört die Möglichkeit menschlicher Nähe angesichts von Einsamkeit, Alter und Tod.

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Nach dem Brand seines Hauses sind Fredrik Welin Wohnwagen, Zelt, Boot und zwei ungleiche Gummistiefel geblieben. Und wenige Menschen, die ihm nahestehen: Jansson, der pensionierte Postbote, die Journalistin Lisa Modin, in die er sich verliebt, und seine Tochter Louise, die schwanger ist und in Paris lebt. Als sie wegen eines Taschendiebstahls in Untersuchungshaft gerät, ruft sie ihn zu Hilfe. Während er in Paris über ihre Freilassung verhandelt, erfährt er, dass auf den Schären wieder ein Haus in Flammen steht.

Henning Mankells letzter Roman, den man mit angehaltenem Atem liest, ist zugleich ein sehr persönliches Buch.

Er beschwört die Möglichkeit menschlicher Nähe angesichts von Einsamkeit, Alter und Tod. Das Rätsel der Brandstiftung scheint am Ende gelöst, doch die Beziehungen zwischen den Menschen bleiben geheimnisvoll, und die Atmosphäre dieser Inselwelt lässt den Leser so schnell nicht mehr los.

Zsolnay E-Book

Henning Mankell

Die schwedischen

Gummistiefel

Roman

Aus dem Schwedischen

von Verena Reichel

Paul Zsolnay Verlag

Die Originalausgabe erschien erstmals 2015 unter dem Titel Svenska gummistövlar beim Leopard Förlag, Stockholm.

ISBN978-3-552-05808-8

Copyright © Henning Mankell 2015

Published by agreement with Leopard Förlag, Stockholm, and Leonhardt & Høier Literary Agency A/S, Copenhagen

Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe

© Paul Zsolnay Verlag Wien 2016

Umschlag: © Peter-Andreas Hassiepen, München

Foto: © Johan Willner/Johnér

Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien

Unser gesamtes lieferbares Programm

und viele andere Informationen finden Sie unter:

www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/ZsolnayDeuticke

Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Der Ozean des Nichts

Der Fuchs läuft gen Golgatha

Der Beduine in der Flasche

Die Trommel des Kaisers

Nachwort

Für Elise

Dies ist eine für sich allein stehende

Fortsetzung des Romans Die italienischen Schuhe,

der 2006 publiziert wurde.

Diese Geschichte spielt acht Jahre später.

Viel hat der gelernt,

der die Trauer kennt.

Aus dem Rolandslied

Teil I

Der Ozean des Nichts

1.

In einer Herbstnacht vor fast einem Jahr brannte mein Haus nieder. Es war ein Sonntag. Nachmittags war Wind aufgekommen. Abends konnte ich auf dem Windmesser sehen, dass die Böen eine Geschwindigkeit von über zwanzig Metern in der Sekunde hatten.

Der Wind kam von Norden und war sehr kalt, obwohl es noch früh im Herbst war. Als ich mich gegen halb elf schlafen legte, dachte ich, dass dies der erste Sturm in diesem Herbst war, der über die Insel hinwegfegte, die ich von Großvater und Großmutter geerbt hatte.

Herbst, bald Winter. Eines Nachts würde die Meeresoberfläche zu gefrieren beginnen. Zum ersten Mal in diesem Herbst hatte ich Socken an, als ich ins Bett kroch. Die Kälte zog an.

Einen Monat zuvor hatte ich mit Mühe das Dach repariert. Es war eine große Arbeit für einen kleinen Handwerker. Viele Dachziegel waren alt und gesprungen, und meine Hände, die einmal bei komplizierten chirurgischen Eingriffen das Skalpell gehalten hatten, waren nicht dazu geschaffen, mit rauhen Dachziegeln zu hantieren.

Ture Jansson, der sein ganzes Berufsleben über, bis zu seiner Pensionierung, hier draußen zwischen den Inseln die Post ausgefahren hatte, übernahm es, die neuen Ziegel vom Hafen hierherzuschaffen. Er wollte sich nicht einmal dafür bezahlen lassen. Da ich in meinem Bootshaus eine improvisierte Praxis eingerichtet hatte, um mich um Janssons eingebildete Zipperlein zu kümmern, dachte er vielleicht, er wäre mir jetzt einen Gefallen schuldig.

All die Jahre habe ich regelmäßig da unten auf dem Steg am Bootshaus gestanden und seine angeblich schmerzenden Arme und den Rücken untersucht. Ich holte das Stethoskop, das neben einem Eiderlockvogel hängt, und stellte fest, dass seine Lungen und sein Herz klangen, wie sie klingen sollten. Bei all diesen wiederkehrenden Untersuchungen hat Jansson sich als kerngesund erwiesen. Doch eine derart gewaltige Angst vor eingebildeten Krankheiten wie die seine habe ich während meiner vielen Jahre als Arzt nie erlebt. Er war Postillion und zugleich ein voll beschäftigter Hypochonder.

Bei einer Gelegenheit klagte er über Zahnschmerzen. Da weigerte ich mich, mich mit seinen Plagen zu befassen. Ob er dann einen Zahnarzt auf dem Festland aufsuchte, weiß ich nicht. Ich frage mich, ob dieser Mann jemals ein einziges Loch in seinen Zähnen hatte. Vielleicht hatte er sich seine Schmerzen beim Zähneknirschen im Schlaf zugezogen?

In der Nacht, in der es brannte, hatte ich wie üblich ein Schlafmittel genommen und war schnell eingeschlafen.

Ich wachte davon auf, dass plötzlich starke Lampen aufflammten. Als ich die Augen aufschlug, war das Licht, das mich umgab, gleißend. Unter der Schlafzimmerdecke hing ein Teppich aus grauem Rauch. Ich sprang barfuß aus dem Bett, lief die Treppe hinunter und in die Küche hinein. Die Socken musste ich im Schlaf abgestreift haben, als es im Zimmer warm geworden war. Überall war ich von dem starken, blendenden Licht umgeben. Im Vorbeilaufen bemerkte ich, dass die Wanduhr in der Küche neunzehn Minuten nach Mitternacht anzeigte. Ich riss meinen schwarzen Regenmantel an mich, der neben der Haustür hing, schlüpfte in meine Gummistiefel, wobei ich mich bei dem einen schwertat, und stürzte hinaus.

Das Haus brannte schon lichterloh in einer dröhnenden Feuersbrunst. Ich musste bis hinunter zum Steg und dem Bootshaus laufen, bis die Hitze erträglich wurde. Dort stand ich dann und sah zu, was geschah. In diesen ersten Augenblicken dachte ich nicht darüber nach, was den katastrophalen Brand verursacht haben konnte. Ich war nur Zeuge des Unmöglichen. Mein Herz schlug so stark, dass ich meinte, es würde im Brustkorb in Stücke zerspringen. Der Brand wütete ebenso in mir selbst.

Die Zeit schmolz in der Hitze dahin. Nach und nach trafen Boote mit verschlafenen Schärenbewohnern ein. Aber hinterher konnte ich nicht sagen, wie lange es gedauert hat oder auch nur, wer gekommen war. Meine Augen starrten wild auf das Feuer und die Funken, die zum Nachthimmel emporwirbelten. Für einen erschreckenden Moment meinte ich plötzlich, die betagten Gestalten meines Großvaters und meiner Großmutter hinter dem Feuerschein zu sehen.

Im Herbst sind wir nicht viele hier draußen auf den Inseln, wenn die Sommergäste abgereist und die letzten Segelboote in ihre unbekannten Heimathäfen gebracht worden sind. Aber jemand hatte das Feuer im Dunkel der Nacht gesehen. Dann hatte sich die Botschaft über die Telefone verbreitet, und alle wollten helfen. Mit den Feuerlöschgeräten der Küstenwache wurde Salzwasser heraufgepumpt und auf das brennende Haus gespritzt. Aber da war es natürlich schon zu spät. Lediglich der Brandherd begann, übel zu riechen. Verkohlte Eichenstämme und Holztäfelungen, Tapeten und Linoleumböden ergeben zusammen einen Gestank, den man nie vergisst.

Im Morgengrauen stand nur mehr eine rauchende und stinkende Ruine da. Zugleich hatte sich der Wind langsam gelegt. Der Sturm war schon zum Finnischen Meerbusen weitergejagt.

Der Wind hatte im Zusammenspiel mit dem Feuer seine böse Absicht vollbracht und dazu beigetragen, dass jetzt von dem schönen Haus meiner Großeltern nichts mehr übrig war.

Erst in der Morgendämmerung schaffte ich es, mir die Frage zu stellen, wie es zu dem Feuer gekommen war. Ich hatte keine Kerzen brennen lassen und auch keine der alten Petroleumlampen. Ich hatte nicht geraucht und auch den alten Holzofen nicht entzündet. Und die Stromleitungen waren erst vor wenigen Jahren neu verlegt worden.

Es gab keine Erklärung. Es schien, als hätte sich das Haus selbst angezündet.

Als könnte ein altes Haus vor Erschöpfung und Trübsinn Selbstmord begehen.

Ich sah ein, dass ich mich in einer entscheidenden Vorstellung von meinem Leben geirrt hatte. Ich zog nach einer misslungenen Operation, die dazu geführt hatte, dass eine junge Frau einen Arm verlor, vor vielen Jahren hierher. Damals dachte ich oft, dass das Haus, in dem ich wohnte, bereits an dem Tag dort stand, an dem ich geboren wurde. Und dass es noch an dem Tag stehen würde, an dem es mich nicht mehr gäbe.

Aber das stimmte also nicht. Die Eichen, die Birken, die Erlen und die einzige Esche würde es weiterhin geben, wenn ich fort wäre. Aber von dem schönen Schärengartenhof sollte nur das Fundament aus Steinblöcken, die von dem seit Langem stillgelegten Steinbruch bei Håkansborg auf dem Festland übers Eis hierhergeschleppt worden waren, übrig sein.

Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen, als Jansson neben mich trat. Er trug einen alten dunkelblauen Overall, nichts auf dem Kopf, aber abgenutzte Motorhandschuhe an den Händen. Ich kannte sie von den Wintern, in denen das Eis weder sicher getragen hatte noch brüchig war und er seinen Hydrocopter für die Posttransporte benutzt hatte.

Er stand da und betrachtete meine Gummistiefel. Als ich selbst hinunterschaute, merkte ich, dass ich bei der Flucht zwei linke grüne Stiefel von der alten Marke Tretorn angezogen hatte. Jetzt verstand ich, warum der eine Stiefel beim Anziehen so eng gewesen war. Und warum der Rundgang um das brennende Haus so beschwerlich gewesen war.

»Ich werde dir ein Paar Stiefel bringen«, sagte Jansson. »Ich habe mehrere zu Hause.«

»Vielleicht steht noch ein Paar unten im Bootshaus«, sagte ich.

»Nein«, entgegnete Jansson. »Ich bin schon dort gewesen und habe nachgeschaut. Es gibt nur ein paar Lederschuhe und alte Krampen, die man früher an den Stiefeln anbrachte, um draußen auf den Klippen Robben zu keulen.«

Dass Jansson bereits in meinem Bootshaus herumgestöbert hatte, wunderte mich nicht. Auch wenn er es diesmal aus Fürsorge wegen meiner beiden linken Stiefel getan hatte. Denn dass er manchmal in mein Bootshaus ging, wusste ich. Jansson war ein Schnüffler. Ich war schon lange davon überzeugt, dass er alle Postkarten gelesen hatte, die durch seine Hände gegangen waren, während die Sommergäste unten an den Stegen gestanden hatten, um Briefmarken zu kaufen.

Jansson sah mich mit müden Augen an. Die Nacht war lang gewesen.

»Wo wirst du wohnen? Was wirst du jetzt tun?«

Ich antwortete nicht, weil ich keine Antwort hatte. Ich näherte mich der qualmenden Ruine. Der falsche Stiefel scheuerte. Das ist alles, was ich jetzt besitze, dachte ich. Zwei linke Stiefel. Alles andere ist weg. Ich habe nicht einmal Kleider zum Anziehen.

In diesem Moment, als mir der ganze Umfang der Katastrophe klar wurde, hatte ich das Gefühl, mich durchzöge ein jammernder Ruf. Aber ich hörte nichts. Alles, was in meinem Inneren geschah, vollzog sich lautlos.

Jansson tauchte wieder an meiner Seite auf. Er hat eine eigentümliche Art, sich zu bewegen, als hätte er Pfoten statt Füße. Er taucht aus dem Nichts auf und steht einfach da. Offenbar scheint er zu wissen, wie er sich aus dem Sichtfeld eines anderen Menschen heraushält.

Warum war nicht sein erbärmliches Haus auf Stångskär statt des meinen niedergebrannt?

Jansson zuckte zusammen, als hätte er meinen verbitterten Gedanken erraten. Aber ich begriff, dass ich das Gesicht verzogen hatte, was er darauf zurückführte, dass er mir zu nahe gekommen wäre.

»Du kannst natürlich bei mir wohnen«, sagte er, nachdem er sich wieder gefasst hatte.

»Das ist sehr freundlich von dir«, erwiderte ich.

Dann betrachtete ich den Wohnwagen meiner Tochter Louise, der in einem Erlenhain hinter Jansson stand. Dort gab es auch eine hohe Eiche, die noch nicht all ihre Blätter verloren hatte. Der Wohnwagen war immer noch hinter herabhängenden Zweigen verborgen.

»Ich habe den Wohnwagen«, sagte ich. »Dort kann ich bis auf Weiteres einziehen.«

Jansson sah mich fragend an. Aber er sagte nichts.

Alle, die sich in der Nacht versammelt hatten, begannen, zu ihren Booten zurückzukehren. Aber bevor sie sich auf den Weg machten, kamen sie an und sagten, sie seien natürlich bereit, mir mit allem zu helfen, was auch immer ich bräuchte.

Tatsächlich hatte sich während einiger nächtlicher Stunden mein Dasein so verändert, dass ich plötzlich alles brauchte. Ich besaß nicht einmal mehr ein zusammenpassendes Paar Gummistiefel.

2.

Ich sah, wie ein Boot nach dem anderen verschwand. Die verschiedenen Motorengeräusche verklangen.

Ich wusste, wer sie alle waren und wie sie hießen. Hier draußen im Schärengarten dominieren einige Familien Hansson und Westerlund. Viele davon sind verfeindet. Sie treffen sich nur auf Begräbnissen oder wenn es ein Seeunglück oder einen Brand gibt. Dann werden alle Feindschaften eingestellt. Um erneut aufzuflammen, wenn die allgemeine Ruhe wieder eingekehrt ist.

Ich werde nie zu einem Teil dieser Gemeinschaft werden, in der sie trotz ihrer internen Fehden leben. Mein Großvater mütterlicherseits gehörte zu einer der kleineren Familien hier draußen, der Lundberg’schen, denen es über Generationen hinweg immer gelungen war, sich aus den Konflikten herauszuhalten. Außerdem hatte er eine Frau geheiratet, die vom fernen Åland kam.

Ich stamme von den Inseln hier draußen ab, gehöre aber trotzdem nicht dazu. Ich bin ein entlaufener Arzt, der sich hier auf seinem ererbten Schärengartenhof versteckt hat. Dass ich heilkundig bin, ist natürlich ein Vorteil. Aber ein richtiger Schärengartenbewohner werde ich nie sein.

Außerdem wissen alle, dass ich ein Winterbader bin. Jeden Wintermorgen steige ich in ein aufgehacktes Eisloch und tauche kurz ein. Von den Einheimischen wird dies mit großem Misstrauen beobachtet. In den Augen der meisten bin ich verrückt.

Von Jansson wusste ich, dass die Leute sich sehr über das Leben wunderten, das ich lebte. Was machte ich hier draußen auf meiner einsamen Insel? Ich fischte nicht, ich engagierte mich weder im Heimatverein noch in einem anderen Zusammenhang. Ich jagte nicht und bemühte mich auch nicht, mein ziemlich heruntergekommenes Bootshaus und die Steinkiste des äußeren Stegs zu reparieren, dem das Eis in den letzten Wintern schwer zugesetzt hatte.

Die wenigen verbliebenen Einwohner hier draußen betrachteten mich also mit Misstrauen. Die Sommergäste, die von dem pensionierten Arzt gehört hatten, hielten mich hingegen für einen Glückspilz, da ich mich in den ruhigen Schärengarten zurückziehen und der Unruhe einer Großstadt entfliehen konnte.

Vor einem Jahr hatte eine große Motorjacht an meinem Steg angelegt. Ich war hinuntergegangen, um ihn zu vertreiben, als ein Mann und eine Frau ein weinendes Kind an Land hoben, dessen Haut plötzlich von einem Ausschlag überzogen war. Sie hatten von dem Arzt gehört, der im Schärengarten wohnte, und baten mich um Hilfe. Ihre Besorgnis führte natürlich dazu, dass ich meine Bootshausklinik öffnete. Das Kind wurde auf die Bank neben dem Verschlag gelegt, in dem noch immer Großvaters Fischnetze hängen, und ich konnte rasch feststellen, dass es sich nur um ein harmloses Nesselfieber handelte. Nach einer Reihe von Fragen stand für mich fest, dass das Kind frisch gepflückte Erdbeeren nicht vertragen hatte. Ich ging hinauf in meine Küche und holte ein rezeptfreies Antiallergikum, das die Eltern ihm geben sollten.

Anschließend wollten sie mich natürlich bezahlen. Aber ich lehnte das ab. Ich stand am Steg und sah ihre protzige Luxusjacht hinter dem Höga Tryholmen verschwinden.

Ich habe immer ein großes Lager an Medikamenten für den privaten Gebrauch vorrätig. Ich bin kein Hypochonder, aber ich will Zugang zu Medikamenten haben. Schließlich will ich nicht riskieren, eines Nachts mit einem Herzinfarkt aufzuwachen, ohne mir wenigstens dieselbe Behandlung zuteilwerden zu lassen, die ich in einer Notaufnahme erhielte. Abgesehen von Medikamenten und Infusionsflüssigkeiten habe ich auch ein paar Sauerstoffbehälter.

Ich glaube, andere Ärzte haben ebenso große Angst vor dem Tod wie ich. Und ich kann heute den Entschluss, Arzt zu werden, bedauern, den ich mit fünfzehn Jahren gefasst hatte. Heute fällt es mir leichter, meinen Vater zu verstehen, den ständig erschöpften Kellner, der mich missgelaunt betrachtete und fragte, ob ich allen Ernstes meine, es sei eine sinnvolle Lebensaufgabe, in den Körpern anderer Menschen herumzuschnippeln.

Damals antwortete ich ihm, ich sei von der Richtigkeit meiner Entscheidung überzeugt. Dabei gab ich aber nicht preis, dass ich nicht glaubte, mich je für eine Ausbildung zum Arzt qualifizieren zu können. Als es mir zu meinem eigenen Erstaunen doch gelang, konnte ich mein Gelübde nicht brechen.

Um die Wahrheit zu sagen: Ich wurde Arzt, weil ich das meinem Vater versichert hatte. Wäre er vor dem Ende meiner medizinischen Ausbildung gestorben, ich hätte sie sofort abgebrochen.

Aber ich habe keine Ahnung, was ich dann mit meinem Leben angefangen hätte. Vermutlich wäre ich schon früher hierher in Großvaters und Großmutters Haus gezogen. Aber wovon ich hätte leben sollen, weiß ich nicht.

Die letzten Boote verschwanden in dem dunstigen Morgen. Das Meer, die Inseln, alles war grauer denn je. Schließlich waren nur noch Jansson und ich übrig. Aus der stinkenden Ruine stieg der Rauch. Hier und da flammte einer der herabgefallenen Eichenstämme auf. Ich zog den Regenmantel enger um meinen Pyjama und machte einen Rundgang um das niedergebrannte Haus. Einer der Apfelbäume, die mein Großvater gepflanzt hatte, war verkohlt. Er sah aus wie eine Theaterkulisse. Eine Wassertonne aus Blech war in der starken Hitze geschmolzen. Das Gras rings um das Haus herum war versengt.

Ich verspürte eine unwiderstehliche Lust, laut herauszuschreien. Aber solange der hartnäckige Jansson da war, konnte ich das nicht. Ich schaffte es jedoch auch nicht, ihn zu verjagen. Mir war klar, dass ich in jedem Fall seine Hilfe brauchen würde.

Ich ging zurück zu ihm.

»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, sagte ich. »Ich brauche ein Handy.«

»Ich habe ein extra Handy zu Hause, das du borgen kannst«, antwortete Jansson.

»Nur bis ich es geschafft habe, ein neues zu kaufen.«

Jansson sah ein, dass ich sein Handy so schnell wie möglich benötigte. Also ging er hinunter zu seinem Boot. Es war eines der letzten im Schärengarten, das einen Glühkopfmotor hatte, der mit einem Gebläse gestartet werden musste. Wenn Jansson die Post ausfuhr, hatte er ein schnelleres Boot. Aber am Tag nach seiner Pensionierung verkaufte er es und begann, wieder das alte Holzboot zu benutzen, das er einmal von seinem Vater geerbt hatte. Ich habe alles über dieses Boot gehört. Wie es 1923 auf einer kleinen Werft in Västervik gebaut wurde und dass es immer noch seinen Originalmotor hatte.

Ich stand noch an der qualmenden Ruine und hörte, wie Jansson das Schwungrad in Gang brachte. Sein Kopf ragte aus der Luke des Steuerhäuschens hervor, und er winkte zum Abschied.

Nach dem Sturm war es jetzt ganz still. Ich war von Stille umgeben. Eine Krähe saß in einem Baum und betrachtete die Feuerstelle. Ich nahm einen Stein und warf ihn nach ihr. Mit gemessenen Flügelschlägen flatterte sie davon.

Dann betrat ich den Wohnwagen. Ich setzte mich auf das Bett und wurde von der Trauer und dem Schmerz überwältigt. Es war eine Verzweiflung, die ich bis in die Zehen spüren konnte und die mich erhitzte, als hätte ich Fieber. Dann stieß ich einen so lauten Schrei aus, dass die Wände sich zu biegen schienen. Und ich begann zu weinen. So hatte ich seit meiner Kindheit nicht mehr geweint.

Ich legte mich aufs Bett und blickte auf den Stockfleck an der Decke des Wohnwagens, der plötzlich einem Fötus glich. Meine ganze Kindheit und Jugend war von einer ständig gegenwärtigen Angst geprägt gewesen, verlassen zu werden. Es kam vor, dass ich nachts aufwachte und ins Schlafzimmer meiner Eltern tapste, um zu kontrollieren, dass sie nicht auf und davon waren und mich zurückgelassen hatten. Wenn ich sie nicht atmen hörte, fürchtete ich, sie wären tot. Dann beugte ich mich ganz nah zu ihnen herab, bis ich sicher war, ihren Atem zu hören.

Ich hatte keinen Grund für diese Angst, alleingelassen zu werden. Meine Mutter betrachtete es als ihre Lebensaufgabe, dafür zu sorgen, dass ich immer sauber war und anständige Kleidung trug, und mein Vater meinte, die Bedeutung einer guten Erziehung sei entscheidend, um Erfolg im Leben zu haben. Er war selten zu Hause, da er ständig als Kellner in verschiedenen Lokalen arbeitete. Aber wenn er einmal freihatte oder arbeitslos war, weil er wegen irgendeiner Form von Aufsässigkeit dem Wirt gegenüber gefeuert worden war, konnte er mit mir seinen ganz eigenen Unterricht abhalten. Ich musste die Tür zwischen der Küche und unserem beengten Wohnzimmer öffnen und so tun, als ließe ich eine Frau vor mir herein. Oder er deckte mit unzähligen Gläsern und Messern den Tisch für ein feines Essen ein – manchmal sogar für das Festmahl anlässlich des Nobelpreises –, damit ich die Etikette beim Essen, Anstoßen und der Konversation mit vornehmen Tischdamen erlernte. Mal sollte ich einen Nobelpreisträger in Physik darstellen, mal den schwedischen Außenminister oder den noch feineren Ministerpräsidenten.

Es war ein erschreckendes Spiel. Ich war froh, wenn mein Vater mich lobte, aber ständig besorgt, in der Welt, in die er mich einführte, Fehler zu machen. Es lag immer eine unsichtbare Giftschlange zwischen Glas und Besteck verborgen.

Einmal hatte mein Vater tatsächlich bei einem Nobel-Essen serviert. Allerdings war er ganz hinten dem äußersten langen Tisch zugewiesen worden, und daher war er nicht einmal in die Nähe der königlichen Hoheiten und der Preisträger gekommen.

Aber ich sollte lernen, mich in all den Situationen richtig zu verhalten, die vielleicht irgendwann einmal im Leben auftauchen würden, wie unwahrscheinlich es auch war.

Ich kann mich nicht entsinnen, dass er mit mir spielte, als ich ein Kind war. Indessen erinnere ich mich, dass ich lernte, wie man Krawatten und Fliegen bindet, ehe ich zehn Jahre alt war. Servietten kunstvoll zu falten gehörte auch zu meiner Kindheit.

Irgendwann muss ich doch eingeschlafen sein. Für mich ist es nicht ungewöhnlich, meine Zuflucht im Schlaf zu suchen, wenn ich einer großen Belastung ausgesetzt wurde. Ich kann zu jeder Tages- und Nachtzeit und auch an den unterschiedlichsten Orten in den Schlaf fallen. Als würde ich mich auf die gleiche Art zwingen einzuschlafen, wie ich nach Verstecken suchte, als ich ein Kind war. In den Hinterhöfen der Mietshäuser, wo wir wohnten, richtete ich mir geheime Räume zwischen Mülltonnen und Kohlelagern ein. In verschiedenen Wäldchen suchte ich nach dichten Gebüschen. Ich habe in meinem Leben eine Reihe von weiteren, ganz unbekannten Verstecken hinterlassen. Aber keines davon war jemals so vollendet wie der Schlaf.

Als ich aufwachte, fror ich. Meine Armbanduhr war verbrannt, da sie auf dem Tisch neben dem Bett lag. Ich ging hinaus und schaute mir die qualmende Ruine an. Einzelne Wolkenfetzen flogen über den Himmel. Der Sonnenstand ließ mich raten, dass es zwischen zehn und elf Uhr war.

Ich ging hinunter zum Bootshaus und öffnete die schwarz gestrichene Tür. Ich tat es vorsichtig, da die Angeln abgenutzt waren. Die Tür könnte aus ihrer Verankerung fallen, wenn ich zu heftig zog. An einem Haken hatte ich einen Overall und einen abgetragenen Pullover hängen. Zwischen den alten Farbtöpfen lagen auch ein Paar Wollsocken, die meine Großmutter für mich gestrickt hatte, als ich ein Kind war. Damals waren sie viel zu groß. Aber jetzt passten sie mir. Ich suchte in einem anderen Regal, wo alte ausrangierte Batterien und rostiges Werkzeug lagen, bis ich eine Wollmütze fand, auf die Werbung für einen Fernseher aus den sechziger Jahren aufgedruckt war. »Immer bestes Bild«, stand in fast verblichenen Buchstaben darauf. Mäuse hatten daran genagt, ihre Bissspuren erinnerten an ausgefranste Schusslöcher einer Schrotladung. Ich setzte die Mütze auf den Kopf und ging wieder hinaus.

Als ich die Tür geschlossen hatte, entdeckte ich, dass eine Papiertüte auf dem Steg stand. Darin lagen ein Handy, Unterwäsche und ein Päckchen mit Butterbroten. Ich begriff, dass Jansson hier gewesen war, während ich geschlafen hatte. Er hatte auch eine Nachricht auf einem zerrissenen braunen Umschlag hinterlassen.

Handy geladen. Behalt es. Unterhosen frisch gewaschen.

Neben der Papiertüte stand ein rechter Stiefel. Im Gegensatz zu meinen grünen war er schwarz. Außerdem größer, da Jansson kräftige Füße hatte.

Im Stiefel lag noch ein weiteres Papier. Habe leider keine grünen, hatte Jansson geschrieben.

Ich überlegte einige Augenblicke, warum er nicht auch den linken Stiefel gebrachte hatte. Aber Jansson lebt nach einer Logik, auf die ich mich nie verstanden habe.

Ich trug die Papiertüte und den Gummistiefel zum Wohnwagen hinauf. Janssons ausgeleierte Unterhosen waren natürlich viel zu groß. Aber es hatte etwas tief Anrührendes, dass er sie dazugepackt hatte.

Ich schlüpfte in den Overall, behielt die Pyjamajacke als Hemd an und zog den Pullover über den Kopf. Mit Hilfe einiger zusammengeknüllter Tüten, die ich in einer Schublade gefunden hatte, stopfte ich den allzu großen rechten Stiefel aus. Dann fühlte ich mich fertig angezogen. Ich setzte mich aufs Bett und aß einige von Janssons Butterbroten. Ich musste Kräfte sammeln, um zu entscheiden, was ich tun sollte.

Ein Mensch, der alles verloren hat, hat nicht viel Zeit. Oder ist es umgekehrt? Ich wusste es nicht.

Das Geräusch eines herannahenden Bootes erreichte mich. Es war nicht Jansson, das konnte ich hören. In all den Jahren, die ich hier draußen wohne, habe ich gelernt, verschiedene Motortypen und einzelne Boote zu identifizieren.

Ich horchte auf das Geräusch, das immer näher kam. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis ich wusste, dass es sich um ein kleineres Boot der Küstenwache handelte, ein schnelles, dreißig Fuß langes Aluminiumboot, mit zwei Volvo-Dieseln im Maschinenraum.

Ich legt mein Butterbrot weg, zog die durchlöcherte Mütze über die Ohren und verließ den Wohnwagen. Ich schaffte es nicht ganz bis hinunter zum Steg, ehe das blau gestrichene Boot um die Landzunge bog, die zum Skärsfjärden hin liegt.

An Bord befanden sich drei Personen. Zu meinem Erstaunen stand eine junge Frau am Lenkrad und dem Steuerruder. Sie trug die Uniform der Küstenwache und hatte blonde Haare, die unter der Mütze hervorquollen. Zum ersten Mal sah ich eine Frau auf einem Schiff der Küstenwache arbeiten.

Sie wirkte beunruhigend jung. Kaum älter als ein Teenager.

Der Mann, der sich breitbeinig mit einem Vertäuungsseil in der Hand an den Bug stellte, hieß Alexandersson. Er war mein körperliches Gegenteil, klein und übergewichtig. Außerdem war er kurzsichtig und hatte schütteres Haar.

Alexandersson war Polizist. Vor ein paar Jahren, als es im Vorfrühling eine große Anzahl von Einbrüchen in verrammelte Sommerhäuschen gegeben hatte, hatte er die Einheimischen besucht, um herauszufinden, ob jemand vielleicht etwas bemerkt hätte. Die Einbrüche wurden niemals aufgeklärt.

Aber Alexandersson und ich verstanden uns gut. Er war etwa zehn Jahre jünger als ich, und was er von meiner Vergangenheit wusste, ahnte ich nicht. Doch nach seinem ersten Besuch dachte ich, er könnte der Bruder gewesen sein, den ich nie gehabt hatte.

Er besaß ein Sommerhäuschen auf einer der kleinen Schären, die Bräkorna hieß. Wenn er zu Besuch kam, tranken wir Kaffee, sprachen über unsere Gesundheit und dann meist über Wind und Wetter. Keiner von uns beiden hatte das Bedürfnis, ernste Themen und Fragen zu erörtern. Ganze Stunden konnten wir still dasitzen und den Vögeln oder dem Wind lauschen, der durch die Bäume zog.

Alexandersson war viele Jahre lang verheiratet gewesen und hatte erwachsene Kinder. Dann hatte ihn seine Frau plötzlich verlassen. Warum, weiß ich nicht und fragte auch nicht danach. Aber ich konnte eine tiefe Traurigkeit bei ihm spüren. Vielleicht erkannte ich mich selbst darin wieder? Noch eine von all diesen Fragen, die ich mir nicht zu beantworten vermochte.

Schwer und ungelenk sprang Alexandersson hinunter auf den Steg. Wir gaben uns die Hand, nachdem er das Vertäuungsseil fest um den Poller des Stegs gelegt hatte. Ein weiterer Mann, den ich nicht kannte, stieg auf das Deck und dann hinunter auf den Steg. Er schien unsicher zu sein, wie man sich auf einem Boot verhielt, das nie ganz still lag. Auch er reichte mir die Hand und sagte, er heiße Robert Lundin und sei Brandingenieur. Er sprach einen Dialekt, den ich nicht sofort einordnen konnte. Aber ich vermutete, dass Lundin von irgendwo aus dem norrländischen Inland stammte.

Die junge Frau hatte die Motoren abgestellt und ein Vertäuungsseil am Heck befestigt. Sie nickte mir zu. Sie schien wirklich sehr jung zu sein.

»Alma Hamrén heiße ich«, sagte sie. »Es tut mir leid, dass Ihr Haus niedergebrannt ist.«

Ich nickte ebenfalls und spürte, dass mir fast die Tränen kamen. Alexandersson verstand, was sich bei mir anbahnte.

»Dann gehen wir wohl hinauf und schauen es uns an«, meinte er schnell.

Alma Hamrén blieb auf dem Steg neben dem Boot. Sie hatte begonnen, mit flinken Fingern eine Mitteilung in ihr Handy zu tippen. Keiner der drei hatte meine unterschiedlichen Gummistiefel kommentiert. Ich konnte nicht einmal erkennen, ob sie es bemerkt hatten. Aber das hatten sie wohl.

Noch immer qualmte es von verschiedenen Stellen in der Ruine.

»Hast du selbst irgendeine Ahnung, was den Brand verursacht hat?«, fragte Alexandersson.

Ich sagte ihm, wie es war. Als ich zu Bett gegangen war, hatte keine Kerze gebrannt, auch kein offenes Feuer. Knapp zwei Stunden lang hatte ich geschlafen, ehe ich davon erwachte, dass das Haus in Flammen stand. Ich erzählte auch von den ausgebesserten Stromleitungen und dass es keinen vernünftigen Grund für den Ausbruch eines Feuers gab.

Lundin stand im Hintergrund und hörte zu. Er hatte keine Fragen. Ich begriff, dass er versuchen sollte, die Brandursachen zu ermitteln, und hoffte, es würde ihm gelingen. Ich wollte wissen, was die Katastrophe ausgelöst hatte.

Zusammen mit Alexandersson begann Lundin, in der Ruine herumzugehen. Ich stand in einigem Abstand da und beobachtete ihre langsamen Bewegungen. Hin und wieder beugte sich einer von ihnen hinunter. Sie erinnerten mich an wachsame Tiere.

Plötzlich befiel mich ein Schwindel. Ich musste mich an der alten Wasserpumpe abstützen.

Alexandersson bemerkte, dass es mir nicht gut ging. Er sah mich forschend an. Ich schüttelte den Kopf und tappte dann hinüber zum Wohnwagen. Dort setzte ich mich auf die Treppe und atmete ruhig aus und ein. Nach einigen Minuten stand ich auf. Der Schwindel war vergangen. Ich machte mich wieder auf zur Brandruine. Aber ich hielt inne, als ich um den Wohnwagen herumgegangen war und die beiden Männer sah, die dort zwischen den verrußten Resten der Dachbalken standen. Sie sprachen miteinander. Ich hörte nicht, was sie sagten, aber ich hatte sofort das Gefühl, dass sie mit bewusst gedämpften Stimmen sprachen, als sollte ich ihr Gespräch nicht hören.

Dann und wann warf Alexandersson einen Blick in meine Richtung. Aber ich war noch vom Gebüsch verborgen, das den Wohnwagen umgab.

Ich wusste dennoch, worum es ging. Sie sprachen über die Brandursache. Dass keine äußeren Anlässe existierten.

Mit leisen Stimmen diskutierten sie, ob ich selbst den Brand gelegt haben könnte.

Ich hielt den Atem an, während ich sie zu verstehen versuchte. War es wirklich möglich, dass sie mir das zutrauten? Oder mussten sie sich nur alle Fragen stellen, auch die unsinnigsten?

Ich blieb zwischen den Büschen stehen, bis sie mit ihrem langsamen und vorsichtigen Stochern zwischen den Brandresten fortfuhren. Hin und wieder machte Lundin ein Foto von etwas, was ihm aufgefallen war.

Ich bog die herunterhängenden Äste zur Seite und ging zur Brandstätte hinauf.

»Wie läuft es?«, fragte ich.

»Es braucht Zeit«, sagte Alexandersson. »Es ist schwierig.«

»Sehr schwierig«, ergänzte Lundin. »Nichts ist offensichtlich.«

Die junge Frau, die Alma Hamrén hieß, saß jetzt auf der Bank, auf der ich Jansson wegen seiner eingebildeten Zipperlein zu untersuchen pflegte, und fingerte an ihrem Handy herum.

Die beiden Männer setzten ihre Arbeit noch ein paar Stunden fort und sagten dann, sie würden wahrscheinlich später am Tag wiederkommen. Ich erwiderte, ich würde dann vielleicht nicht da sein. Ich müsste zum Festland fahren, um einzukaufen.

Ich blieb auf dem Steg stehen, bis das Boot hinter der Landzunge verschwunden war. Dann kehrte ich zur Brandstätte zurück. Auf ein kleines Plastiktuch hatten sie einige der Funde gelegt, die sie gemacht hatten.

Da lagen Fragmente von elektrischen Leitungen, ein paar halb geschmolzene Sicherungen aus meinem Elektrokasten und etwas, an das ich mich vage erinnerte. Als ich mich hinunterbeugte und genauer hinsah, erkannte ich, was es war.

Es war einer der Spanner von den Schuhen, die der italienische Schuhmacher Giaconelli ein paar Jahre zuvor für mich angefertigt hatte.

In diesem Augenblick verstand ich, dass ich wirklich alles verloren hatte.

Nichts von meinem siebzigjährigen Leben war verblieben. Ich besaß nichts mehr.

3.

Ich stand da und schaute auf mein niedergebranntes Haus. Betrachtete ich die Ruine lange genug, kam es mir so vor, als erhöbe es sich aufs Neue aus den rußigen Resten.

Die Brandstätte erinnerte an einen Kriegsschauplatz. Die Ruine hätte das Resultat explodierender Granaten aus einem vorbeirasenden Panzer sein können.

Der Anblick erschütterte mich immer mehr. Den verkohlten Apfelbaum zu betrachten erfüllte mich teils mit Trauer, teils mit Ekel. Es war wie ein Übergriff auf die Erinnerung an meine Großeltern. Ich stellte mir vor, dass der Baum jetzt schwarze, übelriechende Äpfel tragen würde. Keiner würde sie essen können. Der Baum lebte, war aber trotzdem tot.

Ich ging näher heran. Die schwarze Ruine war auch eine Begräbnisstätte. Mein ganzes Leben war kremiert worden. Während einiger gewaltsamer Nachtstunden hatte sich das Haus in einen Ofen verwandelt, in dem alle meine Habseligkeiten in einer verheerenden Hitze hinweggeschmolzen waren.

Es waren jetzt zwölf Stunden vergangen, seit ich mit dem ungleichen Paar Stiefeln aus dem Haus gerannt war. Aber noch immer konnte ich das Ausmaß dessen, was geschehen war, nicht ermessen. Ich lebte noch in dem Haus, in dem ich als Kind gelebt hatte und in das ich dann wieder eingezogen war, als ich nicht mehr in der Lage war, als Arzt zu arbeiten. Ich empfand eine unklare, aber wachsende Sehnsucht nach all dem, was verbrannt war. Am meisten bedauerte ich vielleicht, dass meine Logbücher, wie ich die Tagebücher nannte, zurückgeblieben und jetzt zu toter Asche geworden waren. Als ich aus dem Haus rannte, hatte ich keinen Gedanken an die Bücher in ihren schwarzen Einbänden verschwendet. Da hatte ich nur mein eigenes Leben in den Armen getragen. Ich war mit leeren Händen aus dem Schlund des Drachen gesprungen.

Dann dachte ich an Giaconellis Schuhe. Alles, was von ihnen geblieben war, war der schwarz verbrannte Spanner, der auf Alexanderssons Plastiktuch lag.

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