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"Ich darf mich nicht erinnern..." Die Anwältin Louisa Schönberg wird 30 Jahre nach dem dramatischen Tod ihrer Schwester Anna von der Vergangenheit eingeholt. Alles beginnt mit der Verteidigung des wegen Mordes angeklagten Malers Tom Berger. Was zunächst wie ein Routinefall aussieht, wird nach und nach zu einem raffinierten Psychospiel. Als die Künstlerin Betty Dee in dem Prozess auftaucht, die Louisa auf erschreckende Weise an ihre tote Schwester erinnert, muss sie sich der grausamen Wahrheit stellen: Ist Louisa schuld am Tod ihrer Schwester? Nach dem Nr. 1 Hit "Die Fotografin", der neue packende Psychothriller der Bestseller-Autoren B.C. Schiller:
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Impressum
Über die Autoren B.C. Schiller
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Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Danksagung
Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management e.U. urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
Copyright Blue Velvet Management e.U., Derfflinger Straße, A-4020 Linz, Oktober 2014, Juni 2023.
ISBN: 9783950339994
Lektorat: www.bueropia.de
Titelgestaltung: www.afp.at
Foto credits: Blut: Halloween-Konzept: Blutspender auf weißem Hintergrund: 153338822, jannoon028, copyright shutterstock
Zopf: 32805617, Ingairis, copyright Fotolia , Hintergrund: abstract background cracked old cement wall: 62360824, studioDG, copyright shutterstock
Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio. Gemeinsam waren sie über 20 Jahren in der Marketing- und Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für packende Thriller.
B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Thrillern über 3.000.000 Leser begeistert.
DIE FOTOGRAFIN: Psychothriller
DIE EINSAME BRAUT: Psychothriller
DUNKELSTEIG-Trilogie:
Die Journalistin Felicitas Laudon kehrt zum Begräbnis ihres Vaters in ihren Heimatort Dunkelsteig zurück. Kurz nach dem Abitur verschwand dort ihre beste Freundin Manuela in dem mysteriösen Teufelsspalt. Für Felicitas ist jetzt die Zeit gekommen, endlich die Wahrheit ans Licht zu bringen.
DUNKELSTEIG: Band 1
DUNKELSTEIG: SCHULD – Band 2
DUNKELSTEIG: BÖSE – Band 3
MALLORCA-Inselkrimi-Reihe:
MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der spannenden Mallorca-Crime-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner
Die Tony-Braun-Thriller:
TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller – »Wie alles begann«
TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller
FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller
ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller
DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller
RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller
RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller
STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller
STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller
STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller
Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:
DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks
IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks
DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks
Die DAVID-STEIN-Thriller:
DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag
SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag
ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag
RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag
FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag
EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag
TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag
Die LEVI-KANT-Thriller:
BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case
BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case
BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case
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„Hallo, hallo! Kannst du mich hören? Bitte hilf mir doch. Er hält mich hier schon länger gefangen. Hol mich hier raus! Ich flehe dich an!“
„Wer sind Sie? Mit wem spreche ich?“
„Psst! Er kommt.“
„Wer kommt?“
„Er eben. Ich kann nicht mehr reden.“
„Wo sind Sie? Und sagen Sie mir doch Ihren Namen.“
„Hier gibt es keine Namen. Hier ist alles nur dunkel. Er tut mir immer so weh!“
„Wer tut Ihnen weh?“
„Warum hilfst du mir nicht? Hilf mir!“
Klack.
Die Verbindung ist bereits wieder getrennt. Ratlos blicke ich mein Handy an und sehe, dass es eine unterdrückte Nummer ist. Vielleicht nur ein dummer Scherz, denke ich und will wieder zurück in mein weiches Bett. Doch die panische Stimme lässt mir keine Ruhe. Es war die Stimme einer Frau, soviel steht fest. Und es war eine Stimme, die ich noch nie gehört hatte.
Nachdenklich stehe ich in meinem Schlafzimmer. Die Digitalanzeige des Weckers zeigt an, dass es bereits drei Uhr morgens ist. Die ideale Zeit für anonyme Anrufe, die eine Idylle zum Einsturz bringen können. Doch im Schlafzimmer ist alles ruhig und friedlich. Durch die hohen Fenster sieht man direkt auf die Stadt, sieht die Lichter, die niemals erlöschen und selbst um diese Zeit das Zimmer ein wenig erhellen.
„Er hält mich hier schon länger gefangen.“ Dieser Satz hat sich in meinem Kopf festgesetzt, will einfach nicht wieder verschwinden. Vor dem Bett bleibe ich unschlüssig stehen, drehe das Handy in meiner Hand. Dann gehe ich in die Küche, von wo ich das Bett nicht mehr sehen kann und beginne nachzudenken, versuche, mir ein Gesicht zu dieser Stimme vorzustellen, aber es gelingt mir nicht.
„Er tut mir immer so weh!“ Dieser Satz genügt, um mir den Schlaf endgültig zu rauben. Natürlich könnte ich mich einfach wieder ins Bett legen, die Augen schließen und mir einreden, ich hätte alles nur geträumt. Aber mein Verstand ist hellwach und meine Gedanken beginnen bereits, ein Eigenleben zu führen.
Über eine Stunde sitze ich in der Küche und starre auf die erleuchteten Straßen von Wien, dann habe ich mich soweit beruhigt, dass ich wieder zurück ins Schlafzimmer gehen kann. Noch immer ist alles friedlich und der Raum ist nur schwach von den Straßenlaternen erhellt. Ich bleibe in der Tür stehen und blicke umher, sehe das breite Bett, den großen Einbauschrank. Ich sehe verschiedene Kleidungsstücke achtlos über einen Stuhl geworfen. Vor allem aber sehe ich noch immer die Abdrücke eines Körpers auf dem Leintuch. Die schattenhaften Abdrücke eines Mannes, der noch vor wenigen Stunden in diesem Bett gelegen hat. Verwirrt betrachte ich das zerknüllte Laken und die Erinnerung an zärtliche Momente zerplatzt wie eine Seifenblase, die gegen ein Hindernis stößt. An dieses Hindernis bin jetzt ich gestoßen, als ich diesen mysteriösen Anruf erhielt. Jetzt wird der leichte Schatten eines Zweifels, der nie ganz aus meinen Gedanken verschwand, wieder größer, wird zu einer dunklen Wolke, die sich über meinem Kopf zusammenzieht. Denn ich weiß nicht, ob der Mann, der noch bis vor Kurzem in meinem Bett lag, nicht doch ein dunkles Geheimnis hat.
„Sind Sie bereit, sich in der Therapie ganz fallen zu lassen, Louisa?“
„Ja, ich will das so. Ich will wissen, ob diese Tragödie die Ursache für meine Höhenangst ist. Ich will endlich wissen, ob ich schuldig bin!“
„Gut dann fangen wir an: Erzählen Sie mir von Ihrer Schwester. Was war sie für ein Mensch? Hat es zwischen Ihnen so etwas wie Eifersucht gegeben?“
„Nein, ich war nicht eifersüchtig auf sie. Wir waren normale Geschwister wie viele andere auch. Haben uns natürlich manchmal gestritten. Wie gesagt, es war eine ganz normale Beziehung.“
„Nein Louisa, so normal war ihre Beziehung nicht. Schließlich ist Ihre Schwester jetzt tot und Sie fühlen sich schuldig.“
Ich heiße Louisa Schönberg, bin Anwältin und werde in zwei Monaten vierzig Jahre alt. Es ist neun Uhr morgens und ich sitze in der Praxis meines Therapeuten Dr. Nathan Wolf. Er ist Spezialist für Hypnotherapien und durch seine Methode will ich von meiner Höhenangst geheilt werden. Aber im Augenblick gehen mir seine Fragen ziemlich auf die Nerven. Denn was hat meine Schwester Anna mit meiner Höhenangst zu tun? Vielleicht sollte ich ihn das fragen.
Überhaupt geht es mir auf die Nerven, dass er mich Louisa nennt. Weshalb sagt er nicht einfach Frau Schönberg zu mir? Aber wahrscheinlich ist das Anreden mit dem Vornamen etwas, das zu seiner Therapie gehört. Es soll Nähe oder Vertrauen schaffen.
„Was hat meine Schwester mit meiner Höhenangst zu tun?“, will ich von Dr. Wolf wissen und blicke ihn vorwurfsvoll an.
„Hat sie etwas damit zu tun?“, antwortet er mit einer Gegenfrage. Oh, wie ich diese Art von Befragung hasse.
„Nein, verdammt, es hat nichts mit ihr zu tun! Meine Schwester und ich waren ganz normale Geschwister, in einer ganz normalen Familie, in einem ganz normalen Vorort von Wien. Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?“, krächze ich und bringe kein Wort mehr heraus. Wortlos reicht mir Dr. Wolf einen Becher mit Wasser aus dem Spender, der griffbereit hinter seinem Stuhl steht. Wahrscheinlich kommt das öfter vor, dass Patienten vom vielen Reden durstig werden. Das Wasser beruhigt mich und für einen kurzen Moment habe ich Dr. Wolf im Verdacht, die Flüssigkeit mit einem Beruhigungsmittel versetzt zu haben. Aber das kann ich dann doch nicht glauben.
„Erzählen Sie von Ihrer Familie“, sagt Dr. Wolf ganz ruhig, so als hätte er meine Aggressionen überhaupt nicht mitbekommen. Wenigstens erwähnt er meine Schwester Anna nicht mehr.
„Wir führten ein normales und behütetes Leben.“ Ich presse die Augen zusammen und versuche ein Bild meiner Familie hervorzuzaubern, ein Bild, das vielleicht dreißig Jahre alt ist. Ein Bild, auf dem wir angezogen sind wie für eine Bergtour. Doch noch ehe ich das Bild fixieren kann, ist es auch schon wieder verschwunden.
„Meine Mutter war eine ganz normale Hausfrau, die sich um das Haus und um uns Kinder gekümmert hat. Mein Vater war normal arbeiten. Wie ich schon sagte: Wir hatten ein ganz normales Familienleben.“
„Warum sind Sie immer so auf dieses Wort ‚normal‘ fixiert, Louisa?“, fragt mich Dr. Wolf und betont meinen Vornamen absichtlich so stark, dass er noch scheußlicher klingt.
„Nennen Sie mich nicht immer Louisa. Sagen Sie meinetwegen Lou, so hat mich meine Schwester immer genannt“, unterbreche ich ihn aufgebracht, denn ich kann meinen Namen nicht mehr hören. Lou, ja, Lou gefällt mir. Außer meiner Schwester hat mich niemand so genannt. Lou klingt intim und doch kühl, klingt distanziert bei gleichzeitiger Nähe. Aber Dr. Wolf geht nicht auf mich ein.
„Louisa, wir wollen doch die Familiensituation unverfälscht darstellen, um die Akrophobie wirksam zu bekämpfen. Seien Sie bitte nicht so aggressiv. So kann ich Ihnen nicht helfen.“
„Bin ich aggressiv? Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Tut mir leid.“ Ich mache eine Pause, versuche mich an die Frage zu erinnern. „Ach ja richtig: Es ging um unser normales Familienleben: Es war eben alles ganz normal.“
Dr. Wolf schweigt und sieht mich an, ohne mich wirklich zu sehen, jedenfalls habe ich den Eindruck. Er hat seine Hände an den Fingerspitzen zusammengelegt und scheint in Gedanken versunken zu sein. Da er keinerlei Anstalten macht zu sprechen, erzähle ich weiter Episoden aus meiner Kindheit, um dieses peinliche Schweigen zwischen uns zu überbrücken.
„Oft habe ich mir vorgestellt, ein Einzelkind zu sein, wenn meine Schwester Anna im Förderunterricht war und ich endlich einmal einen Nachmittag für mich alleine hatte. Dann wäre das ruhige Zimmer, das hinaus in den Innenhof mit dem großen Kastanienbaum ging, mein Zimmer gewesen und ich hätte am Fenster sitzen und stundenlang hinausschauen können. Ich hätte die Vögel zwitschern hören. Aber es war das Zimmer meiner Schwester. Mein Zimmer ging nach vorne auf die verkehrsreiche Straße hinaus.“
„Sie erwähnten, dass Ihre Schwester nachmittags Förderunterricht hatte? Können Sie mir darüber etwas Genaueres erzählen?“ War er also doch nicht so abwesend, wie ich gedacht habe, geht es mir durch den Kopf, als mich Dr. Wolf unterbricht. Erstaunlich, denn er hat seine Position überhaupt nicht verändert, sieht mich weiterhin abwesend an und scheint trotzdem alles mitzubekommen.
„Ja, ja Förderunterricht. Wissen Sie, sie war ein wenig begriffsstutzig“, erwidere ich und gönne mir ein zynisches Lächeln.
„War sie zurückgeblieben?“, hakt Dr. Wolf sofort nach.
„Nein, im Gegenteil. Das war nur ironisch gemeint. Im Gegenteil. Sie besuchte den Förderunterricht für Hochbegabte.“ Ich stocke und presse die Lippen zusammen. „Sie war ein kleines Genie.“
„Da waren ja sicher alle mächtig stolz auf Ihre Schwester.“
„Natürlich, besonders Papa. Der hat sie vergöttert.“
„Papa? Nennen Sie so Ihren Vater?“
„Nein, so hat ihn Anna immer genannt. Ich habe Vater zu ihm gesagt.“
„Und wie sagen Sie jetzt zu ihm?“
„Ich spreche nicht mehr mit ihm, denn er ist tot.“
„Oh, das tut mir leid.“
„Muss es nicht. Das ist schon lange her“, antworte ich patzig. „Er hatte vor vielen Jahren einen Autounfall.“
„Für den Tod Ihres Vaters fühlen Sie sich aber nicht verantwortlich?“, fragt Dr. Wolf ganz nebenbei.
„Wieso? Das eine hat mit dem anderen überhaupt nichts zu tun.“ Meine Finger krallen sich in die Lehnen des Stuhls und angespannt richte ich mich auf. „Ich bin hier, weil Sie mich von meiner Höhenangst kurieren sollen und nicht, damit wir endlos über meine Familie reden.“ Jetzt bin ich richtig wütend und das tut gut. Schließlich bezahle ich Dr. Wolf auch, damit er mir zuhört.
„Können Sie sich vorstellen, wie man sich als Kind fühlt, wenn man immer nur die zweite Geige spielt. Wenn alles, was man macht, an der genialen Schwester gemessen wird, an einer wunderschönen hochtalentierten Schwester, an die man nie herankommt? Die von der Familie wie eine Heilige verehrt wird? Das ist beschissen, absolut beschissen, da kann man schon Hassgefühle bekommen. Sich zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lassen.“
Stopp! Jetzt ist es aber genug. Ich ziehe die gedankliche Reißleine und halte Dr. Wolf meinen Becher hin. „Bitte noch etwas Wasser.“
„Natürlich, natürlich Louisa“, schreckt der Arzt hoch und wirkt so, als hätte er überhaupt nicht mitbekommen, was ich gerade gesagt habe und das ist auch gut so.
„Wir müssen ein wenig ins Detail gehen“, sagt er nach einem schnellen Blick auf seine Armbanduhr, die neben ihm auf dem Schreibtisch liegt.
„Ich möchte, dass Sie eine Zeichnung Ihrer Familie anfertigen.“ Er schiebt mir ein leeres Blatt Papier zu und legt einen schwarzen Kohlestift darauf.
„Das ist aber nicht Ihr Ernst“, erwidere ich verwirrt. „Ich bin doch kein kleines Kind mehr. Und überhaupt kann ich gar nicht zeichnen.“
„Das macht nichts“, wischt Dr. Wolf meinen Einwand beiseite. „Sie können auch ein paar Strichmännchen machen. Die Hauptsache ist, Sie zeichnen. Und zwar alle Familienmitglieder.“
Wie er das Wort ALLE betont, so als wäre ich begriffsstutzig.
Ich zögere und das bemerkt er sofort.
„Entspannen Sie sich Louisa.
Beginnen wir einfach ganz von vorne. Erzählen Sie mir doch von den zwei Briefen, die Sie schon seit Tagen so beschäftigen.“
Ich bin wieder zurück in meinem Büro und jetzt endlich kann ich mich diesen beiden Briefen widmen, die ich vor ein paar Tagen erhalten habe und die bisher ungeöffnet in der Schublade lagen.
Der eine Brief steckt in einem großen braunen Umschlag und trägt als Absender den Stempel der Rechtsanwaltskanzlei Dimitrovitsch & Bergmann. Unschlüssig drehe ich den Umschlag in meinen Händen, muss mich zusammenreißen, um ihn nicht einfach ungeöffnet in den Papierkorb zu werfen. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass ein Wutausbruch die ganze Situation nur noch verschlimmern würde, deshalb reiße ich mich auch zusammen, so wie ich das immer gemacht habe.
Ich nehme einen langen spitzen Brieföffner aus Stahl von meinem Schreibtisch, halte ihn unbewusst wie einen Dolch, als ich den Umschlag öffne. Mit zitternden Fingern kippe ich den Inhalt auf meinen Schreibtisch. Es ist ein Konvolut von eng beschriebenen Papieren und ein Anschreiben mit dem Briefkopf der Rechtsanwaltskanzlei, das daran festgeklammert ist.
Mit nassen Augen überfliege ich die wenigen Zeilen, die in nüchternen Worten alle meine Hoffnungen, an die ich mich in den letzten Wochen geklammert hatte, auf den Kopf stellen. In dem Brief steht, dass ich – Louisa Schönberg, neununddreißig Jahre alt und Anwältin – rechtskräftig geschieden bin. Der beigefügte, von mir unterzeichnete Vertrag enthält eine penible Aufzeichnung all jener Klienten, Güter und Wertgegenstände, die ich an meinen Exmann abtreten muss. Darunter ist neben der Kanzlei auch das kleine Haus in Grinzing, das ich so geliebt habe. Dieses Haus ist also für immer verloren. Mir bleibt nur noch die winzige Wohnung meiner Mutter Friederike, in die sie nach dem Tod meines Vaters gezogen ist. Diese Wohnung steht schon seit Jahren leer, denn meine Mutter verbringt ihren Lebensabend in einem komfortablen Sanatorium.
In dieser Wohnung habe ich mich mehr schlecht als recht eingelebt, einfach weil mir die Lust fehlte, mir ein Heim zu schaffen. In einem der Räume habe ich ein provisorisches Büro eingerichtet, denn ich arbeite ja weiterhin als Anwältin. Die Zimmer sind klein und die Luft ist heiß und stickig, wahrscheinlich von den negativen Schwingungen des einen Briefes vergiftet. Ich spüre bereits einen dicken Kloß im Hals und stürze schnell zu dem großen französischen Fenster und reiße es weit auf. Gierig atme ich die abgasgeschwängerte Luft ein, beuge mich dabei für meine Verhältnisse viel zu weit über das Geländer und das darf ich doch nicht! Sofort beginnt sich die Welt draußen zu drehen und ich spüre den schwarzen Sog, der mich auf die weit unter meinem Fenster vorbeiführende Straße ziehen will. Meine Arme und Beine gehorchen mir nicht mehr, doch im letzten Winkel meines Gehirns kann ich noch den Befehl aktivieren: Weg vom Fenster!
Erschöpft kauere ich wenige Augenblicke später am Boden neben meinem Schreibtisch und schiebe mit der Schuhspitze das Fenster wieder zu, sperre den Autolärm der Schnellstraße aus. Seit dreißig Jahren leide ich unter Höhenangst, das ist nicht weiter schlimm, ich habe mich daran gewöhnt und kann ganz gut damit leben. Nur in Momenten, in denen ich mich aufrege, vergesse ich es und da kann es zu gefährlichen Situationen kommen, so wie eben jetzt.
„Das hast du nun von deiner beschissenen Karriere“, sage ich im Bad zu der Frau im Spiegel, deren Gesicht im letzten halben Jahr schmaler geworden ist und das zwei Falten von den Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln bekommen hat. Doch noch immer ist diese Frau attraktiv und sieht nicht aus wie vierzig. Noch immer lassen sie die Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken mädchenhaft wirken und noch immer trägt sie ihr rotes Haar in langen Locken und ihre grünen Augen funkeln. Doch bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass dieses Feuer in ihren Augen am Erlöschen ist.
Als ich mich anschließend wieder an meinen Schreibtisch setze, um die wenigen Akten darauf zu studieren, fällt mein Blick auf den zweiten Brief, den ich in der Aufregung komplett vergessen habe.
Der Absender ist ein gewisser Tom Berger aus der Justizstrafanstalt Josefstadt. Stirnrunzelnd betrachte ich den Brief, halte ihn einen Moment lang in den Händen, zögere, ihn zu öffnen, so als könne er eine Bombe enthalten. Mein Name und meine Adresse stehen in einer schön geschwungenen Handschrift auf dem Umschlag und erst beim zweiten Hinsehen fällt mir auf, dass dieser Tom Berger nur Lou Schönberg geschrieben hat. Woher kommt bloß diese merkwürdige Vertrautheit, in der er mich mit diesem Namen anspricht, den früher immer nur meine Schwester für mich verwendet hat. Ich weiß es nicht, aber jetzt bin ich neugierig geworden und entschlossen öffne ich den Umschlag und lese den Brief:
„Liebe Lou,
Sie müssen mir helfen. Man wirft mir vor, meine Geliebte ermordet zu haben.“
Tom Berger ist Maler und dringend verdächtig, seine Lebensgefährtin, die Galeristin und Kunsthändlerin Ruth Kluger ermordet zu haben. Es gibt zwar keine Leiche, aber anscheinend Indizien, die Tom Berger belasten. Unbewusst habe ich den Eindruck, als sei er ein wenig stolz darauf, dass er unter Mordverdacht steht und in Untersuchungshaft sitzt. Denn von Anfang an konzentrierten sich die Ermittlungen ausschließlich auf ihn und seine Vergangenheit.
In kurzen knappen Sätzen schildert Tom Berger, weshalb er verdächtigt wird und warum er unschuldig ist. Eine Seite des Briefes besteht nur aus Rechtfertigungen und der Zauber, den der erste Satz auf mich ausgeübt hat, verfliegt, weicht der üblichen Routine, die ich ansonsten beim Aktenstudium habe. Der Prozess gegen ihn findet bereits in zwei Wochen statt und er weiß, dass es beinahe unmöglich ist, in so kurzer Zeit die Verteidigung für einen Mordprozess zu übernehmen. Aber seinen Pflichtverteidiger hat er bereits gefeuert, weil er an mich glaubt. Das ist schön gesagt. Der Brief endet mit der nochmaligen Bitte, seine Verteidigung zu übernehmen und schließt mit den Worten: „Alles Liebe, Tom“.
„Alles Liebe, Tom“, wiederhole ich die Worte und bin wieder irritiert über diese merkwürdige Vertrautheit. Du darfst diese Verteidigung auf gar keinen Fall übernehmen, sagt mir mein Bauchgefühl, auf das ich mich bisher immer verlassen konnte. Nur nicht im Fall meiner Scheidung, da hat mich dieses Bauchgefühl im Stich gelassen, doch das ist eine reine Privatsache, wie ich ständig versuche mir einzureden.
Dann aber sehe ich die Zeichnung unter den Worten, unter dem „Alles Liebe, Tom“. Es ist ein Porträt, mit einem Kohlestift auf das Papier gezeichnet. Das Porträt einer Frau mit sinnlichen Lippen und einem romantischen Blick. Unschwer erkenne ich mich auf der Zeichnung, aber weder die leicht geöffneten Lippen noch der schmachtende Blick stimmen. Es ist die sehr freie Interpretation eines Studioporträts, das in einer Juristenzeitung abgedruckt wurde.
„Zu kitschig.“ Schon will ich den Brief zusammenknüllen und in den Papierkorb werfen, doch dann zögere ich. Wegwerfen kann ich das Papier auch morgen! Die Zeichnung ist ja wirklich schön und schmeichelt mir. Es gibt also doch noch Männer, die mich attraktiv finden. Deshalb betrachte ich sie als Aufmunterung für diesen Tag, der so negativ begonnen hat. Morgen ist sicher wieder alles anders, morgen werden Brief und Zeichnung weggeworfen.
Dennoch hat mich der Brief neugierig gemacht und ich will Näheres über Tom Berger wissen. Wie erwartet, gibt es keine aktuellen Einträge von ihm. Er ist weder auf Facebook noch auf Twitter noch in den einschlägigen Kunstforen zu finden. Kein Wunder, denn im Untersuchungsgefängnis hat er auch nur sehr eingeschränkt Zugang zu Computer und Internet. Also surfe ich auf gut Glück umher, um vielleicht doch etwas Interessantes über ihn zu entdecken. Über das mysteriöse Verschwinden von Ruth Kluger vor einiger Zeit wurde in den Medien viel berichtet, es gab eine Fülle von Spekulationen über diesen Fall. Die Leiche von Ruth Kluger wurde zwar noch immer nicht gefunden, aber es gibt laut Staatsanwaltschaft eindeutige Indizien, die Tom Berger schwer belasten. Nähere Details kann ich allerdings nicht finden und die wenigen Statements der Polizei lesen sich trocken und sind nichtssagend.