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Es ist Sommer auf Rügen: In den Dünen wird der umschwärmte Surflehrer Lars Strellson ermordet aufgefunden. Er wurde im Sand erstickt. Hauptkommissarin Gretchen Larssen und ihr Team beginnen zu ermitteln und finden heraus, dass der verheiratete Lars mehrere Affären hatte. Hat seine psychisch labile Frau Annika etwas mit dem Mord zu tun oder hat sich ein eifersüchtiger Ehemann an dem Surflehrer gerächt? Ein Verdächtiger wird verhaftet und Gretchens Chef Konstantin Kampe glaubt, damit den Fall abschließen zu können. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse und ein zweites Opfer wird in den Dünen gefunden … Währenddessen sucht Gretchen nach wie vor nach ihrem Sohn Niki, der seit einem Verkehrsunglück verschwunden ist. Sie erhält ein anonymes Schreiben mit einem Hinweis auf die einzige Unfallzeugin. Gemeinsam mit ihrer Jugendliebe Finn sucht sie nach der Frau im geheimnisvollen Hexenwald. Die Küstenkrimi-Reihe von B.C. Schiller ist nicht nur spannend, sondern besticht auch durch interessant gezeichnete Charaktere. Jeder Krimi ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Anmerkung
Über die Autoren B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
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Bücher von B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Bücher von B.C. Schiller
Kapitel 1
Kapitel 2
Vier Wochen später
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Danksagung
Sämtliche Figuren und Ereignisse dieses Romans sind der Fantasie entsprungen. Jede Ähnlichkeit mit echten Personen, lebend oder tot, ist zufällig und von den Autoren nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Blue Velvet Management e.U. urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.
Copyright Blue Velvet Management e.U.,
A – 4020, Linz, Derfflingerstrasse 14
Mai 2023, Jänner 2025
Lektorat: Wolma Krefting, bueropia.de
Korrektorat: textwerk-koeln.de
Covergestaltung: Buchcoverdesign.de / Chris Gilcher
Bildmaterial: Adobe Stock ID 276838953, Adobe Stock ID 562116937
Wir haben uns erlaubt, einige Namen und Örtlichkeiten aus Spannungsgründen neu zu erfinden, anders zu benennen und auch zu verlegen. Sie als LeserInnen werden uns diese Freiheiten sicher nachsehen.
Barbara und Christian Schiller leben und arbeiten in Wien und auf Mallorca mit ihren beiden Ridgebacks Calisto & Emilio.
Gemeinsam waren sie über 20 Jahre in der Marketing- und Werbebranche tätig und haben ein totales Faible für spannende Krimis und packende Thriller.
B.C. Schiller gehören zu den erfolgreichsten Spannungs-Autoren im deutschsprachigen Raum. Bisher haben sie mit ihren Krimis über 3.000.000 Leser begeistert.
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Aus der Gretchen-Larssen-Reihebisher erschienen:
GRETCHEN LARSSEN UND DAS OSTSEEMÄDCHEN: der erste Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DAS DÜNENOPFER: der zweite Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEZORN: der dritte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEESCHULD: der vierte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER KÜSTENMÖRDER: der fünfte Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DER OSTSEEMORD: der sechste Band mit Gretchen Larssen
GRETCHEN LARSSEN UND DIE OSTSEETRÄNEN: der siebte Band mit Gretchen Larssen
MALLORCA-INSELKRIMI:
MÄDCHENSCHULD – ist der erste Band der neuen spannenden Mallorca-Inselkrimi-Reihe mit der Inspectora Ana Ortega und dem Europol-Ermittler Lars Brückner. Die Krimis sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
SCHÖNE TOTE – der zweite Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
FAMILIENBLUT – der dritte Band mit Ana Ortega und Lars Brückner.
NORDTOD - KÜSTENTHRILLER:
NORDTOD - DIE KOLIBRIMÄDCHEN: der erste spannende Cold-Case-Fall mit der schwedischen Ermittlerin Signe Nord.
DUNKELSTEIG – Trilogie:
DUNKELSTEIG: der erste Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – SCHULD –der zweite Band mit Felicitas Laudon
DUNKELSTEIG – BÖSE: der dritte und letzte Band mit Felicitas Laudon
Psychothriller:
DIE FOTOGRAFIN
DIE SCHWESTER
DIE EINSAME BRAUT
TONY-BRAUN-THRILLER:
TOTES SOMMERMÄDCHEN – der erste Tony-Braun–Thriller –
»Wie alles begann«
TÖTEN IST GANZ EINFACH – der zweite Tony-Braun-Thriller
FREUNDE MÜSSEN TÖTEN – der dritte Tony-Braun-Thriller
ALLE MÜSSEN STERBEN – der vierte Tony-Braun-Thriller
DER STILLE DUFT DES TODES – der fünfte Tony-Braun-Thriller
RATTENKINDER – der sechste Tony-Braun-Thriller
RABENSCHWESTER – der siebte Tony-Braun-Thriller
STILLER BEOBACHTER – der achte Tony-Braun-Thriller
STRANDMÄDCHENTOD – der neunte Tony-Braun-Thriller
STILLES GRABESKIND – der zehnte Tony-Braun-Thriller
Alle Tony-Braun-Thriller waren monatelang Bestseller in den Charts. Die Thriller sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden.
Die TARGA-HENDRICKS-Thriller:
DER MOMENT, BEVOR DU STIRBST – der erste Fall mit Targa Hendricks
IMMER WENN DU TÖTEST – der zweite Fall mit Targa Hendricks
DUNKELTOT, WIE DEINE SEELE – der dritte Fall mit Targa Hendricks
Die DAVID-STEIN-Thriller:
DER HUNDEFLÜSTERER – David Steins erster Auftrag
SCHWARZER SKOPRION – David Steins zweiter Auftrag
ROTE WÜSTENBLUME – David Steins dritter Auftrag
RUSSISCHES MÄDCHEN – David Steins vierter Auftrag
FREMDE GELIEBTE – David Steins fünfter Auftrag
EISIGE GEDANKEN – David Steins sechster Auftrag
TODESFALTER – David Steins siebter Auftrag
LEVI-KANT-Wien-Krimi:
BÖSES GEHEIMNIS – der erste Cold Case
BÖSE TRÄNEN – der zweite Cold Case
BÖSES SCHWEIGEN – der dritte Cold Case
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Heute besuche ich dich das letzte Mal, und nichts wird mehr so sein, wie es einmal war. Noch einmal streiche ich über deine langen Haare und betrachte dein ebenmäßiges Gesicht. Du bist schön wie immer, es scheint, als wäre die Zeit spurlos an dir vorübergegangen. Ich neige meinen Kopf deinem Gesicht zu, atme deinen Duft tief ein, will diesen Geruch für immer im Gedächtnis behalten. Ein letzter Kuss auf deine Lippen, sie fühlen sich merkwürdigerweise noch immer nach Leben an. So wirst du mir in Erinnerung bleiben. Es ist das Ende einer großen Liebe und eines Lebens, das wie ein Windhauch am Strand vergeht und sich beim Silberstreifen am Horizont langsam auflöst. Zerrissen vor Wut und Trauer bleibe ich allein zurück.
Die Gespenster der Erinnerung bevölkerten ihre Gedanken, und die Schatten der Vergangenheit führten ein Eigenleben. Noch hatte die Nacht die Welt fest im Griff, doch für Hauptkommissarin Gretchen Larssen hatte der Tag auf der Insel Rügen bereits früh begonnen. Die frische Seeluft vertrieb die letzten Bastionen des Schlafs und fegte die Albträume weg, während sie mit ihrem Golf Cabrio auf der menschenleeren Straße nach Zirkow zum Klabautereck fuhr. Als sie ihr Ziel erreichte, hatte sich der Horizont ein wenig aufgehellt und tauchte die Kreuzung in ein geisterhaftes Licht. In dieser diffusen Dämmerung erblickte sie plötzlich eine Gestalt in einem unförmigen abgetragenen Mantel, die sich an dem schlichten Holzkreuz, das dort in die Erde gerammt war, zu schaffen machte. An dieser Kreuzung hatte vor über einem Jahr das Leben von Gretchen eine dramatische Wende genommen.
Genau hier war ihr Mann John mit seinem Wagen tödlich verunglückt und der gemeinsame Sohn Niki, der auf dem Rücksitz saß, spurlos verschwunden. Eine groß angelegte Suchaktion hatte nichts ergeben, doch Gretchen ließ nicht locker, sondern forschte nach wie vor verzweifelt nach ihrem Sohn. In Nächten wie dieser, wenn sie nicht schlafen konnte, fuhr sie an die Unfallstelle, kniete vor dem Kreuz, das sie selbst aufgestellt hatte, und sprach mit Niki.
»Bist du aus dem Auto gestiegen, Niki, und unter Schock zum Strand gelaufen?«
»Ich weiß es nicht, Mama.«
»Warum machst du nie eine Andeutung, was geschehen ist? Ich brauche Gewissheit, Niki. Manchmal bin ich mutlos und verzweifelt.«
»Lass dich nicht beirren Mama. Such weiter nach mir.«
Hin und wieder legte Gretchen dann den Kopf auf den Boden, lauschte mit angehaltenem Atem, ob von einer anderen Stelle der Insel ein silbernes Wispern zu ihr drang, das ihr auf geheimen Traumpfaden vielleicht einen Hinweis auf den Verbleib von Niki gab.
Doch diesmal kauerte bereits eine andere Person vor dem Kreuz und steckte gerade Blumen in eine Blechbüchse. Überrascht bremste Gretchen ihren Wagen so abrupt ab, dass der Motor absoff.
»Was machen Sie da?«, rief sie und stieg aus ihrem Golf Cabrio.
Die Gestalt schreckte hoch und hielt sich, geblendet von den Scheinwerfern des Wagens, die Hand vor die Augen. Es war eine Frau, die sich hastig zur Seite drehte und dann in der Dunkelheit untertauchte. Für einen kurzen Moment dachte Gretchen, ihr Verstand hätte ihr einen Streich gespielt. Doch dann hörte sie ein Knacken im Unterholz, und Gretchen wusste, dass sie sich die Begegnung nicht eingebildet hatte.
»Lotti, bist du das?« Gretchen lief durch die zuckenden Lichtstreifen am Holzkreuz vorbei hinein in die Finsternis, in der sie nur noch schemenhaft die Frau erkennen konnte. Diese lief Richtung Strand, verschwand zwischen den Dünen, tauchte kurz wieder auf, änderte die Richtung und versuchte, in den angrenzenden Buchenwald zu fliehen.
Gretchen hetzte durch das Dünengras, sprang über angeschwemmte Holzstücke, rannte jetzt ebenfalls auf den Buchenwald zu, denn so leicht ließ sie sich nicht abschütteln. Nicht jetzt, wo sie vielleicht endlich die einzige Zeugin des Unfalls sprechen konnte. Lotti war eine Strandräumerin und hatte damals den Unfall telefonisch bei der Polizei gemeldet, doch danach war die Frau untergetaucht.
»Wo bist du?«, rief Gretchen in die Finsternis hinein. Doch nur die Möwen antworteten kreischend und flatterten aufgeregt umher. Gretchen stoppte ihren Lauf und blickte sich um. Wie eine Mauer lag der Buchenwald dunkel und stumm vor ihr, Blätter raschelten im Wind, doch kein menschlicher Laut war zu vernehmen. Es schien, als hätte sich die Frau in Luft aufgelöst.
»Das gibt’s doch nicht.« Gretchen stemmte die Fäuste in die Hüften. »Wohin kann die Frau nur gelaufen sein?«, fragte sie in den Wind hinein, der ihr jedoch keine Antwort gab.
Plötzlich hörte sie ein leises Geräusch. Die Frau hatte sich hinter einem Baumstamm versteckt und rannte jetzt blitzschnell wie eine Slalomläuferin zwischen den mächtigen Buchen davon.
»Bleib doch bitte stehen!«, rief Gretchen der flüchtenden Frau hinterher, doch diese verdoppelte nur ihre Geschwindigkeit. Gretchen war so auf die schattenhafte Gestalt fokussiert, dass sie sich nicht auf den Weg konzentrierte und über eine Wurzel stolperte. Im Stürzen schaffte sie es noch, sich über die Schulter abzurollen, doch als sie wieder auf den Beinen stand, war die Frau endgültig im Dickicht verschwunden.
Niedergeschlagen eilte Gretchen zurück zu der Kreuzung, wo das Holzkreuz noch immer von den Scheinwerfern ihres Wagens wie eine Trophäe angestrahlt wurde. Rote Mohnblumen lagen wie eine Blutspur rings um die Blechdose verstreut. Gretchen bückte sich und hob vorsichtig die Blüten auf, steckte sie in die Dose. Dabei dachte sie an die letzte Umarmung mit ihrem Sohn. Gretchen schloss die Augen, versuchte Nikis Arme zu spüren, sie wollte diese Berührung erleben, aber es war nur eine verblassende Erinnerung.
Langsam wich der Zorn darüber, dass sie die Frau nicht erwischt hatte, und Gretchens natürlicher Optimismus setzte sich durch. Denn dieser Zwischenfall hatte sie nur in ihrem Streben bestärkt, an ihrem Ziel festzuhalten und niemals mit der Suche nach ihrem Sohn aufzuhören. ›Ist die geheimnisvolle Frau vielleicht wirklich Lotti gewesen? Und was wollte sie an der Unfallstelle?‹ Das würde Gretchen schon noch herausfinden. Diese Art der Selbstmotivation half ihr oft über die düsteren Stunden hinweg, die sie manchmal heimsuchten.
Der Wecker auf ihrem Handy piepste und Gretchen setzte sich wieder in ihr Golf Cabrio und fuhr die Küstenstraße entlang zurück nach Hause. Als sie in der beginnenden Morgendämmerung durch den schmucken Seeort Binz fuhr, sah sie bereits das weiße Kapitänshaus ihrer Großmutter Edda, das aus der Ferne wie ein rettendes Schiff wirkte. Das tief heruntergezogene Reetdach wurde bereits von den ersten Strahlen der am Horizont auftauchenden Sonne umschmeichelt und leuchtete golden. Das war ihr sicherer Hafen.
Gretchen stand mit einer Tasse schwarzen Kaffees in der Hand auf der Terrasse vor Eddas weiß getünchtem Kapitänshaus. Nach ihrem persönlichen Drama wohnte sie bereits seit über einem Jahr mit ihrer Oma in diesem Haus. Ihre Gedanken waren immer noch bei der mysteriösen Frau beim Kreuz, doch dann riss sie das Brummen einer Limousine aus ihren Grübeleien. Ihr Chef Konstantin Kampe war pünktlich auf die Minute eingetroffen.
»Hallo, Gretchen, was für ein wunderbarer Morgen«, begrüßte Kampe sie gut gelaunt und blickte umher. »Ist Henry noch nicht da?«, fragte er und meinte tadelnd nach einem kurzen Blick auf seine Uhr: »Unser Kommissar Bülow ist wie immer unpünktlich.«
An diesem Montagmorgen war es das erste Mal, dass Kampe in seiner Funktion als Polizeidirektor von Rügen seine Idee zur Team-Motivation in die Tat umsetzen wollte. Einmal im Monat sollte von nun an die wöchentliche Besprechung im Freien bei jeweils einem anderen Team-Mitglied stattfinden. Bei der Auslosung hatte es Gretchen als Erste erwischt, deshalb wurde das Meeting auch bei ihrer Großmutter Edda abgehalten.
»Wissen Sie, Gretchen, diese Art von Besprechung fördert die Aufklärungsrate bei Verbrechen enorm. Raus aus den eingefahrenen Gleisen, das bringt frischen Schwung und treibt uns Polizisten zu Höchstleistungen an.«
»Sie klingen gerade wie ein Motivationstrainer«, merkte Gretchen an. »Aber natürlich haben Sie recht. Hier in der frischen Luft fällt einem das Denken gleich viel leichter. Lösungen liegen quasi in der Luft.«
»Sie verstehen, was ich meine, Gretchen«, freute sich Kampe und warf erneut einen Blick auf seine Uhr.
»Henry steckt wahrscheinlich im Stau«, nahm Gretchen ihren Kollegen in Schutz, denn Kampes missbilligende Miene war ihr natürlich nicht entgangen. »Wann ist es eigentlich mit Ihrer Übersiedelung so weit?«, fragte sie dann, um ihn abzulenken. Gretchen wusste, dass ihr Chef aus seiner feudalen Villa ausziehen musste.
»Heute Nachmittag, aber das ist zum Glück nur für kurze Zeit«, antwortete Kampe. »Ich bemühe mich ja auch weiterhin um einen Posten in Hamburg.«
»Hoffentlich haben Sie beim nächsten Mal mehr Glück«, meinte Gretchen und erinnerte sich an die missglückte Bewerbung ihres Chefs vor ein paar Wochen. Sowie ein leitender Posten bei der Polizeidirektion im fernen Hamburg ausgeschrieben wurde, war Kampe auch schon mit einer Bewerbung zur Stelle. Da aber die Aufklärungsquote an Verbrechen auf Rügen unter seiner Leitung überdurchschnittlich hoch war, konnte man auf seine Dienste hier nicht verzichten, und Hamburg blieb für ihn der unerfüllte Wunschtraum.
»Das klingt, als würden Sie sich freuen, mich loszuwerden«, erwiderte Kampe.
»Aber nicht doch, Chef, wir arbeiten ausgezeichnet zusammen. Außerdem finde ich, dass Sie einer der bestgekleideten Männer auf der Insel sind«, machte Gretchen Kampe ein Kompliment, der in seinem hellen Sommeranzug mit lichtblauer Krawatte und passendem Stecktuch sehr adrett wirkte.
»Obwohl wir uns auf einer Insel befinden, sollte man immer seinen Stil bewahren«, erwiderte Kampe geschmeichelt und warf einen prüfenden Seitenblick auf Gretchens Sneaker und ihre abgewetzte Lederjacke.
»Tja, mein Stil ist eher lässig bequem«, meinte Gretchen.
»Als hübsche Frau können Sie sich ein gewisses Laisser-faire bei der Garderobe erlauben.«
»Danke. Da kommt ja Henry.« Gretchen wies auf den racinggrünen MG, der die Straße entlangbrauste und vor Oma Schulzes Haus in einer Staubwolke abbremste. Henrys Vater betrieb eine Werkstatt für Oldtimer und deswegen fuhr sein Sohn des Öfteren verschiedene Automodelle.
»Habt ihr schon begonnen?« Henry schwang sich elegant aus dem Cabrio, ohne die Tür zu öffnen. Im Gegensatz zu Kampe trug Henry Jeans und ein enges T-Shirt. Sein Sakko warf er lässig über die Schulter. Unwillkürlich musste Gretchen lächeln. Ihr jüngerer Kollege ließ wirklich keine Gelegenheit aus, um seinen durchtrainierten Body in Szene zu setzen.
»Sie haben sich um mehr als eine Viertelstunde verspätet«, sagte Kampe streng und streckte Henry seinen Arm mit der eleganten Automatikuhr entgegen.
»Ach wirklich?« Henry lächelte entschuldigend und strich sich über sein streichholzkurzes Haar. »Dann müssen wir die Zeit bei der Besprechung wieder aufholen, indem wir schneller reden. Gibt’s hier noch Kaffee?«, fragte er und blickte suchend umher.
»Hier, bitte zugreifen! Musste die Dinge erst in der Kombüse zubereiten.« Gretchens Großmutter Edda kam mit einem Tablett aus dem Kapitänshaus. »Habe extra für euch einen Störtebeker-Zopf gebacken.«
»Oma, warte, ich helfe dir.« Gretchen eilte auf Edda zu und nahm ihr das Tablett aus der Hand. Gretchens Großmutter war die Witwe eines Kapitäns und betrieb einen kleinen Campingplatz mit dem klingenden Namen ›Oma Schulzes Paradies‹. Sie war eine rüstige Frau um die siebzig, wenngleich in letzter Zeit ein wenig vergesslich, was ihrer Enkelin Sorgen bereitete. Gretchen warf noch einen Blick auf Eddas Mitbewohner, den dicken Kater Kapitän und den Dackel Otto, die sich meistens aus dem Weg gingen und nur so wie jetzt eine Zweckgemeinschaft bildeten, um gemeinsam auf einer Sonnenliege zu dösen.
Nachdem das Team an dem großen runden Tisch auf der Terrasse Platz genommen hatte, öffnete Kampe seinen Ordner. »Welche Fälle liegen für diese Woche an?«
Wie üblich zog Henry ein Notizbuch aus seinem Sakko und schlug es auf. Er war der fixen Überzeugung, dass man sich Namen und Fakten viel besser merken würde, wenn man sie sich notierte. Deshalb benutzte ihr Kollege nur ganz selten sein Handy für Aufzeichnungen, sondern schrieb alles fein säuberlich in sein Büchlein.
Der Monat Juni hatte gerade erst begonnen, und so gab es außer einigen Raufereien, diversen Anzeigen wegen Ruhestörung und einem Autodiebstahl noch nicht sehr viel zu tun.