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Es ist ein Adler, der Johanna Kindel des Nachts durch ihre Träume trägt. Er zeigt ihr Dinge, die andere nicht sehen. Dinge, die bereits geschehen sind, und Dinge, die noch geschehen werden. Geburten und Glück, aber auch Verzweiflung - und Mord. Und nun hat der Adler ihr den Tod eines jungen Mannes gezeigt. Wird die Polizei glauben, was Johanna gesehen hat? Kommissar Schwemmer steht vor schwierigen Entscheidungen - und er ist gewarnt: Bereits sein Vorgänger stolperte über eine Aussage der "Seherin von Garmisch". Ein Mord und eine Explosion, ein Scharlatan und eine Grabschändung, eine Rockband und ein Hexenschuss halten Schwemmer und sein Team auf Trab. Dass sich dann noch das BKA einmischt, ist mehr, als seine gute Laune vertragen
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Seitenzahl: 382
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Martin Schüller, Jahrgang 1960, kam über die Musik zum Schreiben. Im Emons Verlag erschienen von ihm bisher sechs Kriminalromane, zuletzt »Tod in Garmisch«, mit dem der gebürtige Rheinländer erstmals eine Geschichte in Oberbayern ansiedelte. Neben seinen Romanen verfasste Schüller auch vier Bücher der Emons-TATORT-Reihe.
www.schuellerschreibt.de
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
© 2010 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten © Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch, Berlin eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-055-1 Originalausgabe
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EINS
Der Adler, der ihre Sinne bis über die Wolken trägt, schenkt ihr noch einen Blick auf den makellosen Sternenhimmel, dann stürzt er sich hinab. Er durchstößt den dichten, nassen Schleier, lässt sie die Lichter der Stadt sehen, und die Schwärze der Berge. Dorthin, ins Schwarz, in die Dunkelheit trägt er sie.
Je näher sie dem Schwarz dort kommen, um so mehr löst es sich in Grau auf. Konturen bilden sich, Schemen gewinnen Form. Wald kann sie erkennen, ein Reh, unbewegt im Gebüsch, eine Rotte Wildschweine, die ihre Spur zwischen die Bäume pflügt.
Und einen Menschen.
Er ist jung, ein Kind noch fast, hockt auf dem Boden einer Mulde, die Arme um den Körper geschlungen. Vor Kälte – oder vor Furcht?
Der Adler kreist über ihm, bevor er sanft im Wipfel einer hohen Kiefer landet. Er lässt sie ins Rund sehen. Sie erkennt den Ort, eine Schotterstraße, einen Holzlagerplatz, sie weiß: Hier war sie schon, aber sie kann sich an den Namen des Ortes nicht erinnern.
Dann zeigt der Adler ihr den Mann mit der Waffe.
Er steht versteckt hinter den Bäumen am Rand des Platzes auf der anderen Seite der Straße, fast unsichtbar in seiner dunklen Jacke.
Jetzt hört sie etwas. Ein Fahrzeug nähert sich aus dem Tal. Bald darauf rollt ein schwarzes Motorrad auf den schlammigen Parkplatz. Es hält mit laufendem Motor. Der Fahrer, unkenntlich unter Helm und Schutzbrille, streift einen schwarzen Rucksack vom Rücken ab und stellt ihn auf den Boden.
Dann fährt er wieder an, dreht eine ruhige Kurve und rollt zurück auf die Straße. Er fährt weiter den Berg hinauf.
Das Motorrad ist noch nicht außer Hörweite, als der Junge aus der Senke kriecht und eine kleine Taschenlampe anschaltet, in deren Schein er die Straße zum Parkplatz hin überquert. Der Adler zeigt ihr sein Gesicht, und sie erschrickt. Sie kennt den Jungen. Nicht beim Namen, aber sie weiß, wer er ist; sie hat ihm schon gegenübergestanden, in ihrer eigenen Stube.
Der Junge nähert sich dem Rucksack. Sie will ihm eine Warnung zuschreien, aber der Adler erlaubt es nicht, das tut er nie. Er zeigt ihr nur den Mann, der sich lautlos aus der anderen Richtung dem Rucksack nähert – und das dunkle Metall seiner Hand.
Der Junge kann ihn nicht hören und in der Schwärze der Nacht erst sehen, als ihn der Lichtkegel der Taschenlampe trifft. Und da ist es zu spät. Dem Jungen entfährt ein erschreckter Schrei. Die Waffe in der Hand des Mannes stößt Feuer aus, zweimal, und noch einmal.
Sie ringt um Atem, hat das Gefühl zu ersticken an ihrer Stummheit. Der Adler stößt sich sanft von dem Ast ab, auf dem er geruht hat. Lautlos, mit ausgebreiteten Schwingen gleitet er über das Geschehen hin. Dann fliegt er davon. Steigt hinauf, immer höher, in die Wolken, erreicht sie, steigt weiter in die feuchte, blinde Watte.
Und dort lässt er sie fallen.
Johanna Kindel wachte schlagartig auf. Keuchend und um Atem ringend tastete sie nach der Nachttischlampe und setzte sich auf. Die Luft kam kalt durch das kleine, auf Kipp stehende Fenster, hinter dem schwarze Nacht herrschte, aber ihr Nachthemd war klamm und feucht von Schweiß. Sie begann zu zittern, doch es war nicht die Kälte. Sie zitterte vor Angst.
Von der Tür her ein flüsterndes Rufen.
»Großmama?«
»Es is nix, Danni«, antwortete sie.
»Aber warum hast geschrien?«
Johanna stand auf. Sie streifte ihre Pantoffeln über und öffnete die Tür.
Daniela sah zu ihr auf mit der ganzen Besorgnis, zu der ein zehnjähriges Mädchen fähig war. Johanna beugte sich zu ihr hinab und nahm sie in den Arm.
»Hast geträumt?«, fragte Danni.
Johanna nickte und zog die Nase hoch.
»War’s einer von dene Träum?«, fragte die Kleine.
»Na«, antwortete Johanna entschieden. »Was redst da wieder? I hob dacht, mir warn einig?«
»Aber du hast geschrien!«
»Es gibt solche Träum ned, hörst!«
»Aber Tante Mariandl hat doch gesagt…«
Danni wandte sich halb ab und versuchte, sich aus ihrer Umarmung zu befreien.
Johanna ließ sie los. »Da hat die Tant an Spaß gmacht, des hab i dir schon so oft gsagt«, sagte sie sanft.
Dannis Augen waren halb hinter ihren glatten blonden Haaren verborgen, aber Johanna sah die Tränen darin.
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