Der Bulle von Garmisch - Martin Schüller - E-Book

Der Bulle von Garmisch E-Book

Martin Schüller

4,4

  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Privatdetektiv Jo Kant ist auf der Suche nach einem verschwundenen Waffenhändler – und stößt dabei in Garmisch auf einen alten Bekannten: Ex-Kommissar Schwemmer. Die beiden verbindet eine herzliche Antipathie. Doch ein gemeinsamer Gegner ist ein guter Grund, sich zusammenzuraufen, denn das Böse lauert in den Reihen der Polizei. Die Kunst, das Geld und der Tod: ein eindringlicher Thriller über Recht und Unrecht, der sprachlos macht.

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Seitenzahl: 393

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Nach fünfundzwanzig Jahren als Musiker wechselte Martin Schüller die Kunstform und begann, sein stilübergreifendes Interesse an Musik in Kriminalliteratur umzusetzen. Ebenso beherzt und erfolgreich wechselt der Rheinländer die Regionen: Nach etlichen Köln- und Düsseldorf-Krimis erscheint nun der bereits fünfte Band seiner »Garmisch«-Bestsellerreihe.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2016 Emons Verlag GmbH Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: photocase.com/megula Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch Lektorat: Dr.Marion Heister eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-96041-142-0 Originalausgabe

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Die Welt wird nicht bedrohtvon den Menschen, die böse sind,sondern von denen, die es zulassen.

Albert Einstein

EINS

»Die wievielte ist das jetzt?« Werner Schafmann lehnte an seinem Wagen, die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben, und sah der Feuerwehr bei der Arbeit zu. Die Herbstnacht war unangenehm. Es nieselte eklig.

»Die wievielte was?«, fragte Oberinspektor Krengel.

»Brandstiftung, was denn sonst?« Schafmann zog den Schirm seiner klein karierten Kappe weiter in die Stirn.

Krengel sah ihn unsicher von der Seite an. »Ich weiß nicht, wie viele Brandstiftungen wir hatten. Käm ja auch drauf an, von wann an gezählt.«

»Seit wir Flüchtlingsheime haben, würd ich sagen.«

»Oh, ach so, äh… bis jetzt waren das… vier, glaub ich. Wäre also die fünfte.«

Eine Gruppe dunkelhaariger Menschen, etwa zwanzig, einige in Schlafanzügen und Hausschuhen, stand ein paar Meter entfernt im Regen und starrte in die Nacht. Eine Frau, ein kleines Kind auf dem Arm, weinte geräuschlos.

»Eine Ladung ist schon weg, das Rote Kreuz kümmert sich drum. Der nächste Bus kommt gleich«, sagte Krengel.

»Wo bringen sie die hin?«

»Weiß nicht…«

»Klären Sie das, wir müssen die befragen.«

»Mach ich… Oh Sch…« Krengel starrte über Schafmanns Schulter hinweg und zog die Nase kraus. Schafmann drehte sich um. Ein hochgewachsener, feister Mann mit glatten blonden Haaren stieg aus einem dunklen BMWX6.

»Na toll«, murmelte Schafmann. »Das LKA. Die fehlen mir grad. Und dann ausgerechnet der Grellmayer.«

»Wenn das nicht der Erste Kriminalhauptkommissar Schafmann ist…« Grellmayer stapfte auf sie zu, ein joviales Grinsen im Gesicht. Er hieb Schafmann auf die Schulter und nickte Krengel zu. Grellmayer war einen Kopf größer als Schafmann, aber mindestens dreißig Kilo schwerer.

»Hast ordentlich zugelegt, seit du beim LKA bist«, sagte Schafmann, ohne ihn anzusehen.

»Dünner geworden bist auch nicht.« Grellmayer lachte übertrieben.

Die Flammen hinter dem eingeworfenen Fenster erloschen. Der Brandgeruch biss in der Nase. Schafmanns Mantel würde in die Reinigung müssen.

»Dachstuhl wär mir lieber gewesen«, sagte Grellmayer.

»So?« Jetzt drehte Schafmann doch den Kopf und wusste sofort wieder, warum er das hatte vermeiden wollen. Grellmayer war ihm absolut unangenehm, er spürte körperliche Abneigung gegen den Mann. Das war schon so gewesen, als sie noch zusammen in der Garmischer Inspektion gearbeitet hatten, aber seit er zum LKA gewechselt war, war es noch schlimmer geworden, vielleicht weil er ihn seltener sah.

»Weil: Dachstuhl bei ’nem bewohnten Haus würde bedeuten: wahrscheinlich keine Brandstiftung. Also keine Arbeit für uns. Ist beim Erdgeschoss anders. Kommt man ja leichter dran.« Grellmayer nickte zufrieden. »Wie man sieht.«

»Was machst du eigentlich hier?«, fragte Schafmann.

»Ich war zufällig im Ort und hab’s im Funk gehört. Ich dachte, ich schau mal vorbei, ob einer von den oiden Kollegen da ist.«

Grellmayer grinste ihn auf eine Art an, die bei Schafmann den Wunsch nach einer körperlichen Auseinandersetzung weckte. Niemals in den langen Jahren seiner Dienstzeit hatte er sich über die Versetzung eines Kollegen so gefreut wie über Grellmayers. Der Mann war eine Sau. Intrigant und dazu noch gewalttätig. Er brachte es auf die gleiche Zahl Anzeigen wegen polizeilicher Übergriffe wie der gesamte Rest der Inspektion zusammen. Zuletzt hatte ihn eine Kollegin beschuldigt, ihren Verlobten, einen Schwarzen, in den Rollstuhl geprügelt zu haben, aber Grellmayer hatte ein Alibi. Die Typen, die ihm das Alibi gaben, waren ziemlich fragwürdige Gestalten aus der rechtsradikalen Szene gewesen, aber vor Gericht hatte es gereicht. Grellmayer war unbescholten davongekommen. Wie immer. Die Kollegin hatte er wegen übler Nachrede angezeigt. Hessmann hatte ihn zur Beförderung vorgeschlagen. Und jetzt war er beim LKA. Staatsschutz.

Ausgerechnet, dachte Schafmann. »Ihr habt doch die Spuren ausgewertet«, sagte er laut, »bei der Brandstiftung in Farchant. Gibt’s da was Neues?«

»Nein. Da sind wir noch bei. Ist ja erst eine Woche her.«

»Zwei«, sagte Krengel. Grellmayer reagierte nicht darauf.

»Habt ihr euch endlich mal um die Skinheads gekümmert, die immer im Trinkteufel rumhängen? Zwei Mal mussten wir letzten Monat wegen denen dahin.«

Grellmayer zuckte die Achseln. »Kein Thema für uns. Skinheads sind durch, die sind so was von Achtziger. Das sind nur noch Mode-Faschos.«

»Wenn drei Mode-Faschos einen halbwüchsigen Punk beinah totprügeln, dann ist mir egal, ob das Achtziger ist. Das ist kriminell.«

»Eben. Kriminell. Nicht politisch. Loch sie halt ein.«

Aus dem Gegenlicht kam Brandmeister Gollacher in seiner gelben Weste auf sie zu. »Ganz klar Brandbeschleuniger. Die Kollegen haben auch ein paar Glasscherben gefunden. Wir haben sie für euch da liegen gelassen, wo sie waren.«

»Wie schad«, sagte Grellmayer fröhlich. »Dann müssen wir also doch ran.«

»Ja«, sagte Schafmann. »Wie schad.«

Die ehemalige Fabrikhalle lag in einem Industriegebiet, linksrheinisch am Stadtrand Düsseldorfs. Etwa zweihundert Menschen saßen auf dünn gepolsterten Stühlen, die meisten mit einem schweren schwarzen Katalog auf den Knien.

Burgl Schwemmer blätterte in ihrem, leicht nervös. Das nächste Los war eines, auf das sie wartete, das erste.

»…für dreizehntausend an die Nummer zweihunderteinunddreißig, vielen Dank«, sagte der Auktionator. »Wir kommen zu Los vierhundertachtzehn. Hans-Peter Feldmann, aus dem Jahr 2005, ›Ein Pfund Erdbeeren‹.«

Dezentes Gelächter kam auf, als ein paar Dutzend Bilder einzelner Erdbeeren auf die Leinwände neben der Bühne projiziert wurden. »Die Arbeit besteht aus vierunddreißig Fotos, C-Print, je zehn mal zehn Komma drei Zentimeter. Wir beginnen bei dreitausendfünfhundert Euro. Ich habe schriftliche Gebote vorliegen…«, er senkte den Blick auf seine Unterlagen, »…über vier, viereinhalb, fünftausend Euro…« Er lächelte verbindlich und fragend in den Raum.

Burgl tastete nach ihrer Bieterkarte und sah sich um. Ein Anzugträger in der zweiten Reihe hob seine Karte.

»Fünfeinhalb haben wir hier vorn, sechstausend stehen noch bei mir.«

An der linken Seite der Halle saß ein Dutzend Mitarbeiter des Auktionshauses an Telefonen und Bildschirmen. Eine junge Frau, den Hörer am Ohr, hob ihre Karte.

Der Auktionator wies in ihre Richtung. »Sechseinhalbtausend bei Heidi am Telefon, damit bin ich raus…« Der Mann in der zweiten Reihe nickte, und der Auktionator sagte: »Sieben im Saal«, und dann sofort: »Siebeneinhalb bei Heidi, achttausend oben im Saal…«, er wies in die hinteren Reihen, Burgl drehte sich um, konnte aber nicht erkennen, wer geboten hatte. Sie spürte, wie sich die Härchen auf ihren Unterarmen aufrichteten, als sie ihre Karte hob.

Der Auktionator lächelte sie an, als habe er nur auf ihr Gebot gewartet. »Achteinhalb hier in der Mitte.« Es reichte für ein paar Sekunden Hoffnung.

»Neuntausend!« Eine Angestellte vor einem Bildschirm schwenkte hektisch ihre weiße Bieternummer.

»Neuntausend im Internet«, bestätigte der Auktionator.

Burgl biss sich auf die Lippe und hob erneut ihre Karte.

»Neuneinhalb im Saal. Und zehntausend. Zehntausend, wir stehen bei zehntausend, hör ich elf?«

»Verzeihung«, sagte eine leise Stimme neben Burgl. »Ist der Platz dort frei?«

Irritiert sah sie den Mann an. »Jaja«, sagte sie und erhob sich leicht, damit er an ihr vorbeikam.

»Höre ich elf? Elftausend sind gefragt…«

Burgl hob ihre Karte, aber der Auktionator schien sie zu übersehen, vielleicht weil sich der Mann neben ihr noch nicht gesetzt hatte. »Elftausend am Telefon, wir stehen bei elftausend.«

Burgl merkte, dass ihr Atem hektisch ging, wieder hob sie ihre Karte.

»Und zwölftausend hier in der Mitte. Zwölftausend… niemand mehr? Niemand mehr als zwölftausend?« Er ließ eine kleine Pause entstehen. »Gut, zwölftausend zum Ersten, zum Zweiten…«, er hob den kleinen Hammer ohne Stiel, den er in der Hand hielt, »und zum Dritten!« Er klopfte vernehmlich auf das Pult. »Verkauft für zwölftausend an die… darf ich die Nummer noch mal sehen?«

Burgl musste ein Zittern unterdrücken, als sie ihre Karte noch einmal hob, um ihre Bieternummer vorzuzeigen.

»…an die Hunderteinundfünfzig, vielen Dank.«

Burgl sackte auf ihrem Stuhl zusammen und pustete durch.

»Herzlichen Glückwunsch«, sagte der Mann neben ihr. »Ist das Ihre erste Auktion?«

Sie stieß ein Lachen aus. »Sieht man mir das an?«

»Nun, man hat den Eindruck.«

»Ja. Meine erste Auktion. Und mein erstes Bild.«

»Ein Feldmann. Immerhin. Nicht schlecht. Düsseldorfer.«

Sie drehte sich zu ihm und sah den Mann zum ersten Mal bewusst an. Ein schlanker Mitt- oder Endvierziger, das dichte, kurz geschnittene Haar dunkel, fast schwarz, nur vorn am Scheitel blitzte eine weiße Strähne. Der tadellos sitzende Anzug sah teuer aus, und sie registrierte einen dezent vornehmen Herrenduft.

Er schien ihren Blick nicht zu bemerken oder ignorierte ihn höflich. Gelassen sah er zum Auktionator, der gerade den nächsten Feldmann, drei großformatige Blumenfotos, für sechstausend Euro an den Mann in der zweiten Reihe verkaufte. Im Profil erinnerte die Nase ihres Nachbarn sie an den mittelalten Paul Newman, und plötzlich war Burgl sich sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben. Sie überlegte, ihn anzusprechen, entschied sich aber dagegen. Auch, weil das nächste Los, für das sie bieten wollte, näher kam, aber in erster Linie, weil das elegante Selbstbewusstsein, das der Mann ausstrahlte, sie doch ein wenig verunsicherte.

Es zog sich länger hin, als sie gedacht hatte. Zunächst wurde eine nicht enden wollende Reihe Flugnavigationskarten, vom Künstler ausgeschnitten und auf Karton geklebt, versteigert. Sie hatte überlegt, auf eine zu bieten, aber irgendwie strahlten ihr die Karten zu viel von »könnte man auch selber machen« aus. Was sie wollte, waren ein paar mittelgroße Namen, vielleicht auch ein ziemlich großer, und ein paar knallige, preiswertere Sachen als Grundausstattung für die Galerie, die sie in der Fürstenstraße aufmachen würde. Einen mittelgroßen hatte sie jetzt, die großen kamen erst übermorgen dran. Also was Knalliges.

Moderne Kunst in Garmisch. Balthasar hatte geschmunzelt, einen Tick zu sehr für ihren Geschmack, als sie ihm von ihrem Plan erzählt hatte. Aber am Ende hatte er großzügig mit der Schulter gezuckt. Immerhin wäre sie so gut wie konkurrenzlos im Ort. Und wenn es nicht liefe: Was soll’s? Einen Versuch war es wert. Vielleicht schneite ja mal ein Scheich von der Maximilianshöhe rein oder ein übrig gebliebener Oligarch, dem seine Ferienvilla zu trist geworden war.

Fünf Wandlampen mit grob zusammengenähten Fotoaufdrucken von einem Künstler, der das WM-Quartier der deutschen Fußballnationalmannschaft eingerichtet hatte, ersteigerte sie für zweitausendachthundert und musste sich wieder in Erinnerung rufen, dass da jedes Mal noch fast fünfzig Prozent Aufgeld und Steuern fällig waren.

Sie lächelte. Es war ein schönes Gefühl, einfach mal Geld zu haben. Arm war sie nie gewesen. Ein bisschen knapp während des Studiums, normal, aber es hatte nie ernsthaft an etwas gefehlt. Doch mal eben hunderttausend für Kunst einzuplanen war bisher schlicht undenkbar gewesen.

Es hat sich gelohnt, dachte sie. Und dann, wie jedes Mal: Hat es?

Der Mann neben ihr wandte den Kopf und sah sich mit mäßigem Interesse im Saal um. Ihre Blicke begegneten sich, und auf seiner Stirn erschien eine kleine, nachdenkliche Falte.

»Verzeihung, kennen wir uns?«, fragte Burgl.

Er sah sie ein paar Sekunden mit gehobenen Augenbrauen an, dann legte er den Kopf in den Nacken, um mit geschlossenen Augen nachzudenken. Noch in dieser Haltung sagte er endlich: »Frau Schwemmer, wenn ich nicht irre.«

»Ja… also kennen wir uns tatsächlich!«

Er sah sie mit distanzierter Freundlichkeit an, und sie stellte fest, dass er wirklich gut aussehend war. »Kennen wäre wohl zu viel gesagt. Ich kenne Ihren Gatten. Wir haben uns nur einmal… sagen wir: gegenseitig beobachtet. In einem Restaurant, einem ziemlich guten. Wenn ich mich recht erinnere, war das in… Oberammergau?«

»Ja!« Plötzlich sah sie die Szene vor sich. Balthasar hatte sie ins St.Benoît eingeladen, warum, wusste sie nicht mehr, aber irgendwas hatte er wohl gutzumachen. »Sie waren mit dem Meixner Lenerl da– der Magdalena Meixner, meine ich natürlich…«

»So weit hätte mein Bayerisch schon noch gereicht«, sagte er. »Ich war damals beruflich in Garmisch und habe in Frau Meixners Hotel gewohnt. Eine sehr patente junge Dame. Und ein sehr schönes Hotel.«

»Stimmt beides. Immer noch… Jetzt weiß ich es auch wieder: Sie sind der Privatdetektiv aus Düsseldorf, nicht wahr? An Ihren Namen kann ich mich allerdings nicht erinnern.«

»Kant, Jo Kant. Privatdetektiv nenne ich mich aber ungern. Ich bevorzuge ›Security-Consultant‹.«

»Oh! Und was ist der Unterschied?«, fragte Burgl.

»Ein Security-Consultant ist besser bewaffnet«, antwortete er, ohne ihr Lächeln zu erwidern. »Verzeihung…« Er wies nach vorn.

»Wir kommen zu Los fünfhundertvier«, sagte der Auktionator. »Juan Gopar, ›Ohne Titel‹, aus einer Reihe von Arbeiten aus den Jahren 1997 bis 2000, Acryl auf Papier, eine große Arbeit, sie hängt dort drüben.« Der Auktionator wies auf die rechte Wand der Halle, an der eine Reihe großformatiger, fast quadratischer Werke hing, die für Burgls Räumlichkeiten in der Fürstenstraße zu wuchtig waren. »Wir beginnen bei zwölfhundert Euro.«

Kant hob seine Bieterkarte.

»Dreizehnhundert dort…«

Die Gebote kamen ziemlich schnell, Kant bot bis zweitausendfünfhundert mit, dann stieg er aus, ohne eine Regung zu zeigen.

»Wie ich hörte, leitet Ihr Gatte nicht mehr die Kripo in Garmisch«, sagte er.

»Das haben Sie gehört? Hier in Düsseldorf?« Eigentlich hätte sie gern mit ihm über das Bild gesprochen. Es mutete an wie ein sehr grober Siebdruck, abstrakt und von einer schönen Farbigkeit. Der Name des Künstlers war ihr unbekannt. Der Hammer fiel bei dreitausendsiebenhundertfünfzig, und das nächste Los war ein ganz ähnliches Bild desselben Künstlers.

»Viel zu hören ist mein Beruf«, sagte Kant und hob seine Karte. Wieder ging er bis zwei-fünf mit. Verkauft wurde es für zwei-acht, und diesmal zog er ärgerlich die Brauen zusammen.

»Das war knapp«, sagte Burgl.

»So etwas kommt vor«, sagte er nur.

Es folgten noch drei weitere Arbeiten aus der Reihe. Immer bot er bis zwei-fünf und bekam keinen Zuschlag.

»Wie ärgerlich«, sagte sie.

Er machte eine freundlich-wegwerfende Handbewegung. »Es gibt mehr Bilder als Wände… Ist Ihr Gatte denn noch beim LKA?«

Sie zögerte. »Nein…«

Während des letzten Jahres hatte sie so vielen Leuten davon erzählen müssen, dass sie die Geschichte gut und glaubhaft rüberbringen konnte. Aber diesem Kant traute sie zu, trotzdem etwas anderes hinter Balthasars neuem Job zu vermuten als nur gute Bezahlung.

»Er ist nicht mehr bei der Polizei«, sagte sie. »Er hat sich selbstständig gemacht. Als Sicherheitsberater, also quasi als Kollege von Ihnen. Allerdings unbewaffnet.«

Kant schien nichts Verdächtiges darin zu sehen. Vielmehr nickte er anerkennend. »Mutig. Wirklich lange hatte er ja nicht mehr bis zur Pension… wenn ich das bei allem Respekt sagen darf«, schob er mit einem Lächeln hinterher.

Sie lachte. »Nun ja, wenn man einmal über fünfzig ist, geht’s fix.«

»Für wen arbeitet er denn?«

»Internationale Firmenkunden. Sie werden verstehen, dass ich mehr dazu nicht sagen darf. Vieles weiß ich auch gar nicht. Das meiste sogar.«

»So sollte es auch sein«, sagte Kant. »Und Sie leben noch in Garmisch?«

»Ja. Nach wie vor.«

Burgl bemerkte, dass der Saal sich mehr und mehr füllte. Der Lautstärkepegel stieg. Fast alle Stühle waren besetzt, die Nachzügler begannen sich an den Wänden aufzustellen.

»Ach ja, es wird voll. Immendorff ist gleich dran. Den würde ich mir gern schenken.« Kant blickte auf seine Armbanduhr, eine sehr flache, dezent goldene, die ihren Preis allenfalls ahnen ließ. »Das nächste Los, das mich interessiert, ist frühestens in drei Stunden dran. Wie sieht es bei Ihnen aus?«

»Ich hab schon überlegt, auf einen der Affen zu bieten.«

Kant wiegte zweifelnd das Haupt. »Die gehen durch die Decke. Und ob die Anzahl der Kopien stimmt, die im Katalog steht… Ich rate ab.«

»Bei Immendorff?«, fragte sie spöttisch. »Und das als Düsseldorfer?«

»Genau.«

»Tja… vielleicht haben Sie recht.« Sie schlug ihren Katalog beim nächsten eingeklebten Post-it auf. »Ich schätze, zwei Stunden hab ich Zeit.«

»Darf ich Sie dann vielleicht zu einem kleinen Lunch einladen?«

»Aber gern«, sagte sie und bemerkte erstaunt ein kleines Kribbeln in der Magengrube.

Schafmann schloss die Dielentür hinter sich und hängte seine Kappe an den Haken. Bärbel hantierte in der Küche, er hörte es durch die offene Tür.

»Servus«, sagte er und zog den Mantel aus.

»Hallo«, antwortete sie. »So früh?«

»Hab ja auch früh angefangen.« Um drei, um genau zu sein. Vor zwölf Stunden. Er war todmüde.

Er ging in die Küche, küsste sie auf die Wange und setzte sich an den kleinen Tisch.

»Magst erzählen?«, fragte sie, ohne den Blick von dem Kohlkopf zu wenden, den sie in Stücke schnitt.

»Ach… nein.«

Er sah sie an, ein wenig traurig über die schmalen, harten Falten, die sie um den Mund bekommen hatte in den letzten Jahren. Sie musste seinen Blick bemerken, aber sie arbeitete konzentriert weiter. Als sie mit dem Kohl fertig war, drehte sie Schafmann den Rücken zu und beschäftigte sich mit etwas, das er nicht erkennen konnte.

»Bei dir alles okay?«, fragte er.

Sie zuckte die Achseln. »Bei mir schon.«

»Und bei wem nicht?«

Wieder zuckte sie die Achseln. Sie sagte nichts. Er starrte ihren Rücken an und rieb sich den Nacken. Als er dabei den Kopf verdrehte, konnte er seine Muskeln knirschen hören. »Bärbel, bitte, was ist los?«

Sie ließ die Schultern hängen. Er hörte, wie sie die Nase hochzog. »War das eine Brandstiftung?«, fragte sie.

»Ja. Wieso?«

Endlich drehte sie sich um. Sie lehnte an der Arbeitsplatte, die Arme verschränkt, mit feuchten Augen.

»Was ist los?«

»Komm mal mit«, sagte sie und ging aus der Tür. Schafmann erhob sich mit einem kleinen Ächzen und folgte ihr aus der Diele ins Treppenhaus, hinunter in den Keller, zur Waschküche. Ein Korb mit Schmutzwäsche stand auf dem Trockner. Sie nahm eine Hose und ein Sweatshirt heraus und hielt es ihm hin. »Riech mal«, sagte sie.

Er brauchte nicht nah ran mit der Nase, um festzustellen, dass die Sachen nach Benzin rochen. Sie warf sie wieder in den Korb.

»Hast du ihn danach gefragt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Mit mir redet er doch sowieso nicht.«

»Ist er da?«

»Nein.«

Er brauchte nicht zu fragen, wo ihr Ältester war, der hätte es seiner Mutter sowieso nicht gesagt. Und wenn doch, hätte er wahrscheinlich gelogen. Schweigend standen sie sich gegenüber.

»Vielleicht haben sie an einem Mofa rumgeschraubt«, sagte sie endlich.

»Vielleicht«, sagte er.

»Der eine, der Lars, der hat doch so einen Roller«, sagte sie.

»Ja«, sagte er nur. Sie gingen wieder hinauf in die Wohnung.

»Magst du ein Helles?«, fragte sie, als sie wieder in der Küche waren.

»Nein.« Er nahm ein Glas aus dem Schrank und füllte es mit Leitungswasser, dann setzte er sich wieder an den Tisch.

»Wir verlieren ihn«, sagte er leise.

»Kannst du denn wirklich gar nichts machen?«, fragte sie. »Als Polizei, meine ich. Das geht doch nicht, dass die die Buben so verführen.«

»Nichts, was die tun, ist strafbar. Nichts, was man beweisen könnte. Und wenn ich beweisen könnte, dass Fabian an einer Brandstiftung beteiligt war, was sollte ich dann deiner Meinung nach tun, als Polizei?« Wieder rieb er sich die knirschenden Nackenmuskeln. »Ich versuch, mit ihm zu reden. Ich frag ihn. Wenn er lügt, merk ich das.«

»Und dann?«

»Tja«, sagte er. »Und dann.«

Schwemmer fuhr den Jeep in die Einfahrt und stieg gemächlich aus. Bis zum Morgen hatte es eklig genieselt, seitdem aber herrschte ein herrliches Weiß-Blau, und Schwemmer hoffte, dass es eine Weile halten würde. Er spürte seine Beine ein bisschen, nach den achtzehn Löchern. Prüfend blickte er zum Himmel. Vielleicht würde er morgen nur neun Löcher spielen. Vielleicht auch nicht. Vorsichtshalber ließ er die Schläger auf dem Rücksitz. Man konnte nie wissen. Frau Schmitt von gegenüber winkte aus ihrem Küchenfenster, er winkte zurück und öffnete Kuno die Heckklappe. Der Hund sprang heraus und lief quer durch den Vorgarten zur Haustür.

Während Schwemmer aufschloss, pfiff er eine Melodie vor sich hin, und als ihm klar wurde, dass der Text dazu »How lucky can one guy be?« lautete, grinste er. Er füllte Wasser in Kunos Napf und sah zur Küchenuhr; sie zeigte Viertel nach vier, und nach kurzem und eher formellem Abwägen holte er sich eine Maisacher Perle aus dem Kühlschrank. Mit dem Glas in der Hand schlenderte er ins Wohnzimmer, griff nach seinem Tablet und setzte sich damit auf die Terrasse. »Ain’t that a kick in the head…«, brummte er leise vor sich hin. Er checkte den Maileingang, loggte sich dann in sein Depot ein und stellte fest, dass die Aktien des Start-ups mit dem Online-Zahlungssystem, die er gestern gekauft hatte, um vierundzwanzig Prozent auf vierundachtzig-fünfundsiebzig gestiegen waren. Noch während er zusah, stiegen sie auf fünfundachtzig. Er klickte auf »Verkaufen«, prüfte den neuen Kontostand und griff mit vergnügt-ungläubigem Kopfschütteln nach seinem Hellen.

Es stimmt, dachte er: Die erste Million war die schwerste.

Das Tablet signalisierte eine Nachricht. Von Burgl. Als er sie las, legte sich ein kleiner Schatten auf seine Laune. Sie hatte in Düsseldorf diesen Privatschnüffler getroffen, der vor Jahren bei dem Schedlbauer-Fall mitgemischt hatte. Und war mit ihm essen gewesen. Und würde mit ihm wieder auf die Auktion gehen.

Jo Kant. Wie hatte der Kerl noch mit vollem Namen geheißen? Irgendwie adlig. Er googelte nach »Kant Düsseldorf« und stieß auf die Website der Kant Security-Consulting, CEO Tiberius Josephus Kant von Eschenbach.

Genau, dachte Schwemmer, ein Fünf-Wörter-Name, das passt zu diesem arroganten Sack. Streng genommen waren sie ja jetzt Kollegen. Oder Konkurrenten. Schließlich stand auf dem Schild an Schwemmers Haustür »Sicherheits-Beratung«. Der Unterschied war, dass dieser Kant tatsächlich arbeitete.

Und genau dieser Unterschied beunruhigte Schwemmer ein wenig.

Es war sechs oder sieben Jahre her, dass Kant und er sich hier in Garmisch in die Quere gekommen waren– Schwemmer erinnerte sich ungern. Der Fall Schedlbauer. Den Mann, nach dem Kant damals suchte, hatte Schwemmer zuvor mit zerschossenem Gesicht aus der Partnachklamm fischen lassen. Die Zusammenarbeit mit dem adligen Rheinländer war zwar letztlich erfolgreich, aber nicht wirklich angenehm gewesen. Dass dieser Kant sich für was Besseres hielt, hatte er Schwemmer nicht verheimlichen können. Falls er das überhaupt vorgehabt hatte, was Schwemmer bezweifelte. Schwemmer erinnerte sich, dass der Mann einen richtigen Waffenschein besaß und seine Halbautomatik sogar im Sterne-Restaurant nicht ablegte. Bei dem Franzosen in Oberammergau war das gewesen, und Schwemmer war sich plötzlich ziemlich sicher, dass Burgl und Kant sich nur dort über den Weg gelaufen waren.

Und jetzt hatten die beiden sich getroffen. Zufällig.

Schwemmer kratzte sich am Kinn. Dass sie auf einer Kunstauktion in Düsseldorf einen wohlhabenden Düsseldorfer traf, war per se nicht wirklich verdächtig, aber seiner Einschätzung nach überließ dieser Kant sehr wenig dem Zufall. Und wieso hatten die beiden sich wiedererkannt, nachdem sie sich ein einziges Mal gesehen hatten, flüchtig und vor Jahren?

Er nahm einen Schluck Bier, aber es schmeckte ihm nicht. Mit einer ärgerlichen Bewegung leerte er das Glas in Burgls Kräuterbeet, was ihm im wahren Leben einen kräftigen Anschiss beschert hätte.

Aber Burgl war ja nicht da.

»Das ist wirklich ein schönes Restaurant. Der Lachs war toll, super gewürzt, und den Sancerre, den haben Sie gut ausgesucht.«

»Danke sehr.«

»Wie heißt dieser Stadtteil? Sieht nobel aus.«

»Oberkassel. Ich wohne hier, ein paar Straßen weiter.« Kant sah auf seine Armbanduhr. »Wir sollten ein Taxi rufen, Sie kommen sonst noch zu spät.«

»Es wäre kein Drama, wenn wir zu spät kommen. Denn wie sagte vor Kurzem jemand? Es gibt mehr Bilder als Wände.«

Er lachte leise. »Wenn Sie das mit Ihrer Galerie ernst meinen, sollten Sie schon am Ball bleiben.« Er machte der Kellnerin ein Zeichen, sie nickte und ging zum Telefon. Die Rechnung hatte Kant bereits beglichen, gegen Burgls höflichen Protest.

»Ich such mir auf der Auktion die Grundausstattung zusammen. Damit ich immer alle Wände bestücken kann. So riesig sind die Räumlichkeiten auch nicht. Wichtig wird sein, ein paar gute, originelle Künstler aufzutun und die zu vertreten.«

»Sehr richtig. Haben Sie denn schon Kontakte?«

»Ich hab mich in München umgesehen, aber noch nichts Passendes gefunden. Das ist alles sehr spannend für mich.«

»Wie lange werden Sie in der Stadt sein?«

»Bis übermorgen auf jeden Fall. Warum fragen Sie?«

»Ich kenne einige Leute hier in der Düsseldorfer Szene. Wenn Sie mögen, kann ich Sie dem ein oder anderen vorstellen.«

»Das wäre natürlich toll…«

Durchs Fenster sahen sie draußen das Taxi vorfahren und erhoben sich. Kant half ihr in den Mantel und hielt ihr die Tür auf. Er nannte dem Fahrer die Adresse, Burgl machte es sich neben ihm auf der Rückbank bequem. Sie spürte die beiden kleinen Gläser Weißwein hinter den Augen.

»Spielen Sie Golf?«, fragte sie.

»Nein. Sie?«

»Ja, ziemlich regelmäßig. Mein Mann und ich haben damit angefangen, nachdem er sich selbstständig gemacht hatte. Nach der Auktion werd ich mir mal den Platz in Hubbelrath anschauen…«

»Da gibt es mehrere Plätze.«

»Den mit dem japanischen Namen… Komisch, eigentlich sind Sie absolut der Typ für Golf.«

»Ich habe es eine Weile lang versucht, aber mir fehlt generell jegliches Gefühl für Bälle. Nicht nur beim Golf. Ich kann auch kein Billard. Nicht mal kickern.«

Sie lachte. »Kickern kann doch jeder.«

»Nun, ich kann mich natürlich an so einen Tisch stellen, aber es sieht lächerlich aus, wenn ich da herumfuhrwerke.«

»Welches Talent haben Sie denn, aus dem man ein Hobby machen könnte?«

»Ich bin ein wenig musikalisch.«

»Spielen Sie ein Instrument?«

»Ja.«

»Herrschaftszeiten, jetzt lassen Sie sich doch nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen. Welches?«

»Ich spiele Harfe.«

Sie lachte ungläubig. »Wie bitte?«

»Ich weiß, das ist nichts für Männer. Das höre ich immer wieder. Deswegen erzähle ich es auch nur ungern.«

»Na, ich weiß nicht. Hat Kaiser Nero nicht auch Harfe gespielt?«

Kant lachte auf. »Wenn Sie Nero in Gestalt von Peter Ustinov meinen, müsste ich das als Beleidigung auffassen. Der einzige halbwegs prominente Mann, der Harfe gespielt hat, war Lee Van Cleef. Aber wer weiß das schon.«

»Dieser Westernschauspieler? Der mit dem fiesen Blick?«

»Old Angel Eyes, genau. Aber er ist nun auch schon eine Weile tot, und seitdem scheine ich der Einzige zu sein. Abgesehen von ein paar gälischen Volkshelden, aber die spielen in der Regel keine Doppelpedalharfe.«

»Doppelpedalharfe… noch nie gehört.«

»Das sind die, die Sie in großen Orchestern sehen. Siebenundvierzig Saiten, sechs Pedale, meist goldfarben.«

»Treten Sie damit auf?«

»Gelegentlich. Im kleinen Kreis.«

Fast hätte sie gefragt, ob sie mal dabei sein dürfe, aber dann kam ihr ihre Fragerei zu aufdringlich vor. Sie beschloss, den Rest der Fahrt nur noch nach Aufforderung zu reden, aber die kam ziemlich bald.

»Warum ist Ihr Gatte eigentlich damals zum LKA gegangen? Er wirkte auf mich ganz zufrieden in seinem Job.«

»Man hat ihm einen Polizeidirektor vor die Nase gesetzt. Es war seitdem nicht mehr das Gleiche. Aber beim LKA war er auch nicht lange.« Den letzten Satz hättest du dir auch sparen können, dachte sie, genau wie das zweite Glas Wein.

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Kant.

»So?« Sie sah ihn von der Seite an. »Warum?«

»Nun, man hört und liest ja so einiges über die in München. Und so, wie ich Ihren Mann kennengelernt habe, passte er da vielleicht nicht hin.«

Ihr Blick wurde misstrauisch. »Wieso nicht?«

»Er scheint mir zu integer«, sagte Kant.

Es ging auf elf zu. Schafmann war vor dem Fernseher eingedöst und schreckte hoch, als er die Haustür zuschlagen hörte. Er schaltete das Gerät aus, stand vom Sofa auf und ging in die Diele. Fabian hängte gerade seine Windjacke an die Garderobe. Er sah seinen Vater nur stumm von der Seite an.

»Komm mal in die Stube«, sagte Schafmann.

»Keine Lust.«

Schafmann machte stumm eine energisch dirigierende Armbewegung. Fabian verzog den Mund, gehorchte aber. Schafmann ließ ihn vorangehen und schloss die Tür hinter sich. »Setz dich.«

Fabian ließ sich widerwillig auf der Sofalehne nieder, Schafmann blieb stehen.

»Was ist jetzt wieder?«, fragte sein Sohn.

Schafmann sah ihn an. Fabian war bleich, wirkte ungesund, was durch die raspelkurz geschnittenen Haare noch verstärkt wurde. Früher war er ein Energiebündel gewesen, hatte Eishockey gespielt, eine Weile auch Basketball. Jetzt hing er nur noch rum, mit jungen Männern, die meisten älter als er, und hatte von denen Meinungen übernommen, die, gelinde gesagt, vom Grundgesetz nicht gedeckt wurden.

»Habt ihr den Roller wieder in Gang bekommen?«, fragte Schafmann.

»Hä? Welchen Roller?«

»Ich dachte, ihr habt an dem Roller von deinem Lars geschraubt. Der heißt doch Lars, oder?«

»Ja, der Lars hat ’nen Roller. Und?«

»Ich freu mich, dass du dich für Motoren interessierst.«

»Motoren gehn mir am Arsch vorbei.«

»So? Wie kommt denn dann das Benzin auf deine Klamotten?«

Fabian starrte ihn an. An seinem Hals erschienen rote Flecken. »Keine Ahnung, was du meinst.«

»Ich meine, dass du ein Sweatshirt und eine Hose in die Wäsche getan hast, die voller Benzin waren.«

»Und? Ist das verboten?«

»Kurz nachdem ein Haus mit einem Molotowcocktail angezündet wurde, kann das sogar sehr verboten sein.«

Fabians Blick wurde unstet. Er sah zur Tür, als wolle er abhauen.

»Hast du etwas zu tun mit dem Feuer?«

»Welches Feuer? Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Erklär mir das mit dem Benzin.«

Fabian starrte trotzig schweigend den Boden an.

»Du solltest wenigstens eine Ausrede parat haben, wenn du das stinkende Zeug schon deiner Mutter zum Waschen gibst. Aber du hast gar nicht drüber nachgedacht, oder?«

Fabian stand auf. »Ich geh jetzt.«

»Du bleibst hier.« Schafmann packte ihn mit Kraft am Oberarm und drückte ihn zurück auf die Sofalehne. Fabian stieß einen widerstrebenden Laut aus, gab aber nach.

»Ich werde deine Freunde bald mal besuchen. Dienstlich. Schon Brandstiftung ist nämlich alles andere als eine Kleinigkeit. Da kann man zehn Jahre für kriegen. Aber das da war versuchter Mord.«

»Ihr kriegt uns eh nicht«, sagte Fabian leise, den Boden anstarrend. »Uns könnt ihr nichts.«

»Wie kommst du darauf? Wie kannst du da sicher sein?«

Fabian schwieg.

»Na schön. Wir werden ja sehen. Eine Frage hab ich noch: Wenn ich da bin, bei deinen Freunden– möchtest du, dass die erfahren, wie ich auf sie gekommen bin? Dass du so dämlich warst? Soll ich denen das sagen?«

»Nein«, nuschelte Fabian, ohne ihn anzusehen.

»Dacht ich mir fast. Wenn du vor mir schon keine Angst hast, dann vielleicht vor denen. Ich geb dir jetzt mal einen Rat: Bleib die nächsten Tage schön zu Hause. Und wenn du unbedingt vor die Tür musst, halt dich von denen fern. Und ich versprech dir, wenn du dich nicht dran hältst, dann krieg ich das mit. Du stehst unter Beobachtung. Wenn du irgendwie aus der Nummer wieder rauskommen willst, hörst du besser auf mich.«

Fabian nickte.

»Und jetzt geh ins Bett.«

Ohne seinen Vater anzusehen, stand Fabian auf und verließ die Stube. Schafmann sah ihm nach. Seine Schultern sanken nach unten, als sein Sohn aus der Tür war.

»Herrschaftszeiten«, murmelte er. »Wie soll das enden?«

Robertson gegen O’Sullivan ging in den neunzehnten, den Entscheidungsframe. Robertson hatte angestoßen, und O’Sullivan hatte danach mal wieder einen Einsteiger gefunden, von dem nicht mal Kommentator Rolf Kalb vermutet hatte, dass es überhaupt einer werden konnte, und den Spielball hinterher auch noch sauber auf die Schwarze platziert. Mit der vierten Schwarzen gelang ihm noch ein ziemlich guter Split, aber nicht gut genug, nach zweiunddreißig Punkten war das Break zu Ende, und wie so oft stieg er mit einer Safety aus, die sich gewaschen hatte. Der Spielball lag derart dicht hinter der Gelben, dass Robertson auf alle elf Roten gesnookert war. Der blonde Australier überlegte lange und setzte gerade zu einem offensiven Stoß an, der über zwei Banden führen musste und ein erhebliches Risiko barg, als Schwemmers Handy klingelte.

Mit einem unwilligen Brummen wuchtete er sich aus seinem Sessel und ging zum Schreibtisch, wo er das Gerät vermutete. Leider steckte es in der Innentasche seiner Sportjacke, die über dem Stuhl hing, und es verging einige Zeit, bis er es daraus hervorgefummelt hatte. Das Publikum stöhnte auf, und er drehte sich um. Rolf Kalb konstatierte einen spektakulären Fehlstoß, der Robertson am Ende den Turniersieg kosten konnte, und Schwemmer hatte es nicht gesehen. Dass es Burgl war, die anrief, zwang ihn allerdings zu einer gemäßigten Reaktion.

»Hallo, mein Engel«, sagte er und sah zu, wie O’Sullivan sich vom Schiedsrichter das ganz lange Besteck reichen ließ.

»Hallo, Hausl, Liebling…«

Schwemmer lächelte. Die Stimme seiner Gattin klang, als hätte sie einen fröhlichen Abend gehabt. Er drehte den Stuhl zum Fernseher und setzte sich. »Wo steckst du?«, fragte er.

»Oh, ich bin schon im Hotel.«

»Schon? Ist bald zwölfe. Geht die Auktion nicht morgen früh weiter? Ich dachte, du bist zum Arbeiten da…« Wieder stöhnte das Publikum, als O’Sullivans Rote zwischen den Wangen der Mitteltasche hin und her tanzte, um dann Millimeter vor der Kante liegen zu bleiben. Robertson war wieder im Rennen, und Schwemmer nickte zufrieden. Dass das Match in den neunzehnten Frame gegangen war, hatte ihm um die hundert Euro gebracht, die er auf eine Entscheidung im siebzehnten gesetzt hatte. Wenn Robertson gewann, bekäme er immerhin hundertzweiundsechzig für hundert, was den Schaden etwas in Grenzen halten würde.

»Arbeit soll ja auch Spaß machen«, sagte Burgl.

»Wenn sie schon sein muss… Hast gekriegt, was du wolltest?«

»Nicht alles, aber schon einiges und auch ein paar Sachen, die ich gar nicht auf der Liste hatte. Da sind echte Schätzchen bei. Du, Hausl…?«

»Hmm?« Robertson lochte die Rote locker. An die Schwarze war allerdings kein Herankommen, und es ging mit Blau weiter.

»Hausl, meinst, ich könnt meinen Etat ein bisschen erhöhen?«

»Oha. Was heißt, ein bisschen?« Die Blaue fiel, und wenn Robertson sich nicht völlig blöd anstellte, sollte er mit diesem Break in Führung gehen.

Burgls Antwort kam zögernd. »Na ja, vielleicht noch mal so hunderttausend…«

»Puuh«, sagte Schwemmer, meinte aber eigentlich die verschossene leichte Rote von Robertson.

»Ich weiß ja«, sagte Burgl. »Aber da kommen morgen noch ein paar Bilder dran und eine Skulptur, da würd ich schon gern…«

»Engel, es ist doch auch dein Geld. Warum fragst du mich überhaupt?«

»Weil ich ein schlechtes Gewissen habe.«

Er lachte. »Toller Trick. Und wenn du das Zeug dann später nicht loswirst, bin ich schuld.« O’Sullivan kam wieder an den Tisch, und schon sein erster Stoß machte klar, dass Schwemmer seine hundertzweiundsechzig für hundert vergessen konnte. »Hast du eigentlich deinen Affen gekriegt?«

»Nein. Man hat mir abgeraten.«

»Man?«

»Dieser Herr Kant.«

»Ach, hat der Tiberius Josephus auch noch Ahnung von Kunst?«, fragte Schwemmer, während O’Sullivan entschlossen das nächste Break in Angriff nahm.

»Wer?«

»Das ist sein voller Name. Tiberius Josephus Kant von irgendwas. Hab ich extra noch mal gegoogelt.«

»Gegoogelt? Warum?«

»Weil meine Erinnerungen an den Herrn nicht so richtig angenehm sind. Das ist genau so einer, wie man sich einen Saupreiß vorstellt.« Rolf Kalb merkte an, dass noch eine Rote und eine Farbe fehlte, und Robertson würde Snooker brauchen.

»Das ist ein sehr kultivierter Mann«, sagte Burgl, »mit exzellenten Umgangsformen.« Es klang leicht pikiert.

»Sag ich doch. Ein Saupreiß. Muss ich eifersüchtig sein?«

»Er hat mich gut unterhalten heute.«

»Und wie hat er das angestellt?«

»Wir waren mittags essen und abends nach der Auktion auf einer Vernissage in der Altstadt. Er hat mich jeder Menge Künstlern und Galeristen vorgestellt. Das war richtig klasse für mich. Es hilft mir, solche Leute zu kennen. Außerdem spielt er Harfe.«

»Harfe? Das ist nicht dein Ernst!«

»Aber hallo.«

Der Frameball fiel. Robertson saß auf seinem Stuhl mit einer Miene, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Schwemmer dachte an die hundertzweiundsechzig für hundert und schaute ähnlich drein.

»Ich glaub, morgen frag ich ihn mal nach seinem Schneider«, sagte Burgl, »und dann schick ich dich da auch hin.«

»Was? Jetzt schlägt’s aber dreizehn!« O’Sullivan versemmelte eine kurze Rote so unglaublich, dass Schwemmer sich an die Stirn fasste. Genie und Wahnsinn, dachte er, mal wieder.

»Du solltest wirklich mal über einen Maßanzug nachdenken.«

»Ich komm mit Größe54 wunderbar hin. Außerdem hast du damit meine Frage beantwortet: Ich muss eifersüchtig sein.« Robertson würde zwei Fouls brauchen, aber der Snooker, mit dem er startete, würde O’Sullivan kaum vor Probleme stellen.

»Hausl, ich bitte dich. Der ist doch zehn Jahre jünger als ich…«

»Und das soll mich beruhigen?« Schwemmer stand auf und ging hinüber zum Beistelltisch, auf dem sein Bierkrug stand.

»Der interessiert sich doch nicht für ein oberbayerisches Landei wie mich.«

»Red nicht so über meine Frau!«

O’Sullivan konterte Robertsons schwache Attacke mit einem hinterhältigen Snooker hinter Grün, und Schwemmer nahm einen Schluck von seiner Perle.

»Ich hab da auf der Vernissage einen Düsseldorfer Künstler kennengelernt, einen Russen, van-Wygan-Schüler.«

Schwemmer brummte skeptisch in sein Seidel.

»Der hat mich für morgen in sein Atelier eingeladen. Da kannst du dir Sorgen machen.«

»Dann trink nicht zu viel Wodka, wenn du dahin gehst.«

»Der machte mir allerdings den Eindruck, als könnte genau das schwierig werden.«

Robertson entschied sich für einen Kurvenball, der die anvisierte Rote tatsächlich hauchzart streifte und dann unglaublicherweise in eine Position rollte, aus der heraus O’Sullivan keine Rote lochen konnte. Applaus brandete auf, Schwemmer nickte anerkennend.

»Wann hast du eigentlich vor, heimzukommen?«

»In drei, vier Tagen, denk ich. Morgen und übermorgen läuft die Auktion ja noch. Und diesen Golfplatz wollt ich mir angucken.«

Der Spielball lag eingeklemmt zwischen Schwarz und Bande. O’Sullivan stand grübelnd neben dem Tisch und kniff mit den Fingern seine Unterlippe zusammen, Schwemmer bemerkte irritiert, dass er dabei war, das nachzumachen.

»Sag mal… Spaß beiseite… stellt dieser Kant Fragen?«

»Nach was?«

»Nach mir zum Beispiel.«

Die Antwort ließ ein paar Sekunden auf sich warten. »Er hat sich nach dir erkundigt, ja. Er wusste, dass du nicht mehr die Inspektion leitest. Und fürs Bayerische LKA fand er dich zu integer.«

»Wie bitte?«

»Zu integer. Das hat er gesagt.«

Schwemmer rieb sich die Augen und verpasste so, wie er danach feststellte, ein Vier-Punkte-Foul von O’Sullivan. Robertson brauchte nur noch eins. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Mir gefällt das nicht. Verplapper dich bitte nicht.«

»Ich werd aufpassen. Versprochen.«

»Sei vorsichtig, der Kerl ist ein eiskalter Profi. Und bewaffnet.«

»Ich weiß«, sagte sie. »Das hat er mir erzählt.«

Er schickte ihr einen Kuss durchs Telefon, und sie beendeten das Gespräch.

Dieser Kant beunruhigte ihn mehr, als es ihm recht war. Wenn der ihr schon erzählte, dass er bewaffnet war, musste er sich vielleicht wirklich Sorgen machen.

Balthasar Schwemmer, dachte er, du bist ein eifersüchtiger Trottel.

ZWEI

»Nix drauf? Und wieso?«

»Der Chef von der Security-Firma hat auch keine Ahnung. Die Kameras sind wohl in Ordnung, aber irgendwie hat der Rekorder nicht aufgezeichnet. Da war wohl ’ne Sicherung raus.«

»Rausgeflogen oder rausgedreht?«, fragte Schafmann.

Oberinspektor Krengel hob in einer hilflosen Geste die Arme. »Der Schichtleiter der Sicherheitsleute ist hier, wenn Sie mit dem sprechen wollen.«

»Da können Sie sich aber drauf verlassen, dass ich das will. Wer befragt die Bewohner?«

»Kommissar Eckler, mit drei Leuten.«

»Eckler…« Schafmann stöhnte müde. Eckler hatte die Sensibilität eines kaputten Kühlschranks. Wenn so einer eine Gruppe verschüchterter Kriegsflüchtlinge befragte, kam am Ende wahrscheinlich raus, dass sie selbst das Haus angezündet hatten. Aber Polizeidirektor Hessmann hielt große Stücke auf ihn. Weil Eckler gern mal richtig durchgriff– so hatte er sich Schafmann gegenüber ausgedrückt, als er sicher war, dass sonst niemand zuhörte. Aber Hessmann war auch mit Grellmayer sehr zufrieden gewesen, als der noch in Garmisch war. Grellmayer und Eckler waren dicke Kumpels gewesen, damals. Vielleicht waren sie es heute noch.

»Wo steckt dieser Schichtleiter?«

»Der wartet nebenan.«

Schafmann ging hinaus, Krengel folgte.

»Lowonow heißt der Mann«, sagte Krengel. »Kommt wohl aus der Ukraine.«

Schafmann antwortete mit einem Brummen. Wie ein verdammter Dackel rennt der hinter mir her, dachte er, als er die Tür des Besprechungsraums öffnete.

»Grüß Gott, Herr Lowonow. Ich bin Erster Kriminalhauptkommissar Schafmann. Ich leite die Ermittlungen.«

Lowonow blieb auf seinem Stuhl sitzen, deutete nur ein stummes Nicken an.

»Wie viele Ihrer Leute waren denn gestern da, in der Unterkunft?«, fragte Schafmann.

»Ich allein«, sagte Lowonow mit hartem osteuropäischen Akzent.

»Nur Sie? Ist das normal, dass da nur einer sitzt?«

»Nein. Kollege krank.«

»Und der wird dann nicht ersetzt?«

»Nicht genug Leute. Chef entscheidet.«

»Schön. Darüber wird zu reden sein. Und Ihnen ist nichts aufgefallen gestern?«

»Glas klirrt, Leute schreien. Ich rufe Feuerwehr.«

»Gab es vielleicht Drohungen vorher?«

»Jeden Tag.«

Schafmann zog die Brauen hoch. »Da wissen wir gar nichts von.«

»Und wenn Sie wissen, was Sie machen?«

»Was waren das für Drohungen?«

»Schmiererei, Brief, manchmal sie kommen und schimpfen auf Bewohner vor Haus, wenn rauchen, Handy.«

»Und was sind das für Leute?«

Wieder ein Zucken der mächtigen Schultern. »Männer, Frauen, keine Ahnung.« Der massige Mann schien von unerschütterlicher Ruhe. Gleichzeitig strahlte er eine latente Gewaltbereitschaft aus, die Schafmann durchaus beeindruckte. Diesem Lowonow würde man nicht gern im Dunkeln begegnen.

»Von Ihrer Loge hat man einen guten Blick über den Vorgarten, von wo der Brandsatz geworfen wurde.«

Achselzucken. »Guck nicht immer raus. Drinnen auch zu tun.«

Schafmann unterdrückte ein Seufzen. Krengel saß auf dem Stuhl neben der Tür und sah aus, als ginge ihn das alles nichts an.

»Herr Krengel, wären Sie so nett, mir einen Kaffee zu besorgen?«

»Selbstverständlich, Herr EKHK.« Er stand beflissen auf, froh über eine Aufgabe, die ihn voraussichtlich nicht überfordern würde.

»Auch einen?«, fragte Schafmann. Lowonow schüttelte nur den Kopf. Krengel verschwand durch die Tür. »Nur Milch!«, rief Schafmann ihm hinterher. »Kommt das öfter vor, dass die Aufzeichnung nicht funktioniert?«

»Weiß nicht«, antwortete Lowonow. »Nie gebraucht.«

»Passiert so wenig?«

»Passiert immer was. Aber Kamera nie gebraucht.«

»Wie lange zurück speichert das System?«

»Weiß nicht. Nicht mein Job.«

»Wer ist denn für die Technik verantwortlich? Lassen Sie mich raten… Ihr Chef.«

»Chef«, bestätigte Lowonow. »Verantwortlich für alles. Kann ich gehen?«

»Ja.« Schafmann sah ihm nach, als er grußlos aus der Tür ging. Sein Handy klingelte. Es war Dräger vom Erkennungsdienst.

»Wir haben zwei verwertbare Fingerabdrücke von den Scherben. Schick ich gleich durchs AFIS.«

»Mehr als nix.«

»Wir hatten schon weniger.« Dräger legte auf.

Schafmann zögerte, dann wählte er widerwillig Kommissar Eckler an. »Wie schaut’s aus?«, fragte er.

»Wie schon?«, maulte Eckler in die Leitung. »Die könn ja alle kein Deutsch. Ich hab nur zwei Übersetzer, und denen trau ich so weit, wie ich sie werfen kann. Bis jetzt erzählen die uns nur Quatsch.«

»Quatsch bedeutet was?«, fragte Schafmann.

»Ein Auto soll da gestanden haben, mit einem Halbwüchsigen drin. Und der Wachmann hätte Frauenbesuch gehabt. Von einer Hure.«

»Ich kann den Quatschfaktor nicht so richtig erkennen«, sagte Schafmann.

»Du musst dir das ja auch nicht anhören. Das kannst du denen ansehen, dass die sich das aus den Fingern saugen.«

»Verstehe. Wie lange braucht ihr da noch?«

»Bis Mittag auf jeden Fall. Dann fahren wir nach Murnau, wo sie den Rest untergebracht haben.«

Schafmann verabschiedete sich und beendete das Gespräch. Die Wanduhr des Besprechungsraums zeigte Viertel vor zehn. Schafmann nickte entschlossen.

Krengel kam mit dem Kaffee herein.

»Haben Sie die Adresse von dem Behelfswohnheim in Murnau?«

»Nein…«

»Finden Sie sie heraus, und zwar pronto. Wir werden dem Herrn Eckler mal ein bisschen unter die Arme greifen.«

Jo Kant erschien in der Hotelhalle und kam auf Burgl zu, sobald er sie entdeckt hatte, im Gesicht das typische kühle Lächeln, von dem sie nicht sagen konnte, ob sie es rätselhaft oder doch nur arrogant finden sollte. Sie ging ihm entgegen.

»Pünktlich wie die Maurer«, sagte sie. »Guten Morgen.«

»Ich hatte gelegentlich Kontakt zu Maurern«, sagte er. »Als besonders pünktlich sind sie mir gar nicht aufgefallen. Aber auch Ihnen natürlich einen guten Morgen. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nacht.«

»Die Nacht war gut, aber beim Frühstück hatte ich den Eindruck, den letzten Sekt gestern hätte ich weglassen sollen. Vielen Dank, dass Sie mich abholen.«

»Keine Ursache. Das Hotel liegt auf meinem Weg.« Er hielt ihr die Tür auf, und sie traten auf den Vorplatz. Direkt vor dem Ausgang stand mit geöffnetem Verdeck ein Sportcabrio von beachtlichen Dimensionen.

»Mein lieber Herr Gesangsverein… Das ist Ihrer?«

»Ich hoffe, er gefällt Ihnen.«

»Ich bin zumindest beeindruckt. Was ist das für einer?«

»Aston Martin DBS. Falls es Ihnen zu frisch ist, schließe ich gern das Verdeck.«

»Kommt nicht in Frage, wennschon, dennschon. Eigentlich müssten Sie mich damit über die Kö kutschieren, gell?«

»Das wäre leider ein erheblicher Umweg.« Er öffnete ihr die Beifahrertür. »Aber wenn Sie darauf bestehen…«

»Ein andermal.« Sie nahm auf dem elegant gesteppten Leder des Beifahrersitzes Platz. Schon das satte, sanfte Klacken, das entstand, als Kant ihre Tür schloss, klang teuer– das verhalten aggressive Gollern des Motors erst recht. Kant ließ den Wagen langsam auf die Straße rollen. Nach wenigen Metern blieben sie an einer roten Ampel stehen.

»Der ganz optimale Wagen für die Innenstadt scheint es mir nicht zu sein«, sagte Burgl. »Aber fassen Sie das bitte nicht als Kritik auf.«

»Ich bewege mich selten mit dem eigenen Auto durch die Stadt, aber da ich nachher von der Auktion aus direkt weiterfahre, ist es ausnahmsweise sinnvoll– wenn man den Begriff im Zusammenhang mit diesem Wagen überhaupt benutzen möchte. Ich gebe zu, es ist ein übertriebenes Spielzeug. Aber die meisten meiner Kunden wären irritiert, wenn ich in einem, sagen wir, Lexus bei ihnen vorführe.«

»Zu poplig?«

»Sie sagen es.«

»Dann sind Sie wohl sehr teuer.«

»Ja. Aber preiswert.«

Burgl verzog den Mund. An Selbstbewusstsein mangelte es dem Mann keinesfalls. Die Ampel wurde endlich grün. Kant versuchte nicht, sie mit einem Kavaliersstart zu beeindrucken. Es hätte auch nicht zu ihm gepasst. Obwohl der Wagen nur langsam beschleunigte, meinte sie auch vom Beifahrersitz aus seine Kraft zu spüren.

»Was für einen Wagen fahren Sie?«, fragte Kant in höflichem Plauderton.

»Ich habe seit Jahren einen 1er BMW. Der reicht mir. Mein Mann fährt neuerdings einen Jeep, den brauchen wir, weil wir eine Hütte in den Bergen gepachtet haben.«

»Muss Ihr Mann seine Kunden denn nicht beeindrucken? So ganz billig wird er doch auch nicht sein.«

Sie versuchte, das aufflammende Misstrauen aus ihrer Stimme zu halten. »Wie kommen Sie darauf?«

»Immerhin tauscht er seine Pension gegen einen Job in der freien Wirtschaft. Das wird er sich durchgerechnet haben, so wie ich ihn einschätze.«

»Das hat er.«

»Wenn man neu anfängt in dem Job, kann man den mittel- oder gar langfristigen Ertrag in der Regel ja nur schlecht absehen. Hat er feste Kunden?«

»Ich würde lieber über etwas anderes reden«, sagte Burgl. Sie sah geradeaus auf die Straße und bemerkte, dass er ihr den Kopf zuwandte. Aber er fragte nicht weiter. Sie erreichten eine Schnellstraße, Kant fuhr nicht schneller als siebzig.

»Mit Rücksicht auf Ihre Frisur halte ich mich mit dem Tempo etwas zurück«, sagte er mit seinem kühlen Lächeln.

»Sehr aufmerksam, danke… Was ist denn mit Ihrer Frisur?«

»Ich hätte eine Kappe im Handschuhfach.«

»Verstehe. Wo geht es denn hin für Sie, nach der Auktion?«

»Nach Nürnberg. Geschäftlich.«

»Da werden Sie die Kappe brauchen, auf der Autobahn…«, sagte sie.

»Auf der Autobahn offen zu fahren erscheint mir immer ein wenig… adoleszent.«

Sie lachte höflich und begann, auf ihrer Unterlippe zu kauen.

Nürnberg.

Wieder ein Zufall.